Ulrich Brosinsky
Registriert seit: 09.08.2004 Beiträge: 155 Wohnort: Weinstadt
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: Donnerstag, 02. März. 2006 07:42 Titel: Vorsicht, Glosse! von Karin Pfeiffer-Stolz |
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Die Rechtschreibreform - eine soziale Tat
Auch durch die staatlich angeordnete Verteilung wirtschaftlicher Güter kann keine Gleichheit unter den Menschen hergestellt werden, wer wüßte das nicht. Die Menschen sind höchst unterschiedlich, und deshalb ist das Ergebnis ihrer Bemühungen auf dieser Erde von unterschiedlichen Ergebnissen gekrönt. Eine der Voraussetzungen für wirtschaftliche Prosperität ist zum Beispiel Wissen und Können, das sich eine Person mehr oder weniger mühsam angeeignet hat. Dieser Vorsprung an Wissen und Können scheint den auf sozialen Ausgleich bedachten Gesellschaftsgruppen ein Dorn im Auge zu sein. Die Anhäufung von geistigen Bildungsgütern gilt ihnen als unsozial. Schon vor Jahren sind infolgedessen unter dem Slogan "Recht auf Bildung für alle" Zwangsmaßnahmen zur Abhilfe der krassen Ungerechtigkeiten ergriffen worden. Gesetzlich verankert werden soll nun bald eine Art Zwangsabgabe geistigen Überflusses mit anschließender Verteilung desselben. Bereits die Einrichtung der Institution Gesamtschule war ein wichtiger Schritt auf diesem Weg. Die Zahl der Studierenden wurde kräftig erhöht. Nun will der staatliche Bildungsgerechtigkeitshebel bald schon unsere Kleinkinder erfassen, um sein Ziel verwirklichen zu können. Denn leider haben uns die Ergebnisse von PISA gezeigt, daß durch diese Maßnahmen die Kluft zwischen Klugen und Dummen bislang keineswegs kleiner geworden ist.
Aber nur keine Aufregung: wir haben noch ein heißes Eisen im Feuer!
Äußerlich sichtbares Zeichen für die Belesenheit ihres "Besitzers" und daher sturmungerecht ist eine gute Rechtschreibung. Da gibt es nur eins: Man muß diesem geistigen Großkotz etwas von seinem Können wegnehmen, um es auf die Bedürftigen verteilen zu können. Man braucht dazu nichts anderes als eine Rechtschreibreform, die alles Bestehende gründlich auf den Kopf stellt, vor allem jene Bereiche, die vormals der gehobenen Schriftsprache angehörten. Da bröckelt es auch oben, aber gründlich! Und damit auch unten schön viel von den Brocken ankommt, ersetzt man einige Buchstaben durch andere, das ist chic, das ist modern, das wird gerade von den Benachteiligten besonders gern aufgegriffen!
Die unmittelbare Folge einer solchen Reform ist, daß sich niemand mehr so richtig auskennt: Es geht drunter und drüber im Buchstabenwald! Genau das wollte man erreichen - unerwartet groß ist der Erfolg! Endlich findet man in allen Zeitungen, Zeitschriften und Büchern viele, viele Fehler! Welche Gerechtigkeit, welch sozialer Fortschritt!
Aber gemach, gemach. Wenn die Verteilung der geistigen Wohltaten ihren Sinn entfalten soll, müßte dort, wo vorher zuwenig war, nun deutlich mehr sein.
Ach so, man kann Rechtschreibkenntnisse nicht umverteilen, sagen Sie? Gut. Auch mir kommen inzwischen Zweifel. Aber wozu haben wir dann eine Rechtschreibreform gemacht?
Karin Pfeiffer-Stolz
http://forum.tagesschau.de Beitrag vom 29.03.2005 |
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