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Ein österreichischer Professor zur Rechtschreibreform

 
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Günter Schmickler



Registriert seit: 11.05.2003
Beiträge: 310
Wohnort: 53842 Troisdorf

Beitrag: Samstag, 31. Dez. 2005 15:50    Titel: Ein österreichischer Professor zur Rechtschreibreform Antworten mit Zitat

In der neuesten Ausgabe (4. Heft 2005) der “Wiener Sprachblätter“ legt Professor Dr. H. D. Pohl, Obmann des „Vereins Muttersprache“, seine Meinung zur Rechtschreibreform dar. Er steht der Reform zwar nicht völlig unkritisch, aber doch wohlwollend gegenüber. Die fortwährende Diskussion über das neue Regelwerk hält er für überflüssig.
Nachstehend einige der besonders bemerkenswerten Feststellungen des Professors:

Im Grunde genommen ist der Unterschied zwischen der „alten“ (wie viele sagen: bewährten) und „neuen“ Rechtschreibung so zu beurteilen, als ob man auf einen Nobelball mit Frack oder Smoking ginge.

Die einzige wirklich ins Auge springende Veränderung ist dass (statt daß), alles Übrige merkt man kaum – wie oft kommt denn (die sprachhistorisch richtig geschriebene) Gämse und (der „falsch“ geschriebene) Tollpatsch in unseren Texten vor? Sehr selten!

Ich halte die immer wieder aufs Neue aufgewärmte Diskussion (meist im „Sommerloch“) um die Rechtschreibreform zwar für keine Katastrophe, aber für entbehrlich.

.... und jetzt haben wir die Bescherung: mehrere Verlage verweigern sich (nach einer Zeit der Akzeptanz) der neuen Rechtschreibung, die seit Jahren in der Schule gelehrt wird. Dieser Weg ist falsch, denn er führt über kurz oder lang ins orthographische Chaos.

Trotz des entstandenen Druckes ist es unwahrscheinlich, dass die Rechtschreibreform zurückgenommen wird, und wenn, dann würde das nur neue Auseinandersetzungen erzeugen, und es bliebe sicher nicht nur bei den bisherigen Änderungen. Es ist da eine unheilige Allianz entstanden zwischen Konservativen (die gegen jede Reform sind) und Progressiven (denen die Rechtschreibreform zu wenig weit geht: Kleinschreibung!).

Vorteilhaft erscheint mir u.a. die derzeitige („neue“) ß/ss-Schreibung: wenn der Buchstabe ß (eigentlich die Ligatur „SZ“, die aus der Fraktur stammt) auf einen langen Vokal hinweisen soll (z. B. Maße gegenüber Masse), fragt man sich, wo denn der Vorteil der (alten) durchgängigen ß-Schreibung am Wortende liegen soll. z. B. Fluß neben Fuß. Niemand wird bezweifeln, dass Fluss die durchsichtigere Schreibung ist (sie war übrigens in Österreich schon einmal im Gebrauch, setzte sich aber bei der Reform 1901 nicht durch). Weniger gut sind die Regeln zur Getrennt- bzw. Zusammenschreibung ......

Viel schwerwiegender war der letzte Eingriff in die Kultur der deutschen Sprache vom 3. 1. 1941 in einem Rundschreiben (unterzeichnet von Bormann, jedoch im Auftrage des „Führers“):
Es folgt der Wortlaut des „Hitler-Bormann-Erlasses“, durch den die Verdrängung der „deutschen“ Schriften (gedruckte Fraktur- und geschriebene Sütterlinschrift) eingeleitet wurde.Dies bedeutete das Ende einer langen Tradition und gehört (wie so viel anderes) zu dem Scherbenhaufen, den uns der Nationalsozialismus hinterlassen hat.

Man sollte also wieder zur Tagesordnung übergehen und sich der Pflege der Sprache widmen, meint Ihr
H. D. Pohl


Anmerkungen:
Prof. Dr. Pohl gibt seine private Meinung wieder, die wohl nur von einer Minderheit der Leser der „Wiener Sprachblätter“ und der Mitglieder des „Vereins Muttersprache“ geteilt wird. Selbstverständlich bleibt es auch einem engagierten Sprachpfleger wie dem Obmann des „Vereins Muttersprache“ unbenommen, für die Rechtschreibreform einzutreten. Es befremdet jedoch die Oberflächlichkeit der von ihm vorgetragenen Argumente. Prof. Dr. Pohl behauptet im Brustton der Überzeugung, niemand würde bezweifeln, daß “Fluss” gegenüber “Fluß” die “durchsichtigere” Schreibung sei. Bekanntlich wird aber gerade die Zweckmäßigkeit der „Heyseschen“ s-Laut-Schreibung von vielen sachkundigen Sprachteilnehmern, die man schwerlich als „Niemande“ bezeichnen kann, auf das entschiedenste bestritten. Wenn die früher in Österreich übliche, angeblich durchsichtigere Schreibung sich bei der Reform 1901 nicht durchsetzen konnte, muß das doch seine Gründe gehabt haben ...

Ziemlich allein stehen dürfte Professor Dr. Pohl mit seiner Meinung, die Verdrängung der „deutschen“ Schriften sei ein viel schwerwiegenderer Eingriff in die Kultur der deutschen Sprache als die Rechtschreibreform. „Eine lange Tradition“ wurde weniger durch Schriftzeichen lateinischer Herkunft als durch willkürliche Eingriffe in die Grammatik und die Semantik beendet (Es tut mir sehr Leid, dass diese Leute mir Feind sind). Der Hinweis, daß derartige Eingriffe sich in einem Text nur selten bemerkbar machen, kann nicht als seriöses Argument gewertet werden.

Außerdem ist es zu kurz gegriffen, die weitgehende Abschaffung der „deutschen“ Schriften ausschließlich auf den „Hitler-Bormann-Erlaß“ zurückzuführen. Zu diesem Thema habe ich mehrere Beiträge in dieses Forum eingestellt, s.„Schule“ (Die gotische Schrift) und „Aktionen“ (Süddeutsche Zeitung, S. 11). An dieser Stelle sei nochmals darauf hingewiesen, daß Fraktur und Sütterlin das Dritte Reich zwar nicht völlig unbeschadet, aber in durchaus lebensfähigem Zustand überdauert hatten. Es kann keine Rede davon sein, daß sie unter dem von den Nazis hinterlassenen Scherbenhaufen begraben waren. Die allmähliche Verdrängung der „deutschen“ und der Vormarsch der lateinischen Schriften zogen sich nach dem Kriege noch bis Ende der Fünfzigerjahre hin.

G. Sch.



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Sigmar Salzburg



Registriert seit: 30.06.2004
Beiträge: 42

Beitrag: Sonntag, 01. Jan. 2006 12:10    Titel: Wieder Falsches zum „ß“ Antworten mit Zitat

Prof. Pohl wiederholt die weitverbreitete Behauptung, das „ß“ sei in der Lateinschrift ein Überbleibsel der Fraktur– eben ein zu entfernender Fremdkörper. Dies ist falsch. Die Ligatur „ſs“, aus lang und rund „s“, kursiv immer zu „ß“verbunden, findet sich seit dem Quattrocento in Italien, wohl eine Parallelentwicklung zum Fraktur-ß. Sie findet sich gleichermaßen in den seltenen deutschen Texten in Antiqua (meist in Fach-Fremdwörtern) wie in italienischen: „Baſs[o]“, „profeßion[e]“. Wenn Goethe in Lateinschrift schrieb, verwendete er das gleiche kursive „ß“, das auch in gestochenen italienischen Texten hundert Jahre früher zu finden ist. In den deutschen Antiqua-Drucken vor 1900 wird es als „ſs“ beibehalten (s. Michael Kohlhaas von Kleist 1808), auch als das lange „ſ“ außer Gebrauch gekommen war. Es ist also nicht, wie oft behauptet, ein neugeschaffener Buchstabe, um das Fraktur-ß zu ersetzen. Es war bis 1800 in ganz Europa verbreitet. Im Deutschen entfaltet es eine besondere Nützlichkeit durch die leserfreundliche Abgrenzung bei Wortbildungen und seine völlige Entsprechung in der Fraktur. Das letztere ist durch das „neue“ Heyse-System aufgehoben worden. Ein Text in „neuer“ Rechtschreibung kann nicht mehr Buchstabe für Buchstabe in Fraktur umgesetzt werden. Dergleichen kann nur Feinden der deutschen Schrifttradition eingefallen sein. Frakturfreunde versuchen zwar, die Überlebensfähigkeit ihrer Schrift durch die Aufspaltung in „ſs“ und „ß“ zu beweisen, müssen dann aber ein stilwidriges Schriftbild hinnehmen.
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