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Wielands "Schriften zur deutschen Sprache und Literatur

 
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Ulrich Brosinsky



Registriert seit: 09.08.2004
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Beitrag: Freitag, 09. Dez. 2005 03:00    Titel: Wielands "Schriften zur deutschen Sprache und Literatur Antworten mit Zitat

"Ob die runden Buchstaben schöner seyn, als die eckigten"

Christoph Martin Wielands "Schriften zur deutschen Sprache und Literatur" sind erstmals in einer kompletten Ausgabe erschienen


Von Daniel Jütte

Wenn Christoph Martin Wieland die "Image"-Kampagne des Landes Baden-Württemberg sähe, würde er ratlos den Kopf schütteln. Dass die Schwaben damit werben, alles "außer Hochdeutsch" zu können, wäre dem 1733 in Biberach geborenen Wieland unbegreiflich. Für den kokett verkündeten Austritt aus dem hochdeutschen Sprachverbund hätte der Schriftsteller nur jene Ironie übrig, mit der er 1782 die lokalpatriotische These zurückwies, dass "unsere höhere Schrift- und Gesellschaft-Sprache in dem südlichen Chursachsen einheimisch ist". Die Polemik mit dem Titel "Ueber die Frage: Was ist Hochteutsch?" kann man nun in der ersten kompletten Ausgabe von Wielands "Schriften zur deutschen Sprache und Literatur" nachlesen.

Wie anregend die Lektüre in den drei Bänden ist, zeigt sich beim Thema "Rechtschreibung". Denn Trost wird bei Wieland finden, wer sich grämt, dass die deutsche Sprache mit einer Rechtschreibreform beglückt wurde, deren Einführung noch die von Dosenpfand und Lkw-Maut als vorbildlich erscheinen lässt. Über eine "orthographische Influenza" beklagte sich jedenfalls schon Wieland im 18. Jahrhundert, und noch bitterlicher über die zahlreichen Publikationen, in denen es von "groben Fehlern wider die Grammatik" nur so wimmele. Das alles könnte auch in diesen Tagen geschrieben sein, in denen bekanntlich ein Buch mit dem Titel "Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod" in der Bestseller-Liste weit oben steht.

Eher schmunzelnd liest man hingegen Wielands Beiträge zu Diskussionen, die im 18. Jahrhundert mit erstaunlicher Vehemenz geführt wurden: Die Frage, ob die karolingischen Monatsnamen in den Kalender eingeführt werden sollten, wird heute vermutlich niemanden mehr auf den Plan rufen (höchstens vielleicht die reformfreudige Kultusministerkonferenz). Und einen Streit darum, ob "die runden Buchstaben schöner seyn, als die eckigten", wird man Deutschlands "Pisa"-gebeutelten Schülern, die - unter der Zuchtrute der Wettbewerbsfähigkeit - mittlerweile vielleicht schon Business-English in Klasse 1 und Betriebswirtschaftslehre in der Vorschule lernen, gerne ersparen.

Auch den eigentlich interessanten "Vorschlag unsere bisherigen Demoisellen künftig Fräulein zu betiteln" sollte man wohl lieber nicht am Freitagabend in der Disco zum Gesprächsthema machen. Man hätte sich die Prügel dafür jedenfalls nicht zu Wielands Ehren geholt, der schließlich beide Bezeichnungen nicht mochte, sondern seinen Lesern das "ehrliche altteutsche Ehrenwort Jungfer" empfahl. Ohnehin lehnte der Herausgeber des "Deutschen Merkurs" Gewalt als Fortsetzung des Streits über sprachliche Nuancen strikt ab. Dass eine einheitliche Rechtschreibung im 18. Jahrhundert der staatlichen Einigung Deutschlands bedurft hätte, wusste Wieland - und er zog es vor, von Revolutionen Abstand zu nehmen, zumal wenn man "die Menge von Köpfen, Armen und Beinen bedenkt, die uns, auf diesem Wege die Abschaffung der fatalen h, k, q, ß, y und tz kosten würde".

Weniger zimperlich war Wieland, wenn er gegen seine literarischen Intimfeinde zu Felde zog: Auf "Papierbesudler", die ihre Leser "mit dem Geruch unflätiger Zoten und geiler Raupereien anlocken", schleuderte Wieland seinen Zorn. "Was für eine Cloack ist doch die Seele dieses Menschen!", lesen wir über einen Widersacher im Literaturbetrieb - und staunen, dass heute, verglichen damit, selbst die Verrisse eines Reich-Ranicki kuschelig scheinen. Aber Literatur ist ein verantwortungsvolles Geschäft und hat, so lernen wir, mit Streicheleinheiten nichts zu tun - weshalb Frauen, die sich mit einem belanglosen Buch auf dem Sofa räkeln, in Wielands Augen allenfalls lasziv sind. Seine Klage über Deutschlands Töchter, die ob ihrer Lektüre "mit frivolen Phantasien und mit dem Zunder ausschweifender und verderblicher Leidenschaft angefüllt" sind, wirkt heute allerdings weniger frauenfeindlich als zeittypisch.

Was man und Frau damals alles lesen konnte, ersieht man aus den zahlreichen in die Edition aufgenommenen Rezensionen aus Wielands Feder: Etwas kurios anmutende Bestseller des 18. Jahrhunderts wie "Sophiens Reise von Memeln nach Sachsen" und "Woldemar. Eine Seltenheit aus der Naturgeschichte" ziehen hier in handlicher Form an unserem Auge vorüber. Recht viel Lob findet Wieland für einen gewissen jungen Schriftsteller namens Friedrich Schiller.

Wie oft Wielands Schriften dieser Tage aus deutschen Bücherregalen genommen werden, ist uns unbekannt. "Wieland wird nicht mehr gelesen", bemerkte Walter Benjamin 1933 zum zweihundertsten Geburtstag des Schriftstellers. Ironie der Geschichte: Benjamin selbst hatte - wie Jan Philipp Reemtsma im Vorwort zur vorliegenden Ausgabe anmerkt - kaum je eine Zeile von Wieland gelesen. Wie heißt es bei Wieland: "Es wäre zu wünschen, dass die Leute besser lesen lernten." Frisch auf, frivole Jungfern Deutschlands - lest Wieland!

Christoph Martin Wieland: Schriften zur deutschen Sprache und Literatur. Herausgegeben von Jan Philipp Reemtsma, Hans und Johanna Radspieler. Insel Verlag, Frankfurt/Main. Drei Bände, 2100 Seiten, 98 Euro.

Stuttgarter Zeitung vom 10. November 2005
http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/detail.php/1029125?_suchtag=2005-11-10
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Christoph Martin Wieland, deutscher Dichter (1733 - 1813)
Näheres unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Christoph_Martin_Wieland
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