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Zur französischen Rechtschreibreform

 
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Manfred Riebe



Registriert seit: 23.10.2002
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Beitrag: Freitag, 15. Okt. 2004 17:21    Titel: Zur französischen Rechtschreibreform Antworten mit Zitat

Eine Seerose brach ihr das Rückgrat
Der gescheiterte Versuch einer französischen Rechtschreibreform

Von Tobias Wenzel

Es gibt kein Zurück von der neuen Rechtschreibung, verkündet die Mehrheit der deutschen Kultusminister. Bei so viel Streit um geschriebene Worte lohnt sich ein Blick über die Grenze nach Frankreich. Dort startete man vor 15 Jahren einen Reformversuch. Er scheiterte - vor allem wegen des Wortes „nénufar“, das „Seerose“ bedeutet.

Laut einer Umfrage aus dem Frühjahr 1989 halten 70 Prozent der Franzosen ihre Rechtschreibung für schwierig. Drei Monate nach der Umfrage gründet Premierminister Michel Rocard einen „Rat für die französische Sprache“. Noch im selben Jahr beauftragt er diesen Rat damit, Vorschläge zu einer Rechtschreibreform vorzulegen. Eine Expertengruppe aus Sprachwissenschaftlern und Wörterbuchexperten macht sich an die Arbeit. Der Pariser Sprachwissenschaftler Bernard Cerquiglini leitete damals diese Gruppe und erklärt die Motivation:

Bernard Cerquiglini: Die französische Rechtschreibung ist eine Art Religion. Die Schreibung, die man in der Schule lernt und die sehr schwierig ist, kommt einem Ritus nahe: einer heiligen, obskuren Sache. Man muss sie befolgen. Andernfalls ist das Sünde. Dem Premierminister ging es nicht nur um die Reform selbst. Im Grunde wollte er der französischen Rechtschreibung ihren religiösen Charakter nehmen.

Anfangs läuft alles glatt. Die linguistische Expertengruppe berät die Orthographie-Arbeitsgruppe des Rats, in der auch Schriftsteller, vor allem Mitglieder der Académie française, vertreten sind. Denn in Frankreich ist die Académie und das von ihr herausgegebene Wörterbuch die Instanz für die Rechtschreibung - nicht, wie in Deutschland, die Kultusministerkonferenz. Im Mai 1990 stimmt die sonst eher konservative Académie den Vorschlägen zu. (Wohl auch, weil die Gewerkschaft der Lehrer eine radikalere Rechtschreibreform einfordert.)

Als jedoch im Dezember die Rechtschreibänderungen im Amtsblatt veröffentlicht sind, regt sich plötzlich Widerstand. Der konservative Politiker François Bayrou gründet gar eine Organisation zur Rettung der alten Orthographie: „Le français libre“ - „Das freie Französisch“. Bekannte Schriftsteller wie Michel Tournier treten bei. Auch die Tageszeitung „Figaro“ ergreift Partei gegen die neue Schreibung. Der Streit eskaliert. Vor allem wegen des Wortes „nénufar“, das „Seerose“ bedeutet.

Bernard Cerquiglini: Die deutsche „Majonäse“ entspricht unserem „nénufar“. Die Gegner greifen immer ein Wort heraus, um die Reform ins Lächerliche zu ziehen. Das Wort „nénufar“ kommt aus dem Persischen. Im Französischen wurde es immer mit einem „f“ geschrieben. Als aber die Académie française 1932 ihr neues Wörterbuch veröffentlichte, hatte sie wohl geschlafen: Sie dachte, „nénufar“ komme aus dem Griechischen, und hat deshalb das „f“ durch ein „ph“ ersetzt. Wir Reformer wollten diesen Fehler der Académie nur korrigieren. Der Dank: Alle haben uns, Entschuldigung, angeschnauzt.

Doch solch vernünftige Erklärungen finden kein Gehör mehr. Dafür aber das Buch mit dem bezeichnenden Titel „Gegen die Rechtschreibreform“. Darin schreibt das Autorenkollektiv, dem vor allem Schriftsteller angehören, über die Reformer:

SIE haben sich eine anonyme Maske aufgesetzt, um zu verkünden, dass die Kinder, von September 1991 an, nicht mehr dasselbe Französisch lernen wie ihre Eltern.

Die Rechtschreibung wird einfach mit der Sprache gleichgesetzt. Für Jürgen Trabant liegt hier der Denkfehler. Der Professor für romanische Sprachwissenschaft an der FU Berlin hat die französische mit der deutschen Rechtschreibreform verglichen:

Ich glaube, diese französische Reform war so, dass sie eigentlich nur in der Schrift etwas nachvollzog, was schon in der gesprochenen Sprache vorhanden war, sodass hier keine Gefahr bestand, dass diese Veränderungen die gesprochene Sprache verändert hätten. (...) Aber im Deutschen ist es anders. Da glaube ich schon, dass die Veränderungen (...)das Verständnis (...) behindern oder verändern.

So zum Beispiel bei dem Wort „belämmert“, das nach der neuen Orthographie nicht mehr mit etymologisch korrektem „e“, sondern mit „ä“ geschrieben wird. Durch die neu geschaffene Analogie zum Lamm, verändert sich, so Jürgen Trabant, auch das Wissen über die Sprache.

Bei der französischen Reform hat es jedoch solche Eingriffe nicht gegeben. So sollten zum Beispiel überflüssige Akzente getilgt und die Benutzung des Bindestrichs vereinheitlicht werden. Eine behutsame Reform, die ordentlich Gegenwind bekam.

Bernard Cerquiglini: Die Heftigkeit der Debatte hat mich doch sehr überrascht. Wir haben nur 400 Wörter korrigiert und zwar im Einklang mit Fachleuten (mit Linguisten und Académie-Mitgliedern). Und damit sollen wir Frankreich in Schutt und Asche gelegt haben!? Die bisherige Rechtschreibung ist doch nahezu erstarrt. Ich habe Zweifel, ob eine neue Reform jemals gelingen wird.

Denn seine französische Reform landet in einer Sackgasse. Die Académie française entscheidet zwar im Januar 1991 abschließend, dass die Reform nicht zurückgenommen wird. Aber die Académie kneift und bezeichnet die Reform als „nicht verbindlich“. Der vermeintlich ungeregelte „Gebrauch“ solle zeigen, ob sich die neuen Schreibungen durchsetzen. So begegnet man in Frankreich auch 15 Jahre nach dem Reformbeginn, abgesehen von ein, zwei Wörtern, keiner neuen Schreibung: weder in der Schule noch in der Zeitung noch in den gängigen Wörterbüchern. Wenigstens ein einheitliches Ignorieren, meint Jürgen Trabant mit Blick auf die deutsche Reform:

Hier, glaube ich, wird es im Gegensatz zu Frankreich nicht so glimpflich ausgehen bzw. es wird jetzt wahrscheinlich sagen wir 20 Jahre alt und neu nebeneinander existieren. Der Staat wird nichts zurückdrehen. Er kann es nicht. Es ist viel zu viel geschehen: Millionen von Kindern schreiben neu. Und ich denke dann, wenn diese Kinder dann ihrerseits Chefredakteure von „Spiegel“, „FAZ“ und Suhrkamp und so weiter sind, dann werden sie wahrscheinlich die neue Rechtschreibung in diesen Verlagen einführen.

Denn für die meisten Menschen, ob Deutsche oder Franzosen, gilt: Was man mühsam in der Schule gelernt hat, wird einem früher oder später heilig.

DeutschlandRadio Berlin - 18.8.2004
www.dradio.de/dlr/sendungen/fazit/295409/
____________________________________

Jürgen Trabant, Professor für romanische Sprachwissenschaft an der FU Berlin, sieht den Hauptunterschied zwischen der französischen und der deutschen Rechtscheibreform:
„Ich glaube, diese französische Reform war so, dass sie eigentlich nur in der Schrift etwas nachvollzog, was schon in der gesprochenen Sprache vorhanden war, sodass hier keine Gefahr bestand, dass diese Veränderungen die gesprochene Sprache verändert hätten. (...) Aber im Deutschen ist es anders. Da glaube ich schon, dass die Veränderungen (...) das Verständnis (...) behindern oder verändern.“
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Manfred Riebe



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Beitrag: Mittwoch, 17. Aug. 2005 23:03    Titel: Die mißglückte französische Rechtschreibreform Antworten mit Zitat

Der akzentfreie Geschmack
Die mißglückte französische Rechtschreibreform und die deutsche Kultusministerkonferenz / Von Heike Schmoll

Es ist kein Geheimnis mehr, daß sich kaum ein Kultusminister in Deutschland je für die Rechtschreibreform interessiert hat. Der zuständige Beamte bei der Kultusministerkonferenz, Ministerialrat Stillemunkes, kann um so zügelloser agieren. Anscheinend versprachen sich einige Verantwortliche in Ministerien eine wachsende Akzeptanz für die deutsche Reform dadurch, daß sie den Eindruck erweckten, in Frankreich habe sich die dortige Orthographiereform durchgesetzt. Sie verpflichteten die Französischlehrer dazu, eine neue französische Rechtschreibung im Unterricht zu befolgen, die nicht einmal in Frankreich gilt. Sowohl der Bremer Senator für Bildung und Wissenschaft als auch das rheinland-pfälzische sowie das schleswig-holsteinische Kultusministerium haben ein entsprechendes Rundschreiben an die Französischlehrer verschickt. Im Wortlaut ähneln sie sich so stark, daß sie vermutlich vom Sekretariat der Kultusministerkonferenz ausgehen.

Tatsächlich hat das „Journal officiel“ in Frankreich unter der Überschrift „Die Berichtigung der französischen Orthographie“ am 6. Dezember 1990 die Korrektur von etwa zweitausend französischen Wörtern angeordnet, nachdem sie von der Académie française angenommen worden war. Erarbeitet hatte sie der sogenannte „Hohe Rat der französischen Sprache“, den Mitterrand durch ein Dekret im Oktober 1989 einrichtete. Betroffen waren vor allem Akzentregeln, der nahezu völlige Verzicht auf den „accent circonflexe“ etwa bei „goût“ (Geschmack), „connaître“ (kennen, kennenlernen) „août“ (August) und anderen Wörtern. Außerdem sollten jene Wörter ihren Bindestrich verlieren, die als lexikalische Einheit verstanden werden, wie „va-nu-pieds“ (Habenichts). Aus „événement“ (Ereignis) sollte der Aussprache wegen „év*nement“ werden. In die Neuauflage einiger Wörterbücher wurden die neuen Schreibweisen auch aufgenommen. In der französischen Öffentlichkeit durchgesetzt haben sie sich bis heute nicht, doch deutsche Französischlehrer sollen sie im Unterricht befolgen und beide Schreibweisen gelten lassen.

Die Begründung für die französischen Reformvorschläge gleicht den Anfängen der deutschen Rechtschreibreform in auffälliger Weise. Die Académie, die seit ihrer Gründung immer wieder versucht hatte, durch staatliche Verordnungen Einfluß zu nehmen, damit aber meistens scheiterte, obwohl sie relativ zurückhaltend agierte, und die Regierung wollten die neuen Schreibweisen 1990 im Schulunterricht durchsetzen, um den Schülern das Schreiben zu erleichtern. Allerdings hat die französische Akademie den Sprachgebrauch berücksichtigt - im Unterschied zur Zwischenstaatlichen Kommission. Trotzdem formierte sich der öffentliche Widerstand in Frankreich schneller, als die Reformer erwarten konnten. So sagte etwa der UDF-Abgeordnete Bayrou, er habe nie etwas von einer Reform der Rechtschreibung gehört. Sie sei vielmehr Sache einer Gruppe von Linguisten, die einige Freunde in der Regierung hätten. Nur knapp drei Wochen nach der Veröffentlichung der sprachlichen Eingriffe formierte sich die Vereinigung „Le Français libre“, der Professoren, Schriftsteller und Journalisten angehörten. Für die Erhaltung des „circonflexe“ kämpfte eine eigene Gruppe. Der Kampf gegen die Reform wurde in Frankreich zu einem gesellschaftlichen Ereignis.

Die französische Akademie zog daraus im Januar 1991 die Konsequenz und trat den taktischen Rückzug an. Sie vermied es ausdrücklich, von „Verbesserungen“ zu sprechen, und erwähnte fortan nur noch Empfehlungen. Die Akademie war klug genug, sofort zu erkennen, daß eine Durchsetzung der Reform durch ministeriellen Erlaß nur die Akzeptanz schwächte. Auch der damalige Premierminister Rocard wollte nicht durch Gesetze in die Debatte eingreifen, bat aber die Erziehungsminister, „alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um diese Verbesserungen künftig zu unterrichten“. Angesichts der deutschen Widerstände gegen frühere Reformversuche wurde in Paris zur Vorsicht gemahnt. Ein französischer Kommentator fügte hinzu, die Anordnung einer Rechtschreibreform per Dekret gebe es nur in Deutschland. Schon 1991 war Jean-Marie Zemb, Honorarprofessor des Coll*ge de France, in einem genauen Vergleich beider Reformen zu der Einsicht gelangt, daß die französische Langsamkeit und Besonnenheit bei der Rechtschreibreform wirkungsvoller sei als die autoritäre Verordnung von oben „à la Neuregelung allemande“. Das französische Erziehungsministerium verwendet die neuen Schreibweisen bis heute nicht, von sämtlichen Zeitungen und Verlagen werden sie ignoriert. Nur in Belgien und der Schweiz haben sie teilweise Anklang gefunden. Der „Larousse“, der „Petit/Grand Robert“, die beiden gängigen Wörterbücher, führen sie nur als Varianten auf, machen in den Wörterbuchartikeln jedoch keinen Gebrauch davon. Warum also sollten sich deutsche Französischlehrer darum scheren?

Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 176 vom 1. August 2005, S. 8
_________________________________________________

Siehe auch:

* Jean-Marie Zemb: Observations sur les réaménagements de l’orthographe
en France et en Allemagne.
http://www.asmp.fr/fiches_academiciens/textacad/zemb/orthographe.pdf

* Heiner Wittmann: Verliert der Geschmack seinen Akzent? - Das Gerangel um die französische Rechtschreibung.
http://www.tu-dresden.de/sulcifra/romanistik/articles/rechtschreibung.pdf

* Ministerialrat Christoph Stillemunkes, eine graue Eminenz zwischen Kultusministerkonferenz, hessischem Kultusministerium und Schulbuchverlagen:
http://www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?p=1968#1968
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