Günter Schmickler
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: Mittwoch, 06. Jul. 2005 22:13 Titel: Der "Zwiebelfisch-Autor" und die GZS |
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“Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“- dieses Buch des „Zwiebelfisch-Autors“ Bastian Sick hat zu Recht einen Platz auf den Bestsellerlisten. Sick nimmt in 47 überaus witzigen und unterhaltsamen Kapiteln den Sprachmüll unserer Zeit „auf die Schippe“. Leider bedient er sich der reformierten Rechtschreibung, wenngleich diese in einigen seiner Kapitel nicht gerade gut wegkommt. Allerdings darf man nicht alles unwidersprochen hinnehmen, was dem geistvollen Spötter aus der Feder geflossen ist. Einer seiner Irrtümer ist, mit Verlaub, geradezu haarsträubend (oder „Haar sträubend“ ?). Er behauptet: „Eine Verbindung mit einem Partizip schrieb man zusammen und klein. Punktum. „Schweiß“ und „treibend“ ergab schweißtreibend, „Glück“ und „verheißend“ ergab glückverheißend, „allein“ und „erziehend“ ergab alleinerziehend. Diese Regel hat selten zu Protestaktionen oder Unterschriftensammlungen geführt, denn sie war kurz, einfach und logisch. Selbst weniger talentierte Lehrer waren in der Lage, sie zu vermitteln, und zur Not konnten sie sich bei der Mathematik bedienen, denn die Regel ließ sich als immergültige Formel darstellen: x + Partizip = Adjektiv.“
Weiß der Teufel, woher der Zwiebelfisch-Autor diese Weisheit hat. Sollte ein Lehrer ihm die „immergültige Formel“ beigebracht haben, so hätte dieser zweifellos seinen Beruf verfehlt. Eine so „kurze, einfache und logische Regel“, hätte es sie denn in der „alten“ Orthographie gegeben, wäre nicht mehr wert gewesen als die Murksregeln der Rechtschreibreformer: rein formalistisch, ohne eine bedeutungsvermittelnde Funktion, die dem Leser das Textverständnis erleichtert.
Sick verkennt offensichtlich das Wesen des Partizips: Es nimmt eine Mittelstellung zwischen Verb und Adjektiv ein, hat gewissermaßen teil an zwei Wortarten („particeps“ bedeutet „teilhabend“). Gerade bei der Entscheidung für die Getrennt- oder die Zusammenschreibung kommt es in der herkömmlichen Orthographie darauf an, ob ein Partizip adjektivischen oder verbalen Charakter hat. Beispiele: feuerspeiender Berg, fleischfressende Pflanze, kostensparendes Verfahren, todbringende Krankheit – in all diesen Fällen wird durch die Wortfügung aus Substantiv und Partizip eine dauernde (manchmal auch latente) Eigenschaft bezeichnet. Hingegen: „Eine Gruppe Pilze suchender Kinder verirrte sich im Wald“ oder „In der Küche saßen drei Kartoffeln schälende Frauen“ oder „Die Fußball spielenden Buben machen viel Lärm“ – in diesen Fällen wird jeweils eine zeitlich begrenzte Tätigkeit bezeichnet.
Auch beim 2. Partizip muß im Einzelfall unterschieden werden, ob die Betonung auf der Eigenschaft oder der Tätigkeit bzw. dem Geschehen liegt: „Der schwerbeschädigte Bewerber wird bei der Stellenvergabe bevorzugt“, aber: „Er schaffte die Heimfahrt mit einem schwer beschädigten Fahrzeug“.
Derartige Unterscheidungen der „alten“ Rechtschreibung bereiten einem durchschnittlich begabten Schreiber kaum Schwierigkeiten. Durch die neuen Regeln jedoch, die das „rechte“ Schreiben erleichtern sollten, ist ein heilloses Durcheinander entstanden. Selbst Berufsschreiber können oft nicht beurteilen, ob „durch die Zusammenschreibung gegenüber einer gebräuchlichen Wortgruppe ein Artikel oder eine Präposition eingespart wird“.
Zweifellos gehört es zu den verhängnisvollsten Fehlleistungen der Rechtschreibreformer, daß sie bedeutungstragende Schreibweisen durch willkürliche und sinnlose Formalregeln verdrängt haben. Ich finde es bedauerlich, daß der „Zwiebelfisch-Autor“ diese Tatsache vollständig verkannt hat. Ob der Rechtschreibrat in der Getrennt- oder Zusammenchreibung noch einiges zum Besseren wenden kann, bleibt abzuwarten. |
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