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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Montag, 27. Okt. 2003 00:29 Titel: Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung und die Refor |
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Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung und die Reform der Reform
Zur Reform der deutschen Rechtschreibung. Ein Kompromißvorschlag, Hg. von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Göttingen: Wallstein Verlag, 2003, 144 Seiten, brosch., Euro 16,-, ISBN 3-89244-655-5
Zur Reform der Reform - die Änderungsvorschläge der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Die umfangreiche Wortliste, die man als »Rückbauliste« verstehen kann und soll.
Die jahrelangen Auseinandersetzungen um die Rechtschreibreform haben nicht nur zu heftiger, gelegentlich arg übertriebener Polemik geführt, sondern auch den Sinn für Eigenarten, Vorzüge und Tücken der Schreibung des Deutschen geschärft. Angesichts des nach wie vor lebhaften Streits um die künftige deutsche Rechtschreibung sowie der großen Differenzen im Schreibgebrauch (alte/neue Rechtschreibung, Hausorthographien) legt die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung nun mit diesem Band einen Vorschlag vor, der die Einheit der deutschen Rechtschreibung wiederherstellen soll.
Die Wörterliste, die dieser Band enthält, soll zeigen, was sich gegenüber der alten Orthographie nach der Reform tatsächlich geändert hat und wie nach Auffassung der Akademie mit den Änderungen umgegangen werden sollte. Angestrebt wird eine Gesamtübersicht, die alle wesentlichen und nur die wesentlichen Änderungen im Wortschatz großer Rechtschreibwörterbücher enthält. Als Grundlage dienten der »Bertelsmann« und der »Duden«. Die Änderungsvorschläge der Akademie halten sich im Rahmen vorsichtiger Korrekturen. Nach Einschätzung der Akademie werden alle gravierenden Einwände gegen die Neuregelung auf der Basis dieses Vorschlags gegenstandslos, ohne daß noch einmal eine Kostenlawine auf Schulbuchverlage und Steuerzahler niederginge.
Den Entwurf des Vorschlags hat Peter Eisenberg geschrieben, die Wörterliste ist unter seiner Regie von Barbara Seelig und Birgit Wolf-Bleiß angefertigt worden. Beide stellen das Ergebnis gemeinsamer Arbeit der Rechtschreibkommission der Deutschen Akademie dar. Dieser Kommission gehören an: Peter Eisenberg, Hans-Martin Gauger, Hartmut von Hentig, Friedhelm Kemp, Gustav Korlén, Uwe Pörksen, Harald Weinrich.
http://www.deutscheakademie.de/
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Prof. Dr. Ch. Meier
J.-M.-Fischer Str. 14
82069 Hohenschäftlarn
Urheberrechtlicher Hinweis:
Dieser Text darf nur in der vorliegenden Form (bewährte Rechtschreibung) vervielfältigt respektive gedruckt werden.
Die zweitbeste Lösung
Die kleine Schrift der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung Zur Reform der deutschen Rechtschreibung hat, wie man sieht, manch einen irritiert. Da kämpft eine Akademie jahrelang, und ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, gegen eine Reform, und nun veröffentlicht sie einen Kompromißvorschlag, der von der Reform ausgeht, auch wenn er eine ganze Reihe von Korrekturen daran vornehmen will, und das noch dazu in alter Schreibung.
Doch kann man das erklären: Die Akademie hat die Reform aus, wie ich meine, guten Gründen abgelehnt. Was uns da vorgeschrieben werden soll, ist ohne Zweifel in vielem unüberlegt, verletzt grammatische Regeln und enthält eine ganze Reihe von Zumutungen verschiedenster Art für Schreiber und Leser. Man sollte hinzufügen, daß die Reform auch eine Anmaßung darstellt. Wie kommen Minister dazu, einer Sprachgemeinschaft, entgegen langfristigen Tendenzen des Schreibgebrauchs, zu diktieren, wie sie zu schreiben hat? Wie immer das Bundesverfassungsgericht, das übrigens der Exekutive auf den Leim ging, entschieden hat: Gibt es nicht auch prä- und extrakonstitutionelle Rechte, die, obwohl sie in der Verfassung nicht verbrieft sind, ein Verfassungsstaat zu respektieren hat? Etwa das auf die Praktizierung und Fortentwicklung wohlbegründeter Regeln des Schreibens im Schriftgebrauch und in der Kritik daran? Es entspricht einer Tradition deutscher Kultusminister, die vor dem gegenwärtigen Eingriff nur ein einziges Mal, während der Nazizeit, durchbrochen worden ist, zu respektieren, was die Gemeinschaft der Schreiber will.
Allein, für Argumente waren unsere Kultusminister nicht zugänglich. Sie waren ja sogar stolz darauf zu zeigen, daß in Deutschland endlich auch Reformen möglich sind, ohne daß ihnen aufgefallen wäre, daß das Land, wenn die nötigen Reformen von dieser Art sein sollen, ohne Reformen fraglos besser dran ist.
Da dem aber so ist, da die neue Schreibung seit mehr als sechs Jahren an den Schulen gelehrt wird und da man in weiten Teilen der Presse, in den Ämtern, auch in manchen Verlagen versucht, sie zu praktizieren, ist schwer zu sehen, wie man sie noch abschaffen kann. Andererseits ist nicht abzusehen, daß sich die neue Schreibung insgesamt, also etwa auch in der schönen und der wissenschaftlichen Literatur sowie im privaten Gebrauch, in irgend absehbarer Zeit durchsetzt. Und es ist unwahrscheinlich, daß die widersinnigen unter ihren Regeln überhaupt eine Zukunft haben. Insofern ist das Scheitern der Reform vorauszusehen, ohne daß sie deswegen aufgegeben würde. Folglich ist zu erwarten, daß die schon jetzt bestehende Schreibunsicherheit weiter um sich greift. Man schreibt Fuss, aber muß, schreibt getrennt, was überhaupt nur zu trennen ist. Wer will auch schon jedesmal nachschaun? Auch seriöse Zeitungen machen das in vielen Fällen unsinnige hier zu Lande zur Regel, obwohl die Neuregelung das nur als Nebenvariante vorsieht. Auch Potential ist von der Neuregelung nicht ausgeschlossen worden.
Deswegen hat sich die Akademie veranlaßt gesehen, nach einem Weg zu suchen, wie die Reform zu reformieren ist, also auf ihrer Basis eine Schreibung zu erarbeiten, die zur üblichen werden könnte. Wenn der Kompromiß angenommen wird, wäre das sachlich die zweitbeste Lösung, politisch, wie die Dinge nach unserer Einschätzung stehen, die einzig mögliche. Daß wir bis auf weiteres an der bewährten Schreibung festhalten, ist nur logisch.
Ein solcher Vorschlag kann, wie die Dinge stehen, erfolgreich nur sein, wenn sowohl die Exekutive wie weite Teile der Öffentlichkeit ihn sich zu eigen machen. Das ist nicht gerade leicht zu erreichen.
Wenn es aber stimmt, daß die Wiederherstellung einer einheitlichen und einigermaßen vernünftigen Schreibung wichtig ist, so müßte man alles tun, um zu verhindern, daß Vorschläge wie dieser voreilig zerredet und verrissen werden. Ich möchte deswegen sehr dafür plädieren, ihn und seine Hintergründe möglichst unvoreingenommen zunächst einmal zu Kenntnis zu nehmen.
Unser Grundsatz war, von der neuen Schreibung nicht nur zu übernehmen, was sinnvoll, sondern auch was ohne nennenswerten Schaden hinnehmbar ist. Das empfiehlt sich angesichts der Machtverhältnisse. Andererseits sollten alle gravierenden Mängel dieser Schreibung deutlich bezeichnet und zurückgewiesen werden. So ist ein Vorschlag zustandegekommen, der nach unserm Urteil eine unter den gegebenen Umständen gut vertretbare Schreibung ermöglicht.
Daß über Einzelheiten gestritten werden kann, versteht sich bei einer so komplizierten Materie von selbst. Aber so einfach, wie etwa Theodor Ickler (SZ 28.03.03) es sich macht, um die Sache in Bausch und Bogen abzulehnen, sind die Dinge nicht.
Warum soll man, um ein Beispiel zu nehmen, einerseits im klaren, andererseits im Unklaren schreiben? Die Unterscheidung liegt, wie wir ausdrücklich begründet haben, im Idiomatisierungsgrad der Ausdrücke. Im klaren ist weit idiomatisiert, so daß wir etwa sagen können das bleibt im Unklaren, aber nicht: das bleibt im Klaren. „Eine mechanische Regelung“, ich zitiere „die für beide Fälle Kleinschreibung oder für beide Fälle Großschreibung erzwingt, geht am Sprachgefühl des kompetenten Schreibers vorbei. Erwogen werden kann allenfalls, die Varianten im Unklaren/ im unklaren zuzulassen“. Ickler setzt für im unklaren die falsche Analogiebasis. Diese liegt weniger bei im klaren als bei Ausdrücken wie im Unsäglichen. Hier gibt es gar keine Basis, die lauten würde im Säglichen. Ähnlich verhält es sich bei im Unvergeßlichen, im Ungewissen etc.
Schon Johann Christoph Adelung (1732-1806), einer der großen deutschen Grammatiker und Orthographietheoretiker, hat sich kritisch zum Wert von Analogien geäußert. Analogieschlüsse seien als Rechtfertigung für Einzelschreibungen zu vermeiden, weil man mit ihnen alles beweisen könne. Ausdrücke einer natürlichen Sprache sind auf vielfältige Weise strukturiert. Jeder Blick aus einer bestimmten Richtung zeigt einige Strukturmerkmale, keiner zeigt alle gleichzeitig. Wir können nur versuchen, die Merkmale herauszufinden, die für einen bestimmten Sprach- oder Schreibgebrauch die ausschlaggebenden sind. Das mechanische Kleben an Analogien hat auch die neue Regelung in große Schwierigkeiten gebracht.
Darüber hinaus hat Ickler kritisiert, daß sich einige Fehler in der Wiedergabe von Schreibungen der Wörterbücher in unsere Wörterliste eingeschlichen haben. Das ist zum Teil richtig, und in der jetzt fälligen Neuauflage wird man, mit Dank an ihn, entsprechende Korrekturen anbringen. Wie leicht solche Irrtümer unterlaufen, ergibt sich andererseits aus der Zahl der Fälle, in denen Ickler in seinem kurzen Artikel sich selber irrt. Er meint etwa, jung und alt sei nicht die einzige im Duden von 1991 vorgesehene Schreibweise. Sie ist war es aber. Die Zusammenschreibung von nochmal ist zwar von der Neuregelung vorgesehen, doch weichen die von uns zitierten Wörterbücher davon teilweise ab. Auch hier irrt sich Ickler. Doch sollte man sich bei diesen Einzelheiten nicht aufhalten.
Die Frage, vor der wir stehen, ist doch, ob man auf ein Wunder warten soll, das etwa darin bestünde, daß die bewährte Schreibung wieder allgemeine Gültigkeit erlangt. Wie soll das gehen? Wer wird zum Rückzug blasen? Hätte auch nur ein größerer Zeitungsverleger die Zivilcourage, einfach umzusteuern?
Gewiß ist es nur allzu verständlich, daß viele mit guten Gründen an der so bewährten alten Schreibung hängen. Mir geht es genauso, und ich weiß mich darin mit mehr oder weniger der ganzen Akademie einig. Wenn es nur um das persönliche, nicht das amtliche Urteil ginge, würden nicht wenige Verfechter der Reform uns nachträglich vermutlich Recht geben.
Aber wie gesagt: Die Einheit der deutschen Schreibung ist auch ein hohes Gut. Man sollte sich daher in aller Ruhe fragen, ob der Vorschlag, den wir vorlegen, nicht doch annehmbar ist. Als zweitbeste, aber realiter einzig mögliche Lösung, wenn man nicht beim gegenwärtigen Durcheinander verharren will. Übrigens sollte man sich rechtzeitig auf das Ende der Übergangsfrist im Jahre 2005 vorbereiten. Vielleicht wäre es auch gut, die Sache in den rechten Relationen zu sehen. Immerhin gibt es auch einiges andere noch zu tun, zum Beispiel für die Zukunft der deutschen Sprache.
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Reinhard Markner: Herr Jochems erinnert mich daran, daß es sich um die <i>vollständige</I> Fassung des am 22. 4. 2003 von der Süddeutschen gebrachten Artikels handeln muß.
24.11.2003 13:55 Dokumente > Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung
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Man muß wieder schreiben dürfen, was man fühlt
Peter Eisenberg
Immer noch einmal die Orthographiereform? Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung (Darmstadt) läßt nicht locker. Während der gerade zu Ende gegangenen Leipziger Buchmesse hat sie ihren Kompromißvorschlag ‚Zur Reform der deutschen Rechtschreibung‘ vorgestellt. Er wurde erläutert und begründet vom Präsidenten Klaus Reichert, vom ehemaligen Präsidenten Christian Meier, der das Vorhaben aktiv gefördert hat, sowie vom Verfasser des vorliegenden Beitrags. Inhaltlich verantwortlich zeichnet die Sprach- und Rechtschreibkommission der Akademie. Die folgenden Ausführungen geben, das muß betont werden, die Sicht eines Einzelnen wieder. Sie sind weder im Namen noch im Auftrag der Akademie verfaßt. Jeder von uns hat seine eigenen Erfahrungen mit Inhalten, Umsetzung und politischen Implikationen der Neuregelung gemacht. Kompromisse innerhalb der Akademie wurden möglich, weil Einigkeit darüber bestand, daß die Neuregelung nicht so bleiben darf wie sie ist. Und seit den Beschlüssen von 1996 sind sieben Jahre vergangen, ohne daß klar geworden wäre, wohin nach Meinung der verantwortlichen Kultusminister die Reise gehen soll.
Der Vorschlag wird der Öffentlichkeit in Form eines handlichen Büchleins (Wallstein Verlag, Göttingen) zugänglich gemacht. Christian Meier legt in einem kurzen Text die allgemeinen Gründe für die Initiative der Akademie dar. Es folgt eine übersichtliche Abhandlung zu den einzelnen Bereichen der Orthographie, in der festgestellt wird, was nach Auffassung der Akademie von der Neuregelung übernommen werden sollte und was nicht. Kern und umfangreichsten Teil des Buches bildet die Wörterliste mit den geänderten Wortschreibungen.
Um auf einen Blick zu zeigen, was die Neuregelung tatsächlich bewirkt, werden die Wortschreibungen in vier parallel geführten Spalten gelistet. Die erste Spalte enthält die alten Schreibweisen, übernommen aus dem letzten Rechtschreibduden vor der Neuregelung (das ist der sog. Vereinigungsduden von 1991). Die zweite Spalte vereinigt Neuschreibungen, die sich in den beiden auflagenstärksten Rechtschreibwörterbüchern von 1996 finden, das sind der Duden und der Bertelsmann. Die dritte Spalte zeigt, was daraus in der Neuauflage des Duden im Jahr 2000 geworden ist. Man erkennt eine Rückbautendenz. Schreibungen wie ‚abscheuerregend‘ oder ‚aufsehenerregend‘ sollen wieder möglich sein, 1996 galten nur ‚Abscheu erregend‘ und ‚Aufsehen erregend‘. Die vierte Spalte enthält für jeden Eintrag das, was die Akademie als Schreibweise empfiehlt.
Insgesamt beruht die Liste auf einer systematischen Durchforstung und Vergleichung von vier Rechtschreibwörterbüchern mit je etwa 115.000 Einträgen. Eine derartige Übersicht gibt es erstaunlicherweise bisher nicht. Ihr Vorhandensein wird hoffentlich dazu führen, daß einiger Streit an falschen Fronten künftig vermeidbar ist. Das Ergebnis der Riesenarbeit ist in mehrerer Beziehung von Interesse für die Bewertung der und den weiteren Umgang mit der Neuregelung.
So ist das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Zulässigkeit eines Eingriffs in die gewachsene Rechtschreibung (Juli 1998) von einer Änderungsrate ausgegangen, die bei 0.5 Prozent des Wortschatzes liegt. Unsere Auswertung der Rechtschreibwörterbücher ergibt dagegen eine Rate von über zwei Prozent, dazu kommen knapp ein Prozent durch Beseitigung des ß nach Kurzvokalbuchstabe (‚Fluss‘ statt ‚Fluß‘) sowie etwa sechzehn Prozent durch Neuerungen bei der Silbentrennung. Insgesamt sind damit fast zwanzig Prozent des Wortschatzes betroffen.
Ein weiteres allgemeines Ergebnis ist, daß die Möglichkeiten der alten Schreibung teilweise falsch eingeschätzt wurden. So findet sich im Duden von 1991 das Wort ‚holzverarbeitend‘, in der Neuregelung dagegen die Schreibung ‚Holz verarbeitend‘. Diese Schreibweise war nach alter Orthographie natürlich ebenfalls möglich. Sie stand aber nicht im Wörterbuch, weil es sich dabei nicht um ein Wort, sondern um eine syntaktische Fügung aus Partizip und seinem direkten Objekt (‚verarbeitend wen oder was?‘) handelt. Die Reform rückt damit in ein neues Licht. Sie ersetzt nicht eine Schreibung durch eine andere, sondern sie schließt von zwei früher möglichen eine aus. Im Ergebnis ist sie damit nicht, wie häufig behauptet wird, liberaler, sondern sie ist rigider als die alte Regelung.
Die Akademie hat wo immer möglich versucht, die Vielfalt der früheren Schreibweisen in der Wörterliste erkennbar zu machen. Denn hier liegt einer der Gründe dafür, daß gerade versierte Schreiber die Neuregelung intuitiv ablehnen. Dem Wörterverzeichnis wurde deshalb eine kurze Erläuterung beigegeben, die zeigen soll, wie Wörterbucheinträge zu lesen und zu verstehen sind. Auf die Bedeutung dieses Punktes kann gar nicht deutlich genug hingewiesen werden.
Der Kompromißvorschlag der Akademie ist inhaltlich substantiell, insofern er wesentliche Teile der Neuregelung akzeptiert und wesentliche Teile zurückweist. Akzeptiert wird eine Reihe von Einzelveränderungen wie die Schreibung ‚rau‘ statt ‚rauh‘ analog zu ‚lau‘ und ‚blau‘ oder die Schreibung ‚geschrien‘ satt ‚geschrieen‘ analog zu ‚die Knie‘ oder ‚die Seen‘. Sind größere Bereiche betroffen, so folgt die Akademie der Neuregelung nur dann, wenn diese strukturell eindeutig festliegen und damit von begrenzter Reichweite sind.
Dazu gehört an erster Stelle die Ersetzung des ß durch ss nach Kurzvokalbuchstabe. Die alte Regelung war systematisch, eine Änderung nicht erforderlich. Die Neuregelung ist aber ebenfalls systematisch und sie ist das Aushängeschild des ganzen Unternehmens, häufig auch seine einzige praktische Konsequenz. Sie hat gewisse Vorteile und birgt gewisse Risiken, letzteres vor allem, weil sie von Lernern übergeneralisiert wird zu Schweizer Schreibungen wie ‚Strasse‘ oder ‚aussen‘. Wir akzeptieren sie dennoch auch aus sachlichen Gründen. Wir meinen, daß man mit ihr viel eher leben kann als mit den Eingriffen in die Getrenntschreibung oder die Großschreibung von Substantiven.
Akzeptiert werden beispielsweise auch Schreibweisen wie ‚potenziell‘ neben ‚potentiell‘, wenn es für beide eine morphologische Basis gibt, hier etwa ‚Potenz‘ neben ‚potent‘. An solchen Stellen ist die Neuregelung tatsächlich liberal und aus Sicht einer synchronen strukturellen Analyse auch vernünftig.
Wie zu erwarten, werden von der Akademie vor allem die mechanischen Durchregelungen bei der Getrenntschreibung sowie bei der Großschreibung abgelehnt. Es geht nicht an, etwa Wörter der Typen ‚kennenlernen‘, ‚festhalten‘, ‚ratsuchend‘ oder ‚kopfstehen‘ abzuschaffen und durch Konstruktionen wie ‚kennen lernen‘, ‚Kopf stehen‘ usw. zu ersetzen. Und es geht auch nicht an, in ‚das Einzige‘ Großschreibung zu erzwingen und damit amtlicherseits von einem Substantiv zu sprechen, aber für ‚das wenige‘ amtlicherseits ein Nichtsubstantiv zu verordnen.
Was dem Deutschen auf diese und ähnliche Weise an Ausdrucksmöglichkeiten verlorengeht, ist oft gezeigt und beklagt worden. Der Akademie liegt vor allem daran, solche Möglichkeiten zu bewahren. Sie läßt scheinbare Alternativschreibungen zur Differenzierung jeder Art zu. Das ist etwas anderes, als dem Wildwuchs von Variantenschreibungen das Wort zu reden. Die Wörterliste mag an der einen oder anderen Stelle auf den ersten Blick einen derartigen Eindruck erwecken. Bei näherem Hinsehen erweisen sich die vorgeschlagenen Schreibungen aber als strukturell oder was ihre Bedeutung, ihre Idiomatisierung, ihre Terminologisierung oder anderweitige funktionale Differenzierung betrifft gut begründet.
Häufig wird die Frage gestellt, warum die Akademie Mühe und Risiko eines Kompromißvorschlages auf sich nimmt, wo doch ‚Ruhe an der Rechtschreibfront‘ eingkehrt sei. Aber die Ruhe ist trügerisch. Und sie ist in erster Linie eine Ruhe in den Medien, nicht dagegen eine, die das Schreiben und Lesen selbst erreicht hätte. Der Orthographieunterricht in den Schulen hat unter der Neuregelung nach wie vor zu leiden. Viel zu viele Lehrer kennen sich schlecht aus, was allerdings immer noch besser ist, als wenn sie versuchen würden, das Neue buchstabengerecht umzusetzen. Die Zahl der Rechtschreibfehler hat im Durchschnitt eher zu- als abgenommen. Die Mehrheit der Schreibenden wie die überwältigende Mehrheit der schönen und der wissenschaftlichen Literatur verwenden nach wie vor die alte Orthographie. Mehrere unserer wichtigsten Printmedien haben sich Hausorthographien zugelegt und gerade die schreibende Zunft der Journalisten, die die Neuregelung verwenden soll oder will, ist nicht gegen Übergeneralisierungen im Vollzug des vermeintlich Notwendigen gefeit.
Unter dem Zeitungsbild mit einem Kahn im Haveleis steht, der Kahn sei ‚fest gefroren‘, im Text selbst ist er einmal ‚fest gefroren‘ und zweimal ‚festgefroren‘. Es vergeht keine Zeitungslektüre, bei der man nicht auf Dinge stößt wie in ‚Von Manchen wurden tief gründige Reflektionen angestellt‘ (wenn auch nicht in solcher Kumulation). Die Nachricht an die Sprachgemeinschaft mit ihren Millionen von kompetenten Schreibern muß sein, daß man wieder zusammenschreiben darf, wenn man das Gefühl hat, man schreibe ein Wort. Daß man kleinschreiben darf, wenn man das Gefühl hat, man schreibe ein Wort, das nicht ein Substantiv ist. Und daß man alles traditionelle Wissen über die Schreibung von Fremdwörtern auch anwenden darf. Es genügt längst nicht mehr, stillschweigend einige kleine Änderungen der Neuregelung vorzunehmen. Die allgemeinen Ansichten darüber, was seit 1996 als korrekte Schreibweise gefordert ist, sind teilweise falsch und teilweise schon sehr weitgehend verfestigt. Man wird einen allseits sichtbaren Schritt tun müssen, um an sie heranzukommen. Aber nur so dürfte es möglich sein, die gegenwärtig obwaltende Spaltung unserer Orthographie zu überwinden.
Die ‚Kommission für deutsche Rechtschreibung‘, das offizielle Organ mit der Aufgabe, die Umsetzung der Neuregelung zu begleiten und Vorschläge zu ihrer Veränderung auszuarbeiten, arbeitet seit 1997 hinter verschlossenen Türen. Aber natürlich weiß jeder, der es wissen möchte, was dort verhandelt wird. Die Kommission bereitet derzeit ihren vierten Bericht vor. Dieser Bericht wird vieles von dem enthalten, was auch im Kompromißvorschlag der Akademie steht. Wir haben bis zum Ende der Übergangsfrist im Jahre 2005 noch ungefähr zwei Jahre Zeit. Genug, um zu einem in Ruhe geplanten teilweisen Rückbau zu kommen. Die Akademie kann sich früher und ungeschützter an die Öffentlichkeit wenden als die Kommission und tut es jetzt. Aber auch Beschlüsse zum Rückbau brauchen ihre Zeit. Wird nicht bald etwas unternommen, vergeht der Stichtag und mit ihm die natürliche Gelegenheit, zur Einheitsschreibung zurückzukehren.
Selbstverständlich wird der Akademie auch vorgehalten, sie verlasse mit dem Kompromißvorschlag ihre frühere und ‚richtigere‘ Linie, die Rückkehr zur alten Orthographie zu fordern. Viele waren gegen die Neuregelung, bevor sie beschlossene Sache war. Die Bad Homburger Studiengruppe ‚Geschriebene Sprache‘, der ich selbst angehört habe, hat seit Mitte der achtziger Jahre mit allen ihr verfügbaren Mitteln dafür gearbeitet, die Neuregelung zu verhindern. Als nach deren Absegnung im Jahr 1996 Friedrich Denk mit seinem fulminanten Auftritt auf der Frankfurter Buchmesse den Stein der öffentlichen Kritik ins Rollen brachte, hatten wir zehn Jahre Erfahrung hinter uns. Zehn Jahre, in denen klar geworden war, daß wir es nicht mit Sprachwissenschaft, Didaktik, Vereinfachung oder sonstwelchen Verbesserungen zu tun hatten, sondern mit Politik. Zuerst mit angeblichen Problemen zwischen den beiden deutschen Staaten, dann mit Identitätsproblemen einzelner Kultusminister und der KMK als ganzer. Wir haben Denk unterstützt, waren aber skeptisch, was seine Erfolgsaussichten betraf.
Von heute aus gesehen ist die Forderung nach dem status quo ante nicht nur politisch unrealistisch, sondern auch der Sache nach. Die reine Lehre stellt nicht in Rechnung, was seit 1996 im deutschen Sprachraum geschehen ist. Mir wäre eine Reform von der alten Orthographie aus lieber als eine auf Grundlage der neuen. Was wir propagieren, ist die zweitbeste Lösung. Die zweitbeste ist jedoch alles andere als ein Akt des Opportunismus und sie ist um vieles besser als das, was wir im Augenblick haben.
FAZ vom 28.03.2003
http://www.deutscheakademie.de/ _________________ "Es ist nie zu spät, Natur-, Kultur- und Sprachzerstörung, Entdemokratisierung, Korruption und Steuerverschwendung zu stoppen!" (VRS)
Zuletzt bearbeitet von Manfred Riebe am Montag, 24. Nov. 2003 22:56, insgesamt 1mal bearbeitet |
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Manfred Riebe
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: Montag, 10. Nov. 2003 18:59 Titel: Boykott wird fortgesetzt |
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<i>Der Administrator</i>
Zuletzt bearbeitet von Manfred Riebe am Montag, 10. Nov. 2003 23:43, insgesamt 1mal bearbeitet |
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Manfred Riebe
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: Montag, 10. Nov. 2003 19:22 Titel: Appelle zu zivilem Ungehorsam |
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Appelle zu zivilem Ungehorsam
Theodor Ickler
09.03.2003 17.16
Zwei Erklärungen der DASD
Erklärungen der Deutschen Akademie zur Rechtschreibreform
Erklärung (1)
Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung würde es begrüßen, wenn Zwischenstaatliche Kommission und Duden bereit wären, mit dem Rückbau der Rechtschreibreform zu beginnen. Es ist höchste Zeit!
Die in zahlreichen Publikationen zum Ausdruck kommende Unsinnigkeit, Widersprüchlichkeit und Unverständlichkeit vieler der neuen Regeln ist für den sensiblen Leser schwer erträglich. Hausorthographien verringern zwar manchen Schaden, tragen aber in ihrer Vielfalt zur Verwirrung bei.
Wir halten es für ungut, daß immer mehr Verlage die neue Schreibung mit immer neuen Varianten übernehmen. Wir vermögen nicht einzusehen, warum den zuständigen Ministern so viel daran liegt, sich weiterhin dem Gespött der Sprachgemeinschaft auszusetzen.
Wir empfehlen dringend, die nach Meinung der Kommission „unumgänglich notwendige“ Reform schleunigst in Angriff zu nehmen. Da dies jedoch aus politischen Gründen nur insgeheim, und indem man sich von Kompromiß zu Kompromiß forthangelt, möglich wäre, scheint der bessere Weg der der Selbsthilfe, anders gesagt, der Zivilcourage der Zivilgesellschaft angesichts staatlicher Hilflosigkeit zu sein. Warum kehrt nicht mindestens eine große Tageszeitung zur alten, rechten Schreibung zurück? Das wäre ein Signal. Damit wäre ein neuer Ausgangspunkt gegeben.
Sich in neuer Schreibung über die neue Schreibung aufzuregen, gerät leicht ins Ridiküle.
Wir bitten herzlich, diesen Text, gegebenenfalls, nur in der Schreibung, in der er abgefaßt ist, abzudrucken.
Darmstadt, den 26. Juli 2000
Erklärung (2)
Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung appelliert an alle Zeitungen, Verlage, Betriebe und staatliche Stellen, der Rechtschreibreform endlich, und ohne lange zu fackeln, das wohlverdiente Ende zu bereiten.
Diese Reform war von Anfang an eine Mißgeburt. Man braucht das nicht eigens zu begründen. Das einhellige Votum der führenden Fachleute, wonach sie auf den Schrotthaufen gehöre, genügt. Doch kann man auch die von den Ministern eingesetzte Kommission zitieren, für die wesentliche Änderungen der Reform „unumgänglich notwendig“ sind.
Die einzige veröffentlichte Untersuchung über die Auswirkungen auf die Schule kommt zu einem negativen Ergebnis. Nach all den Manipulationen, die man im Laufe der Zeit erlebt hat, kann man gegenüber anderslautenden Bekundungen aus den Ministerien nur mißtrauisch sein: zumindest haben sie der Öffentlichkeit die Belege dafür vorenthalten. Und jedenfalls können die Erleichterungen beim Erlernen der Schrift bestenfalls minimal sein.
Ob der Staat wirklich – im Gegensatz zur gesamten deutschen Tradition mit Ausnahme des NS-Ministers Rust – die Kompetenz beanspruchen darf, tiefer in die Rechtschreibung einzugreifen, mag zu fragen sein. Aber daß es ein Unding war, gegen den in vielen Umfragen eindeutig zum Ausdruck kommenden Willen der weit überwiegenden Mehrheit der Sprachteilnehmer eine Änderung der Schrift per Octroi durchzusetzen, ist nicht zu bezweifeln.
Angesichts der schlechten Qualität des neuen Regelwerks war eine Vielfalt verschiedener Hausorthographien abzusehen, ein langfristiges Nebeneinander unterschiedlicher Schreibungen, also eine Menge Verwirrung, gerade auch für die Schüler. Denn Schreiben lernt man ja weitgehend in der Praxis des Lesens.
Wenn jetzt von seiten der Ministerien behauptet wird, bei Rücknahme der Reform entstünde Verwirrung an den Schulen, so kann es sich nur um ein kurzfristiges Durcheinander handeln. Das aber ist allemal einem langfristigen vorzuziehen.
Wenn bei Rücknahme der Reform Schüler ihre eigenen Schulbücher zunächst korrigieren müssen, so ist erstens Freude damit verbunden, zweitens lernen sie dabei das Schreiben besser, drittens aber fördert es die demokratische Kompetenz, wenn ihnen früh die Erkenntnis beigebracht wird, daß der Staat, wo er seine Kompetenz überschreitet (indem er meint, dem Volk diktieren zu können, daß es etwa hunderte von Wörtern nicht gibt oder das Schneuzen von Schnauze kommt), scheitern muß. Man kann auch nicht zu früh darauf gebracht werden, daß nicht Reformen als solche gut sind, sehr wohl aber solche, die Verbesserungen bringen – und sei es dadurch, daß ein vernünftiger Zustand wiederhergestellt wird.
Wenn schließlich Minister veranlassen, daß Kindern eine Schreibweise beigebracht wird, von der abzusehen ist, daß sie spätestens 2005 stark verändert wird, so ist das, gelinde gesagt, auffällig.
Da sich die Minister aber einmal verrannt haben, muß ihnen die – von Bundeskanzler Schröder so gern beschworene – Zivilgesellschaft zu Hilfe kommen. Indem die, die schon umgestellt haben, die alte, bewährte Schreibung wieder einführen, hätten die Minister, wenn sie klug sind (womit man doch rechnen sollte) die Chance, unter dem Motto „Der Klügere gibt nach“ die Reform aufzugeben. Damit wäre deren Agonie abgekürzt.
Es gehört zu den Eigentümlichkeiten der Debatte um die Reform, daß man weithin gar nicht für möglich gehalten hat, was man auch nicht für möglich halten sollte, daß nämlich Kultusminister derart auf Abwege geraten können. Doch war und ist es der Fall. Solch ein Mißstand gehört aufgehoben; so rasch wie möglich. Daher unser dringender Aufruf, die Einheit der deutschen Schreibung zu retten.
Darmstadt, 3. August 2000
Stand: 17. Dezember 2002
Fragen oder Stellungnahmen zur Arbeit der Deutschen Akademie richten Sie bitte an das Sekretariat. Adresse unter Organisatorisches, e-mail:
sekretariat@deutscheakademie.de - zum Aufbau der Homepage bitte an Michael Assmann, email: webmaster@deutscheakademie.de
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Th. Ickler
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