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Christian Melsa
Registriert seit: 25.09.2003 Beiträge: 51 Wohnort: Hamburg
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: Samstag, 27. Sep. 2003 17:35 Titel: Die zehn Forderungen der Deutschen Sprachwelt |
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Zum Tag der deutschen Sprache (ein vom <a href="http://vds-ev.de/verein/aktive/projektbeschreibung_dey.php">VDS eingeführter Gedenktag</a>) hat die <a href="http://www.deutsche-sprachwelt.de">Deutsche Sprachwelt</a> (DSW) eine Liste mit <a href="http://www.deutsche-sprachwelt.de/forderungen.shtml">zehn sprachpolitischen Forderungen</a> veröffentlicht, hier die Kurzfassung:
| Zitat: | 1. Deutsch muß im öffentlichen Raum die vorrangige Sprache sein.
2. Die Unterrichtssprache in Schulen und Hochschulen ist Deutsch. Deutsch muß nationale Wissenschaftssprache sein.
3. Die deutsche Rechtschreibung muß einheitlich geregelt sein.
4. Deutsch muß in der Europäischen Union Arbeits- und Veröffentlichungssprache sein.
5. Die deutschen Mundarten und die deutsche Schrift sind besonders zu schützen.
6. Die Beherrschung der deutschen Sprache ist Voraussetzung für Einbürgerung und langfristigen Aufenthalt.
7. Die Familie muß gefördert werden, um die deutsche Sprache zu stärken.
8. Die deutsche Sprache muß auch im Ausland gefördert werden.
9. Die deutsche Sprache ist vor politischem Mißbrauch zu schützen.
10. Ein neuer Deutscher Sprachrat betreut die Erfüllung dieser Forderungen. |
Einige Details, die sich manchmal erst in der <a href="http://www.deutsche-sprachwelt.de/forderungen.shtml#Langfassung">Langfassung</a> erschließen, sind allerdings ziemlich umstritten. Ablehnende Reaktionen beruhen offensichtlich auch oft auf dem Eindruck eines rechtsnationalistischen Umfelds, aus dem die Deutsche Sprachwelt teilweise zu stammen scheint. Gerade auch in diesem Zusammenhang halte ich es für wichtig, die Forderungen zu diskutieren. Das politische Immunsystem muß durch die Auseinandersetzung mit fragwürdigen politischen Forderungen abgehärtet werden. Man muß lernen, Fehler an ihrer Fehlerhaftigkeit zu erkennen, nicht an ihrer möglicherweise irreführenden Bekleidung.
In den hier behandelten zehn Forderungen war eine zweifelhafte Ausrichtung am besten an der ursprünglichen Begründung von Punkt 7 zu erkennen.
Theodor Ickler schrieb im <a href="http://rechtschreibreform.de/php/einzelner_Datensatz.php?BeitragNr=19264">Forum von rechtschreibreform.com</a> dazu:
| Zitat: | Seit die gedruckte Fassung der Deutschen Sprachwelt vorliegt, kann man Art und Umfang der Änderung jener 7. Forderung nachprüfen. Dort heiß es nämlich:
Kurzfassung:
7. Die Familie muß gefördert und die Geburtenrate erhöht werden, um die deutsche Sprache zu stärken.
Langfassung:
7. Die Familie muß gefördert und die Geburtenrate erhöht werden, um die Strahlkraft der deutschen Sprache und die Integrationsfähigkeit zu stärken. Das wirkt sich besonders im internationalen Vergleich und an den Schulen aus, an denen am wirkungsvollsten integriert werden kann.
Im Internet wurde daraus, nachdem diese Formulierung Befremden erregt hatte, folgendes:
Kurzfassung:
7. Die Familie muß gefördert werden, um die deutsche Sprache zu stärken.
Langfassung:
7. Die Familie muß gefördert werden, damit Eltern mehr Zeit für die (Sprach-)Erziehung ihrer Kinder haben. Kinder sollen in einem gesicherten sozialen Umfeld aufwachsen. So wird nachgewiesenermaßen (Pisa) die Lesefähigkeit gestärkt.
Es ist also die bevölkerungspolitische Forderung gestrichen und eine völlig andere Begründung für die Stärkung der Familie nachgeschoben worden. |
Im Gegensatz zu Walter Lachenmann, der ebenfalls im rechtschreibreform.com-Forum rechtsradikale Positionen als <a href="http://rechtschreibreform.de/php/einzelner_Datensatz.php?BeitragNr=19308">"indiskutables Gedankengut"</a> bezeichnet hat, bin ich der Meinung, daß sie sehr wohl diskutiert gehören, gerade wenn man damit nicht einverstanden ist, damit die Ablehnung auch mit argumentativ schlüssigen Begründungen unterfüttert werden kann. Wenn man nichts Stichhaltiges einwendet, sieht es leicht so aus, als habe man nichts Stichhaltiges einzuwenden.
Die hier angesprochenen DSW-Forderungen sind aber gewiß nicht als ausschließlich braun durchtränkt zu bezeichnen. Theodor Ickler äußerte sich im <a href="http://rechtschreibreform.de/php/einzelner_Datensatz.php?BeitragNr=19099">rechtschreibreform.com-Forum</a>:
| Zitat: | | Die "Sprachwelt" versteht es wie die geistesverwandte "Junge Freiheit", hart am Rande des offenkundigen Rechtsradikalismus entlangzuhangeln. |
Das empfinde ich genauso, aber die Tatsache, daß sie am Rand entlanghangelt, bedeutet ja andererseits auch, daß die vertretenen Positionen zu einem guten Stück noch nicht rechtsradikal sind, sondern nur hin und wieder mehr oder weniger unauffällig ein Stück hineinragen - das wäre eine denkbare Methode, allmählich Abwehrreflexe gegen rechtes Gedankengut zu überwinden, die Berührungsängste der Leser abzubauen und sie für sich zu gewinnen. Vielleicht geschieht es auch ganz zufällig und unbewußt. Wie dem auch sein, wenn alle Angst vor der Berührung mit rechtsradikalen Positionen (ob offen deklariert oder nicht) haben, läuft das aber auch darauf hinaus, daß keiner sie anpacken mag, um vernünftig mit ihnen aufzuräumen.
Es werden bei den zehn DSW-Forderungen Themen angesprochen, für die im Sinne einer aktiven Sprachpflege ein Standpunkt gefunden werden muß. Es geht übrigens auch um die Frage: Wer soll für die Erfüllung der Forderungen zuständig sein, an wen sind sie gerichtet? Da in der Langfassung unter Punkt 10 von einem Sprachgesetzbuch die Rede ist, soll es sich wohl um eine Staatsangelegenheit handeln. Ist die dirigistische Methode nicht durch die Rechtschreibreform schon in Verruf geraten? Oder wäre eine liberale, nichtstaatliche Sprachpflege besser? Als Nationalist wird man natürlich meinen, Staat und Nation gehörten zusammen. Wie weit soll oder darf diese Zusammengehörigkeit gehen, hier hinsichtlich des nationalen Identitätsmerkmals der Landessprache? |
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Christian Melsa
Registriert seit: 25.09.2003 Beiträge: 51 Wohnort: Hamburg
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: Sonntag, 28. Sep. 2003 00:30 Titel: Sprache, Nation, Menschenwürde |
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Nachdem ich ein paar wütende E-Mails bekommen habe, sollte ich vielleicht noch einmal ausdrücklich erklären, daß ich erstens hier nur für mich persönlich spreche und nicht für den VRS, und daß ich zweitens aus den zehn Forderungen der DSW allein noch keine eindeutig rechtsnationale Ausrichtung ablese (einzig die von Ickler erwähnte "Strahlkraft"-Überlegung wirkt etwas suspekt). Auf der anderen Seite würde jeder Rechtsnationalist die Forderungen sicher bejahen. Ein entsprechender Einfluß ist also auch nicht auszuschließen. Es wäre gut, wenn jemand von der DSW eine klare Stellungnahme dazu abgeben würde, um Legendenbildung entgegenzuwirken. Entweder es wird eine klare Distanzierung zu entsprechenden Positionen zum Ausdruck gebracht, oder eben nicht. Es wird wohl schwerlich jeglicher Einfluß aus dieser Richtung ausgeschlossen werden können. Die DSW könnte ihrem Anspruch der "Sprachzeitung für alle" am besten gerecht werden, wenn sie sich allen politischen Strömungen als Forum zur Verfügung stellt und dabei nicht davor zurückschreckt, diese politischen Strömungen dann auch beim Namen zu nennen.
Da Sprache und Nation thematisch zusammenhängen, kommt man bei sprachpolitischen Überlegungen um die Auseinandersetzung mit Nationalismus nicht herum. Tabus und eingeübte Abwehrreflexe sind bei der Klärung wichtiger diesbezüglicher Fragen nicht sehr hilfreich. Es muß auch nicht alles automatisch falsch sein, was aus rechtsnationaler Ecke kommt. Solange keine Forderungen vorgebracht werden, die die Menschenwürde verletzen (und dafür ist beileibe nicht nur der rechte Rand verdächtig), müßte man über alles diskutieren können, offen für Zustimmung oder Ablehnung, die sich aus dem offenen Austausch von Argumenten und Gegenargumenten ergeben mag. Dafür gibt es die Meinungs- und Redefreiheit. Selbst auf Forderungen, die die Menschenwürde verletzen, kann man mit dem Hinweis darauf antworten, daß man sie ablehne, weil sie eben die Menschenwürde verletzten, und zwar aus den und den Gründen.
Wobei man sich fragen kann, was für sprachpolitische Forderungen wohl überhaupt die Menschenwürde verletzen könnten. Sicher braucht der Mensch als soziales Wesen eine Sprache, die er in seinem Umfeld mit den anderen Menschen sprechen kann bzw. ein Umfeld, das eine Sprache spricht, die er versteht und mit der es ihn verstehen kann. Andernfalls sind Schwierigkeiten im Zusammenleben offensichtlich vorprogrammiert. Daraus kann Ärger und Verzweiflung entstehen und es ist fraglos nach Wegen der Vermeidung bzw. Lösung zu suchen, aber ob damit schon die Menschenwürde verletzt wäre? Ärger und Verzweiflung können schließlich auch ganz andere Dinge auslösen, die man der Verletzung der Menschenwürde wohl kaum zeihen würde (wie z. B. Microsoft Windows). Solange bei der sprachpolitischen Diskussion keiner meint, man müsse bestimmten Menschen wegen mangelhafter Beherrschung oder Pflege der deutschen Sprache geradezu einzelne Menschenrechte aberkennen, dürfte die Diskussion im Rahmen des Tolerierbaren bleiben.
Im Grunde wäre es freudig zu begrüßen, wenn im Rechtsnationalismus heutzutage die Nation eher als eine Sprachgemeinschaft definiert wird denn als eine rassische ("völkische"). Daß ein Staat eine gemeinsame Sprache als kleinsten gemeinsamen Nenner seiner Bürger braucht, wäre jedenfalls einigermaßen einsichtig, obwohl es auch das interessante Gegenbeispiel der Schweiz gibt, deren Staatswesen ziemlich hochentwickelt ist. Die Schweiz ist natürlich nicht gerade geeignet, die zehn DSW-Forderungen zu untermauern. Anscheinend kann ein Staat auch mit mehreren Landessprachen funktionieren. Und dann haben die auch noch schon lange eine andere Rechtschreibung wegen des fehlenden ß! Es wäre wirklich sehr interessant, mal einen Schweizer die Forderungen kommentieren zu lassen. |
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Elke Philburn
Registriert seit: 03.12.2002 Beiträge: 246 Wohnort: Manchester UK
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: Montag, 29. Sep. 2003 20:11 Titel: |
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Wie man an den Reaktionen bezüglich der zehn Forderungen auf rechtschreibreform.com erkennen kann, hat die Deutsche Sprachwelt ein Imageproblem, weil sie ihre Seriosität durch ungeschickte, rechtslastige Aussagen immer wieder in Frage stellt. Da von seiten der Urheber keine Erklärungen erfolgen, sondern die inkriminierten Äußerungen lediglich ausgebessert werden, entsteht der Eindruck, daß die Deutsche Sprachwelt nicht mit offenen Karten spielt und sich nicht zu ihren wahren politischen Absichten bekennt.
Was den zehn Forderungen meiner Ansicht nach die Glaubwürdigkeit nimmt, ist ihre Parolenhaftigkeit, die sich nicht an Durchführbarkeit und Angemessenheit der Mittel orientiert, sondern eher den Eindruck der Stimmungsmache erweckt. Eine Forderung wie 'Deutsch muß im öffentlichen Raum die vorrangige Sprache sein' entpuppt sich als rhetorischer Trick, der dem Leser suggeriert, daß dem nicht so sei oder daß der Vorrang der deutschen Sprache gegenüber anderen Sprachen in Deutschland auf dem Spiel stehe.
Manche Forderungen erwecken den Anschein, als diene der Schutz der deutschen Sprache als Alibi für viel weitergreifende politische Ziele. Dies betrifft vor allem Forderung 7, die Förderung der Familie. Wie soll so eine Förderung überhaupt aussehen? Eine erhöhte Gebärfreudigkeit der in Deutschland lebenden Frauen, die letztlich mit einer höheren Zahl von deutschen Muttersprachlern einherginge, geht doch an den Problemen, mit denen Familien zu kämpfen haben, völlig vorbei. Andererseits führt eine familienfreundlichere Politik nicht automatisch zur Verbesserung der Sprachfähigkeit in der Bevölkerung. Daß es an den Bemühungen der Eltern liege, wie gut ihre Kinder die Muttersprache erwerben, halte ich für eine sehr gewagte These, wenn man bedenkt, daß Eltern noch nie so viel Zeit für ihre Kinder hatten wie heute - andererseits aber die Klagen über mangelnde sprachliche Fähigkeiten noch nie so groß waren. Wozu also mischt die Deutsche Sprachwelt die Familienpolitik in die Sprachpolitik mit hinein? Geht es letztlich doch nur um die Verfolgung stockkonservativer politischer Ziele wie die Rückkehr zur klassischen Familie mit Vater, Mutter und mindestens drei Kindern?
Ausgesprochen bedenklich finde ich die Forderung nach einem Sprachgesetzbuch, das, wenn man die zehn Forderungen als Grundlage betrachtet, letztlich einer Gängelung der deutschen Sprachgemeinschaft gleichkäme. Wie will soll so ein Sprachgesetz überhaupt funktionieren? Bringt es etwas, wenn Musiklehrer oder Radiosender nur unter Anordnung des Gesetzes und womöglich unter Androhung von Strafe mehr deutschsprachige Musik als bisher einsetzen?
'Verschleierungen, Verharmlosungen und Beschönigungen peinlicher Sachverhalte', wie sie in Forderung 9 genannt werden, sind dagegen kein Problem der Sprache, sondern der mangelnden Aufrichtigkeit des Urhebers.
Insgesamt sehe ich für die sprachpolitischen Forderungen der Deutschen Sprachwelt wenig Aussicht auf weitgehende Akzeptanz. Die diskussionswürdigen Vorschläge gehen zwischen den zahlreichen weniger diskussionswürdigen unter. Vermutlich werden die der DSW politisch nahestehenden Leser freudig zustimmen, während die skeptischen wieder ein Stück weiter von ihr abrücken. Daß man seinem Ziel auf diese Weise näherkommt, ist unwahrscheinlich. Im ungünstigeren Fall schadet man ihm. |
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Christian Melsa
Registriert seit: 25.09.2003 Beiträge: 51 Wohnort: Hamburg
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: Dienstag, 30. Sep. 2003 00:28 Titel: Das Deutsche eichen |
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Daß viele der Forderungen Dinge ausprechen, die eigentlich gar nicht gefordert werden müßten, weil sie schon vorliegen, scheint vielen Leuten komisch vorzukommen. Die Forderungen können aber auch als grundsätzliche Richtlinien betrachtet werden, die nicht unbedingt nur auf die Gegenwart bezogen sein müssen.
Der Nationalstaat Deutschland ergibt sich in erster Linie aus der gemeinsamen Sprache des Staatsvolks. Das ist eine ziemlich rationale Basis. Für eine durch räumliche Nähe und gemeinsames Staatswesen geeinte Gesellschaft ist eine gemeinsame Sprache zumindest sehr nützlich. Gemeinsame Wörtersprache erleichtert offensichtlich die Verständigung und ist damit gut für das Gemeinwohl. Sie basiert auf einem Standard der Bedeutung von Symbolmustern. Wenn der Staat im Sinne des Gemeinwohls für das Gelingen gesellschaftlichen Miteinanders Gesetze erläßt und durch diese samt dem juristischen Apparat sozusagen ein Standard für Gerechtigkeit geschaffen wird, dann müßte prinzipiell auch die Sprache als Standard ein Gegenstand der staatlichen Regelung sein dürfen. Die Misere der Rechtschreibreform verleiht dieser Vorstellung allerdings wenig Attraktivität. Andererseits basiert die bisher übliche ("alte") Rechtschreibung ebenfalls auf einem Standard, der von staatlichen Stellen gesetzt wurde (Zweite Orthographische Konferenz, 1901). Staatliche Maßnahmen müssen also nicht zwangsläufig mißlingen. Freilich gab es auch nach der damals durch die Vereinheitlichung entstandenen Änderung Proteste von Leuten, die sich nicht umstellen wollten, aber anders als vor der gegenwärtigen Reform bestand seinerzeit wirklich ein begründeter Anlaß für Veränderung, denn bis dahin gab es noch gar keine einheitliche deutsche Orthographie. Seitdem jedoch gab es amtliche Regeln, die sich daraufhin doch ganz gut bewährt haben. Der Staat hatte sich also eindeutig in Sprachangelegenheiten eingemischt. Der Bereich Rechtschreibung wurde nicht weiter sich selbst überlassen, sondern es war von staatlicher Seite ein Standard gesetzt worden (im Unterschied zu heute aber nur auf Schreibweisen beruhend, die bereits im Umlauf waren, also mittels einer Auswahl statt einer ungewöhnlichen Neusetzung). Die demokratische Legitimation war offensichtlich zu Zeiten des Kaiserreichs noch weit weniger gegeben als heute.
Staatliche Sprachregelungsmaßnahmen müssen also nicht zwangsläufig mißlingen. Allerdings war zu Zeiten des Kaiserreichs in den schreibenden Kreisen auch noch keine so starke Nachlässigkeit und Bereitschaft zur Rebellion oder Individualität üblich, wie das heute der Fall und einem besseren Erfolg der Rechtschreibreform im Wege ist. Es gibt keine so ungebroche Autoritätsfolgschaft mehr. Und hier komme ich nun zur Frage, wie man solche Forderungen - oder Richtlinien - wie die der DSW oder des VDS eigentlich sanktionieren soll. Was macht man denn, wenn die Leute nicht mitspielen wollen? Kann man die Leute dann mit Rügen, Bußgeldern, Strafen dazu zwingen? Ich will hier erst einmal die erste Forderung aufgreifen:
| Zitat: | | 1. Deutsch muß im öffentlichen Raum die vorrangige Sprache sein. |
Das ist ja der Eckstein des ganzen Gebäudes, ohne den die anderen Punkte nicht funktionieren bzw. keinen Sinn ergeben würden. In der Langfassung wird Forderung 1 folgendermaßen näher erläutert:
| Zitat: | a. Jede öffentlich angebrachte Aufschrift, Anzeige oder Mitteilung, die der Unterrichtung der Öffentlichkeit dient, muß in deutscher Sprache abgefaßt sein.
b. Deutsch ist die Standardsprache des öffentlichen Dienstes und der Behörden. Sie darf keine fremdsprachigen Ausdrücke oder Begriffe enthalten, wenn ein deutscher Ausdruck oder Begriff mit dem gleichen Sinn vorhanden ist.
c. Dienstleister wie Bahn, Post und Kommunikationsanbieter sind dazu verpflichtet, ihre Kunden auf deutsch anzusprechen.
d. Jeder Teilnehmer an Veranstaltungen, Anhörungen oder Tagungen in Deutschland hat das Recht, sich in deutscher Sprache zu äußern.
e. Bei der Synchronisierung fremdsprachiger Filme dürfen keine schwerwiegenden Übersetzungsfehler vorkommen. Das gilt auch für sprachliche Wendungen.
f. Der Rundfunk muß die deutsche Sprache pflegen. Mindestens zwei Drittel der dort gesungenen Musik müssen auf deutsch vorgetragen werden.
g. Werbung und Beschreibung von Gütern, Erzeugnissen oder Dienstleistungen haben in deutscher Sprache zu erfolgen. Das gilt auch für Gebrauchsanweisungen, Bedienungsanleitungen, Gewährleistungsbedingungen, Rechnungen und Quittungen.
h. Landesweite öffentliche Aktionen sind unter deutschen Titeln zu veranstalten. |
Es wird also nicht nur gefordert, deutsch zum Mindestmaß zu machen, sondern auch, die sorgfältige Eichung und Einhaltung des Maßes zu überwachen (z. B. bei e.). Um all das durchzusetzen, reichten Amtsanweisungen nicht aus, denn es wäre ja der gesamte öffentliche Bereich betroffen, nicht nur die Ämter. Es könnte eine Prüfbehörde eingerichtet werden, die ähnlich der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien auf Anzeigen hin aktiv wird und aufgrund der Vorgaben des Sprachrats entscheidet. Damit der Sprachrat nicht in jedem Einzelfall entscheiden muß, müßte er seinerseits feinere Richtlinien und Präzedenzkataloge erarbeiten. Also im Grunde so etwas wie es bislang immer der Duden war, mit dem ja auch beim Scrabblespielen Streitfragen entschieden werden. Bemerkenswerterweise war der Zustand der deutschen Rechtschreibung vor der gegenwärtigen Reform aber auch ohne Aufsichtsbehörde (über die Schulen hinaus) ganz in Ordnung.
Erfahrungen wie das nicht überall vollkommen befriedigende Arbeitsergebnis der Dudenredaktion durch die Jahrzehnte hindurch und eine vor Filz strotzende Rechtschreibkommission zeigen, daß Überwacher wiederum der aufmerksamen Überwachung bedürfen. Unkontrollierte Autoritäten sind in dieser Welt nie zu empfehlen. DSW-Forderung 10 lautet in der Langfassung:
| Zitat: | | 10. Ein neuer Deutscher Sprachrat, zusammengesetzt aus unabhängigen Sachverständigen, ausgewiesenen Kennern und bewanderten Sprachanwendern, betreut die Erfüllung dieser Forderungen. Auch die Sprachvereine können Vertreter entsenden. Der Sprachrat spricht Empfehlungen aus und hilft dabei, das bereits bestehende Sprachenrecht in einem neuen Sprachgesetzbuch zusammenzufassen. Außerdem erarbeitet er Übersetzungslisten für neue Fachausdrücke und gibt ein deutsches Wörterbuch heraus. |
Heißt das, daß jeder, der möglicherweise eigennützigen Einfluß auf die Entwicklung nehmen möchte, nur einen Sprachverein zu gründen braucht, und schon hat er Anspruch auf einen Sitz im Sprachrat? Oder gibt es einen Türsteher, der entscheidet, wer reindarf? Bei der Rechtschreibreform hat sich zum Beispiel gezeigt, daß von den Reformern bzw. von den die Reform vorantreibenden Ministerialbeamten solche Vereine bevorzugt einbezogen wurden, die dem Vorhaben eher wohlwollend gegenüberstanden.
Wie dem auch sei, ein Sprachrat müßte wahrscheinlich ein Teil des Apparates sein, der die Einhaltung des angepeilten Sprachgesetzbuches beurteilt bzw. die grundlegenden Kriterien dafür liefert. Um die Einhaltung der in den Forderungen vorgesehenen Pflichten zu sichern, müßte dieses Gesetz entsprechende Druckmittel vorsehen.
Aber was sagt eigentlich das Grundgesetz zu alledem? Nun, an dieser Stelle könnte es schwierig werden. Zwar gibt es dort einen eigenen Artikel für die Festlegung der Nationalflagge, aber interessanterweise wird an keiner Stelle die National<i>sprache</i> festgelegt! Von daher ist es also gar nicht so selbstverständlich wie man vielleicht im ersten Augenblick meinen mag, daß in Deutschland auf alle Zeit deutsch gesprochen werden müsse. Es kommt aber noch dicker, Artikel 3 GG lautet:
| Zitat: | (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, <b>seiner Sprache</b>, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. |
(Hervorhebung von mir.)
Wie soll man unter Einhaltung von Absatz 3 auf irgendwen Druck ausüben können, der sich nicht der deutschen Sprache bedient? Ohne Grundgesetzänderung würde die Reise also unweigerlich früher oder später vorm Bundesverfassungsgericht enden. Das könnte möglicherweise zu der Auffassung kommen, daß hier nur die <i>Mutter</i>sprache (bzw. die privat bevorzugt verwendete) gemeint ist. Andernfalls käme notfalls eine Grundgesetzänderung in Betracht. Bisher ist dieser Artikel jedoch inhaltlich immer nur erweitert anstatt restriktiv begrenzt worden (aber das Beispiel Asylrecht zeigt, daß es auch in die andere Richtung gehen kann).
Man könnte hier nun die Frage stellen, wieso die Einbürgerung eigentlich jetzt schon von deutschen Sprachkenntnissen abhängig gemacht werden darf. Absatz 3 beginnt ja nicht mit "Kein deutscher Bürger ...", sondern mit "<i>Niemand</i> ..."! Auch die Heimat und Herkunft dürfen kein Grund für eine Benachteiligung sein. Die Verweigerung deutscher Staatsbürgerschaft ist für den Betroffenen aber zweifellos eine Benachteiligung - sonst würde sie wohl kaum jemand beantragen. Die Begründung, warum die Benachteiligung irgendwie am Ende in der Realität anscheinend doch zulässig sei, dürfte ziemlich verwinkelt ausfallen.
An diesem Punkt müßte man einmal ein paar Grundgesetzkommentare studieren. Offenbar muß bzw. darf man kurioserweise gerade das Grundgesetz manchmal nicht so wörtlich nehmen. Das wird auch anhand Artikel 9 Absatz 2 deutlich:
| Zitat: | | (2)Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten. |
Parteien, die eine Grundgesetzänderung anstreben, wären damit eigentlich bereits gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet und demnach verboten? Da das nicht der Fall ist, muß mit dem Begriff "verfassungsmäßige Ordnung" also eine nicht näher definierte Grundordnung gemeint sein, die nicht mit der Verfassung identisch, sondern ihr lediglich vorgelagert ist; in groben Zügen verfassungs<i>mäßig</i>, also nicht <i>die</i> Verfassung, sondern nur in irgendeiner Weise <i>wie</i> die Verfassung. In welcher Weise betreffs jedes einzelnen Bestandteils des Grundgesetzes, kann leider nur im subjektiven Ermessen liegen, da keine zuständigen "Toleranz-Metaregeln" festgelegt sind. Das Grundgesetz kann also zwar nicht am Stück vom Tisch gefegt werden, dafür aber Stück für Stück immer genau das einzelne Detail, das unter Umständen gerade stört.
Nun, der angesprochene Artikel 3 Absatz 3 ist aber noch nicht einmal bereits passend gemacht worden für bestimmte Vorhaben. Nicht einmal für bereits gegenwärtig umgesetzte Maßnahmen. Die Frage, ob die sprachlich bedeutungsgemäße Achtung des Grundgesetzes schon ausgeleiert genug ist, um die nötige Dehnbarkeit für die erfolgreiche Umsetzung solcher Forderungen wie die der DSW aufzuweisen - diese Frage bleibt vorerst offen.
Zuletzt bearbeitet von Christian Melsa am Donnerstag, 09. Okt. 2003 03:56, insgesamt 1mal bearbeitet |
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Christian Melsa
Registriert seit: 25.09.2003 Beiträge: 51 Wohnort: Hamburg
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: Mittwoch, 01. Okt. 2003 03:25 Titel: |
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Per E-Mail hat mir Herr Paulwitz, der Schriftleiter der Deutschen Sprachwelt, mitgeteilt, daß er nach den einleitenden Äußerungen sich hier im Forum nicht an der Diskussion beteiligen möchte, da er das als "Pranger" empfinde. So wird leider wieder einmal eine Gelegenheit verstreichen gelassen, möglicherweise unberechtigte Vorwürfe zu entkräften, die DSW entspringe sehr weit rechts stehenden Kreisen.
Auf meinen letzten Beitrag ist er trotzdem mit einem sehr interessanten Einwand eingegangen, den er mir hier stellvertretend für ihn einzustellen erlaubt hat:
| Zitat: | Zu Ihrem Hinweis auf Artikel 3(3) des Grundgesetzes:
"(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner
Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner
religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt
werden."
(1) Unsere Forderungen werden im ganzen deutschen Sprachraum verbreitet. Das
GG gilt nur für einen Teil des deutschen Sprachraumes (Deswegen geht
übrigens auch der Nationalismusvorwurf fehl. Es geht um die
Sprachgemeinschaft, nicht um die Nation).
(2) Im besagten GG-Artikel heißt es eindeutig, daß niemand wegen seiner
Sprache bevorzugt werden darf. Insofern bildet er eine Grundlage für die
sprachpolitischen Forderungen, da englische Muttersprachler im deutschen
Sprachraum gegenüber anderen nicht-deutschsprachigen Muttersprachlern
bevorzugt werden.
Thomas Paulwitz |
Kurzer Kommentar: Der Nationalismusvorwurf hatte andere Ursachen. Zudem gibt es ja auch die Auffassung, Österreich gehöre eigentlich zur deutschen Nation, schließlich spreche man dort auch deutsch. Es sei also eben ein nebenher existierender, ebenfalls deutscher Staat. Diese Auffassung habe ich übrigens selber einmal in einem Gespräch mit einem DSW-Zugehörigen bei diesem angetroffen. Auch wenn das vor historischem Hintergrund natürlich wieder anrüchig wirken kann, halte ich das für eine plausible Möglichkeit, eine Nation zu definieren. Für die deutsche Nation gibt es eigentlich gar keine andere stichhaltige. Nach diesem Begriffsverständnis wären Staat und Nation nicht identisch, der Staat müßte sich also nicht zwangsläufig für in diesem Sinne nationale Belange (wie die Sprache) zuständig sehen. Im Interesse des Gemeinwohls müßte er allerdings die vorliegend im Staatsgebiet am meisten verbreitete Sprache zur Standardsprache erklären. Wie gesagt wird das im Grundgesetz komischerweise gar nicht gemacht.
Den zweiten Einwand hatte ich so ähnlich schon erwartet, allerdings als Hinweis darauf, daß bei zunehmendem Gebrauch fremder Sprache (auch nur einzelner Ausdrücke daraus) die einheimischen deutschen Muttersprachler benachteiligt sein können, weil sie manches nicht mehr verstehen.
So wie der Einwand nun ausfällt, könnte man ihn etwas universeller betrachten, wenn man Englisch als beliebig austauschbares Beispiel für eine Fremdsprache ansieht. Je nachdem, was gerade en vogue ist. Die einzige Möglichkeit, Ungleichbehandlungen der angeführten Art komplett vermeiden, dürfte eigentlich sein, neue Ausdrücke nur aus einer Kunstsprache wie Esperanto zuzulassen (wobei die sich von deutschen Wörtern unterschieden und so dem Bedarf begrifflicher Differenzierung genügen könnten), während für bereits vorhandene und bewährte Ausdrücke ja ohnehin kein Ersatz benötigt wird. Das könnte ein origineller Lösungsweg sein. |
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