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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Freitag, 29. Okt. 2004 10:06 Titel: Günter Grass |
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Ein Kämpfer gegen die Rechtschreibreform
Günter Grass gehört zu den Erstunterzeichnern der „Frankfurter Erklärung zur Rechtschreibreform“ 4. - 9. Oktober 1996 - www.vrs-ev.de/resolutionen.php#denk -. Günter Grass unterstrich seine Absage an die Rechtschreibreform in einem Brief vom November 1996 an seinen Verleger Gerhard Steidl (Grass, Günter: Nachdruck und Gegendruck. Brief an Gerhard Steidl. In: Süddeutsche Zeitung vom 02.06.1997, S. 11). Er unterschrieb immer wieder Aufrufe gegen die Rechtschreibreform. So z.B. den „Frankfurter Appell“ von 50 Schriftstellern, Verlegern und Gelehrten, die mißglückte Rechtschreibreform sofort zu stoppen (Unklarheiten. Neuer Appell gegen die Rechtschreibreform. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24.01.1997, S. 37).
Daher ist es kein Wunder, daß ein Rechtschreibreformer Günter Grass in den Titel seines Buches aufnahm:
Zabel, Hermann: Widerworte: „Lieber Herr Grass, Ihre Aufregung ist unbegründet“ Antworten an Gegner und Kritiker der Rechtschreibreform. Aachen: Shaker Verlag, Lichtenau: AOL Verlag, September 1997.
Im Internet findet man die Rede von Günter Grass auf dem Bundeskongreß der GGG in der Fritz-Karsen-Schule in Berlin am 13.5.1999: www.gesamtschule-hamburg.de/Grass_plaedoyer.htm -.
Am 30. September 1999 brachte der WDR einen Ausschnitt aus seinem Vortrag vor der Lübecker Bürgergesellschaft, in dem Grass mit Nachdruck sagte, daß kein Verlag seine Rechtschreibung und Kommasetzung ändern dürfe.
Am Freitag, den 10. Dezember 1999, erhielt Günter Grass in Stockholm den Literatur-Nobelpreis.
Bekannt ist auch sein Aufruf in der Anzeige: „Soll die Rechtschreibreform zurückgenommen werden?“ [ganzseitig, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 192 vom 19. August 2000, S. 11, und in Berliner Zeitung, Münchner Merkur, Nordwest-Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Die Welt] - www.vrs-ev.de/forum/viewtopic.php?p=995#995 -.
Günter Grass ist auch Ehrenmitglied des Münchner Vereins „Rat für deutsche Rechtschreibung“ - www.vrs-ev.de/forum/viewtopic.php?p=1918#1918 -. |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Montag, 06. Dez. 2004 21:13 Titel: Günter Grass an Gerhard Steidl |
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Günter Grass an Gerhard Steidl im November 1996
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Nachdruck und Gegendruck
Günter Grass über Form und Reform der deutschen Sprache
Der Rechtsausschuß des Bundestags hat heute zu einer Anhörung über die Rechtschreibreform geladen - und die Proteste der Literaten sind noch lauter geworden: Inzwischen liegen die ersten Schulbücher vor, in welchen bedeutende Texte bedeutender deutscher Dichter der neuen Rechtschreibung „angepaßt“ wurden. Nach Ansicht aller Experten wird die Lektüre Robert Musils oder Thomas Manns dadurch schwieriger und nicht etwa leichter. Schon drohen die Verleger damit, daß sie Mann, Musil, Brecht auch weiterhin in der alten Zeichensetzung erscheinen lassen und den Nachdruck in Schulbüchern verhindern werden. Günter Grass hat bereits im vergangenen November seinen Verleger aufgefordert, jeden Nachdruck seiner Texte in veränderter Form zu unterbinden - in einem Brief, den wir hier im Wortlaut veröffentlichen. SZ
Lieber Gerhard Steidl,
mir liegt ein Brief vor, den der Verlag Ferdinand Schöningh mit einem Mustervertrag der Verwertungsgesellschaft Wort geschickt hat. Es geht um ein Gedicht („Der Ball“), das in einem Schulbuch unter dem Titel Blickfeld Deutsch, Jahrgangsstufe 6, abgedruckt werden soll. Der Vertrag ist mit Schreibmaschine um einen Zusatz verlängert worden: „Der Text wird vor Druck der neuen Rechtschreibung angepaßt.“
Hierzu möchte ich Dir als meinem Verleger, der das Copyright meiner gesamten literarischen Produktion betreut, folgendes sagen: Ich lehne den widersprüchlichen und zum Teil widersinnigen Eingriff in die deutsche Sprache, der sich „Rechtschreibreform“ nennt, grundsätzlich ab. Schon jetzt wird deutlich, daß meine Romane, Erzählungen und Gedichte, sollten sie weiterhin für den Schulgebrauch benutzt werden, erheblichen Eingriffen und Entstellungen ausgesetzt wären. Gleiches trifft natürlich auf eine Vielzahl deutscher Autoren zu, die, wie ich, unsere Sprache als etwas Lebendiges, das heißt, auch kreativ Veränderbares begriffen haben - und das aus bester Tradition. Von Luthers Bibelübersetzung, über die Autoren der Barockperiode, der Klassik (Herder) und Nachklassik (Jean Paul) bis hin zu Arno Holz, den Autoren des Expressionismus und, ihnen folgend, Arno Schmidt, Wolfgang Koeppen, haben deutsche Schriftsteller unsere Sprache geprägt, sie vor Verkrustung und bürokratischer Reglementierung bewahrt. Hinzu kommt, daß die deutschsprachige Literatur bereichert ist durch regionale Vielgestalt, die weitaus differenzierter ist, als unser föderalistisches System zu erkennen gibt. Diese Vielgestalt hat durchaus eigensinnigen Ausdruck gefunden, und zwar bis in die Rechtschreibung hinein.
Ich bin dafür, meinen Andreas Gryphius, Hoffmannswaldau, Quirinius Kuhlmann und Simon Dach so vorzutragen, wie ich sie alle in jener wunderschönen Barockanthologie vorfinde, mit der uns der Germanist Albrecht Schöne beschenkt hat. Das ist nicht ohne Anstrengung für den Vortragenden und mag dem Hörer anfangs wie eine Zumutung vorkommen. Doch da der Verzicht auf barocken Klang Verlust bedeuten würde, bin ich für Anstrengung und Zumutung. Natürlich sahen sich auch die Barockautoren zu ihrer Zeit gezwungen oder versucht, dem einen oder anderen Regelwerk oder Reformversuch zu beugen. Gewiß hat Martin Opitz mit seinem Buch von der deutschen Poeterey dem Wildwuchs der noch jungen Barockliteratur Möglichkeiten zu klassischen Versformen (bis hin zum Sonett) eröffnet, und doch haben sich seine begabtesten Schüler, Gryphius voran, nicht allzeit an sein Regelwerk gehalten.
Die deutsche Sprache ist weich, formbar und gewiß auch verführbar. Sie sucht sich immer wieder neuen Ausdruck und greift dabei auch auf ältere Sprachmuster zurück. Nicht ohne Grund haben deshalb Umgangssprache und Dialekte Einlaß in die Literatur gefunden. Anders als in Frankreich ist uns keine staatskonforme und sprachregelnd wirkende Institution übergeordnet. Grimmelshausen bietet uns in seiner Urfassung mehr als die im Schulgebrauch übliche Simplifizierung.
Aus all diesen Gründen (und ohne ein Wort über unsinnige Kosten; sich jetzt schon widersprechende Regelbücher und den Starrsinn der Kulturbürokratie zu verlieren) sage ich „Nein“ zu dem gegenwärtigen Versuch, unsere Sprache zu verflachen. Gleichzeitig gebe ich Dir die Vollmacht, dieses „Nein“ auf alle Nachdrucke aus meinem literarischen Werk, so auch in Schulbüchern, anzuwenden.
Freundlich grüßt Dich Dein
Günter Grass
Süddeutsche Zeitung Nr. 123 vom 2. Juni 1997, S. 11 |
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