Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Freitag, 29. Okt. 2004 23:09 Titel: Mathematiker und Physiker gegen die Rechtschreibreform |
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Dr. rer. nat. habil. Eberhard Schröder ..... Hirschberg a.d. Bergstraße, den 23.X.2004
Büttemerweg 26
D-69493 Hirschberg 1
Tel.: 06201 - 5 37 11
Herrn Oberstudienrat
Manfred Riebe
Max-Reger-Straße 99
90571 Schwaig bei Nürnberg
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Betr.: Rechtschreibreform
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Hiermit erlaube ich mir, mich in den Angelegenheiten der Rechtschreibreform an Sie zu wenden. Leider bin ich in den vergangenen sieben Jahren mit meinen sehr schwerwiegenden Bedenken gegen dieses sogenannte „Reformwerk“ immer wieder auf taube Ohren gestoßen.
Meine Kritik richtete sich vor allem gegen den leichtfertigen Umgang der Reformer mit der Schreibweise von Begriffen aus der Mathematik und Physik. Telefonische Anfragen bei den Reformern in Mannheim wurden mit der Antwort quittiert: „In Mathematik war ich schon immer eine Flasche.“ Angebotene Hilfe wurde brüsk zurückgewiesen. –
Leider wurde mir in einer fachspezifischen Publikation für eine wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Heidelberg von den selbsternannten „Flaschen“ hineinkorrigiert. Gegenfragen wurden nicht beantwortet. Man hatte in meinem wissenschaftlichen Beitrag das Wort „aufwendig“ durch das Wort „aufwändig“ ersetzt.
Meine Gegenfrage lautete: Wie muß ich künftig rechtswendig (weinwendig) und linkswendig (hopfenwendig) schreiben? Die Reformer, für die ich weder fachlich noch persönlich die geringste Achtung aufbringen kann, gaben hierzu keine Antwort. Im Duden fand ich auch nichts. In der Schule wurde mir von meinem Deutschlehrer, den ich sowohl persönlich wie auch fachlich sehr achtete, beigebracht: rechtswendig kommt von rechts wenden, linkswendig von links wenden und aufwendig von aufwenden! So einfach ist das.
Bezüglich der Vorwörter Differential- und Differenzial- stehen die Reformer auf völlig schwankendem Boden. Für Begriffe, wie Differenzialgetriebe und Differenzialflaschenzug ist nur die Schreibung mit z sinnvoll. Das war mir schon im fünften Schuljahr klar. Leider bieten hier Lexika unterschiedliche Schreibweisen an. Eindeutig ist auch die Schreibweise für Begriffe der höheren Analysis festzulegen, wie Differentialrechnung, Differentialquotient, Differentialgleichung, Differentialoperator, Differentialgeometrie, vollständiges Differential u.a.m. Wer diese Wörter mit z schreibt, beweist, daß er den Schulstoff ab Obersekunda nicht mehr verstanden hat. Offenbar fehlt den Reformern die Einsicht, daß mit den Pionierarbeiten von Leibniz und Newton (um 1680) ein völlig neues Kapitel in Mathematik, Naturwissenschaften und Technik aufgeschlagen wurde, welches mit den vier Grundrechnungsarten allein niemals erschließbar ist. Mit den im neuen Duden gebotenen Schreibregeln kann man diese Einsichten künftigen Schülergenerationen nicht mehr vermitteln.
Auch für den Begriff „Potentielle Energie“ ist nur diese eine Schreibweise mit t sinnvoll. Von der Potentialtheorie als Teildisziplin der Physik haben die Dudenverfasser offenbar niemals gehört. Sie begründet sich auf der Laplaceschen Differentialgleichung. Die Begriffe Potenzfunktion und Potentialfunktion bedürfen auch einer sauberen Trennung. Auch die Zahlentheorie und die Numerische Mathematik sind zwei völlig verschiedene Teilgebiete der Mathematik. Reformexperimente an diesen Wörtern sollte man besser unterlassen. Gern wäre man bereit, den Reformern z.B. den Begriff des „vollständigen Differentials“ zu erklären. Es handelt sich dabei um einen differentiellen Ausdruck, der eine wohldefinierte Integrabilitätsbedingung erfüllt. Er ist mindestens ebenso wichtig wie der Fosburyflop.
Wie sich im deutschen Sprachraum, wo so hervorragende Mathematiker wie Leibniz, Euler, Bernoullis, Gaul, Riemann, David Hilbert und viele andere mehr gewirkt haben, ein so stümperhafter Umgang mit der Rechtschreibung von mathematischen Begriffen durchsetzen kann, wirft kein schmeichelhaftes Licht auf die politische Führung unseres Landes.
Um den künftigen ABC-Schützen eine Starthilfe für die Schule zu geben, habe ich mir erlaubt, ein kleines Gedicht zu verfassen, in dem die verordnete Orthografie konsequent Anwendung findet. Man könnte es auf das Umschlagblatt der Fibel heften.
Berufsgruppen aller Art haben sich zur Rechtschreibreform geäußert. Nach meiner Meinung haben hierbei auch Mathematiker ein gewichtiges Wort mitzureden, vor allem, wenn man bei Publikationen unsachgerecht bevormundet wird. Das deutsche Schulwesen ist ohnehin sehr angeschlagen. Mit der „von oben“ verordneten Rechtschreibreform steuern die Schulen zweifellos einer Bildungskatastrophe entgegen.
In der leisen Hoffnung auf eine konstruktive Rückäußerung bin ich
mit freundlichen Grüßen
E. Schröder
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Das Gedicht für die ABC-Schützen als Starthilfe für die Schule steht hier:
www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?p=2545#2545
Eberhard Schröder ist in der Fachwelt kein Unbekannter, siehe:
Schröder, Eberhard: Darstellende Geometrie. m. 157 Abb. (Mathematik für Lehrer, Band 8, Studienbücherei). Berlin: DVW, 1974, 160 S. , 3. Auflage, 1979
Schröder, Eberhard: Dürer. Kunst und Geometrie. Dürers künstlerisches Schaffen aus der Sicht seiner „Underweysung“, mit 61 Abb., Berlin: Akademie, 1980, 80 S.,
Wagner, Ulrich [Hrsg.]: Das Bamberger Rechenbuch von 1483. Mit einem Nachwort von Eberhard Schröder. Weinheim: VCH, 1988. 310 S. - ISBN 3-527-26725-5
Schröder, Eberhard: Kartenentwürfe der Erde. Kartographische Abbildungsverfahren aus mathematischer und historischer Sicht. (= Mathematische Schülerbücherei. Nr. 128). Leipzig: Teubner, 1988, 168 S.
Schröder, Eberhard: Ein mathematisches Manuskript aus dem 15. Jahrhundert. Staatsbibliothek Bamberg, Handschrift aus Inc. typ. Ic. I. 44. 1995. 365 Seiten, ISBN 3-89241-016-X. (ALGORISMUS - Studien zur Geschichte der Mathematik und der Naturwissenschaften. Hrsg. Menso Folkerts, Heft 16)
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Anmerkungen:
Englisch schreibt man weiter „potential“. Aber die Reformer betreiben hier eine Germanisierung. Das erinnert stark an die Rechtschreibreform des Dritten Reiches: www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?p=1850#1850 -. Deutsche Pickelhauber betätigen sich hier in vorauseilendem Gehorsam als willige Vollstrecker.
In den Links wurde „viewtopic“ durch „themaschau“ ersetzt, damit sie wieder funktionieren. |
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