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Beschränkter Untertanenverstand

 
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Manfred Riebe



Registriert seit: 23.10.2002
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Beitrag: Mittwoch, 20. Okt. 2004 21:34    Titel: Beschränkter Untertanenverstand Antworten mit Zitat

Beratungsresistente Kultusminister
„Dem Untertanen ziemt es nicht, die Handlungen des Staatsoberhaupts an den Maßstab seiner beschränkten Einsicht anzulegen.“
„Der Kampf um die Rechtschreibreform ist ein Stück Klassenkampf.“
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Müntes Klassenanalyse

Bürgermut gegen Rechtschreibreform

Von Christian Meier

Endlich bestätigt sich also, was man schon lange befürchtet hatte. Müntefering sei Dank: Der Kampf um die Rechtschreibreform ist ein Stück Klassenkampf. Es sind „nur einige Hochwohlgeborene“, die meinen, sie „müßten das aus ästhetischen oder sonstigen Gründen noch mal korrigieren“ (F.A.Z. vom 30. August). Man fragt sich, in was für einem Land wir eigentlich leben. Da erkühnen sich die Kultusminister, die Schrift par ordre du moufti zu verändern. Denn es geht ja nicht nur darum, eingespielte Schreibungen in Regeln zu fassen und sich zu fragen, wie man deren Erlernen an den Schulen zu bewerkstelligen hat. Nein: Diese Damen und Herren maßen sich an, anders kann man das gar nicht ausdrücken, einer Sprachgemeinschaft zu diktieren, wie sie zu schreiben hat. Doch damit nicht genug. Die neuen Regeln sind noch dazu fehlerhaft, weil sie Verstöße gegenüber deutscher Grammatik und Wortbildungslehre zur Pflicht machen. Wo gibt es so etwas sonst noch?

Früher hat man zwar gemeint, im Ostblock sei zweimal zwei acht. Aber meines Wissens ist die Vermittlung solcher Rechenergebnisse den Lehrern dort nie in Auftrag gegeben worden. Aber auch damit nicht genug. Eine unüberschaubar lange Reihe von führenden Sprachwissenschaftlern, Germanisten, Juristen, Akademien und anderen bringt immer von neuem ihre wohlbegründeten Einwände gegen das mißratene Machtwerk – und zumindest einer der Akademiepräsidenten auch gegen die unerhörte Machtanmaßung dieser Damen und Herren – vor. Aber die Kultusministerkonferenz reagiert darauf mit einer Sturheit, die selbst hartgesottene unter ihren Verächtern nicht erwarten konnten. Nämlich gar nicht. Wohl kann man mit einzelnen Ministern reden, doch hat das keinerlei Wirkung. Kein einziges Argument für die neue Schreibung wird vorgebracht. Es heißt nur, übrigens seit der überfallartigen Einführung der neuen Schreibung, nun sei es für Änderungen zu spät.

Als das ostpreußische Elbing für einen der Göttinger Sieben, einen Sohn der Stadt, eine Solidaritätsadresse absandte, bekam es von Berlin den Verweis: „Dem Untertanen ziemt es nicht, die Handlungen des Staatsoberhaupts an den Maßstab seiner beschränkten Einsicht anzulegen.“ An dieser ministeriellen Einschätzung der Untertanen hat sich inzwischen offenbar nur geändert, daß man nach heutigem Kenntnisstand Meinungen nicht zu unterdrücken braucht, im Gegenteil, sie sollen nur geäußert werden, man muß lediglich, wenn man die Macht hat, nicht hinhören. Kultusminister sind ja nicht satisfaktionsfähig.

Doch auch das ist noch nicht alles. Die deutschsprachigen Schriftsteller von Rang bleiben ausnahmslos und aus guten Gründen bei der alten Schreibung. Ähnliches gilt in der Wissenschaft. Das müßte doch eigentlich zu denken geben. Man muß ja vielleicht, was Schriftsteller etwa in politischen Resolutionen von sich geben, als Politiker nicht unbedingt ernstnehmen. Aber sollte man nicht wenigstens in Sachen Schrift auf sie hören? Aber nein, das sind ja nur Hochwohlgeborene, die sich durch irgendwelche bei Lichte besehen eher lächerlichen Gründe bestimmen lassen. Aber wir sind auch damit noch nicht am Ende. Diese Schriftsteller nämlich, aber nicht nur sie, weigern sich, in den diversen Anthologien und Quellensammlungen für den Schulunterricht ihre Texte in den Neuschrieb umsetzen zu lassen. Die Verlage müssen das respektieren. Doch gibt es schon Beispiele dafür, daß man Texte dieser Autoren ebendeswegen nicht mehr in die Sammlungen aufnimmt. Es zeichnet sich also zumindest eine Tendenz ab, unsere Gegenwartsliteratur aus dem Schulunterricht zu verdrängen, weil es wichtiger ist, daß die Schüler eine schlechtere, zum Teil mit der deutschen Grammatik und Wortbildungslehre auf Kriegsfuß stehende Schreibung lernen, als daß sie der neuesten deutschen Literatur im Unterricht begegnen. Sie sollen nicht irritiert werden. Aber keiner der Kultusminister sagt uns, wie man die jungen Leser eigentlich von fast der gesamten deutschsprachigen Literatur fernhalten soll. Man kann zwar, wie geschehen, hervorragende Jugendbücher aus Leihbüchereien entfernen, aber doch nicht ganze Bibliotheken entsprechend reinigen. Wie auch will man die Bücher ersetzen? Und weil dies alles offenbar immer noch nicht genug ist, nun also Müntefering, der die Dimensionen des Problems offenbar völlig verkennt und nur noch von einigen „Hochwohlgeborenen“ spricht.

Weiß er nicht, was für eine gar nicht schlechte Tradition sozialdemokratischer Bildungspolitik er damit in den Wind schlägt? Kennt er die Umfrageergebnisse nicht, die besagen, daß die Mehrheit der Bevölkerung für die Rücknahme der Reform ist. Man muß dem SPD-Vorsitzenden indes lassen, daß er sich im Einklang mit einer deutschen Tradition befindet, freilich einer leider nicht guten. Man hätte ja hoffen sollen, wir hätten das hinter uns: Obrigkeitsstaatlichkeit, Geringschätzung von Politikern für Intellektuelle und Schriftsteller. Aber nein, offenbar nicht. Wie ja auch die unsägliche deutsche Kleinkariertheit schlechtem deutschen Herkommen entspricht, von der die Reform Zeugnis ablegt, die etwa angesichts der eleganten Lösung, bei Aufeinanderfolge dreier gleicher Buchstaben einen auszulassen, nicht ruht, bevor nicht seeerfahren und Schlammmasse staatlich verordnet sind.

Natürlich kann man von den Kultusministern nicht verlangen, daß sie etwas von deutscher Sprache und Schrift verstehen. Aber sollten sie sich nicht wenigstens so viel Professionalität angeeignet haben, daß sie wissen, wo sie sich Rat holen können? Es gibt hervorragende Fachleute, es gibt Akademien. Aber nein, sie verlassen sich blindlings auf eine Kommission, die aus Interessierten (den Verfechtern der Reform) besteht, die sie aber gleich auch als Gutachter über deren Auswirkungen eingesetzt haben. Noch eine Groteske also, und kein Mensch sollte sich wundern, wenn geschönte Befunde apportiert werden. Doch selbst in einem Moment, wo den Kultusministern aufzugehen scheint, daß es offenbar falsch war, dieser Kommission alles zu überlassen, und sie deswegen einen Rat für deutsche Rechtschreibung an deren Stelle setzen wollen, fällt ihnen nichts Besseres ein, als ebendiese Kommission zu beauftragen, einen Entwurf für die Aufgaben und die Zusammensetzung dieses Rats vorzulegen.

Wobei sie sich natürlich selbst nicht vergessen und man die paar Renommierkritiker, die sie hinzuziehen werden, schon heute bedauern kann. Man reibt sich die Augen. Soll man das, darf man das für möglich halten? Was fehlt eigentlich noch, damit deutlich wird, welche bürokratische Ungeheuerlichkeit sich hier vollzieht? Nochmals also: In was für einem Land leben wir? Es ist ein sehr schlechtes Indiz für unsere Reformfähigkeit, daß es noch nicht einmal möglich ist, diese vermurkste Reform, dieses sinistre Stück Obrigkeitsstaatlichkeit zu reformieren. Denn auch unter diesem Aspekt will die Sache betrachtet werden. Sie ist symptomatisch für Unbeweglichkeit und Arroganz der Macht, für gerade das, was wir heute nicht brauchen können. Eigentlich sollte man außerdem von Kultusministern erwarten, daß sie den Kindern, die doch wohl in unsere Demokratie eingeführt werden sollen, vorleben, wie man sich in einer Demokratie auseinandersetzt, lernfähig (statt beratungsresistent) ist und Fehler korrigiert. Natürlich ließe sich eine Reform der Reform denken, doch ist sie nur mit der Kultusministerkonferenz möglich, also aussichtslos. So bleibt nur die Instanz, auf die man überhaupt am besten setzt, die Bürgergesellschaft, und sie scheint ja zu funktionieren: Der „Spiegel“, der Springer- Verlag und die „Süddeutsche Zeitung“ wollen den unsinnigen Regeln nicht länger folgen. Sie müssen den Bürgermut beweisen, der dieser Gesellschaft angemessen ist, als eine spezifische Form der Zivilcourage. Denn ohne Pressionsversuche von seiten des Staates wird es kaum abgehen. Aber möglich ist es, und es ist zweifellos besser als die Fortsetzung des Streits, das Herumgefummel an den Regeln und die unzähligen Fehler, die man Tag für Tag auch von berufsmäßigen Schreibern präsentiert bekommt. Daß einige Schülerjahrgänge dabei umlernen müssen, ist bedauerlich, und niemand bestreitet dies. Aber es ist doch wohl entschieden das kleinere Übel.

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Der Verfasser ist Althistoriker und ehemaliger Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, die einen Kompromißvorschlag zum Streit um die Rechtschreibung vorgelegt hat.

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20. September 2004, S. 33
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Die „Göttinger Sieben“

1837, im Jahr des hundertjährigen Universitätsjubiläums der Georgia Augusta, wandten sich die sieben Professoren Wilhelm Eduard Albrecht, Friedrich Christoph Dahlmann, Georg Heinrich August Ewald, Georg Gottfried Gervinus, die Gebrüder Jakob und Wilhelm Grimm und Wilhelm Weber gegen den hannoverschen König Ernst August und beschuldigten ihn wegen der Aufhebung der Verfassung von 1833 des Verfassungsbruchs. Die führende Persönlichkeit war dabei Dahlmann. Die Professoren wurden vom König ihrer Ämter enthoben und teilweise des Landes verwiesen. Der Schritt der Göttinger Sieben wurde in ganz Deutschland beachtet und war ein Zeichen dafür, daß die liberale Bewegung in weiten Teilen Deutschlands wieder lebendig wurde. Die Göttinger Sieben wurden 1848 fast alle Mitglieder der Frankfurter Nationalversammlung.

www.stadtarchiv.goettingen.de/texte/goettinger_sieben.htm

Wilhelm Eduard Albrecht (1830 - 1837), Rechtshistoriker

Geb. in Elbing am 4. März 1800. Nach dem Studium in Königsberg, Göttingen (imm. 29. Okt. 1819, cam.) und Berlin habilitierte sich A. 1824 in Königsberg und wurde dort 1829 o. Professor für deutsches Recht. 1829 als Nachfolger Eichhorns für deutsches Staats- und Kirchenrecht nach Göttingen berufen. 1837 als einer der „Göttinger Sieben“ entlassen, hielt A. seit 1838 in Leipzig Vorlesungen über deutsches Staats- und Privatrecht, deutsche Rechtsgeschichte und Kirchenrecht und wurde dort 1840 o. Professor. A. gilt als Begründer einer dogmatischen Behandlung des Stoffes in der deutschen Rechtsgeschichte. Hauptwerk: „Die Gewere als Grundlage des älteren deutschen Sachenrechts“ (Königsberg 1828). Gest. in Leipzig am 22. Mai 1876.

www.stadtarchiv.goettingen.de/personen/albrecht.htm
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Manfred Riebe



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Beitrag: Mittwoch, 20. Okt. 2004 21:41    Titel: Die Stadt des beschränkten Untertanenverstandes Antworten mit Zitat

Die Stadt des beschränkten Untertanenverstandes

Danzig beherrscht den Westen des Weichseldeltas, Elbing den Osten; es war kein Wunder, daß beide Städte früh schon in den schärfsten Konkurrenzkampf miteinander traten. Danzigs Wasserwege hießen Weichsel und Mottlau, die der Stadt Elbing waren Nogat und Haff, da die Nogat durch den Kraffohlskanal unmittelbar mit dem Elbing und damit wieder mit dem Haff und der See verbunden war.

„Es gibt so'ne und solche, und es gibt Elbinger“, heißt ein altes Wort in Elbing: die Leute dort hatten mindestens so harte Köpfe wie die Landsleute des Astronomen Hevelius, den die Danziger und sein Papagei bis zu seinem Ende „Herr Hevelke“ nannten. Die Elbinger aber, als sie herausbekamen, daß sich unter den Göttinger Sieben ihr Landsmann Albrecht befand, veranstalteten ihm zu Ehren nicht nur einen Fackelzug - Jakob van Riesen allen voran -, sie sandten ihm auch eine Dankadresse, und da sie aufrechte Männer waren, schickten sie eine Abschrift dieser Adresse an den Minister von Rochow nach Berlin, damit er Bescheid wüßte, wie sie von ihm dachten. Der aber verstand keinen Spaß, sondern ließ ihnen ein sehr ungnädiges Schreiben übermitteln, sie sollten gefälligst nicht die Taten ihres Monarchen an den Maßstab ihres beschränkten Untertanenverstandes legen.

Auf dieses Schreiben waren die Elbinger sehr stolz: sie überwiesen es ihrer Stadtbibliothek, die um 1900 der kleine alte Professor Neubauer verwaltete, und wenn ich nicht irre, hing das ministerielle Dokument säuberlich gerahmt in unserem Athenaeum Elbingense, das die Stadtbibliothek gastlich beherbergte, an der Wand, und die Väter der Gymnasiasten, die ebenfalls kluge, aufrechte, konservative Männer waren, freuten sich jedesmal darüber, wenn sie es sahen; zum Konservativen gehörte ja das Seltenste, was es auf Erden gibt: Mut sogar vor Behörden.

(Auszug aus: Paul Fechter: Deutscher Osten, Bilder aus West - und Ostpreußen, 30 Seiten Text, 47 ganzseitige Bildtafeln, Gütersloh: C. Bertelsmann Verlag, 1955, S. 24)

Der freiheitsliebende Landtagsabgeordnete Jakob van Riesen gehörte zu den Vorbildern der Elbinger.
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Zur Stadt Elbing /Westpreußen:

www.elbing.de/
www.hans-pfau-elbing.de/
www.westpreussen-archiv.de
www.aefl.de/ordld/Ansichtskarten%2001.htm


Zuletzt bearbeitet von Manfred Riebe am Mittwoch, 20. Okt. 2004 23:18, insgesamt 1mal bearbeitet
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Manfred Riebe



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Beitrag: Mittwoch, 20. Okt. 2004 22:59    Titel: Beschränkter Untertanenverstand und Zivilcourage Antworten mit Zitat

Beschränkter Untertanenverstand und Zivilcourage

Im 19. Jahrhundert war Elbing wieder eine aufwärtsstrebende Stadt. Die Bürger hatten ein starkes Selbstbewußtsein. Man erinnerte sich noch sehr an die Zeit als Stadtrepublik, ohne zu verkennen, daß es für diese Stadtherrlichkeit keinen Platz im Königreich Preußen geben konnte. Niemand rief nach der alten Zeit, zu schlecht waren die letzten Jahrzehnte vor 1772 gewesen und der wirtschaftliche Aufschwung ab 1773 für Stadt und Land zu erfolgreich. Die schweren durch Franzosenzeit ausgelösten Jahre nach 1812 ließen die Elbinger trotz der hohen auf der Stadtkasse lastenden Kriegsschulden und des fast zum Stillstand gekommenen Handels nicht mutlos werden. Auf keinen Fall wollten sich die das Wort führenden Bürger zuviel „von oben“ vorschreiben lassen. Ihr Bedürfnis, mitzureden und selbst zu bestimmen, war eher noch gewachsen wie auch die Zahl der tonangebenden Persönlichkeiten. Die breite Masse kam, der Zeit entsprechend, kaum zu Wort.

Von 1819 bis 1843 war der aus dem westpreußischen Konitz stammende Lucas Haase Oberbürgermeister der Stadt, dessen Nachfolger 1838 Adolph Philipps wurde. Als herausragende Persönlichkeit wurde Stadtverordnetenvorsteher Kaufmann Jakob van Riesen weit über Elbing hinaus bekannt. Mehrmals einer der beiden Landtagsdeputierten Elbings, stellte er Forderungen und im Provinziallandtag Anträge, die der Zeit weit voraus waren. Aber er tat es im Auftrag des Stadtparlaments. 1831 brachten die Elbinger Deputierten ihr Verlangen nach Einführung einer Konstitution in Preußen zur Sprache, ohne daß der Landtag den Sinn und die Bedeutung verstand. 1834 und 1837 forderte Jakob van Riesen zusammen mit Johann Jacob Krause u.a. die Schaffung eines Pressegesetzes, 1845 die Einführung einer repräsentativen Verfassung, Trennung der Justiz von der Verwaltung, öffentliche Sitzungen der Stadtverordneten, Aufhebung der Zensur und u.a. die Emanzipation der Juden. Diese Forderung wiederholten sie auf dem Generallandtag 1847 in Berlin. Die Elbinger wollten soviel Selbstregierung für ihre Stadt, wie das innerhalb der Landesgesetze nur denkbar war. Vor diesem Hintergrund ist auch die Reaktion der politisch aktiven Bürger 1837 auf die Amtsenthebung der sieben Göttinger Professoren durch den König von Hannover zu verstehen.

Unter ihnen befand sich der Elbinger Jurist Wilhelm Eduard Albrecht, Bruder eines in Elbing sehr angesehenen Buchdruckermeisters. Wie auch anderswo, wurde in Elbing für die „Märtyrer“ gesammelt. Angesehene Bürger bekundeten dem Professor ihre Sympathie mit einem Schreiben vom 30. Dezember, das John Prince-Smith, der damalige Inhaber der Stiftungsprofessor für Englisch und Französisch am Elbinger Gymnasium, entworfen hatte. Dem für sie zuständigen Minister in Berlin sandten die Elbinger mit einem Begleitschreiben van Riesens eine Abschrift zur Kenntnis in der Hoffnung, die Berliner Regierung würde etwas für die Professoren tun. Die Antwort des Ministers von Rochow vom 15. Januar 1838 war mehr als eine Eingangsbestätigung und führte zum Begriff des beschränkten Untertanenverstandes, den Büchmann abgewandelt in seinen Zitatenschatz „Geflügelte Worte“ aufnahm. Aus der „beschränkten Einsicht“ des Untertanen entstand der „beschränkte Untertanenverstand“!

Die Zeitungen im Königreich Preußen durften den Brief nicht veröffentlichen. Daher gab der Mitunterzeichner Kaufmann Haertel den Text an die „Hamburger Börsenhalle“, die ihn noch im Januar veröffentlichte. Das Schreiben des Ministers von Rochow wurde überall bekannt, in Preußen konnte es nur handschriftlich weitergegeben werden. Die Elbinger waren auf diese Antwort sehr stolz, und sie bewahrten den Brief in der Stadtbibliothek sorgfältig auf, zeitweise hing er eingerahmt an der Wand. Auf diese Weise wurde die „Stadt der Intelligenz“, wie sie zu jener Zeit genannt wurde, zur „Stadt des beschränkten Untertanenverstandes“ und wohl auch durch die Landtagsanträge van Riesens zur „Stadt der Zivilcourage“.

Die Ministerantwort an Jakob van Riesen:

Ich gebe Ihnen auf die Eingabe vom 30. v. Mts., mit welcher Sie mir die von mehreren Bürgern Elbings unterzeichnete Adresse an den Hofrat und Professor Albrecht überreicht haben, hierdurch zu erkennen, daß mich dieselbe mit unwilligem Befremden erfüllt hat. Wenn ich auch annehmen will, daß es nur Gewissenszweifel gewesen sind, welche den Professor Albrecht bewogen haben, die ihm angesonnene Eidesleistung für unstatthaft zu halten, so bin ich doch soweit entfernt, die in der Erklärung des Albrecht und seiner Göttinger Amtsgenossen ausgesprochene Beurteilung des Verfahrens Sr. Majestät des Königs von Hannover dadurch gerechtfertigt oder auch nur entschuldigt zu finden, daß ich solche vielmehr für eine ebenso unbesonnene als tadelnswerte und nach diesseitigen Landesgesetzen selbst strafbare Anmaßung halte. Die Unterzeichner der Adresse an den Professor Albrecht laden daher mit Recht denselben Vorwurf auf sich, indem sie jene Erklärung billigen und loben und dadurch die Gründe derselben zu den ihrigen machen.

Es geziemt dem Unterthanen, seinem Könige und Landesherrn Gehorsam zu leisten, und sich bei Befolgung der an ihn ergehenden Befehle mit der Verantwortlichkeit zu beruhigen, welche die von Gott eingesetzte Obrigkeit dafür übernimmt, aber es ziemt ihm nicht, die Handlungen des Staatsoberhauptes an den Maßstab seiner beschränkten Einsicht anzulegen und sich in dünkelhaftem Übermute ein öffentliches Urteil über die Rechtmäßigkeit desselben anzumaßen.

Deshalb muß ich es eine recht bedauerliche Verirrung nennen, wenn die Unterzeichner der Adresse in dem Benehmen der Göttinger Professoren eine Vertheidigung der gesetzmäßigen Ordnung, einen Widerstand gegen die Willkühr zu erkennen geglaubt haben, während sie darin ein ungeziemendes Auflehnen, ein vermessenes Überheben hätten wahrnehmen sollen. -

Eines noch beklagenswerteren Irrtums haben Sie aber sich schuldig gemacht, wenn Sie wähnen, daß solche Gesinnungen und Ansichten von alten, guten Bürgern und legalen Preußen geteilt würden.

Das ist, Gott lob! so wenig der Fall, daß ich mich überzeugt halten darf, selbst die große Mehrzahl werde Ihren Schritt ernstlich mißbilligen und es beklagen, daß durch die Irrtümer der unberufenen Urheber der Adresse die gute und patriotische Gesinnung der ganzen Stadt verdächtigt worden ist.

Ich überlasse es Ihnen, diese meine Eröffnung den Unterzeichnern der Adresse bekannt zu machen.

Berlin, den 15. Januar 1838.

Der Minister des Innern
und der Polizei
v. Rochow.


Aus: Hans-Jürgen Schuch: ELBING. Aus 750 Jahren Geschichte der Ordens-, Hanse- und Industriestadt. Berlin/Bonn: Westkreuz-Verlag, 1989, S. 109-111
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Manfred Riebe



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Beitrag: Montag, 08. Nov. 2004 12:13    Titel: Der deutsche Untertanengeist Antworten mit Zitat

Unseren Schulanfängern zum Geleit
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Der deutsche Untertanengeist


Selbstständ'ges Denken bringt Verdruss!
Drum füge dich dem rauen Muss
und bläu' dir ein den gräulich Stuss,
denn Deutschlands Schulen steh'n am Schluss.

Im Duden steht ganz unaufwändig,
schön quäntchenweise und behändig
auf weißen Blättern - nummeriert –
wie rechtens man die Feder führt.

Der deutsche Untertanengeist
gebiert Reformer - dumm und dreist!!!

Eberhard Schröder
_______________________________________

Informationen über den Verfasser finden Sie hier:
www.vrs-ev.de/forum/viewtopic.php?p=2544#2544
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Karl Martell



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Beitrag: Montag, 08. Nov. 2004 15:11    Titel: Hombach macht den Joffe Antworten mit Zitat

Zitat:

„WAZ-Geschäftsführer Bodo Hombach hält die Rückkehr deutscher Verlage zur alten Rechtschreibung für einen ‚Akt der Selbstüberschätzung’.

Das sagte er dem Politikmagazin ‚Cicero’. ‚Ich möchte nicht in der Haut der Kollegen stecken, die geglaubt haben, dass sie die Stimmung im Land kippen können.

Sie werden irgendwann zurückrudern und dabei ihr Gesicht wahren müssen’, so Hombach. Über die Rechtschreibreform lasse sich trefflich streiten.
Mit der Ankündigung von ‚Spiegel’, ‚Welt’ und ‚Bild’, wieder zur alten Schreibweise zurückzukehren, sei aber eine Grenze überschritten worden.

Regeln, die von einer demokratisch legitimierten Institution gesetzt werden, demonstrativ nicht zu befolgen oder aushebeln zu wollen, könne bei einem Staatsnotstand geboten sein.

Den hätten die Kultusminister aber ‚sicher nicht ausgelöst’, betonte der ehemalige Kanz-leramtsminister und SPD-Politiker in ‚Cicero’.“ (Börsenblatt 27.10.2004)




Hombach als Prophet weckt Erinnerungen an das Jahr 1998, als Josef Joffe – damals noch für die SZ – mit Vehemenz sowohl die Wiederwahl Helmut Kohls als auch den unweigerlichen Sturz Bill Clintons über Monika Lewinsky prognostizierte. Der Abstand zwischen zwei Fettnäpfchen hieß schon lange nicht mehr nach einem Gemüse, und man überlegte, ob nicht „Joffe“ an entsprechender Stelle in das heitere Längenmaß-Verzeichnis aufzunehmen sei.
...
Hombach äußert seine Meinung argumentfrei, verwendet allein politische Floskeln. Er erkennt nicht, daß es nicht Selbstüberschätzung war, vielmehr übersieht er den kompetenten Erkenntnisakt derer, die anfangs verborgene Schwäche der NRS früher als andere wahrnehmen konnten. Und er ist damit nicht allein.

Stimmungen können zwar für oder gegen etwas im schnellen Takt demokratischer Wahlzyklen kippen. Im vorliegenden Fall ist die Zeitkonstante aber eine andere, längere. Die vergangenen 6 oder 8 Jahre des Versuchs fielen auch zu einem guten Teil in eine Phase, in der insbesondere Verlage dem Thema aus bestimmten Gründen nicht die nötige Aufmerksamkeit schenken konnten oder wollten. Die Dudenausgaben werden wohl nur vorübergehend dem schnellen Rhythmus demokratischer Wahlen nachhetzen; Sprache hat mehr Zeit als Politiker.

Auch folgt gleich nach dem Herbst 2005 der Herbst 2006 und die Kandidaten werden es sich wohl überlegen, ob sie mit „Basta, Schluß mit dem Gedöns“ oder ähnlich lautenden Reden der demokratischen Legitimation der NRS zur Unzeit den finalen Anschub verleihen sollen.

Wenn nämlich nur noch zwischen jeweils geringeren Übeln zu wählen ist, werde ich nicht der einzige sein, der sein Votum als Sprachliebhaber abgibt.
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Manfred Riebe



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Beitrag: Donnerstag, 11. Nov. 2004 17:09    Titel: Massives Einwirken interessierter Verlage Antworten mit Zitat

Massives Einwirken interessierter Verlage

Ich kann allem zustimmen, aber mit einer Ausnahme. Interessierte Verlage haben aus Profitgründen auf das Geschehen eingewirkt. Geld regiert die Welt. Siehe:

- Volksentscheid in Schleswig-Holstein - www.vrs-ev.de/pm270903.php

- Verband der Schulbuchverlage hat „massiv eingewirkt“ - www.vrs-ev.de/forum/viewtopic.php?p=2345#2345

- Stolz-Schulbuchverlag: Offener Brief an den Verband der Schulbuchverlage - www.vrs-ev.de/forum/viewtopic.php?t=363

- Ickler: „Acht Jahre des Lügens“ - www.vrs-ev.de/forum/viewtopic.php?p=2607#2607

- Ickler: Verband der Schulbuchverlage als Drahtzieher? - www.vrs-ev.de/forum/viewtopic.php?p=2658#2658

Dabei ist zu berücksichtigen, daß auch die Zeitungsverlage oft zugleich Buchverlage sind und daß größere Zeitungskonzerne untereinander finanziell verflochten sind. Diese Verflochtenheit ist ein Grund dafür, daß der SPIEGEL und die Süddeutsche Zeitung sich nicht an ihre Ankündigung halten, zusammen mit dem Springer-Konzern umzukehren.

„Begrenzter Untertanenverstand“ ist natürlich immer dann vorhanden, wenn man den Bürgern Informationen vorenthält. Diesen Vorwurf muß man der Presse machen. Sie war und ist parteiisch, weil sie eigene Interessen verfolgt. Siehe:

Zur Rolle der deutschen Medien - www.vrs-ev.de/forum/viewtopic.php?t=400 -.

Es gibt nur wenige Medien, die - wie die FAZ - finanziell unabhängig sind. Siehe hierzu die Liste der reformfreien Zeitungen und Zeitschriften: www.gutes-deutsch.de - und: www.vrs-ev.de/pm130903.php -.
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