Günter Schmickler
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: Freitag, 24. Sep. 2004 17:16 Titel: Davon geht das Abendland nicht unter |
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VER.DI PUBLIK, Ausgabe Oktober 2004
Buchrezension von Christian Stang
Duden – Die deutsche Rechtschreibung / Seit vielen Lesern die Flussschifffahrt mit drei s und drei f begegnet und das Känguru ohne h unterwegs ist, sehen sie sich gezwungen, wieder einen Blick ins Wörterbuch zu werfen. Was liegt da näher, als den millionenfach bewährten Duden zu Rate – oder etwa doch: zurate – zu ziehen? Seit August liegt dieses Standardwerk, das es übrigens seit fast 125 Jahren gibt, in der neuesten Auflage vor – immerhin der 23.
Während sich die Befürworter und Gegner der Rechtschreibreform aufs Neue heftige Gefechte liefern, zeigt der Duden, dass jetzt oftmals zwei Schreibvarianten korrekt sind. Was übrigens auch für das oben erwähnte zu Rate/ zurate gilt. Das ist nicht schlimm, sondern allenfalls gewöhnungsbedürftig. Auch droht mit der Rechtschreibreform nicht der Untergang des Abendlandes, es sei denn, man ist zu bequem, in ein Wörterbuch zu blicken.
Denn gerade in Zeiten des orthografischen Umbruchs ist es wichtig, einen Helfer zur Hand zu haben, der die neue Rechtschreibung in der ab August 2005 in Schulen und Behörden gültigen Form umsetzt. Dabei macht es der neue Duden Ratsuchenden so einfach wie möglich: Alle neuen Schreibungen und Trennungen werden in roter Schriftfarbe markiert. So ist auf einen Blick zu sehen, was sich geändert hat.
Und das ist nicht wenig: Unter den 125 000 Stichwörtern auf 1 156 Seiten finden sich 5 000 neue Wörter von A wie Alcopops über D wie Dosenpfand oder P wie PISA bis zu Z wie Zickenalarm. Selbstverständlich ist auch der Frühbucherrabatt der Deutschen Bahn, der Infobrief der Deutschen Post und die Lkw-Maut vertreten. Wie die Beispiele zeigen, verzeichnet die Duden-Neuauflage Wörter, die seit seinem letzten Erscheinen in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen sind. Auch vor den in der Bevölkerung heftig umstrittenen Anglizismen wird nicht Halt gemacht. Neben den erwähnten Alcopops hat das Nordic Walking, die Pay-back-Karte und das Slowfood den Sprung in den Duden geschafft. Ob man das nun gut findet oder nicht, sei dahingestellt, es zeigt jedenfalls, wie wandlungsfähig Sprache ist.
Neben dem gründlich überarbeiteten Wörterbuchteil bietet der neue Duden viele Extras: Eine Gegenüberstellung der wichtigsten „reformierten“ Wörter von A bis Z, eine Sonderseite mit den aktuellen Regelmodifizierungen vom Juni 2004 und das Regelverzeichnis der Dudenredaktion erleichtern den Einstieg in die neue Rechtschreibung.
Auch die Hinweise zur Textverarbeitung werden vielen Nutzern gute Dienste erweisen.
Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus 2004, 23. Auflage, 1 156 S., 20 €; auch als CD-ROM für alle gängigen Betriebssysteme erhältlich
Für Freunde der Spracherneuerung verlosen wir fünf Exemplare inkl. CD-ROM, Stichwort: Flussschifffahrt!
Anmerkungen:
Der Rezensent hebt als besondere Errungenschaft des neuen Duden die „Schreibvarianten“ hervor. Auch in der herkömmlichen Rechtschreibung gibt es manchmal die Wahl zwischen zwei unterschiedlichen Schreibweisen. Ich schreibe und schrieb beispielsweise gewohnheitsmäßig „anhand“. Einmal hatte eine Sekretärin nach meinem Diktat „an Hand“ geschrieben. Als ich dies korrigieren wollte, hielt sie mir triumphierend den Duden entgegen: Sie konnte mir nachweisen, daß auch die von ihr gewählte Schreibweise zulässig und sogar die gebräuchlichere war. Freilich ist die Zahl derartiger Varianten, so irritierend sie im Einzelfall auch sein mögen, in der herkömmlichen Orthographie durchaus überschaubar. Sie sind das unvermeidliche Ergebnis einer natürlichen Sprachentwicklung: Die Zusammenschreibung bislang getrennt geschriebener Wortverbindungen beginnt Platz zu greifen, kann sich aber noch nicht allgemein durchsetzen, so daß während einer „Übergangszeit“ zwei Schreibweisen gleicher Bedeutung miteinander konkurrieren.
In der reformierten Rechtschreibung aber gibt es eine kaum noch überschaubare Zahl von Varianten, die mitnichten aus der Sprachentwicklung zu erklären sind, sondern von den Reformern künstlich kreiert wurden oder sich aus Regeln ergeben haben, die nicht zu Ende gedacht sind und folglich nicht zu eindeutigen Ergebnissen führen können. Beispielsweise gibt es in der herkömmlichen Orthographie eine sinnvolle und leichtverständliche Antwort auf die Frage, wann das vor einem Partizip stehende Substantiv seine Selbständigkeit behält (groß und getrennt) und wann es Teil einer Zusammensetzung (klein und zusammen) wird: Blumen pflückende Kinder (vorübergehende Tätigkeit), fleischfressende Pflanzen (Eigenschaft).
Dank der Reform gibt es nun völlig überflüssige Varianten zuhauf: Platz sparend/ platzsparend, Zeit raubend/ zeitraubend, Blut stillend/ blutstillend- um nur einige zu nennen. Einige der neuen „Freiheiten“ haben die Reformer zähneknirschend eingeräumt, weil sie grammatisch falsche Schreibungen nicht als alleingültig durchsetzen konnten, aber aus Eitelkeit auch nicht zurücknehmen wollten. So haben wir jetzt die Wahl zwischen „Es tut uns Leid“ und „Es tut uns leid“. Völlig überflüssig sind auch Varianten wie aufwendig/ aufwändig, Alptraum/ Albtraum oder Spaghetti/ Spagetti. Grundsätzlich stellen Varianten keinerlei Erleichterung für den Schreiber dar. Im Einzelfall mag er Glück haben, wenn er zu bequem ist, in einem Wörterbuch nachzuschlagen. Schon im nächsten Zweifelsfall aber kann er danebengreifen, weil die „Großzügigkeit“ der Regelmacher nicht berechenbar ist. So muß jeder, der im Sinne der Reform korrekt schreiben will oder muß, sich entweder eine Unzahl der neuen „Freiheiten“ im Kopf einprägen oder häufiger als je zuvor ein Wörterbuch zu Rate ziehen. Kann dies im Sinne einer Reform sein, deren erklärter Zweck es doch war, insbesondere den Schülern das Schreiben zu erleichtern?
Für den Rezensenten Christian Stang, sind die Beliebigkeiten der Reform „nicht schlimm, allenfalls gewöhnungsbedürftig“. Sodann bedient er sich der abgedroschensten aller abgedroschenen Phrasen: „Davon geht das Abendland nicht unter!“. Dieses „Argument“ hörte ich zum erstenmal vor acht Jahren, nachdem ich eine Lehrerin mit viel Mühe und Geduld zu der Einsicht gebracht hatte, daß es keinen groß geschriebenen „Spinnefeind“ geben kann. Ich weiß nicht, wie oft ich es danach noch hören oder lesen mußte: „Aber bitte (neudeutsch meist: „bötte“), davon geht doch .......“. Auf diese Ausrede scheint mir zuzutreffen, was Rainer Kunze in seinem Buch „Die Aura der Wörter“ über ein anderes „reformbefürwortendes“ Argument geschrieben hat: „Dem können sich selbst Fische nicht entziehen, es ist ununterschwimmbar!“
Den abschließenden Hinweis auf die Verlosung von 5 Exemplaren des neusten Duden für „Freunde der Spracherneuerung“ habe ich als netten Scherz aufgefaßt. Kurioserweise fehlt die Angabe, an wen und innerhalb welcher Frist man das Stichwort abschicken kann. Aber ich gehöre ja ohnehin kaum zu den „Freunden“, denen eine Gewinnchance zugedacht ist. Gleichwohl finde ich das genannte „Stichwort“ bemerkenswert: Flussschifffahrt – wer ausgerechnet eines der greulichsten (neu: gräulichsten) aller Wortmonster, die von den Reformern kreiert wurden, für Werbezwecke ausgewählt hat, der muß schon über einen bewundernswerten Humor verfügen. Wer obendrein noch den Mut aufbringt, die Rechtschreibreform als „Spracherneuerung“ zu verkaufen – der hat wahrlich einen „Orden wider den tierischen Ernst“ verdient.
Günter Schmickler |
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