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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Mittwoch, 06. Okt. 2004 22:49 Titel: Syker Kreiszeitung |
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Serie zum fünfjährigen Bestehen der neuen Rechtschreibung
Syker Kreiszeitung 29. Juli bis 1. August 2003
Syke (joh*) • Die neue Rechtschreibung feiert heute Geburtstag. Vor fünf Jahren, am 1. August 1998, wurde sie von Sachverständigen aus unterschiedlichen Bereichen des Sprach- und Schreibwesens offiziell ins Leben gerufen. Was folgte, war ein zähes Ringen um ihre Legitimation. Die Initiatoren lieferten sich einen erbitterten Streit mit Reformgegnern. Und auch heute noch möchte nicht jeder dem Geburtstagskind gratulieren. Wir haben Experten, die in unterschiedlichen Funktionen an dieser hitzigen Diskussion teilgenommen haben, gefragt: Wie beurteilen Sie den Verlauf des fünf Jahre währenden „Praxistests“?
* „Johannes Bruggaier gehört zu den wenigen Journalisten, die sich die Mühe machen, zu den Quellen zu gehen.“ Manfred Riebe in der Syker Kreiszeitung, 16. 8. 2003
Goebbels und das Doppel-S
Teil 1: Der Reformgegner Manfred Riebe
Wenn Manfred Riebe seine Beobachtungen der vergangenen sieben Jahre beschreibt, klingt es, als berichte er von einem Martyrium. Immer mehr erschreckende Details hätten sich den Reformkritikern in den neuen Wörterbüchern offenbart, sagt der Deutschlehrer, der seit 1997 Vorsitzender des „Vereins für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege e.V.“ (VRS) war und seit 2001 den Posten des zweiten Vorsitzenden bekleidet.
„Da schreiben die Zeitungsredakteure nur noch das kakophone Wort ‚selbstständig‘ statt ‚selbständig‘. Die normale Schreibweise ist aber auch weiterhin die bisherige traditionelle Schreibweise.“ So komme es, dass der „Bund der Selbständigen“ in der Presse konsequent falsch geschrieben werde: „Denn die haben ihren alten Namen völlig regelkonform behalten.“ Auslöser dieses Problems ist nach Ansicht Riebes der Variantenreichtum der neuen Regeln. „Das verstößt gegen das pädagogische Prinzip der Eindeutigkeit und stört die Sicherheit in der Rechtschreibung.“ Die Sicherheit in der Rechtschreibung: Gerade das gilt als Hauptmotiv der Reformbefürworter. Ist es nicht von Vorteil, dass zwischen „Fahrrad fahren“ und „Auto fahren“ kein Unterschied mehr besteht? „Den Unterschied zwischen Rad fahren und radfahren gab es doch schon vorher nicht“, sagt Riebe: Schließlich hätten Experten nachgewiesen, dass auch in der herkömmlichen Rechtschreibung sowohl ‚radfahren‘ als auch ‚Radfahren‘ erlaubt war. Dass manch ein Lehrer solche Möglichkeiten nicht erkannt habe, dürfe man nicht der traditionellen Rechtschreibung anlasten.
Mit seinen Vorwürfen gegen die Reformbetreiber ist der Nürnberger Oberstudienrat und Diplom-Kaufmann nicht zimperlich. So erinnere die Eindeutschung von Fremdwörtern und die Ersetzung des ß durch ss an die Rechtschreibreform des Dritten Reiches.
Das Eszett sei - womöglich aus ideologischen Gründen - bereits im amtlichen Schriftverkehr der NS-Regierung und der NS-Organisationen generell durch Doppel-s ersetzt worden und habe vermutlich an die alles kontrollierende Schutzstaffel erinnern sollen. 1944 aber habe selbst Propagandaminister Joseph Goebbels die NS-Rechtschreibreform als „toll und ungebildet“ bezeichnet: „Und das ist nun nach dem Willen der Reformer, Kultusminister und ihrer Verlags-Lobby Wirklichkeit geworden.“ Die Reformer und die Kultusminister hätten die braune Vergangenheit der Rechtschreibreform verdrängt und nirgends erwähnt. Lediglich der bayerische Kultusminister Hans Zehetmair habe 1995 die Reform mit einem Hinweis auf germanisierte Schreibweisen („Apoteke“, „Asfalt“) gestoppt: „Daraufhin musste der bereits gedruckte Reform-Duden eingestampft werden.“
Abfinden will sich der VRS mit der neue Schreibweise freilich nicht. „Die neue Rechtschreibung wird sich nicht durchsetzen“, glaubt Riebe.
Interview von (joh), d.i. Johannes Bruggaier. In: Syker Kreiszeitung vom 29. Juli 2003, S. 14 (Goebbels-Stichwort: „Toll und ungebildet“)
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Zugeständnisse an das Volk
Teil 2: Werner Scholze-Stubenrecht, Duden-Reaktion
Als vor fünf Jahren die neue Rechtschreibung offiziell eingeführt wurde, war den Initiatoren nach Ansicht von Werner Scholze-Stubenrecht ein großer Fehler unterlaufen. Nicht die Trennung bestimmter Wortfügungen oder die Ersetzung von ß durch Doppel-s, stellte für den stellvertretenden Leiter der Duden-Redaktion das Problem dar. Nein, der Fehler habe vielmehr in einer schlechten Marketing-Strategie bestanden. „Als die alten Regeln noch galten, hatte es immer wieder Forderungen nach einer Vereinfachung der Rechtschreibung gegeben. Deshalb dachten die Reformer, ihr Konzept werde freudig begrüßt, es bedürfe also keiner besonderen Vorbereitung.“
Diese Annahme aber sollte sich nur allzu bald als falsch herausstellen, und so sehen sich die Befürworter bis heute den Angriffen der Reformgegner ausgesetzt. Für Werner Scholze-Stubenrecht ist das ein gutes Zeichen: „Immerhin beweist das doch, dass sich die Leute Gedanken um ihre Sprache machen.“ Erfreulich ist der große Streit nach dem Geschmack von Scholze-Stubenrecht allerdings nur in Grenzen: „Viele, die sich gegen die Reform wehren, sind selbst nicht genügend über sie informiert. Ich habe schon Briefe erhalten, in denen sich Leute darüber beklagen, dass das ß nun ganz abgeschafft werde. Dabei stimmt das natürlich überhaupt nicht.“ Mit dem Sträuben der deutschen Schriftsteller hingegen könne er gut leben. Denn individuelle Schreibweisen habe es in der Dichtung bereits vor der Reform gegeben. „Arno Schmidt hatte seit jeher seine ganz eigene Orthografie, und Günther Grass schrieb auch nicht immer nach den Regeln des Duden. Das war und ist sein gutes Recht.“
Wie ist denn nun aber die neue Rechtschreibung? Gut, urteilt der Duden-Chef, wenig überraschend. Aber: Einwandfrei seien selbstverständlich auch die neuen Regeln nicht.
So kann auch er nicht leugnen, dass der Unterschied zwischen „Rad fahren“ und „Schlafwandeln“ schwer zu erkennen ist. Lediglich im „verblassten“ Charakter des Substantivs „Schlaf“ sei die Begründung für die Zusammenschreibung des Wortes zu finden, erklärt Scholze-Stubenrecht: eine Kategorisierung, bei der sich die Macher ebenso von bereits eingefahrenen Schreibweisen leiten ließen, wie dies bei der Entscheidung für „Eltern“ der Fall war (eigentlich: „Ältern“ von „Alt“). Sind derartige Zugeständnisse an die Bevölkerung zu Ungunsten der Konsequenz legitim? Durchaus, meint Scholze-Stubenrecht. Ich habe seit über 25 Jahren mit Rechtschreibung zu tun. Da lernt man, dass dieses Thema sehr schwierig ist. Mehr als schrittweise kleine Verbesserungen konnte ich daher nicht erwarten.“
Und die immerhin, sagt Scholze-Stubenrecht, seien nicht zu übersehen: „Wir haben seit einigen Jahren ein Übungsbuch zur Groß- und Kleinschreibung herausgegeben. Bei der neuen Auflage nach der Rechtschreibreform konnten wir 20 Seiten weglassen, weil sie überflüssig geworden waren.“
Syker Kreiszeitung vom 30. Juli 2003, S. 32 (Stichwort: „Viele sind nicht informiert“)
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Sprachpflege statt Regeln
Teil 3: Professor Horst H. Munske, Ex-Kommissionsmitglied
Könnte Prof. Dr. Horst Haider Munske noch einmal von vorne beginnen, er würde wohl vieles anders machen. Schließlich war er es, der die Einsetzung einer zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung gefordert hatte. Und er war es auch, der von 1987 an in eben dieser Kommission an der Reform gearbeitet hatte.
Als der Erlanger Professor für germanische und deutsche Sprachwissenschaft 1996 die Brocken hinwarf und seinen Rücktritt aus dem Gremium erkläre, war es zu spät: Der von ihm selbst in Fahrt gesetzte Zug fuhr unaufhaltsam weiter - seiner Ansicht nach auf einem falschen Gleis. „So wie sich die Rechtschreibreform heute darstellt, hat sie die Note Mangelhaft verdient“, sagt Munske. „Vor allem die Groß- und Kleinschreibung, aber auch die Getrennt- und Zusammenschreibung haben nach wie vor erhebliche Mängel.“
Bei all diesen Zweifeln muss es erstaunen, dass der Germanist sich seinerzeit überhaupt bereit erklärt hatte, an dem Reformvorhaben mitzuwirken. „Ich wurde mit einem ethischen Argument gefangen“, erklärt Munske. „Dieses Argument hieß: Wir wollen den Kindern helfen."Dass die Reform nicht allein den Kindern, sondern einer großen Sprachgemeinschaft gelten würde, habe man damals einfach verkannt. Für ein differenziertes Meinungsbild sei schließlich die Kommission selbst zu einseitig besetzt gewesen. „In dem Gremium saßen nur Befürworter der Reform“, berichtet Munske. „Niemand erkannte, dass auch das beharrende Element - das meistens von Autoren, Professoren oder auch Journalisten getragen wird - in einer Sprache von großer Bedeutung ist.“ Bedingt durch diese Einseitigkeit fehle der Reform nun der Rückhalt in der Bevölkerung. Vereinfachung, so Munske, sei gut und schön, aber nur dann, wenn die Schreibenden sie auch mitmachen.
Statt einer Reform schlägt der Sprachwissenschaftler deshalb eine „Pflege“ vor. „Wir sollten die Entwicklung beobachten und eventuell! auftretenden Vereinfachungstendenzen Rechnung tragen: Wenn man Telefon heute mit f schreibt statt mit ph, dann muss man das auch in die ‚Wörterbücher eintragen.“ Und wer soll eine derartige „Pflege“ vornehmen? „Ein staatlicher Sprachrat“, sagt Munske: „Den gibt es in Frankreich, den Niederlanden oder Skandinavien - nur in Deutschland nicht.“ Finanziert vom Staat spreche ein solches unabhängiges Gremium Empfehlungen aus, die einer Verbesserung der Sprachkultur dienen. Deutschland könne diese Tradition nicht vorweisen: „Nach der Fremdwortdebatte im 19. Jahrhundert und der Deutschtümelei in der Nazizeit gibt es hier eine verständliche Aversion gegen alles, was mit Sprachpflege zu tun hat.“
Der gegenwärtigen Kommission sagt Munske das Scheitern ihrer Reform voraus: „Wir werden zur alten Rechtschreibung zurückkehren. Allerdings nicht von jetzt auf gleich, sondern in kleinen Schritten: damit es niemand merkt.“
Syker Kreiszeitung vom 31. Juli 2003, S. 16 (Kultur) (Stichwort: „Note Mangelhaft“)
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Im Gestrüpp der Wörter
Teil 4: Der Lehrerausbilder Hans Heinrich Rogge
Heute kann sich Hans Heinrich Rogge über Diskussionen um alte oder neue Rechtschreibung nur noch amüsieren. „In den Schulen ist die neue Rechtschreibung doch längst selbstverständlich“, sagt der ehemalige Hauptseminarleiter im Bremer Landesinstitut für Schule (LIS).
Damals, als es ernst wurde mit der Umstellung, war Rogge für die Lehrerausbildung im Fachbereich Deutsch zuständig. Und damals, sagte er, habe es tatsächlich unter manchen Lehrern Ablehnung gegen die neuen Regeln gegeben. „Das ist jetzt aber vorbei. Und zwar vor allem deshalb, weil die Schulbuchverlage die Reform konsequent umgesetzt haben.“
Und was ist nun das Ergebnis? Begehen die Schüler weniger Fehler, wie die Rechtschreibkommission seinerzeit vorhersagte? Eben weil die neue Rechtschreibung in den Schulen kein Gesprächsthema mehr sei, führe man auch nicht Statistiken über derartige Fragen, antwortet Rogge. Die Vereinfachungen seien aber offensichtlich: „Nehmen wir nur die Infinitiv-Konstruktionen. Bei denen mussten die Schüler früher konsequent ein Komma setzen, es sei denn, es handelte sich um einen unbekleideten Infinitiv. Heute kann ein Schüler das Komma setzen, wenn er glaubt, dass er sich damit klarer ausdrücken kann. Er muss es aber nicht tun.“ Mit dieser Argumentation handelt sich Rogge freilich den Vorwurf der Reformgegner ein. Die argumentieren, der Wegfall starrer Regeln gleiche dem Abbau von Halteverbotsschildern im Straßenverkehr. Hier wie dort sei eine Verringerung von Regelverstößen die Folge, hier wie dort werde dadurch Schaden angerichtet. Doch Rogge hält dagegen: „Die Festlegungen in der alten Rechtschreibung waren doch überflüssig. Deshalb gehören sie abgeschafft. Schließlich müssen auch im Straßenverkehr überflüssige Schilder abmontiert werden.“ Der mittlerweile pensionierte Lehrerausbilder zieht sogar politische Metaphern für seine Argumentation heran: „Die Steuerreform, sagt er, solle von jedermann beherrscht werden können, nicht allein von wenigen Experten. Deshalb müsse man sie vereinfachen. Auch die Beherrschung der Rechtschreibung dürfe sich nicht auf eine Elite beschränken. Deshalb sei sie vereinfacht worden.
Aber ist sie das wirklich? Wie sieht es denn mit den Regeln für Worttrennungen aus, die aus eislaufen Eis laufen machen, es aber bei schlafwandeln belassen? Rogge winkt ab: „Wenn Sie einen Garten nie aufgeräumt haben und ihn dann einmal umgraben, dann ist er natürlich noch nicht unkrautfrei.“ Seit Jahrhunderten, sagt der Pädagoge, habe man den Garten der deutschen Zusammen- und Getrenntschreibung nicht beackert. Selbst die von Konrad Duden 1902 geführte Reform habe dieses Gestrüpp ausgelassen.
Diesen Worten nach zu urteilen, ist wohl noch manche weitere „Umgrabung“ der Rechtschreibung zu erwarten. Schließlich ist Wildwuchs deutschen Gartenliebhabern ein Graus.
Syker Kreiszeitung vom 1. August 2003, S. 8
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Was ist Popo-per?
Leserbrief von Karin Kahlert
Karin Kahlert aus Hamburg kommentiert unsere Serie zum fünfjährigen Bestehen der neuen Rechtschreibung (29. Juli bis 1. August) - mit der Bitte, die herkömmliche Rechtschreibung beizubehalten:
Herr Hans Heinrich Rogge, pensionierter Lehrerausbilder, scheint sich mit der Reform nicht gründlich genug befasst zu haben, sonst müßte er eine kritischere Haltung haben. Gewiß, er ist als Staatsdiener zur Loyalität verpflichtet, jetzt aber, als Ruheständler, durfte er etwas mutiger sein. Durch das Auseinanderreißen vieler Eigenschaftswörter oder gar eine Verwandlung in Partizip-Präsens-Konstruktionen sind diese oft sinnwidrig und absurd.
Nun zum ersten Beispiel „blau lackierte“ Wand. Diese Schreibweise war früher möglich, aber man beschränkte sie darauf, daß nicht etwa die „gelb lackierte“ gemeint ist. Also, wenn man etwas besonders herausstellen wollte, dann trennte man, aber nur dann. Sonst gilt „blaulackierte“ Wand. Aus dem „laubtragenden Baum“ (Gattungsbegriff) wurde ein „Laub tragender Baum“. Da dieses Konstrukt den Moment bezeichnet, kann man diese Schreibung nicht für Gattungsbegriffe verwenden. Stellen Sie sich Botaniker vor, die ihren Studenten im Winter einen Baum zeigen, der kahl ist und ihn beschreiben müssen als „Laub tragenden Baum“.
Früher hatten wir „wohlverdient“ und „wohl verdient“. Jetzt gibt es nur noch „wohl verdient“. Das aber bedeutet er/sie/es hat es wohl im Sinne von „vielleicht“, „möglicherweise“ verdient. Die sogenannten neuen Regeln sind ein Rückschritt und sind auf Schreibungen zurückzuführen, die vor mehr als zweihundert Jahren üblich waren. Dasselbe gilt für Verbindungen mit „hoch-“. Mal getrennt, mal zusammen. Und wenn das Adverb „mal“ in jedem Fall als Nomen dargestellt wird, kann dies auch für Erheiterung sorgen. So läse sich folgender Neuschrieb-Satz: „Er hat ein Mal geküsst“. Ja, was denn nun? Hat er nur einmal geküßt - oder ein (steinernes) Mal? Und die Trennungen sorgen für Rätsel und für manchen Lacher. Raten Sie mal, was „Popo-per“ ist? Richtig, ich mußte auch erst einmal rätseln, dann habe ich lachen müssen. Das ist die mögliche Trennung von „Pop-oper“.
Derlei Lächerlichkeiten finden sich in dem Reformwerk zuhauf. Kein Wunder, daß dieses nicht akzeptiert wird, da kann Herr Rogge noch so viel schönreden! Und wie ist es mit dem Lautzeichen „Eszett“? Das stellt eine Kompositionsfuge dar, die eine Klangfarbe hat, die nicht durch Doppel-S zu rechtfertigen ist. Außerdem führt die sogenannte neue Schreibung zu einem Gefühl des Unbehaustseins. Ergebnis: Die Leute lesen weniger. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels hat festgestellt, dass allein aufgrund der neuen Schreibung der Buchumsatz um 18 Prozent gesunken ist. Zeitungen sollten sich diese Zahlen vor Augen führen. Die Leseunlust ist auch auf die häßliche Neuschreibung zurückzuführen.
Syker Kreiszeitung vom 16. August 2003
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Manfred Riebe, OStR i.R. ....................................................................1. August 2003
Max-Reger-Str. 99
D-90571 Schwaig bei Nürnberg
Tel. (0911) 50 08 25
Herrn
Johannes Bruggaier
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Am Ristedter Weg 17
28857 Syke
Leserbrief zu Hans Heinrich Rogge: Im Gestrüpp der Wörter. Serie zum fünfjährigen Bestehen der neuen Rechtschreibung / Teil 4: Der Lehrerausbilder Hans Heinrich Rogge. Interview von (joh), d.i. Johannes Bruggaier. In: Kreiszeitung vom 01.08.2003, S. 8 - Authentischer Abdruck erbeten!
Sehr geehrter Herr Bruggaier,
ich schreibe oben: „Authentischer Abdruck erbeten!“ Man würde den Leserbrief eines Reformkritikers verhunzen, wenn man ihn den Neuschrieb umfälschte. Ich weise auf das Urheberrecht hin.
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Qualitätskontrolle der „Rechtschreibreform“ ergibt die Note „mangelhaft“
Johannes Bruggaier gehört zu den wenigen Journalisten, die sich die Mühe machen, zu den Quellen zu gehen. Danach urteilte das Ex-Kommissionsmitglied Professor Munske: „Die Rechtschreibreform hat die Note 'mangelhaft' verdient.“ Dagegen amüsiert sich Lehrerausbilder Hans Heinrich Rogge: Die neue Rechtschreibung sei in den Schulen kein Gesprächsthema, daher führe man keine Fehlerstatistiken, die Vereinfachungen seien offensichtlich.
Aber mehr als die zweifelhafte Kommasetzung kann Rogge nicht als Vereinfachung anführen. Lehrerausbilder wie Rogge spielen sich als Oberpädagogen auf, aber versäumen verantwortungslos wie die „Reformer“ eine Qualitätskontrolle der „Rechtschreibreform“ und erzählen daher Märchen. Dagegen deckte die Initiative „Wir Lehrer gegen die Rechtschreibreform“ in der Netzseite www.raytec.de/rechtschreibreform/ schon im Frühjahr 1997 das 50-Prozent-weniger-Fehler-Märchen auf, mit dem die Kultusminister noch 1998 hausieren gingen. Studiendirektoren der Lehrerinitiative werteten Schulaufgaben statistisch aus und stellten immer wieder einen Fehleranstieg infolge der „Rechtschreibreform“ fest.
Rogge behauptet obendrein, die Zusammen- und Getrenntschreibung sei seit Jahrhunderten nicht beackert worden. Richtig ist dagegen, daß der Duden den Sprachgebrauch seit 1901 ziemlich genau und weitgehend nachvollziehbar aufzeichnete (deskriptive Methode). Die Reformer hingegen „beackerten“ das Feld, indem sie völlig willkürlich Regeln entgegen dem Schreibgebrauch konstruierten (präskriptive Methode), so daß die „Reformer“ selber im Januar 1998 ihren Unsinn korrigieren wollten. Aber die noch unfähigeren Kultusminister ließen es nicht zu.
Angesichts des durch die „Reform“ entstandenen „Gestrüpps“ der Beliebigkeitsschreibung ist es ein Hohn, wenn Rogge von einer „Beherrschung der Rechtschreibung“ spricht. Beliebigkeitsschreibung ist der auch in den gleichgeschalteten Zeitungen sichtbare Mischmasch aus herkömmlichen, „neuen“ und individuellen, aber falschen Schreibweisen. Das große Werk Konrad Dudens, die einheitliche Rechtschreibung, wird zerstört. Johannes Bruggaier hat recht: Der „Wildwuchs“ der neuen Beliebigkeitsschreibung ist deutschen Gartenliebhabern ein Graus.
Mit freundlichen Grüßen
Manfred Riebe, OStR i.R., Dipl.-Kfm.
Vorstandsmitglied und Pressesprecher des VRS
Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege e.V. - www.vrs-ev.de
Max-Reger-Str. 99
90571 Schwaig bei Nürnberg
„Es ist nie zu spät, Natur-, Kultur- und Sprachzerstörung, Entdemokratisierung, Korruption und Steuerverschwendung zu stoppen!“ (VRS)
Zuletzt bearbeitet von Manfred Riebe am Freitag, 18. Feb. 2005 07:15, insgesamt 2mal bearbeitet |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Freitag, 18. Feb. 2005 07:08 Titel: Schrittweise kleine Verbesserungen oder ein mutiger Schritt |
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Schrittweise kleine Verbesserungen oder ein mutiger Schritt
KOMMENTAR
Zwischenbilanz zum Weiterdenken
Manfred Riebes Lob für Johannes Bruggaiers Artikelserie zum Jahrestag der Rechtschreibreform [1] ist eher zu verhalten ausgefallen. Was die Zeitungsleser in der Grafschaft Hoya über das gegenwärtige Dilemma erfuhren, hätte wirklich weiteste Verbreitung verdient. Die vier meisterhaft gestalteten Skizzen vermitteln nicht nur ein plastisches Bild der widerstreitenden Argumente, sondern machen auch deutlich, daß die Auseinandersetzung über die Sache hinaus ein Konflikt zwischen eigenwilligen Persönlichkeiten ist. Mitten unter ihnen steht Bruggaier selbst: Er versteckt seinen unabhängigen Standpunkt keineswegs.
Diese Zwischenbilanz regt zum Weiterdenken an, und die sollte von einem Faktum ausgehen, das auch im achten Jahr der Rechtschreibreform von beiden Seiten ignoriert wird. Immerhin schrieb schon im April 1997 Frau Böhrs vom Kieler Kultusministerium:
Was in der öffentlichen Diskussion leider übersehen wird, ist die Tatsache, dass die Perspektiven, unter denen man das System der deutschen Orthographie betrachten kann, zu verschiedenen Schlussfolgerungen führen müssen. Eindeutigkeit, Einfachheit und Widerspruchslosigkeit im wissenschaftlichen Sinne waren und sind schon deshalb nicht erreichbar, weil die Perspektive des Schreibens und die Perspektive des Lesens im Prinzip nicht kompatibel sind.
Gemeint ist folgendes: Je mehr Differenzierungen eine Rechtschreibung ermöglicht, um so leichter hat es der Leser. Für den Schreiber jedoch trifft eher das Gegenteil zu. Täuschen wir uns nicht: Die traditionelle deutsche Orthographie war und ist für „normale“ Schreiber zu schwer, was in der Vergangenheit keineswegs nur an ihrer unzulänglichen Darstellung im Duden lag. Charakteristischerweise befinden sich die Probleme fast ausschließlich in den beiden Bereichen, in denen sich unsere Rechtschreibung von den Gepflogenheiten in den Nachbarsprachen abhebt (Groß-/Kleinschreibung, Getrennt-/Zusammenschreibung).
Hier drängt sich die Möglichkeit einer differenzierenden Obligatorik geradezu auf. Ich bin der festen Überzeugung, daß es ohne die Anerkennung einer gestuften Orthographie zu keiner Überwindung des jetzigen Wirrwarrs kommen wird. Mit dieser Ansicht stehe ich keineswegs isoliert da. Kürzlich schrieb J.-M. Wagner auf diesen Seiten:
Wichtig ist dabei aber, daß allein der Unterschied zwischen einer Schulorthographie und einem darüber hinausgehenden Standard im Buchdruck nichts Negatives zu sein braucht; dies entspricht ja dem Zustand vor der Zusammenlegung des Volks- und des Buchdruckerdudens 1915. Das heutige Problem besteht darin, daß eben nicht einfach eine Untermenge der bestehenden Regeln zur Schulorthographie erklärt wurde, sondern daß durch die Neuregelung die Orthographie im Schulbereich allein im Hinblick auf die Schüler geändert wurde und daß dabei Fehler gemacht wurden, die zu unbrauchbaren Schreibungen führen.
„Schrittweise kleine Verbesserungen“ (Scholze-Stubenrecht), „damit es niemand merkt“ (Munske), werden nach 2005 nicht weiterhelfen. Jetzt gilt es einen mutigen Schritt zu tun - auf beiden Seiten des Streits.
30.8.2003 Professor Helmut Jochems, Uni Siegen
Nachrichtenseite von http://www.rechtschreibreform.com/
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[1] „Johannes Bruggaier gehört zu den wenigen Journalisten, die sich die Mühe machen, zu den Quellen zu gehen.“ Manfred Riebe in der Syker Kreiszeitung vom 16. August 2003 |
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