Warum faule Kompromisse?

[H. Richter]

Warum faule Kompromisse?

Die sog. Rechtschreibreform hat nicht nur zu wirren Schriftbildern, sondern – untrennbar damit verbunden – auch zu einer Verwirrung der Geister geführt. Hunderte durch die neue ss-Regel entstellte Schriftbilder wie Passersatz, Messergebnis, Missstand, schusssicher oder Schlussszene sind schwer lesbar und behindern die Sinnerfassung von Texten. Das können auch die Reformer nicht leugnen. Trotzdem wollen uneinsichtige Kultusminister, Ministerpräsidenten und manche Zeitungen auch bei einer Rücknahme der Reform das ß am Wort- und Silbenende nicht mehr verwendet wissen. Mit diesem sachfremden Zugeständnis will man den Kultusministern und Reformern helfen, ihr Gesicht zu wahren, das sie jedoch schon lange verloren haben. So soll also die unzweckmäßige neue ss-Regel - dieses lächerliche Wahrzeichen einer überflüssigen Reform - beibehalten werden. Ein solch fauler Kompromiß wird derzeit als Ei des Kolumbus gehandelt. Doch eine vollständige Rückkehr zur klassischen (richtigen) Rechtschreibung wäre erheblich einfacher, billiger und würde älteres Schriftgut nicht entwerten.

Mitleid mit den armen Schulkindern, die dann wieder umlernen müßten, ist pure Heuchelei; denn ein durchschnittlicher Schüler erlernt die bewährte kinderleichte Regel „ss am Schluß bringt Verdruß“ an einem Tag – und sogar mit Freude, weil er nun endlich so schreiben darf wie die Erwachsenen.

Hans-J. Richter, Immenreuth