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Professor Ernst Gottfried Mahrenholz

 
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Manfred Riebe



Registriert seit: 23.10.2002
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Beitrag: Samstag, 22. Jan. 2005 21:09    Titel: Professor Ernst Gottfried Mahrenholz Antworten mit Zitat

Schifffahrt tut not? Ein Sprachteilnehmer überlegt
Nicht der Staat verfügt über die Sprache
Ernst Gottfried Mahrenholz: Warum die Reform der deutschen Rechtschreibung einen zweiten Anlauf bräuchte

Daran werden wir später gern zurückdenken: Es gab ein Jahr lang einen vehementen Streit über unsere Schriftsprache, wie es sich gehört für Menschen, die kraft Vorworts zur amtlichen Regelung der Rechtschreibreform als „Sprachteilhaberinnen und Sprachteilhaber“ anerkannt sind. Fast ein Jahr lang eine literarische, hintergründige vordergründige engagierte Debatte. Die eigene Sprache ist keine Kleinigkeit. Auch nicht ihre Schreibweise. Nie haben aufmerksame Sprachteilhaber so viel aus den Leserbriefspalten gelernt, nie die wachen Sprachteilhaberinnen ihre Sinne für Echtes und Unechtes innerhalb der projektierten Schreibgestalt so schärfen können wie in diesen Monaten. Was fehlte, waren Ironie und Witz; Hoffnungen auf Leserbriefe deutschsprechender Briten trogen.

Aber nun ist es damit vorbei. Die Juristen haben das Wort. Sie dampfen die weitgefächerte Debatte der ersten Phase ein auf die Frage: Durften die Kultusminister (genauer: die Landesregierungen) oder durften sie nicht? Die Partie ist, wenn ich richtig gezählt habe, zur Zeit ausgeglichen, wenn man das Oberverwaltungsgericht Schleswig neben die erstinstanzlichen Gerichte stellt. Aber bis der geneigte Leser dies liest, könnte sie schon wieder anders stehen.

Bevor die Kompetenzfrage alles überwuchert, seien zwei vorausliegende Komplexe angeschnitten:

Der erste ist die Zusammensetzung des Gremiums, das die Rechtschreibreform erarbeitet hat. Nach einem Jahrhundert wird das amtliche Regelwerk, immer schon ein wenig fortgeschrieben, durch eine Neufassung ersetzt. Ist das eine Aufgabe nur für Linguisten? Oder gehören an den Tisch nicht auch Journalisten, die unter allen Berufsgruppen am meisten schreiben und gelesen werden? Kann man Schriftsteller übergehen? Verleger und Lektoren? Wie steht es mit Lehrern und wie mit Wissenschaftlern jenseits der philologischen Zunft?

Vielleicht wäre ein solches Gremium eher befähigt gewesen, das Akzeptanzproblem niemals aus dem Auge zu verlieren, philologische Arabesken zu vermeiden, die europäische Dimension in der Schreibweise von Fremdwörtern im Auge zu behalten, die herausfordernden Ridikülitäten zu vermeiden (Zierrat, Tollpatsch, „du“ - aber „Sie“). Ein solches Gremium hätte vielleicht auch noch den Unterschied zwischen „alles Mögliche“ und „alles mögliche“ gekannt.

Nicht einfach von oben verordnen

Der zweite Komplex ist die Beteiligung der Öffentlichkeit vor der endgültigen Beschlußfassung. Ob die Kultusministerkonferenz (KMK) davon ausgehen durfte, es habe genug öffentliche Beteiligung vor ihrer Beschlußfassung gegeben, darüber läßt sich streiten. Der KMK ist zuzugeben: Die öffentliche Debatte vor der Verabschiedung des Ganzen ist nicht völlig ohne Ergebnis geblieben. Über „Rytmus“ muß sich niemand mehr aufregen. Aber war das ganze Ausmaß der Änderungen vor der Beschlußfassung durch die Kultusministerkonferenz bekannt?

Über eins sollte nicht gestritten werden: daß so, wie die Situation jetzt aussieht, die Kultusminister gegen eine kritische Öffentlichkeit - mögen das nun Schriftsteller, Politiker, Wissenschaftler oder einfach nur Bürger sein- nicht nach der Devise verfahren können: „Der Worte sind genug gewechselt.“ Hier geht es eben nicht um eine Schulordnung, auch nicht um ein Gesetz, hier gilt nicht der Ausschluß von Einwendungen, weil man sie nicht rechtzeitig erhoben hatte, sondern hier gilt das Gewicht, das die Entscheidung über die schriftliche Kommunikation deutscher Sprache für alle hat. Dann laufen alle Hinweise, man habe genug Beteiligung ermöglicht, ins Leere.

Könnte es sein, daß die KMK eines nicht genug überlegt hat: daß es zwar zur Kompetenz der Kultusminister gehört, verbindlich den Schulen vorzugeben, was sie beim schriftlichen Gebrauch der deutschen Sprache als Fehler anzusehen haben und was nicht - aber dies nicht in einer von oben festzusetzenden Bandbreite gilt? Denn die Sprache ist weder als mündliche noch als schriftliche Verfügungsgut des Staates. Insofern gibt es kein Recht, über die Schule die Gesellschaft anzuleiten, wie sie richtig zu schreiben hat. Dies ist aber unausweichliche Folge der Änderung der zu lehrenden Schriftsprache an den Schulen. Denn der Duden schwenkt um. Natürlich behält der Bürger die Freiheit, etwa das „ß“ in seiner persönlichen Korrespondenz so zu gebrauchen wie bisher. Hat er sich aber in seinem Beruf zu äußern, muß er dudengerecht schreiben, und so wird er auch die Zeitung zu lesen bekommen. Das schon erwähnte Vorwort nennt dies liebenswürdig den „Vorbildcharakter“ des Regelwerks.

Minister rühren an Bürgerrecht

Also berührt, was die Kultusminister festsetzen, die Bürger in ihrem Bürgerrecht. Unsere Sprache hat eine Geschichte, in der sie eine bestimmte Gestalt gewonnen hat. Für die Menschen mit deutscher Muttersprache hat der Geist sich so und nicht anders niedergeschlagen. So ist die Sprache je zur eigenen Sprache geworden, in der der Mensch aufnimmt und sich mitteilt. Daß ich in der diesen Menschen geläufigen Sprachgestalt kommunizieren kann, ist Teil meiner Handlungsfreiheit, die der Artikel 2 des Grundgesetzes schützt.

Notwendigerweise haben die Minister aber eine Verantwortung dafür, daß das Erlernen der Rechtschreibung nicht unnötig erschwert wird. Und daraus ergibt sich eine der Sache nach schmale Marge, dort Fehlerquellen zu beseitigen, wo sie das Schriftgewand nicht beschädigen und nicht („alles mögliche, alles Mögliche“) den Ausdruck gedanklicher Nuancen unterbinden. So dürften die Freiräume und Alternativen, die in der Orthographie, in der Silbentrennung und in der Zeichensetzung neu eröffnet werden, vernünftig sein und verdienen Beifall - Ungereimtheiten ausgenommen. Ich sehe auch nicht, daß die wenigen Kommafreiräume das Leseverständnis, auf das bei der Interpunktion freilich alles ankommt, schwächen. Aber gerade dieses Feld ist für den, der viel liest, heikel; und für den, der Kommaregeln zu lehren hat, ist die bisherige Regelung vielleicht einfacher zu lehren.

In der Neuregelung der Daß-Schreibweise haben die Minister ihre Kompetenz überschritten. Hier hat die Kommission - und ihr folgend die Ministerriege sich so gesehen, als habe sie zwischen zwei möglichen Gebrauchsformen des „ß“ zu wählen. Es ging aber doch um die Wahl zwischen einer alten und bewährten Praxis und einem neuen Modell. Hier kann ein Eingriff, der die bisherige Funktion eines Buchstabens betrifft, eine Veränderung seines überlieferten „Ortes“, nicht aus der Kompetenz für Schulfragen gerechtfertigt werden. Und um es gleich zu sagen, dies kann auch kein Landtag (der Bundestag ohnehin nicht). Wo die Kultusminister ihr Recht verloren haben, haben die Landtage keins gewonnen. Im freiheitlichen Staat gibt es nicht die Totalität der Parlamentskompetenz. (Der einzige, der hier im neuen Jahrhundert eine „Kompetenz“ in Anspruch nehmen wird, dürfte Bill Gates sein; und zwar zu dem Zeitpunkt, zu dem er den deutschen Sprachraum in seine Abhängigkeit gebracht hat. Gefaßt erwarten zu diesem Zeitpunkt auch ä, ö und ü das Urteil über ihr Lebensrecht auf seinen Tastaturen.)

Die Etymogeleien der Kommission

Hierher gehören auch Abweichungen des Schriftbildes von der „Lautung“ (selbstständig als Alternative zu selbständig) und die Etymogeleien der Kommission: einbläuen (wegen der blauen Flecken?), quäntchen, schnäuzen, platzieren. Und was soll „behände“? Ist die Hand dem Wortsinne von behende noch so nahe? Die Kette der Ungereimtheiten ist lang, und nichts läßt darauf schließen, daß die Bildungsminister sich einen eigenen Standpunkt erarbeitet hätten.

Die Schriftgestalt einer Sprache ist ein dem Menschen Vertrautes, Achtenswertes. Es ist das sprachliche Kleid unserer Kultur. Sie ist nicht bloß Materie für eine zweite, verbesserte Auflage.

Sollte die vom Bundeskanzler angeregte Konferenz der Politiker sich nicht auf die Sache einlassen wollen, bleibt sie im Taktischen stecken. Denn dann wird nur überlegt, wie man die Aufregung vom Bundestag bis zum Deutschlehrer dämpft und auf diese Weise - mögliche! - Schadenersatzforderungen für die Verlage hintanhält. Das wäre dann das abenteuerlichste Ergebnis: Die Rechtschreibreform wird in Inhalt und Umfang durch die Schadensersatzregeln des bürgerlichen Rechts bestimmt. Wenn dies der Weg nicht ist, ist die einfachste und richtige Frage die: Ist die Rechtschreibreform notwendig und dringlich? Kann dies nicht plausibel bejaht werden, sollte man sie aussetzen, die Debatte aufarbeiten - nicht nur mit Linguisten! - und später entscheiden, wie ein zweiter Anlauf zu nehmen wäre. Bis dahin kann die Duden-Kommission in gewohnter Weise wirken.

Aber das ist wenig wahrscheinlich. Also ist von der Öffentlichkeit geltend zu machen, daß das Konzept noch einmal zu prüfen ist, vielleicht gar in einem Gremium, wie es oben skizziert wurde. In der gleichen Zeit könnten die Länder ihren Tribut der Wesentlichkeitslehre zollen, wonach im Schulbereich und nicht nur dort die wesentlichen Festlegungen vom Gesetzgeber zu treffen sind. Sie könnten durch einen Staatsvertrag, den die Landtage ratifizieren, die Kultusminister ermächtigen, eine Rechtschreibreform zu Beginn des nächstbereiten Schuljahres in Kraft zu setzen - im Rahmen etwa der beschriebenen Marge.

Denn in diesem Rahmen läßt sich die Rechtschreibreform ja als Vernünftiges halten.
_____________________

Der Autor war bis 1994 Vizepräsident des Karlsruher Bundesverfassungsgerichts und von 1974 bis 1976 Kultusminister von Niedersachsen.

Süddeutsche Zeitung Nr. 193 vom Samstag/Sonntag, 23./24. August 1997, S. 8
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Ministerialrat Albrecht Pohle, Gehrden: Von den Juristen ist nichts Gutes zu erwarten. In: Süddeutsche Zeitung Nr. 202 vom Mittwoch, 3. September 1997 - www.vrs-ev.de/forum/viewtopic.php?p=3091#3091


Zuletzt bearbeitet von Manfred Riebe am Sonntag, 23. Jan. 2005 12:42, insgesamt 2mal bearbeitet
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Manfred Riebe



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Beitrag: Samstag, 22. Jan. 2005 21:15    Titel: Ernst Gottfried Mahrenholz, Berufliches Antworten mit Zitat

Prof. Dr. Ernst Gottfried Mahrenholz, Berufliches
geb. 1929 in Göttingen
E-Mail: Mahrenholz@raplaw.de

Anwaltssozietät Reinert, Appy & Partner
Rechtsanwälte in der Bundesrepublik Deutschland
Steinhäuserstraße 17
76135 Karlsruhe
Telefon: 0721 - 982130
Telefax: 0721 - 9821399
E-Mail: lawyers@raplaw.de

seit 1994 zugelassen als Rechtsanwalt in Karlsruhe

Fachgebiete: Verfassungsrecht, Prozeßrecht, Medienrecht, Staatskirchenrecht, Parlamentsrecht

Sprachen: Deutsch, Englisch

Werdegang

1960-1965 Stationen in der Kommunal- und Staatsverwaltung, u. a. Mitglied der Verhandlungsdelegation zum Konkordat zwischen Niedersachsen und dem Vatikan.
1965-1970 Direktor des Funkhauses Hannover im Norddeutschen Rundfunk
1970-1974 Staatssekretär und Chef der Niedersächsischen Staatskanzlei
1974-1976 Niedersächsischer Kultusminister
1976-1981 Abgeordneter des Niedersächsischen Landtages
1981-1994 Richter am Bundesverfassungsgericht, ab 1987 Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts
seit 1991 Professor an der Juristischen Fakultät der Universität Frankfurt

Publikationen
- Alternativ-Kommentar zum Grundgesetz, 3. Auflage 2000 (Co-Autor). ·
- Handbuch des Verfassungsrechts (Co-Autor), Hrsg. Benda/Mailhofer/Vogel, 1990.
- Die Kirche in der Gesellschaft, 2. Auflage, 1971. ·
- Abhandlungen zum Bundesverfassungsgericht, zum Verfassungsrecht und Staatskirchenrecht.

- Präsident der Deutsch-Israelischen Juristenvereinigung
- Präsidiumsmitglied der Deutschen Sektion der internationalen Juristenkommission
- Vorstandsmitglied der Gottfried-Wilhelm-Leibniz Gesellschaft

www.raplaw.de/de/anwalt/mahrenholz.html
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Artikel über die sogenannte Rechtschreibreform (Auswahl)

- Mahrenholz, Ernst Gottfried: Schifffahrt tut not? Ein Sprachteilnehmer überlegt – Nicht der Staat verfügt über die Sprache. Ernst Gottfried Mahrenholz: Warum die Reform der deutschen Rechtschreibung einen zweiten Anlauf bräuchte. In: Süddeutsche Zeitung Nr. 193 vom Samstag/Sonntag, 23./24. August 1997, S. 8 - www.vrs-ev.de/forum/viewtopic.php?p=3094#3094

- Pohle, Albrecht: Von den Juristen ist nichts Gutes zu erwarten. In: Süddeutsche Zeitung Nr. 202 vom Mittwoch, 3. September 1997 - www.vrs-ev.de/forum/viewtopic.php?p=3091#3091

- Mahrenholz, Ernst Gottfried: Staat darf Schreibweisen nicht durch andere ersetzen. In: Süddeutsche Zeitung Nr. 211 vom Samstag/Sonntag, 13./14. September 1997, S. 11 - www.vrs-ev.de/forum/viewtopic.php?p=3093#3093

- Mahrenholz, Ernst Gottfried: Der Kulturstaat — nur eine Ländersache? Heute wird Julian Nida-Rümelin Staatsminister; Plädoyer für eine behutsame Bundeskulturpolitik. Berliner Zeitung, 10. 1. 2001, nr. 8, 57. jg., s. 13, Feuilleton
„Die KMK trifft, wenn auch weit gehend im Wege der Abstimmung zwischen den Bürokratien, notwendige — zum Teil auch überflüssige — Regelungen für das Schulwesen in Deutschland. [. . .] Das hat Kopfschütteln hervorgerufen, und dieses Kopfschütteln würde sich noch erheblich vermehren, wenn man erführe, um welche Details sich die KMK kümmert und wo sie wie etwa bei der so genannten Rechtschreibreform auf Artikulation notwendiger Vorgaben für die Kommission der Fachleute verzichtete.“

- Die SPD und die Rechtschreibreform - www.vrs-ev.de/forum/viewtopic.php?p=1950#1950
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Manfred Riebe



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Beitrag: Montag, 01. Aug. 2005 12:59    Titel: Mahrenholz zur Rechtschreibreform Antworten mit Zitat

Ex-Verfassungsrichter Mahrenholz vermißt öffentliche Debatte bei Rechtschreibreform

Karlsruhe - Nach einem Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 3. Juni 2005 tritt am 1. August die umstrittene Rechtschreibreform in Teilen für Schulen und Behörden in Deutschland, Österreich und der Schweiz verbindlich in Kraft. Ausgeklammert werden die noch strittigen Bereiche Getrennt- und Zusammenschreibung, Worttrennung und Interpunktion, für die der Rat für deutsche Rechtschreibung noch Änderungsvorschläge vorlegen will. Ernst Gottfried Mahrenholz (SPD), von 1981 bis 1994 Bundesverfassungsrichter, jetzt Rechtsanwalt Karlsruhe, hält die Reform für einen Mißerfolg. Mit ihm sprach Dankwart Guratzsch.

DIE WELT: Am 1. August sollen die neuen Rechtschreibregeln an den Schulen verbindlich werden, obwohl es sich teilweise um Schreibweisen handelt, die etymologisch falsch sind. Kann das erzwungen werden?

Gottfried Mahrenholz: Das hat man immer schon gemacht. „Gesetz“ wurde mit „e“ geschrieben, aber die „Satzung“ mit „a“, „Eltern“ mit „e“, auch wenn es von „alt“ und „ältere“ kommt. Mein Lehrer sagte immer: Das ist die Etymogelei. Letztlich muß das gelten, was nun mal so festgelegt ist. Das ist die normative Kraft des Faktischen.

DIE WELT: Der Rat für deutsche Rechtschreibung arbeitet an Änderungen, ist aber noch nicht fertig. Die CDU-Ministerpräsidenten wollten die Reform deshalb um ein Jahr verschieben, sind aber in der Ministerpräsidentenkonferenz nicht durchgedrungen. Teilen Sie die Meinung Ihres Kollegen Rupert Scholz, daß es trotzdem jedem Ministerpräsidenten letztlich freisteht, die Reform später einzuführen?

Mahrenholz: Ich stimme Herrn Scholz zu.

DIE WELT: Wir haben jetzt das Novum, daß die Politiker erstmals ohne Fachberatung über die Rechtschreibung entscheiden. Die Internationale Kommission ist entlassen, die Vorschläge des Rechtschreibrates werden nicht abgewartet.

Mahrenholz: Das ist in der Tat ein Novum. Aber die ganze Geschichte war ja von vornherein ohne Fachberatung. Die Linguisten verstehen nichts von Rechtschreibung. Daß man alles auseinanderschreiben muß, ist der reinste Blödsinn. Das können Linguisten gar nicht beurteilen. Es hätten in erster Linie diejenigen, die wirklich schreiben, nämlich Journalisten, und die, die wirklich lehren, nämlich Lehrer - Dichter hätten auch nicht geschadet -, die hätten darüber grübeln müssen, was wirklich vernünftig ist. Die Journalisten hätten schnell gemerkt - die Richter haben's ja auch schnell gemerkt -, daß man den Sinn völlig entstellen kann, wenn man ein Wort auseinanderreißt. Im Grunde war die ganze Geschichte von vornherein total verkorkst.

DIE WELT: Die Rechtschreibreform war ein Mißerfolg?

Mahrenholz: Wir sitzen vor einem Scherbenhaufen. Ich nehme an, das Ausland lacht sich halbtot. Im Englischen - das ist einmal aufgelistet worden - gibt es allein für die Schreibweise „ough“, ich meine mich zu erinnern, sechs verschiedene Aussprachen. Das müssen die lernen! Und es geht doch? Ich begreife nicht, daß man unseren ABC-Schützen nicht auch ein paar Schwierigkeiten zumuten kann. Das war doch alles durch den Duden und Wahrig wunderbar geregelt. Rechtschreibung ist eine Frage des Common sens und der Sprachentwicklung, keine Frage, die man von oben verordnen kann.

DIE WELT: Wenn Sie noch Bundesverfassungsrichter gewesen wären, als Karlsruhe 1998 grünes Licht für die Rechtschreibreform gegeben hat, wäre die Entscheidung womöglich ganz anders ausgefallen?

Mahrenholz: Das möchte ich hoffen. Ich hätte einen ganz einfachen Gesichtspunkt geltend gemacht, der bei den Richtern in der Regel durchschlägt: Man kann so etwas nicht machen ohne einen wirklich gründlichen öffentlichen Prozeß. Die Notwendigkeit der Öffentlichkeit dieser ganzen Geschichte ist ja einer der Gründe, weshalb der Parlamentsvorbehalt existiert. Das Öffentlichkeitsmoment ist überhaupt nicht berücksichtigt worden. Ich hätte mich auf alle Fälle im Gericht gegen das ganze Verfahren gewehrt.

DIE WELT, Mittwoch, 13. Juli 2005
http://www.welt.de/data/2005/07/13/745001.html
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