Elke Philburn
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: Samstag, 04. Sep. 2004 08:09 Titel: Konrad Duden über die neue Rechtschreibung |
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Konrad Duden (1908):
Die deutsche Rechtschreibung nach den für Deutschland, Österreich und die Schweiz gültigen Regeln.
Einleitung
Die neue deutsche Rechtschreibung unterscheidet sich nur wenig von der bis zu ihrer Veröffentlichung im Jahre 1902 in allen Schulen Deutschlands gelehrten "Schulorthographie". Sie bezweckt ebenso wenig wie diese eine durchgreifende Umgestaltung der früheren Schreibweise. Es gelten daher für sie im großen und ganzen dieselben Erwägungen, die seinerzeit zur Einführung der Schulorthographie geführt haben.
Diese hat die große Hauptmasse der Wörter, über deren Schreibung längst allgemeine Übereinstimmung herrschte, nicht angetastet; vielmehr hat sie den gleichzeitig von ganz verschiedenen Grundsätzen ausgehenden Versuchen, die Rechtschreibung umzugestalten, einen Riegel vorgeschoben. Diese Versuche hatten, indem sie entweder nach dem Vorbilde der italienischen Rechtschreibung eine streng lautgetreue Wiedergabe des gesprochenen Wortes als die Aufgabe der Schrift betrachteten, oder, der Schreibweise der Franzosen und der Engländer sich annähernd, durch die Schreibung auch da, wo es der heutigen Aussprache widerstreitet, die Abstammung oder die lautgesetzliche Entwickelung der Wörter kenntlich machen wollten, auf dem Gebiete der Rechtschreibung eine große Unsicherheit hervorgerufen, die namentlich in den Schulen als ein sehr störender Übelstand empfunden wurde. Diesem Übelstand machte die Schulorthographie ein Ende. Sie stellte fest, wie die Wörter, deren Schreibung ins Schwanken geraten war, in allen Schulen geschrieben werden sollten. Dabei gab sie, wie es dem Grundcharakter unserer Schrift entspricht, der lautgetreuen Schreibung vor der die Abstammung der Wörter berücksichtigenden den Vorzug. Sie ließ aber die der Abstammung entsprechende Schreibung überall bestehen, oder gab ihr den Vorzug, wo sie der Aussprache nicht widerspricht. Dabei tat sie einen vorsichtigen Schritt nach dem Ziele der vereinfachten lautgetreuen Schreibung, indem sie den Gebrauch der Dehnungszeichen beschränkte.
Genau nach denselben Grundsätzen verfährt die "neue" Rechtschreibung. Sie geht nur einen Schritt weiter auf dem Wege, den die Schulorthographie eingeschlagen hatte, indem sie das th auch aus dem Anlaute der 8 Stämme verbannt, in denen es die Schulorthographie noch hatte stehen lassen, indem sie ferner in gebräuchlichen Fremdwörtern die deutsche Schreibung vor der fremden bevorzugt. Ihre Einführung im ganzen deutschen Sprachgebiete verdankt sie dem Umstande, daß sie das, was durch allgemeinen Gebrauch geheiligt war, soviel wie möglich, unverändert gelassen, dabei aber doch ganz unzweideutig bekundet hat, daß der Charakter unserer Schreibung vorwiegend phonetisch ist, d. h. einer möglichst lautgetreuen Wiedergabe des gesprochenen Wortes zustrebt.
Bauer-Duden: Grundzüge der Neuhochdeutschen Grammatik für höhrere Bildungsanstalten und zur Selbstbelehrung für Gebildete von Friedrich Bauer. Sechsundzwanzigste (der neuen Folge neunte) Auflage, bearbeitet von Dr. Konrad Duden, Geh. Regierungsrat, Gymnasialdirektor in Hersfeld. München 1908. C. H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung, Oskar Beck.
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Anmerkung:
Dieser Text widerspricht dem von den Reformbefürwortern häufig angeführten Argument, Konrad Duden selber habe weitergehende Reformen der Orthographie gewünscht. Zitiert wird dabei oft eine vage Äußerung Dudens, die, aus dem Zusammenhang genommen, mehr oder weniger frei interpretierbar ist. Das Gegenteil ist aber der Fall. Duden sieht den Grund für die Akzeptanz der Schulorthographie darin, daß sie sich am Gebrauch orientierte. Das willkürliche Herummanipulieren an der Rechtschreibung, ob in Richtgung phonetische oder historische Schreibung, hat er als Grund für die Verunsicherung an den Schulen erkannt und entschieden abgelehnt. |
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