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Der Volksentscheid

 
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Manfred Riebe



Registriert seit: 23.10.2002
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Beitrag: Dienstag, 20. Apr. 2004 15:55    Titel: Der Volksentscheid Antworten mit Zitat

Der Volksentscheid
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Man lasse das Volk abstimmen

Zum Beispiel über die EU-Verfassung - Denn zur Demokratie gehört auch das Referendum - Debatte
von Konrad Löw

Der Europäische Konvent zur Erarbeitung einer Europäischen Verfassung hat seinem Entwurf einen Satz des griechischen Historikers und Politikers Thukydides (ca. 460 bis ca. 400 v. Chr.) vorangestellt, offenbar die Kernaussage des politischen Credos: „Unsere Verfassung . . . wird Demokratie genannt, weil die Macht in den Händen nicht einer Minderheit, sondern der größten Anzahl ist.“ Schon vor über 30 Jahren warb Bundeskanzler Willy Brandt mit dem Slogan: „Mehr Demokratie wagen!“ Was ist daraus geworden?

Das Grundgesetz nennt die Bundesrepublik Deutschland eine Demokratie. Ausdrücklich heißt es: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Der Verfassungstext fügt gleich hinzu: „Sie wird ausgeübt durch Wahlen und Abstimmungen.“ Doch Abstimmungen sind nur für den Fall der Neugliederung des Bundesgebiets vorgesehen, mit anderen Worten: Abstimmungen auf Bundesebene finden so gut wie nie statt. Ist unser Staat dennoch eine voll entwickelte Demokratie? Man mag hinweisen auf andere Staaten wie die USA und das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland, wo auch, trotz einer ähnlichen Verfassungslage, die demokratische Natur mit Recht nicht angezweifelt wird. Man kann es aber auch anders sehen und den eigentlichen Begriff ins Gedächtnis rufen. Das griechische Wort „Demokratia“ heißt wörtlich Volksherrschaft. Bereits Mitte des 18. Jahrhunderts allerdings klagte Jean-Jacques Rousseau: „Das englische Volk wähnt, frei zu sein; es täuscht sich außerordentlich; nur während der Wahlen der Parlamentsmitglieder ist es frei; haben diese stattgefunden, dann lebt es wieder in Knechtschaft, ist es nichts.“

Würde er heute leben und über dieses Thema sprechen, so würde er seine Kritik sicher mit dem aktuellen Hinweis untermauern, dass die britische Regierung entschlossen an der Seite der USA in den Irak-Krieg zog, obwohl ihn doch 80 Prozent des Volkes ablehnten. <b>Auch in Deutschland werden immer wieder politische Entscheidungen gegen den klaren Willen der großen Mehrheit getroffen, man denke nur an die Rechtschreibreform,</b> ein Thema, das keine kniffligen Spezialkenntnisse zur Voraussetzung hat, um sachgerecht erörtert zu werden.

Wir, die auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, neigen dazu, über jene Monarchisten zu lächeln, die in der Herrschaft eines fürsorglichen Fürsten die beste Staatsform erblicken. Seine Devise: „Alles ohne das Volk, aber alles für das Volk“, halten wir für eine menschenunwürdige, zumindest antiquierte Bevormundung. Aber werden nicht auch wir von kleinen Minderheiten bevormundet? Ein Mal in vier Jahren wählen wir unsere Abgeordneten, die, wie es im Grundgesetz ausdrücklich heißt, „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“ sind. In ihrer Gesamtheit bilden sie den Gesetzgeber, dessen Kompetenzen durch die Europäische Union immer weiter eingeengt werden.

Dass unmittelbare Volksherrschaft nicht möglich und auch nicht sinnvoll ist, liegt auf der Hand. Aber warum wird dem Volke die Entscheidung wichtiger Einzelfragen vorenthalten? Ganz offenbar, weil die verantwortlichen Politiker das Volk, „den obersten Souverän“, nicht für mündig erachten, sondern glauben, ihn auf den richtigen Weg führen zu müssen.

65 Männer und Frauen beschlossen im Frühjahr 1949 den Text des Grundgesetzes. Seine Artikel können nur mit einer Zweidrittelmehrheit von Bundestag und Bundesrat abgeändert werden. Wer weiß aber schon, dass es im Grundgesetz auch Festlegungen gibt, die selbst eine noch so große Mehrheit von Bundestag und Bundesrat nicht abändern kann, wozu übrigens auch die Gliederung des Bundes in Länder gehört? Demnach darf Deutschland keinesfalls ein Einheitsstaat nach englischem oder französischem Muster werden. Schon im 18. Jahrhundert wetterte Thomas Paine: „Jedes Zeitalter und jede Generation müssen ebenso frei sein, in allen Fällen selbstständig zu handeln wie die vorangegangenen Zeitalter und Generationen. Die Eitelkeit und Anmaßung, noch jenseits des Grabes regieren zu wollen, ist die lächerlichste und unverschämteste aller Tyranneien.“ Das sind grundsätzliche Gedanken das Demokratieverständnis betreffend.

Ganz aktuell aber ist die Frage, ob nicht eine Analogie zu Artikel 29 des Grundgesetzes, der die Entscheidung der betroffenen Bevölkerung bei innerdeutschen Gebietsänderungen festlegt, dazu führen müsste, dass Erweiterungen der Europäischen Union, so die Aufnahme der Türkei, dem Volk zur Entscheidung vorzulegen sind. Gerade wenn wir uns auf das eingangs zitierte politische Credo des Europäischen Konvents zurückbesinnen, liegt es noch näher, vor allem einen Volksentscheid über die Annahme der Europäischen Verfassung zu fordern.

Der Einwand liegt nahe, auch das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland sei 1949 ohne diese besondere Weihe in Kraft getreten. Doch warum? Es war als Provisorium gedacht und sollte nur für eine möglichst kurze Übergangsphase bis zur Wiedervereinigung eine Lücke füllen. Deshalb auch „Grundgesetz“ und nicht „Verfassung“. Hingegen wünschen alle Europäer der Verfassung der Europäischen Union eine lange, segensreiche Geltung.

Konrad Löw ist Jurist und Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bayreuth.

DIE WELT vom 11. Oktober 2003
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