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Schriftsprache oder Sprachschrift?

 
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Dietrich Beck



Registriert seit: 07.03.2004
Beiträge: 4

Beitrag: Montag, 15. März. 2004 15:07    Titel: Schriftsprache oder Sprachschrift? Antworten mit Zitat

Schriftsprache oder Sprachschrift?

Ein Volk bzw. dessen Kultur lebt durch die Sprache; letztere ist ein Ausdruck des Volksbewußtseins und reflektiert es. Nachdem jetzt einige Regeln der neuen Rechtschreibung die Sprache selbst zu verändern scheinen, hat sich stellvertretend für die Gruppe der „Macher“ dieses Reformwerks und als einer der maßgeblich mitwirkenden Kapazitäten Prof. Dudel bereit erklärt, hierzu Stellung zu nehmen.


Beitrag von Dietrich Deutschmann und Dietrich Beck [2000]


DD: Herr Professor Dudel, mit einem gewissen Stolz bekundeten Sie, daß auch Ihre Gedanken in dieses Reformwerk mit eingeflossen sind, und Sie somit eigentlich die Hoffnung gehegt hatten, daß künftig das Standardwerk der deutschen Rechtschreibung Ihren Namen tragen würde. Letzteres ist aber nicht eingetreten, und inzwischen werden immer mehr Stimmen laut, welche nach einer Rückkehr zur früheren Rechtschreibung rufen; eine große deutsche Zeitung hat diesen Schritt sogar schon vollzogen („unwiderruflich“), und wie es scheint, werden weitere zur Nachahmung animiert. Bedrückt Sie das?

Dudel: Es handelt sich hier um eine wohldurchdachte Jahrhundertreform, die schon viel früher hätte erfolgen müssen. Die Gegner haben deren tieferen Sinn wie auch den einer Sprache noch gar nicht begriffen. Im übrigen haben wir uns bei allen Überlegungen davon leiten lassen, das Schreiben der Sprache zu vereinfachen ...

DD: ... was aber voraussetzt, daß zunächst einmal richtig gesprochen werden muß. Der etwas nachlässige Umgang mit der korrekten Aussprache ist ja nicht unbekannt, was gelegentlich zu Kalauern wie „ohne Gewehr" anstelle von „ohne Gewähr“ führt. Nur wer „ä“ auch ausspricht, schreibt das Wort richtig, so wie es auch „Käfer“ und nicht „Kefa“ heißt. In der Seeschiffahrt gibt es den Begriff des Korrespondentreeders. Manche schreiben aber „Korrespondenzreeder“, was ja falsch ist. Oder auch „Fluch(t)zeugführer“ anstatt Flugzeugführer, „Arbeizamt“ statt Arbeitsamt usw.; der richtige Umgang mit dem sog. Fugen-s ist ziemlich strapaziert, oft ist es eigentlich entbehrlich: Rat(s)haus, Rat(s)keller, Werk(s)foto, Arbeit(s)suchender etc., und hierfür gibt es ja eine ganze Reihe von Negativbeispielen des Umgangs mit unserer Sprache.

Dudel: Nun, der Sprecher weiß ja wohl, welcher Begriff gemeint ist, sodaß er dann schon richtig schreiben wird.

DD: Da bin ich aber baß erstaunt, dies aus Ihrem Munde zu hören, denn gerade das Fehlen dieser Vermutung bzw. des kausalen Zusammenhangs zwischen richtiger Aussprache und entsprechender Schreibweise werfen Ihnen die Reformgegner doch vor. Insbesondere die drastischen Sinn-Entstellungen durch unlogisches Getrenntschreiben haben zu einer Veränderung der Sprache selbst geführt. Und hier widersprechen Sie sich doch eigentlich. Sie kennen ja die nette Geschichte von den beiden Männern, die sich am Bahnhof treffen: „Ach, Sie fahren auch nach Bonn? Da können wir ja zusammen fahren.“ – „Ich bin schon zusammengefahren, als ich Sie gesehen habe!“ Ein Scherz, der davon lebt, daß je nach Betonung zusammengesetzte Worte nur dann ihren gemeinten Inhalt weitergeben können, wenn Sie richtig betont werden. Mit Ihrem fast radikal konsequenten Getrenntschreiben haben Sie die Sprache selbst verändert und damit die Kompetenz einer reinen Schreibreform überschritten! Darüberhinaus ist die Begründung der neuen Schreibweisen z.T. nicht nachzuvollziehen oder einzusehen: sich auseinander setzen schreiben Sie nun (neu) auseinander, aber sich zusammensetzen (wie bisher) zusammen, zufrieden stellen wiederum unlogisch auseinander; weshalb dann eigentlich nicht auch früh stücken?

Dudel: Ich werde gleich darauf eingehen, aber was meinten Sie mit „baß erstaunt“? Das klingt doch sehr altmodisch.

DD: Wir ahnten, daß Sie darauf anspringen werden, denn dies war bei Ihrem konsequenten Reformgedanken Ihrer Aufmerksamkeit entgangen: Obwohl „besser" und „am besten" auf den altdeutschen Ausdruck „baß = gut“ zurückgehen, beließen Sie es bei der bekannten Schreibweise, anstatt nun „bässer, am bäs(s)ten“ einzuführen, vielleicht aber nur aus Unkenntnis? Bei „Stängel“ und „Gämse“ waren Sie da eher überkonsequent, zwar mit Logik und Verstand begründet, aber wo blieb die Vernunft? Ohne Vernunft und Gefühl bleiben Gedanken ein leeres Gerüst, und eine Sprache lebt nur durch das ihr innewohnende Gefühl. Zuerst war die Sprache da, und danach die Schrift, Sie aber stellen nun die Schrift auf Platz 1 und erwarten, daß die Menschen (die Sprachsprecher) sich diesem unterordnen. Verändert man die Sprache, verändert man auch den Menschen. Greifen Sie da nicht sogar in tiefkulturelle Zusammenhänge ein?.

Dudel: Oh, nein! Sie unterstellen uns da etwas, was weder beabsichtigt noch ausgeführt wurde. Wir hatten den Grundgedanken der Vereinfachung hinsichtlich der Schreibweise stets im Hinterkopf und wollten eine u.E. vorhandene Kompliziertheit auf einfache Regeln reduzieren. Die korrekte Betonung entsprechend dem innewohnenden Sinn liegt doch in der Verantwortung des einzelnen im richtigen Umgang und der richtigen Anwendung seiner Sprachregeln.

DD: Aber gerade das haben Sie doch hier außer Kraft gesetzt! Es ist eine uralte Regel der deutschen Sprache, daß bei zusammengesetzter Schreibweise („zusammengesetzt“) die Betonung auf nur einem Wortteil liegt (meistens dem ersten): hier also die Bedeutung „zusammen“ dominiert und die Richtung des Gesagten angibt, während bei einer getrennten Schreibweise ( „zusammen gesetzt“ ) die Betonung auf dem zweiten Wortteil liegen würde, in einigen Fällen auch auf beiden Teilworten, aber niemals nur auf dem ersten. Auf diese Weise ist es einfach und eindeutig, durch die Art des Zusammenschreibens dem Leser gleich den beabsichtigten Sinn zu signalisieren und aufzuzeigen (auf zu zeigen??). Noch deutlicher wird diese Wichtigkeit des Zusammenschreibens und die daraus resultierende Sinn-Betonung bei der korrekten Bezeichnung von Mischfarben: Mit Rosarot bezeichne ich ein Rot, das in Richtung Rosa tendiert, mit Gelbgrün ein Grün, das gelblich ist, mit Grüngelb dagegen ein Gelb, das ins grünliche geht. Erst wenn beide Farben gleichrangig sind, schreiben wir Rot/Grün oder rot-grün. Diese in Generationen gewachsene Eigentümlichkeit und Regel der (nicht nur deutschen) Sprache setzten Sie nun einfach außer Kraft, so als hätten frühere Sprach- und Schriftexperten keine Ahnung gehabt.

Dudel: Nun, bei einer (gewünschten) Vereinfachung bleiben zwangsläufig auch Traditionen auf der Strecke ...

DD: Wer hat Vereinfachung denn wirklich so gewünscht, wenn nunmehr inzwischen zwei Drittel der deutschen Bevölkerung die neuen Regeln ablehnen? Wenn sogar im Ausland dort einheimische Lehrer, welche die deutsche Sprache unterrichten (z.B. in Rumänien, wo in einigen Gegenden Deutsch Pflichtfach ist) eine Vereinfachung nicht sehen, schon gar nicht deren Notwendigkeit, und das neue Werk als komplizierter empfinden und bei der ganzen Reform die wirtschaftlichen Aspekte als vordergründig vermuten? Doch lassen Sie uns ein weiteres Beispiel erörtern, und hier würden wir gerne (neutral) auf eine andere Sprache zurückgreifen: Wenn Sie im Englischen das Wort night sprechen, haben Sie unbewußt in der Imagination dessen Schreibweise vor Augen, das gleiche trifft auch auf das Wort knight zu; wie Sie wissen, werden beide gleich ausgesprochen, aber beim Sprechen weiß man innerlich, ob Nacht oder Ritter gemeint ist. Ähnlich ist es auch bei right und write (richtig bzw. schreiben) usw., es gibt derer viele Beispiele. Diese Kausalität läuft unbewußt ab, steuert aber im Hintergrund das jeweils erforderliche Sprachgefühl hinsichtlich Sinn und Bedeutung dessen, was ich ausdrücken will. Erst auf diese Weise kommt ja dann die richtige Kommunikation mit meinem Gegenüber zustande, indem wir Regeln anwenden, auf die wir uns verständigt haben.

Auch in der deutschen Sprache ist dies so. Wenn Sie das Wort „Schiffahrt“ sprechen, haben Sie es unbewußt auch so geschrieben gedanklich im Bewußtsein. Das gleiche gilt für „Mißstand“ usw., also Worte, wo infolge der neuen Schreibregeln nun eine irritierende Konsonantenverdreifachung erscheint (anders als bei den bisherigen gerechtfertigten Ausnahmen wie z.B.Sauerstoffflasche, um Verwechslungen zu vermeiden). Da Worte in ihrer geschriebenen Ausdrucks- und Erscheinungsweise auch ein Symbol als Ganzes implizieren, indem sie stellvertretend für die gesprochenen Worte stehen, greift unser Gehirn auf eine in der gesamten Menschheitsgeschichte gewachsene Symbolik für das Erkennen und Umsetzen zurück; darin sind als Basis Einzelsymbole und deren Doppelung enthalten. Dies ist in allen bekannten Sprachen und Schriften so. Eine Verdreifachung kommt - bis auf einige wenige Ausnahmen - nicht vor, weil sie beim Lesen zu Irritationen führt. Die einfache Doppelung hat die beste Signalwirkung. Nehmen wir das Wort Schiffahrt: Das Lesezentrum unseres Gehirns liest Schiff und fahrt und akzeptiert es als normal, daß sich unter dem letzten Buchstaben von Schiff der erste des folgenden Wortes Fahrt versteckt, das „f“ an dieser Stelle quasi eine Doppelfunktion hat. Es vermißt diesen Buchstaben überhaupt nicht, entschlüsselt die Symbolik der Buchstabenfolge also verzögerungsfrei, und das Wort wird flüssig gelesen, denn niemand spricht Schiff-fahrt "getrennt"!

Dies hat nichts damit zu tun, daß wir dies vielleicht nur so „gewohnt“ sind. Erst bei Erscheinen eines dritten gleichen Buchstabens gerät der Lesefluß ins Stocken. Eine Verdreifachung ist uns als Wesen der Dualität und Polarität eher wesensfremd. Den gleichen Störeffekt haben Sie mit Ihrer Reform nun auch durch die Auflösung des scharfen „ß“ bei nachfolgendem „st“ bewirkt: Mißstand liest sich flüssig, aber Missstand irritiert das Lesezentrum, weil es nun sortieren muß: welches „s“ gehört wohin oder wozu? Ähnliches passiert bei nachfolgendem „ch“ oder „sch“ oder "sp", z.B. bisschen statt bißchen, oder Flussschifffahrt statt Flußschiffahrt, oder Schlussspurt statt Schlußspurt. Und überhaupt hat die Auflösung des „ß“ in „ss“ zu noch mehr Verwirrung geführt; nach unseren Beobachtungen wird die neue Regel wahllos verwendet, weil die meisten sie nicht begriffen haben. Damit haben Sie ja leider eine echte Lesehilfe der deutschen Schrift „beseitigt“, und das und daß bzw. dass werden weiterhin verwechselt, denn in den „Köpfen“ hat sich ja nichts geändert!

Man hat den Eindruck, als hätten die Reformer die neuen Rechtschreibregeln gängigen Computerprogrammen untergeordnet, quasi die Vernunft dem Maschinendenken geopfert.
Wie sehen Sie das hier?

Dudel: Nun, das klingt etwas hart, aber vielleicht haben Sie da nicht ganz unrecht, ich möchte dies aber dann eher positiv sehen, indem wir uns die fortschreitende Technik hier zunutze machen; die Gebrüder Grimm ahnten ja damals noch nichts von solchen revolutionären Erfindungen.

DD: Verzeihung, Herr Professor Dudel, aber auf uns wirkt Ihre Schwärmerei für die heutigen Fazilitäten der sog. Künstlichen Intelligenz etwas naiv, und deren superkonsequente Anwendung auf Bereiche wie den hier diskutierten fast pervers pedantisch. Wollten Sie und Ihre Reform-Kollegen sich denn da mit einer Buchstabentrippelung ein Denkmal setzen? Unseres Wissens kommt eine Vokal- oder Konsonantenverdreifachung in keiner anderen Sprache bzw. Schrift vor, und in der Tat ist sie gegen die ratio, quasi „gegen den gesunden Menschenverstand“, also schlicht und einfach eine „Spielerei“. Und in gleichem Maße sind die in einigen Bereichen unsinnigen neuen Trennungsregeln abzulehnen, selbst in „seriösen“ Druckwerken bleibt man neuerdings nicht mehr davon verschont. Beispiele: A-bart, Altbauer- haltung, ansch- ließend, Die- trich, Eib- rot, Falls- trick, Fi- schotter, Gas- traum, gebe- amt, Geburt- sorte, Geh- alt, Gesch- natter, Gratisti- schwein, Kau- fladen, Ö- leimer, Paten- tanker, Pot- tasche, Ra- decke, Sie- beinlage, Sti- leiche, Tee- nager, unse- reiner, Wacht- raum, Wei- ßeule, Zuflucht- sorte, Haluzi- nation etc. etc.; irgendwie machen wir uns doch da lächerlich!

Sie propagieren "Trennung nach Sprechsilben", ihre neuen Regeln basieren aber auf einer bereits im Ansatz falschen Aussprache, z.B.: Man spricht (korrekt) teen_ager [tien-äidscher] und nicht tee_nager [tie-näidscher hieße ja tea nature], oder auch mit_ein_ander und nicht mit_ei_nander usw.; falsche Vorgaben müssen zu falschen Ergebnissen führen. Man spricht nicht Bäk und ker (also beide k getrennt), sonder "Bäk_ker" (hinter dem ersten k bleibt der Gaumen geschlossen); und analog Schiff- fahrt: man spricht "Schiff_fahrt" und nicht Schiff und dann fahrt (nach dem Doppel-f von Schiff bleibt das f auf der Lippe erhalten und geht in das von Fahrt hinüber); ähnlich ist es bei "Roll-laden" usw. Generell erscheint auch bei der getrennten Schreibweise beim Sprechen keine Lücke. Und noch ein Beispiel zum Zusammenhang zwischen richtiger Aussprache und Schreibweise: Portmonaie spricht man "Portmonä", die neue Schreibweise Portmonee ist daher nicht gerechtfertigt. Wir bleiben dabei: Nur wer korrekt spricht, schreibt auch korrekt, und umgekehrt; eine Reform war da total überflüssig. Eine Korrektur der oft allzu gedankenlosen Sprechweise oder lässigen Aussprache war und ist da eher überfällig!

Dudel: Die exakte Ausführung der neuen Regeln durch Anpassung der Computerprogramme ist nicht unsere Sache, sondern Angelegenheit der Software-Hersteller, ich gebe zu, daß da noch einiges unausgegoren umgesetzt wurde; aber das ist ja korrigierbar. Ich bleibe dabei, daß wir hier kein Sprachkulturgut angekratzt haben, sondern im Gegenteil ein neues Sprachverständnis ins Leben gerufen haben. Einfache, einleuchtende und plausible Regeln. Die Verwirrung, die Sie so sehr betonen, findet m.E. nur in den Köpfen derjenigen statt, welche sich allen Neuerungen gegenüber sperren. Im übrigen sollten jene sich nicht so einfach über diese gewaltigen Investitionen hinwegsetzen, die das neue Regelwerk mit und nach sich zog und zieht. Wir können das nicht wieder einfach zurückdrehen und wollen es auch nicht. Das Ergebnis ist eigentlich gut. Wie Sie wissen, hatten wir einige Zeit vor der endgültigen Verordnung probeweise auf den Titelseiten größerer Tageszeitungen über mehrere Wochen hinweg bereits nach den neuen Rechtschreibregeln drucken lassen; es fiel kaum jemandem auf, sodaß man von einer Akzeptanz der Bevölkerung ausgehen konnte.

DD: Aber das ist doch Augenwischerei. Die Leser waren inzwischen ja gewohnt, daß ihre Zeitungen gelegentlich von Rechtschreibfehlern strotzten, man nahm auch unsinnige Trennungen eher schmunzelnd zur Kenntnis, weil die Grenzen der EDV-Software bekannt waren. Aber so etwas dem ganzen deutschsprachigen Sprachraum quasi verordnend überzustülpen, das war doch hart. Sie hatten sich ja nicht einmal „vor Ort" erkundigt, also da, wo die Sprache lebt, und dort, wo Neues entsteht: beim Volk (dem Volke aufs Maul schauen, um mit Luther zu sprechen). Und der Protest der eigentlichen Sprach- und Schriftexperten, der Dichter und weiterer „Hüter des deutschen Sprachkulturgutes“ ließ ja nicht lange auf sich warten.

Selbst in sich waren Sie ja inkonsequent. Sie wollten die Schreibweise von Namen beibehalten, aber dem „Delphin“ beispielsweise, der sich fast in der ganzen Welt mit „ph“ schreibt, verordneten Sie ein „f“. Auch dies führt wiederum zu Irritationen beim Lesen, denn nun entdeckt unser Lesezentrum in dem Wort Delfine ganz schnell das Wort Fine, die Umsetzung der Symbolik wird also gehemmt. Insgesamt sehen wir - und mit uns scheinbar der größte Teil derjenigen Menschen, welche sich mit der deutschen Sprache und Schrift befassen, egal ob sie nun auch hier leben oder nicht - bis auf einige Ausnahmen nur wenig Vereinfachungen. Nicht nur, daß die Lesbarkeit schwieriger und verwirrender wurde: Sie sind im Begriffe, die Sprache und das Sprechverhalten selbst zu verändern; war dies tatsächlich nicht beabsichtigt? Dann sollten Sie es schnellstens korrigieren. Eher hätte man daran denken sollen, den Menschen in den deutschen Sprachräumen wieder das richtige Sprechen durch korrekte und deutliche Aussprache beizubringen oder sie zu ermuntern und zu animieren, sich dahingehend disziplinierter zu verhalten. Die korrekte Schreibweise hätte sich dann von selbst ergeben, auch schon in der Vergangenheit.

Symbolische Begriffe wie Stengel mittels einer umständlichen Erklärung durch Stängel zu ersetzen ist schlicht absurd, denn niemand würde beim Anblick einer Blume oder Anfassen eines Stengels an eine kleine Stange denken. Und niemand wird nun statt Gemse „Gämse“ sprechen, also mit „ä“! Sehen Sie die Diskrepanz? Bei Eltern bekamen Sie ja dann auch kalte Füße: dies und andere "heikle" Schreibweisen hätten Sie doch ernüchtern und auf den Boden der Realität zurückbringen müssen. Sollen wir mit dem nun entstandenen Wirrwarr leben? Dann doch lieber zurück zu den alten und vertrauten Regeln (sprich: denen wir vertrauen). Lassen Sie das Volk selbst seine Sprache und Schreibweise verändern, es wird die entsprechenden Signale setzen, wenn es soweit ist.

Die Wirkung der reinen Wortsymbolik sollten Sie nicht verkennen, recht deutlich wird dies z.B. an den Schriftzeichen der Japaner. Auch unsere westliche Welt benutzt weitgehend solche Symbole, nur bestehen sie dann aus zusammengefügten Buchstabengruppen; der eigentliche Ursprung ist dann wirklich von sekundärer Bedeutung. Reißen wir also zusammengehörige Wortkombinationen auseinander, spalten wir das originär nur als Einzelsymbol gedachte Mehrfachwort (es können ja auch mehr als zwei zusammengefügt werden, wobei aber die erwähnten Regeln und Vereinbarungen nicht außer Kraft gesetzt werden) in z.B. zwei Einzelsymbole, wodurch sich naturgemäß ein anderer als der beabsichtigte Sinn ergeben muß. Ich frage Sie also nach Ihrer Meinung zum Ende in o.a. Geschichte: Sind die beiden Herren nun zusammengefahren oder zusammen gefahren?

Dudel: Ach, die werden es schon selbst wissen, Sie reiten da ein wenig auf dem zugegebenermaßen nicht so glücklich geregelten Getrenntschreiben herum, das sich übrigens in Ihrem Beispiel gar nicht ausgewirkt hat, hier blieb es bei der alten Regelung, ...

DD: ... Wir hatten das Beispiel lediglich zur Verdeutlichung herangezogen!

Dudel: ... und die Auslegung solcher Grenzfälle und die empfohlene andere Umsetzung in der Praxis durch (z.B.) Einfügen von Bindestrichen setzt sich doch inzwischen durch.

DD: Aber warum wurden dann überhaupt die bewährten alten Regeln gekippt, wodurch ja dann erst dieses Verwirrspiel in Gang gesetzt wurde? Gab es da denn hierfür einen zwingenden Anlaß, also Handlungsbedarf?

Dudel: Bereits vor vielen Jahren entstanden Ansätze, die deutsche Rechtschreibung durch mehr Kleinschreibung zu vereinfachen, Dänemark z.B. hat dies ja erfolgreich durchgeführt. Wir wollten nicht ganz so radikal sein, indem wir bis auf Eigennamen alles klein schreiben, daher denke ich, daß bei uns ein guter Kompromiß entstanden ist. Allerdings wurden bei dieser Gelegenheit weitere Vereinfachungen eingeführt, wozu die bereits diskutierten gehören.

DD: Sicherlich ist die Groß- und/oder Kleinschreibung in vielen Fällen unkomplizierter geworden, gleichzeitig haben Sie aber auch - völlig neu - in einigen Bereichen eine neue Großschreibung eingeführt, und zwar m.E. wiederum mit einer etwas weit hergeholten Logik begründet, die in vielen Fällen nicht nachzuvollziehen ist, da eher inkonsequent. Vor allem: wo war bei letzterem die Notwendigkeit? Viele Mitbürger hätten sich da lieber gewünscht, Grenzfälle, bei denen der einzelne seit Jahren rätselte "groß oder klein?", künftig im Zweifelsfalle schlicht klein zu schreiben. Das wäre ja dann ein Schritt in die Reformrichtung gewesen, anstatt zurück wie nun geschehen. Sie begründen die neue Groß- und Getrenntschreibung bei (neu) Rad schlagen und Rad fahren z.B. damit, daß Auto fahren ja auch so geschrieben wurde; dabei hätte man aber logischerweise künftig autofahren dem radfahren angleichen sollen und nicht umgekehrt. Bei diesen speziellen Regeln haben Sie sogar zwei Verwirrungsaspekte gleichzeitig verwendet. Beispiele: haltmachen ist etwas anderes als Halt machen, teppichklopfen etwas anderes als Teppich klopfen usw.; „haltmachen“ impliziert den Sinn „anhalten“, ist also ein erweitertes Verb, aber weiterhin nur ein solches. „Halt machen“ impliziert „Rast oder Stillstand einlegen“ usw., „teppichklopfen“ meint einen „auf den Teppich bezogenen“ Reinigungsvorgang, daher teppichbezogen (teppich ist also hier kleingeschrieben richtig!), wobei „Teppich klopfen“ ins Detail geht, indem es sich auf das „Klopfen“ bezieht, d.h. es wird hier nicht geschüttelt o.ä.; oder nehmen wir „unrecht haben“: hier wird mit der Verb-Erweiterung ein Zustand des Seins ausgedrückt, ebenso wie bei „ich habe unrecht getan/gehandelt“. Erst mit der Formulierung „sich im Unrecht befinden“ oder „ich habe ein Unrecht begangen“ begeben wir uns zum Substantiv; leider führten Sie auf dieser Schiene mehrere befremdende Neuerungen ein. Ähnlich ist es bei: es tut mir leid und es tut mir Leid an.

Hier hätten Sie gut daran getan, die unkomplizierten und eindeutigen Regelungen nicht anzutasten, dagegen die haufenweise bekannten Unsicherheiten zu vereinfachen. Da war doch Handlungsbedarf, für dessen Umsetzung sicherlich sehr viele Mitbürger dankbar gewesen wären. Stattdessen boten Sie unlogische Punktierungskürzungen, die dann im Zweifelsfall wieder aufgeweicht werden dürfen, funktionierten die nun eingesparten Kommas/Kommata um in Bindestriche, damit sie künftig zur Vermeidung von Mißverständnissen reichlicher verwendet werden, etc. (kleiner Scherz!)

Man könnte da eigentlich zusammenfassend bemerken, daß Sie mit dem weitaus größten Teil dieser Reform nicht nur einige der über Generationen hinweg gewachsenen und bewährten Regeln vergewaltigten, sondern auch unser eigenes, gesundes Sprachempfinden hinsichtlich einer guten Schreibweise mit seiner eindeutigen Symbolwirkung. Diesen drückenden Schuh müssen Sie sich wohl oder übel anziehen! Desweiteren können wir Ihnen den Vorwurf nicht ersparen, daß Sie einige grammatikalischen Grundregeln ausgehebelt haben, wenn Sie u.a. nun „potenziell“ oder „Differenzial“ schreiben, denn potentiell kommt nicht von Potenz sondern von potent, und das „z“ erscheint nur am Ende eines Substantivs! Könnten Sie da etwas verwechselt haben? Konsequenterweise müßten Sie dann eigentlich auch „Nazion“ schreiben, was aber dann wohl etwas heikel sein könnte.

Auch Abkürzungen, wo ja originär für jedes Hauptwort ein Großbuchstabe stehen soll, werden zunehmend verniedlicht und fast wie Vornamen verwendet, z.B. „Nasa“ statt NASA, „Nato“ statt NATO oder „Uno“ statt UNO; aber vielleicht war dies eher ein Nebeneffekt Ihrer Reform, obwohl Sie sich über die Regel, denjenigen Buchstaben, der für einen Namen steht, immer groß zu schreiben (Beispiel kW für kilo-Watt), bei ohmsches Gesetz nun hinweggesetzt haben. Und auch beim Alptraum haben Sie althergebrachtes über Bord geworfen und nun aus dem „Alp“ (= gespenstisches Wesen) einen „Alb“ (= unirdischer Naturgeist) angeboten; hatten Sie sich da von Schwaben oder Sachsen inspirieren lassen? In der deutschen Sprache, der Klangsprache schlechthin, drückte und drückt Alp mit seinem härteren „p“ viel stärker diesen psychischen Druck aus, oder?

Dudel: Das alles klingt hier hart, fast undankbar, aber ich werde Ihre Ausführungen und Anregungen überdenken und ggf. aufgreifen für weitere Anpassungsdiskussionen und -entscheidungen. Möglicherweise war die Zeit noch nicht reif für tiefgreifendere Veränderungen, und ich sehe ein, daß das Sprach- und Schriftverständnis in der deutschsprachigen Bevölkerung wesentlich intensiver ist, als wir vermutet oder gar unterstellt hatten. Dennoch ist aber doch unverkennbar, daß eine gewisse - wenn auch noch skeptische - Akzeptanz in großen Kreisen unserer Mitbürger zu beobachten war, auch und vielleicht gerade bei der jüngeren Generation ...

DD: ... aber auch hier eine nicht unwesentliche Verunsicherung, wenn nicht gar Resignation aus einem Gefühl der Ohnmacht heraus, und gerade das können Sie doch eigentlich nicht gewollt haben.
Herr Professor Dudel, wir danken Ihnen für die Gelegenheit einer Erörterung und dieses Gespräch.

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