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Günter Schmickler
Registriert seit: 11.05.2003 Beiträge: 310 Wohnort: 53842 Troisdorf
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: Mittwoch, 07. Apr. 2004 22:55 Titel: Wurden Fraktur und Sütterlin verboten? |
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Man liest und hört immer wieder, die Fraktur- und die Sütterlinschrift seien zu Beginn des Jahres 1941 „von den Nazis verboten“ worden. Diese Behauptung entspricht meines Erachtens nur zu einem kleinen Teil den Tatsachen. Für besonders irreführend halte ich die Feststellung, die beiden Schriftarten seien in Deutschland „bis zum Verbot durch die Nazis“ in Gebrauch gewesen. Wenn dies zuträfe, hätte es damals gewissermaßen eine Zäsur in der deutschen Schrifttradition gegeben. Sind die zu Beginn des 3.Kriegsjahres noch vorherrschenden „deutschen“ Schriften tatsächlich aufgrund eines Führerbefehls durch die lateinische Druckschrift (Antiqua) und die lateinische Schreibschrift abgelöst worden?
Ich wurde nach Ostern 1940 eingeschult, gehöre also dem letzten Jahrgang an, der das Schreiben eines „i“ getreu dem Spruch „Rauf, runter, rauf – Pünktchen obendrauf!“ einüben mußte. Ein Jahr später verlor das Sprüchlein seine Gültigkeit: Das kleine „i“ hatte für die neuen Schüler unten statt der „Spitze“ eine Rundung. Wir „Zweitkläßler“ und die älteren Schüler mußten uns von 1941 an auf den Gebrauch des lateinischen Alphabets umstellen. Nach und nach bekamen wir auch Schulbücher, die in der „glatten“ statt der vertrauten „gebrochenen“ Schrift gedruckt waren. Meine Eltern sahen damals in der „Umstellung“ gar nichts Außergewöhnliches, denn die Sütterlin- oder die „Deutsche Schreibschrift“ waren vorher keineswegs durchgängig an deutschen Schulen unterrichtet worden. Während meine Großeltern nur die „Deutsche Schreibschrift“ beherrschten, hatte die Generation meiner Eltern
in der Schule die lateinische Schrift erlernt. Manche schrieben eine kuriose Mischung aus beiden Schriftarten. Die 1941 eingeleitete „Rückumstellung“ auf die lateinische Schreibschrift
wurde auch von vielen Leuten, die nichts mit den Nazis gemein hatten, als „vernünftig“ bezeichnet.
Ich habe erst viel später – einige Jahre nach Kriegsende – erfahren, daß Hitler höchstpersönlich die Einführung der lateinischen Schrift veranlaßt hatte. Aufgrund eines „vertraulichen Führererlasses“ sei die Sütterlinschrift von 1941 an nicht mehr an deutschen Schulen unterrichtet worden. Hitler habe auch die Ablösung der Fraktur- durch die Antiquaschrift angeordnet, vordringlich für die überregionalen und vor allem die auch im neutralen und im besetzten Ausland vertriebenen Zeitungen. Seine Abneigung gegen die bis dahin dem „deutschen Kulturerbe“ zugerechneten Schriften habe er vor allem mit der angeblich jüdischen Herkunft der Schwabacher Drucklettern begründet, außerdem habe er der deutschen Sprache zu Weltgeltung verhelfen wollen.
Dennoch kann meines Erachtens von einem „Verbot“ im eigentlichen Sinne keine Rede sein. Zu einem Verbot gehört vor allem, daß es in einem Gesetz- oder Verordnungsblatt veröffentlicht wird. Dabei müssen der Geltungsbereich, der Zeitpunkt des Inkrafttretens und die Sanktionen für den Fall der Übertretung bekanntgegeben werden. Keines dieser Kriterien war bei der 1941 eingeleiteten „Abschaffung“ der Sütterlin- und der Frakturschrift erfüllt. Ganz im Gegenteil: Der diesbezügliche Führererlaß unterlag strikter Geheimhaltung. Vor allem die Kenntnis des angeblich jüdischen Ursprungs der Schwabacher Lettern mußte auf einen handverlesenen Kreis von SS-Leuten beschränkt bleiben. Es wäre ja recht peinlich gewesen, öffentlich eingestehen zu müssen, daß z. B. Julius Streichers „Stürmer“ und andere Hetzschriften in „Judenlettern“ gedruckt waren.
Gegen die Annahme eines „Verbots“ der Sütterlin- und der Frakturschrift sprechen weitere plausible Gründe: Zu Beginn des Jahres 1941 hatten die Entscheidungen der Naziführung, selbst Adolf Hitlers, noch nicht jeglichen Bezug zur Realität verloren. Folgende Tatsachen konnten selbst von den ärgsten Fanatikern kaum geleugnet werden: Millionen von Deutschen beherrschten nur die Sütterlin- oder die Deutsche Schreibschrift. Wie hätte man diese Leute, zumal mitten im Kriege, umschulen können? Die meisten Druckereien verfügten nur über Druckmaschinen mit Frakturlettern. Woher hätte man die erforderlichen neuen Maschinen nehmen sollen? Fast die gesamte belletristische Literatur war bislang in Fraktur veröffentlicht worden, somit standen in deutschen Bibliotheken – von der Universitätsbibliothek bis zur kleinen Leihbücherei – Millionen von Büchern, die mit „Schwabacher Judenlettern“ gedruckt waren. Wie hätte man die alle nach einem „Verbot“ austauschen können? Auch mit dem Austausch der in Fraktur gefertigten Straßen- und Bahnhofsschilder wäre die deutsche „Kriegswirtschaft“ völlig überfordert gewesen. Alles in allem: Ein förmliches Verbot von Fraktur und Sütterlin im Jahre 1941 wäre so realistisch gewesen wie der später dem Führer in den Mund gelegte Erlaß „Ab sofort wird die Schwangerschaft der deutschen Frau von 9 auf 6 Monate herabgesetzt“.
Folglich sind meine Altersgenossen und ich auch nach 1941 noch mit den alten „deutschen“ Schriften aufgewachsen. Wir schrieben zwar im lateinischen Alphabet, bekamen aber alle Tage in Sütterlin verfaßte Briefe und sonstige Schriftstücke zu lesen. Ich erinnere mich nicht daran, in der Stadtbücherei auch nur ein einziges in lateinischen Lettern gedrucktes Buch ausgeliehen zu haben. Nicht einmal die Umstellung der Schulbücher konnte konsequent durchgeführt werden: Ich besitze heute noch eine Schulgrammatik, die im Jahre 1944 bei Teubner in Leipzig in Fraktur gedruckt wurde! Auch die Umstellung der Presse kam nur zögerlich voran. In den letzten Kriegswochen waren selbst die „Durchhalteappelle“ großenteils in Fraktur gedruckt, schließlich sogar die Nachricht vom „Heldentod“ des Führers.
Erst nach dem Kriege setzte sich die lateinische Druckschrift, zuerst in der Presse, dann auch in belletristischen Buchveröffentlichungen allgemein durch. Etwa seit 1960 ist ihre Vormachtstellung unangefochten. Erscheinen heute hin und wieder noch Bücher in Fraktur,
so handelt es sich meist um Reprints oder bibliophile Ausgaben.
Jedenfalls waren Sütterlin und Fraktur noch lange nach dem angeblichen Verbot in Gebrauch und sind bis heute vielen älteren Menschen von Kindheit an vertraut. Gerade dieser Umstand ermöglicht es heutzutage, die alten „deutschen“ Schriften zur politischen Stimmungsmache zu mißbrauchen. Rechtsradikale Grüppchen versuchen gerne, mittels Sütterlin und Fraktur „gute, alte Zeiten“ zu verklären. Manche „Linke“ können nicht der Versuchung widerstehen, ihre politischen Widersacher als „ewiggestrig“ vorzuführen, indem sie ihnen in Fraktur gedruckte Zitate in den Mund legen. Wer sich heute der Sütterlinschrift bedient, obwohl er das 70. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, muß damit rechnen, als „völkisch“ eingestuft zu werden. Dringend abraten möchte ich davon, Postanschriften in Sütterlin zu schreiben. Dies hat nämlich zur Folge, daß die Briefe zur Entzifferung der Adresse einer „Aufklärungsstelle“ zugeleitet werden und den Empfänger mit wenigstens einer Woche Verzögerung erreichen. |
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Reinhard Markner
Registriert seit: 14.10.2002 Beiträge: 33 Wohnort: Berlin
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: Donnerstag, 08. Apr. 2004 08:35 Titel: Verbot oder Abschaffung? |
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| Es ist richtig, daß von einem Verbot der gebrochenen Schriften nicht eigentlich gesprochen werden kann. Man sollte aber angesichts der Umstellungsprobleme nicht unterschätzen, wie ernst man es mit dem Übergang zur Antiqua in allen Lebensbereichen meinte. Durchführungsbestimmungen sind übrigens in Amtsblättern auch veröffentlicht worden. Die Begründung mit den "Schwabacher Judenlettern" hat der Scharfmacher Martin Bormann in Umlauf gebracht. Außer ihm selbst dürften nur sehr wenige an diese abwegige Theorie geglaubt haben. |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Dienstag, 01. Jun. 2004 10:25 Titel: Der Bund für deutsche Schrift und Sprache zum Verbot der Fra |
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Der „Bund für deutsche Schrift und Sprache“ zum Verbot der Fraktur
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[...] Das Verbot und dessen Nachwirkungen
„Warum hat man denn bei so vielen Vorzügen die Fraktur aufgegeben? Man sieht sie doch (fast) gar nicht mehr!“ Verschiedene Einflüsse trugen zu dieser Entwicklung bei. Der wohl bedeutendste und wahrscheinlich entscheidende Auslöser für diesen Kulturverfall war eine Anordnung des Reichsleiters der NSDAP, Martin Bormann, am 3.1.1941 im Auftrage Adolf Hitlers. Darin wird die „sogenannte gotische Schrift“ als „Schwabacher Judenlettern“ bezeichnet; deshalb durfte von da an nur noch die (lateinische) Antiqua verwendet werden, die nun „Normal-Schrift“ hieß.
Wir wissen heute, daß Adolf Hitler selbst dahinterstand, der schon auf dem Reichsparteitag von 1934 durch seine Ausfälle gegen die „gotische Schrift“ seine Unkenntnis über Schrift und Schriftgeschichte und seine Gegnerschaft zur deutschen Schrift an den Tag gelegt hatte. Allein die Vermengung der Begriffe „gotisch“, „Schwabacher“ und „Judenlettern“ belegt, daß er schlecht unterrichtet war.
Aufgrund der Zwecklüge von den „Judenlettern“, die das Verbot erst durchsetzbar machte, verschwand die deutsche Schrift als Schreibschrift und im Frakturdruck aus Zeitungen, Zeitschriften, Büchern, Lehrplänen und Fibeln. Leider wurden Änderung nach 1945 bis heute weder in Deutschland noch in Österreich die gebrochenen Schriften in die Wiedergutmachung all dessen einbezogen, was im Nationalsozialismus beleidigt, mißbraucht, geächtet und verboten worden war. Zwar gilt das Verbot der Verwendung von Frakturschriften nicht mehr, doch ist in Deutschland kein Kultusminister bereit, der deutschen Schrift den zum Überleben erforderlichen Platz in der Schule einzuräumen, während Araber, Chinesen, Griechen, Israeli, Russen und viele andere Völker aus guten Gründen an ihrem überlieferten Kulturgut festhalten.
[...]
Helmut Delbanco (1990)
Bund für deutsche Schrift und Sprache (BfdS) - www.bfds.de -
www.e-welt.net/bfds_2003/bund/schriftgeschichte.htm
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Anmerkungen:
Bei Dippold/Hoffmann heißt es: „Die Fraktur, die ‚Schwabacher' (eine ‚gerundete’ Fraktur) und andere deutsche Schriften (in der Schreibschrift z.B. die Sütterlin-Schrift) wurden verboten.“
Wie damals wird auch heute zum Teil aus Unwissenheit die Verwendung der alten „deutschen“ Schriften diskreditiert und zur politischen Stimmungsmache gegen Andersdenkende mißbraucht. Dies gehört zu den Methoden der politischen Korrektheit, mit denen man skrupellos das Grundrecht auf Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) untergräbt. Dieser Psychoterror erinnert an die üble Stasi-Methode der Zersetzung: www.vrs-ev.de/forum/viewtopic.php?t=120&highlight=stasimethode -.
Siehe auch:
in der Rubrik „Wörterbücher“ den Strang: DUDEN 1942 in „Normalschrift“ –
www.vrs-ev.de/forum/viewtopic.php?t=662
in der Rubrik „Schule“ den Strang: Die „gotische“ oder deutsche Schrift (Sütterlin, Fraktur) - www.vrs-ev.de/forum/viewtopic.php?t=381
in der Rubrik „Staat und Sprache“ den Strang:
„Rechtschreibreform und Nationalsozialismus“ - www.vrs-ev.de/forum/viewtopic.php?t=296 - und darin die Beiträge:
a) „Hitlers Verbot der deutschen Schrift“ –
www.vrs-ev.de/forum/viewtopic.php?p=816#816
b) „Hatte das „ss“ in der Antiqua keine politische Bedeutung?“ -
www.vrs-ev.de/forum/viewtopic.php?p=839#839
- Heeger, Heinrich: Das Verbot der deutschen Schrift durch Adolf Hitler im Lichte einer schriftgeschichtlichen Betrachtung. In: Die deutsche Schrift, Heft 55, Sonderheft, Winter 1977
- Keunecke, Hans-Otto: Zur Geschichte der Schwabacher. In: Die deutsche Schrift, Heft 1, 1988, S. 2-14
- Keunecke, Hans-Otto: Die deutsche Schrift im Dritten Reich. Die Nationalsozialisten und das Schicksal der gebrochenen Lettern. In: Buchhandelsgeschichte 1993/4, Beilage zum „Börsenblatt für den deutschen Buchhandel“
- Dippert, Wolfgang / Hoffmann, Sandra: Antiqua oder Fraktur: die „Schwabacher Judenlettern“. In: Sabine Weigand-Karg, Sandra Hoffmann, Jürgen Sandweg (Hgg.). vergessen und verdrängt? Zur Stadtgeschichte Schwabachs von 1918 - 1945. Stadtmuseum Schwabach, Schwabach, 1997, S. 172-174 |
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