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Berliner Zeitung

 
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Manfred Riebe



Registriert seit: 23.10.2002
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Beitrag: Montag, 24. Nov. 2003 22:25    Titel: Berliner Zeitung Antworten mit Zitat

Im Namen unserer Sprache
Friedrich Dieckmann zur Rechtschreibreform


Herr Dieckmann, acht deutsche Akademien der Wissenschaften, der Künste und der Literatur haben in einem gemeinsamen Brief an die Kulturminister der Länder und an die Bildungsminister von Deutschland, Österreich und der Schweiz die Revision der Rechtschreibreform gefordert. Warum jetzt diese konzertierte Aktion, da sich das Schreibvolk an einige Neuregelungen wie etwa das Doppel-s gewöhnt zu haben scheint und ansonsten sowieso schreibt wie es will. Erledigen sich bürokratische Sprachdiktate nicht von selbst?

Nein, das glaube ich nicht. Im Dezember wird die Zwischenstaatliche Kommission, die die Reform vollzogen hat, sich mit den Ergebnissen dieses 1995 beschlossenen und vor fünf Jahren angelaufenen Großexperiments am lebendigen Leib der Sprache befassen. Man weiß, dass diese Kommission, als sie die Folgen der Reform sah, bestimmte Revisionen durchführen wollte, die am Widerstand der Ministerialbürokratie scheiterten. Im August 2005 soll die Gleichberechtigung der beiden Schreibweisen in den Schulen erlöschen. Dann wird durch staatliche Sanktion jeder Schüler, der noch nach der alten Rechtschreibung schreibt, bestraft.

Die Reformvorschriften haben im Einzelnen verschiedenes Gewicht. Über die ß-Tilgung in vielen Fällen kann man verschiedener Meinung sein.

Im Zentrum der Kritik steht der Eingriff der Reform in spracheigene Wortbildungsprozesse. Also Regeln der Auseinanderschreibung, die inkonsequent und kompliziert sind; sie bieten nicht die mindeste Erleichterung, verstören aber durch Sinnverschiebungen das Sprachgefühl. Es fällt mir auch bei der Lektüre der Berliner Zeitung immer wieder störend auf.

Zum Beispiel?

Am 30. Oktober, auf Seite 17, ist von Spektakeln die Rede, die „hier zu Lande“ stattfänden. Gemeint ist: hierzulande. „Hier zu Lande“ hätte nur einen Sinn, wenn der Gegensatz zu: „hier zu Wasser“, also zwischen Meer und Land, betont werden müsste. Das Auseinanderreißen der Wortbildung „hierzulande“ macht aus der übertragenen eine wörtliche Bedeutung, mit Tonwechsel von „hier“ zu „Lande“. Oder nehmen Sie die Nummer vom 23. September, Seite 9: „Hier entsteht etwas noch nie da Gewesenes“. Der Unterschied zwischen übertragenen und wörtlichen Bedeutungen wird verwischt, wird negiert.

Warum gehört die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung Darmstadt nicht zu den Absendern des Briefes?

Die Darmstädter Akademie hat in einem kleinen Buch ihren eigenen Revisionsvorschlag vorgetragen. Dort findet sich ein Verzeichnis der von der Reform betroffenen Wörter, das in vier Spalten die alte Orthographie, die Neuregelung von 1996, die Duden-Fixierungen von 2000 mit da und dort vollzogenen Zurücknahmen und schließlich den Vorschlag der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung nebeneinanderstellt. Bei den Univerbierungen (Zusammenschreibungen) laufen diese Vorschläge vielfach darauf hinaus, alte und neue Rechtschreibung nebeneinander stehen zu lassen, bis der Schreibgebrauch sich nach der einen oder anderen Seite neigt. Das ist sinnvoll, aber der Schreibgebrauch wird heute schon wesentlich durch die Signale des PCs regiert.

Die acht Akademien lassen erkennen, dass sie über diesen Kompromissvorschlag hinausgehen und entschiedener zur alten Schreibordnung zurückkehren möchten. Es fällt auf, dass sie einen sehr höflichen, eher bittenden denn polemisch fordernden Brief geschrieben haben.

Im Verlaufe dieses verordneten Reformvorgangs, der in vollem Umfang erst nach Vorlage der Wörterbücher kenntlich wurde, hat sich die Ohnmacht der Schreibgesellschaft gegenüber dem Staat herausgestellt. Das ist ein echtes Demokratie-Problem. Die Lage ist zu ernst für Polemik. Die politischen Entscheider haben ein Unternehmen auf den Weg gebracht, das der Prüfung durch den Gebrauch bedurfte. Die hat nun stattgefunden. Es gilt ein Fazit zu ziehen.

Wie groß ist Ihrer Ansicht nach der bereits angerichtete Schaden?

Die Einheitlichkeit der deutschen Rechtschreibung ist an empfindlichen Punkten gestört. Die Verunsicherung vor allem in Dingen der Getrennt- und Zusammenschreibung ist so groß, dass nun schon willkürlich Vorsilben abgetrennt werden, wo es die Reform gar nicht vorsieht.

Auch viele Lehrer konstatieren ja die eingetretenen Verwirrungen. Sie verweisen darauf, dass die Schüler heute andere und keineswegs weniger Fehler machen als vorher.

Stimmt. Es ist für Lehrer und Schüler eine schwierige Zeit. Nicht zuletzt, weil die Eltern nicht mehr helfen können bei der Rechtschreibung und weil die literarischen Texte in den Schulbüchern nicht der neuen Rechtschreibung folgen. Das ist eine große Erschwernis auch für den Deutschunterricht im Ausland. Unsere Goethe-Institute können ein Lied davon singen.

Was ist denn nun so schlimm, wenn jeder schreibt, wie er lustig ist?

Ich habe selbst die Freigabe einiger orthographischer Bestimmungen bei der Zeichensetzung für sinnvoll gehalten. Aber die Folgen sind zwiespältig; die zugestandene Freizügigkeit der Kommasetzung zwischen zwei Hauptsätzen etwa führt vielfach dazu, dass dort generell keine Kommata mehr gesetzt werden; die Freiheit führt dann auf eine falsche neue Norm. Angesichts der normsetzenden Kraft von PC-Programmen ist die Freiheit des privaten Schreibens ohnedies sehr eingeschänkt. Es ist nicht schlimm, wenn jeder schreibt, wie er Lust hat. Schlimm ist, wenn jeder „hier zu Lande“ drucken muss, weil das Wort „hierzulande“ von Staats wegen abgeschafft worden ist.

Die Verteidiger sagen jetzt: Eine Rücknahme bereite zu hohe Kosten.

Die Revision der Reform ist unerlässlich, und wenn sie auf schleichende Weise stattfindet und sich dabei in weitere Widersprüche verwickelt, so kommt das auch teuer. Der Rückgang auf die alte Orthographie unter Einbeziehung bestimmter Neuregelungen wäre kostensparend (in einem Wort bitte, auch wenn Ihr Computer rot markiert!), weil die alten Druck-Programme ja alle noch vorhanden sind.

Viele Kritiken von angesehenen Persönlichkeiten haben in den letzten Jahren die „Reform von oben“ nicht aufhalten können. Wird man jetzt auf die Akademien hören?

Es ist der erste Vorstoß einer so gesammelten Art. Es haben sich bisher zumeist Einzelpersonen geäußert, auch aus den Akademien; die Bayerische Akademie der Schönen Künste hat in einem Buch solchen Stimmen des Widerspruchs Raum gegeben. Der nun veröffentlichte Brief hat das volle Gewicht von acht gemeinsam auftretenden Institutionen. Neu ist auch, dass dieser Brief sich auf eine sehr persönliche Weise an die zwanzig politisch Verantwortlichen richtet und nicht an Kommissionen oder Beiräte.

Das Gespräch führte Volker Müller.

Friedrich Dieckmann ist Mitglied der Akademie der Künste Berlin, Vizepräsident der Sächsischen Akademie der Künste in Dresden und Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt.


Berliner Zeitung vom Montag, 24. November 2003, Feuilleton
__________________________

Der Kulturphilosoph, Schriftsteller und Journalist Friedrich Dieckmann koordinierte die Aktion der acht Akademie-Präsidenten. Vgl. Volker Müller: Akademiebrief – Tagebuch. In: Berliner Zeitung vom 20.11.2003
www.rechtschreibreform.com/Perlen/KraftBank/KraftBank.pl?ThuNov2018:30:25CET2003
Vgl. auch den Offenen Brief der Akademie-Präsidenten: http://www.vrs-ev.de/forum/viewtopic.php?t=111
Dieckmann, Friedrich: Was ist deutsch? / Eine Nationalerkundung. Frankfurt am Main: Suhrkamp (es Nr. 2280), 2003
_______________________________________________________________

Reform im Namen der deutschen Sprache

Endlich tritt eine bedeutende Person an die Öffentlichkeit, die im Namen der deutschen Sprache eine Reform der Rechtschreibreform von 1995 verlangt. So schwach die Fragen von Volker Müller, so stark sind die Antworten von Dieckmann. Es geht nicht darum, das ß abzuschaffen, sondern um die von Dieckmann angesprochenen Sinnverschiebungen. Dieser Beitrag sollte für die Berliner Zeitung Ansporn sein, sich an die Spitze der Reformer der Rechtschreibreform zu stellen.

Dieter Hennig,Hohen Neuendorf

Berliner Zeitung vom 29.11.2003, S. 32



Zuletzt bearbeitet von Manfred Riebe am Sonntag, 01. Feb. 2004 15:01, insgesamt 2mal bearbeitet
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Manfred Riebe



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Beitrag: Freitag, 26. Dez. 2003 23:23    Titel: Der Bund für vereinfachte rechtschreibung nimmt stellung Antworten mit Zitat

Der Bund für vereinfachte rechtschreibung nimmt stellung

29.11.2003 Rolf Landolt: Ich habe mir erlaubt, auch ein bisschen nachzulegen:
http://www.rechtschreibreform.ch/bvr/bo2003b24BerlZ.htm
www.rechtschreibreform.com/Perlen/KraftBank/KraftBank.pl?SatDec1315:02:53CET2003

Zu Im Namen unserer Sprache; Friedrich Dieckmann zur Rechtschreibreform. Berliner Zeitung, 24. 11. 2003

«Im Namen unserer Sprache, Friedrich Dieckmann zur Rechtschreibreform.» Aha, nach aller Unsicherheit und Verwirrung um anmaßende Reformer, Kommissionen und Politiker wissen wir endlich, wer <i>im Namen unserer Sprache</i> sprechen darf! Ich kann nur ehrfürchtig <i>den Hut ziehen</i>. Ich habe naiverweise geglaubt, den Unterschied zwischen <i>Brötchen</i> und <i>Ehepaaren</i> zu kennen; nun stehen mir <i>die Haare zu Berge</i>. Da liest man ahnungslos in der Zeitung: <i>«hier zu Lande»</i>. Gescheite Leser wie Herr Dieckmann interpretieren ohne zu zögern: «Gemeint ist . . .», aber was macht unsereins? «Der Unterschied zwischen übertragenen und wörtlichen Bedeutungen wird verwischt, wird negiert.» Das ist etwas «noch nie da Gewesenes».
Die Reform wurde gemäß Akademiebrief «am <i>grünen Tisch</i> projektiert». War der Tisch wirklich grün? Hier bleibt eine quälende, das Sprachgefühl verstörende Unsicherheit zurück: Der Unterschied zwischen übertragener und wörtlicher Bedeutung wird verwischt, wird negiert, und zwar sowohl von der alten als auch von der frisch gebackenen Schreibordnung. Ebenso bei der oben erwähnten Kopfbedeckung und den Haaren. Dabei schreibe ich diesen Text ausnahmsweise gemäß «der erprobten Übereinkunft von Schreibenden und Lesenden».
Die Reform wurde <i>«von oben herab»</i> verordnet. Wir da unten sind den acht Akademiekumpels dankbar für diese Entlarvung und die Bewahrung vor weiteren Bedrohungen («die Freiheit führt dann auf eine falsche neue Norm»). Die ohnmächtige Schreibgesellschaft hat ja so an den alten Regeln gehangen und mühelos gelesen und geschrieben, und die aus lauter gewöhnlichen Leuten bestehenden Reformvereine, z. b. der 1924 gegründete <i>Bund für vereinfachte rechtschreibung</i>, haben wohl ein Problem mit unten und oben.
«Die Lage ist zu ernst für Polemik.» Sie ist noch ernster: Im Namen unserer Sprache stelle ich fest, daß es noch Schlimmeres gibt als Polemik (der Begriff steht nicht notwendigerweise für etwas Negatives). Die Art und Weise, wie die Wissenschafter im Akademiebrief über den Unterschied zwischen Brötchen und Ehepaaren philosophieren und wie sie die harmloseste Rechtschreibreform der Menschheitsgeschichte dämonisieren, gereicht den beteiligten Institutionen nicht zur Ehre. Stehen sie wirklich mit dem <i>«vollen Gewicht»</i> dahinter? In diesem Fall könnte es sein, dass sich ihr Gewicht um ein paar Kilogramm reduziert.
<i>Bund für vereinfachte rechtschreibung
Rolf Landolt, Zürich (vorsitzer)</i>

www.rechtschreibreform.ch/bvr/bo2003b24BerlZ.htm
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Manfred Riebe



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Beitrag: Sonntag, 01. Feb. 2004 14:36    Titel: Der vierte Mannheimer Geheimbericht Antworten mit Zitat

<b>Der vierte Mannheimer Geheimbericht
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120 Phoneme auf ein Fonem
Die Mannheimer Rechtschreibkommission legt ihren vierten Geheimbericht vor</b>
Reinhard Markner

Aufgabe der Sprachwissenschaft ist eigentlich die Erforschung der Sprache, nicht ihre Veränderung. Daß die am Mannheimer „Institut für deutsche Sprache“ angesiedelte „Zwischenstaatliche Kommission für deutsche Rechtschreibung“ ein anderes Wissenschaftsverständnis pflegt, wird jedesmal deutlich, wenn sie alle zwei Jahre ihre „vertraulichen“ Ausarbeitungen an die Kultusministerkonferenz (KMK) abliefert. Die Grundzüge des vierten Geheimberichts sind uns nun bekannt.

Die Kommission ist von der KMK damit betraut worden, auf die „Wahrung einer einheitlichen Rechtschreibung im deutschen Sprachraum“ hinzuwirken. Diese Aufgabe zu erfüllen ist unmöglich, da die zu Beginn des 20. Jahrhunderts herbeigeführte Einheit der deutschen Orthographie durch die Reform zerstört wurde; was nicht existiert, kann auch nicht bewahrt werden. Die Verantwortlichen sehen das natürlich anders. So haben sie die Rückkehr der FAZ zur herkömmlichen Rechtschreibung nur als „kurzzeitige Irritation“ wahrgenommen. Sie vertrauen auch darauf, daß die Lehrer in Zukunft lieber zu Benjamin Lebert als zu Günter Grass greifen werden.

Was das mangelhafte Regelwerk selbst betrifft, so glaubt die Kommission ihrem Auftrag zur „Wahrung einer einheitlichen Rechtschreibung“ durch die Einführung immer neuer Schreibvarianten gerecht zu werden. Diesmal sind es unter anderem „ohne Weiteres“, „vor Kurzem“, „die Meisten“ und „8-fach“, die neben „ohne weiteres“, „vor kurzem“, „die meisten“ und „8fach“ treten sollen. Das auffällig kontraproduktive Verfahren der Kommission rührt daher, daß sie um keinen Preis eine einmal beschlossene Festlegung wieder rückgängig machen will. Aufgrund dieser Vorgabe darf sie selbst die erfolglosesten ihrer Wortschöpfungen nicht mehr aus dem Verkehr ziehen.

Suchmaschinen bieten heute eine bequeme Möglichkeit, die Akzeptanz der Rechtschreibreform anhand der Häufigkeit fakultativer Neuschreibungen statistisch zu beschreiben. Auf einen „Jogurt“ kommen gegenwärtig ungefähr 25 Joghurts, auf einen „Tunfisch“ 40 Thunfische. Für Linguisten von besonderem Interesse: Auf ein „Fonem“ kommen 120 Phoneme. Das ist ein Verhältnis, das schon in die Nähe berüchtigter Falschschreibungen gerät, denn auf 150 Originale kommt ein „Orginal“.

Eklatant falsch ist bekanntlich auch die von den Reformern aus Unkenntnis der Sprachgeschichte eingeführte Schreibung „Leid tun“. In einer vom Sekretariat der KMK angefertigten Beschlußvorlage heißt es dazu: „Für den Fall Leid tun wird die neue zusätzliche Variante leidtun (wie teilnehmen, kundtun ) eingeführt. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass sich eine eindeutige Entscheidung für adjektivischen und substantivischen Gebrauch nicht treffen lässt.“ Tatsächlich liegen die Verhältnisse klar zutage: Das Substantiv „Leid“ hat sich aus dem älteren Adjektiv „leid“ entwickelt, welches in den Wendungen „leid sein“ und „leid tun“ fortlebt. Daß die Großschreibung „Leid tun“ abwegig ist, läßt sich jedem Wörterbuch der deutschen Sprache entnehmen, das noch nicht im Sinne der Reformer umgeschrieben ist.

Lakonisch stellte die Deutsche Gesellschaft für Sprachwissenschaft 1997 fest, daß die „amtliche Regelung“ der deutschen Rechtschreibung nicht dem Stand der Forschung entspreche. Genaugenommen fällt sie hinter den Erkenntnisstand des 19. Jahrhunderts zurück. Denn schon Konrad Duden hatte darauf hingewiesen, daß die „Hinzufügung einer nähern Bestimmung“ die Desubstantivierung von „Recht“ in „recht haben“ deutlich vor Augen führt. Damit hatte er „vollkommen recht“ - hier „vollkommen Recht“ zu schreiben, wäre grammatisch „vollkommen Unsinn“. Die Reformer rührt dies nicht; sie glauben ohnedies, daß künftige Generationen die Kleinschreibung erkämpfen werden.

Für die nähere Zukunft fordert die Kommission, weniger einschneidende Änderungen auch ohne vorherige Konsultierung der politischen Gremien beschließen und durchsetzen zu können. Da in der genannten Vorlage nicht definiert ist, welche möglichen Eingriffe „von grundsätzlicher Bedeutung und Tragweite“ und damit weiterhin zustimmungspflichtig wären, würde ein entsprechender Beschluß der KMK die Kommission ermächtigen, eine Vielzahl bisher gescheiterter Vorschläge sukzessive einzuführen. Der Weg wäre grundsätzlich frei für „Ältern, Apoteke, Flopp“ und „Pitza“, denn keine dieser Schreibungen ist mit den Paragraphen des 1996 abgesegneten Regelwerks unvereinbar.

Oft wird beklagt, dass Entscheidungsträger beratungsresistent seien. Es gibt allerdings Situationen, in denen ausnahmsweise einmal Politiker gefragt wären, die resistent gegen die eigenen Berater blieben. Das nächste Zusammentreten der Kultusministerkonferenz Anfang März zählt dazu.

Der Autor ist Verfasser von „Rechtschreibreform und Nationalsozialismus“ (mit Hanno Birken-Bertsch; Wallstein, Göttingen 2000). <b>Auf seinen Wunsch erscheint sein Text in alter Rechtschreibung.</b>

Berliner Zeitung vom 29.01.2004, S. 11, Feuilleton
www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2004/0129/feuilleton/0009/index.html
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Anmerkung: Ein „dass“ hat sich dennoch eingeschlichen:
„Oft wird beklagt, dass Entscheidungsträger beratungsresistent seien.“
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