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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Sonntag, 11. Jan. 2004 19:14 Titel: Präskription oder Deskription? |
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Präskription oder Deskription?
Die „Deutsche Welle“ fragt: Was halten Sie davon, die Sprache von „oben herab“ zu reformieren? - www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?t=223 - Anders ausgedrückt: Was halten Sie von Sprachnormung bzw. Präskription, einem Eingriff in die Sprachentwicklung von oben?
Das Gegenteil von Präskription ist die Deskription. Sie bedeutet eine differenzierte Beschreibung des Sprach- bzw. Schreibgebrauchs (Usus). Ein Beispiel ist Martin Luther, der dem Volk auf’s Maul schaute.
Ist der Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege e.V. (VRS) für Präskription oder Deskription?
Die Antwort steht in § 2 der Satzung des VRS - www.vrs-ev.de/satzung.php -.
Ziel des VRS ist die behutsame und sachgerechte Anpassung der Schrift an die sich lebendig entwickelnde Sprache, so daß die Ergebnisse von natürlichen Entwicklungen der Orthographie wie bisher in eine verbindliche Wörterliste aufgenommen werden. Der VRS wendet sich folglich gegen willkürliche Eingriffe in die Rechtschreibung und somit gegen die Rechtschreibreform, die die Kultusminister den Schulen undemokratisch an den Parlamenten vorbei aufzwangen.
Deskription, d.h. eine Beschreibung des Schreibgebrauchs, ist in der 20. Auflage des Duden von 1991, von relativ wenigen Irrtümern einmal abgesehen, weitgehend vorhanden und grundsätzlich gelungen. Ein Kenner der Materie, Professor Wolfgang Ullrich Wurzel, der im Zentralinstitut für Sprachwissenschaft der Akademie der Wissenschaften der DDR in einer Orthographie-Arbeitsgruppe tätig war, bestätigt die Duden-Deskription:
Entgegen einer weitverbreiteten Meinung sei der Duden bis zur 20. Auflage von 1991 grundsätzlich weder ein Sprach- noch ein Orthographienormer gewesen. Der Duden sei kein Sprachnormer, weil er nicht in die Sprachentwicklung eingriff, sondern nur die sich vollziehenden Sprachveränderungen registrierte, wenn sie sich durchgesetzt hatten. Auch die Regeln der Rechtschreibung wurden nicht vom Duden gemacht. Der Duden kommentierte lediglich die amtlich festgelegten Rechtschreibregeln (vgl. Wurzel, Wolfgang Ullrich: Konrad Duden, 2. Auflage, Leipzig: VEB Bibliographisches Institut, 1985, S. 107 f.).
Schon 1880 habe sich Konrad Duden bei der orthographischen Bearbeitung der einzelnen Wörter nach den vorgegebenen Regeln gerichtet. Trotz der Regeln sei aber immer noch eine große Zahl von Zweifelsfällen geblieben, bei denen Duden über die Schreibung von Wörtern nach eigenem Ermessen entscheiden mußte (Wurzel: Konrad Duden, S. 69 ff.).
Ausnahmen bestätigen die Regel: Der Duden wurde zum Beispiel im Bereich dieser Zweifelsfälle ausnahmsweise doch normierend tätig. Kopke weist darauf hin, daß der Duden auch im Bereich der Fremdwörter die Freiräume der amtlichen Regeln von 1901 und 1944 ausgemerzt habe. Ursache für die Schreibnormierung des Duden in Randbereichen - in Abweichung von den amtlichen Regeln - war schon 1911 das Ziel der Vereinheitlichung durch Abschaffung von Doppelformen bei Fremdwörtern. Im Buchdruckerduden wurden Doppelschreibungen weitgehend stillschweigend eliminiert oder in Fußnoten verbannt. Die 2. Auflage des Buchdruckerdudens wurde in die 9. Auflage des Duden von 1915 eingearbeitet. In der 14. Auflage von 1954 wurden sogar diese Fußnoten weggelassen, um die deutsche Einheitsschreibung zu fördern. Normierend wurde der Duden auch dadurch tätig, daß er 1915 erstmals Regeln für die Zeichensetzung einführte, die 1901 nicht amtlich geregelt worden waren (Wolfgang Kopke: Rechtschreibreform und Verfassungsrecht. Schulrechtliche, persönlichkeitsrechtliche und kulturverfassungsrechtliche Aspekte einer Reform der deutschen Orthographie. Tübingen 1995, S. 52 f.).
Der Beschluß der Kultusministerkonferenz von 1955 privilegierte den Duden. Er lautet:
„Die in der Rechtschreibreform von 1901 und den späteren Verfügungen festgelegten Schreibweisen und Regeln für die Rechtschreibung sind auch heute noch verbindlich für die deutsche Rechtschreibung. Bis zu einer etwaigen Neuregelung sind diese Regeln die Grundlage für den Unterricht in allen Schulen. In Zweifelsfällen sind die im ‚Duden‘ gebrauchten Schreibweisen und Regeln verbindlich.“ (Beschluß der Kultusministerkonferenz. In: Bundesanzeiger Nr. 242 vom 15. Dezember 1955, S. 4; vgl. Kopke, S. 46)
Die Kultusminister sicherten mit ihrem Beschluß von 1955 jeder Neuauflage des Duden den Absatz, da in Zweifelsfällen nun der Duden maßgeblich war (Kopke, S. 59). Seitdem fand in der westdeutschen Ausgabe des Duden aus wirtschaftlichen Interessen eine ständige Ausdifferenzierung bzw. Verfeinerung von Regeln und eine Vergrößerung des Wörterverzeichnisses statt, um möglichst viele neue Auflagen vermarkten zu können (Kopke, S. 56 f.). Das Kernproblem bestand darin, daß der Duden die amtlichen Regeln überspielen konnte, so daß eine Ausweitung der orthographischen Normierung ohne jede demokratische Kontrolle stattfand (S. 59). Kopke betont jedoch, daß die Diskrepanzen zwischen den Regeln von 1901, denen von 1944 und denen des Duden ziemlich gering sind, was die Schreibung der Wörter angeht (Kopke, S. 64).
Die Duden-Redaktion wich also nur in einigen Randbereichen von den amtlichen Regeln ab und setzte selber Normen. Über die Duden-Praxis und über die Reformer schrieb Theodor Ickler:
„Das Rechtschreibwörterbuch aber hat den Usus (Sprachgebrauch) zu beschreiben. Was es den beobachtbaren Tatsachen an Begründungen, Erklärungen, ja auch nur an Regeln hinzufügt, ist Theorie und kann falsch sein. Damit wird es unbeachtlich. Denn falsche Theorien kann nicht einmal eine Kultusministerkonferenz verbindlich machen. Aus diesen Überlegungen geht nebenbei auch hervor, daß das Wörterverzeichnis und nicht das Regelwerk der Kern der Orthographie ist und daß es eine Zumutung war, der Öffentlichkeit jahrelang nur ein neues Regelwerk ohne Wörterbuch zu präsentieren. [...] Was die Grammatik erlaubt, kann die Orthographie nicht verbieten. Das ist der Kernsatz einer richtigen Dudenexegese. [...] Einmal aufmerksam geworden, entdeckt man, daß fast alle Dudenregeln Kann-Bestimmungen sind, Spielräume eröffnen [...]
Fast alle Bedenken, die man gegen Widersprüche und Haarspaltereien des Duden vorgebracht hat, lassen sich nach dem Prinzip der wohlwollenden Interpretation beseitigen. Daraus ergibt sich von selbst, wie zu verfahren ist, wenn man die von den Kultusministern leichtfertig zerstörte Einheit der deutsche Orthographie wiederherstellen will: Die gewohnten Schreibweisen bleiben gültig, ihre Kodifikation wird - nach dem unwiderruflichen Ende des Dudenprivilegs - auf eine andere, weder kommerziell interessierte noch politisch gebundene Instanz übertragen, damit die Schulen etwas haben, woran sie sich halten können. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung hätte hier im übrigen eine verdienstvolle Aufgabe [...]“
(Ickler, Theodor: Fetisch oder Norm. Ein Weg aus der Rechtschreibkrise. In: FAZ 14.11.1997, S. 41).
Die Rechtschreibreformer haben willkürlich Schreibregeln erfunden, die im Widerspruch zur natürlichen Entwicklung der Orthographie stehen und teilweise auf den Stand des 18./19. Jahrhunderts zurückführen. Die Rechtschreibreformer schauten dem Volk nicht auf’s Maul, sondern hauten ihm auf’s Maul. Die Reformer und die Kultusminister zerstörten damit auch die Einheit der deutschen Orthographie.
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Siehe auch: Dr. Matthias Wermke: Deskriptivität und Normativität aus der Sicht des Dudens - http://www.ids-mannheim.de/org/tagungen/jt2004/wermke.html |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Montag, 18. Jul. 2005 12:03 Titel: Einheitliche Rechtschreibung oder Beliebigkeitsschreibung? |
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Einheitliche Rechtschreibung oder Beliebigkeitsschreibung?
Der DUDEN hat diese Frage beantwortet in:
DUDEN: Praxiswörterbuch zur neuen Rechtschreibung. Hrsg. und bearbeitet von der Dudenredaktion. Mannheim, Leipzig, Wien Zürich: Dudenverlag, Oktober 1998 (Beratende Mitarbeit: Gesellschaft für deutsche Sprache, Wiesbaden) http://www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?p=2511#2511
In der Einleitung dieses Praxis-Dudens heißt es:
„Es gibt allerdings Schreibsituationen, in denen die neue Wahlfreiheit gewisse Probleme mit sich bringt, vor allem dann, wenn es um die Einheitlichkeit von Texten geht. [...] Das gilt für einen einzelnen Text, aber auch für mehrere Texte, die in einem Zusammenhang stehen, also etwa für die Korrespondenz einer Firma oder für die Gesamtheit der Texte einer Zeitung oder Zeitschrift.
Viele Firmen und Institutionen entwickeln deshalb eigene Hausorthographien http://www.vrs-ev.de/forum/viewforum.php?f=2 , in denen sie eine von mehreren Möglichkeiten der Schreibung, Worttrennung oder Interpunktion als für ihren Bereich verbindlich erklären. Dieses Praxiswörterbuch bietet hierfür Orientierungsmöglichkeiten. Es soll aber vor allem auch denen, die für das Erstellen umfangreicher hausinterner Richtlinien selbst nicht die Mittel oder die Zeit haben, eine Hilfe beim täglichen Schreiben sein. Dass es ein starkes Bedürfnis nach einer einheitlichen Rechtschreibung und Zeichensetzung gibt und ein Ratgeber wie dieses Wörterbuch gesucht wird, belegen zahlreiche Anfragen beim Sprachberatungsservice der Dudenredaktion.“
„Das ph in Wörtern aus dem Griechischen
Vor allem in Texten der wissenschaftlichen Fachsprachen dürften die ph-Schreibungen auch weiterhin vorherrschend bleiben. [...] empfehlen wir, bei der traditionellen ph-Schreibung zu bleiben.“
Buchdrucker sind Ökonomen und beschäftigen sich u.a. mit Effektivität. Wer wie die Buchdrucker schon seit 1903 eine einheitliche Rechtschreibung haben wollte und auch durchgesetzt hat, muß sich für eine Schreibweise entscheiden. Vgl. hierzu die Artikel in DRUCK+PAPIER http://www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?p=2546#2546
Ich selber bin Diplom-Kaufmann. Durch eine Beliebigkeitsschreibung werden weltweit Ressourcen vergeudet. Nur bestimmte Medienkonzerne freuen sich. Siehe: Zu den Kosten der Rechtschreibreform http://www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?p=1445#1445
In Wikipedia meint ein Anonymus "134": „Flexibilität ist ein Muss für die Wirtschaft.“
Gemeint sind wohl die Medienkonzerne, die an der Reform verdienen ... Man muß aber volkswirtschaftlich fragen: Ist die Kultusministerschreibweise wirtschaftlich ein Fortschritt oder ein Rückschritt? Warum gibt es zum Beispiel DIN-Normen?
Die sogenannten neuen Schreibweisen sind ein Rückschritt ins 18./19. Jahrhundert. Im Bereich der Groß-/Kleinschreibung und der Getrennt-/Zusammenschreibung waren viele „neue“ Schreibweisen vor hundert und zweihundert Jahren üblich. Daher sind die Regeln der Reformer nach dem Urteil prominenter Sprachwissenschaftler veraltet (Glück, Helmut: Von Weiber-Seelen im Liebes-Fieber. Alter Zopf an neuem Kopf: In der Wortbildung geht die Rechtschreibreform auf uralten Pfaden. In: FAZ, 5.9.2000, Seite 54). http://www.vrs-ev.de/pm280803.php Desgleichen sind die Hausorthographien ein Rückschritt ins 18./19. Jahrhundert.
Präskription oder Deskription? http://www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?p=577#577
Diese Frage haben die Kultusminister nicht gestellt und daher nicht beantwortet. Sie hatten den Reformern freie Hand gelassen. Das Ergebnis ist eine „Beliebigkeitsschreibung“ - http://www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?p=261#261 .
Der Rat für deutsche Rechtscheibung will bis Sommer 2006 die noch strittigen Reformteile überarbeitet haben. Dabei soll nicht das Regelwerk, sondern der Sprachgebrauch in den Mittelpunkt gerückt werden. „Im Rat ist der Konsens da, dass man dem Volk aufs Maul schauen muss“, sagte der Ratsvorsitzende Hans Zehetmair (CSU) Anfang Juli.
Warum nicht gleich so? Das wäre die Entscheidung für das Prinzip der Deskription.
Manfred Riebe
http://en.wikipedia.org/wiki/User:Manfred_Riebe
„Es ist nie zu spät, Natur-, Kultur- und Sprachzerstörung, Entdemokratisierung, Korruption und Steuerverschwendung zu stoppen!“ (VRS) |
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