Günter Schmickler
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: Sonntag, 25. Feb. 2007 20:42 Titel: Wortgruppen und Zusammensetzungen |
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Wortgruppen und Zusammensetzungen
In der „Amtlichen Regelung der deutschen Rechtschreibung“ von 1996 befassen sich die Paragraphen 33 bis 39 mit der Getrennt- und Zusammenschreibung. Diesen vorangestellt sind lesenswerte „Vorbemerkungen“:
Die Getrennt- und Zusammenschreibung betrifft die Schreibung von Wörtern, die im Text unmittelbar benachbart und aufeinander bezogen sind. Handelt es sich um die Bestandteile von Wortgruppen, so schreibt man sie voneinander getrennt. Handelt es sich um die Bestandteile von Zusammensetzungen, so schreibt man sie zusammen.
In diesem Absatz halte ich für besonders hilfreich die Feststellung, daß ein Zweifel hinsichtlich der Getrennt- und Zusammenschreibung nur bei Wörtern entstehen kann, die „im Text unmittelbar benachbart und aufeinander bezogen“ sind. Man stelle sich vor, die Leute schrieben plötzlich das erste mit dem letzten Wort eines langen Satzes zusammen! Das hieraus entstehende Schriftbild könnte besonders bei einem Text in der Art Kleistscher Novellen für einige Verwirrung sorgen. :-)
Weniger einsichtig als die „Beschränkung auf unmittelbare Nachbarschaft“ scheint mir die Unterscheidung von „Wortgruppen“ und „Zusammensetzungen“. Gäbe es eine klare Definition des Begriffes „Zusammensetzung“, aus der sich anhand eindeutiger Kriterien die Notwendigkeit der Zusammenschreibung ableiten ließe, so wäre der 1. Absatz der „Vorbemerkungen“ eine wertvolle Hilfe für jeden, der in einem konkreten Einzelfall Zweifel über die Frage „Getrennt oder zusammen?“ hat. Da es eine solche Definition nicht gibt und wohl auch nicht geben kann, ist die diesbezügliche Aussage in den Vorbemerkungen so gehaltvoll wie die volkstümliche Redensart „Rechts ist da, wo der Daumen links ist“. Mit anderen Worten: Wir haben es hier im Grunde mit einem „Circulus vitiosus“ (Zirkelschluß) zu tun.
Diese Einschätzung wird bestätigt durch die auf die Vorbemerkungen folgenden Regeln. Wollte man anhand dieser Regeln die Bedeutungen der Begriffe „Wortgruppe“ und „Zusammensetzung“ empirisch ermitteln, so käme man zwangsläufig zu dem Ergebnis, daß eine Wortgruppe immer dann gegeben ist, wenn nach überkommenen oder von den Reformern erfundenen Regeln aufeinanderfolgende Wörter voneinander getrennt zu schreiben sind. Vice versa haben wir es mit einer Zusammensetzung zu tun, wenn die Regeln - seien sie althergebracht oder neu erfunden – keine Lücke zwischen den Wörtern zulassen. Ich darf mir immer aufs neue den Kopf darüber zerbrechen, ob zwei Wörter zusammengeschrieben werden, weil sie eine Zusammensetzung sind, oder ob sie eine Zusammensetzung sind, weil sie zusammengeschrieben werden.
Die Begriffe definieren und begründen sich – ganz nach der Art eines „Circulus vitiosus“ - gegenseitig: Die Getrenntschreibung die Wortgruppe und umgekehrt, die Zusammenschreibung die Zusammensetzung und umgekehrt. Besonders deutlich wird dies beispielsweise aus § 35:
Verbindungen mit >sein< gelten nicht als Zusammensetzung. Dementsprechend schreibt man stets getrennt
„Innesein“ wird zu „inne sein“, der Unterschied zwischen „dagewesen“ und „da gewesen“ wird verwischt, Zur Begründung genügt, daß die Reformer bisherige Zusammensetzungen nicht mehr anerkennen und diesen ihren Willen als Sprachgebrauch (gelten nicht ....) ausgeben. Die Formulierung des § 35 in der Fassung von 1996 ist in meinen Augen fast dreist! Vielleicht haben das einige Mitglieder des Rechtschreibrates auch so gesehen: In der Fassung des § 35 von 2006 heißt es nur noch “Verbindungen mit >sein< werden getrennt geschrieben“. Es folgen einige Beispiele. Auf die anmaßende und „zirkelschlüssige“ Begründung wird verzichtet, aber in der Sache hat sich nichts geändert: An die Stelle der „nie dagewesenen Sauerei“ tritt weiterhin die „nie da gewesene Sauerei“.
Beim Vergleich der Fassungen von 1996 und von 2006 der Vorbemerkungen zur Getrennt- und Zusammenschreibung ist mir noch einiges aufgefallen:
An die Stelle der „Wörter“, die im Text unmittelbar benachbart sind, treten 2006 „Einheiten“.
Ich vermute, daß damit „Morpheme“ gemeint sind. Beispielsweise gölte jetzt auch ein Wort wie „zerstritten“ als Zusammensetzung, da „zer“ zwar kein Wort, aber eine bedeutungstragende Einheit (Morphem) ist.
Was aber viel wichtiger ist: Während in der Ausgabe von 1996 noch der Primat der Getrenntschreibung nachdrücklich hervorgehoben wird (Abs. 2 der Vorbemerkungen), erscheinen in der Fassung von 2006 die Getrennt- und die Zusammenschreibung eher als gleichwertige Instrumente der Orthographie. “Die Verwendung einer Wortgruppe oder einer Zusammensetzung richtet sich danach, was jeweils gemeint ist und was dem Sprachgebrauch und den Regularitäten des Sprachbaus entspricht.“ So wird der Bedeutungsdifferenzierung und dem Prinzip der Deskription wieder ein größeres Gewicht beigemessen. Allerdings bereiten die „Regularitäten“ mir einiges Bauchgrimmen. Könnte dieses abgehobene Wort nicht eine vornehme Umschreibung für die Konstrukte der Reformprofessoren sein? Diese Konstrukte haben nämlich in beträchtlichem Ausmaß die „Reform der Reform“ überlebt, und sei es nur in der Form von Alternativschreibungen ....
Nach der „reformierten Reform“ können die Einheiten „Hand“ und „voll“ sowohl eine Wortgruppe als auch eine Zusammensetzung bilden – je nach Bedeutung. Ich nehme den Absatz 2 der Vorbemerkungen wörtlich und schließe daraus:
Eine „Handvoll Kirschen essen“ bedeutet „So viele Kirschen essen, wie in eine Hand passen“.
Eine „Hand voll Kirschen essen“ bedeutet „Die Hand mitsamt den Kirschen verspeisen“.
Guten Appetit! |
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