Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Samstag, 15. Nov. 2003 20:27 Titel: Forschung & Lehre: Denglisch |
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Forschung & Lehre: Denglisch
Brauchen wir englische Wörter?
Ein Plädoyer für den Gebrauch der deutschen Sprache
Von Gerd Schrammen
Englisch hat sich als weltweit anerkannte und international verbindliche Wissenschaftssprache durchgesetzt. Das ist gut so, wenn damit auch für die nicht-englischen Muttersprachler bleibende Benachteiligungen verbunden sind.
Aber was ist mit der wachsenden Zahl von englischen Ausdrücken, die in unsere Alltagssprache eindringen? Wörter wie shopping, service point, counter, airbag und body bag, downloaden, relaxen, job floater usw.? Sie werden von einer deutlichen Mehrheit der Menschen in Deutschland als aufgenötigt und überflüssig abgelehnt. Aber es gibt auch Stimmen, nicht nur aus dem Lager derer, die sie in Umlauf bringen, sondern auch aus dem Kreis von Sprachwissenschaftlern, Germanisten zumal, die die englischen Wörter für eine Bereicherung der deutschen Sprache halten. Die Verständigung in Deutschland werde durch diese Anglizismen verbessert, ist eine der vorgebrachten Begründungen.
Ich nenne drei Behauptungen, Vorurteile eher, mit denen die Notwendigkeit und der Nutzen der Anglizismen begründet werden, und versuche, diese Behauptungen zu widerlegen.
„Englische Wörter sind ein Zeichen von Leben“
Tatsächlich bewirken die englischen Wörter, daß deutsche Wörter aussterben. Wo Ausdrücke wie „Junggeselle“, „Kundendienst“, „Börsenkrach“ oder „Schalter“ durch single, service, crash, counter verdrängt werden, stirbt die deutsche Sprache jedesmal einen kleinen Tod.
Das Klischee von der Sprache als lebendigem Organismus sollten wir endlich überwinden. Sprache wird gemacht das gilt ganz besonders für das in die deutsche Sprache eingeschleuste Neuanglodeutsch. Es wird von denen gemacht, die die Macht dazu haben, d. h über Mittel verfügen Medien, Werbung, öffentliche Anerkennung um es durchzusetzen. Platon sagt im Kratylos, Sprache sei nicht physis nicht Natur , sondern nomos, also Absprache und Übereinkunft. Im antiken Rom wurde ähnlich gedacht. Dort hat es kräftige Sprachpflege gegeben, und zwar als Widerstand gegen die Allmacht des Griechischen mit dem Ziel eines sermo purus, der arm war an fremden griechischen Ausdrücken. Utimur Graecis verbis, ubi nostra desunt ... schreibt Quintilian, der zugleich fordert, ... ut sint quam minime (verba) peregrina et externa. Wenn wir in Deutschland heute die Ausdrücke „Oberfläche“, „Nebensache“, „Nachnahme“ oder „Bahnsteig“ benutzen, geht das auf lenkende Eingriffe in den Sprachgebrauch zurück, die im 17. Jahrhundert und nach der Reichsgründung 1871 vorgenommen wurden. Solche Sprachplanung belegt, daß Sprache nicht einfach „wächst wie ein Baum“ (Harald Weinrich).
„Englische Wörter sind kurz und prägnant“
Trifft das wirklich zu? Die englischen bzw. denglischen - Wörter cargo, computer, facility manager, service point sind an Silben länger als „Fracht“, „Rechner“, „Hausmeister“ oder „Auskunft“. Die Präpositionen after, because of, in front of, in spite of sind länger als „nach“, „wegen“, „vor“, „trotz“. Auch die Umschreibungen mit to do sind kein Musterbeispiel für Kürze und sprachliche Ökonomie. Ein Ausspruch von Winston Churchill aus dem Zweiten Weltkrieg gilt als Beleg für knappes Englisch: I have nothing to offer but blood, toil, tears and sweat. Das ginge genauso gut auf deutsch mit der gleichen Silbenzahl: „Ich biete Euch nichts als Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß“. Das angeredete Volk ist mit „Euch“ zusätzlich dabei.
Knappe Rede wird übrigens meist von denen gefordert, die ihre Mitmenschen tagaus tagein mit lästigem Geschwätz heimsuchen, Werbemacher und Medienleute. Zur Kürze als angeblicher Qualität hat sich der Berliner Maler Max Liebermann geäußert. Jemand hatte an einem Gemälde von Paul Cézanne bemängelt, der Arm einer Figur sei zu lang. Darauf antwortete Liebermann: „Der Arm kann gar nicht lang genug sein, wenn er schön ist.“ Das gilt auch für die deutsche Sprache.
Ich will dieses kleinliche Silbenzählen und andere Spiegelfechtereien nicht weiter betreiben. Schließlich das möchte ich betonen sind die Merkmale englischer Wörter, die angeblich größere Kürze oder die präzisere Bezeichnung der Dinge, ganz und gar gleichgültig und völlig unerheblich für deutsche Sprecher. Wir sprechen Deutsch, verständigen uns nicht mit Hilfe einer fremden Sprache, ebenso wie die Engländer, Russen oder Spanier ihre eigene Sprache haben und sie benutzen, ohne auf andere zu achten. Vergleiche zwischen den Sprachen in diesem Punkt sind nur von theoretischem (akademischem) Interesse, ohne Bedeutung für den täglichen Sprachgebrauch.
„Englische Wörter füllen Bezeichnungslücken“
Sprachwissenschaftler verharmlosen gern die gegenwärtig stattfindende Anglisierung der Muttersprache und erklären, die englischen Wörter füllten sogenannte Bezeichnungslücken. Ausdrücke wie shop, bike, event usw. bezeichneten Dinge, für die es im Deutschen kein geeignetes Wort gebe. Die Salzburger Festspiele z. B. seien eine „Veranstaltung“, der Europäische Schlagerwettbewerb dagegen ein event mit highlights. Das stimmt nur auf den ersten, sehr flüchtigen Blick. An die „alten“ deutschen Ausdrücke hätten sich sehr wohl die neuen Inhalte einer gewandelten Wirklichkeit anhängen können. Die Engländer machen uns das vor (s. u.).
Wo englische Wörter benutzt werden, sind in vielen Fällen schon deutsche vorhanden. „Besatzung“, „Nachrichten“ und „Zeitlupe“ brauchen nicht durch crew, news oder slow motion ersetzt zu werden. „E-Post“ oder „Geländerad“ hätten anstelle von e-mail oder mountain bike gewählt werden können, als diese Dinge aufkamen. Statt quizz, design oder image hätten bei mehr Treue zur eigenen Sprache - von Anfang an deutsche Wörter gebraucht werden können. Sie waren da, und die neuen Bedeutungen wenn es sie tatsächlich gibt - wären in sie eingegangen. Für talk show z. B. hätten wir „Gesprächsrunde“, der „Motorradfreak“ wäre ein „Motorradnarr“. Diese deutschen Ausdrücke empfinden wir allerdings als fremd, weil die englischen uns vertraut geworden sind.
Sprachliche Selbstgenügsamkeit der Angelsachsen
Die englischen Wörter stehen jeweils für nicht genutzte Möglichkeiten der deutschen Sprache. Für einen anderen Umgang mit der eigenen Sprache geben die Angelsachsen uns ein Beispiel. Ihnen genügt ihr Englisch, um die Dinge dieser Welt zu benennen. Um sich zu verständigen, benutzen sie jahrhundertealte, ehrwürdige und bewährte Wörter wie shirt, news, girl, kid, talk, fun, show, top usw. In Deutschland mag ein lover aufregender sein als ein „Liebhaber“ oder „Freund“. Den lover gibt es allerdings schon in einem Gedicht von Shakespeare, das 400 Jahre alt ist. Das heißt, Engländerinnen und Amerikanerinnen kommen mit einem uralten Wort der eigenen Sprache aus, um ihre Liebhaber oder Freunde des 21. Jahrhunderts zu bezeichnen. Der chat übers Internet zwischen einem Schotten und einem Neuseeländer ist etwas anderes als der Schwatz in einer englischen Kneipe im 18. Jahrhundert. Trotzdem wird das alte Wort für geeignet befunden, um eine neue Sache von heute zu bezeichnen. Hinter solcher sprachlichen Selbstgenügsamkeit und Selbstversorgung steht viel Liebe zur Muttersprache.
Diese Liebe zur Muttersprache und die Bereitschaft, sie zu pflegen und zu schützen, ist in Deutschland nur schwach ausgebildet. Jürgen Trabant hat in einem Beitrag der Frankfurter Rundschau dargelegt, daß wir vom einfachen Bürger bis zum prominenten Politiker eigentlich keine Deutschen sein wollen und uns deshalb auch von unserer Sprache verabschieden. Nur wenige mögen in der deutschen Sprache einen „Nazi-Dialekt“ sehen, durch den immer noch ein „Jawoll, Herr Obersturmbannführer!“ schnarrt. Aber von ihrer Großartigkeit, ihrer derben Anschaulichkeit, Vielfalt, Genauigkeit und Schönheit wissen auch nicht viele. Diejenigen, die sie zum albernen deutsch-englischen Kauderwelsch umgestalten, haben offenbar noch nie davon gehört. Das Denglisch, das sie hervorbringen, hat übrigens nichts mit „Sprachverfall“ zu tun, sondern ist rohe Beschädigung der Muttersprache.
Anschrift des Autors
Gerd Schrammen
Mohnstieg 5
37 077 Göttingen
E-Mail: ge.schrammen@web.de
Forschung & Lehre Nr. 10 vom 5. November 2003
www.forschung-und-lehre.de/archiv/10-03/
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