Reinhard Markner
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: Donnerstag, 17. Okt. 2002 13:44 Titel: Uwe Pörksen |
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17. Oktober 2002, Neue Zürcher Zeitung
Politikverdrossenheit - Sprachverlassenheit
Uwe Pörksens Plädoyer für die freie politische Rede
Im gerade vergangenen deutschen Wahlkampf wurde gleich zweimal ein sogenanntes «TV- Duell» inszeniert - sogenannt, weil die beiden Kombattanten nicht so sehr direkt, wie es das Wort «Duell» sagt, verbal aufeinander stiessen, ihre rhetorischen Klingen kreuzen konnten, als vielmehr auf die Fragen von Journalistinnen und Journalisten antworten mussten. Und auch die Antworten waren in ein enges Zeitkorsett gezwängt. Die «TV-Duelle» boten so symptomatische Beispiele für die Ersetzung politischer Debatten durch mediale Arrangements, mehr noch für das, was Uwe Pörksen in seiner «Kurzen Kritik der öffentlichen Rede» respektlos, aber treffend den «alltäglichen 20-Sekunden-Satz, das politische Kurzgebell» nennt.
Der emeritierte Professor für Sprache und ältere deutsche Literatur aus Freiburg i. Br., Mitglied der für ihre angebliche Realitätsferne berüchtigten Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, hat mit seinen Büchern «Plasticwörter. Die Sprache einer internationalen Diktatur» (1988) und «Weltmarkt der Bilder. Eine Philosophie der Visiotype» (1997) weithin Beachtung gefunden. Beide Bücher analysieren und kritisieren die «Schlüsselbegriffe» und «Schlüsselbilder» einer technisch und wissenschaftlich, kommerziell und medial geprägten Moderne, die sich unter den kategorischen «Mobilmachungs-, den Zukunftsbefehl» der unablässigen Modernisierung stellt und die Diktatur ihrer «Expertokratien», ihrer «Sachzwänge» zugleich unter dem schönen Schein ihrer stereotypen Schlagwörter und -bilder verbirgt.
In beiden Büchern deutete sich auch schon an, aus welchem Impuls sich die Kritik nährte: Ein unverbesserlicher Demokrat, dem spürbar an der Wiederbelebung einer wirklichen öffentlichen Debatte gelegen war, äusserte sich hier - im 18. und noch im 19. Jahrhundert hätte man gesagt: ein citoyen. Und damit auch gleich die Probe auf sein Anliegen gemacht wurde: Pörksen äusserte sich durchaus als Fachmann, als Linguist, aber in einer durchsichtigen und nachvollziehbaren, so unprätentiösen wie präzisen Sprache, die zudem Lebendigkeit und Frische mit lakonischem Witz verband: kein Kastrat von der sterilen akademischen Fraktion. Jetzt, in Pörksens Essay «Die politische Zunge», steht dieser «Citoyen»-Impuls im Zentrum. Man kann in den drei Büchern die Konturen einer Trilogie erkennen. Wieder fehlt es beileibe nicht an der Kritik einer verhunzten Öffentlichkeit. Aber Pörksen scheut nun auch das Positive nicht. Der Kritiker der Macht der Bilder setzt unverdrossen, wiewohl mit gehöriger Selbstironie, auf das Wort als den «David unter den Medien».
Im Zentrum steht die «Wiedererfindung», wie Pörksen etwas modisch-konstruktivistisch sagt, des Politischen, genauer: der Autonomie des Politischen, das durch die «politische Rede» und die zugehörige Redekunst wieder sichtbar gemacht werden soll. Mit der Abwandlung eines Titels von Peter Szondi: Es geht um die «freie (d. h. freie) Rede». «Politik ist Machterhalt. Aber Machterhalt ist noch nicht Politik. Was ist Politik dann?» Keine einfache Frage. Den Niedergang der Autonomie des Politischen sieht Pörksen in eben jenen Mächten begründet, deren Plasticwörter und Schlagbilder die öffentlichen Scheindebatten bestimmen: Wirtschaft, Technik, Wissenschaft, Medien, Demoskopie, Parteien. «Die Gewaltenteilung scheint zu funktionieren, aber sie teilt nicht die Gewalten, in deren Hand die Macht liegt.»
Die Verdrängung der Politik und der politischen Rede aus den Parlamenten in die Ausschüsse, aus den Ausschüssen in die Parteigremien, aus den Parteigremien in die Lobbies, der unaufhaltsame Aufstieg «medialisierter Cäsaren», die «Fakten, Fakten, Fakten» versprechen und nur nach «Quote, Quote, Quote» lechzen, sind die Symptome. Niemand stört sich offenbar mehr an der Kombination politischer, also nach dem Grundgesetz dem ganzen Volk verpflichteter Funktionen mit der unternehmensorientierten Position in Aufsichtsräten. Eine neue Art von Kabinettspolitik mit reichlich vielen «grauen Eminenzen». Der Rest sind Fensterreden, bestenfalls die Delegation des Redefachs an die - definitionsgemäss unpolitischen - Präsidenten, die als letzte Mohikaner des Allgemeinen die speziellen Sachwalter der Rede sind.
Indessen heisst das für Pörksen auch, dass die nur allzu verbreitete Politikverdrossenheit der «Sprachverlassenheit» gilt. Höchst erstaunlich in der Tat, wie wenig die etablierte Politik realisiert, dass «die Menschen draussen im Lande» von der üblichen Art, politisch zu reden, nichts mehr wissen wollen. Die Politik merkt nicht einmal, dass es sich lohnen könnte, politisch frei zu reden. Was aber wäre denn, noch einmal, das eigentlich Politische, das die freie politische Rede sichtbar machen soll? Hier liegt eine Schwäche des Buches, die trotz dem wiederholten Bekenntnis zu einem nicht naiven, einem «realistischen Idealismus aus Pörksens manchmal allzu gutem Glauben resultiert. Es sind Nachfolger der inzwischen doch wohl als Ideologie enttarnten «Staatsräson» (die bei Pörksen erstaunlich gut wegkommt), das «Gemeinwesen», das «öffentliche Wohl», die Pörksen unter Berufung auf einige bewährte Gewährsmänner von Max Weber bis Wilhelm Hennis dem auf den Hund gekommenen Politischen entgegengestellt.
Wo Pörksen, wie er wohl weiss, unter Idealismusverdacht steht - das heisst: eigentlich immer -, nimmt er seine Zuflucht zu den historisch wirksam gewordenen oder sich aus Feigheit vor dem Feind gezielt um ihre Schlussfolgerungen bringenden Exempeln politischer Rede mitsamt der in ihnen praktizierten rhetorischen Theorie, zu Bismarck und Lasalle, F. D. Roosevelt und Thomas Mann, Adenauer und Brandt. Die balancierte Mischung der Beispiele scheint wieder dem Proporz geschuldet. Und manchmal ist auch die Analyse eher dem Fach als dem Politischen verpflichtet. Aber selbst den Leuten vom Fach schadet es nicht, Neuentdeckungen machen zu können, am eindrucksvollsten bei dem vermeintlich perückenverstaubten Literaturpapst des 18. Jahrhunderts, dem gottseligen Gottsched, und bei Pörksens republikanisch-rhetorischem Hausheiligen, dem grossen Carl Gustav Jochmann. Von Anfang bis Ende fördert dieser seinerseits politisch-rhetorische Essay die Kritik an den Schwundstufen, den Zerrformen des Politischen und eine schwer zu unterdrückende Lust auf mehr, kurz: die Politikunverdrossenheit.
Ludger Lütkehaus
Uwe Pörksen: Die politische Zunge. Eine kurze Kritik der öffentlichen Rede. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2002. 199 S., Fr. 28.10. |
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