Günter Schmickler
Registriert seit: 11.05.2003 Beiträge: 310 Wohnort: 53842 Troisdorf
|
: Freitag, 18. Jul. 2008 21:51 Titel: Wenn Ewig-Gestrige demonst-rieren |
|
|
Wenn Ewig-Gestrige demonst-rieren
Am 15.07.08 im Bonner “Express” unter “Hallo Bonn!” in einer Randbemerkung zu einem Aufmarsch von Neonazis in Bonn-Duisdorf:
”Die vielen Gegendemonst-ranten machten fast vergessen, dass da ein paar Ewig-Gestrige durch unsere schöne Stadt zogen.”
Die beiden von mir durch Fettdruck markierten Textstellen scheinen mir einer näheren Betrachtung wert.
Zu den “Ewig-Gestrigen” ist nicht allzuviel zu sagen. Seit 1996 begegnen uns hin und wieder auch “ewig Gestrige” - wohl ein Kollateralschaden der Rechtschreibreform, die bekanntlich bei manchen Leuten einen zwanghaften Drang zur Getrenntschreibung ausgelöst hat. Der Duden kennt in allen Ausgaben, ob “herkömmlich” oder “reformiert”, nur “Ewiggestrige”. Die von der Express-Redakteurin gewählte Bindestrichschreibung fand ich zu meiner Überraschung neben den “Ewiggestrigen” im Wahrig von 1986.
In jüngster Zeit scheint sich der Wahrig für Leute mit rückständiger Denkart nicht mehr zu interessieren. Wer in der Ausgabe von 2006 nach “Ewig-Gestrigen” oder “Ewiggestrigen” sucht, sucht vergebens. Es gibt aber nach wie vor auch bei Wahrig das “Ewigweibliche”. Was mir hier beim Vergleich besonders auffällt: Während in der Ausgabe von 1986 das “Ewig-Weibliche” den ersten Platz neben dem “Ewigweiblichen”einnimmt, bietet der neueste Wahrig nur noch die zusammengeschriebene Form. Das läßt wohl einen Analogieschluß zu: Was der Weiblichkeit recht ist, sollte den Gestrigen billig sein. Wo die Sprachgemeinschaft sich seit langem für eine Zusammensetzung entschieden hat, sollten auch Journalisten auf Spatien und Bindestriche verzichten.
Die von der Express-Redakteurin gewählte Schreibweise mit Bindestrich erscheint mir, wenn schon nicht falsch, so doch unzweckmäßig und unüblich.
Weit mehr Kopfzerbrechen als die “Ewig-Gestrigen” bereiten mir - in orthographischer Hinsicht - die “Demonst-ranten”. Diese Trennung wirkt auf mich beim ersten Hinsehen wie “die Faust aufs Auge”. Doch dann werde ich nachdenklich: Wieso lehnt unser Sprachgefühl sich derart gegen einen Einschnitt in die Konsonantengruppe “str” auf? Warum mokieren die Gegner der Rechtschreibreform sich über die “Frust-ration” und die "Obst-ruktion"? Schließlich entsprechen derartige Schreibweisen doch der Grundregel, daß bei einer Trennung am Zeilenende der letzte Buchstabe einer Konsonantengruppe auf die nächste Zeile gesetzt wird. Stellen in herkömmlicher Rechtschreibung vorgeschriebene Trennungen wie “Demon-stration” oder “Fru-stration diese leicht zu merkende Grundregel nicht auf den Kopf?
Die scheinbar der Logik widersprechenden Trennungen basieren auf zwei Zusatzregeln:
1. Trenne nie das “s” vom “t”, denn ........
(Genaugenommen war dieser Merkvers für Klippschüler nicht ganz richtig: Diens-tag, Glas- tisch etc.)
2. Nach dem Vorbild klassischer Sprachen bleiben folgende Lautverbindungen üblicherweise ungetrennt: bl, pl, fl, gl, cl, kl, phl, br, pr dr, tr, fr, vr, gr, cr, kr phr, str, thr, chth, gn, kn.
(Vorbemerkungen zum Duden, 17. Auflage, V., Fremdwörter, B.3)
Die Aufhebung der erstgenannten Regel durch die RSR wird selbst von vielen Reformgegnern gebilligt oder zumindest als die harmloseste der von den Reformern verfügten Änderungen angesehen.
Die Regeln zur Silbentrennung bei Fremdwörtern waren heftig umstritten, ich meine sogar mit einiger Berechtigung. Ist es einem Schüler, zumal einem jungen Grund- oder Hauptschüler zuzumuten, in einem konkreten Zweifelsfall herauszufinden, ob er es mit einer der genannten Lautverbindungen zu tun hat? Und welchen Sinn hat es überhaupt, daß gerade diese Lautverbindungen nicht getrennt werden dürfen?
Die Antwort auf letztere Frage ist nach meiner Erfahrung selbst einem “gebildeten Laien” nur schwer zu vermitteln, geschweige denn einem Schulkind:
Bei den genannten Lautverbindungen handelt es sich (außer bei “chth”) um Verschlußlaute mit folgendem Fließlaut (lat. “muta cum liquida”). Für die Betonung eines Wortes und vor allem für die Metrik in der lateinischen Versdichtung war es von Belang, ob eine Silbe als “lang” oder als “kurz” zu gelten hatte. Als lang galten zunächst die Silben mit lang ausgesprochenem Vokal (“natura lang”), sodann auch solche mit kurzem Vokal, wenn auf diesen zwei oder mehr Konsonanten folgten, wobei diese Konsonanten auch zur nächsten Silbe oder zum nächsten Wort gehören durften (“positione”, d.h. durch Festsetzung lang). Eine “durch Festsetzung lange” Silbe konnte aber nicht entstehen, wenn es sich bei den auf den Vokal folgenden Konsonanten um einen Verschlußlaut mit einem Fließlaut handelte. Hierfür ein jedem “Lateiner” bekanntes Beispiel: tenebrae (=Finsternis). Auf das zweite (kurze) e folgen b (Verschlußlaut) und r (Fließlaut). Die beiden Konsonanten werden als “untrennbar” der 3. Silbe zugeschlagen. Die mittlere Silbe bleibt also kurz, was zur Folge hat, daß das Wort auf der 1. Silbe betont wird. Anders verhält es sich z. B. bei “omnis” (= jeder). Hier folgen auf das kurze o zwei Fließlaute, weshalb die 1. Silbe in einer Versdichtung als lang gelten würde.
Wieso, so lautet eine wohl berechtigte Frage, sollen derart komplizierte Zusammenhänge für die deutsche Rechtschreibung von Belang sein? Hinzu kommt ja noch, daß es ursprünglich im Lateinischen gar keine Worttrennung in unserem Sinne gab, da die Texte ohne Spatien (Wortabstände) geschrieben wurden. Die Trennregeln wurden in späterer Zeit von der nur für die Metrik und die Wortbetonung wichtigen “muta-cum-liquida-Regel" abgeleitet und den alten Texten “übergestülpt”.
Trotz allem möchte ich der “muta-cum-liquida-Regel” nicht jegliche Bedeutung für unsere Rechtschreibung absprechen. Sprechen Sie mal ein Wort wie “Diskretion” langsam aus! Zweifellos werden Sie bemerken, daß die Konsonanten “k” und “r” gewissermaßen “zusammenkleben”. Die “Sprechsilbe” bildet sich hinter dem “s”. Versuchen Sie es auch mal mit “Approbation”! Die Vorstellung, daß ein Verschlußlaut mit einem folgenden Fließlaut ein “unzertrennliches Paar” bildet, kommt nicht von ungefähr! Nur eins hat man offenkundig vergessen: Diese Gesetzmäßigkeit gilt auch für die deutsche Sprache. Ich gehe so weit, zu behaupten, daß eine - nach geltenden Regeln korrekte - Trennung wie “neb-lig” grob sprachwidrig ist. Beim langsamen Sprechen merkt man, daß die Silbentrennung hinter dem “e” stattfindet. Außerdem würde, wenn “neb” eine Silbe wäre, das “b” der Auslautverhärtung unterliegen. Haben Sie aber je gehört, daß jemand von “nepligem” Wetter spricht? Wenn Sie das Wort “knittrig” langsam aussprechen, merken Sie, daß das “Silbengelenk” zwischen den beiden “t” liegt. Die korrekte Trennung nach Sprechsilben müßte also “knit-trig” lauten. Indes sehe ich als Realist keine Chance, daß die “muta-cum-liquida-Regel” jemals auf deutsche Wörter angewandt wird.
So ergibt sich zum Abschluß die Frage der Fragen: Innerhalb welcher Grenzen kann die “muta-cum-liquida-Regel” wenigstens für die Fremdwortschreibung Bestand haben? Die Reform in der ursprünglichen Fassung von 1996 ging nach meiner Meinung zu weit, indem sie dem aus den klassischen Sprachen übernommenen Wortgut einfach die Trennregeln der deutschen Sprache überstülpte und uns die “Frust-ration” verordnete. Anderseits sehe ich ein, daß es nicht angeht, einem jungen Schüler einen Fehler anzurechnen, wenn er beispielsweise das Wort “Hydrograph” hinter dem “d” trennt. Ich bin zwar kein Freund von allzu vielen Schreibvarianten, finde aber, daß die Regelung der “reformierten Reform” das kleinere Übel darstellt. Wer den Hydrographen oder den Demonstranten “richtig” trennt, muß nicht dafür büßen, daß er sich mit Begriffen wie “Verschlußlaut” oder “Fließlaut” auskennt. Ebensowenig wird einem Realschüler oder einem Hauptschüler, der mit solchen Begriffen überfordert wäre, wegen einer vor 1996 als “falsch” geltenden Trennung ein Fehler angerechnet.
Es wäre aber erstrebenswert, wenn wenigstens angehende Berufsschreiber, Korrektoren und Lektoren mit den “alten” Regeln vertraut gemacht würden. Für einfachere Anspüche wäre schon viel gewonnen, wenn wenigstens die Gruppe “tr” als untrennbar behandelt würde. So blieben uns beispielsweise “Frust-ration” und “Neut-rum” erspart.
Unsere Express-Redakteurin hätte in diesem Falle “Gegendemons-tranten” geschrieben. So wäre immerhin die unschöne Silbe “monst” vermieden und dem Gebot der “Trennung nach Sprechsilben” Genüge getan worden. |
|