Dietrich Beck
Registriert seit: 07.03.2004 Beiträge: 4
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: Sonntag, 04. Nov. 2007 14:41 Titel: Was ist nur aus der deutschen Rechtschreibung geworden … ? [ |
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Was ist nur aus der deutschen Rechtschreibung geworden …? [2]
Lieber Onkel Eric, hier melde ich mich also wieder. Neulich sah ich eine Folge der Serie „Königlich Bayerisches Amtsgericht“ im BR, und mir fiel beim Lesen des Nachspanns zum ersten Mal bewußt auf, wie sehr in den altdeutschen Schreibweisen die verschiedene Darstellung von Anfangs- und Schluß-s das Lesen erleichterte, besonders beim Aufeinandertreffen der beiden im gleichen Wort: Schlußszene, Gerichtssaal (hier meine ich das schlanke und das runde s, die ich aber hier nicht darstellen kann) – was kannst Du mir dazu sagen?
Liebe Chris. Ja, das war ja noch besser als die Aufeinanderfolge von ß und s bei der letzten Rechtschreibung, denn das Auge kann sich blitzschnell auf die nun auch optisch sichtbare Trennung der beiden Wortteile einstellen und die Symbolik automatisch entschlüsseln. Heute dagegen: Gerichtssaal, Prozessseite, Schlussszene – fast schaurig anzusehen und gar eine Beleidigung für das Auge, das nun vor dem Erfassen des Wortsinns erstmal sortieren muß …
Daß auch das Schluß-ss als ß geschrieben wurde und werden sollte, diente also ebenso vordergründig der besseren Lesbarkeit, weil dann beim Folgen eines weiteren Wortteils mit dem Anfangsbuchstaben s keine Verdreifachung erscheint. Es stand schon immer fest, daß letzteres den Lesefluß erheblich hemmen würde (Flussschifffahrt), wie dies ja in abgeschwächter Form auch bei normal getrennten Schreibweisen störend wirken kann (das Fass schieben gegenüber das Faß schieben). Falls also möglich, sollte der Schreiber solche Buchstaben- oder auch Worthäufungen meiden (z.B. diejenigen, welche statt die, die ... usw). Lediglich bei nachfolgenden Einzelkonsonanten bleibt es bei dem Kompromiß „drei gleiche Buchstaben/Konsonanten in Folge“ (Sauerstoffflasche) – schon wegen der korrekten Aussprache, denn nun wird ja tatsächlich getrennt gesprochen, nicht jedoch bei Rolladen oder Schiffahrt.
Übrigens hätte ich auch bei der alten Rechtschreibung mir gerne einige logische Ausnahmen hierbei gewünscht, z.B. Russland anstelle von Rußland, denn Rußland kommt ja von Russenland, wogegen Ruß sich auf den Kamin bezieht. Wie Du also siehst, gab es auch bei den „alten“ Regeln noch einiges zu verbessern.
Was steckt dahinter? Vergegenwärtigen wir uns, was beim Lesen abläuft: unser Auge liest den Text, und innerlich lesen wir „stumm“ mit, denn unser Lesezentrum im Gehirn verfolgt quasi via Augen das Schriftbild und vergleicht es mit der gespeicherten Symbolik der Wörter. Es erfaßt nahezu immer die Wörter und/oder Satzteile als Ganzes und ordnet ihnen gleichzeitig den entsprechenden Sinn und deren Aussage zu. Dieser Prozeß beschleunigt die Aufnahme und läuft weitgehend unbewußt ab. Auf diese Weise ist sogar ein sehr schnelles Lesen möglich. Tritt jedoch eine ungewohnte und vor allem unlogische Änderung auf, welche einen anderen Sinn impliziert oder in Gang setzt (falsche Trennung, Schreibfehler allgemein), gerät dieser Fluß unangenehm ins Stocken, unser „Lesezentrum“ reagiert irritiert und verhält sich nun wachsamer, unruhiger. Jeder kann dies bei sich beobachten, am besten beim Zeitungslesen, wo wegen der enorm schnellen Fertigung die Fehlerquote häufiger ist als bei Prosa-Literatur, die durch sog. proofreading gut aufbereitet ist.
Es kann nicht oft genug auf diesen wichtigen Zusammenhang zwischen Symbolwirkung der Textteile und flüssigem Lesen hingewiesen werden, aber leider werden die allgemeinen Rechtschreibregeln zu sehr in den Vordergrund gestellt – vor allem bei den Diskussionen seit der sog. Rechtschreibreform. Die meisten (nicht alle) der neueren Schreibweisen irritieren den Lesefluß ebenso, wie es der Fall wäre, wenn man einem japanischen oder chinesischen Leser einige leicht veränderte Schriftzeichen seiner Sprache vorsetzen würde. Es wäre der gleiche Hemmungsprozeß auf anderer Ebene. Und wie sehr diese einfachen Zusammenhänge unser Alltagsleben beeinflussen, dürfte noch jedem in Erinnerung sein, der sich in den letzten Jahren häufiger mit im Ausland erstellten Bedienungsanleitungen für technische Geräte auseinandersetzen mußte – und dies bereits lange vor dieser unseligen Rechtschreibreform.
Daß all diese Neuerungen in die falsche Richtung gingen, erkannte man bereits daran, daß neue Großschreibungen eingeführt wurden, statt die bisherigen Zweifelsfälle zu vereinfachen (also besser im großen und ganzen und nicht im Großen und Ganzen). Eine Reform der Schreibweise ist nur dann sinnvoll, wenn der Lesefluß beschleunigt wird und wenn durch die neu angebotenen Schreibweisen die Sprach- und Schriftästhetik angehoben wird. Beim Lesen springt das Auge zügig über den Text, eilt im Idealfall voraus, um den Sinn zu erahnen und die richtige Betonung etc. in Gang zu setzen. Insofern erfordert die korrekte Schreibweise eine hohe Eigenverantwortung des Schreibers, damit die beabsichtigte Lesweise sichergestellt wird. Dieser Verantwortung im Umgang mit unserer Sprache und Schrift sollten wir uns stets bewußt sein und dieses wertvolle Kulturgut nicht leichtfertig verwässern lassen.
Lieber Onkel Eric, Danke für die ausführlichen Erläuterungen, das ist ja echt spannend. Ach, was haben wir da bloß für geniale Feinheiten unserer Sprachschrift aufgegeben, und wer um himmelswillen hatte denn solch blödsinnige Ideen? Mir wird nun auch klarer, was mir meine Freundin Marina nach ihrem au-pair-Aufenthalt in Spanien berichtete und was sie damit meinte, denn dort mußte sie sich ja wohl oder übel intensiver mit der spanischen Sprache und Schrift auseinandersetzen. Dabei war ihr aufgefallen, daß die Wortzwischenräume in einem Satz eine wichtige Funktion haben, denn sie signalisieren, ob das folgende Wort betont werden soll oder nicht – sie geben quasi den Sprechrhythmus vor. Diese „Leertasten“ an der richtigen Stelle zu setzen, ist also in der jeweiligen Sprache verschieden und dennoch äußerst wichtig, und es macht überhaupt keinen Sinn, den entstehenden landestypischen Sprechrhythmus von z.B. Englisch oder Spanisch nun „zweckentfremdet“ in die deutsche Schrift zu integrieren. Warum hat man denn das getan??
Kannst Du uns beruhigen, damit wir wieder auf eine „normale“ Linie zurückfinden?
Liebe Chris, verzweifle nicht, sondern vertraue auf Dein inneres Sprachgefühl und Deine Intuition! Wir hatten diesen Punkt ja schon einige Male berührt, und ich bin da sehr zuversichtlich, daß die deutschschreibende Bevölkerung sich im Laufe der Zeit immer mehr ihrer zuvor besseren Schreibregeln erinnern und zu ihnen zurückkehren wird – und zwar auch die Jüngeren, denn die ältere Generation hat sich en gros diese Zwangsjacke der neuen Rechtschreibung garnicht erst überziehen lassen …
Auch von „staatlicher“ bzw. übergeordneter Seite beobachtet man die Akzeptanz weiterhin sehr genau. Sprache lebt und die zugehörige Schrift ebenso, aber beides gehört zusammen wie Musik und Notenschrift. Ändert man das eine, folgt das andere analog, und irgendwann werden auch die Reformer ihre großen Fehler hierbei eingestehen müssen. Erzähle Du bis dahin anderen von Deinen Erkenntnissen, damit sie ihre Ängste verlieren und nicht immer wieder sagen: „ich darf doch jetzt nicht mehr anders schreiben …“. Merke stets: Nur wer richtig und korrekt ausspricht, schreibt auch automatisch entsprechend richtig und korrekt. Vielleicht wäre dieser letzte Punkt bei Euch mal zu untersuchen und zu diskutieren? Laß mich wissen, was Ihr dabei herausgefunden habt.
Dein Onkel Eric. |
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