Günter Schmickler
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: Mittwoch, 16. Jan. 2008 19:08 Titel: Standardaussprache - Norm und Wirklichkeit |
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Standardaussprache – Norm und Wirklichkeit
Das Wort „Hefe“ gehört, wenn ich dem „Wahrig“ (Ausgabe 1986) glauben soll, zu den „unzählbaren“ Substantiven. Demnach dürfte es den Plural „Hefen“ gar nicht geben. Das sieht der „Duden“ anders. Im Stilwörterbuch (Ausgabe 1988) heißt es: „In Brauereien und Weinbrennereien werden verschiedene Hefen verwendet.“ Nun, das ist nicht der einzige Punkt, in welchem Duden und Wahrig schon lange vor der Rechtschreibreform unterschiedlicher Meinung waren.
Im Fernsehen oder im Rundfunk hört man gelegentlich, daß „Hefen“ bestreikt werden sollen. Dann befürchte ich jedesmal, eine Zeitlang auf Hefeteilchen und vielleicht auch auf Bier verzichten zu müssen. Spricht ein Ansager von „Flughefen“, so stelle ich mir unwillkürlich vor, daß jemand mit Hefewürfeln um sich wirft, so daß selbige durch die Luft fliegen ....
Pardon, jetzt meldet sich bei mir das schlechte Gewissen. Ein guter Deutschlehrer brachte mir vor einigen Jahrzehnten bei, daß Dialekte und regionale Aussprachevarianten eine Sprache bereichern. Es zieme sich deshalb nicht, über Berliner und Waterkantbewohner zu spötteln, weil sie sich keine Mühe geben, ein offenes „ä“ korrekt auszusprechen. Hört also auf, zu mekeln, wenn ein Berliner Medchen sich noch zu speter Stunde die Zeit mit Hekelarbeiten vertreibt!
Aber nun fühle ich mich, ehrlich gesagt, ein bißchen unwohl bei dem Gedanken, daß eine so ergiebige Quelle des Humors der heutzutage überstrapazierten „political correctness“ geopfert werden sollte. Bei uns im Rheinland nimmt man es mit starren Vorschriften oder Richtlinien ohnehin nicht sehr genau. Schließlich bietet ja auch das Kölner „Hochdeutsch mit Knubbeln“ genügend Angriffsflächen ....
Lassen wir uns also ein Hintertürchen für gelegentliche Frotzeleien offen und betrachten derweil das „e/ä-Problem" von der rationalen Seite her!
Den Berlinern und den Norddeutschen wird oft vorgeworfen, durch die für ihre Sprechweise typische Gleichsetzung von langem „ä“ mit langem „e“ gingen Bedeutungsunterschiede verloren. Dem kann ich nur mit Einschränkungen beipflichten. Wenn es nach Bekanntgabe der Lottozahlen heißt „Diese Angaben sind ohne Gewehr“, wird doch niemandem der Gedanke kommen, hier werde ausnahmsweise auf das Bereithalten einer Schußwaffe verzichtet! Kaum vorstellen kann man sich auch, daß jemand die Kölner Vorstadt „Ehrenfeld“ mit einem norddeutsch ausgesprochenen „Ährenfeld“ verwechseln könnte. Manche oft gehörte Beispiele sind sogleich als Scherz zu erkennen: „Hast du schon gehört, daß Grete an einer Grete erstickt ist?“ Vor Jahren las ich in der Koblenzer „Rheinzeitung“ einen Artikel über die Forstwirtschaft des Westerwaldes. Die Sägewerke, so wurde in dem Artikel berichtet, erfreuten sich einer guten Auftragslage. Das brachte den Verfasser auf eine originelle Idee für die Artikelüberschrift: „Sägen bringt Segen“. Nun ja, sollte eine solche Überschrift tatsächlich in Berliner Lautung vorgelesen werden und jemand verstünde den Wortwitz nicht – sei´s drum!
Ernster wird es schon, wenn bei der Konjugation einiger Verben in der gesprochenen Sprache der Unterschied zwischen Indikativ/Konjunktiv Präsens und Konjunktiv Imperfekt verlorengeht. Letzterer drückt bekanntlich eine Irrealität aus. „Wenn ich das sehe“ bedeutet etwas anderes als „Wenn ich das sähe“. Dasselbe Problem kann sich beispielsweise bei den Verben „geben“, „empfehlen“, „nehmen“, „stehlen“ oder „geschehen“ ergeben. Um Mißverständnissen vorzubeugen, wird in solchen Fällen der Konjunktiv der Irrealität gern durch die Umschreibung mit „würde“ gebildet. Diese umständliche und unschöne Variante des Konjunktiv Imperfekt wird jedoch in zunehmendem Maße auch dann verwendet, wenn das „e/ä-Problem“ gar nicht auftreten kann. Womöglich heißt es demnächst in einer modernen Bibelübersetzung:
„Was würde es dem Menschen helfen,
wenn er die ganze Welt gewinnen würde,
und er würde doch Schaden an seiner Seele nehmen?“
Ich vermute, daß die zunehmende Verdrängung des „würde-losen“ Konjunktivs ihre Wurzeln (zumindest eine ihrer Wurzeln) in der norddeutschen e-Laut-Aussprache hat. In diesem Falle kann der Einfluß des Dialektes beziehungsweise der Regionalvariante auf die Hochsprache nicht gerade als „Bereicherung“ angesehen werden.
Für mich aber hört der Spaß endgültig auf, wenn norddeutsche und Berliner Sprecher auch in fremdsprachigen Wörtern oder Namen das lange und offene „ä“ mit dem langen und geschlossenen „e“ gleichsetzen. Von den Lehrern, die mir vor einigen Jahrzehnten Latein, Englisch und Altgriechisch beibrachten, stammten etliche aus Berlin oder aus Norddeutschland. Keinem aber wäre es damals eingefallen, „hair“ wie „hehr“, „feminae“ als „femine“ oder ein griechisches „Eta“ als langes „e“ wie in „leer“ auszusprechen. Wer Griechisch gelernt hat stelle sich vor, wie sich der weibliche Artikel „he“(gespr. "hä") und seine deklinierten Formen in „Berliner Lautung“ anhören würden!
Heutigen Rundfunk- und Fernsehansagern – nicht allen, aber vielen – ist derartige Rücksichtnahme offenkundig fremd. Fast täglich wird in den Nachrichten ein gewisser „Tony Blehr“ erwähnt, das Wetter wird uns von „Ehr Berlin“ „presentiert“, und etliche „Ehrlines“ dürfen aufgrund von Sicherheitsmängeln keine „Flughefen“ innerhalb der EU anfliegen.
Das „e/ä-Problem" würde mich mitnichten interessieren oder gar aufregen, wenn es auf norddeutsche Regionen beschränkt bliebe und nicht durch Radio und TV über das gesamte Sprachgebiet ausgebreitet würde. Für sehr bedauerlich halte ich es, daß auch in unserer Gegend jüngere Leute das offene „ä“ in zunehmendem Maße verschmähen. Die Kids, die Teens und die Twens mögen lieber „Keese“ als „Käse“. Kürzlich hörte ich in einem Kölner Brauhaus, wie am Nebentisch eine jüngere Dame beim Kellner „Hömmel und Eed“ bestellte.
Die Dame war an ihrer sonstigen Aussprache eindeutig als Kölnerin zu erkennen. Was sie bestellte, heißt richtig „Himmel un Ääd“ ( Himmel und Erde). Das ist die Kölner Bezeichnung für ein Gericht aus Kartoffelpüree mit gebratener Blutwurst und Apfelringen. |
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