Günter Schmickler
Registriert seit: 11.05.2003 Beiträge: 310 Wohnort: 53842 Troisdorf
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: Freitag, 22. Dez. 2006 14:13 Titel: Die Eier legende Wollmilchsau |
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Die herkömmliche deutsche Orthographie wird von den Gegnern der Rechtschreibreform häufig als „Qualitätsschreibung“ bezeichnet. Diese Bewertung ist jedoch nur im Vergleich zu den größtenteils mißlungenen Neuregelungen der Reform berechtigt. Auch die „vorreformatorische Rechtschreibung“ ist keineswegs frei von Mängeln, besonders in bezug auf die Getrennt- oder Zusammenschreibung und die Groß- oder Kleinschreibung. Der Versuch, diese Mängel zu beseitigen, kommt der „Quadratur des Kreises“ gleich, solange man am Grundsatz der „ Deskription“ (Beobachtung der allgemein üblichen Schreibung) festhalten und auf die Verordnung („Präskription“) konstruierter Regeln verzichten will. Allenfalls kann man Vorschläge zur Beseitigung störender Unregelmäßigkeiten unterbreiten und dann abwarten, ob die „Verbesserungen“ von der „Schreibgemeinschaft“ akzeptiert werden. Auf diese Weise erreichte beispielsweise Konrad Duden, daß beim Zusammentreffen von 3 gleichen Konsonanten in Wörtern wie „Schifffahrt“, „Kammmacher“ oder „Stammmutter“ der dritte – analog zu „Mittag“, „Drittel“ und „dennoch“ – nicht mehr ausgeschrieben wurde. Die Reform von 1996 hat mit Hilfe konstruierter Regeln keine Mängel beseitigt, sondern ganz im Gegenteil auch in Bereichen, die bisher schlüssig geregelt waren, für Verwirrung gesorgt. Dies sei hier am Beispiel der Getrennt- oder Zusammenschreibung von Wortfügungen aus Substantiv und 1. Partizip erläutert.
In Wahrigs „Deutschem Wörterbuch“ (Ausgabe 1986) findet man unter „Getrenntschreibung, 2.3“ folgende einfache und eingängige Regel: “Partizipien der Gegenwart werden mit einem Substantiv, das als Akkusativobjekt dazutritt, zusammengeschrieben, wenn die Wortfügung eine dauernde Eigenschaft bezeichnet: der feuerspeiende Berg, der schattenspendende Baum, ein schmerzlinderndes Mittel, ein materialsparendes Verfahren; handelt es sich aber um eine gelegentliche Tätigkeit, so schreibt man getrennt: die Fußball spielenden Jungen, die Steine tragenden Männer.“
Wer in herkömmlicher Orthographie schreibt, sollte sich allerdings für die Schreibweise von Wortfügungen aus Substantiv und Partizip einige zusätzliche Hinweise einprägen:
Auch eine „latente“, d. h. nicht ständig in Erscheinung tretende, aber als Möglichkeit stets vorhandene Eigenschaft gilt im Sinne der Regel als „dauernd“. Der Ätna ist also ein „feuerspeiender“ Berg auch während der Zeit, in der er sich „völlig ruhig verhält“.
Eine Fügung aus Partizip und Akkusativobjekt ist stets als „dauernde Eigenschaft“ zu verstehen und dementsprechend zusammenzuschreiben, wenn sie steiger- oder modifizierbar ist: eine noch besorgniserregendere/ sehr besorgniserregende Entwicklung.
Eine Zusammensetzung von „Akkusativobjekt + Partizip“ verbietet sich, wenn vor dem Akkusativobjekt ein Adjektiv oder ein Dativobjekt steht: eine großes Verderben bringende/ eine vielen Menschen Verderben bringende Naturkatastrophe.
Wer über ein gewisses Maß an Lese- und Schreiberfahrung verfügt, wird solche Regeln und Hinweise intuitiv anwenden können, d. h. er braucht nicht in jedem Einzelfall lange zu überlegen, welches Kriterium gerade zutrifft.
Bei den Neuregelungen der Rechtschreibreform von 1996 führen meist weder Intuition noch Logik zum Ziel. Die Getrennt- oder Zusammenschreibung von Substantiven mit Partizipien wurde der „Einsparregel“ unterworfen: Mann sollte zusammenschreiben, wenn dadurch gegenüber einer „gebräuchlichen Wortgruppe“ eine Präposition oder ein Artikel eingespart wird. Beispielsweise kann man nicht sagen „Ein die Not leidender Mensch“. Folglich mußte fortan in Schulen und Behörden „Not leidend“ statt „notleidend“ geschrieben werden; hingegen blieb es beim „schmerzlindernden“ Mittel, da man auch „ein den Schmerz linderndes Mittel“ sagen kann. Eine Zusammensetzung wie „besorgniserregend“ wird durch die Neuregelung erst einmal gewaltsam zerlegt; die Wortgruppe „Besorgnis erregend“ verwandelt sich jedoch wieder in ein Adjektiv, sobald sie gesteigert oder modifiziert wird: noch besorgniserregender/ sehr besorgniserregend. Wo liegt da die „Vereinfachung“ gegenüber der „veralteten“ Orthographie von 1901? Und was bedeutet eigentlich „gebräuchliche“ Wortgruppe? Zwar könnte man beispielsweise sagen „ein die Wärme dämmendes Material, aber „gebräuchlich“ ist diese Wortgruppe gewiß nicht! Ein Schüler könnte zu der – nach alter wie nach neuer Regel falschen – Schreibweise „Wärme dämmend“ verleitet werden. Manchmal kommen einem Zweifel: Liebe ich „Musik“ oder liebe ich „die Musik“? Bin ich also ein „Musik liebender“ oder ein „musikliebender“ Mensch? Seit mich diese Frage quält, beginne ich, die Musik zu hassen. Wer an die sinnvollen und eingängigen Regeln der „alten“ Orthographie gewöhnt ist, wird plötzlich durch die neuen Schriftbilder irritiert: Unter einer „Eier legenden Wollmilchsau“ stelle ich mir eine leibhaftige (nicht von der Phantasie eines Spaßvogels erschaffene!) Wollmilchsau vor, die gerade damit beschäftigt ist, Eier zu legen.
Angesichts solch eklatanter Mängel hätte es für den Rechtschreibrat, dem die KMK den Auftrag erteilt hatte, „die gröbsten Missstände“ der Rechtschreibreform zu beseitigen, nur eine Lösung geben dürfen: die „Einsparregel“ zu annullieren und die „vorreformatorischen“, bedeutungstragenden Schreibweisen für Wortfügungen aus Substantiv und Partizip wiedereinzuführen. Aber zu solcher menschlichen Größe konnten sich die Ratsmitglieder wohl nicht aufraffen. Es reichte nur für einen faulen Kompromiß:
Verbindungen aus Substantiv und adjektivisch gebrauchtem Partizip, die sich auf einen getrennt geschriebenen Infinitiv (Fleisch fressen) zurückführen lassen, können sowohl getrennt als auch zusammengeschrieben werden: Die Venusfliegenfalle ist wohl die bekannteste Fleisch fressende/ fleischfressende Pflanze.
Anstatt der „Einsparregel haben wir also jetzt die gute, alte „Pfarrersregel“:
Tu´s wie Pfarrer Aßmann,
der tut´s wie Pfarrer Nolte –
und der tat es, wie er´s wollte.
Der „Duden aber ist löblicherweise um „Sicherheit“ und „einheitliche Rechtschreibung“ besorgt. Er gibt deshalb da, wo die Regelmacher mehrere Schreibweisen zulassen, gelb unterlegte Empfehlungen. Nach dem Willen Dudens soll aus der „Fleisch fressenden“ nun wieder eine „fleischfressende“ Venusfliegenfalle werden. Sehr vernünftig! Anderseits plädiert Duden für „Staaten bildende“ Insekten. Darunter kann ich mir nur Insekten vorstellen, die gerade dabei sind, Staaten zu bilden. Duden möchte auch die „Sporen bildenden“ Pflanzen in die „Reform der Reform“ hinüberretten, ebenso die mir besonders ans Herz gewachsene „Eier legende Wollmilchsau“. Aber dann entdecke ich etwas, was mir die Zornesröte ins Gesicht treibt: „Erfolg versprechend“ (gelb unterlegt), aber „höchst erfolgversprechende/ die am erfolgversprechendste Maßnahme, anderseits „besorgniserregender (gelb unterlegt) Zustand“!
Welche Logik ist dahinter verborgen? Das weiß vermutlich außerhalb von Mannheim niemand.
Ich habe, um es zu Abschluß auf einen Nenner zu bringen, folgenden Eindruck:
Einen kleinen Teil des Unsinns, den die ursprüngliche Reform uns aufzwingen wollte, hat der Rechtschreibrat ersatzlos „entsorgt“. Das ist immerhin ein kleiner Fortschritt. Ein größerer Teil des verordneten Unsinns ist seit 01.08.2006 zwar nicht mehr obligatorisch, wird aber vom „Duden“ weiterhin empfohlen.
Der neuesten Ausgabe des „Duden“ liegt eine Mitteilung von Dr. Matthias Wermke, Leiter der Dudenredaktion, an die „liebe Dudenbenutzerin“ und den „lieben Dudenbenutzer“ bei.
Ein besonders bemerkenswerter Satz aus dieser Mitteilung:
“Wer sich an diese Dudenempfehlungen hält, stellt eine einheitliche Rechtschreibung sicher, die auch anderen leicht zu vermitteln ist.“
Selten so jelacht! |
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