Günter Schmickler
Registriert seit: 11.05.2003 Beiträge: 310 Wohnort: 53842 Troisdorf
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: Freitag, 17. Nov. 2006 18:52 Titel: "groß schreiben" und "großschreiben" |
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Das Adjektiv “groß“ und das Verb “schreiben“ – schreibt man diese Wortfolge getrennt oder zusammen? Selbstverständlich hängt das von der jeweiligen Bedeutung ab, aber welche Schreibung paßt zu welcher Bedeutung? Das war schon vor der Rechtschreibreform eine knifflige Frage, die selbst einem geübten Schreiber Kopfzerbrechen bereiten konnte. Offenkundig scheuten viele die Mühe, sich mit Hilfe eines Wörterbuchs Gewißheit zu verschaffen. Statt dessen hielten sie es „wie Pfarrer Nolte“ – der tat es, wie er´s wollte.
Zu dieser Annahme komme ich, wenn ich mir in Theodor Icklers „Deutscher Einheitsorthographie“ den Eintrag unter „groß schreiben“ anschaue: die Wortfolge ist mit einem Bogen versehen. Ickler führt dann folgende Bedeutungen auf:
1. mit großen [Anfangs-] Buchstaben oder in Großbuchstaben schreiben,
2. wichtig nehmen.
Das „Bögelchen“ gibt zu erkennen, daß Ickler bei seinen Recherchen unabhängig von der Bedeutung sowohl für die Getrennt- als auch für die Zusammenschreibung eine relevante Zahl von Belegstellen gefunden hat. Offiziell galt jedoch bis 1996 die Regelung, daß „großschreiben“ nur in der übertragenen Bedeutung „wichtig nehmen“ zusammengeschrieben, sonst getrennt geschrieben wurde, mithin: die Menschlichkeit großschreiben, ein Substantiv groß schreiben.
Dieses Beispiel macht deutlich, daß es schon vor der Reform zwischen den Normen des Duden (auch anderer Wörterbücher) und dem „allgemeinen Schreibgebrauch“ Differenzen gab.
Die Rechtschreibreform von 1996 mit ihrer unglücklichen „Steiger- und Erweiterbarkeitsregel“ führte im Falle von „groß schreiben“ und „großschreiben“ zu einem Bedeutungsaustausch. Da man die Menschlichkeit auch sehr groß schreiben kann, sollte sie fortan nicht mehr großgeschrieben, sondern groß geschrieben werden. Großzuschreiben waren hingegen Substantiva und Satzanfänge.
Die „Reform der Reform“ von 2006 brachte wieder eine Kehrtwendung: Sowohl die Menschlichkeit und die Sauberkeit als auch Substantiva und Satzanfänge soll man seit dem 1. August 2006 großschreiben. Für die Getrenntschreibung bleibt nur eine Bedeutung, die bisher in keinem Wörterbuch besonders aufgeführt war: mit großer Schrift schreiben („Ich habe es groß geschrieben, damit du es ohne Brille lesen kannst“).
Ob jemand so naiv ist, zu erwarten, daß eine Mehrheit der Schreiber – insbesondere der jüngeren – die Mühe auf sich nehmen wird, dieses „hin und her“ der Normen nachzuvollziehen? Ich glaube kaum. Fast möchte ich prophezeien, daß im Alltagsgebrauch weiterhin die „Icklersche Bogenregelung“ maßgebend sein wird. Oder das vorhin zitierte Motto des guten alten Pfarrers Nolte. Und das gilt nicht nur für „groß schreiben“ und „großschreiben“. |
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