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Manfred Riebe



Registriert seit: 23.10.2002
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Beitrag: Mittwoch, 03. März. 2004 23:22    Titel: DER SPIEGEL Antworten mit Zitat

Zwiebelfisch

Einfach Haar sträubend!</b>

<b>Früher gab es erdölfördernde Länder einerseits und milchverarbeitende Betriebe andererseits. Dann kamen die Ölkrise und die Rechtschreibreform. Heute gibt es Erdöl fördernde Länder und Milch verarbeitende Betriebe einerseits. Und andererseits grotesk zerrupfte Begriffe wie Kapital gedeckt, Rückfall gefährdet und Muskel bepackt.</b>

Eines ist gewiss: Die Zeiten ändern sich. Der gutaussehende diensthabende Stationsarzt von einst ist heute allenfalls noch ein gut aussehender Dienst habender Stationsarzt. Und die ehemals gewinnbringenden Anlagen sind auch nicht mehr, was sie mal waren. Ob das Gewinn bringend für unsere Sprachkultur ist, wird von vielen angezweifelt. Zu Recht, denn die Verwirrung in der zeitgenössischen Orthografie ist immens.

Die Rechtschreibreform wollte alles ein bisschen leichter machen. Regeln sollten vereinfacht werden, Ableitungen sollten logischer, Schreibweisen sollten deutscher werden. Schön und gut. Aber haben wir es mit der Rechtschreibung heute wirklich leichter? Wie kommt es dann zu derart irritierenden Textpassagen wie „Das Fernsehen sendete die Bilder Zeit versetzt“ oder „Die Rakete fliegt fern gelenkt“? Wo kommen auf einmal all die „Reform orientierten“ Chinesen her, die „Start bereiten“ Shuttles, die „Computer gestützten“ Spiele und die „Asbest verseuchten“ Schulgebäude?

Es lässt sich eine Besorgnis erregende Zunahme falscher Getrenntschreibungen feststellen. Besorgnis erregend, fast schon Furcht einflößend. Oder auch furchteinflößend. Auf jeden Fall Verwirrung stiftend.

Die Rechtschreibreform hat viele Zusammensetzungen auseinander gerissen. Plötzlich war hier zu Lande nichts mehr so, wie es hierzulande mal war. Und wer dem Geheimnis der neuen Regelung auf den Grund zu gehen versucht, der verstrickt sich alsbald in einem klebrigen Gespinst aus Widersprüchen und Ungereimtheiten.

Es würde zu weit führen, an dieser Stelle sämtliche Aspekte der Getrennt- und Zusammenschreibung erörtern zu wollen. Dazu reicht der Platz nicht aus, und etwas Stoff soll schließlich noch für folgende Kolumnen bleiben. Für den Anfang genügt es schon, einen kritischen Blick auf Zusammensetzungen mit so genannten Partizipien zu werfen. Partizipien sind Wörter, die von Verben abgeleitet werden, aber den Charakter von Adjektiven haben. Es gibt sie im Präsens: sitzend, schlafend, träumend. Und im Perfekt: gesessen, geschlafen, geträumt, erledigt, benutzt, verloren.

Früher war die Regel eigentlich ganz einfach: Eine Verbindung mit einem Partizip schrieb man zusammen und klein. Punktum. „Schweiß“ und „treibend“ ergab schweißtreibend, „Glück“ und „verheißend“ ergab glückverheißend, „allein“ und „erziehend“ ergab alleinerziehend. Diese Regel hat selten zu Protestaktionen oder Unterschriftensammlungen geführt, denn sie war kurz, einfach und logisch. Selbst weniger talentierte Lehrer waren in der Lage, sie zu vermitteln, und zur Not konnten sie sich bei der Mathematik bedienen, denn die Regel ließ sich als immergültige Formel darstellen: x + Partizip = Adjektiv.

Dann traten die Rechtschreibreformer auf den Plan und fanden, diese Regel sei überhaupt nicht logisch und bedürfe einer dringenden Überarbeitung. Wenn man die Grundform „viel versprechen“ in zwei Wörtern schreibt, so sei es doch nahe liegend, auch „viel versprechend“ in zwei Wörtern zu schreiben. Dabei haben sie eine alte Bauernweisheit außer Acht gelassen, die da lautet: „Die Hühner gackern in Hof und Stall, drum hört man Hühnergackern überall.“ Was will uns diese Weisheit sagen? Unter anderem dies: Nur weil zwei Wörter in der einen Konstellation auseinander geschrieben werden, muss das noch lange nicht heißen, dass man sie in einer anderen Konstellation nicht zusammenschreiben kann. Andernfalls hörte man das „Hühner Gackern“ überall, und dann wäre man wirklich reif für die Hühner freie - pardon: hühnerfreie Insel.

Allen Bauernweisheiten zum Trotz trat die Rechtschreibreform in Kraft und mit ihr jener Paragraf 36, der seither Tausende von Lehrern, Schülern, Lektoren und Journalisten in tiefste Verunsicherung und manchen Kolumnisten sogar in Verzweiflung gestürzt hat.

Die neuen amtlichen Regeln schreiben vor: Fügungen mit Partizip als zweitem Bestandteil werden getrennt geschrieben, wenn sie auch in der Grundform getrennt geschrieben werden. Länder, die Erdöl fördern, sind somit Erdöl fördernde Länder. Betriebe, die Milch verarbeiten, sind Milch verarbeitende Betriebe. Mütter, die allein erziehen, sind allein erziehend. Und Meldungen, die Besorgnis erregen, sind Besorgnis erregend.

Besorgnis erregend ist indessen auch die Vielzahl der Ausnahmen, bei denen dann doch die gute alte Zusammenschreibung gilt. Dies ist vor allem immer dann der Fall, wenn der erste Bestandteil der Fügung für eine Wortgruppe steht. Als Beispiel wird dann gerne der Begriff „angsterfüllt“ genannt. In der Grundform heißt es nämlich „von Angst erfüllt“, daher steht „angst-“ für eine verkürzte Wortgruppe, folglich muss die Fügung zusammengeschrieben werden.

Auch „herzerweichend“ ist so ein Fall - lautet die Grundform doch „das Herz erweichen“. Und „rufschädigend“, denn es heißt ja nicht, jemand „schädigt Ruf“, sondern jemand schädigt einen oder jemandes Ruf.

Das Asyl der Asyl suchenden Flüchtlinge hingegen geht nicht auf eine Wortgruppe zurück, daher sind sie nicht länger asylsuchend. Aber wie ist es mit den Arbeit suchenden Menschen? Die meisten von ihnen suchen vielleicht tatsächlich nur Arbeit, aber es ist doch ebenso gut möglich, dass ein paar von ihnen eine Arbeit suchen? Hätte man es dann nicht mit einer Wortgruppe zu tun? Mit einem eingesparten Artikel, so wie bei „herzerweichend“? Dann hätten diese Menschen zwar noch kein Recht auf Arbeit, aber immerhin ein Recht darauf, „arbeitsuchend“ genannt zu werden. Im Arbeitsamt müssten zwei Schlangen eingerichtet werden. Wer Arbeit sucht, der stelle sich links bei den Arbeit Suchenden an; und wer eine Arbeit sucht, der gehe nach rechts, zu den Arbeitsuchenden.

Die Korrekturhilfe von „Word“ lässt das Eigenschaftswort „arbeitsuchend“ entgegen der neuen Regelung gelten. Dafür unterstreicht sie aber Wörter wie muskelbepackt, scherbenübersät und kapitalgedeckt, obwohl die nach wie vor richtig sind. Prompt findet man in der Presse Sätze wie diese: „Muskel bepackt und gut trainiert müssen sie sein, die Saalordner der HipHop-Veranstaltungen.“ - „Der Sozialdemokrat fordert neben der gesetzlichen Rentenversicherung als zweite Säule eine Kapital gedeckte Rente.“ - „Die Straße ist Scherben übersät, Kinder rennen barfuß durch die Splitter.“ Oder auch: „Radfahrer bewarfen den Puma mit Steinen, bis er von der Blut überströmten Frau abließ.“

„Das haben wir nicht gewollt“, sagen die Befürworter der Rechtschreibreform heute, „das ist das Ergebnis einer völligen Fehlinterpretation der Regeln!“ Tatsache ist: Das große Reformwerk, das sich als richtungweisend verstand, erwies sich in der Praxis oft als Irre führend. Und „Word“ besorgt den Rest. Findige Verschwörungstheoretiker haben längst eine Verbindung ausgemacht zwischen der Rechtschreibkommission und den Programmierern der „Word“-Korrekturhilfe. Beide Gruppen hätten sich verschworen zu dem Zweck, die deutsche Gesellschaft durch Beseitigung aller sprachlichen Sicherheiten in ein Chaos zu stürzen, auf dass der Weg frei werde für die Übernahme der totalen Macht durch Dieter Bohlen.

Dass die Unterscheidung zwischen getrennt geschriebenen und zusammengeschriebenen Verbindungen nicht das Gelbe vom Ei ist, ist den Verantwortlichen inzwischen selbst schmerzlich bewusst geworden. So hat die zwischenstaatliche Kommission für deutsche Rechtschreibung in ihrem 3. Bericht vom Oktober 2001 dafür plädiert, die Schreibung von Verbindungen mit Partizipien „etwas zu flexibilisieren“ und den strittigen Paragrafen 36 um eine „Toleranzklausel“ zu ergänzen.

Demnach ist bei Verbindungen mit Partizipien neben der Getrenntschreibung nun ebenfalls (wieder) Zusammenschreibung möglich, jedenfalls solange das Partizip nicht steigerbar ist.

Die Rat suchenden Leser sind also wieder als ratsuchend zugelassen, und Fleisch fressende Pflanzen dürfen wieder als fleischfressende Pflanzen verkauft werden. Ein Teilsieg der Reformgegner, ein kleiner Triumph der Logik. Wenn eines Tages der Wasser abweisende Schutzanzug auch wieder wasserabweisend sein darf und die Energie sparende Lampe energiesparend, dann bleiben uns vielleicht auch Kuriositäten wie Bahn brechende Erfindungen, Hitze beständige Glasur und Grund legende Reformen erspart.

Bis dahin wird uns allerdings noch manch Atem beraubender, Sinn entleerter, Hane büchener Unfug begegnen.

Fotos:
REUTERS: Erdölförderung in Russland: Gewinn bringend?
DPA: Börsenhandel: Schweiß treibend?
DDP: Arbeit Suchende links anstellen, Arbeitsuchende rechts!

Bastian Sick

Ihr Kommentar zu diesem Artikel, Anregungen, Fragen und Wünsche, kurzum Post an den Zwiebelfisch. Zwiebelfisch bastian_sick@spiegel.de
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Hier können Sie jederzeit alle bisherigen „Zwiebelfisch“-Texte aufrufen. Jetzt als Lesezeichen einrichten: http://www.spiegel.de/zwiebelfisch

Zwiebel-Fisch: Das Elend mit dem Binde-Strich (26.11.2003)
Zwiebelfisch: Deutschland, deine Apostroph's (27.01.2004)
Zwiebelfisch: Rettet dem Genitiv! (22.10.2003)

SPIEGEL ONLINE - 03. März 2004, 11:45
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,287687,00.html


Zuletzt bearbeitet von Manfred Riebe am Freitag, 06. Aug. 2004 12:58, insgesamt 1mal bearbeitet
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Manfred Riebe



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Beitrag: Montag, 19. Apr. 2004 09:25    Titel: S-Störungen, Ess- und Eszett-Störungen Antworten mit Zitat

S-Störungen, Ess- und Eszett-Störungen
Hier gilt das Gesetz des Dschungels!

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Zwiebelfisch

In Massen geniessen
Von Bastian Sick

„Sie sollten diesen edlen Tropfen in Massen geniessen“, empfiehlt ein Weinhändler seinen Kunden und lässt sie dabei mit der Frage zurück, ob man sich den Rebensaft nun in winzigen Schlucken genehmigen oder in Sturzbächen durch die Kehle laufen lassen sollte. Manche Menschen leiden an Ess-Störungen, andere an Eszett-Störungen.

Die deutsche Sprache gönnt sich manchen Luxus, und einer davon ist die Existenz eines zusätzlichen Buchstabens. Andere Sprachen haben Akzente (á, é, à, è), setzen ihren Buchstaben lustige Hütchen auf (â, ê, š), durchbohren sie mit Querbalken (ø), hängen ihnen ein Schwänzchen an (ç), verknoten sie (æ, œ) oder föhnen ihnen wellige Frisuren (ñ, ã), die deutsche Sprache nimmt sich dagegen noch relativ bescheiden aus. Sie erfand die Umlaute und jenen Buchstaben, der im Alphabet zwar nicht vorkommt, in unserer Schriftsprache aber eine so große Rolle spielt, dass er auf deutschsprachigen Tastaturen eine eigene Taste bekommen hat: das Eszett (ß).

Obwohl das Schreiben und maschinelle Erzeugen dieses Zeichens keine große Herausforderung darstellt, tun sich viele mit ihm schwer. Dies liegt vor allem daran, dass das ß genauso klingt wie ein einfaches scharfes s und erst recht wie das immerscharfe Doppel-s. Außerdem erscheint es nur unter bestimmten Voraussetzungen im Wort, und das hängt mit der Länge der Vokale zusammen. Die werden allerdings nicht überall gleich gesprochen. Je nach Region werden sie mal gestaucht und mal gedehnt. Während der Norddeutsche kurz „muss“, sagt der Wiener „mu(uu)ss“ mit extralangem u und wundert sich, warum er dann kein ß setzen soll. In Bayern wiederum kann man nicht lange Maß halten, dort trinkt man die Mass am liebsten in Massen. Die Schreibweise mit Doppel-s ist daher im Freistaat ausdrücklich erlaubt. Einige Bayern werden sogar fuchsteufelswild, wenn man ihre Mass mit ß schreibt. Andere Bayern bevorzugen die hochdeutsche Schreibweise, so wie die Münchner „Abendzeitung“, die empört vermeldete: „Sieben Euro für eine Wiesn-Maß!“

Rund 4,7 Millionen Menschen zwischen Basel, Bern und Chur brauchen sich über das ß nicht den Kopf zu zerbrechen - im Land der Bankschließfächer und der Präzisionsuhren kommt der unbequeme Buchstabe nicht vor. Manche pfeifen auf die Rechtschreibreform und setzen das ß auch dort noch, wo es gemäß den neuen Regeln nicht mehr hingehört. Andere wiederum glauben, das ß sei mit der Rechtschreibreform komplett abgeschafft worden. Das sind zum Beispiel all jene Leute, die ihre Briefe und E-Mails beharrlich mit „freundlichen Grüssen“ unterschreiben.
[...]

Wem der Unterschied zwischen Mass und Maß nicht wurscht ist, kann hier die vier goldenen Regeln zum richtigen Gebrauch von ss und ß nachlesen.

SPIEGEL ONLINE - 14. April 2004
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,295078,00.html
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SPIEGEL ONLINE
01.07.2004
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Rechtschreibreform: Sprache im Koma
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Rund ein Jahr vor ihrer endgültigen Festschreibung wächst die Kritik
an der Rechtschreibreform. Während die einen das Rad erfunden haben
wollen, möchten es die anderen zurückdrehen. Was bleibt, ist
Verunsicherung.

Von Dominik Baur

Den vollständigen Artikel erreichen Sie im Internet unter der URL
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,306567,00.html


Zum Thema
---------

- Zwiebelfisch: In Massen geniessen
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,295078,00.html

- Zwiebelfisch: Die vier goldenen Regeln zum richtigen Gebrauch von
ss und ß
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,295122,00.html

- Zwiebelfisch: Die Sprachpfleger-Kolumne bei SPIEGEL ONLINE von
Bastian Sick
http://www.spiegel.de/kultur/literatur/0,1518,253373,00.html


Zuletzt bearbeitet von Manfred Riebe am Freitag, 11. Aug. 2006 11:02, insgesamt 1mal bearbeitet
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Manfred Riebe



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Beitrag: Montag, 19. Apr. 2004 10:10    Titel: Die ss-Regelung ist der Silikonbusen der Rechtschreibreform Antworten mit Zitat

Die ss-Regelung ist der Silikonbusen der Rechtschreibreform

Die neue ss-Regelung umfaßt 90 Prozent der Rechtschreibreform. Sie ist überflüssig wie ein Kropf, aber sie hilft den Verlagen und Medienkonzernen, Geschäfte zu machen. Die ss-Regelung täuscht eine nicht vorhandene Modernität und Qualität der Reform vor. In Wirklichkeit steigen gerade durch die neue ss-Regelung die Fehlerzahlen stark an. Die neue ss-Regelung dient lediglich als Füllmaterial, um überhaupt eine Reform nötig erscheinen zu lassen.

Die ss-Regelung ist der Silikonbusen der Rechtschreibreform. Sie täuscht Qualität und Volumen vor, wo nichts dergleichen vorhanden ist.
_________________________________________

Siehe hierzu im SZ-Forum „Das geschieht Ihnen ganz Rechtschreibung!“
http://www.sueddeutsche.de/app/service/forum/postlist.php?Cat=&Board=Rechtschreibung
den Strang „ss-Regelung, Silikonbusen der Rechtschreibreform“! sowie:
Wolfgang Scheuermann: Die Eszett-Seite
http://www.vrs-ev.de/forum/viewtopic.php?t=206
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Manfred Riebe



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Beitrag: Montag, 03. Mai. 2004 21:25    Titel: „Comeback“ des SPIEGEL-Forums Antworten mit Zitat

„Comeback“ des SPIEGEL-Forums

sysop - 09:45 am Mar 29, 2004 CEST (#2824 of 2860)
Redaktion SPIEGEL ONLINE - webmaster@spiegel.de?subject=Forum
Ein Comeback auf Wunsch - voilà.

http://forum.spiegel.de/cgi-bin/WebX?13@@.ee6b4b4

Sigmar Salzburg und meine Wenigkeit hatten uns um die Wiedereröffnung bemüht.

Wenn Sie mitdiskutieren wollen, müssen Sie sich registrieren lassen. Dann wird Ihre E-Mail-Adresse überprüft. In Ihrem elektronischen Postfach landet dann eine Mail mit dem Betreff "Willkommen zum SPIEGEL ONLINE Forum". Ungefähr zehn Minuten später dürfen Sie im Forum Beiträge verfassen.
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Manfred Riebe



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Beitrag: Mittwoch, 02. Jun. 2004 16:33    Titel: Rebellion gegen die Rechtschreibreform Antworten mit Zitat

Rebellion gegen die Rechtschreibreform
__________________________________

Rechtschreibreform

Ein Fall fürs Wort-Dezernat


Rebellion gegen die Rechtschreibreform gehört zum guten Ton: Zeitungen, Lehrer und Schriftsteller üben einhellig Kritik am neuen Regelwerk. Die Kultusministerkonferenz will nun nach sechs Jahren Zank und Kontroversen ein Zeichen der Entspannung setzen - und einen Punkt machen hinter die langwierigen Querelen.

Berlin - Knapp sechs Jahre nach ihrer Einführung erhitzt die neue Rechtschreibung noch immer die Gemüter. Nur 13 Prozent der Deutschen sind einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Allensbach zufolge „eindeutig für die Reform“. 49 Prozent der 2134 Befragten sprachen sich im Mai gegen die Neuregelungen aus. Auch auf Expertenseite ist das Regelwerk umstritten. So bezeichnete Verleger Michael Klett die Reform Ende Mai in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ als „unnötig und unsinnig“. Erst im April hatten unter anderen die Autoren Reiner Kunze und Siegfried Lenz die Rücknahme der Rechtschreibreform gefordert.

Die Kultusministerkonferenz (KMK) will nun zur Entspannung der Situation beitragen. Auf ihrer 306. Plenarsitzung in Mainz wollen die Minister am Donnerstag und Freitag einen Beschluss zum 4. Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung fassen. Der KMK ist es nach eigenen Angaben dabei „besonders wichtig, dass für die Zukunft ein von möglichst allen Beteiligten - auch unter Einbeziehung der Akademie für Sprache und Dichtung - akzeptiertes Verfahren zur Beobachtung der Entwicklung des Schriftgebrauchs etabliert wird“.

In dem Anfang des Jahres vorgelegten Bericht hatte die Mannheimer Kommission die Zulassung von bisher nicht erlaubten Varianten in der seit 1. August 1998 geltenden Rechtschreibung vorgeschlagen. Demnach soll es unter anderem größere Freiheit bei der Getrennt- und Zusammenschreibung und der Groß- und Kleinschreibung geben.

Die Vorschläge waren jedoch sofort nach Bekanntwerden ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Mehrere Medien werteten sie als Zeichen der Beliebigkeit. Die „Bild“-Zeitung schrieb: „Erlaubt ist fast alles, was gefällt. Was einst ein Fehler war, wird jetzt eine 'Variante'.“

Auch die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt lehnte die neuen Regeln in ihrer bisherigen Form ab und legte ein Papier mit Verbesserungsvorschlägen vor. Gespräche von Rechtschreibkommission und Akademie zwischen März und Mai haben laut KMK aber gezeigt, „dass hinsichtlich des Verständnisses von Genese und Struktur orthographischer Normen derzeit nicht überwindbare Gegensätze bestehen“. Gleichwohl hätten die Gespräche zu Umformulierungen im Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung des Regelwerks geführt, die die Kritik von Mitgliedern der Akademie berücksichtigten, teilte die KMK Ende Mai mit.

Mit Kritik hatte die Rechtschreibreform von Anfang an zu kämpfen. Die Bevölkerung Schleswig-Holsteins lehnte die Reform im September 1998 per Volksentscheid sogar ab. Ein Jahr später nahm der Kieler Landtag den Entscheid allerdings wieder zurück. Auch Zeitungen und Schriftsteller verweigern sich den neuen Regeln. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ kehrte zu den herkömmlichen Schreibweisen zurück, Literaturnobelpreisträger Günter Grass verfügte, dass seine Werke nur nach den früheren Regeln gedruckt werden dürfen.

Trotz aller Diskussionen sind derzeit die 1998 eingeführten Bestimmungen jedoch Grundlage für den Schulunterricht, auch die öffentliche Verwaltung muss sich an das Regelwerk halten. Bis zum 31. Juli 2005 läuft eine Übergangsfrist. Für Schüler bedeutet dies, dass bis dahin herkömmliche Schreibweisen nicht als Fehler gezählt, sondern nur verbessert werden.

Ulrike Geist, ddp

SPIEGEL ONLINE - 2. Juni 2004

www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,druck-302432,00.html


Zuletzt bearbeitet von Manfred Riebe am Donnerstag, 01. Jul. 2004 16:16, insgesamt 1mal bearbeitet
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Manfred Riebe



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Beitrag: Samstag, 26. Jun. 2004 17:24    Titel: SPIEGEL-Forum Antworten mit Zitat

SPIEGEL-Forum

Im Spiegel-Forum hat sich ein unerwarteter Diskussionsschub ergeben. Unser aller Freundin Frau Dr. Margret Popp ist jetzt auch aufgetreten, um Schadensbegrenzung zu betreiben. Vielleicht hat jemand Lust ...

http://forum.spiegel.de/cgi-bin/WebX?13@@.ee6b4b4


Sigmar Salzburg

26.06.2004 05:55 Rechtschreibforum > Andere Foren
____________________________________________

Anmerkungen:

Frau Salber-Buchmüller schrieb kürzlich: „In RSR-com wird auch nur hin- und hergeschrieben wie in einem Poesie-Buch. Das bringt doch alles nichts.“
Auch Schulbuchverlegerin Karin Pfeiffer-Stolz vom Stolz-Schulbuchverlag - www.vrs-ev.de/forum/viewtopic.php?t=363&start=0 - hat dies erkannt, diskutiert im SPIEGEL-Forum mit und trägt so ihre Botschaft nach außen.
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Manfred Riebe



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Beitrag: Donnerstag, 01. Jul. 2004 16:08    Titel: Sprache im Koma Antworten mit Zitat

<b>Rechtschreibreform</b>

Sprache im Koma

Von Dominik Baur

<b>Rund ein Jahr vor ihrer endgültigen Festschreibung wächst die Kritik an der Rechtschreibreform. Während die einen das Rad erfunden haben wollen, möchten es die anderen zurückdrehen. Was bleibt, ist Verunsicherung.</b>

Es war ein trauriger Tag für das Land, dieser 1. August. Wir schrieben das Jahr 1999 nach Christus. Ganz Deutschland kehrte damals der guten alten Rechtschreibung den Rücken. Ganz Deutschland? Nein! Eine von unbeugsamen Redakteuren bevölkerte Tageszeitung in Hessen hörte nicht auf, dem Ansturm von Zooorchestern, Betttüchern und Delfinen Widerstand zu leisten.

In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ fragte sich niemand, was der Tunfisch zu tun hat, in der Kantine gab es nur Thunfisch - und nichts anderes wurde den treuen Lesern des konservativen Blattes vorgesetzt. Während Schülern von Hamburg bis Garmisch-Partenkirchen eine neue Schreibweise verordnet wurde und Behörden ihre ohnehin kaum verständlichen Schriftstücke durch „Dienst Habende“ und „allein Stehende“ auch noch unlesbar machten, schrieben die „FAZ“-Macher, als sei nichts gewesen.

Dass sehr wohl etwas gewesen ist, registrierten die orthografischen Seismografen (wieso eigentlich nicht auch noch weg mit dem „th“?) in Frankfurt jedoch viel stärker als viele andere im Land. Jetzt, seit bekannt ist, dass die Kultusministerkonferenz die so genannte (in zwei Wörtern, bitte) Rechtschreibreform zum August 2005 verbindlich werden lassen will, rührt die „FAZ“ noch einmal kräftig die Werbetrommel für eine Rücknahme des Regelwerkes. Kaum ein Tag vergeht seit dem Beschluss der Konferenz Anfang Juni, an dem die Zeitung das Thema nicht aufgreift.

Wulff: Ministerpräsidenten sollen ein Machtwort sprechen

Jetzt erhalten die bislang einsamen Streiter jedoch Unterstützung von politischer Seite. Man hörte seit seiner Wahl zum Ministerpräsidenten nicht mehr viel von Christian Wulff, zumindest nicht außerhalb Niedersachsens. Doch nun hat sich der Regierungschef lautstark zu Wort gemeldet und sich zum Wortführer der Rechtschreibreformgegner aufgeschwungen. Eine Missgeburt sei die Reform gewesen, schimpft Wulff. Dabei dürfte der Wandel der Mißgeburt zur Missgeburt noch die wenigsten Reformkritiker stören, obwohl der Wegfall des „scharfen ß“ nach kurzen Vokalen rein quantitativ die meisten Änderungen ausmachen dürfte.

Was Kritiker der neuen Schreibung viel mehr erregt, sind die Auswüchse bei Getrennt- und Zusammen-, Groß- und Kleinschreibung, die unzähligen Haupt- und Nebenvarianten. Die Reform habe der Beliebigkeit Tür und Tor geöffnet, Deutschland gerate zunehmend in einen Zustand der „Sprachverhunzung“, sagt Wulff. Da den Kultusministern Schavan, Goppel und Co. das Heft entglitten sei, soll seiner Meinung nach jetzt die Ministerpräsidentenkonferenz die Sache selbst in die Hand nehmen und ein Machtwort sprechen.

Die Schuld an der orthografischen Misere des Landes gibt der Politiker „vermeintlichen Fachleuten“, denen die Kultusministerkonferenz fahrlässigerweise die Aufgabe überlassen habe, die Rechtschreibung zu reformieren, „ein paar Professoren, die den Eindruck erweckten, sie könnten das Rad neu erfinden“. Dabei erfanden sie nur das Radfahren neu: Seit 1998 darf man nicht mehr radfahren, sondern muss Rad fahren.

Die Macht der namenlosen Beamten

Eine Theorie, der auch Dietrich Schwanitz zustimmt, der Mann, der den Deutschen bestsellend beizubringen versuchte, was er unter Bildung versteht. Seiner in der „Welt“ erklärten Ansicht nach war die Rechtschreibreform in der Polykratie der Kultusministerkonferenz von namenlosen Beamten zu keinem anderen Zweck entwickelt worden, um die drei Dutzend Ressortchefs von anderen möglicherweise gar einschneidenden Politikprojekten abzuhalten.

Auf die Seite der Reformgegner schlug sich jetzt auch Wulffs saarländischer Kollege und Parteifreund Peter Müller. Die Reform werde von den Menschen nicht angenommen. „Das muss die Politik akzeptieren und auch die Kraft haben, diese Reform grundsätzlich wieder abzuschaffen“, forderte er im „Münchner Merkur“. CDU-Vize Christoph Böhr will ebenfalls eine komplette Rücknahme der Reform. Sie sei „ein einziges Debakel“.

Gestern stimmte auch noch der Verfassungsrechtler Rupert Scholz in den Chor mit ein. Und selbst der hessische Ministerpräsident Roland Koch, der stets sein Ohr am Maul des Volkes hat, äußerte trotz aller Bedenken „ein Stück weit“ Verständnis für seine Parteifreunde. Das lauteste Sprachrohr für Wulff und Co. bietet freilich eine uns wohlbekannte (oder doch lieber sinnentstellend: wohl bekannte?) Zeitung aus Frankfurt.

Bevölkerung lehnt Reform ab

Aber nicht nur Politiker monieren eine Rücknahme der umstrittenen Rechtschreibreform an. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung protestiert gegen den Orthografie-Klüngel der Kultusministerkonferenz und ihrer zweifelhaften Experten, die Akademien der Wissenschaften der einzelnen Bundesländer schließen sich an. In einem offenen Brief fordern sie: „Die Reformrechtschreibung sollte weder in der ursprünglichen noch in der jetzt vorgeschlagenen Fassung zur ab dem 1. August 2005 alleinverbindlichen Schulorthografie erklärt werden.“

Auch 60 Rechtswissenschaftler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz wandten sich in einem Schreiben an die Ministerpräsidenten. Diese, so die Forderung, müssten weiteren Schaden für die deutsche Sprachgemeinschaft abwenden. Es gehe dabei auch um das Ansehen der Politik. Falls die Menschen den Eindruck gewännen, die Politiker könnten nicht einmal dieses Problem, etwa wegen übertriebener Rücksichtnahme auf die Kultusverwaltungen, „undogmatisch und unbürokratisch erledigen, wird ihr die Lösung weit schwierigerer Aufgaben erst recht nicht mehr zugetraut“, schreiben die Juristen.

In der Bevölkerung hat die Reform ohnehin keinen Rückhalt gefunden. 13 Prozent der Deutschen, so hat Allensbach herausgefunden, stehen hinter der Rechtschreibreform. Und auch das Meinungsforschungsinstitut polis/USUMA machte nur 29 Prozent der Bevölkerung aus, die gegen eine Rückkehr zur früheren Rechtschreibung sind. Selbst unter Schülern, die von davon am negativsten betroffen wären, ist nur etwas mehr als jeder Zweite gegen den Schritt zurück.

Lawine im orthografiefreien Raum

Die Aufregung über eine Reform, in der es um aneinander gereihte Buchstaben geht, während die Arbeitslosigkeit steigt, die Konjunktur nicht in Schwung kommt, und die Sozialsysteme alles andere als gesichert sind, verursacht natürlich auch reichlich Kopfschütteln. „Der Zug ist abgefahren“, heißt es dann. Es gebe Wichtigeres, sagen die Befürworter der Reform. Und in der Tat: Die Rechtschreibung hat keinen Verfassungsrang. Die Sprache der Deutschen ist antastbar.

Alles also nur ein vorgezogenes Sommertheater? Nein, der Protest gegen die zweifelhafte Reform war schon von jeher groß und wurde - so beharrlich er an verantwortlicher Stelle auch ignoriert wurde - durch die normative Kraft des Faktischen nicht abgemildert. Doch ob sich das Rad zurückdrehen lässt, scheint mehr als fraglich. Die schreibende Bevölkerung ist längst zu verunsichert. Ganze Jahrgänge von Schülern sind mit einer Beliebigkeit der Rechtschreibung groß geworden.

Ohnehin leben wir bereits in einem weitgehend rechtschreibungsfreien Raum. Viele von uns schreiben zwar mehr als früher, doch wer in Handy-Nachrichten, E-Mails oder Instant Messages etwa noch Großbuchstaben benutzt, entpuppt sich ohnehin als uncool. Rechtschreibfehler gehören dazu, ja sie unterstreichen gerade zu die Schnelligkeit und Flüchtigkeit der Nachrichten. Handschriftliche Briefe sind out, allenfalls schickt der eine oder andere statt einer MMS noch eine Postkarte aus dem Urlaub. Und selbst viele von denen, die von Berufs wegen schreiben müssen, verfahren längst nach dem Motto: Richtig ist, was das Rechtschreibprogramm von „Word“ nicht unterringelt. Wer möchte sich da noch über verbale Ungetümer wie „Blut befleckt“ oder „tief gründig“ ereifern?

Die Hoffnung bleibt: Sprache lebt - auch wenn das Regelwerk der Kultusministerkonferenz die deutsche für ein paar Jahre ins künstliche Koma versetzt haben mag. Langfristig werden nur die Änderungen in die deutsche Rechtschreibung eingehen, die von den Leuten angenommen werden.

SPIEGEL ONLINE - 01. Juli 2004, 15:02
www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,306567,00.html
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Anmerkungen:

Wenn Dominik Baur auf der VRS-Seite nachgeschaut hätte, hätte er bemerkt,
a) daß die FAZ ebenfalls am 1. August 1999 auf den Neuschrieb umstellte und erst aus der Erfahrung klug wurde,
b) daß die FAZ keineswegs allein ist. Siehe die
VRS-Pressemitteilung zum 13. September 2003, dem „Tag der deutschen Sprache“:
Die FAZ allein auf weiter Flur? „Bürger-Oscar für Zivilcourage“ für die FAZ und die reformfreie Presse - www.vrs-ev.de/pm130903.php

Dominik Baur schreibt: „Jetzt erhalten die bislang einsamen Streiter jedoch Unterstützung von politischer Seite.“??
Im VRS-Forum, in dem - wie in einem Archiv - Nachrichten und Kommentare gespeichert sind, stellt der Kulturredakteur der Aachener Zeitung, Eckhard Hoog, im Strang „Zur Rolle der deutschen Medien“ - www.vrs-ev.de/forum/viewtopic.php?t=400 - die Behauptung auf: „Die Medien tragen eine gravierende Mitschuld“. Im dort folgenden Bericht: „Zur Meinungsmache der 'vierten Gewalt' - Gegenmaßnahmen der Reformkritiker“ wird anhand von Fakten und Ereignissen seine Beobachtung bestätigt: Die Reformkritiker wurden von der gleichgeschalteten Presse weitgehend im Stich gelassen.

Aber insgesamt betrachtet kann man trotzdem nicht von „einsamen Streitern“ sprechen. Baur führt ja selber etliche Organisationen auf, die gegen die Rechtschreibreform auftreten: die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, die Akademien der Wissenschaften und 60 Rechtswissenschaftler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Seine Liste ist aber unvollständig, vgl. Die Front gegen die Schlechtschreibreform wächst - www.vrs-ev.de/forum/viewtopic.php?t=257#1090

Dominik Baur schreibt: „Da den Kultusministern Schavan, Goppel und Co. das Heft entglitten sei, ....“??
Richtig ist dagegen, daß Thomas Goppel - www.vrs-ev.de/forum/viewtopic.php?t=195 - erst im letzten Herbst Nachfolger von Hans Zehetmair als bayerischer Wissenschaftsminister wurde - www.vrs-ev.de/forum/viewtopic.php?t=170 -. Goppel betont seitdem, daß die Kompetenz für die Rechtschreibreform nicht bei den Wissenschaftsministern, sondern bei den Kultusministern und somit auch bei der bayerischen Kultusministerin Monika Hohlmeier liege - www.vrs-ev.de/forum/viewtopic.php?t=355 -.

Aber es bleibt doch die Frage, ob nicht auch ein Wissenschaftsminister, der ja für die Hochschulen, die Schriftsteller, die bayerische Akademie der Wissenschaften und die bayerische Akademie der Schönen Künste zuständig ist, in der Kultusministerkonferenz Rederecht hat, aber nicht abstimmen darf, seiner Kollegin Hohlmeier unverblümt seine Meinung sagen darf. Abgesehen davon vermißt man, daß Dominik Baur nicht auch die Bundestags- und Landtagsabgeordneten an ihre Verantwortung als Volksvertreter erinnert, wie es die Rechtsprofessoren tun - www.vrs-ev.de/forum/viewtopic.php?t=279 -.

Mir fällt dazu ein: Das schlechte Geld hat immer schon das gute Geld verdrängt, so wie auch jetzt die Beliebigkeitsschreibung die Orthographie verdrängen will. Baur hofft auf die Selbstregulierung der Sprache. Aber von der Macht der „vierten Gewalt“ spricht er nicht, obwohl sie ab dem 1. August 1999 eine unglückselige Rolle als williger Vollstrecker der „Schreibreform“ spielte.

Baur nennt einen entscheidenden Nachteil der deutschen Sprache im Vergleich zu anderen Sprachen: „Die Rechtschreibung hat keinen Verfassungsrang. Die Sprache der Deutschen ist antastbar.“ Siehe hierzu: www.vrs-ev.de/forum/viewtopic.php?t=228 -. Die Bundestags- und Landtagsabgeordneten hätten als Volksvertreter die Aufgabe, der deutschen Sprache zum Verfassungsrang zu verhelfen.
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Manfred Riebe



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Beitrag: Mittwoch, 14. Jul. 2004 16:25    Titel: SPIEGEL-ONLINE-UMFRAGE Antworten mit Zitat

SPIEGEL-ONLINE-UMFRAGE

SPIEGEL ONLINE führt eine Umfrage zur Frage durch:
Die wenig geliebte Rechtschreibreform
Sollte die umstrittene Rechtschreibreform wieder rückgängig gemacht werden?

Stand: 14.07.2004, 17:06

Nach zwei Tagen Laufzeit haben 7.614 Menschen abgestimmt,

5.055 = 66,39 % haben derzeit mit ‚Ja‘ gestimmt,
2.406 = 31,60 % mit ‚Nein‘ und
153 = 2,01 % mit ‚Weiß nicht‘.

Der Link auf den Artikel soll einige Zeit funktionieren. Bitte hier klicken:
www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,308441,00.html

SPIEGEL-ONLINE-Abstimmungen sind keine repräsentativen Umfragen. Sie geben lediglich ein Stimmungsbild derjenigen wieder, die bei den Abstimmungen mitmachen. Die Teilnahme ist unverbindlich und freiwillig.

SPIEGEL ONLINE vom 13. Juli 2004
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Manfred Riebe



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Beitrag: Freitag, 06. Aug. 2004 13:00    Titel: Aufstand gegen Unverstand Antworten mit Zitat

RECHTSCHREIBUNG
Aufstand gegen Unverstand

In einem Jahr soll die neue Rechtschreibung endgültig in Kraft treten. In der Praxis hat sich gezeigt: Allzu viele Regeln der Reform sind unlogisch. Die Mehrheit der Bürger lehnt sie ab. Aber nur eine große Koalition aus Politikern, Publizisten, Eltern und Lesern könnte das Trauerspiel beenden.

Sie war die Reform vor den Reformen. Sie kostete nur Geld und brachte nichts ein. Sie tat zwar nicht weh wie Hartz IV, der DGB verkrachte sich ihretwegen nicht mit der SPD, sie schnitt das soziale Netz nicht in handliche Schnipsel und versprach auch keine neuen Arbeitsplätze. Aber sie veränderte das, was viele Deutsche noch gemeinsam haben: die Sprache.

Und erst als die neue Rechtschreibung am 1. August 1998 in Kraft trat, merkten die Deutschen allmählich, was sich über Nacht in ihrer Schriftsprache verändert hatte.

Orthografie hieß es nun etwa und Fotograf. Aber weiterhin Philosoph. Warum aber nicht, nach der Logik der Reform, Filosof? Schließlich schrieb man nun auch Delfin. Ein Macker durfte als Ma-cker über die Zeile ragen und die Pi-ste als Pis-te pöbeln. Keinem der zuständigen Ministerialbeamten und Sprachexperten, die sich jahrzehntelang das neue Regelwerk in unendlichen Sitzungen ausgedacht hatten, tat das, geschrieben nach den neuen Regeln, auch nur ein bisschen Leid.

In den Schulen lernten Kinder die neuen Regeln und konfrontierten ihre Eltern mit ihrer Ratlosigkeit: Was „gestern früh“ noch galt, war „heute Morgen“ plötzlich falsch. Der Wertewandel in der Fibel stürzte ganze Familien in einen Kampf der Generationen. Oma beharrte auf radfahren, die Enkel lernten dagegen Rad fahren.

Während die Schulbuchverlage notgedrungen ihr Sortiment den neuen Vorschriften anpassten und dank etlicher Nachbesserungen eine Wörterbuch-Version die nächste jagte, blieben die meisten Literaturverlage beim Üblichen - die Autoren wollten es so. Doch damit nicht genug: Viele Zeitungen und Zeitschriften schwenkten schließlich, wohl oder übel, auf die neue Linie ein, allerdings meist mit Anleihen beim Bewährten. Nur die „Frankfurter Allgemeine“ („FAZ“) kehrte, nach einer Probephase mit den neuen Regeln, konsequent zur herkömmlichen Schreibweise zurück.

Im gedruckten und geschriebenen Deutsch hat sich seitdem babylonische Wirrsal ausgebreitet (siehe Kasten Seite 145). Wie schon in der Mode oder in der Popmusik lautet die Parole: Anything goes. Alt und Neu bestehen nebeneinander, viele Kann- und einige Mussbestimmungen weichen die Sprachwirklichkeit auf, unzählige Varianten kursieren - niemand weiß mehr, woran er ist.

Die Lage ist inzwischen so chaotisch, als hätte ein antikes Trio infernale, bestehend aus den anstrengenden Herren Sisyphos, Drakon und Prokrustes, die Vormundschaft über die deutsche Sprache und ihre Benutzer übernommen.

Doch noch bleibt eine Galgenfrist. In genau einem Jahr, am 1. August 2005, endet die Übergangszeit. Danach, so sehen die Bestimmungen es vor, sollen die neuen Regeln in Schulen und Behörden verbindlich werden.

Es sei denn, die Gegner erreichen doch noch eine Kehrtwende - und Gegner hat die Reform nach sechs vollen Jahren offenbar so viele wie noch nie. 51 Prozent der vorvergangene Woche von TNS Infratest für den SPIEGEL Befragten hatten an der Rechtschreibreform nicht nur einiges auszusetzen, sondern forderten deren komplette Annullierung - von den über 60-Jährigen 59 Prozent, aber auch 54 Prozent der 30- bis 45-Jährigen.

Das öffentliche Meinungsbild ist erstaunlich einhellig: Politiker, Publizisten, Lehrer, Eltern und viele ganz gewöhnliche Leser würden am liebsten zur Rechtschreibung in den grammatikalischen Grenzen von 1998 zurückkehren. Den meisten spricht der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger aus vollem Herzen, der vergangene Woche der Kulturbürokratie eine wütende Abfuhr erteilte: „Sie hat uns nichts zu sagen.“ Marcel Reich-Ranicki, Deutschlands Oberliterat, nennt die Reformschreibung „unzweifelhaft eine Katastrophe“.

„Es ist keine Schande, etwas Mißratenes aus der Welt zurückzurufen“, sekundiert dem Kritiker der Autor Georg Klein („Barbar Rosa“). Literaturnobelpreisträger Günter Grass („Die Blechtrommel“) geht noch weiter. Der sonst sicher nicht als Traditionalist verschriene Altmeister verwahrt sich vehement dagegen, dass seine Texte, gerade beim Abdruck in Schulbüchern, in der neuen Rechtschreibung veröffentlicht werden. Sein Kollege Martin Walser („Ein fliehendes Pferd“) erklärte barsch: „Ich schreibe weiter, wie ich will.“ Er unterstellt den Reformexperten „bürokratischen Müßiggang“.

Auch viele Eltern und Lehrer protestieren gegen die Reform. Heidemarie Mundlos, Vorsitzende des Deutschen Elternvereins: „Die Ministerpräsidenten sollen endlich ein Machtwort sprechen.“ Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, ist für eine weitgehende Rücknahme der Reformregeln. Lediglich die neue s-Schreibung („dass“ statt „daß“) sei „gesetzmäßig und logisch“.

Der Deutsche Philologenverband und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft indessen stehen noch zur Reform - eine „Rolle rückwärts“ werde „Chaos an den Schulen“ auslösen, fürchten sie. Die Gymnasialphilologen räumen allerdings ein, in „Teilbereichen“ wie der Zusammen- und Getrenntschreibung könne „nachgebessert“ werden.

Viele Zeitungs- und Magazinredaktionen unterstützen hingegen den Aufstand gegen den Unverstand: Dies sei, so schrieb selbst die Reformen kaum je abgeneigte „Frankfurter Rundschau“, „die letzte Reform, die ohne Not in Angriff genommen werden konnte und auf die man getrost auch hätte verzichten können“. Beim Konjunktiv muss es nicht bleiben. Denn der Groll gegen den Neuschrieb ist auch unter Politikern weit verbreitet. Quer durch die Parteien wächst die Erkenntnis, dass die „Missgeburt“, so der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU), schleunigst wieder verschwinden müsse.

Große deutsche Zeitschriften- und Zeitungsverlage überlegen inzwischen, zur alten Schreibweise zurückzukehren, sollten die Länderchefs nicht vorher von sich aus einlenken und eine brauchbare „Reform der Reform“ durchsetzen - notfalls auch gegen ihre eigenen Kultusminister.

Auslöser der neuerlichen Debatte ist Christian Wulff, CDU-Ministerpräsident von Niedersachsen. Er hatte sich Ende Mai in der RTL-Show „Der große Deutsch-Test“ einem Diktat stellen müssen - nach den neuen Rechtschreibregeln. Der Politiker schnitt reichlich mau ab und wusste auch gleich den Grund: „Diese Reform stiftet nur Verwirrung.“

Das tut sie übrigens schon seit gut fünf Jahrzehnten. 1954 übergaben Sachverständige einer „Arbeitsgemeinschaft für Sprachpflege“ den zuständigen Kultusministern einen Forderungskatalog, der einschneidende orthografische Veränderungen anriet: Von der „gemäßigten Kleinschreibung“ über die Trennung nach Sprechsilben und kräftige Komma-Einsparung bis zur rein lautlichen Schreibung vieler Fremdwörter („Miliö“).

Neu waren solche Projekte auch damals schon nicht. Nur knapp zehn Jahre zuvor hatte Adolf Hitler persönlich ein weit gediehenes Regelwerk ganz ähnlicher Art „bis Kriegsende“ zurückgestellt. Die Reformer - etliche noch dieselben wie ehemals im braunen Reich - nahmen nur einen neuen Anlauf.

Zwar wurden ihre Vorschläge prompt mit Hohngelächter abgefertigt. Doch ganz mochten die Kultusminister der West-Bundesländer, die dem „Duden“ Maßgeblichkeit bescheinigten, das Reformerhäuflein offenbar nicht verprellen. 1956 setzten sie einen „Arbeitskreis für Rechtschreibregelung“ ein; 1964 wurde das noch heute bestehende „Institut für deutsche Sprache“ in Mannheim gegründet. Damit hatten die Sprachregulierer einen Fuß in der Amtstür.

Durch zähe Lobby-Arbeit schafften sie es bis 1973 sogar, dass die Kultusministerkonferenz einer gemäßigten Neuschreibung zustimmte. Nur Monate danach allerdings sprangen mehrere Kultusminister wieder ab. Kommissionen tagten trotzdem weiter. Und als Mitte 1986 erstmals Beamte aus der Bundesrepublik, Österreich und der Schweiz über einen neuen Vorschlag verhandelten, war das Thema auf übernationaler Ebene angelangt. Ein Arbeitsauftrag der Kultusminister bescherte den Reformern kurz darauf weiteren amtlichen Segen. Der Zug kam ins Rollen.

Wieder neun Jahre und etliche Konferenzen später war die „Vorlage für die amtliche Regelung“ durch alle Instanzen gepaukt und die Einführung der neuen, angeblich einfacheren Schreibungen in Schulen und Behörden beschlossene Sache. Die ehemals radikalen Forderungen, etwa nach gemäßigter Kleinschreibung auch der Hauptwörter, waren inzwischen zu einem von Ausnahmen und Nebenfällen strotzenden Kompromisspapier verkommen. Demnach sollte in Zukunft

· mehr getrennt als zusammen- (fern liegen statt fernliegen) und - seltsamerweise - mehr groß- als kleingeschrieben werden (Schuld geben statt schuld geben);


· Kommata freier gesetzt werden dürfen;

· ß sich nach kurzem Vokal in ss ändern (dass statt daß);

· s-t wie s-p behandelt werden (Wes-te statt We-ste) und

· überhaupt möglichst nach gesprochenen Silben getrennt werden (Zu-cker statt Zuk-ker, da-rauf statt dar-auf).
Selbst die komplette Abschaffung des ß, in der Schweiz längst vollzogen, hatten die Reformer also politisch nicht durchboxen können. Umso gewisser rechneten sie nun mit breiter Zustimmung.

Doch stattdessen erhob sich rasch eine Woge des Widerstands. Immer neue Kuriositäten kamen zu Tage - von traditionslosen Neuformen wie „Tollpatsch“ oder „platzieren“ über Albernheiten wie „Flusssand“ bis zu den viel zitierten Tee-nagern und Satzgebilden, die dank der neuen Kommafreiheit ihren Sinn einbüßen oder bis zur Unkenntlichkeit verändern („Ich rate ihm zu helfen“).

In einer „Frankfurter Erklärung“ verurteilten zur Buchmesse 1996 über 300 deutsche Intellektuelle, eine nie da gewesene Allianz des Geistes, die Widersprüchlichkeit, Geschichtslosigkeit und Leserfeindlichkeit der angepeilten Regelungen. Diesem „Amtsfetisch“ einiger „Sesselfurzer“ sollten sich die „wahren Gesetzgeber“ der deutschen Sprache, die schöpferischen Schreiber, nicht beugen müssen, wetterte Hans Magnus Enzensberger, von Anfang an ein strikter Gegner des Vorhabens.

Dennoch blieben die Reformer am längeren Hebel - schon weil für ihre Auftraggeber, die Kultusminister, jeder Rückzieher blamabel gewesen wäre. Von einer „Zwischenstaatlichen Kommission“ aus Reformbefürwortern medial abgefedert, wurde das Regelwerk den Protesten zum Trotz zum 1. August 1998 offiziell gültig - in der Erwartung, dass nach dem üblichen deutschen Gezeter bald alle zur reformierten Tagesordnung übergehen würden.

Aber von wegen. Auch heute, nach sechs Jahren, ist die Wut der lesenden und schreibenden Mehrheit ungebrochen. In Büchern, Pamphleten, Internet-Sites und Arbeitsgruppen, zahllosen Aktionen und einer Dauerflut von Protestbriefen hat sich längst eine Bürgerbewegung gebildet, die an sozialer Vielfalt und Begeisterung für die Sache ihresgleichen sucht. Und von denen, die das Reformkonstrukt anzuwenden glauben, folgen offenbar viele der Formel Pi mal Daumen - wie der Journalist, der kürzlich einen Pianisten allen Ernstes zum „Aufsehen Erreger“ kürte.

Den wohl wichtigsten Einwand gegen den Experten-Neuschrieb formulierte schon 1997 die „Frankfurter Allgemeine „: „Orthographie wird Ansichtssache.“ Selten ist eine Voraussage exakter eingetroffen als diese. Mittlerweile erklärt Theodor Ickler, Professor für Deutsch als Fremdsprache an der Universität Erlangen und einer der besten Grammatikkenner: „Die Kluft zwischen Regelwerk und Schreibwirklichkeit ist größer denn je, das genaue Gegenteil des Reformzwecks ist eingetreten.“

Beispiele schüttelt der agile 60-Jährige nur so aus dem Ärmel. Da meldet ein Schulbuch, Menschenaffen und Vorfahren des Menschen hätten sich „auseinander entwickelt“ - biologischer Blödsinn, nur entstanden daraus, dass das Wort „auseinanderentwickelt“ von Sprachwächtern eigenmächtig auseinander gerissen (oder, nach bewährter Schreibung: auseinandergerissen) wurde. Hinter der bunt zwischen groß und klein abwechselnden Reihe „des Weiteren“, „seit kurzem“, „in Grau“, „schwarz auf weiß“ lauert gar eine Regel mit drei Ausnahme-Unterebenen. Kann das noch einer lernen, geschweige denn begreifen?

„Heil bringend“ und „heilbringend“, „Blut stillend“ und „blutstillend“, alles ist erlaubt - aber beispielsweise „hilfesuchend“ darf nicht sein. Auch „feuerspeiend“ und „fleischfressend“ ächten die Reformer im neuesten Duden als „alte Schreibung“. Zwischen undurchschaubaren Verfügungen und scheinbar überholten Gewohnheiten allein gelassen, werfen viele Enttäuschte die Liebe zu ihrer Muttersprache gleich mit über Bord - allen voran die Schüler, also gerade diejenigen, denen die Reformer ursprünglich helfen wollten.

Zwar finden logisch denkende Zeitgenossen auch an der herkömmlichen Schreibweise manches auszusetzen. Aber vor den Absurditäten des neuen Verordnungsgestrüpps kapitulieren inzwischen selbst viele begeisterte Deutschlehrer. Längst geht es nicht mehr um Spitzfindigkeiten wie den - kaum nachvollziehbaren - Unterschied zwischen den Komma-Neuregelungen „Hier fällt es schwer, zu schweigen“ und „Hier gilt es den Mund zu halten“, sondern um Elementares. Nicht einmal die angeblich so simple ss-Regel sei in den Köpfen angekommen, zeigt Ickler an Fundstücken wie „aussen“ oder „Ergebniss“. Sinn-Trübungen seien programmiert: „Eine ganze Generation von Schülern lernt nicht mehr, die Kommas so zu setzen, wie es die Sprachgemeinschaft für richtig hält.“

Übereifer und Gleichgültigkeit, unzählige Mischversionen von Alt und Neu - auch der SPIEGEL folgt zurzeit einer Orthografie, die die neue Rechtschreibung zwar befolgt, aber so weit wie möglich bei den alten Schreibweisen bleibt - sowie fortwährende amtliche und halbamtliche Nachbesserungen haben aus dem Reformwerk inzwischen eine Wanderdüne der Unsicherheit gemacht, die Leser und Profischreiber gleichermaßen erbittert.

Noch ließe sich das Chaos beenden - sagen nun Verbände, Ministerpräsidenten, Schriftsteller, Journalisten und Intellektuelle. Angesichts des heillosen Durcheinanders einer Reform, nach der niemand rief, die kostbare volkswirtschaftliche Energie vergeudet hat, um den Standort Deutschland wieder einmal zur Lachnummer zu machen, sei eine Kehrtwende überfällig.

Christian Wulff, Auslöser der neuen Diskussion, findet unter seinen Unionskollegen immer mehr Mitstreiter. Edmund Stoiber (Bayern) und Peter Müller (Saarland) signalisierten sofort Sympathie; der ehrgeizige Kollege Roland Koch aus Hessen hält zwar auch nichts von den Neuerungen, die „Schlacht gegen die Rechtschreibreform“ jedoch für verloren.

Beifall bekam Wulff aus Sachsen-Anhalt: „Ich habe die Rechtschreibreform niemals akzeptiert und praktiziert“, betont Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU). Wulff glaubt nicht mehr, „dass man im Bereich der Kultusministerkonferenz des Themas Herr werden kann“. Das scheint auch Edmund Stoiber so zu sehen. Der Bayer, zurzeit Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz, will beim nächsten Treffen, Anfang Oktober, das Thema Rechtschreibung auf die Tagesordnung der Kamingespräche setzen - als Stimmungstest und „erste Meinungsbildung“, heißt es vorsichtig aus der Staatskanzlei. Eine Abstimmung sei nicht geplant. Wie eine Rückkehr zum alten System praktisch aussehen könnte, ist ohnehin völlig offen. „Da gibt es noch keine konkreten Überlegungen“, sagt Stoibers Sprecher Martin Neumeyer.

An einer politischen Mehrheit für den niedersächsischen Vorstoß fehlt sowieso noch manches: Zu den vier möglichen Befürwortern könnten allenfalls noch Brandenburg und Baden-Württemberg stoßen. Deren Regierungschefs Matthias Platzeck (SPD) und Erwin Teufel (CDU) haben sich bislang noch nicht festgelegt. In Stuttgart heißt es, Teufel unterstütze zwar durchaus Wulffs Idee. Er wolle aber seine Kultusministerin Annette Schavan nicht bloßstellen, die sich für die Reform stark gemacht habe. Deshalb warte er ab.

Jürgen Schreier hingegen, Kultusminister des Saarlandes, bedauert „mit dem Wissen von heute“ inzwischen den Reformbeschluss. Sein Beitrag zur Debatte: „Die Politik muss sowohl die alte wie die neue Rechtschreibung weiter gelten lassen.“ Bei dieser „marktwirtschaftlichen“ Lösung werde sich dann die bessere Schreibweise von selbst durchsetzen, glaubt der ehemalige Lehrer. Immerhin ist durch Schreiers Gesinnungswandel der alte Konsens der Kultusministerkonferenz, auf den sich deren Vorsitzende Doris Ahnen (SPD) beruft und auf den sie pocht, gebrochen.

Andere CDU-geführte Länder wollen Wulff nicht folgen. „Für Hamburg ist eine Rückkehr zur alten Schreibweise kein Thema“, sagte Bürgermeister Ole von Beust. Und Sachsens Regierungschef Georg Milbradt meint: „Wenn wir jetzt zur alten Rechtschreibung zurückkehren, wäre die Verwirrung komplett.“ Einen solchen Schritt, fürchtet er, „würden weder Eltern noch Lehrer, noch Schüler verstehen oder gut finden“.

Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) sieht ebenfalls keinen Weg zurück. Der Reformprozess solle von einer Expertenkommission „sinnvoll begleitet werden“, fordert er. Schließlich sei die Regelung das Ergebnis eines international ausgehandelten Kompromisses.

Die SPD-geführten Länder wollen vom bisherigen Kurs erst recht nicht abweichen. Die aktuelle Diskussion sei „Wahnsinn“, urteilt Peer Steinbrück, Regierungschef von Nordrhein-Westfalen: „Als ob wir nicht andere Probleme in Deutschland hätten.“

Sein rheinland-pfälzischer Parteifreund Kurt Beck hält gar die „angezettelte“ Diskussion für „verantwortungslos“. Die Ministerpräsidenten hätten das Thema mehrfach beraten und schließlich den Neuregelungen zugestimmt: „Politische Entscheidungen müssen für die Betroffenen kalkulierbar und berechenbar bleiben.“

Zu den „Vorkämpfern dieser Reform“ mag sich Beck zwar auch nicht rechnen. Aber könne man Kindern, die seit 1998 nach den neuen Regeln lernen, erklären, dass sie Falsches gepaukt haben? Überdies - Hauptargument der Rücknahme-Gegner - schade eine Umkehr der Volkswirtschaft: „Allein durch die Auflage neuer Schulbücher entstünden Kosten in Höhe von einer viertel Milliarde Euro“, behauptet Beck. Auf eine solche Horrorsumme käme man allerdings nur, wenn auf einen Schlag sämtliche Schulbücher neu herausgebracht würden, eine irreale Vorstellung.

Gewohnt pragmatisch versucht der Bremer Regierungschef Henning Scherf (SPD) das Problem zu lösen. Von der Idee, die Reform rückgängig zu machen, hält er zwar „nichts“. Aber: „Im Übrigen habe ich für mich persönlich ganz behände beschlossen, mir wegen der Rechtschreibreform keinen großen Stress zu machen und mir die neuen Regeln nicht mehr einzubläuen“, sagt der 65-Jährige.

Cornelia Pieper, Generalsekretärin der FDP, geht dagegen aufs Ganze. Sie will den Casus gar den Bürgern selbst überlassen: Volksentscheid. Dann wäre der Spuk vermutlich rasch vorbei.

Kulturstaatsministerin Christina Weiss nannte Piepers Befragungsidee „eine populistische Forderung“. Der „Welt am Sonntag“ allerdings hatte sie zuvor bekannt: „Auch ich denke, wir müssen berechtigte Einwände ernst nehmen.“ Es sei ein Fehler, die neuen Regeln gegen den Willen der Bevölkerung durchzusetzen.

Was denn nun? Wer ist das Volk? Wer bestimmt? Warum überhaupt amtliche Regelungen, wenn es vorher auch ohne ging?

Österreich und die Schweiz, von jeher mit Grenzfällen vertraut, gehen seit Beginn der Reform-Schreibung recht gelassen damit um. So hat sich die weltoffene „Neue Zürcher Zeitung“ ein traditionell orientiertes Eigenregelwerk erarbeitet, in dem zum Beispiel altmodisch-elegant von „placieren“ die Rede ist. In Deutschland dagegen starren alle, Reformer wie Traditionsanhänger, auf die Obrigkeit.

Sollten die Länderchefs im Oktober ihren Kultusministern den Fall tatsächlich aus der Hand nehmen, wäre ihnen allgemeiner Beifall sicher; bei Sprachprofis gewiss am heftigsten. Realisten freilich rechnen mit einem weiteren flauen Kompromiss - der vermutlich neue Varianten erlauben und somit liberal wirken, aber in Wahrheit noch mehr Gleichgültigkeit der Sprache gegenüber erzeugen würde.

„Lieber jetzt eine Beendigung des Schreckens als ein Schrecken ohne Ende“, fordert Wolfgang Balk, Verleger des Deutschen Taschenbuch Verlags (dtv) in München. „Aus nicht nachvollziehbaren Gründen, gegen sprachhistorische und linguistische Einsichten, gegen die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung wurde und wird von einer uneinsichtigen Clique dieses unsinnige Reformvorhaben diktatorisch durchgepeitscht.“

Verleger Michael Klett, der nur bei seinen Schulbüchern dem behördlichen Druck nachgibt, zeigt sich ähnlich frustriert: „Mein Leid ist, dass ich hin- und hergezerrt werde zwischen meinem kulturellen Gewissen, das sagt und weiß, wie unnötig und unsinnig diese so genannte Reform ist, und andererseits meiner Verantwortung gegenüber meinem Unternehmen, seiner Position, seinen Arbeitsplätzen und so weiter.“

Sogar manche einstigen Reformer sind inzwischen ganz ähnlicher Meinung. So rechnete der Erlanger Sprachwissenschaftler Horst Haider Munske kürzlich in einem „FAZ“-Artikel vehement mit seinen gescheiterten Kollegen ab: „Alle Fehler lassen sich am Ende auf das untaugliche, undemokratische Verfahren zurückführen, mit dem ohne Parlamente und ohne Gesetze tief greifende Einschnitte in die Schriftkultur und in unser Alltagsleben verordnet werden.“ Dagegen hilft wohl wirklich nur die Parole: Alles auf Anfang.

Sollte dereinst tatsächlich wieder Gewissheit einkehren ins Schriftdeutsch, sollte endlich wieder zusammengeschrieben werden, was zusammengehört, sollte Unsinniges wieder zurückgenommen werden, dann wäre eine der absurdesten Reformen in Deutschland zu ihrem vermutlich glimpflichsten Ende gekommen. Und das Land könnte sich endlich um Dinge kümmern, die wichtig sind: Reformen.

MICHAEL FRÖHLINGSDORF, JOACHIM KRONSBEIN, JOHANNES SALTZWEDEL

DER SPIEGEL Nr. 32 vom 2. August 2004, S. 142 - 147
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Beitrag: Freitag, 06. Aug. 2004 13:49    Titel: SPIEGEL und Springer-Konzern kippen die Reform Antworten mit Zitat

In eigener Sache

SPIEGEL-Verlag und Axel Springer AG kehren zur klassischen Rechtschreibung zurück

Die Axel Springer AG und der SPIEGEL-Verlag kehren in ihren Print- und Online-Publikationen zur klassischen deutschen Rechtschreibung zurück. Gleichzeitig richten die Verlage einen Appell an andere Medienunternehmen sowie an die Nachrichtenagenturen, sich diesem Schritt anzuschließen.

Die zu beiden Verlagen gehörenden Titel, die rund 60 Prozent der Bevölkerung in Deutschland erreichen, werden ihre Schreibweise schnellstmöglich umstellen. SPIEGEL-Verlag und Axel Springer AG fordern andere Verlage auf, ebenfalls zur alten Rechtschreibung zurückzukehren und damit gemeinsam dem Beispiel der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zu folgen, die als einzige die Umstellung nach kurzer Zeit wieder rückgängig gemacht hatte. Ziel dieser Maßnahme ist die Wiederherstellung einer einheitlichen deutschen Rechtschreibung.

Hintergrund der Initiative ist die mangelnde Akzeptanz und die zunehmende Verunsicherung bezüglich des vorgegebenen Regelwerks für die deutsche Schriftsprache. Nach fünf Jahren praktischer Erprobung in den Druckmedien und sechs Jahren in den Schulen hat die Reform weder für professionell Schreibende noch für Schüler Erleichterung oder Vereinfachung gebracht. Im Gegenteil: Die Verunsicherung wächst, Vermischungen von alter und neuer Rechtschreibung sind an der Tagesordnung. Wer vor der Reform sicher schreiben konnte, macht heute Fehler. Eltern benutzen eine andere Orthographie als Kinder. Lehrer sind zutiefst verunsichert.

Heutigen Schülern begegnet der ganz überwiegende Teil der deutschen Literatur und literarischen Überlieferung in der bisherigen Rechtschreibung. Da auch die Mehrheit der deutschsprachigen Schriftsteller - von Grass bis Enzensberger - es ablehnt, daß ihre Werke in neuer Schreibung erscheinen, tut sich eine verhängnisvolle, immer breitere Kluft zwischen gelerntem und gelesenem Deutsch auf. Bereits die erste Version der Reform war mit gravierenden Mängeln behaftet. Eine Vielzahl von Ergänzungen durch die Zwischenstaatliche Kommission und die Wörterbuchredaktionen hat die orthographischen Konventionen in einem Maße erschüttert, daß auf absehbare Zeit die Einheitlichkeit der deutschen Rechtschreibung verloren scheint. Zahlreiche Umfragen belegen, daß die Reform von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wird. Der Grund hierfür liegt nicht in einer angeblichen Reformscheu, sondern in der von vielen Bürgern erkannten oder empfundenen Unausgegorenheit der Neuregelung.

Dr. Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG und Stefan Aust, Chefredakteur des Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL, betonen: „Wir befürworten sehr dringend notwendige und sinnvolle Reformen in unserer Gesellschaft. Doch die Rechtschreibreform ist keine Reform, sondern ein Rückschritt. Die deutsche Sprache braucht keine kultusbürokratische Überregulierung. Spätestens die neuerliche Reform einer ohnehin unausgegorenen Reform führt ins völlige Chaos. Wir wollen dazu beitragen, diese Fehlentwicklung zu korrigieren. Die geschichtliche Erfahrung über Jahrhunderte zeigt, daß Sprache sich evolutionär weiterentwickelt. Die Rechtschreibung sollte diese Änderungen nachvollziehen und nicht vorschreiben.“

Aust und Döpfner stellen fest: „Sechs Jahre nach Einführung der neuen Rechtschreibung müssen wir alle ein erschreckendes Fazit ziehen. In der täglichen Erprobung ist die Reform gescheitert. Die Situation verschlimmert sich, die Konfusion wird größer. Uns kann es als Verlage nicht gleichgültig sein, wenn Schreib- und Lesefähigkeit und damit die Sprachfähigkeit in diesem Land abnehmen. Aus Verantwortung für die nachfolgenden Generationen empfehlen wir auch anderen die Beendigung der staatlich verordneten Legasthenie und die Rückkehr zur klassischen deutschen Rechtschreibung.“ Das schließt Neuerungen nicht aus. Auf der Basis der alten Rechtschreibung kann darüber nachgedacht werden, welche Vorschläge der Reformer schrittweise übernommen werden können. Die Axel Springer AG, der SPIEGEL-Verlag und die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ werden sich sinnvollen Veränderungen nicht verschließen.

Die technische Umsetzung in den Print- und Online-Publikationen der Verlage soll schnellstmöglich erfolgen.

SPIEGEL ONLINE - 6. August 2004, 10:59

www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,311777,00.html

www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID3500216_NAVSPM1_REF1,00.html

Zum Thema
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- Rechtschreibung: Wachsender Widerstand gegen die endgültige
Festschreibung der neuen Regeln
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,311190,00.html

- Rechtschreibung: Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki über die
„Katastrophe“ der Reform
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,311176,00.html

- Rechtschreibreform: Sprache im Koma
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,306567,00.html

- Rückzug von der Reform? Diskutieren Sie mit!
http://www.spiegel.de/forum/0,1518,306704,00.html
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Die Diskussion um die Rechtschreibung

Sollte die klassische deutsche Rechtschreibung generell wieder eingeführt werden?

Zwischenstand am 6. August 2004, 12.38 Uhr

JA: .......5521 = 70.78%
NEIN:. .2279 = 29.22%

Gesamtbeteiligung: 7800

SPIEGEL-ONLINE-Votes sind keine repräsentativen Umfragen. Sie geben lediglich ein Stimmungsbild derjenigen wieder, die bei den Votes mitmachen. Die Teilnahme ist unverbindlich und freiwillig.

www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,311777,00.html
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Beitrag: Freitag, 13. Aug. 2004 08:02    Titel: Hausmitteilung betr. Rechtschreibung Antworten mit Zitat

Hausmitteilung
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9. August 2004 — Betr.: Rechtschreibung, Titel, Lafontaine, Olympia

SPIEGEL-Herausgeber Rudolf Augstein hatte der Redaktion grünes Licht gegeben, 1996, als die Kultusminister per Dekret die gültige Rechtschreibung verschlimmbessern wollten. Diesen Unsinn müsse der SPIEGEL nicht mitmachen. In einem Titel und mehreren Geschichten hatte das Magazin zuvor über den Versuch der Kultusministerkonferenz berichtet, die deutsche Rechtschreibung gründlich zu reformieren. Herausgekommen war - nach Jahren der Konferenzen, Entwürfe und flauen [besser: faulen, MR] Kompromisse - ein weitgehend absurdes, höchst überflüssiges Reformwerk, das geradezu zwangsneurotisch logische Regeln in die Sprachkultur einführen wollte. Das Ergebnis, von unzähligen Ausnahmen und krassen Eigenwilligkeiten einiger Reformer durchsetzt, zeigte von Logik und Konsequenz keine Spur mehr; nicht einmal die Abschaffung des „ß“ hatten die Neuerer vollständig erreicht. Schriftsteller empörten sich zuhauf, Sprachwissenschaftler beklagten die worthistorisch verkehrten Neubildungen („behände“, „platzieren“, „Stängel“), die Abschaffung vieler gewohnter Zusammensetzungen („groß angelegt“, „hier zu Lande“, „heimlich tun“), Verwirrspiele mit fehlenden Kommata („Ich rate ihm zu helfen“) und den Wust von Doppelmöglichkeiten („heiß laufen“, aber auch „heißlaufen“). Lehrer warnten vor der absehbaren Diskrepanz zwischen dem, was die Schulen lehren, und dem, was Schüler in der Literatur finden würden. Vor allem aber beherrschte eine schlichte Frage die Debatte: Was um Himmels willen soll der ganze Aufwand? Noch die plausibelste aller Erklärungen war: Unklare Regelungen mindern die Zahl der Fehler; wer nicht richtig schreiben kann, sollte es in Zukunft auch nicht lernen müssen. Heraus kam das orthografische Chaos: Während mehrere renommierte Buchverlage (Aufbau, Hanser, Diogenes, Piper) der Neuregelung von vornherein nicht folgten, entwickelten etliche Redaktionen von Zeitungen und Zeitschriften ihre eigene Version des behördlich erzwungenen Neuschriebs. Im Duden wurde Auflage für Auflage klammheimlich ein Teil des Unsinns wieder zurückgenommen oder für beliebig erklärt. Lediglich die „Frankfurter Allgemeine“ kehrte nach einem Ausflug in das Tollhaus der neuen Schreibweisen zur alten Rechtschreibung zurück. Auch der SPIEGEL machte zähneknirschend das Abenteuer der staatlich verordneten Legasthenie mit. Doch damit ist demnächst Schluss. Nach der sechsjährigen „Erprobungsphase“ hat sich herausgestellt: Die Rechtschreibreform ist auf ganzer Linie gescheitert. Selbst erfahrene SPIEGEL-Redakteure schreiben ihre Texte in alter Form, die dann vom Computer - keineswegs immer korrekt - in die neue Schreibung übersetzt werden. Schüler lernen Wortformen und Kommasetzungen, die sie in fast allen Büchern der Literatur nicht finden. In den vergangenen Wochen ist die Diskussion neu aufgeflammt, als die Kultusminister verfügten, dass die neue Rechtschreibung im kommenden Jahr verbindlich werden solle. Wieder riefen Schriftsteller, die sich seit Jahren in ihrer Mehrheit gegen den verordneten Unsinn aufgelehnt hatten, zur Rückna[h]me der bürokratischen Zwangsschreibe auf. Auch der SPIEGEL will sich nicht länger seinen eigenen Argumenten gegen die verunglückte Reform verschließen. Wie die „Frankfurter Allgemeine“ es vorgemacht hat, werden der Axel Springer Verlag und der SPIEGEL zur alten Rechtschreibung zurückkehren. Bereits am vorigen Freitag hat der Suhrkamp Verlag die Initiative begrüßt. Sie ist nicht als Verweigerungshaltung zu verstehen: Vorschläge der Reformer, die von der schreibenden und lesenden Mehrheit als sinnvoll erachtet werden, könnten durchaus in Zukunft übernommen werden. Aber eines hat der anhaltende, wachsende Widerstand gegen die Neuregelung - mittlerweile eine eindrucksvolle, parteiübergreifende Bürgerbewegung - klar gemacht: Die Sprache gehört nicht der Kultusbürokratie. Sie ist Kern der Demokratie. Sie lässt sich nicht auf dem Verordnungswege vergewaltigen. Wir hätten damals auf Rudolf Augstein hören und den ganzen Unsinn nicht mitmachen sollen. Aber es ist ja nicht zu spät. Sobald die technischen Voraussetzungen geschaffen sind, wird der SPIEGEL zur alten Form zurückkehren. Und er wird nicht allein bleiben.

Stefan Aust

DER SPIEGEL Nr. 33 vom 9. August 2004, S. 3
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Anmerkungen:

Falsch: „Sie lässt sich nicht auf dem Verordnungswege vergewaltigen.“
Richtig: Es gibt kein Rechtschreibgesetz. Deshalb kann es auch keine Rechtsverordnung geben. Es gibt nur Kultusministererlasse für die Schulen. Daher gibt es keine Allgemeinverbindlichkeit, so daß die Sprachspaltung auch nach dem 1. August 2005 fortdauert, wenn die Politiker weiterhin die Meinung des Volkes mißachten. Das Volk jedenfalls verachtet die Politiker, weil sie sich von den Kultusministern an der Nase herumführen lassen oder mit ihnen gemeinsame Sache machen.


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Manfred Riebe



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Beitrag: Montag, 11. Okt. 2004 23:38    Titel: Geld regiert die Welt Antworten mit Zitat

Geld regiert die Welt
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Hausmitteilung

....................................................................................................................................................................................
11. Oktober 2004 ........................................................................Betr.: Rechtschreibung, Titel, Wissenschaft

Ob jemand ein „viel versprechender“ oder ein „vielversprechender“ Politiker ist, ob einer sich in den „wohl verdienten“ oder den „wohlverdienten“ Ruhestand begibt, ob einer an einer „meist befahrenen“ Straße wohnt oder an der „meistbefahrenen“ der Stadt - das ist keineswegs einerlei. Weil sich der SPIEGEL der staatlich dekretierten Einebnung sprachlicher Unterscheidungsmöglichkeiten und anderen Verschlimmbesserungen, etikettiert als „Rechtschreibreform“, nicht beugen will, hat Chefredakteur Stefan Augst, 58, im August eine Rückkehr zur alten Form angekündigt. Nach Protesten auch der Schriftsteller-Prominenz haben sich die Ministerpräsidenten am Freitag voriger Woche von dem Beschluss distanziert, dem die Ankündigung des SPIEGEL (wie auch der Blätter des Springer-Verlags und der „Süddeutschen Zeitung“) gegolten hatte: Anlass war die Entscheidung der Kultusministerkonferenz, die missratene Reform zum 1. August 2005 unverändert verbindlich werden zu lassen. Nun soll nach dem Willen der Länderchefs ein „Rat für deutsche Rechtschreibung“, plural besetzt mit Reformgegnern und -befürwortern, Änderungen in den Bereichen Fremdwörter, Interpunktion sowie Getrennt- und Zusammenschreibung - siehe oben - erörtern. Von der Besetzung des Gremiums sowie vom Ablauf und vom Ergebnis der Beratungen wird der SPIEGEL sein weiteres Vorgehen abhängig machen. (Seite 32).

DER SPIEGEL Nr. 42 vom 11. Oktober 2004, S. 5
______________________________________

Kommentar:

Der SPIEGEL wird somit erneut wortbrüchig und läßt Mathias Döpfner vom Springer-Konzern im Stich. Mathias Döpfner hätte das Abkommen schriftlich schließen und für die Nichteinhaltung eine Konventionalstrafe vereinbaren sollen.

Des Rätsels Lösung:

1. Gruner+Jahr hält 25 % Anteile am SPIEGEL.

2. Gruner+Jahr wiederum gehört Bertelsmann.
www.bertelsmann.de/divisions/gruner_jahr/profile/profile.cfm

3. Auch der „Stern“ durfte nicht kippen; denn er gehört der GRUNER + JAHR AG & Co KG, siehe www.guj.de/

Die Eigentümer bzw. Kapitalgeber sind mächtiger als der Chefredakteur und haben ihn zurückgepfiffen. Kultur ist für Aktionäre und Gesellschafter wohl nur etwas wert, wenn sie sich bezahlt macht. Chefredakteure sind Angestellte, die sich machtpolitisch im Rahmen des Tendenzschutzes der Verleger entsprechend deren Richtlinien verhalten. Wenn die Chefredakteure sich demokratisch verhalten hätten, hätten sie vor der Einführung der neuen Beliebigkeitsschreibung ihre Leser fragen müssen. Aber für ihre Selbstfesselung und die Bevormundung der Leser genügte ihnen die Verlagsdirektive. Wie sollen sie dann plötzlich in der Lage sein, ihre Fesseln ohne Verlagsdirektive abzuschütteln? Immerhin ist Miteigentümer des SPIEGEL Gruner+Jahr und somit Bertelsmann. ...

Bei gutem Willen ginge alles. Wenn man ein Sturmgeschütz der Demokratie sein will, dann bräuchte man ja nur die Leser zu fragen, um eine Legitimation für die Rückkehr zu erhalten. Vor und nach der Rückkehr der finanziell unabhängigen FAZ am 1. August 2000 gab es viele Internet-Umfragen mit dem Ergebnis: Die Leser wollen mehrheitlich zur herkömmlichen Orthographie zurück, siehe: www.vrs-ev.de/demoskop.php -. Aber schon damals zogen die Medien daraus keine Konsequenzen. ...
Es gibt aber bereits über 300 reformfreie finanziell unabhängige Zeitungen und Zeitschriften: www.gutes-deutsch.de -, und die Front gegen die Schlechtschreibreform wächst weiter, siehe:
www.vrs-ev.de/forum/viewtopic.php?t=257#1090

„Es ist nie zu spät, Natur-, Kultur- und Sprachzerstörung, Entdemokratisierung, Korruption und Steuerverschwendung zu stoppen!“ (VRS)


Zuletzt bearbeitet von Manfred Riebe am Donnerstag, 14. Okt. 2004 17:02, insgesamt 8mal bearbeitet
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Manfred Riebe



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Beitrag: Montag, 11. Okt. 2004 23:56    Titel: Der Rückzieher des „Spiegel“ Antworten mit Zitat

Der Rückzieher des „Spiegel“
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Die Rückzieher der Rechtschreibrebellen

Der „Spiegel“ bleibt nun doch bei den neuen Regeln

Ralf Mielke

Es war eine Allianz der Großen, der ganz Großen. Im August schlossen sich der Springer-Verlag, Deutschlands größtes Zeitungshaus, die Süddeutsche Zeitung, Deutschlands größte Überregionale, und der Spiegel, Deutschlands größtes Nachrichtenmagazin, zusammen, um gegen die neue Rechtschreibung ins Feld zu ziehen. Sie wollten dem angeblichen Chaos ein Ende bereiten, bevor es im kommenden Jahr Recht und Gesetz wird. So schnell wie möglich wollten sie zur alten Rechtschreibung zurück.

Das Medienecho war enorm, der Coup gelungen. Plötzlich diskutierte die Republik wieder über Sinn und Unsinn der Rechtschreibreform. Die Springer-Blätter artikulierten den Widerstand. Wer nicht alles schon immer gegen die Rechtschreibreform war! In der Bild-Zeitung konnte man es lesen. Das Blatt erfand den Begriff Schlechtschreibreform, und ein Springer-Chefredakteur kämpfte bei Christiansen in der ARD für die guten, alten Duden-Regeln.

Doch die laute Kampagne verschreckte offenbar Springers Mitstreiter. Die Phalanx der Rechtschreibrebellen bröckelt. Zuerst teilte die Süddeutsche Zeitung in der vergangenen Woche mit, dass sie doch bei den neuen Regeln bleiben wolle. Die Mehrheit der Redakteure sei dafür, hieß es, wenn es hie und da noch ein paar Änderungen gebe. Das Blatt war von Beginn an ein unsicherer Kantonist und irgendwie auch nur zufällig an die Seite von Spiegel und Springer geraten. Das lässt es zumindest heute durchblicken.

Nun macht auch der Spiegel einen Rückzieher, nachdem die Ministerpräsidenten der Länder beschlossen haben, einen „Rat für deutsche Rechtschreibung“ einzusetzen. Der soll bis zum Stichtag, dem 1. April 2005, die schlimmsten Schnitzer aus dem neuen Regelwerk herausfischen. An der Reform insgesamt wird indes nicht gerüttelt. Im aktuellen Spiegel teilt die Redaktion mit, dass sie die Besetzung des Rates und die Ergebnisse seiner Beratungen erst einmal abwarten will. Die Rückkehr zur alten Rechtschreibung - verschoben, wenn nicht aufgehoben.

Bild, Welt und andere Springer-Blätter schreiben inzwischen wieder nach den alten Regeln. Ob sie durchhalten? Immerhin stehen sie nicht ganz allein da. Die FAZ hat die alte Rechtschreibung ebenfalls wieder eingeführt. Vor vier Jahren schon und ganz ohne Kampagne.

Berliner Zeitung vom Dienstag, 12. Oktober 2004
www.berlinonline.de/berliner-zeitung/politik/385388.html
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Anmerkungen:
Wer sich so verhält wie der SPIEGEL, muß sich natürlich auch Spott gefallen lassen.
Stichtag ist nicht der 1. April 2005, sondern der 1. August 2005.
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Beitrag: Donnerstag, 14. Okt. 2004 21:23    Titel: Geschichte eines zweifachen Wortbruches Antworten mit Zitat

Schröders Anruf wirkt
Der SPIEGEL und die Rechtschreibreform
Geschichte eines zweifachen Wortbruches

Für den SPIEGEL ist klar: Er wird die Reform ignorieren, es bleibt beim gewohnten Deutsch.
(Der Spiegel, 14. 10. 1996, Hausmitteilung)

Die neue Rechtschreibung wird es bei dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ und den Blättern des Hamburger Verlages Gruner + Jahr ab 1. August geben.
(Agenturmeldung, 7. 4. 1999)


Sehr geehrter Herr ...,
DER SPIEGEL wird die Rechtschreibreform zum 1. August 1999 mit einigen spiegeleigenen Ausnahmen umsetzen.

Die Redaktion hat diese Entscheidung getroffen, nachdem sie sich mit mehreren großen Zeitschriftenverlagen in einem Arbeitskreis beraten hat. Die Beteiligten sind bei diesen Gesprächen zu der Überzeugung gelangt, daß es nicht sinnvoll wäre, sich gegen die in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen schon umgesetzte Reform zu stellen.

Mit freundlichen Grüßen

SPIEGEL-Verlag
Leser-Service

Michael Grabowski

(Standardbrief im Sommer 1999)

Sprecher Heinz P. Lohfeldt erklärt den Meinungsumschwung mit Änderungen, die die Kultusminister seit damals noch am Regelwerk vorgenommen hätten.
(Verlagsmitteilung im Sommer 1999)

In Wirklichkeit hat es keine solchen Änderungen gegeben. Das Buch „Rechtschreibreform und Nationalsozialismus“ von Birken-Bertsch/Markner konnte im SPIEGEL nicht besprochen werden, weil das Thema nicht in die opportunistische Strategie paßte. Die Besprechung wurde mit vier Jahren Verspätung im Sommer 2004 nachgeholt, als das SPIEGEL-Feuilleton für einen Augenblick etwas mehr Luft zum Atmen hatte.

Dazu Stefan Niggemeier in der SZ vom 16.7.99:

„In zwei Wochen darf Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust ein Kunststück vollbringen, das sein Magazin sonst bei Politikern beobachtet: eine komplette Kehrtwende wie einen hauchzarten Kursschwenk aussehen zu lassen. In der „Hausmitteilung“ der ersten August-Ausgabe wird er den Lesern mitteilen, daß der Spiegel den Regeln der neuen Rechtschreibung folgt. Vor nicht ganz drei Jahren hatte er an gleicher Stelle noch von der „zivilen Sabotage“ gegen die Reform berichtet, zu der der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger aufgerufen hatte, und die Sorge geäußert, „daß sich das entbehrliche Regelwerk im Laufe der Zeit weiträumig ausbreitet“. Ein Bollwerk wollte das Magazin sein: „Für den Spiegel ist klar: Er wird die Reform ignorieren, es bleibt beim gewohnten Deutsch.“ Von wegen. Auch im Spiegel wird aus daß dass, gleichzeitig mit dem größten Teil der deutschen Presse. Sprecher Heinz P. Lohfeldt erklärt den Meinungsumschwung mit Änderungen, die die Kultusminister seit damals noch am Regelwerk vorgenommen hätten: Es gebe zusätzliche Wahlmöglichkeiten, die bewährte Schreibweisen erhalten. Tatsächlich bleibt dem Spiegel gar nichts anderes übrig, als Enzensberger im Stich zu lassen. Als einziger Widerständler hätte er nicht wie ein Bollwerk gewirkt, sondern wie ein Sprachfossil. In einer gemeinsamen Aktion, sagt ein Kenner, hätten die Zeitungen die neue Rechtschreibung verhindern können. Doch die Gegner haben diese Möglichkeit komplett verschlafen. Erst im Juni setzte noch einmal ein Wehklagen ein - viel zu spät.“

Nach der Rückkehr der FAZ im Sommer 2000 wurde gemeldet:

Die Nachrichtenmagazine „Der Spiegel“ und „Focus“ wollen zunächst bei den neuen Regeln bleiben. Eine Sprecherin von „Focus“ erklärte: „Wir bleiben bei der Rechtschreibreform. Alles andere wäre vorschnell.“ „Wir warten die Entwicklung ab“, sagte „Spiegel“-Sprecher Heinz Lohfeldt. (...) Die Süddeutsche Zeitung bleibt ebenfalls bei der neuen Rechtschreibung.


Mitten in die neu aufgeflammte Diskussion des Jahres 2004 platzte die Meldung:

Die Axel Springer AG und der SPIEGEL-Verlag kehren in ihren Print- und Online-Publikationen zur klassischen deutschen Rechtschreibung zurück. Gleichzeitig richten die Verlage einen Appell an andere Medienunternehmen sowie an die Nachrichtenagenturen, sich diesem Schritt anzuschließen.
(Pressemitteilung vom 6.8.2004)

In einer Hausmitteilung vom 11.10.2004 gab der Chefredakteur bekannt, daß der SPIEGEL nun doch nicht zur klassischen Orthographie zurückkehren wolle. Am nächsten Tag meldete die „Netzeitung“:

„Spiegel“ kehrt nicht zu alter Rechtschreibung zurück

Die Springer-Blätter stehen mit der Rückkehr zur alten Rechtschreibung vorerst alleine da. Eine Sprecherin des “Spiegel“ bestätigte der Netzeitung, dass man nun zunächst doch bei der neuen Rechtschreibung bleibt.

Der Spiegel-Verlag kehrt vorerst nicht zur alten Rechtschreibung zurück. Was im August groß angekündigt wurde, relativierte der Verlag nun in einer Hausmitteilung. Im aktuellen „Spiegel“ heißt es, „von der Besetzung des Gremiums [des neuen Rats für deutsche Rechtschreibung] sowie vom Ablauf und vom Ergebnis der Beratungen wird der Spiegel sein weiteres Vorgehen
abhängig machen“.

Einen Grund für die Entscheidung nannte der Verlag nicht. Die Sprecherin sagte, jetzt, wo die Länder noch einmal die Regeln überdenken wollten, werde man weiter abwarten - und damit „der neuen Entwicklung“ Rechnung tragen.


Aber es gibt keine „neue Entwicklung“. Die Ankündigung der Ministerpräsidenten und Kultusminister ist offensichtlich nur eine Finte der gewohnten Art. Die Besetzung des „Rates“ steht fest, sein Auftrag ebenfalls. Außerdem sind die zu beschließenden Änderungen bereits im Juni dieses Jahres beschlossen worden und können seither im neuesten Duden nachgelesen werden. Nur die Ministerpräsidenten haben davon anscheinend keine Kenntnis.

12.10.2004 Theodor Ickler
www.rechtschreibreform.com/Perlen/KraftBank/KraftBank.pl?TueOct1217:14:42CEST2004
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Beitrag: Mittwoch, 27. Okt. 2004 21:44    Titel: Leserbriefe Antworten mit Zitat

Am Anfang war das Wort

Zu Nr. 33/2004, Hausmitteilung: Rechtschreibung

Ich finde es richtig und konnte es kaum fassen, dass Sie zur bewährten Rechtschreibung zurückkehren. Ich habe soeben ein Halbjahres-Abo des SPIEGEL bestellt. Meine Hochachtung zu Ihrer Entscheidung!
OBERHAUSEN (NRDRH.-WESTF.) ALFRED BOMANNS

Ich begrüße Ihre Entscheidung voll und ganz. Weder bei meiner Tätigkeit als Übersetzerin von Sachbüchern und Romanen noch als Mutter von drei schulpflichtigen Kindern konnte ich bisher irgendwelche Vorteile der Rechtschreibreform entdecken. Und Kuriositäten wie Dreifachbuchstaben stellen für den Leser eine Zumutung dar. Überdies ist dank der vielen Kann-Regelungen und Ungereimtheiten der Reform tatsächlich ein Chaos ausgebrochen.
DIETERSKIRCHEN (BAYERN) SONJA SCHUHMACHER

Ihre Entscheidung erscheint mir sowohl in der Sache als auch in der Art und Weise irgendwo zwischen unnötig und peinlich zu liegen. Die Vorgehensweise des SPIEGEL soll mutig und forsch wirken. Aber welches Verständnis von demokratischen Entscheidungen wird auf diese Weise vermittelt? Die Notwendigkeit zum Ungehorsam verbindet sich für mich eher mit anderen - kürzlich anlässlich des 60. Jahrestages gewürdigten - Vorkommnissen als ausgerechnet einer Rechtschreibreform. Und falls SPIEGEL und „Bild“-Zeitung Hand in Hand tatsächlich so mächtig sind, wie sie selbst offensichtlich glauben, wird das ganze Hin und Her schlussendlich wie so oft auf dem Rücken der Kinder und Jugendlichen ausgetragen. Aber das zählt ja kaum als Argument.
CUXHAVEN THOMAS HOPPE

Nach der Ruck-Rede jetzt der Zuck-Beschluss von SPIEGEL und „Bild“. Vergessen wir Pisa. Sollen doch chinesische, koreanische und finnische Schülerinnen und Schüler Mathematik, Naturwissenschaften, Informatik und Fremdsprachen lernen. Millionen von Schülerinnen und Schülern in Deutschland werden sich über den Rechtschreib-Dreisprung Alt-Neu-Alt freuen. Deutschland bewegt sich doch! Ruck-Zuck-Hurra.
ESSLINGEN AM NECKAR DR. PETER MENDLER

Ich danke Ihnen für Ihren hervorragenden Entschluss, der lächerlichen Verwirrschreibung den Rücken zu kehren. Dieser Mut ist die bestmögliche Werbung für Ihren Verlag und Ihre Produkte.
BAD SODEN (HESSEN) JOACHIM HENDEL

Mit der Rückumstellung auf die alte Rechtschreibung zählt der SPIEGEL in meinen Augen zu den leider viel zu zahlreichen Blockierern in diesem Lande. Aus Protest werde ich versuchen, wie es sich so ohne SPIEGEL lebt.
HAMBURG PROF. KLAUS KRÜGER

Jetzt weiß ich einmal mehr, warum ich SPIEGEL-Leser bin!
HEIDELBERG VIKTOR SAMMAIN

Was bei der ganzen Diskussion immer zu kurz kommt, aber tatsächlich essenziell ist: Die deutsche Sprachkultur wurde durch die „Reform“ nicht einfacher, sondern vielfach ihrer differenzierten, reichhaltigen und eindeutig verständlichen Ausdrucksmöglichkeiten beraubt. Besonders fällt die Mehrdeutigkeit auf, die durch die „reformierten“ Schreibweisen in sehr vielen Fällen entsteht. Es ist, als gäbe es statt acht Farben nur noch zwei - taucht eine Sprachreduktion nicht auch in Orwells „1984“ auf („Neusprech“)?
MÜNCHEN MAX HÖRBERG

Das Scheitern der Rechtschreibreform ist wohlverdient. Wohl verdient? Nein: wohlverdient!
HAMBURG DR. THOMAS TASCHE

Als Mutter zweier Kinder Gymnasium/ Grundschule) habe ich bisher noch nie – in den ganzen schulischen Gremien - gehört, dass die Schreibreform den Kindern große Probleme bereitet. Eher sind es die Älteren, die Schwierigkeiten haben, sich neuen Regeln zu merken. Ich finde es sehr schade, dass Sie sich entschieden haben, die alte Rechtschreibung wieder einzuführen. Nun bricht ein echtes Chaos aus. In den Schulen bröckeln die Wände oder fehlen Lehrer, und nun müssen wir ein neues Fass aufmachen? Nein, danke! Die Literaten, Schriftsteller und Verleger, die sic nun wieder gegen die Rechtschreibreform stellen: Wie alt sind sie alle? Es ist klar dass ein 50-Jähriger sich nicht groß umstellen will. Soll er auch nicht von mir. Er soll aber nicht für mich sprechen.
BIELEFELD CHRISTINA DENNINGHOFF

Ich bin ein 17 jähriger Schüler des Gymnasiums Rahden und will meine aufrichtige Bewunderung für Ihre Courage, dem Beispiel der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zu folgen, aussprechen. Man könnte meinen, ich und meine Altersgruppe wären jene, die von der vermeintlichen Reform profitieren. Ich kann versichern, dass trotz jahrelanger Übungen in den Schulen der Eindruck von großen Vereinfachungen leider dem Eindruck von steigender Konfusion weichen musste. Es kannte helfen zu wissen, dass man für diese neue Rechtschreibung nicht zu blöd war, sondern dass auch den Deutschlehrern nicht alles logisch erschien.
RAHDEN (NRDRH.-WESTF.) MATTHIAS LIPPOLD

Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Entscheidung! Es war höchste Zeit, dass Medien, deren Metier der vernünftige Gebrauch unserer Sprache ist, die Initiative ergriffen haben, diesen Unsinn einer so genannten Rechtschreibreform zu kippen. Eine meiner Erfahrungen: Die Bewerberlage zur Ausbildung von Verwaltungsfachangestellten war nie so schlecht wie heute. In Rastatt haben wir in diesem Jahr 19 junge Menschen, allesamt mit Deutschnote „gut“, zum Test ihrer Leistungsfähigkeit eingeladen. In einem Probediktat mit mittlerem Schweregrad für den Abschluss an Realschulen zum Thema Gerechtigkeit sind zwischen 13 und 35 Fehlern „geleistet“ worden. Ungenügend für diese Berufswahl - ein Ergebnis des Rechtschreibedurcheinanders. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind angehalten, bis auf weiteres die“ alte“ Rechtschreibung zu verwenden. RASTATT (BAD.-WÜRTT.) KLAUS-ECKHARD WALKER (SPD), OB DER STADT RASTATT

Ich habe bislang nach keinen Satz gelesen, der in der alten und neuen Schreibweise unterschiedliche Bedeutungen gehabt hätte. Daher sollte es möglich sein, die alte und neue Schreibweise parallel existieren zu lassen. Ein für alle verbindlicher Rückgang zur alten Rechtschreibung ist genauso trostlos, wie es die Einführung der neuen Rechtschreibung am grünen Tisch war.
OLDENBURG DR. WILMAR FUHSE

Sprache und Schrift zählen zu den wichtigsten Kulturgütern des Menschen. Aus diesem Grund werden Debatten um Veränderungen in diesem kulturellen Minenfeld zumeist emotional und intuitiv geführt. Die neue deutsche Rechtschreibung ist gewiss nicht der große Wurf, aber sie ist - machen wir uns doch nichts vor - allemal besser als die alte. Die Ablehnung der Rechtschreibreform ist vor allem ein heiliger Krieg der alten Männer gegen das Neue, und ich bin bitter enttäuscht, dass sich der SPIEGEL an diesem Kreuzzug nun beteiligt.
ILMENAU (THÜR.) THOMAS HANITZSCH

Eine Volksabstimmung über die missratene Rechtschreibreform ist nicht nötig, denn schon im September 1998 haben sich die Schleswig-Holsteiner in einem Volksentscheid mit 56,4 Prozent der Stimmen gegen die neue Rechtschreibung entschieden. Es wäre deshalb auch konsequent, wenn Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) in der Oktobersitzung der Ministerpräsidenten für die Rückkehr zur bewährten Rechtschreibung stimmen würde.
KIEL KARL-ERNST JIPP

Die Sprache gehört nicht der Kultusbürokratie, schreibt Aust. Richtig! Dem SPIEGEL aber auch nicht. Die populistische Gleichschaltung mit dem 4-Millionen-Intelligenzblatt aus dem Hause Springer wird lernunwilligen Redakteuren das Leben erleichtern, die Logik wie „Platz und platzieren“ einfach nicht begreifen wollen - können?
BONN HANS-JÜRGEN HÖFER

Die Rechtschreibreform ist ein Aufstand der Dummen gegen diejenigen, die die Regeln beherrschen. Gerade von solchen neidgetriebenen Pseudoreformen müssen wir aber Abschied nehmen. Sie sind nämlich nichts anderes als eine Orientierung am Mittelmaß. Motto: Wir machen alles so unklar, dass keiner mehr einen Fehler machen kann. Eine Gesellschaft, die wieder offensiv nach Spitzenleistung und Eliten strebt, braucht aber eine funktionsfähige Sprache. Am Anfang war das Wort und nicht die Beliebigkeit.
WIEN DR. MICHAEL PAUL

Das darf doch wohl nicht wahr sein. Seit Jahren den Finger in die Wunde legend, wechselt Ihr die Seiten und wollt verhindern, was diesem Lande fehlt, nämlich Reformen. Alle Schüler, die mit der neuen Rechtschreibung bestens zurechtkommen, sollen wieder umlernen? Sicher ist die Rechtschreibreform nicht perfekt gelungen, aber ein Fortschritt ist sie allemal. Die Entscheidung des SPIEGEL, ein bereits begonnenes Reformwerk zurückschrauben zu wollen, ist an Arroganz kaum zu übertreffen. Seit 25 Jahren kaufe ich jeden Montag den SPIEGEL. Kann sein, dass ich ab jetzt darauf verzichte.
KELKHEIM (HESSEN) DIRK NEUMEYER

Die Rechtschreibreform ist eine der größten Dummheiten, die von der Intelligenz je gemacht wurden. Ihre Entscheidung zur Rückkehr zur bewährten Form beweist Überlegenheit. Auch ohne ein Abonnent zu sein, freut mich Ihr mutiger Entschluss zum „Rückschritt“! Dazu gratuliere ich und wünsche Ihnen noch viele tapfere Nachfolger.
REMSCHEID KARL-ERNST HÖHFELD

Ich bitte alle Reformkritiker im Lande zum Diktat: nach den so geliebten alten Regeln! Wir wollen doch einmal prüfen, wie gut - genauer: wie schlecht - die Aufgeregten diese beherrschen. Danach reden wir weiter.
SAARBRÜCKEN PROF. LUTZ GÖTZE
UNIVERSITÄT DES SAARLANDES

Wir bedanken uns für Ihren Mut und die Bereitschaft, zur bewährten Rechtschreibung zurückzukehren. Bitte lassen Sie sich nicht beirren auf diesem weg, im Namen der nachwachsenden Generation. Unsere Kinder haben ein Recht sowohl auf eine funktionierende und saubere Umwelt als auch auf eine intakte Sprache. Wir sollten ihnen beides hinterlassen.
DÜREN (NRDRH.-WESTF.) KARIN PFEIFFER-STOLZ

Fotos:
- Grundschüler bei Rechtschreibübungen: Ein Recht auf intakte Sprache
- Kundin im Buchladen: Kulturgut Sprache
- Studenten der Hamburger Universität: Gestiegene Konfusion
- KMK-Präsidentin Ahnen: Wem gehört die Sprache?

E-Mail: leserbriefe@spiegel.de
DER SPIEGEL Nr. 34 vom 16. August 2004, S. 12 / 14
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