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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Mittwoch, 17. Dez. 2003 10:39 Titel: Neue Zürcher Zeitung |
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„Monatshefte“ zum Rechtschreibeirrtum
Von C. Wehrli
Das „Fehlkonzept Rechtschreibereform“ stellen die „Schweizer Monatshefte“ ins Zentrum ihrer Novemberausgabe.
In einem guten Dutzend Beiträgen äussern sich vor allem Germanisten und Altphilologen, Schriftsteller und andere Praktiker kritisch zur neuen Orthographie und zur Art ihres Zustandekommens - Befürworter erhalten in dem von Stefan Stirnemann mitgestalteten „Dossier“ nur marginal Raum.
Inhaltlich bieten die neuen Regeln Angriffsflächen unter anderem in Form diverser Widersprüche, der Aufhebung von Differenzierungsmöglichkeiten und erschwerter Lesbarkeit, speziell wegen der Opferung von Kommaregeln.
Dass die Reform ihre eigenen Ziele namentlich in der Schule erreicht habe, wird bezweifelt. Zur Debatte steht aber auch das Vorgehen der politischen Behörden und der beauftragten Kommission, ja die Kompetenz des Staats in dieser Sache überhaupt. Adolf Muschg etwa zieht der „begradigten Sprache“, die einem kulturellen Gedächtnisverlust gleichkomme, die Regulierung durch Selbstorganisation vor. Der Präsident der Erziehungsdirektorenkonferenz, Hans Ulrich Stöckling, hält hingegen eine Regelung mit Blick auf die Schule für notwendig, und den Reformern wird gerade auch der häufigere Verzicht auf eine Normierung vorgeworfen.
Was wäre zu tun? Der Widerstand durch Ignorieren blieb begrenzt, eine Korrektur der Reform vor Ablauf der Übergangszeit Ende 2005 wird als wenig wahrscheinlich eingestuft. Theodor Ickler schlägt vor, die Gültigkeit der alten Rechtschreibung beizubehalten, das „Dudenprivileg“ aufzuheben und es dem Wettbewerb zu überlassen, welches Nachschlagewerk das Übliche am besten darstellt. Ob dies der Ausweg wäre, scheint zumindest unsicher.
Umso mehr ist den Kritikern vorzuhalten, dass sie sich erst spät bemerkbar gemacht haben. - Das Heft enthält im Weiteren einen längeren Vorabdruck aus Martin Walsers neuem Buch „Der Augenblick der Liebe“, Aufsätze von Lucia Camarena über die sprachliche Identität von Schriftstellern im Exil und von Marco Baschera über die Philosophie Jean-Luc Marions, Kommentare und Rezensionen.
Schweizer Monatshefte, Heft 11, November 2003, Vogelsangstrasse 52, 8006 Zürich. Tel.: 01 361 26 06. www.schweizermonatshefte.ch 56,- öS., Fr.11.-, EUR 7.50.
Neue Zürcher Zeitung Nr. 278 vom 29. November 2003, S. 87
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Mittwoch, 18. Feb. 2004 11:31 Titel: Auflösung der Rechtschreibkommission nötig |
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<b>Auflösung der Rechtschreibkommission nötig
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Böcke zu Gärtnern
Neues von der Rechtschreibreform</b>
Die Böcke wollen Gärtner werden: So muss man wohl die jetzt bekannt gewordenen Ambitionen der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung kommentieren. Wenn am 31. Juli 2005 die Übergangsfrist endet, welche der Umstellung von alter auf reformierte Orthographie eingeräumt worden war, dann soll nicht nur das missratene und bereits stillschweigend modifizierte Reformwerk in Schulen und Amtsstuben endgültig verbindlich sein. Obendrein wünscht sich die Kommission grössere Machtfülle. Bis anhin besass sie für Korrekturen am Regelwerk nur ein Vorschlagsrecht, nun aber soll ihr die Politik die Kompetenz für Regeländerungen übertragen. Eine entsprechende Forderung ist der von den Kultusministern eingesetzten Amtschefkommission »Rechtschreibung« zugegangen. Die Amtschefs, die morgen tagen, haben bereits Zustimmung signalisiert. Ihrer Empfehlung wird die deutsche Kultusministerkonferenz im März umso lieber folgen, als die Politiker heilfroh sind, die Verantwortung für die Reform, die ihnen nur Ansehensverlust beschert, loszuwerden.
Dass die Politik die Finger von orthographischen Problemen lässt, ist zweifellos zu begrüssen. Ob es überhaupt eine zentrale Instanz braucht, die mit jener Autorität ausgerüstet ist, wie sie früher die Redaktion des Dudens besass - und in der Schweiz ja noch immer besitzt -, ist strittig. Man kann der Ansicht sein, dass die Rechtschreibung um der Schüler und der Lehrer willen nicht einfach der Entscheidung konkurrierender Wörterbücher überlassen sein dürfe. Dass es einen für alle sprachlichen Zweifelsfälle massgeblichen Schiedsrichter geben müsse. Mag sein, dass sich nach dem Ende des Duden-Privilegs für diese Rolle eine unabhängige Kommission geradezu anbietet. Aber eines ist sicher: Die amtierende Reformkommission taugt dazu nicht. Sie ist hoffnungslos fehlbesetzt. Ihre zwölf Mitglieder - sechs aus Deutschland und jeweils drei aus Österreich und der Schweiz - sind sämtlich Sprachwissenschafter und Didaktiker. Nach dem Austritt von Peter Eisenberg findet sich nicht einmal mehr ein Grammatiker in ihren Reihen.
Die Abwesenheit von Vertretern der schreibenden Zunft und der Mangel an grammatischer Kompetenz schlägt sich sowohl im 1996 beschlossenen Reformwerk wie auch in den Berichten nieder, welche die Kommission in der Übergangsphase vorzulegen gehalten ist. Diese Berichte über den Gang der Reform und die verstohlene Tilgung ihrer Ungereimtheiten gelangen stets nur durch Indiskretion in die Öffentlichkeit; sie sind geheim, und das mit gutem Grund. Auch der jetzt kursierende vierte Bericht strotzt wieder vor Kuriositäten. Er ist der letzte vor dem Ende der Übergangszeit und darum für die künftig verbindliche Fassung der Reform massgeblich.
Geht es nach diesem Bericht, so soll es dabei bleiben, dass wir »gräulich« schreiben, obwohl wir »greulich« meinen. Die sogenannten volksetymologischen Schreibungen wie »einbläuen« oder »schnäuzen« werden weder zurückgenommen noch durch die früher üblichen ergänzt. Bei der Zeichensetzung und der Silbentrennung sehen die Reformer ebenfalls keinen Änderungsbedarf. Dafür ist bei festen Begriffen wie »Schwarzes Brett« und »Erste Hilfe« wieder die Grossschreibung erlaubt. Auf dem heiss umkämpften Feld der Getrennt- und Zusammenschreibung macht die Kommission etliche Rückzieher: Zum Beispiel dürfen zuvor getrennte Formen wie »zufriedenstellend, kleingedruckt, alleinstehend« jetzt wieder wie einst zusammengeschrieben werden.
Neben solcher Einsicht beweisen die Reformer aber auch hartnäckiges Unvermögen. Ihre stille Maxime, entweder gross und getrennt oder klein und zusammen zu schreiben, wirkt fort. Erlaubt ist so beispielsweise neben der Neuschöpfung »Leid tun« auch die Schreibung »leidtun« - nicht aber die grammatisch richtige: leid tun. Auch das schiefe »Pleite gehen« bleibt in Kraft. »Durch die Änderungen werden bisherige Schreibweisen nicht falsch«, verkündet der Reformbericht. Lakonisch kommentiert der Reformkritiker Theodor Ickler: »Wohl aber werden falsche richtig.« Reine Augenwischerei ist es, wenn die Kommission ihre zum Teil gravierenden Änderungen als schlichte »Präzisierungen« verkaufen möchte. Die Auflösung oder zumindest Neubesetzung dieses Gremiums tut not. Es hingegen durch Machtzuwachs zu adeln, wäre ein Witz.
Joachim Güntner
Neue Zürcher Zeitung vom 4. Februar 2004
http://www.nzz.ch/2004/02/04/fe/page-article9DVBQ.html |
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