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Manfred Riebe



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Beitrag: Montag, 10. Nov. 2003 21:10    Titel: Frankfurter Allgemeine Zeitung Antworten mit Zitat

Fünf Jahre Rechtschreibreform - besonnen korrigieren

FREMDE FEDERN: Hans Zehetmair


Etwas sehr Erfreuliches und aus meiner Sicht auch ziemlich Unverhofftes hat die Rechtschreibreform ganz sicher mit sich gebracht: die intensive, ja bisweilen leidenschaftlich geführte Auseinandersetzung mit der deutschen Sprache und ihrer Orthographie. Wer hätte das den Deutschen zugetraut? Hatte man doch den Eindruck, unsere Sprache sei eher ein unliebsames Kind. Insofern erinnern die Rechtschreibreform und die Diskussion über sie gerade auch in der Öffentlichkeit ein wenig an die Rolle Harry Potters für die Jugendliteratur: Es mag Besseres geben, aber die Kinder lesen wieder. Für die Rechtschreibreform: Es mag Verbesserungswürdiges geben, aber die Leute setzen sich wieder mit ihrer Sprache auseinander. Sprache ist wieder zum Thema geworden. Warum ist dies so erfreulich?

Aus einer Vielzahl von möglichen Kommunikationsformen steht dem modernen Menschen einzig die Sprache als einigermaßen brauchbares Instrument zur Verfügung. Die Erfahrung, daß sie - gerade im gefühlsmäßigen Bereich - noch zu perfektionieren ist, haben wir alle gemacht. Für den intellektuellen Bereich hat die Wissenschaft seit langem den engen Zusammenhang zwischen Denken und Sprache erforscht und erwiesen. Übrigens ein wahrlich spannendes Forschungsfeld, jedenfalls spannender als die Frage, ob ich Ketchup oder Ketschup zu schreiben habe. Die Kommunikation durch Sprache erlaubt es dem Menschen, seine eigene Lebens- und Erfahrungswelt zu verlassen und sich so neue Horizonte zu erschließen. Im Vergleich zu früheren Gesellschaften hat dabei die Bedeutung des Mündlichen abgenommen, seit langem herrscht das schriftliche Wort in Form der Literatur oder von Gebrauchstexten vor. Verkürzt gesagt, entscheidet also die Beherrschung der Sprache und ihrer Nuancen über die Qualität der Kommunikation mit dem anderen, sei es im privaten Leben des einzelnen oder auf der Ebene der Nationen. Insofern ist jede Auseinandersetzung mit den Grundlagen der Sprache auch ein Schritt hin zu besserer Verständigung.

Als ich - neu im Amt des bayerischen Kultusministers - mit den Vorschlägen für eine Reformierung der deutschen Rechtschreibung konfrontiert wurde, die eine Gruppe von Fachleuten im voraus ausgearbeitet hatte, war ich ob der Radikalität einiger Teile der Vorlage doch etwas schockiert. In der Folge wurde Schlimmeres verhindert: Ich habe diese Reform erst einmal gebremst, was einigen Ärger machte, bis hin zur Drohung eines Verlages mit einer Schadenersatzforderung. Übrig blieb ein relativ moderates Reformwerk mit einsichtigen Verbesserungen - ich denke da beispielsweise an die ss-ß-Schreibung - und einigen Veränderungen, die sich nicht durchgesetzt haben. Kein Zweifel: Es spricht nichts dagegen, einzelne Neuerungen, die sich nicht bewährt haben, besonnen und nüchtern zu korrigieren, etwa weil sie, wie beispielsweise die „Gämse“ oder das „Quäntchen“, sprachwissenschaftlich nicht haltbar sind. Dabei gilt: im Zweifel weniger als zuviel zu ändern. Selbstverständlich war auch die Rechtschreibreform kein Endpunkt, da Sprache ein dynamischer Prozeß ist, der kein Ende kennt. Was es allerdings nicht geben sollte, ist eine weitere Reform, die von der Politik entschieden werden muß, weil sich Sprachwissenschaftler auf keinen Kompromiß einigen können. Sprache und Rechtschreibreform eignen sich nicht für politische Entscheidungen. Von einer neuen großen Reform - einer Art „Gegenreform“ - halte ich nichts: Weite Teile der Bevölkerung haben von der neuen Rechtschreibung profitiert - naturgegebenermaßen vor allem die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die mit ihr aufgewachsen sind - oder sich mit ihr arrangiert haben. Und ganz deutlich muß gesagt werden, daß die „Verwirrung“, welche die Reformgegner immer wieder bei Alt und Jung ausmachen, unter anderem darauf zurückzuführen ist, daß auch eine renommierte Tageszeitung sich der neuen Rechtschreibung noch nicht angeschlossen hat. Was hier der Grund ist, möge jeder für sich beurteilen.

Der Verfasser ist bayerischer Staatsminister für Wissenschaft, Forschung und Kunst.

Fünf Jahre Rechtschreibreform - besonnen korrigieren. FREMDE FEDERN: Hans Zehetmair. In: FAZ, Nr. 176 vom 1. August 2003, Seite 10


Zuletzt bearbeitet von Manfred Riebe am Dienstag, 10. Aug. 2004 15:49, insgesamt 2mal bearbeitet
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Manfred Riebe



Registriert seit: 23.10.2002
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Beitrag: Montag, 10. Nov. 2003 21:43    Titel: Fauler Kompromiß und tätige Reue Antworten mit Zitat

Fauler Kompromiß und tätige Reue

Mein Leserbrief an die Herausgeber der FAZ erschien in der FAZ Nr. 180 vom 6. August 2003, S. 6, mit der Überschrift: „Fauler Kompromiß und tätige Reue“. Die Textstellen, die die FAZ nicht abdruckte, setze ich in eckige Klammern.
__________________________________________________________________

Manfred Riebe, OStR i.R. ...........................Schwaig bei Nürnberg, den 03.08.2003
Max-Reger-Str. 99
90571 Schwaig bei Nürnberg
Tel. (0911) 50 08 25, Fax: 506 74 23

Fax: (069) 75 91 - 17 43
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Leserbrief zu Hans Zehetmair: Fünf Jahre Rechtschreibreform – besonnen korrigieren. In: FAZ Nr. 176 vom 1. August 2003, S. 10

[Der ehemalige Kultusminister Hans Zehetmair müßte als einer der Hauptbetreiber der Rechtschreibreform eigentlich wissen, daß er sie den Schulen nicht vor fünf, sondern vor sieben Jahren aufzwang. In über der Hälfte seines Artikels redet er um den heißen Brei herum, bevor er zum Thema kommt. Hat die FAZ Zehetmairs Text nicht authentisch übernommen, sondern ihn in die traditionelle Rechtschreibung umgearbeitet? Dann hätte der Korrektor die neue Schreibweise „bei Alt und Jung“ übersehen, die womöglich nicht von Zehetmair stammt. Von wem stammt der Seitenhieb auf die FAZ, die Verwirrung „bei Alt und Jung“ sei auch darauf zurückzuführen, daß die FAZ zur herkömmlichen Rechtschreibung zurückgekehrt sei? Hat Zehetmair die Rubrik „Fremde Federn“ etwa wörtlich aufgefaßt und seine Feder mit seinem früheren Ghostwriter, Ministerialrat Stefan Krimm, oder der CSU geteilt?]

Zehetmair war „ob der Radikalität“ der Rechtschreibreform „schockiert“. Daher hatte Kollege Zehetmair die Reform im September 1995 gestoppt. Er ließ germanisierte Schreibweisen (z.B. Apoteke, Asfalt, Bibliotek, Ortografie, Rytmus, Tron) herausnehmen und sorgte somit für eine teilweise „Entnazifizierung“ der Reform und für faule Kompromisse wie z.B. „Orthografie“. Zehetmair ist eben kein Zaubermeister. Der bereits gedruckte Reform-Duden mußte daraufhin eingestampft werden. Nachdem er die radikalsten Eindeutschungen hatte entfernen lassen, lobt er nun die Reform als „relativ moderates Reformwerk“ und verkündet das Märchen, seitdem hätten weite Teile der Bevölkerung von der Reform profitiert, z.B. sei die ss-ß-Schreibung eine Verbesserung. Dies zeigt u.a., daß Kollege Zehetmair sich ähnlich wie ein Zauberlehrling immer noch nicht über die Fehlerträchtigkeit der neuen ss-Schreibung sachkundig gemacht hat. Aber Zehetmair meint immerhin, einzelne Neuerungen seien korrekturbedürftig, doch solle man eher weniger als zuviel ändern. Ein indirektes Schuldeingeständnis ist sein Satz: „Sprache und Rechtschreibreform eignen sich nicht für politische Entscheidungen.“ In der Sprachwissenschaft geht es aber im Gegensatz zur Politik bei Problemlösungen nicht um Kompromisse, sondern es geht kompromißlos um die Erkenntnis, ob etwas richtig oder falsch ist. Im übrigen sind Kompromisse meist faul und teuer.

Völlig anders und radikal äußerte sich Zehetmair vor einigen Monaten in einem authentischeren Interview: „Aber aus heutiger Sicht und noch deutlicherer Kenntnis der deutschen Wesensart würde ich die Sache heute ganz zum Scheitern bringen. Wir hätten die Rechtschreibreform nicht machen sollen. Ich sage: Politik, Hände weg von einer Rechtschreibreform! Sprache ist ein dynamischer Prozess, sie muss wachsen und entstehen.“(1) Welches Chaos die Rechtschreibreform anrichten würde, habe man erst in den neuen Wörterbüchern im Spätsommer 1996 gesehen. Damals habe Zehetmair erwogen, das Ganze zu kippen, aber er habe nicht recht geglaubt, daß er es „im Kreuz“ hätte, das durchzustehen. Zehetmair: „Niemals dürfe die Politik sich anmaßen, hier mit Dekreten einzugreifen. Freimütig räumte er ein, daß Reue über eine Fehlentscheidung erst überzeugend wirke, wenn sie zur ‚tätigen Reue’ wird. Und gibt zu verstehen, daß er ‚mit Rat und Tat’ zu helfen bereit sei, einen Ausweg aus der Sackgasse zu finden. Denn: ‚Es gibt keine Notwendigkeit, daß das so bleibt.’“ (2) Zur tätigen Reue gehörte auch das Rückgrat, sich öffentlich zu entschuldigen. Hat ihn nun die CSU zurückgepfiffen? Oder wird er als jemand in die Geschichte eingehen, der sein Kreuz auf sich genommen hat?

Manfred Riebe, [OStR i.R., Dipl.-Kfm.
Vorstandsmitglied und Pressesprecher des VRS
Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege e.V. - www.vrs-ev.de
90571] Schwaig bei Nürnberg

[„Es ist nie zu spät, Natur-, Kultur- und Sprachzerstörung, Entdemokratisierung, Korruption und Steuerverschwendung zu stoppen!“ (VRS)

1) Hans Zehetmair: „Wir hätten die Rechtschreibreform nicht machen sollen“. Interview von Stefan Rammer. In: Passauer Neue Presse Nr. 99 vom 30. April 2003

2) Hans Krieger: „Akzente, die meine Zeit überdauern“, Minister Hans Zehetmair blickt auf eine 17jährige Amtszeit zurück. In: Bayerische Staatszeitung Nr. 28 vom 11. Juli 2003, S. 13]
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Manfred Riebe



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Beitrag: Mittwoch, 17. Dez. 2003 11:49    Titel: Wer gibt uns eine Erklärung? Antworten mit Zitat

Wer gibt uns eine Erklärung?
Niemand versteht die mißglückte Rechtschreibreform und ihre halbherzigen Korrekturen: Sieben Fragen, die einer Antwort harren

[Von Stefan Stirnemann u. a.]

Sieben Jahre sind vergangen, seitdem die „Gemeinsame Absichtserklärung zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung“ unterzeichnet worden ist. In dieser langen Zeit ist am Regelwerk und in den Wörterbüchern unaufhörlich geändert und „verbessert“ worden, und noch immer sind viele Fragen offen. Sieben dieser Fragen haben wir gemeinsam mit den Schweizer Monatsheften ausgewählt, Zweifelsfälle, die ein Licht auf das ganze Ausmaß der Verwirrung, Willkür und Inkonsequenz dieser mißglückten Reform werfen.

Es ist Zeit, daß sich die Verantwortlichen der Öffentlichkeit erklären. Wer gibt uns eine Erklärung? Die Reformkommission? Die Dudenredaktion? Die Kultusministerkonferenz? Die Befürworter der Reform sind hiermit aufgefordert, kurze Antworten auf die von Stefan Stirnemann formulierten Fragen bis zum 20. Oktober an eine der folgenden Adressen zu schicken: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Literaturblatt, 60327 Frankfurt am Main; literatur@faz.de beziehungsweise Stefan Stirnemann, Schweizer Monatshefte, Vogelsangstrasse 52, CH-8006 Zürich; info@schweizermonatshefte.ch. Eine Auswahl der Antworten wird abgedruckt.
Unterdessen protestieren jetzt erstmals auch internationale Autoren gegen die Rechtschreibreform. Harry Mulisch, Stanislaw Lem und andere wollen, daß ihre Bücher in der alten Rechtschreibung übersetzt und gedruckt werden. Wir dokumentieren den von der Forschungsgruppe Deutsche Sprache angeregten Aufruf auf dieser Seite. F.A.Z.

I. Heißersehnt?

Das Wort heißersehnt gilt den neuen Wörterbüchern als „alte Schreibweise“, es soll gemäß Paragraph 36 E1 (1.2) des neuen Regelwerks getrennt geschrieben werden: heiß ersehnt. Nun lesen wir bei Erich Kästner: „Die Wirtschafterin kämpfte in der Küche wie ein Löwe. Doch sie brachte die heißersehnten und heiß ersehnten Bratkartoffeln trotzdem nicht zustande“ (in: „Notabene 45. Ein Tagebuch“). Dieser Satz bot bis 1996 keine Schwierigkeiten, widerspricht aber heute der amtlichen orthographischen Norm. Wir fragen: Hat Kästner wirklich falsch geschrieben, oder stimmt etwas mit der neuen Regel nicht? Falls die neue Regel falsch ist: Wie lange wartet man, bis man sie berichtigt, indem man nicht eine „alte“, sondern die gute Auffassung wieder zu Ehren zieht? Wer gibt uns eine Erklärung? Die Reformkommission? Die Dudenredaktion? Die Kultusministerkonferenz?

II. Eszett?

Die nagelneue Regelung des Eszett geht zurück auf Johann Christian August Heyse (1764 bis 1829). Sein erfolgreiches „Lehrbuch der deutschen Sprache“ wurde zuerst von seinem Sohn Karl Ludwig überarbeitet, später von Otto Lyon. Nun lesen wir im Protokoll der II. Orthographischen Konferenz von 1901, daß sich Otto Lyon „entschieden gegen die Einführung der Heyseschen Schreibweise erklärt“ habe. In der sechsundzwanzigsten Auflage der Grammatik Heyses von 1900 schreibt Lyon: „Der Schreibgebrauch hat sich in überwiegender Weise dafür entschieden, am Ende einer Silbe wie auch vor einem t, das ss in ein ß zu verwandeln.“ Die Beschlüsse der Konferenz trugen dem Rechnung. Im Jahr 1901 wurde also der Schreibgebrauch bestätigt; er ist seither natürlich noch allgemeiner geworden. Wir fragen: Warum soll ein so allgemeiner Brauch plötzlich nicht mehr gelten? Und welcher alte und allgemeine Schreibgebrauch wird als nächster aufs Korn genommen?

III. Gräulich?

Das Wort greulich wird nach dem Stammprinzip neu „gräulich“ geschrieben. Im Duden-Taschenbuch 26 steht dazu: „Man muß das Wort also in der Schreibung nicht mehr vom gleich lautenden Farbadjektiv gräulich unterscheiden.“ Nun lesen wir in der neuesten Ausgabe von Thomas Manns Idylle „Herr und Hund“ vom Flusse, der „unter anderen Umständen aber ein geradezu gefährliches Wesen annimmt, zum Strome schwillt, sein weites Bett mit gräulichem Toben erfüllt“. Der Text wurde anhand der Erstausgabe von 1919 neu durchgesehen. Die Stelle ist allerdings nicht eindeutig, denn ein kurz vor der Erstausgabe erschienener bibliophiler Druck bietet „greuliches Toben“, und das Manuskript ist seit dem 6. August 1921 verschollen. Wie immer es sich verhält: Nach den neuen Regeln ist es nicht einmal mehr möglich, die Wahl auszudrücken, die hier getroffen werden muß. Wir fragen: Warum verbietet man eine Unterscheidung, für die der Leser nur danken kann, wenn gleichzeitig im amtlichen Wörterverzeichnis gewissenhaftest „anstrengen“ von „ansträngen“ unterschieden wird?

IV. Wer informiert uns korrekt?

Der Paragraph 63 der neuen Regeln schreibt vor, die Fügung „Erste Hilfe“ wie viele andere klein zu schreiben: „erste Hilfe“. Die Nachrichtenagenturen befolgen diese Vorschrift freilich nicht. In der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“ vom 2. Mai 2002 lasen wir, daß der Präsident der Reformkommission „Erste Hilfe“ für einen Begriff der Fachsprache hält, der außerhalb der neuen amtlichen Norm liege. Und dem „St. Galler Tagblatt“ vom 17. Mai 2003 entnehmen wir, daß ein anderes Mitglied der Reformkommission die Schreibweise „ohne Weiteres“ einführen möchte, obwohl Paragraph 58 (3) ausdrücklich die Kleinschreibung festlegt. Gehen die Änderungen jetzt gar nicht mehr in die Regelwerke ein, sondern werden nur noch auf Zeitungspapier gedruckt? Wir fragen: Welches Medium muß man konsultieren, welche Zeitung beziehen, um rechtzeitig zu erfahren, was gilt, nicht mehr gilt oder gelten wird?

V. -ig/-isch/-lich.

Laut Regelwerk sollen zweiteilige Adjektive, „bei denen der erste Bestandteil eine Ableitung auf -ig, -isch, -lich ist“, getrennt werden. Das klingt wie die Eselsbrücke eines Schulmeisters. Nun lesen wir alte und neue Wörter wie: winzigklein, rötlichgelb, prächtigbunt, zornigverachtungsvollst. Wir fragen: Da auch Wörter auf -ig, -isch, -lich mit anderen Wörtern eine Verbindung des Begriffs eingehen können, warum soll man diese Verbindungen heute nicht mehr als Wort schreiben? Überbrückt diese Eselsbrücke nicht die Sprachwirklichkeit?

VI. Der Drache?

Im Zuge der Vereinfachung unserer Rechtschreibung hat man die Zusammensetzung „furchteinflößend“ durch „Furcht einflößend“ ersetzt. Folgerecht ist der Drache nach dem Duden des Jahres 1996 ein Furcht erregendes und Feuer speiendes Tier. Vier Jahre später hat man weiter vereinfacht, und gemäß Duden 2000 ist der Drache ein furchterregendes, Feuer speiendes Tier. Nun lesen wir im Duden-Bedeutungswörterbuch von 2002, daß der Drache ein Furcht erregendes, Feuer speiendes Tier sei. Wir fragen: Ist das ein halber Rückschritt oder ein geheimnisvoller Fortschritt? Und welche Schritte sind noch geplant?

VII. Was wohl?

In einer Übersetzung des frühen sechzehnten Jahrhunderts spricht Alkinoos zu Odysseus von dessen „wolbekanten gesellen und helden“. Im späten zwanzigsten Jahrhundert hat die neue amtliche Norm alte und harmlose Adjektive wie wohlbekannt oder wohlgeraten zu Knacknüssen gemacht: wohlgeraten (Duden 1996)? Oder wohlgeraten, auch wohl geraten (Duden 2000)? Oder doch wohlgeraten (Wahrig, Bertelsmann 2002)? Nun lesen wir folgenden Satz eines Literarhistorikers in neuer Rechtschreibung: „Wie haben wir uns diese doch wohl bewußte Abweichung von einer wohl bekannten Regel zu erklären?“ In guter Rechtschreibung ist der Satz auf den ersten Blick verständlich; in „Orthografie“ liest man ihn dreimal und kann vermuten, was gemeint ist. Wir fragen: Schreiben wir, um einander Rätsel aufzugeben oder um einen Sinn möglichst unzweideutig zu vermitteln? Und wenn es die Möglichkeit gibt, die Vermittlung durch Zusammenschreiben zu sichern: Wer will diese Möglichkeit jetzt verbieten? Wer gibt uns eine Erklärung? Die Reformkommission? Die Dudenredaktion? Die Kultusministerkonferenz?

***

Internationale Schriftsteller gegen die Rechtschreibreform

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!

Berlin, den 7. Oktober 2003

Seit einigen Jahren hat die deutsche Sprache zwei Orthographien. Die eine Orthographie ist die, die sich seit der Goethezeit allmählich entwickelt und das ganze zwanzigste Jahrhundert hindurch bewährt hat. Es ist die Orthographie, in der Theodor W. Adorno, Hannah Arendt, Ingeborg Bachmann, Walter Benjamin, Heinrich Böll, Elias Canetti, Paul Celan, Friedrich Dürrenmatt, Albert Einstein, Sigmund Freud, Max Frisch, Hermann Hesse, Franz Kafka, Niklas Luhmann, Thomas Mann, Robert Musil, Rainer Maria Rilke, Nelly Sachs, Arthur Schnitzler, Max Weber und Ludwig Wittgenstein geschrieben und veröffentlicht haben. Es ist die Orthographie der deutschen Sprache in Literatur, Philosophie und Wissenschaft.

Die andere Orthographie ist eine, die in staatlichem Auftrag erfunden wurde. Sie ist minderwertig und erschwert den präzisen sprachlichen Ausdruck. Gleichwohl soll sie gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung auf dem Verordnungsweg durchgesetzt werden, durch ihre Einführung in Schulbüchern und amtlichen Texten. Die große Mehrheit der deutschsprachigen Intellektuellen lehnt die staatlich verordnete Rechtschreibung ab. Eine der besten Zeitungen Deutschlands, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, lehnt sie ab. Die renommiertesten Buchverlage (darunter Hanser, Suhrkamp, Diogenes, Piper) lehnen sie ab. Gleichzeitig aber wird den Kindern auf deutschen, österreichischen und schweizerischen Schulen beigebracht, daß die bessere Orthographie „veraltet“ sei. Es gibt leider Verlage, die sich auf die Seite der Bürokratie geschlagen und sich für die „neue“ Orthographie entschieden haben. Doch selbst in diesen Verlagen beharren die deutschsprachigen Schriftsteller darauf, daß wenigstens ihre Bücher in der herkömmlichen Rechtschreibung erscheinen. Worauf sie jedoch in diesen Verlagen leider keinen Einfluß haben, ist die Orthographie der Bücher, die aus anderen Sprachen ins Deutsche übersetzt werden. Während die deutschsprachige Literatur fast ausschließlich in der angeblich „veralteten“ Orthographie erscheint, wird die fremdsprachige etwa von Verlagen wie S. Fischer oder Rowohlt in der behördlich verordneten „neuen“ Rechtschreibung publiziert.

Wir bitten Sie, liebe Kollegen, sich uns anzuschließen und uns zu unterstützen. Wir bitten Sie, dem Verlag gegenüber, in dem Ihr nächstes Buch auf deutsch erscheint, auf der bewährten deutschen Orthographie zu bestehen, so wie wir es tun. Ihre Leser werden es Ihnen danken.

Mit freundlichen Grüßen

Horace Engdahl, Hans Magnus Enzensberger, Georges-Arthur Goldschmidt, Günter Grass, Lars Gustafsson, Elfriede Jelinek, György Konrád, Reiner Kunze, Stanislaw Lem, Siegfried Lenz, Claudio Magris, Harry Mulisch, Adolf Muschg, Sten Nadolny, Cees Nooteboom, Patrick Süskind, Martin Walser, Christa Wolf

Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 232 vom 7. Oktober 2003, Feuilleton
_________________________

Stefan Stirnemann, geboren 1960, studierte Theologie und Klassische Philologie, war Mitarbeiter am Thesaurus linguae Latinae in München und unterrichtet nun Latein am Gymnasium Friedberg (Gossau) bei St.Gallen (Schweiz).

Stefan Stirnemann, s.stirnemann@gmx: „Eine Zeitlang war ich Mitarbeiter am umfassendsten Wörterbuch einer Sprache: am Thesaurus linguae Latinae in München. Man kann dort lernen, dass es unerhört schwierig ist, die Bedeutung von Wörtern festzustellen, und dass man ihnen gegenüber behutsam und respektvoll sein muss.“ (Cicero + Seneca, Forum von www.rechtschreibreform.com, 05.03.2001).

„Daß das Liberale Institut und die Schweizer Monatshefte die Bedeutung der Sache erkennen, heißt nichts anderes, als daß die eigentliche Auseinandersetzung nun auch in der Schweiz beginnt. Es war auch Zeit. Die Reformer haben bis jetzt die „Gelassenheit“ hierzulande gelobt. Sie werden um ihre eigene Gelassenheit und Fassung ringen müssen.

Der Schweizer Alpenbüffel ist ein Tier, das man besser nicht reizt: buffalo alpinus Helveticus (pertinax). Jetzt klopft und scharrt er unruhig den Boden und schnaubt. Er ist nicht stur, er ist klug, wendig, ausdauernd: er hört erst auf zu kämpfen, wenn der Gegner vernichtet ist. Der Duden, der ihn aufhält, muß erst noch geschrieben werden.“ In: Stefan Stirnemann, St. Gallen: „Die Rechtschreibreform – ein unnötiger dirigistischer Eingriff“, 14.9.2003,
www.rechtschreibreform.com/Perlen/KraftBank/KraftBank.pl?SunSep1421:39:30CEST2003
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Manfred Riebe



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Beitrag: Dienstag, 23. Dez. 2003 23:50    Titel: Leserecho zur Rückkehr der FAZ zur traditionellen Orthograph Antworten mit Zitat

Leserecho zur Rückkehr der FAZ zur traditionellen Orthographie

Die Rückkehr zur alten Rechtschreibung

Zeitungsleser stehen der Rechtschreibreform besonders kritisch gegenüber. Bei einer schriftlichen Abstimmung haben sich jetzt 98,56 Prozent der beteiligten Zeitungsnutzer für die Rückkehr zur bewährten Schreibung ausgesprochen, wie die <b>„Initiative für eine vernünftige Rechtschreibung“</b> am 1. September in Berlin berichtete. Am 19. August veröffentlichte die Initiative in sechs Tageszeitungen einen Coupon mit der Frage: „Soll die Rechtschreibreform zurückgenommen werden?“ Innerhalb von Tagen erhielten die Organisatoren mehr als 70.000 Einsendungen, davon nahezu ausschließlich Ja-Antworten.

Besonders hoch war die Zustimmung unter den beteiligten Lesern der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und der Zeitung „Die Welt“ (jeweils mehr als 99 Prozent). Kaum geringer war die Zustimmung bei den Teilnehmern an der Abstimmung, die die „Süddeutsche Zeitung“ lasen; sie sprachen sich zu 97,06 Prozent für die Wiedereinführung der bewährten Schreibweisen aus. Repräsentativ im Sinne einer Umfrage ist diese Abstimmung nicht, sie soll nach Ansicht der Initiatoren aber als Ansporn für andere Publikationen dienen, dem Beispiel der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zu folgen. Daß die Abstimmung eine noch klarere Ablehnung der Rechtschreibreform zutage brachte als alle bisherigen Umfragen, erklärten die Organisatoren mit der Vermutung, Zeitungsleser kennten die neuen Regeln viel besser als Nicht-Zeitungsleser. Sie hätten sich ein Jahr lang ein genaues Bild darüber machen können, welche „Verwirrung eine Hand voll sogenannter Experten“ angerichtet hätten.

Die Entscheidung der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, zur alten Rechtschreibung zurückzukehren, findet weiterhin große und überwiegend zustimmende Resonanz. Seit Bekanntgabe unseres Beschlusses erreichten uns Tausende Briefe, Telefaxe und E-Mails sowie ungezählte Telefonanrufe. Nachfolgend die ersten tausend E-Mails:

http://www.faz-verlag.de/IN/INtemplates/Verlag/rsf.asp?bgn=1
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Manfred Riebe



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Beitrag: Mittwoch, 24. Dez. 2003 00:18    Titel: Warum kehrte die FAZ um? Antworten mit Zitat

Warum kehrte die FAZ um?

Fragen und Antworten

Frage: Warum hat sich die F.A.Z. für die Rückkehr zur alten Rechtschreibung entschieden?

Antwort: Die neue Rechtschreibung hat sich vor allem bei der Getrenntschreibung sowie bei der Groß- und Kleinschreibung als nicht zweckmäßig erwiesen. Sie hat zu einer Fülle von Mißverständnissen und Fehlern geführt (z. B. wieder vereinigt statt wiedervereinigt etc.). Die neue Rechtschreibung hat nicht zur Vereinheitlichung geführt, sondern zur Schreibverwirrung.

Frage: Welche Rechtschreibung ist denn nun eigentlich verbindlich, die neue oder die alte? Oder kann etwa jeder schreiben wie er will?

Antwort: Für Behörden und Schulen ist die sogenannte neue Rechtschreibung verbindlich. Für die F.A.Z. gilt seit dem 1. August 2000 wieder der Duden in der 20. Auflage als Grundlage, wobei die F.A.Z. schon immer hausinterne Regelungen hatte (Albtraum mit b, nochmal zusammengeschrieben).

Frage: Haben Sie bei Ihrer Entscheidung eigentlich auch an die Kinder gedacht?

Antwort: Selbstverständlich wurde an Kinder und Schulen gedacht. Schüler sind jedoch ohnehin immer mit mehreren Schreibungen konfrontiert, da die Schulbuchverlage verpflichtet sind, etwa Zitate aus klassischen Dichtungen in der alten Schreibung wiederzugeben. Ein Schüler wird also auch im Schulbuch zwei Schreibweisen verkraften müssen.

Frage: Kann es sein, daß die F.A.Z. wieder zur neuen Rechtschreibung zurückkehrt ?

Antwort: Es geht der F.A.Z. nicht darum, eine bestimmte Schreibweise zu zementieren. Sprache ist lebendig: Die Redaktion der F.A.Z. verschließt sich ihrer natürlichen Fortentwicklung nicht. Vernünftige Änderungen an der Rechtschreibung können jedoch nur auf einer festen und einheitlichen Grundlage vorgenommen werden. Diese bietet gegenwärtig nur die alte Rechtschreibung.

2. Aug. 2000

http://www.faz-verlag.de/IN/INtemplates/Verlag/text_rsf.asp?rub=
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Beitrag: Freitag, 26. Dez. 2003 11:03    Titel: Akademien fordern Rückgängigmachen der Rechtschreibreform Antworten mit Zitat

Akademien fordern Rückgängigmachen der Rechtschreibreform
______________________________________________________

Helden des Rückzugs


Es ist ein schlechtgehütetes Geheimnis, daß die Verantwortlichen für die mißlungene Rechtschreibform nicht glücklich sind über das Ergebnis ihrer Bemühungen. Manche der Beteiligten äußern hinter recht nachlässig vorgehaltener Hand, es wäre besser gewesen, die Politik hätte sich nie auf dieses heikle Terrain begeben. Dem wird man ohne Einschränkung zustimmen. Aber was ist der späten Einsicht bislang gefolgt? Nichts, außer noch mehr Herumwursteln am Regelwerk. Genau an diesem Punkt setzt nun eine gewichtige neue Initiative an. Acht namhafte deutsche Akademien fordern die Kultusminister der Länder und andere zuständige staatliche Vertreter im gesamten deutschsprachigen Raum in einem Brief auf, endlich die Konsequenzen zu ziehen und „Freimut im Umgang mit der eigenen Entscheidung“ zu zeigen. Hinter der eleganten Formulierung verbirgt sich eine unnachgiebige Haltung. Denn mit ihrer ganzen Autorität fordern die Akademie der Künste in Berlin, die Akademie der Wissenschaften in Göttingen, die Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur sowie die Akademien für Wissenschaften und ihre künstlerischen Pendants in Sachsen und Bayern: Die Rechtschreibreform muß rückgängig gemacht werden. Denn der Zustand, zu dem sie führte, hat sich längst als unhaltbar erwiesen. Nur ein Beispiel von vielen: Mit der Auflösung eigenständiger Wortverbindungen und dem Gebot der Auseinanderschreibung wurde ein sprachlicher Eingriff vollzogen, der sich „achtlos über Sinn- wie über Betonungsunterschiede hinwegsetzt“. In der Praxis führt dies „mehr und mehr dazu, daß auch jene Wortverbindungen, die die Reform unangetastet ließ, in Frage gestellt werden“. Wer schreibend zwischen einem frisch gebackenen Brötchen und einem frischgebackenen Ehepaar nicht mehr unterscheiden kann und darf, der werde sich bald über alle Zusammenschreibungen hinwegsetzen. Anders gesagt: Wer Sprachgefühl besitzt, leidet unter der Reform. Und schlimmer noch: Wer keines besitzt, dem wird der Erwerb erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht. Aber weil man eine Sache nicht nur von ihrem Ergebnis her betrachten sollte, tun die Akademien gut daran, den Reformern Brücken zu bauen. Sich zum „Experimentcharakter“ des Unterfangens zu bekennen, so heißt es in ihrem Brief, bedeute nicht, das Experiment für überflüssig zu erklären. Die Rechtschreibreform werde doch noch sinnvoll gewesen sein, wenn es gelingt, ihre „Ergebnisse im Licht einer fünfjährigen Praxis vorurteilsfrei ins Auge“ zu fassen. Wer dies tut, kann nur eine Revision anstreben, für die es zwei Wege gibt: Rückkehr zu der im Duden von 1991 kodifizierten Orthographie oder aber Übernahme des von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung im vorigen Jahr vorgelegten Kompromißvorschlags (F.A.Z. vom 28. März). Diese vor allem vom Potsdamer Sprachwissenschaftler Peter Eisenberg entwickelte Reform der Reform wäre zwar nur die zweitbeste Lösung, aber auch mit ihr könnten die Verantwortlichen die von der Akademie gebaute Brücke erhobenen Hauptes überschreiten: Nicht Fehler zu machen, sondern nicht aus ihnen zu lernen, wäre eine Schande. - igl - [Hubert Spiegel]

Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 271 vom 21. November 2003, Seite 37
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Beitrag: Freitag, 26. Dez. 2003 23:56    Titel: Freudig begrüßte Attacke der Akademien Antworten mit Zitat

Freudig begrüßte Attacke der Akademien
Vollständige Rücknahme der Neuregelung nötig
________________________________________

Briefe an die Herausgeber
Keine Basis


Zur Feuilletonglosse „Helden des Rückzugs“ (F.A.Z. vom 21. November): Die Attacke von acht renommierten Akademien auf die Rechtschreibreform ist von der großen Mehrheit der Deutschsprechenden mit freudiger Zustimmung begrüßt worden.

Allerdings führt kein Weg an einer vollständigen Rücknahme der Neuregelung vorbei; der Kompromißvorschlag der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung kann nicht überzeugen. Warum sollte die Sprachgemeinschaft die bewährte traditionelle Rechtschreibung gegen eine „Schreibung zweiter Wahl“ eintauschen, weil Kulturpolitiker nicht die Größe haben, einzugestehen, daß die von ihnen propagierte Rechtschreibreform sich als Fehlleistung erwiesen hat, als ein Produkt, das, nach den Urteil von Sprachwissenschaftlern und Schriftstellern, mißraten ist und mittlerweile zu einem Chaos in Schule und Gesellschaft geführt hat?

Selbst sprachlich eher Desinteressierte verfallen in Staunen, wenn sie vernehmen, daß gemäß Duden 2000 bei der Schreibung von Adjektiven mit „hoch“ vier Gruppen unterschieden werden müssen: hoch empfindlich, hoch geehrt, hoch motiviert; hochmodisch, hochverdient, hochverehrt; hochbegabt / hoch begabt, hochgebildet / hoch gebildet, hochgewachsen / hoch gewachsen; hochgesteckt (Haar), hoch gesteckt (Ziel); hochgestellt (Zahl), hoch gestellt (Persönlichkeit), hochkonzentriert (Schüler), hoch konzentriert (Säure). Allein dieser (w)irre Mix macht deutlich, daß die obrigkeitlich verfügte Rechtschreibung keine Basis für einen Kompromiß sein kann.

Erwin Doetsch, München

Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 299 vom 24. Dezember 2003, S. 9
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Erwin Dötsch ist Studiendirektor i.R.



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Manfred Riebe



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Beitrag: Dienstag, 30. Dez. 2003 22:40    Titel: Sieben Fragen und noch immer keine Antwort Antworten mit Zitat

Sieben Fragen und noch immer keine Antwort

Niemand versteht die mißglückte Rechtschreibreform und ihre Korrekturen: Reaktionen auf Zweifelsfälle der neuen Rechtschreibung


Vor einigen Wochen hat diese Zeitung gemeinsam mit den Schweizer Monatsheften [ www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?t=182 ] sieben Fragen zur neuen Rechtschreibung veröffentlicht (F.A.Z. vom 7. Oktober). Das zustimmende Echo, auch auf den gleichzeitig abgedruckten Aufruf der internationalen Autoren, war groß. Die Antwortversuche aber blieben vergleichsweise spärlich. Die eigentlich Zuständigen, die Mitglieder der Reformkommission [ http://rechtschreibung.ids-mannheim.de/kommission_mitglieder.html ], hüllen sich in ein Schweigen, das, je länger es anhält, desto vielsagender wird. Dabei sind die Fehler, zu denen sich die Reformer so ungern äußern, nicht erst jetzt entdeckt worden; Theodor Ickler hat sie bereits 1997 in einem „Kritischen Kommentar“
[ www.vrs-ev.de/literatur.php#rsr ] übersichtlich zusammengestellt. Heute haben alle Einsichtigen nur ein Ziel: daß diese Fehler endlich und endgültig berichtigt werden, so daß die Wörterbücher künftig wieder mit der Wirklichkeit unserer Sprache übereinstimmen. Den besten Weg dazu haben acht deutsche Akademien in ihrem Brief vom 12. November empfohlen: „die Rückkehr zu der im Duden von 1991 kodifizierten Orthographie“ [ www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?t=111 ]. Damit sind natürlich einzelne Verbesserungen nicht ausgeschlossen. Daß in den Kernbereichen Verbesserungen von den Reformern nicht gefunden wurden, zeigen auch die Antworten auf unsere sieben Fragen, die wir hier veröffentlichen. Weitere Antworten werden im Februar in den Schweizer Monatsheften erscheinen. F.A.Z.

I. Heiß ersehnt und heißersehnt

<i>Die Reformer halten das Wort heißersehnt für eine Schreibweise und wollen es durch heiß ersehnt ersetzen. Es wurde ihnen gezeigt, daß Erich Kästner heißersehnte und heiß ersehnte Bratkartoffeln unterscheidet. Sein Spiel mit einem ganz alltäglichen Wort beweist, daß die Zusammensetzung nicht grundsätzlich dasselbe bedeutet wie die Wortgruppe. Die Reformer verwechseln Rechtschreibung und Wortbildung und haben das Wesen der Zusammensetzung nicht erfaßt. Betroffen von ihrem Irrtum ist nicht ein einzelnes Wort, betroffen sind alle Zusammensetzungen. Im Vertrauen auf ihre Fachleute haben die Kultusminister in ihrer Dresdner Erklärung vom 24./25. Oktober 1996 gemeint: „Kein einziges deutsches Wort geht durch die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung verloren.“ Die Politiker sollten auf diese Aussage zurückkommen. - Aus den Antworten:</i>

Der den Umkremplern unbekannte gesunde Menschenverstand sagt, daß es sich um eine lexematische Steigerung handelt, die damit so wenig wie ersehntest getrennt werden darf.
Prof. Dr. Jean-Marie Zemb, Paris

In der Tat muß nach der Neuregelung heiß ersehnt getrennt geschrieben werden, so daß das von Ihnen angeführte Zitat so nicht mehr ausgedrückt werden kann.
Andreas Poppe, Langenselbold

II. Das Eszett

<i>Die Reformer wollen eine Regelung verändern, die sich im neunzehnten Jahrhundert durchsetzte. Dieser Brauch nutzt den Hauptvorteil des Eszetts: die dem Auge wohltuende Gliederung von Wörtern und Formen. Wer diesen Vorteil aufgeben will, muß gute Gründe haben. Auf der anderen Seite läßt die veränderte Eszett-Regelung ganze Bibliotheken neuwertiger Bücher veralten. Wer hätte heute Geld für neue Bibliotheken? - Aus den Antworten: </i>

Bei der Rechtschreibreform ist leider nicht der Mut aufgebracht worden, das ß ganz abzuschaffen.
Bernhard Hofmann, Tübingen

Dank auch dafür, daß Sie für die Rückbesinnung auf das Eszett eintreten. So können die Konjunktion daß und das Relativpronomen das optisch klar unterschieden werden, was vielen Schülern helfen würde, die heute glauben, „das“ ein „s“ mehr oder weniger nicht von großer Bedeutung sei.
H. Beisbart, Bayreuth

III. Gräulich und greulich

<i>Die Reformer wollen greulich durch das Farbadjektiv gräulich ersetzen. Die neueste Ausgabe von Thomas Manns „Herr und Hund“ druckt das Farbadjektiv. Das Regelwerk von 1901 verlangt in Übereinstimmung mit Grammatiken und Wörterverzeichnissen des neunzehnten Jahrhunderts: „Unterscheide gräulich (von grau) und greulich (zu Greuel gehörig).“ Die Unterscheidung ist sinnvoll, denn der Zusammenhang macht keineswegs immer klar, was gemeint ist. Mit diesem Vorbehalt ist Friedrich Roemheld recht zu geben, der 1963 festhielt: „Verschiedene Wörter gleicher Lautung werden durch unterschiedliche Schreibung auseinandergehalten. Die Unterscheidungsschreibung soll verhindern, daß zugleich mit der durch den Zusammenhang gegebenen Bedeutung auch die andere, nicht gemeinte, flüchtig, wie ein leichter Schatten durch unser Bewußtsein huscht und so der Lesevorgang eine, wenn auch noch so geringfügige Störung erleidet.“ Wer greulich schreibt, will nicht an die Farbe denken. Ähnliches gilt auch für die Versuche mit einbläuen, behände, schnäuzen, Stängel. - Aus den Antworten: </i>

Es ist meines Erachtens nicht legitim (oder sollte ich gleich „unfair“ sagen?), Belege für Problemfälle (besonders bezüglich der Umsetzung eines Textes in der alten Normschreibung in einen Text in der neuen Norm) aus dem Bereich der Literatur zu nehmen. Natürlich kann man Thomas Mann nicht mehr fragen - so trivial das klingt -, anders als etwa bei Grass. Es gibt ein gewisses Risiko etwa der Bedeutungsverschiebung bei der Anpassung an (jede) neuere Rechtschreibnorm - aber dieses Problem hat man auch bei Nietzsche- oder Goethe-Texten. Zudem gelten für kritische Ausgaben andere Regeln. Im übrigen gibt es auch die Möglichkeit der Fußnoten.
Prof. Dr. Harald H. Zimmermann, Großrosseln

IV. Wer informiert uns korrekt?

<i>Die Reformer widersprechen einander immer wieder. In Interviews und Zeitungsbeiträgen werden etwa in Fragen der Großschreibung unterschiedliche Regeln dekretiert. Welches Medium muß man konsultieren, um zu erfahren, was gilt, nicht mehr gilt oder gelten wird? Im neunzehnten Jahrhundert verwendete man die Großbuchstaben reichlich: vor Allem, es ist Schade, du hast Unrecht, im Allgemeinen. In zum Teil harten Kämpfen hat sich die Kleinschreibung durchgesetzt; sie ist im Kern einleuchtend und einfach. Die Reformer erneuern auf Kosten der Öffentlichkeit längst entschiedene Auseinandersetzungen. - Aus den Antworten: </i>

Mit der Rechtschreibreform wurde das Deutungsmonopol der Dudenreaktion für die deutsche Rechtschreibung aufgehoben. Die Situation wird von den Gedanken der Deregulierung, Subsidiarität, der Toleranz und der kulturellen Vielfalt beherrscht. Der mündige Bürger ist unter gewissenhafter Beachtung der amtlichen Regeln berufen, im Zweifelsfall selbst zu entscheiden.
Bernhard Hofmann, Tübingen

Wer informiert uns korrekt? - diese Frage ist wirklich berechtigt. Auf keinen Fall eine Minderheit von Schriftstellern, sie stehen zwar mitten in der Praxis, sind aber äußerst praxisfern. Mathematiker wären wohl besser geeignet. Sie sind es gewohnt, Dinge logisch zu betrachten.
Thomas Rolle, Albbruck, Mathematiklehrer

Unsere Presse hat sich behaglich eingerichtet in einem selbstgeschaffenen Dilemma. Daß mit der Eliminierung von Wörtern und der Einebnung von Bedeutungsunterscheidungen ihr Handwerkszeug stumpf gemacht, die Ausdrucksvielfalt beschnitten, das Recht auf Freiheit der Berufsausübung verkürzt wurde, hat sie nicht bemerken wollen, weil es so viel schöner ist, von oben herab aus sicherer Unbeteiligtheit auf das Schlachtgetümmel zu blicken - auch dann, wenn es um die ureigenste Sache geht. Aus solchen Höhen der Verblendung findet man nur schwer wieder zurück, denn dazu gehört etwas so Seltenes wie ein ganz klein bißchen Mut und ein Restbestand von Berufsethos.
Hans Krieger, München

V. -ig/-isch/-lich

<i>Die Reformer wollen Zusammensetzungen, deren erster Teil auf -ig/-isch/-lich endet, trennen. Bei keiner anderen Regel wird so deutlich, daß die Reform aus einer Schulstube stammt, die keine Fenster hat. Der Schüler soll „-ig-isch-lich“ vor sich hin zischen und Wörter trennen, ohne an die Bedeutung zu denken; als Ausnahme soll er sich das einzige Wort richtiggehend merken. Die Reformer machen uns zu Schülern, die Eselsbrücken brauchen. - Aus den Antworten: </i>

Als Philosoph bin ich glücklich über die Richtlinie der neuen Rechtschreibung: möglichst viel Getrenntschreibung. Die Anwendung von Bindestrichen, die den Sinnzusammenhang sinnverschiedener Wörter markieren, ist in allen Zweifelsfällen zu empfehlen. Das genügt zur Lösung des Problems.
Prof. Dr. phil. Hermann Schmitz, Kiel

VI. Der Drache?

<i>Die Reformer wollen einen Teil der Zusammensetzungen aus Partizip I und Substantiv trennen. Schuld ist nicht eine verfehlte Auslegung der Regel, verfehlt ist die Regel selbst. - Aus den Antworten: </i>

Meines Erachtens kann ein Substantiv wie ein Adjektiv als determinans lexematisiert werden (und wird entsprechend ausgesprochen). Waren die Umkrempler wirklich so tumb?
Prof. Dr. Jean-Marie Zemb, Paris

Sie reiten immer wieder auf der neuen Getrenntschreibung herum. Persönlich schreibe ich da still-vergnügt wie früher oder nehme einen Bindestrich.
Fritz Jörn, Bonn

VII. Was wohl?

<i>Die Reformer wollen auch zwischen wohl bekannt und wohlbekannt nicht mehr unterscheiden. So werden Sätze unklar, die vorher klar waren. Auch hier geht es um Wortbildung, nicht um Rechtschreibung. - Aus den Antworten: </i>

Mit der Erklärung „wohlgeraten, auch wohl geraten“ können alle gut leben. Das ist die Freiheit, die ich meine. Niemand sollte hier etwas verbieten.
Bernhard Hofmann, Tübingen

Siehe die Fragen I und VI: Auch ein uriges Adverb wird in der lexematischen Küche gern verwendet. Haben Sie auch den bekehrten Münchner Ex-Minister Hans Zehetmair um eine siebenfache Beteuerung seiner Katharsis gebeten? Ich wünsche Ihnen einen durchschlagenden Erfolg.
Prof. Dr. Jean-Marie Zemb, Paris

<i>Die Schweizer Monatshefte haben der Rechtschreibreform ihre November-Ausgabe gewidmet: „Die deutsche Sprachverwirrung. Fehlkonzept Rechtschreibreform“ [ www.schweizermonatshefte.ch ]. Weitere Antworten auf die sieben Zweifelsfälle werden in der Februarausgabe veröffentlicht. Die Hefte können bestellt werden unter: Schweizer Monatshefte, Vogelsangstraße 52, 8006 Zürich (oder info@schweizermonatshefte.ch). </i>

Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 302 vom 30. Dezember 2003, S. 38
__________________________________

Wer sind die Beantworter der Fragen?

Einige sind bekannt, aber andere sind bisher mit Äußerungen zur Rechtschreibreform noch nicht hervorgetreten, so daß man sich fragt, weshalb sie sich erst jetzt äußern.

- H[elmut] Beisbart, Bayreuth, ist wohl Lehrer; denn er schreibt im Forum von „Lehrerinfo, Ein Service des bayerischen Kultusministeriums für Lehrerinnen und Lehrer“ in der neuen Rechtschreibung.
www.lehrerinfo-bayern.de/1-01/meinung.html

- Bernhard Hofmann, 72072 Tübingen,

- Dipl.-Ing. Fritz H. Jörn, Friedrichstraße 29, D-53111 Bonn
Freier Journalist und Marketing-Berater, Mitglied der Gesellschaft für deutsche Sprache in Wiesbaden und Autor ungezählter Artikel im Dienstagsteil »Technik und Motor« der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, (Kürzel fj), gelegentlich auch in »Forschung und Technik« der Neuen Zürcher Zeitung, Fritz@Joern.De, (= Fritz@Joern.com), schreibt in seiner Netzseite einiges zur Rechtschreibreform: www.Joern.De/

- Hans Krieger, Oberländerstr. 31, 81371 München
www.bayerische-staatszeitung.de/
Hans Krieger ist Präsident der Stiftung zur Förderung der Schriftkultur e.V., München, und war bis Juli 1998 Ressortleiter Kultur der Bayerischen Staatszeitung. Er ist einer der profiliertesten Kritiker der Rechtschreibreform:
- Hans Krieger: Der Rechtschreib-Schwindel - Zwischenrufe zu einem absurden Reformtheater, St. Goar: Leibniz-Verlag, 1998.
- Hans Krieger: Mehr als eine Hand voll Fehler. Die Rechtschreibreform hat den Praxis-Test in der Presse nicht bestanden. In: Bayerische Staatszeitung Nr. 23 vom 09.06.2000, S. 3, Krieger schreibt darin von der „Schafsgeduld der Journalisten“.
- Hans Krieger: Shäckspier im kaos. Die Ablehnung der so genannten Rechtschreibreform und die Liebe zur grammatikalischen Anarchie: Zwei Positionen. In: Süddeutsche Zeitung vom 04.08.2000, Feuilleton, S. 15.
- Hans Krieger: Klar, schlicht und stark. Sollen wir schreiben wie die Nationalsozialisten? Das verdrängte Vorbild der Rechtschreibreform. In: Süddeutsche Zeitung, 2. Oktober 2000
- Hans Krieger: „Akzente, die meine Zeit überdauern“, Minister Hans Zehetmair blickt auf eine 17jährige Amtszeit zurück. In: Bayerische Staatszeitung Nr. 28 vom 11. Juli 2003, S. 13

- Andreas Poppe, Feldbergring 137A, 63505 Langenselbold

- Thomas Rolle, Albbruck, Mathematiklehrer, Sonnhalde 8, 79774 Albbruck

- Prof. Dr. phil. Hermann Schmitz, Steinstr. 27, 24118 Kiel,
Hermann Schmitz, geb. 1928, Professor in Kiel, emeritiert 1993, Hauptwerk „System der Philosophie“, „Der Leib, der Raum und die Gefühle“ bei Ed. Tertium, 1998.

- Prof. Dr. Jean-Marie Zemb, l'Institut de France (Académie des Sciences morales et politiques), 23, Quai de Conti, Paris,
geboren 1928, war von 1968-1986 Professor für deutsche Sprachwissenschaft an den Universitäten Paris VIII, III und X und ist seit 1986 Inhaber des „Chaire de Grammaire et pensée allemandes“ am Coll*ge de France, Paris, einem den Beziehungen von Denken und Sprache gewidmeten Forschungslehrstuhl.
www.college-de-france.fr/site/ins_pro/p1000207181191.htm

Er ist Mitglied der „Commission générale de terminologie et de néologie.“

- Jean-Marie Zemb: Für eine sinnige Rechtschreibung. Eine Aufforderung zur Besinnung ohne Gesichtsverlust. Tübingen: Max Niemeyer Verlag, 1997, 154 Seiten.
- Jean-Marie Zemb: Ja, wenn Sie mich fragen …. In: Eroms, Hans Werner / Munske, Horst Haider (Hrsg.): Die Rechtschreibreform. Pro und Kontra. Berlin: Erich Schmidt Verlag, 1997, S. 255-264
- Jean-Marie Zemb: Ein Grund mehr, nicht Deutsch zu lernen. Einspruch aus Paris: Die Reform der Orthographie schadet im Ausland. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17. August 2000, S. 44, www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?t=154

- Prof. Dr. Harald H. Zimmermann, Lauterbacher Str. 60, 66352 Großrosseln, h.zimmermann@is.uni-sb.de
www.uni-saarland.de/verwalt/kwt/profs/3zimmerm.htm
http://www.is.uni-sb.de/
Geboren 1941. Professor für Informationswissenschaft an der Universität des Saarlandes. Gründer: SOFTEX GmbH, Saarbrücken (u. a. Produkte zur automatischen Rechtschreibkontrolle, zur automatischen Silbentrennung, zur maschinellen Indexierung, zu mehrsprachigen Lexika.), www.sprache.org

Die <b>Zwischenstaatliche Kommission für deutsche Rechtschreibung</b> wirbt in der Rubrik „Mehr Informationen in Büchern und WWW“ mit dem Memorandum zur Rechtschreibreform von Prof. Dr. Harald H. Zimmermann, Saarbrücken, vom 28.02.1997 an die <b>Fraktionen des Deutschen Bundestages</b> http://rechtschreibung.ids-mannheim.de/info.html

Dr. Manfred Pohl, Potsdam, kommt in seiner Auseinandersetzung mit dem Memorandum von Professor Harald H. Zimmermann: „Prof. Zimmermann und ich, ein Dialog über die Rechtschreibreform“ zu dem Schluß, Zimmermann habe kommerzielle Interessen an der Durchsetzung der Reform. http://home.arcor.de/unipohl/Zimmermann.htm

______________________________________

Anmerkung:
In den VRS-Links wurde „viewtopic“ durch „themaschau“ ersetzt, damit sie wieder funktionieren.


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Beitrag: Freitag, 02. Jan. 2004 21:03    Titel: Bayerns Ausscheren aus der Phalanx der „hirnlos Vorwärtsirre Antworten mit Zitat

<b>Bayerns Ausscheren aus der Phalanx der „hirnlos Vorwärtsirrenden“</b>

Querverweis zum Brief von Dr. med. E. Schaffner, Buenos Aires, an Kultusminister Hans Zehetmair zum Zehetmair-Artikel in der FAZ vom 01.08.2003 („Fremde Federn: Fünf Jahre Rechtschreibreform - besonnen korrigieren....“):

„Verdummungsminister“ schaden deutschen Schulen im Ausland
Deutsches Wissen, deutsche Ideen und Exporte - mit deutscher Kultur verbunden
Bayerns Ausscheren aus der Phalanx der „hirnlos Vorwärtsirrenden“

www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?p=532#532
________________________________________

Anmerkung:
In den VRS-Links wurde „viewtopic“ durch „themaschau“ ersetzt, damit sie wieder funktionieren.


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Beitrag: Freitag, 16. Jan. 2004 14:29    Titel: Preis für „Die Aura der Wörter“ Antworten mit Zitat

<b>Preis für „Die Aura der Wörter“
___________________________

Besinnt euch!
Preis für Reiner Kunzes Rechtschreibkritik</b>

Der Schriftsteller Reiner Kunze ist in diesem Jahr einer der beiden Preisträger der Schweizer „Stiftung für Abendländische Besinnung“. Sie zeichnet jährlich zwei Persönlichkeiten aus, welche sich für abendländische Werte eingesetzt haben. Der Preis ist mit je 25 000 Schweizer Franken dotiert.

Kunze wird nach Angaben der Stiftung „für seinen Einsatz gegen die Unvernunft der Eingriffe in Sprache und Rechtschreibung“ ausgezeichnet und für seine „ebenso wertvollen wie notwendigen Bemühungen im Umgang mit unserer Sprache und ihrer Schreibweise“. Seine Kritik an der Rechtschreibreform hat Kunze im vergangenen Jahr in seinem Buch „Die Aura der Wörter“ zusammengefaßt.

Der zweite Preisträger ist der Zürcher Altphilologe Klaus Bartels, bekannt durch seine sprachgeschichtlichen Kolumnen in der „Neuen Zürcher Zeitung“ und der „Stuttgarter Zeitung“. Die Preisverleihung wird am 13. November in Zürich stattfinden.

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16. Januar 2004, S. 31
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Beitrag: Sonntag, 18. Jan. 2004 19:33    Titel: Propagandamärchen Antworten mit Zitat

<b>Propagandamärchen</b>

Briefe an die Herausgeber

Der Leserbrief von Wolfgang Illauer an die Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschien in der FAZ Nr. 14 vom 17. Januar 2004, Seite 9, mit der Überschrift: „Propagandamärchen“. Die Textstellen, die die FAZ nicht abdruckte, setze ich in eckige Klammern.
______________________________________________________________________

[Wolfgang Illauer ........................................................Westheim, den 2. Januar 2004
Von-Richthofen-Straße 20
86356 Neusäß-Westheim
Tel.: 0821 / 48 23 26


An die Frankfurter Allgemeine Zeitung


Leserbrief zu Heike Schmoll: Wo bleibt der Qualitätsanspruch (F.A.Z. vom 2.
Januar, Seite 10)

Gestatten Sie mir zum äußerst informativen und wahrhaft niederschmetternden Artikel „Wo bleibt der Qualitätsanspruch?“ von Heike Schmoll (F.A.Z. vom 2. Januar, Seite 10) Bestätigendes und Ergänzendes:]

Zu „Wo bleibt der Qualitätsanspruch?“ von Heike Schmoll (F.A.Z. vom 2. Januar):

Das bayerische Kultusministerium [(so las ich in der Augsburger Allgemeinen)] wirft den protestierenden Lehrern bezüglich des achtklassigen Gymnasiums G 8 <b>Desinformation [der Öffentlichkeit]</b> vor.
Leider verhält es sich umgekehrt. Ich erinnere [mich] an die Einführung der Rechtschreibreform. Da machte das Ministerium der Öffentlichkeit [doch tatsächlich] weis – und viele haben es geglaubt –, die Rechtschreibfehler der Schüler würden nach Einführung der Reform um 50 Prozent zurückgehen. Das war [ein] <b>Propaganda[märchen</b> von kaum zu überbietender Chuzpe und Unverfrorenheit. Wie jeder Lehrer jetzt weiß, ist die Zahl der Rechtschreibfehler (im ganzen gesehen) nicht zurückgegangen. Im Gegenteil. Die Rechtschreibung ist schwieriger geworden; es gibt ergiebige neue Fehlerquellen, die ich in diesem Zusammenhang nicht beschreiben kann].

Jetzt werden vom Ministerium Behauptungen aufgestellt, die jene von der [phantastischen und peinlichen Propaganda mit der angeblichen] Halbierung der Rechtschreibfehler [erreichen, wenn nicht] übertreffen: Von einer Qualitätssenkung des G 8-Abiturs könne nicht die Rede sein, die Kürzung gebe vielmehr die Möglichkeit, [sich intensiver] auf das Wesentliche und Notwendige zu konzentrieren. Das Gymnasium werde besser[!].

Richtig ist natürlich folgendes[, und jeder, der seinen gesunden Menschenverstand benützt, wird das sofort bestätigen]:

Das G 8 - Abitur bedeutet eine erhebliche Senkung des Niveaus (ob überstürzt eingeführt oder überlegt, das macht keinen Unterschied), und zwar aus fünf Gründen:

[1.] In einem neunjährigen Gymnasium mit optimalem Lehrplan (der unnötigen Stoffballast entfernt hat) bleibt mehr Zeit für das Besprechen und Üben und für die so wichtigen Hausaufgaben als in einem noch so guten achtjährigen.

[2.] Im neunjährigen Gymnasium braucht man nicht zu niveausenkenden Notmaßnahmen greifen, wie sie Heike Schmoll beschreibt (Zusammenlegung von Fächern!).

[3.] Im neunjährigen Gymnasium lassen sich die Stunden [sinnvoller und] lernfreundlicher auf die Wochentage verteilen. Vermehrter Nachmittagsunterricht im achtjährigen Gymnasium ist für die Katz[], aus sehr einleuchtenden Gründen. Irgendwann wird [schließlich] die Grenze der Aufnahmefähigkeit überschritten.

[4.] Im neunjährigen Gymnasium bleibt mehr Zeit für Musik, Theater, Kunst, Sport und für [gerade in der heutigen Zeit] so wichtige Unternehmungen wie Schullandheimaufenthalte, Skikurse, Studienfahrten [und so weiter].

[5. 19-] Neunzehnjährige Abiturprüflinge sind reifer als [18-]achtzehnjährige oder gar [17-]siebzehnjährige. In einer Oberstufe mit [17-, 18,- 19-]siebzehn-, achtzehn,- neunzehnjährigen Jugendlichen kann der Lehrer ungleich mehr und deutlich Anspruchsvolleres bieten aus Philosophie und Religion, aus der Literatur aller Länder und Schulsprachen (von Homer bis Proust und Thomas Mann, von Vergil bis Flaubert und Joyce, von Sophokles bis Schiller und Shakespeare), als das in der künftigen Oberstufe der [15-, 16-, 17-] Fünfzehn-, Sechzehn-, Siebzehnjährigen möglich sein wird (Einschulung mit 5 Jahren, also Abitur mit 17 am achtjährigen Gymnasium[!]). Neunzehnjährige schreiben [übrigens] auch ungleich bessere Abituraufsätze als [17-]Siebzehnjährige; sie sind [natürlich] auch im Englischen besser, weil sie mehr geübt und gelesen haben, weil sie im Ausdruck gewandter sind.

Den mit der Kürzung des Gymnasiums und der früheren Einschulung einhergehenden Bildungsverlust auf dem Gebiet der Literatur, der Philosophie, der Religion, Kunst und Musik halte ich für das allergrößte Übel der Reform. [Es handelt sich um eine bildungspolitische Katastrophe.] Unsäglicher[, unglaublicher] Höhepunkt der Forderungen ist die [folgende] „These“, die ich aus einer Mitteilung des Bayerischen Philologenverbandes zitiere: „Englisch auf dem Niveau einer Literatursprache zu unterrichten, sei am Gymnasium nicht nötig; es genüge, es als internationale Verkehrs- bzw. Umgangssprache zu vermitteln“. So „Professor Dr. Herrmann bei der Vorstellung der sieben Thesen der Bayerischen Rektorenkonferenz zur Schulpolitik am 11.11 03 im Münchner Presse-Club“. Daß [ein] der Präsident [einer Hochschule] der Technischen Universität München so etwas sagen kann, daß die bayerischen Rektoren zustimmen können, hätte ich noch vor [wenigen] Monaten für völlig undenkbar gehalten. Aber der Präsident der Technischen Universität München hat das Undenkbare gedacht, und die bayerischen Rektoren haben zugestimmt. Das Ganze paßt [natürlich] zu unserem beschränkten Zeitgeist: Auf die Wirtschaft komme es an, auf die Konkurrenzfähigkeit, auf möglichst frühen Berufseinstieg. [Alles andere sei unwichtig.] Zum Thema Konkurrenzfähigkeit muß ich [allerdings] hinzufügen: Seltsam, daß in den letzten fünf Jahrzehnten Deutschland so erfolgreich war, trotz des neunjährigen Gymnasiums!

[Mit freundlichen Grüßen]

Wolfgang Illauer, Neusäß-Westheim
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Beitrag: Sonntag, 15. Feb. 2004 23:07    Titel: Blinder Eifer Antworten mit Zitat

<b>Blinder Eifer</b>
Von Hubert Spiegel

Unter allen Reformen, die in diesem Land nötig oder auch nicht nötig sind, findet sich keine so überflüssige wie die Reform der Rechtschreibung. Als Mißerfolg ist sie konkurrenzlos. Wollten etwa Verkehrsminister Stolpe und sein Pannenkonsortium Toll Collect der Rechtschreibreform den Pleitenrang ablaufen, müßten sie noch auf Jahre hinaus an der Lkw-Maut laborieren, ohne zu einer befriedigenden Lösung zu gelangen. Die Anfänge der Reform verlieren sich fast schon in grauer Vorzeit, sie reichen zurück bis in die siebziger Jahre, als der Reformeifer nicht Renten- oder Gesundheitssystemen galt, sondern gleich die Gesellschaft an sich ins Visier nahm. Damals galt die Rechtschreibung als Relikt des Bildungsbürgertums und als Hürde auf dem Weg zu einer egalitären Gesellschaft. Seitdem ist ihre Reform ein Unglück, das nicht vergehen will.

Die ideologischen Wurzeln der Reform sind aus dem Blickfeld geraten, aber sie sind keineswegs vertrocknet. Im Gegenteil: Die klägliche Geschichte der Rechtschreibreform ist nicht zu begreifen, wenn man nicht jenen Starrsinn ins Kalkül nimmt, wie er vor allem Ideologen eigen ist. In ihrer realitätsfernen Dogmatik bleibt die Rechtschreibreform das abschreckendste Beispiel dafür, welchen Schaden blinder Reformwille anrichten kann, wenn er mit Mangel an Souveränität und Verantwortungsgefühl einhergeht. Hinter vorgehaltener Hand hat der eine oder andere Kultusminister das Scheitern der Reform zwar längst eingestanden, aber anstatt Souveränität zu zeigen und die mißratene Reform rückgängig zu machen, sucht man nach einer Möglichkeit, sich aus der Verantwortung zu stehlen.

Gelegenheit dazu werden die Kultusminister in der nächsten Woche erhalten. Dann nämlich wollen sie über eine Beschlußvorlage beraten, die unter anderem vorsieht, daß die Kultusministerkonferenz in Rechtschreibangelegenheiten nur noch tätig würde, wenn „Änderungen von grundsätzlicher Bedeutung - beispielsweise die Einführung der Kleinschreibung von Substantiven“ anstünden. Alle anderen Änderungen blieben in Zukunft der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung überlassen, einem Gremium, über das die Öffentlichkeit kaum etwas weiß und das man getrost als obskur bezeichnen darf. Seitdem die kompetentesten Sprachwissenschaftler des Landes die Kommission der Reihe nach und unter heftigen Protesten verlassen haben, gelten einige Ministerialbeamte als federführend, die nun offenbar entschlossen sind, die Entscheidungshoheit über das Reformwerk endgültig an sich zu reißen.

Sollten die Kultusminister sich also aus der Verantwortung stehlen und dem Entwurf zustimmen, würde künftig ein Gremium entscheiden, dessen Legitimation allein auf der Bequemlichkeit einiger Minister beruhte. Die Regeln der deutschen Rechtschreibung würden ohne öffentliche oder politische Kontrolle im Hinterzimmer der Kommission bestimmt. Das wäre die absurde Schlußpointe eines absurden Dramas.

Daß die Reformer längst in ihrer eigenen Welt leben und die Augen vor der Realität fest verschlossen halten, zeigt auch die neue Beschlußfassung zum vierten Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission. So wird in dem Bericht behauptet, daß die neuen Regeln sich in der Praxis bewährt hätten und weitgehend akzeptiert seien. Belege dafür bleiben die Reformer schuldig, eine Untersuchung aus dem letzten Jahr, der zufolge kaum mehr als zwanzig Prozent der Bevölkerung den neuen Regeln folgen, bleibt hingegen unerwähnt.

Das ist kein Zufall, sondern Methode: Was dem Trugbild von der erfolgreichen Reform widerspricht, wird verschwiegen. Und so verliert der Bericht kein Wort über den Kompromißvorschlag, den die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung unter Federführung des früheren Kommissionsmitglieds Peter Eisenberg vorgelegt hat. Kein Wort auch darüber, daß acht der angesehensten Akademien des Landes die Kultusminister eindringlich zur Umkehr aufgefordert haben. Ebenso unerwähnt bleibt, daß nicht nur die Mehrzahl der deutschen Dichter und Autoren ihren Verlagen gegenüber darauf besteht, daß ihre Werke in der alten Rechtschreibung gedruckt werden, sondern daß mittlerweile auch internationale Autoren darauf drängen, daß die Übersetzungen ihrer Bücher den alten Regeln folgen.

Nichts davon scheint die Kommission erreicht zu haben. Mit ihrem Griff nach der Macht will sie den Kultusministern weismachen, sie wolle jene Rolle einnehmen, die einst die Mannheimer Duden-Redaktion innehatte. Dabei verschweigt sie zwei wesentliche Faktoren: Zum einen hat die Duden-Redaktion das Regelwerk unserer Sprache nie vorschreiben wollen, sondern lediglich den Sprachgebrauch beobachtet und in ihr Wörterbuch aufgenommen, was sich in der Praxis durchgesetzt hatte. Zum anderen gehörte es ursprünglich zu den erklärten Zielen der Reform, das vermeintliche Monopol eines privaten Unternehmens zu brechen.

Die Beschlußvorlage sieht, auch wenn sie das Gegenteil verspricht, neue Änderungen in gravierendem Umfang vor. Was verniedlichend als „Anpassung“ und „Präzisierung“ bezeichnet wird, macht die jetzt in Umlauf befindlichen Wörterbücher unbrauchbar. Aber auch ihre Nachfolger werden nicht verläßlich sein, denn die Vielzahl der Varianten macht es sogar Deutschlehrern unmöglich, den Überblick zu behalten. Am 31. Juli 2005 soll die Übergangszeit enden, danach wird die Anwendung der alten Rechtschreibung in der Schule als Fehler bewertet. Was dem Sprachgebrauch und dem Sprachempfinden nach richtig ist, wird dann als falsch gelten. Aber welcher Lehrer wird seinem Schüler erklären können, warum er das englische Wort Teenager im Deutschen als Tee-nager trennen muß? Es ist offensichtlich: Die Rechtschreibreform ist ein Unglück. Aber sie ist keine Naturkatastrophe, in die man sich schicksalsergeben zu fügen hätte.

Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 25 vom 30. Januar 2004, Seite 1

Online: 29. Januar 2004
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Doc~E74316FF66B5948C9ACE7AAA37FEFA5E8~ATpl~Ecommon~Scontent.html


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Manfred Riebe



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Beitrag: Sonntag, 15. Feb. 2004 23:13    Titel: Kultusminister ohne Rechtschreib-Kompetenz Antworten mit Zitat

<b>Kultusminister ohne Rechtschreib-Kompetenz</b>
Kommission soll allein über Reform entscheiden / Varianten statt Änderungen

oll. FRANKFURT, 29. Januar. Künftig soll die „Zwischenstaatliche Kommission für deutsche Rechtschreibung“ über alle Änderungen selbständig entscheiden können. Das wird die Amtschefkommission „Rechtschreibung“ der Konferenz der Kultusminister (KMK) in der kommenden Woche beschließen und den Kultusministern im März vorschlagen. Nach der bisher geltenden Rechtslage brauchte die Kommission das Einverständnis der KMK, weil die am Mannheimer „Institut für deutsche Sprache“ angesiedelte Zwischenstaatliche Kommission nur ein Vorschlagsrecht hatte.

Die Kommission schlägt in ihrem vierten Bericht zur Rechtschreibreform vor, zur einzigen und letzten Instanz ernannt zu werden. Die Kommission hat den staatlichen Stellen bisher alle zwei Jahre Bericht erstattet, künftig soll das nur noch alle fünf Jahre geschehen.

„Überlastung der Politik“

Die Kultusminister wollen die Verantwortung für Sprachregelungen schon lange abgeben. Die Befassung mit Sprachregelung führe zu einer „Überlastung der Politik mit Fragen, die einer politischen Bewertung nicht zugänglich und allein fachlich zu entscheiden sind“, heißt es in der Vorlage der Amtschefkommission. Die Zwischenstaatliche Kommission sollte „die Funktion übernehmen, die zuvor von der Dudenreaktion wahrgenommen wurde“. Die Dudenredaktion hat jedoch nicht gewaltsam in die deutsche Schriftsprache eingegriffen, sondern ließ nur das zur Regel werden, was sich aus guten Gründen durchgesetzt hat.

Bis zum Jahr 1995 habe die Duden-Redaktion schließlich alle Neuerungen eigenständig beschlossen, im Vergleich dazu sei das Verfahren mit einer Zwischenstaatlichen Kommission unter Beteiligung Österreichs und der Schweiz „ungeheuer demokratisch“, sagte einer der Vorsitzenden der Amtschefkommission dieser Zeitung. Er verwies auf den Beirat, in dem Schriftstellerverbände, Verleger, der Journalistenverband und Schulbuchverlage vertreten sind. Dieser könne doch als Korrektiv wirken. Außerdem gehe es nicht um grundlegende Änderungen, sondern um eine größere Regelfreiheit.

Regelungskompetenz in staatlichen Händen

Bei der Rechtschreibreform ging es ursprünglich weniger um sprachliche Änderungen als darum, die Regelungskompetenz einem Privatverlag zu nehmen und in staatliche Hände zurückzubringen. Einhellig sind Ministerialbeamte und Minister jedoch inzwischen der Meinung, daß sich die Politik damit übernommen hat. Künftig sollen nur Änderungen von grundsätzlicher Bedeutung, etwa die Einführung der Kleinschreibung von Substantiven solle den politischen Instanzen überlassen bleiben. Dazu sei eine Änderung der Wiener Absichtserklärung vom 1. Juli 1996 zur Durchsetzung der Rechtschreibreform sowie eine andere Aufgabenbeschreibung der Kommission erforderlich, heißt es in der Vorlage.

Doch die Kultusminister sollen nicht nur beschließen, wer künftig Änderungen vornimmt, sondern sie sollen vor allem den vierten Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission mit allen darin vorgeschlagenen Änderungen amtlich machen. Außerdem soll das Regelwerk nun vom 1. August 2005 an verbindliche Grundlage für den Unterricht an allen Schulen sein. Vom 31. Juli 2005 an sollen alle Fälle alter Rechtschreibung als Fehler markiert werden. Begründet wird die endgültige Einführung damit, daß die Rechtschreibreform weitgehend akzeptiert worden sei, von den Lehrern positiv bewertet werde und 75 Prozent der Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt nach den neuen Regeln gedruckt würden. Repräsentative Untersuchungen über die Haltung zur Rechtschreibreform liegen jedoch nicht vor. In Wirklichkeit, so wenden die Kritiker der Rechtschreibreform ein, breite sich die Neuschreibung aus, weil sie den Zeitungsredaktionen aufgenötigt worden sei und einige Geschicklichkeit dazu gehöre, sie aus den Voreinstellungen der Textverarbeitungsprogramme zu entfernen.

„Vor Kurzem“ und „die Meisten“

Daß sich die Regelungen vor allem zur Getrennt- und Zusammenschreibung in ihrer Widersprüchlichkeit nicht bewährt haben, hat die Zwischenstaatliche Kommission offensichtlich selbst erkannt. Sie schlägt in ihrem vierten Bericht deshalb zahlreiche „Anpassungen“ vor. Die zahlreichen Appelle der Schriftsteller, zuletzt auf der Buchmesse im vergangenen Herbst vorgebracht, die Rechtschreibreform wegen ihrer sinnentstellenden Wirkung ganz zurückzunehmen, wurden in der Beschlußvorlage ebenso wenig berücksichtigt wie die gemeinsame Erklärung der deutschen Akademien der Wissenschaften und der schönen Künste oder der Kompromißvorschlag der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

Da die Kommission um jeden Preis vermeiden will, bisher gültige Regelungen aufzuheben oder zurückzunehmen, werden nun Varianten zu den bisherigen Regelungen zugelassen. Sie wolle mit Regelpräzisierungen und Einzelfalländerungen auf die geäußerte Kritik an der Getrennt- und Zusammenschreibung reagieren, heißt es in der Vorlage der Amtschefs. Neben „Leid tun“ soll jetzt „leidtun“ treten. Die bewährte und einzig richtige Schreibung „leid tun“ bleibt aber zumindest in der Schule falsch. Begründet wird die Zulassung der Variante damit, daß sich eine eindeutige Entscheidung für den adjektivischen oder substantivischen Gebrauch fällen lasse.

Dafür wird die Großschreibung erweitert: künftig soll es nicht nur „im Allgemeinen“, sondern auch „vor Kurzem“ und „die Meisten“ heißen. Zulassen will die Kommission auch wieder die Großschreibung fester Begriffe wie „Erste Hilfe“, was nach der gültigen Regelung falsch war. Nun soll durch eine bloße Erläuterung rückgängig gemacht werden, was jahrelang für Unmut gesorgt hatte. Selbst die Nachrichtenagenturen hatten sich von der Schreibweise distanziert. Auch die Wiederzulassung der Großschreibungen allein betrifft einige hundert Wörter, die in den Wörterbüchern korrigiert werden müßten. Die Reformer argumentieren, es handele sich eigentlich nicht um Änderungen, denn Fachsprache sei von der Reform ohnehin nicht betroffen gewesen. Die noch größere Unsicherheit der Schreibenden wird ihnen von den Reformern als „größere Freiheit“ schmackhaft gemacht.

Unverändert bleiben sollen die neuen Regeln zur Worttrennung, die sich an den Sprechsilben und nicht an Wortbestandteilen orientiert. All diese Änderungen seien, so die Kommission, möglich, ohne daß neue Wörterbücher notwendig würden, denn das wollen die Amtschefs auf keinen Fall. „Da keine Schreibweisen falsch werden und insofern weder bei Schulbüchern noch bei Rechtschreibprogrammen oder ähnlichen Erzeugnissen ein kurzfristiger Änderungsbedarf besteht, geht die Kultusministerkonferenz davon aus, daß keine besonderen Kosten entstehen werden“, heißt es in der Vorlage, die am 5. Februar von den Amtschefs verabschiedet werden soll. Doch daran gibt es erhebliche Zweifel. Sprachwissenschaftler rechnen angesichts der Menge von Änderungen damit, daß alle orthographischen Handbücher neu gedruckt werden müssen, von Schulbüchern ganz zu schweigen.

oll. (= Heike Schmoll)

Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 25 vom 30.01.2004, Seite 1 f. (Printausgabe)

Online
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Beitrag: Sonntag, 15. Feb. 2004 23:20    Titel: Sprachdiktat Antworten mit Zitat

<b>Sprachdiktat</b>
Reformen wie bei Metternich: Autoren wundert nichts mehr

Gerhard Augst, Karl Blüml, Mechthild Dehn, Peter Gallmann, Werner Hauck, Klaus Heller, Dieter Herberg, Rudolf Hoberg, Dieter Nerius, Richard Schrodt, Horst Sitta, Ulrike Steiner - so lauten die Namen der zwölf Apostel, die bislang in Anbindung an die Kultusministerkonferenz eine Botschaft in die deutschsprachige Welt hinaustragen. Acht Professoren, zwei Doktoren, ein Doktor ehrenhalber, ein Magister. Linguisten, Didaktiker, Lehrer. Sie bilden jene „Zwischenstaatliche Kommission für deutsche Rechtschreibung“, die nach eigener Aussage die Aufgabe hat, „die Umsetzung der neuen Rechtschreibung beratend zu begleiten, die Sprachentwicklung zu beobachten und auf längere Sicht wissenschaftlich begründete Vorschläge zur Weiterentwicklung des Regelwerkes zu erarbeiten“. Jetzt will sich die Kommission dieser Aufgabe völlig losgelöst von irgendwelchen lästigen Rückbindungen widmen können, Ergebnisse sollen nur noch alle fünf Jahre berichtet werden (siehe Politik).

Dieser absonderliche Plan, den nächste Woche die Amtschefs der Kulturminister absegnen sollen, führt den Gedanken der beratenden Kommissionsarbeit endgültig ad absurdum - und sorgt auf seiten derjenigen, die zuallererst mit der deutschen Sprache umgehen, für Bestürzung. Der Lyriker Reiner Kunze, an sich kein Mann des unbedachten Wortes, hat sich jetzt mit einem offenen Brief quasi auf die Barrikaden begeben. An den bayerischen Kultur- und Wissenschaftsminister Thomas Goppel adressiert, hat Kunze seinem Unmut Ausdruck verliehen: „In der Vorlage für die Sitzung der Amtschefkommission ,Rechtschreibung' am 5. Februar 2004 heißt es, die ,Zwischenstaatliche Kommission', die im Zuge der Neuregelung eingerichtet wurde, sollte im Grunde die Funktion übernehmen, die zuvor von der Dudenredaktion wahrgenommen wurde. Dagegen wäre nichts einzuwenden, handelte es sich nicht um die Kommission, die diese Reform zu verantworten hat. Sollte die Kultusministerkonferenz den Empfehlungen der Amtschefkommission folgen und das Regelwerk nach den Vorgaben des vierten Berichtes als verbindlich verabschieden, würde man in einem bedeutenden Bereich des geistigen Lebens mit Verachtung strafen, was Demokratie am nötigsten hat: engagierte Zuwendung.“ Kunze bittet den Minister am Ende um „Verständnis für den öffentlichen Briefweg - ich weiß mir keinen Rat mehr“.

Sein Münchner Kollege Hans Magnus Enzensberger ist weitaus weniger zu Artigkeiten aufgelegt, wenn er im Gespräch mit dieser Zeitung feststellt, es sei „schon merkwürdig, daß so eine Mafia überhaupt existieren kann“. Die eminent politische Frage nach dem Umgang mit der Sprache wird nach Enzensbergers Beobachtung „hinter verschlossenen Türen abgehandelt - wie zu Metternichs Zeiten“. Er werde sich aber auch künftig nicht von diesen Umtrieben beeindrucken lassen: „Wir schreiben sowieso, wie wir wollen.“ Die Berliner Schriftstellerin Monika Maron fühlt sich durch die „Entscheidungsherrlichkeit“ der Kommission gar an DDR-Zeiten erinnert: „Es ist doch idiotisch - eine Kommission, die keiner kennt und die sich hinsetzt und sagt, was Sprache ist! Wie kommt die Bürokratie denn dazu, mit ihrer üblichen Anmaßung auch noch Sprache kontrollieren zu wollen?“ Für Monika Maron fügt sich das Vorgehen der Kommission aber durchaus in die derzeit herrschende Atmosphäre in diesem Land: „Die Reglementierungswut geht mittlerweile von der Hundesteuer bis zur Elitenförderung.“

Siegfried Lenz, von Beginn an scharfer Gegner der Rechtschreibreform, quittiert die Angelegenheit mit einer gewissen Fassungslosigkeit. „Für den Fall, daß sich herausstellen sollte, daß dieses Komitee überfordert ist, wird es dann vermutlich seine Kompetenzen abgeben und eine Unterkommission einsetzen“, prophezeit Lenz durchaus bitter. Viele seiner schreibenden und lehrenden Freunde seien aber mittlerweile „wirklich verzagt gegenüber dieser blödsinnigen Art der Bürokratie, sich in so etwas wie Sprache einmischen zu wollen“. Das Gefühl, daß Linguisten und Didaktiker nicht den Alleinvertretungsanspruch auf die Ästhetik des Sprachkörpers haben sollten, ist virulent. So hat sich der Hamburger Schriftsteller Matthias Politycki immer schon gefragt, ob das die richtigen Leute dafür seien: „Es ist, als würden nicht Zahnärzte darüber befinden, welches die besten Bohrer sind, sondern Zahnpastafabrikanten.“ Politycki erinnert die „Umerziehungsmaßnahme Rechtschreibreform an die die nächste Stufe der Pflegeversicherung“.

Neidvolle Blicke gehen immer wieder zum Nachbarn Frankreich. Daß es in Deutschland kein Pendant zur Académie Française gibt, registriert nicht nur Politycki mit Bedauern. Seinem Wunsch nach einer „wohlverstandenen Elite, die sich auf Dauer dieses Themas mit Liebe annimmt und es nicht zu einer formalistischen Angelegenheit“ degradiere, stimmt im Kern auch Burkhard Spinnen zu. Auch wenn der sich längst, wie viele andere auch, mit einer selbstgebastelten „lex Spinnen“ beholfen hat. Von der neuen Regelung habe er nur die „ss-“-Schreibung übernommen - „das sieht nach außen unverdächtig aus“. Für Spinnen gleicht die Reform längst dem Kind, das in den Brunnen fiel. Er schlägt vor, die Sprache zehn Jahre sich selbst zu überlassen. Angesichts des Umstands, „daß wir im Bundestag Leute haben, die ,brauchernich' anstatt ,braucht er nicht' sagen“, erscheint ihm die endlose Variantenhuberei der Kommission als „antiquierter Kappes“.

HANNES HINTERMEIER

Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 25 vom 30.01.2004, Seite 35

Online: 29.04.2004
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Beitrag: Sonntag, 15. Feb. 2004 23:23    Titel: Fehler werden „Varianten“ Antworten mit Zitat

Rechtschreibreform
<b>Fehler werden „Varianten“</b>
Von Heike Schmoll

02. Februar 2004 In dieser Woche soll die sogenannte Zwischenstaatliche Kommission als maßgebliche deutsche Sprachinstanz von den Amtschefs der Konferenz der Kultusminister (KMK) inthronisiert werden. Die KMK müßte dann - wie so häufig - dem Beschluß der Amtschefs Anfang März nur noch zustimmen. Bisher wurde das Einverständnis der KMK für jede Änderung nötig, weil die am Mannheimer Institut für Deutsche Sprache angesiedelte Kommission nur ein Vorschlagsrecht besaß.
Es käme wohl beiden Beteiligten entgegen, wenn sich das nun änderte. Denn die Kultusminister wären die Rechtschreibreform lieber heute als morgen los, und die Zwischenstaatliche Kommission hätte ihre Machtfülle auf ein ungeahntes Maß ausgedehnt: „Die Kommission ist die zentrale Anlauf- und Schlichtungsstelle für Probleme der Orthografie im deutschen Sprachraum. Sie gibt Auskunft über Regelauslegungen (hauptsächlich über die Geschäftsstelle am Institut für Deutsche Sprache in Mannheim)“, heißt es in dem bisher geheimgehaltenen vierten Bericht, der dieser Zeitung vorliegt.

„Spürbare Erleichterungen bei den Erstlernern“

Darin verlangt sie auch die Einrichtung einer wissenschaftlichen Arbeitsstelle für Orthographie mit einem hauptberuflich tätigen Wissenschaftler im Dienste der Kommission, obwohl solche Forschung am Mannheimer Institut schon betrieben wird. Setzt sich der Wille der Kommission durch, war der vierte Bericht der letzte in der bisherigen Weise. Künftig will sie sämtliche Änderungen im Alleingang durchsetzen und den Kultusministern nur noch alle fünf Jahre von vollendeten Tatsachen berichten.

Zu Beginn des vierten Berichts wird die hohe Akzeptanz der Rechtschreibreform bekräftigt und auch behauptet, daß viele der Regelungen „spürbare Erleichterungen bei den Erstlernern gebracht“ hätten; Nachweise werden dafür jedoch nicht erbracht. Viele Grundschullehrer können diese Feststellung nicht bestätigen, sondern berichten eher, daß sich die Fehler verschoben hätten. Ob es sich bei „das“ um einen Artikel oder eine Konjunktion handelt, muß ein Schüler mit und ohne Rechtschreibreform erkennen können.

„Das 8-Fache“, „das 8fache“ oder „das Achtfache“

In allen sechs Bereichen der Rechtschreibreform (Laut-Buchstaben-Zuordnungen, Getrennt- und Zusammenschreibung, Schreibung mit Bindestrich, Groß- und Kleinschreibung, Zeichensetzung und Worttrennung am Zeilenende) werden Regelpräzisierungen, Einzelfalländerungen und die geänderte Darstellung festgelegt. Präzisierungen werden dabei möglichst nur als redaktionelle Verbesserungen ausgegeben, um die betroffenen Verlage nicht zu verunsichern. Im Fazit der Kommission, das jeweils auf die Diskussion der in den Jahren 2002 und 2003 geäußerten Kritik folgt, stellt die Kommission deshalb mit wenigen Ausnahmen immer fest, daß sie „eine Rücknahme neuer Schreibungen nicht“ befürworte. In der Tat wird die Rückkehr zu bewährten Schreibungen um jeden Preis vermieden, statt dessen von Varianten gesprochen, die so abenteuerlich aussehen können wie „das 8-Fache“. Zugelassen bleibt aber auch „das 8fache“ oder „das Achtfache“.

Von einer kostenneutralen Übernahme der jetzt vorgelegten Präzisierungen kann überhaupt nicht die Rede sein. Das bestätigt eine Äußerung des Beirats, der nicht etwa, wie von der KMK zunächst geplant, als einigermaßen unabhängiges Korrektiv wirken kann. Im Beirat sitzen Vertreter der Verlage und der sogenannten Anwender. Diesem Gremium scheint es vor allem darum zu gehen, die Neuregelung auf jeden Fall durchzusetzen, um seine Geschäftsinteressen zu verfolgen und nicht den politischen Gesichtsverlust für die Kultusminister verantworten zu müssen. Die Frage ist nur, ob der Gesichtsverlust nicht größer ist, wenn die Kultusminister sich zu den Erfüllungsgehilfen eines durchschaubaren Manövers machen, mit dem Kritik unterdrückt und die Reform durchgesetzt werden sollen. Der Beirat empfiehlt deshalb, die Änderungen so gering zu halten, daß „die Auswirkungen der Regelmodifizierungen nicht zu einer erneuten öffentlichen Infragestellung der Neuregelung führen können“.

Eingedeutschte Formen

Ausdrücklich fordert er die deutschen Vertreter der Zwischenstaatlichen Kommission auf, sich bei den staatlichen Stellen intensiv dafür zu verwenden, daß die Kultusminister „frühzeitig im Frühjahr 2004 das Paket der Präzisierungen beschließen, damit genügend Zeit für die Umsetzung in Schulbüchern, Wörterbüchern, Zeitungen, Softwareprogrammen und anderen Publikationen bleibt“.

Viele tausend Änderungen in den Wörterbüchern erfordert allein der Beschluß der Kommission, bei der Fremdwortschreibung künftig nicht mehr zwischen Haupt- und Nebenvariante zu unterscheiden und dazu noch die eingedeutschte Form an die erste Stelle zu setzen. „Portmonee“ wird also vor „Portemonnaie“ genannt, „Spagetti“ vor „Spaghetti“. Begründet wird dieser Schritt damit, daß die Schreibgemeinschaft die eingedeutschte Form „immer mehr akzeptiert und nicht selten dann sogar bevorzugt“. Wer gehofft hatte, daß die jedem Kenner der bewährten Schreibung zuwiderlaufenden Wörter wie „einbläuen, belämmern, schnäuzen, Tollpatsch“ geändert würden, irrt.

Vergrößertes Chaos

Zahlreiche neue Verbgefüge müssen in den Wörterbüchern korrigiert werden, weil die Kommission die Liste von Partikeln, die mit dem Verb zusammengeschrieben werden müssen, um 13 erweitert hat. Anstatt die Liste ganz zu öffnen, will sie nach eigener Aussage „den Charakter einer geschlossenen Liste“ aufrechterhalten und fügt deshalb „dahinter-“, „davor-“, „hintendrein-“, „nebenher-“ hinzu.

Als verläßliches Kriterium, trennbare Verben von adverbialen Fügungen zu unterscheiden, wird die Nichtunterbrechbarkeit eingeführt, was sich in der Praxis nicht bewährt. Denn die Verbpartikel „mit“ läßt sich durchaus verschieben. Wenn es etwa heißt „der Minister hat seinen Referenten oft mit auf Reisen genommen“ wird das Partikelverb „mitnehmen“ verwendet. Auch an der 1996 festgesetzten Schreibung „Pleite gehen“ und „Bankrott gehen“ wird nicht gerüttelt, sie gelte analog zu „Gefahr laufen“ und „Schlange stehen“, erläutert die Kommission, die damit das Chaos vergrößert. Denn bei „pleite und bankrott“ handelt es sich um Adjektive wie „kaputt, verloren“. Das ebenfalls grammatisch falsche „Recht/Unrecht haben“ soll ebenso beibehalten werden wie „Not tun“ und „Acht geben“ - diese Wörter tauchen aber im Bericht der Kommission gar nicht erst auf.

Gestörter Lesefluß

Wie recht die Kritiker hatten, als sie bemängelten, daß Verbindungen mit Partizipien automatisch getrenntgeschrieben werden, zeigt sich daran, daß künftig „Zeit sparend“ und „zeitsparend“ möglich sind. Eine völlig falsche Schreibung wie „Diese Methode ist Zeit sparend“ wird dadurch aber nicht aus dem Verkehr gezogen. Denn dabei handelt es sich um einen prädikativen Gebrauch, den die Kommission offenbar selbst nicht beherrscht, sonst hätte sie nicht geschrieben, daß „die Umsetzung der Rechtschreibregelung in den Korrekturprogrammen diverser Softwareproduzenten nicht zufrieden stellend sei“. Hier hätte eindeutig „zufriedenstellend“ stehen müssen.

Während es bisher auch für die Kommission selbstverständlich war, „bei weitem“ und „vor kurzem“ zu schreiben, sollen feste Verbindungen aus Präposition und dekliniertem Adjektiv künftig auch groß geschrieben werden können. Die häufig vorkommenden Fügungen „binnen kurzem“, „von nahem“, „von neuem“, „bis auf weiteres“ in Großschreibung („bis auf Weiteres“) werden die Lesbarkeit von Texten nicht erhöhen, ganz im Gegenteil.

Das gilt auch für die Zeichensetzung, die völlig ungeändert beibehalten werden soll, sowie für die Worttrennung am Zeilenende. Es stört den Lesefluß eines mitdenkenden Lesers, wenn einzelne Vokalbuchstaben am Zeilenende einfach abtrennt werden: „Ü-bergang“. Während die Trennung von „st“ in der bewährten Schreibung strikt verboten war, hat die Rechtschreibreform nach langem Vokal oder Diphtong „hu-sten“ und „hus-ten“ zugelassen. Bei kurzem Vokal will die Kommission aber nur die bisher falsche Schreibung zulassen: „fas-ten“ und „bes-te“ können also nur so getrennt werden. Wer diese „Präzisierungen“ zur Kenntnis genommen hat, kann nur zu dem Schluß kommen, daß sich am allgemeinen Schreibchaos nichts geändert hat und die Rückkehr zur bewährten Schreibung mit wenigen Änderungen dringlicher denn je wird.

Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 28 vom 3. Februar 2004, S. 3
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