| Vorheriges Thema anzeigen :: Nächstes Thema anzeigen |
| Autor |
Nachricht |
Ralf Kusmierz Gast
|
: Donnerstag, 01. Mai. 2003 16:36 Titel: Rechtschreibreform und Arbeitnehmer |
|
|
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich bin als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Ingenieurbereich an einem deutschen Universitätsinstitut angestellt. Meine Vorgesetzten verlangen von mir, daß ich Schriftstücke in der reformierten Rechtschreibung verfassen soll. Ich beherrsche diese Schreibweise aber nicht und bin auch nicht gewillt, sie zu erlernen.
Ich bitte um Stellungsnahmen dazu, ob ich überhaupt verpflichtet werden kann, Reformschreibung zu benutzen.
Ein gewisses Problem entsteht objektiv dadurch, daß Veröffentlichungen gelegentlich aus Beiträgen mehrerer Autoren bestehen. Ich kann nachvollziehen, daß es nicht akzeptabel ist, daß innerhalb eines geschlossenen Textes "gemischte" Rechtschreibung auftritt, aber andererseits sehe ich auch meine Persönlichkeitsrechte dadurch verletzt, daß mein Name als Autor mit Texten in Zusammenhang gebracht wird, mit deren Form ich mich nicht identifizieren kann.
Bitte machen Sie doch praktikable Vorschläge. Nützlich wäre beispielsweise die Veröffentlichung von Fundstellen, in denen zu arbeitsrechtlichen Fragen in diesem Zusammenhang Stellung genommen wird.
Detailprobleme bestehen beispielsweise darin, daß es nicht gerade opportun ist, eine Publikationmöglichkeit nicht wahrzunehmen, weil der Herausgeber Reformschreibung verlangt. In der Wissenschaft gilt nämlich heutzutage das Prinzip "publish or perish", die Anzahl akzeptierter Publikationen ist ein wichtiges Kriterium für das berufliche Vorankommen.
Ich möchte auch einmal einen Verdacht äußern, zu dem ich Sie ebenfalls Stellung zu nehmen bitte:
Es scheint mir irgendwelche "Geheimbefehle" zu geben, mit denen innerhalb der staatlichen Hierarchie darauf hinzuwirken versucht wird, die im Öffentlichen Dienst Beschäftigten zur Anwendung der "Amtlichen Rechtschreibung" zu zwingen, auch wenn ein sachlicher Grund dafür nicht vorliegt. Ich könnte mir vorstellen, daß dadurch "Fakten geschaffen" werden sollen, also eine Akzeptanz der Reform vorgetäuscht werden soll, die so in der Bevölkerung nicht vorhanden ist. Universitäten wären dafür sicher ein geeigneter Hebel.
Ich weiß übrigens nicht, ob dieser Beitrag jetzt an einer geeigneten Stelle im Forum erscheint, aber einen zweckmäßigeren Platz habe ich leider nicht gefunden.
Mit freundlichen Grüßen
Ralf Kusmierz |
|
| Nach oben |
|
 |
nos Gast
|
: Donnerstag, 01. Mai. 2003 21:34 Titel: Zwiespalt |
|
|
Der Ichbotschaft, auf die ich hier antworte, kann nur eine Ichbotschaft folgen.
Ausführliche Argumentation findet sich auf www.rechtschreibreform.com.
Ich war Lehrer, das heißt "nichtselbständiger" Arbeiter.
Als Angestellter in einer beliebigen Firma gilt das Wort des Chefs, Managers, Abteilungsleiters.
Das ist im Sinne der Kontinuität und zum Wohle jedweder Firma sicherlich eine saubere Regel.
In meinem Falle galt das Wort des Kultusministers, von dem bekannt ist, daß er seine Zusage zur Rechtschreibreform allzu gerne widerrufen hätte.
Er hat es aber nicht, und ich bin heute kein Lehrer mehr, weil ich nicht unterrichten kann, was "erwiesenermaßen falsch" oder "heuchlerisch richtig" ist.
Einzig an die Solidarität derjenigen kann ich appellieren, die für das Richtige eintreten und die die Lüge bekämpfen.
Leider gibt es nur wenige, die ihre Gefühle und Gedanken auf dem offenen Markt austragen, und es gibt auch immer weniger Firmenleiter, die sich an der Basis orientieren.
Paradoxerweise gehört in unserer als "Demokratie" benannten Staatsform inzwischen Mut dazu, derartiges zu äußern, wie das mein Vorgänger tat.
Alle Achtung!
Zu hoffen bleibt, daß sowohl der Beitrag meines Vorgängers als auch der meinige stehenbleiben. Das würde zumindest den Glauben an Demokratiefähigkeit nähren. |
|
| Nach oben |
|
 |
Stephanus Peil Gast
|
: Freitag, 02. Mai. 2003 09:46 Titel: Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtschreibreform |
|
|
Sehr geehrter Herr Kusmierz,
vielleicht hilft Ihnen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtschreibreform vom 14.7.1998 weiter: http://www.tu-berlin.de/fb1/AGiW/Cricetus/SOzuC1/SOVsRSR/ArchivSO/BVfG_RR.htm. Einen Ausschnitt möchte ich hier hereinstellen:
Soweit dieser Regelung rechtliche Verbindlichkeit zukommt, ist diese auf den Bereich der Schulen beschränkt. Personen außerhalb dieses Bereichs sind rechtlich nicht gehalten, die neuen Rechtschreibregeln zu beachten und die reformierte Schreibung zu verwenden. Sie sind vielmehr frei, wie bisher zu schreiben. Auch durch die faktische Breitenwirkung, die die Reform voraussichtlich entfaltet, werden sie daran nicht gehindert. Dies liegt für die Zeit bis zum 31. Juli 2005, dem Ende der für die Umsetzung der Rechtschreibreform an den Schulen geltenden regulären Übergangsfrist, auf der Hand. Solange bisherige Schreibweisen selbst im Schulunterricht nicht als falsch gelten, sondern nur als überholt gekennzeichnet werden, kann deren Verwendung auch in der allgemeinen Schreibgemeinschaft nicht zu negativen Beurteilungen führen.
Aber auch für die Zeit nach dem 31. Juli 2005 ist nicht erkennbar, daß ein Festhalten an den überkommenen Schreibweisen für den Schreibenden mit gesellschaftlichem Ansehensverlust oder sonstigen Beeinträchtigungen der Persönlichkeitsentfaltung verbunden sein könnte. Die Schriftsprache wird sich wie bisher trotz bestehender amtlicher Regeln weiterentwickeln. Traditionelle Schreibweisen werden sich noch längere Zeit erhalten und, wie dies schon im ersten Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung vom Januar 1998 für eine Reihe von Fällen vorgeschlagen worden ist, als Schreibvarianten neben den reformierten Schreibweisen verwendet werden. Allenfalls auf lange Sicht läßt sich vorstellen, daß einzelne Schreibweisen von neuen - im hier behandelten Regelwerk enthaltenen oder später hinzugetretenen - abgelöst werden, sofern sich diese im Schreibusus der Schreibgemeinschaft durchsetzen. Es ist unter diesen Umständen nicht erkennbar, inwieweit durch die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung Grundrechte derjenigen, die ihrer Schreibung die alten Regeln und Schreibweisen zugrunde legen wollen, beeinträchtigt werden könnten.
Mit freundlichem Gruß
Stephanus Peil |
|
| Nach oben |
|
 |
Ralf Kusmierz Gast
|
: Freitag, 02. Mai. 2003 18:19 Titel: Rechtschreibreform und Arbeitnehmer |
|
|
Sehr geehrter Herr Peil,
das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das übrigens auch im Original vom Gericht selbst bezogen werden kann http://www.bverfg.de/entscheidungen/frames/1998/07/14, hilft mir leider hier nur sehr wenig.
Machen Sie sich bitte im Extremfall die Situation eines Arbeitnehmers klar, der in einem Verlagsbetrieb als Redakteur arbeitet und eine von der der Geschäftsleitung abweichende Meinung zu Rechtschreibfragen vertritt. Sind Sie ernsthaft der Ansicht, daß er einen juristisch begründeten Anspruch auf Verwirklichung seiner Vorstellungen gegenüber dem Arbeitgeber geltend machen kann?
Ich jedenfalls bin nicht davon überzeugt, daß aus der Entscheidung - 1 BvR 1640/97 - Individualrechte in Arbeitsverhältnissen abgeleitet werden können. Die Problematik stellt sich doch ein wenig anders dar. In meinem Fall bin ich mir sehr sicher, daß meinen Vorgesetzten die Frage der Rechtschreibung persönlich weitgehend gleichgültig ist, sie lehnen die Reformschreibung im Grunde ab, sowohl, weil sie sie für unsinnig halten, als auch, weil die Umstellung mit unnötigen Mühen verbunden ist.
Dennoch bestehen sie jetzt hartnäckig auf ihrer Verwendung. Man muß da einfach einmal nach den Motiven fragen.
Ich sehe im wesentlichen zwei:
1. ist es eine gewisse Form des Pragmatismus, die sich in der Ansicht äußert, "das sei nun einmal so, es ist amtlich und sei eben nicht zu ändern", und man habe sich fürderhin damit zu arrangieren, je früher, desto besser.
2. gibt es aber einen sehr wesentlichen und ernstzunehmenden Einwand, den man keineswegs leichthin vom Tisch wischen kann:
Die Zeiten sind auch in der öffentlich geförderten Forschung sehr hart geworden, es ist kein Geheimnis, daß die finanzielle Ausstattung der Hochschulen nicht eben üppig ist und mit weiteren Einschränkungen gerechnet werden muß. In dieser Situation stehen die einzelnen Institute landes- und teilweise weltweit (viele Fördermittel kommen auch aus internationalen Töpfen wie beispielsweise von EU-Einrichtungen) in einem harten Verdrängungswettbewerb.
Entscheidend für das Bestehen im Wettkampf um die Mittel sind dabei die gutachterlichen Beurteilungen von Veröffentlichungen, Berichten und Anträgen. Und hier setzt mE ein fataler Mechanismus an: in einer Art voreilenden Gehorsams wird angestrebt, diese Unterlagen möglichst "gefällig" und "stromlinienförmig" zu gestalten, um ja nirgends "anzuecken". Daher ist "natürlich" im Zweifel stets die "amtliche" Schreibweise zu benutzen, auch wird darauf geachtet, daß neben der inhaltlichen Stimmigkeit "anstößige" oder ungelenke Formulierungen peinlich zu vermeiden sind.
Das geht im Einzelfall soweit, daß bei Gutachtern Listen mit Suchwörtern existieren, auf deren Vorkommen die eingereichten Texte automatisch geprüft werden, z. B. "Zweifel", "unklar" usw. Die Aufgabe der Gutachter in den Vergabeverfahren ist im Grunde unlösbar: sie haben eine Unmenge an Informationen zu prüfen und müssen dann oft in Anhörungsverfahren zu sehr komplexen Sachverhalten innerhalb einer kurzen Zeit von vielleicht zwanzig Minuten die Antragsteller zu Schwachpunkten und Unklarheiten befragen - mit Vorliebe stürzen sie sich dabei auf Textstellen, die, so unsinnig das sein mag, semantisch Mängel anzudeuten scheinen.
Zu diesen Formfragen scheint wohl auch die Orthographie-Frage zu gehören. Es ist beispielsweise nicht zu verkennen, daß Stellenbewerbern, ob in der privaten Wirtschaft oder der Industrie, geraten wird, in Ihren Bewerbungsunterlagen keinesfalls etwas anderes als Reformschreibung zu verwenden.
Natürlich sind das absurde Auswüchse, man kann sich einigermaßen sicher sein, daß auch die Kultusbürokratie genausowenig wie die Rechtsprechung oder die Kommissionsmitglieder selbst die Ansicht vertreten hätten, daß die Umsetzung der Reform in dieser Weise "auf Kommando" zu erfolgen gehabt hätte. So und nicht anders ist auch die zitierte Gerichtsentscheidung zu verstehen: Das Gericht nahm an, daß eine Rechtschreibreform für de Öffentlichkeit keine schwerwiegende Bedeutung hätte, weil es eine "amtlich geregelte Rechtschreibung" ohnehin nur mit Bindungswirkung für Schulen und Ämter geben könne.
Es hat dabei aber offensichtlich die Rolle des Gruppendrucks für das soziale Leben unterschätzt, der sich eben nicht nur in moralischen Wertungen äußert, sondern auch ganz konkret auf die Inhalte des arbeitsrechtlichen Direktionsrechts durchschlägt. Im Fall der wissenschaftlichen Veröffentlichungen ist gerade das deswegen besonders absurd, weil die Gutachter üblicherweise Personen in einer Altergruppe sind, von der man annehmen kann, daß ihr das Lesen orthographisch herkömmlich formulierter Texte gefälliger vonstatten geht und lieber ist als schreibreformierter (den kleinen Prozentsatz der prinzipiell "Fortschrittlichen" - was auch immer sie jeweils dafür halten - darf man dabei allerdings auch nicht unterschlagen). Wichtig ist aber, das sie eben das nicht äußern, deswegen nimmt auch niemand entsprechende Signale wahr.
Was ich mir vorstellen könnte, wären Anfragen, beispielsweise seitens des VRS, an Fördereinrichtungen wie die Max-Planck-Gesellschaft, die DFG und die Landeswissenschaftsministerien, ob es Vorschriften gäbe, nach denen zu beurteilende wissenschaftliche Schriften in reformierter Schreibung vorzulegen seien, und wenn nicht, ob es für die Erfolgsaussichten von Förderanträgen von Bedeutung sein könne, welche Schreibweise verwendet wird. Der Sinn wäre, die Politik dazu zu zwingen, diesbezüglich Farbe zu bekennen. Im Idealfall würden solche Anfragen dazu führen, daß, wie man es eigentlich erwarten sollte, die Unerheblichkeit der Orthographie für die inhaltliche Beurteilung öffentlich erklärt wird.
Wenn solche "amtlichen" Stellungnahmen vorliegen, kann man, gestützt auf diese, Vorgesetzte auch mal nach den sachlichen Gründen für entsprechende Dienstanweisungen fragen - das Argument, "es sei im Interesse des Instituts", kann dann wohl nicht mehr zutreffen und also auch nicht mehr für dienstliche Beurteilungen herangezogen werden.
Ich hoffe, daß das als Anregung verstanden wird. Für andere Vorschläge bin ich natürlich weiterhin offen.
Mit freundlichen Grüßen
Ralf Kusmierz |
|
| Nach oben |
|
 |
Elke Philburn
Registriert seit: 03.12.2002 Beiträge: 246 Wohnort: Manchester UK
|
: Samstag, 03. Mai. 2003 05:01 Titel: |
|
|
Lieber Ralf,
danke für die Anregung. Eine solche Anfrage könnte recht interessante Ergebnisse zutage fördern.
Werde sie mal an die übrigen Vorstandsmitglieder weiterleiten.
Gruß,
Elke |
|
| Nach oben |
|
 |
Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
|
: Freitag, 21. Nov. 2003 00:29 Titel: Wo kein Kläger, da kein Richter |
|
|
Wo kein Kläger, da kein Richter
Kulturschreiber und Anpaßschreiber
Karin Kahlert weist darauf hin, daß auch Privatpersonen unter einen Anpassungsdruck geraten, wenn sie Bewerbungen schreiben oder bei Firmen arbeiten, die die neuen Regeln anwenden. So träte ein Spaltung ein: Im privaten Bereich sei man Kulturschreiber, im Arbeitsbereich dagegen Anpaßschreiber (Karin Kahlert. In: DIE WELT 25.10.97).
Theodor Ickler meint: „Wieweit den Behördenmitarbeitern eine objektiv falsche Neuschreibung vorgeschrieben werden kann, war bisher nicht Gegenstand juristischer Klärung. In Karlsruhe ging es nur um die Schule. Es müßte also mal ein Beamter klagen.“
Theodor Ickler, 07.03.2002
http://www.vrs-ev.de/forum/viewtopic.php?t=121
Es ist nicht einmal viel Zivilcourage erforderlich, die bewährte traditionelle Rechtschreibung anzuwenden; denn jedermann kann sich als Autor auf Art. 5 GG und das Urheberrecht berufen.
Ich habe mich von 1996 bis zu meiner Pensionierung 1999 offiziell in der Lehrerkonferenz geweigert, die neue Beliebigkeitsschreibung in meinen Klassen anzuwenden. Es passierte gar nichts. Ich meine, die Kultusminister haben Angst vor einem Gerichtsverfahren; denn damit entstünde Öffentlichkeit. Sollten Dienstvorgesetzte dennoch Zwangsmaßnahmen anwenden, könnte ein Beamter auch klagen. Aber wo kein Kläger ist, ist auch kein Richter.
Artikel 5 Grundgesetz
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.
__________________
Eine Zensur findet nicht statt; es sei denn, daß gesetzliche Vorschriften dies gestatten. Die Rechtschreibreform kam aber unter Umgehung der Parlamente, d.h. ohne Gesetz zustande, beruht lediglich auf Erlassen und steht daher auf tönernen Füßen. |
|
| Nach oben |
|
 |
|
Powered by phpBB © 2001, 2002 phpBB Group
|