Günter Schmickler
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: Donnerstag, 24. Apr. 2008 22:11 Titel: Die "Besorgnis" in der Presse |
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Die „Besorgnis“ in der Presse
Auf der Startseite von VR-Web befindet sich heute (24.04.08) in den Nachrichten eine dpa-Meldung mit der Überschrift “BND-Chef wegen Reporter-Bespitzelung im Kreuzverhör“ In dieser Meldung stach mir der folgende Satz ins Auge: „Der FDP-Innenpolitiker Max Stadler bezeichnete den Fall im Sender n-tv als äußerst Besorgnis erregend“.
Die Orthographie einiger Nachrichtenagenturen sollte mittlerweile selbst bei Anhängern der Rechtschreibreform Besorgnis erregen.
Vor 1996 galt der Zustand eines Kranken, wenn „das Schlimmste“ zu befürchten war, als „besorgniserregend“. Diese Zusammensetzung wurde sowohl vom Duden als auch vom Wahrig als Adjektiv eingeordnet. Die „Besorgnis“ erhielt allerdings ihre Selbständigkeit zurück, wenn ein Adjektiv vorangestellt war: eine große Besorgnis, eine ernste Besorgnis erregende Krankheit.
Im Jahre 1996 verordneten die Reformer die Wortgruppe „Besorgnis erregend“ als obligatorische Schreibweise mit der abstrusen Begründung, daß durch die Zusammensetzung kein Artikel eingespart würde; man könne ja nicht sagen: „Er leidet an einer die Besorgnis erregenden Krankheit“. Es blieb allerdings bei der herkömmlichen Zusammensetzung, wenn ein Steigerungsadverb vorangestellt war: ein „sehr besorgniserregender“ Zustand, eine „höchst besorgniserregende“ Krankheit.
Diese Neuregelung wurde, vom offiziellen „Inkrafttreten“ an gerechnet, nur 2 Jahre alt. In der 22. Auflage des Duden (2000) wurde – hinter dem Rücken der Kultusminister – die herkömmliche Zusammensetzung „besorgniserregend“ auch ohne Steigerung wiederzugelassen, allerdings nur als Fakultativschreibung. Bei einer Steigerung blieb sie obligatorisch.
Icklers „Deutsche Einheitsorthographie“ (1999) enthält für Gegner der Rechtschreibreform eine kleine Überraschung: „besorgniserregend“ werde prädikativ und bei Steigerung zusammengeschrieben. Daraus könnte man ja schließen, bei attributivem Gebrauch sei die Getrenntschreibung geboten: ein Besorgnis erregender Zustand. Sollte Professor Ickler dies als „allgemeinen Schreibgebrauch“ ermittelt haben? Ich kann mich mit diesem Gedanken nicht anfreunden.
In der 24. („reformiert-reformierten“) Auflage des Duden (2006) bleibt es dabei, daß man die freie Wahl hat zwischen „Besorgnis erregend“ und „besorgniserregend“, allerdings wird die Zusammensetzung durch gelbe Unterlegung als empfehlenswert hervorgehoben. In diesem Punkt stimmt Duden sogar mit seinem Hauptkonkurrenten überein: Auch Wahrig empfiehlt in seiner Ausgabe von 2006 „besorgniserregend“. Duden und Wahrig weisen auch übereinstimmend darauf hin, daß bei Steigerung nur die zusammengeschriebene Version geboten ist.
Bei allem Hickhack um die Zusammen- oder Getrenntschreibung waren die Zusammensetzung „besorgniserregend“ und ähnliche Wortbildungen im Falle der Steigerung nie in Frage gestellt. Viele Berufsschreiber sind allerdings der „Übergeneralisierung“ verfallen und haben eine ausgesprochene Vorliebe für zerlegte Komposita entwickelt. Google zeigt 2300 Fundstellen für „besonders Besorgnis erregend“, 1600 Fundstellen für „sehr Besorgnis erregend“, 713 Fundstellen für „äußerst Besorgnis erregend“, 234 Fundstellen für „noch Besorgnis erregender“, 103 Fundstellen für „höchst Besorgnis erregend“ und immerhin noch 66 Fundstellen für „überaus Besorgnis erregend“.
Ein großer Teil dieser Fundstellen entfällt auf die die Presse. |
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