Günter Schmickler
Registriert seit: 11.05.2003 Beiträge: 310 Wohnort: 53842 Troisdorf
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: Mittwoch, 09. Nov. 2005 14:40 Titel: Re: Verbot der Fraktur: Ziel und Wirklichkeit |
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Manfred Riebe hat folgendes geschrieben: | Verbot der Fraktur: Ziel und Wirklichkeit
Ich möchte niemanden indoktrinieren. Ich gebe daher Originalquellen an, aber auch verschiedene Kommentare, so daß sich jeder sein eigenes Bild machen kann. Siehe z.B. den Strang „Die „gotische“ oder deutsche Schrift (Sütterlin, Fraktur)“: http://www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?p=1156#1156
1. Zum Verbot der deutschen Schrift
Die Bezeichnung „Verbot der deutschen Schrift durch Adolf Hitler“ überwiegt in der Literatur. Einige Beispiele:
* Heeger, Heinrich: Das Verbot der deutschen Schrift durch Adolf Hitler im Lichte einer schriftgeschichtlichen Betrachtung. In: Die deutsche Schrift, Heft 55, Sonderheft, Winter 1977
* Delbanco, Helmut: „Das Verbot - (k)ein Blitz aus heiterem Himmel“. In: „Die deutsche Schrift“, Heft 64 (Frühjahr 1981)
* Professor Theodor Ickler spricht in seinem Buch „Regelungsgewalt“ ebenso von einem Verbot. http://www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?p=3132#3132
* Auch Professor Günther Pflug, der ehemalige Vorsitzende der „Gesellschaft für deutsche Sprache“ (GfdS) schreibt: „Einen entscheidenden Einschnitt brachte das Jahr 1941. Im Januar dieses Jahres wurde auf Veranlassung von Adolf Hitler persönlich die Fraktur als Schrift in Deutschland verboten.“ http://www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?p=3108#3108
* Antiqua-Fraktur-Streit - http://de.wikipedia.org/wiki/Antiqua-Fraktur-Streit
2. Zur Durchsetzung des Verbots
Hinsichtlich der Durchsetzung des Verbots ergibt sich ein differenziertes Bild. In dem Artikel:
Schriftenstreit. Das Ende der „Deutschen Schrift“ - www.geschichte.schleswig-holstein.de/vonabisz/schriftenstreit.htm - wird veranschaulicht, daß das Verbot keineswegs überall und sofort durchgesetzt wurde. |
Wenn „in der Literatur“ die Bezeichnung „Hitlers Verbot der deutschen Schrift“ überwiegt, so besagt das über die Richtigkeit dieser Bezeichnung überhaupt nichts – wie prominent die jeweiligen Autoren auch sein mögen. Bekanntlich gibt es ja auch „erlauchte Geister“, die uns weismachen wollen (und womöglich sogar selbst daran glauben), das Wort „leid“ in der Wendung „Es tut mir leid“ sei ein Substantiv und müsse deshalb groß geschrieben werden. Die von Manfred Riebe aufgeführten „Quellen“ bestätigen nur, was ich schon einmal aus dem Klappentext zum „Lexikon der populären Irrtümer“ (Walter Krämer und Götz Trenkler) zitiert habe: “Selbst aufgeklärte Zeitgenossen laufen immer wieder in die Falle, die uns durch andauernde Wiederholung zum alltäglichen Wissen gewordene Irrtümer stellen.“
Wie aber ist es zu erklären, daß wir „in der Literatur“ so häufig auf die irreführende Behauptung stoßen, Hitler habe die Fraktur- und die Sütterlinschrift verboten? Ich habe hierzu folgende Vermutungen:
1. Vielleicht gehören die Autoren zu den „Spätgeborenen“, die keine eigenen Erinnerungen an die Nazizeit haben können. Ich selbst habe die Schriftumstellung als Schulkind erlebt, kann mich aber noch auf viele Einzelheiten (sogar Kleinigkeiten) besinnen.
2. Vermutlich haben die Autoren in ihrer Bibliothek keine Bücher, die in den Jahren nach 1941 noch in Fraktur gedruckt wurden. Ich besitze eine ganze Reihe solch „alter Schinken“.
3. Ich gehe davon aus, daß die Autoren nicht den in der Büchergilde Gutenberg erschienenen Band „1945 WIE DER KRIEG ZU ENDE GING“ (Herausgegeben von Thomas Friedrich) kennen.
4. Vielleicht hat nicht einmal jeder der von Manfred Riebe genannten Autoren den Text des angeblichen „Verbotserlasses“ (Hitler-Bormann-Erlaß) gelesen.
Unzweifelhaft ist es mit dem Wesen eines totalitären Staates nicht zu vereinbaren, daß er ein Verbot erläßt und es dann seinen Untertanen freistellt, ob überhaupt, wann und in welchem Umfang sie dieses Verbot einzuhalten geruhen. Allenfalls wäre es nachvollziehbar, wenn die Staatsmacht bei dem einen oder anderen holsteinischen Provinzblättchen „ein Auge zugedrückt“ hätte. Selbst solch eine Kulanz gegenüber bäuerlichen Dickschädeln wäre schon verwunderlich genug gewesen, wenn man bedenkt, welchen Stellenwert damals ein „Führerbefehl“ hatte. Es waren aber mitnichten nur bedeutungslose Provinzblätter, die selbst in den letzten Kriegswochen noch in Fraktur gedruckt wurden, sondern auch ein Teil der in der Reichshauptstadt Berlin herausgegebenen „Kampfpresse“ (Der Angriff/Nachtausgabe, Berliner Morgenpost u. a.), mit trotzigen Überschriften wie „Heldenhafter Widerstand unserer Soldaten in der großen Abwehrschlacht um Berlin“. Der „Heldentod“ des Führers wurde am 2. Mai 1945 von der „Hamburger Zeitung“ (Nr. 102) in Fraktur – also in „Judenlettern“ (!) – dem deutschen Volke kundgetan. Allein dies sollte genügen, die These von „Hitlers Verbot der Fraktur“ ad absurdum zu führen.
Ebenso beachtenswert ist die Tatsache, daß noch im Jahre 1944 das Reichserziehungsministerium die Herausgabe von Schulbüchern genehmigte, die in den angeblich 3 Jahre zuvor verbotenen „Judenlettern“ gedruckt waren.
Spätestens angesichts solcher Fakten müßten eigentlich Zweifel an der „Verbotsthese“ aufkommen. Da empfiehlt es sich, soweit noch nicht geschehen, den Text des angeblichen „Verbotserlasses“ mal unter die Lupe zu nehmen. Und siehe da: Von einem Verbot kann eigentlich gar keine Rede sein. Die Nazis waren offenkundig schlau genug, um zu erkennen, daß ein solches nicht durchsetzbar gewesen wäre und daß es eines langen Atems braucht, um einen Plan wie die vollständige Beseitigung der alten Schrifttradition zu verwirklichen. Darum also kein „Verbot“, sondern realisierbare Einzelmaßnahmen während einer Übergangszeit, deren Dauer nicht absehbar war („nach und nach“, „sobald es schulbuchmäßig möglich ist“ etc.).
Nun mag jemand einwenden, es sei doch Haarspalterei, darüber zu streiten, ob die Nazis den deutschen Schriften durch „Verbot“ oder durch „stufenweise Verdrängung“ den Garaus machen wollten. Für das Endergebnis sei dies eh Jacke wie Hose. Diesem Einwand würde ich entgegenhalten, daß die irrige Annahme, Hitler habe die deutschen Schriften verboten, weitere Irrtümer nach sich zieht. Zum einen verleitet sie vor allem junge Leute zu dem Trugschluß, bereits mit dem Jahre 1941 sei der Gebrauch von Fraktur und Sütterlin beendet gewesen. So Bastian Sick (Zwiebelfisch) in seinem Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ (Seite 173): „ .....der Frakturschrift, die vom 16. Jahrhundert an bis etwa 1940 im deutschen Buch- und Zeitungsdruck verwendet wurde.“ Vermutlich würde der junge Bastian Sick es nicht schaffen, bis zum Ende seines Lebens noch alle Bücher zu lesen, die nach 1940/41 in Frakturdruck erschienen sind.
Zum anderen verführt die unkritische Hinnahme der „Verbotsthese“ zu einer falschen Kausalität. Wenn heutzutage die deutschen Schriften fast völlig aus dem Alltagsgebrauch verschwunden sind, so ist dies nur vordergründig auf den Hitler-Bormann-Erlaß zurückzuführen. Der eigentliche Grund für das vollständige Obsiegen der lateinischen Schriften liegt darin, daß diese nach dem Kriege wegen ihrer internationalen Verbreitung von einer großen Mehrheit der Bevölkerung für nützlicher und zweckmäßiger als die deutschen Schriften angesehen wurden.
Auch diese Unterschiede sind selbstverständlich nur für einen kleinen Kreis von Sprachinteressierten von Belang. Wer sich jedoch für die Geschichte von Sprache und Schrift interessiert, hat Anspruch darauf, richtig informiert zu werden. |
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