Hilfe Zurück zur Hauptseite
Hilfe Beiträge der letzten 14 Tage zeigen
Hilfe Hilfe
Suchen Suchen
Benutzerliste Benutzerliste
Benutzergruppen Benutzergruppen
Profil Profil
Einloggen Einloggen
Registrieren Registrieren

Duden: Die deutsche Rechtschreibung. 23. Auflage, 2004

 
Neuen Beitrag schreiben   Auf Beitrag antworten    VRS Foren-Übersicht -> Wörterbücher
Vorheriges Thema anzeigen :: Nächstes Thema anzeigen  
Autor Nachricht
Ulrich Brosinsky



Registriert seit: 09.08.2004
Beiträge: 155
Wohnort: Weinstadt

Beitrag: Mittwoch, 25. Aug. 2004 16:42    Titel: Duden: Die deutsche Rechtschreibung. 23. Auflage, 2004 Antworten mit Zitat

Außerhalb jeder rigiden Ahndung
In dieser Woche erscheint der neue Duden. Für mehr Klarheit wird er nicht sorgen


Reinhard Markner

Die neue Rechtschreibung endlich amtlich!" Das verheißt die Banderole, die um den "Duden 2004" geschlungen ist. Nun war die reformierte Rechtschreibung seit jeher "amtlich", wie sich schon dem Titel des Regelwerks von 1996 entnehmen ließ. Amtlich - man könnte auch sagen: aktenkundig - wird nicht die Reform der deutschen Rechtschreibung, sondern die Reform dieser Reform, jedenfalls deren erste Stufe.

5 000 "neue Wörter" soll der wie stets knallgelbe Band enthalten. Gemeint sind neue deutsche Begriffe wie zum Beispiel Christopher Street Day, Payroll, Slowfood, Starterkit oder Workflow. Nicht gemeint sind die zahllosen altmodischeren Wörter, die nun, nach acht Jahren, von Staats wegen rehabilitiert sind. Man erkennt die meisten von ihnen an dem diskriminierenden Zusatz "auch": "hoch bezahlt, auch hochbezahlt", "nichts sagend, auch nichtssagend".

Die viel geschmähte, auch vielgeschmähte neue Getrenntschreibung, ihr ambitioniertestes Projekt, ist den Reformern zerbröselt. Das zeigt der neue Duden deutlich, wenn auch nicht mit letzter Konsequenz. So hat die Mannheimer Redaktion zwar "dahinterkommen" und "davorschieben" ersatzlos an die Stelle von "dahinter kommen" und "davor schieben" gesetzt, sie bleibt aber bei der Unterscheidung zwischen "hier bleiben" und "dableiben". Das wäre nicht nötig gewesen. Denn die Liste der als Verbzusätze zugelassenen "Partikeln" ist Anfang Juni nicht nur um "dahinter", "davor" und einige andere Adverbien ergänzt, sie ist darüber hinaus geöffnet worden. Die Folgen dieser Maßnahme für die endlich vorläufig endgültige neue deutsche Rechtschreibung sind schwer abzusehen, für den Duden kam sie offenbar zu spät. Hunderte von Wörtern könnten betroffen sein, hier sind sie indes noch nicht berücksichtigt.


Ein Ratschlag für Schüler

Eins ist immerhin klar: Alle Bemühungen, die Daseinsberechtigung des Wortes "sogenannt" zu leugnen, waren vergebens. In den letzten Jahren führte es eine klandestine Existenz unter der Abkürzung "sog." Jetzt kommt es wieder zutage (auch zu Tage), und man soll die sogenannte neue Rechtschreibung auch offiziell wieder so nennen dürfen. Jedenfalls wahlweise.

Ist das ein Fortschritt? Viele halten die amtliche Rechtschreibung für progressiv, denn sie ist ja "neu" und "reformiert". Aber die Zerschneidung unzähliger Schreibungen in zwei oder sogar drei Stücke ("hier zu Lande") war von vornherein eine zutiefst reaktionäre Maßnahme. Die Reformer wollten nicht nur die Regeln der Getrennt- und Zusammenschreibung grundlegend verändern, sie wollten zugleich der Tendenz zur Wortverschmelzung begegnen. Das war gleichbedeutend mit der Absicht, die Sprachentwicklung auf diesem Gebiet nicht nur aufzuhalten, sondern sogar teilweise rückgängig zu machen. Inzwischen gibt man sich bescheidener. Die Getrennt- und Zusammenschreibung, so heißt es in der letzten Wortmeldung der vor ihrer Auflösung stehenden Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung, sei "äußerst schwierig in Regeln zu fassen". Sie müsse "in ganz besonderer Weise [. . .] sowohl offen als auch außerhalb jeder rigiden Ahndung im schulischen Bereich bleiben".

Darauf sollte sich jeder Schüler berufen, dem eines der offiziell immer noch verbotenen Verben wie zum Beispiel auseinandersetzen, fertigstellen oder kennenlernen angestrichen worden ist. Der neue Duden kennt nur die gespaltenen Schreibungen. Er schreibt ferner vor: "wohl tönend, auch wohltönend", aber nur "wohltuend", "Rad fahrend" oder jetzt auch wieder "radfahrend", aber weiterhin nur "Rad fahren" und wie immer schon "das Radfahren". Für die Schule ist das alles aus Sicht der Urheber dieser Bestimmungen letztlich irgendwie irrelevant: "Getrennt- und Zusammenschreibung kann auf Grund seiner Komplexität, Kompliziertheit und Offenheit nicht Gegenstand eines eng normierenden schulischen Rechtschreibunterrichts bzw. schulischer Fehlerkorrektur sein." Eine grammatisch verrutschte, inhaltlich aber nicht unberechtigte Feststellung. Es dürfte allerdings schwierig sein, sie in didaktische Handlungsanweisungen zu überführen.

Komplex, kompliziert und offen - das ist die amtliche deutsche Rechtschreibung und ihr Schicksal. Eine vergleichende Übersicht, die dem eigentlichen Wörterverzeichnis des neuen Dudens vorangeht, zeigt es. Nicht einmal hier ist es der Redaktion gelungen, alte und neue Rechtschreibung korrekt darzustellen. Als neue Schreibung gilt allein "heiß geliebt", als alte allein "Fußballänderspiel". Das ist falsch, aber vielleicht sollten diese durchaus bezeichnenden Versehen keine allzu "rigide Ahndung" erfahren. Sie wäre aufzusparen für jene Bereiche, in denen der Nonsens der Rechtschreibreform weiterhin ungebremst tobt, man denke nur an die Silbentrennung: Buche-cker, Fol-klore, Hemis-phäre, Jugos-lawe, Pä-diatrie oder Päd-iatrie oder Pädi-atrie oder Pädia-trie oder Pädiat-rie. Hier sah die Zwischenstaatliche Kommission "keinen Änderungsbedarf", die von ihr gegängelte Duden-Redaktion auch nicht. Die Reform der Reform ist tief greifend, auch tiefgreifend, aber noch lange nicht abgeschlossen. Es bleibt beim "Missstand" und seiner möglichen Kaschierung als "Miss-Stand", es bleibt beim "Onestepp", dessen "engl." Herkunft und Aussprache eine andere Schreibung fordert, es bleibt bei den grammatisch falschen Großschreibungen "Pleite gehen" und "heute Morgen".


Tarnsprache

Die Duden-Redaktion schreibt zum letztgenannten Fall: "Die Bezeichnungen von Tageszeiten nach Adverbien wie gestern', heute', morgen' werden als Substantive angesehen und großgeschrieben." Das ist Tarnsprache. Gemeint ist: Die betreffenden Wörter sind, wie wir sehr wohl wissen, mitnichten Substantive, und es kommt ihnen daher auch keine Großschreibung zu. Aber eine im staatlichen Auftrag handelnde Kommission hat anders entschieden, und wir glauben uns deren Anordnungen nicht widersetzen zu können.

Es gelte "nicht so sehr die Rechtschreibung zu reformieren, als vielmehr die Reformer zu kurieren", hat der langgediente, inzwischen verstorbene Duden-Chef Günther Drosdowski einmal geschrieben. Das allerdings war und ist aussichtslos; er selbst ist daran jedenfalls gescheitert. In der jetzigen Situation gilt es nicht so sehr die reformierte Rechtschreibung zu reformieren, als vielmehr die deutsche Sprache zu kurieren, die an diesem fehlgeschlagenen Experiment Schaden genommen hat. Der Heilungsverlauf wird schwierig sein und sich voraussichtlich längere Zeit hinziehen. Wem an einer raschen Besserung gelegen ist, wird nicht zum neuen Duden greifen.

Duden. Die deutsche Rechtschreibung. 23., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Herausgegeben von der Dudenredaktion. Dudenverlag Mannheim, Leipzig, Zürich, Wien 2004. Geb. 1152 S. 20 Euro.

Mittwoch, 25. August 2004 www.berlinonline.de/berliner-zeitung/feuilleton/370315.html
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Manfred Riebe



Registriert seit: 23.10.2002
Beiträge: 2840
Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg

Beitrag: Donnerstag, 26. Aug. 2004 10:53    Titel: Plädoyer für die Rechtschreibreform Antworten mit Zitat

Plädoyer für die Rechtschreibreform
________________________________

Nicht für ewig zementiert

Neuer Duden: Ein Plädoyer für die Rechtschreibreform

Die Duden-Redaktion rechnet ungeachtet der anhaltenden Diskussion nicht mit einer Rücknahme der Rechtschreibreform und setzt dafür Zeichen: Soeben ist die neueste Auflage des wichtigsten deutschen Wörterbuchs erschienen.

MANNHEIM — Eigentlich wollte Matthias Wermke bei der Präsentation der 23. Duden-Ausgabe nur die Vielzahl von neuen Wörtern, wie „Moin Moin“, „Zickenalarm“ oder „googeln“, und die Aussprachehilfe in der CD-ROM-Fassung vorstellen. Der Leiter der Duden-Redaktion änderte jedoch kurzfristig seine Strategie und hielt ein Plädoyer für die Rechtschreibreform: Schluss mit dem Gelehrtenstreit, Festhalten an der Reform und hin zur fortwährenden Überprüfung der Schreibung, lautete die Botschaft des Sprachexperten. „Auch Rechtschreibregeln sind nicht für die Ewigkeit zementiert.“

Für das Duden-Team gehört der Umgang mit der Veränderung der Sprache zum Alltagsgeschäft. Mit den neuen Schreibregeln befasst sich das Standardwerk der deutschen Rechtschreibung bereits seit 1996, als die Reform beschlossen wurde. Der aktuelle Duden ist damit schon die dritte Auflage, in die die neuen Regeln aufgenommen worden sind.

In der 22. Auflage aus dem Jahr 2000 wurden neben allen neuen auch die herkömmlichen Schreib- und Trennweisen aufgeführt. 5000 Wörter wurden neu aufgenommen, darunter „Gutmensch“, „Waschbrettbauch“ und SMS“. Aktuell sind Wörter dabei wie „Billigflieger“, „Ich-AG“, „Minijob“, „Fotohandy“ oder „Genmais“. Wie viele Wörter seit Beginn der Reform im Jahr 1996 verändert wurden, ist nicht bekannt.

Eindeutige Sprache

Trotz der anhaltenden Diskussion über die Rechtschreibreform hat sich die Auflagenhöhe bei dem Standardwerk vom Jahr 2000 zur aktuellen Ausgabe nicht verändert. Genaue Angaben will der Verlag allerdings nicht machen. Diese Tendenz spreche eine eindeutige Sprache: „Die Basis der Rechtschreibung an den Schulen wird erreicht.“ Damit komme auch der neue Duden bei seiner Zielgruppe an. Nach derzeitigem Stand soll die neue Rechtschreibung in den Schulen ab 1. August 2005 verbindlich gelten.

„Man sollte nicht nur die Bild, FAZ und Martin Walser nehmen, um Sprache zu überprüfen“, forderte Wermke. „Wenn es stimmt, dass an den Schulen die neue Rechtschreibung leichter zu vermitteln ist, dann kann es nur heißen, dabei zu bleiben.“ Der geplante Rat für deutsche Rechtschreibung, der im Sommer 2005 die Entwicklung der Sprache begleiten soll, wird von den Mannheimer Sprachexperten daher ausdrücklich begrüßt.

Trotz der heftigen Debatten in Politik und Verlagen rechnet Wermke nicht mit einem Stopp der Reform. „Das ist ein Gelehrtenstreit und führt an den Anwendern vorbei“, ist sich der Sprachexperte sicher. „Die Rechtschreibung eignet sich nicht für Dauerexperimente. Wir müssen bei dem bleiben, was wir jetzt haben.“ Den neuen Duden gibt es ab Freitag in den Buchhandlungen. Die 23. Auflage ist mit 125 000 Stichwörtern die bislang umfangreichste in der fast 125-jährigen Geschichte des Dudens.

Informationen im Internet:

www.duden.de

VON BERND GLEBE (dpa)

Neu in der 23. Auflage des Duden ist auch „googeln“ als Synonym für die Internetsuche. Foto: Reuters

Nürnberger Nachrichten Nr. 197 vom 26. August 2004
www.nn-online.de/artikel.asp?art=233155&kat=3
___________________________________________

Anmerkungen:

Im Klassik-Radio hieß es gestern, die 23. Duden-Auflage sei wesentlich umfangreicher und enthalte 125.000 Wörter, davon seien 5.000 neu.
Wermke sagte, die Reformkritiker hätten verschwiegen, daß jahrzehntelang an der Duden-Orthogrophie herumgenörgelt worden sei. Die FAZ, der Spiegel und der Springer-Konzern müßten sich doch bald an die neue Schreibweise anpassen. Damit mischt sich der Duden in die Politik ein, ergreift Partei und setzt sich für die Verhunzung der Schriftsprache ein. Hier spielt womöglich eine Rolle, daß die Reformbetreiber, das Institut für deutsche Sprache (IDS) und die Zwischenstaatliche Kommission für deutsche Rechtschreibung, ebenfalls in Mannheim angesiedelt sind.

Gestern soll Wermke im Fernsehen gesagt haben, der Duden gebe die Sprache der großen Mehrheit des Volkes wieder. Ich bin am genauen Wortlaut interessiert.

Was würde dazu wohl sein Amtsvorgänger, der ehemalige Duden-Chef, der Rechtschreibreformer Günther Drosdowski sagen? Vgl. www.vrs-ev.de/forum/viewtopic.php?t=236

Hochmut kommt vor dem Fall. Mit größerem Recht könnte Theodor Ickler behaupten, sein Wörterbuch gebe die Sprache der großen Mehrheit des Volkes wieder.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden E-Mail senden Webseite dieses Benutzers besuchen
Ulrich Brosinsky



Registriert seit: 09.08.2004
Beiträge: 155
Wohnort: Weinstadt

Beitrag: Donnerstag, 26. Aug. 2004 11:55    Titel: Goethes Geburtstag Antworten mit Zitat

Duden

Kommentar


von Dankwart Guratzsch

Ausgerechnet Goethes 255. Geburtstag hatte sich das Deutsche Bibliographische Institut in Mannheim für die offizielle Auslieferung des neuen Duden ausgesucht. Wenn der Verlag damit bekunden wollte, dass er es mit der Orthographie nicht mehr so genau nehmen und sich dichterische Freiheiten bei den Schreibweisen erlauben möchte, so war das Datum gut gewählt. Doch man muss wohl eher vermuten, dass er in eine selbst gestellte Falle getappt ist. Denn das Buch stellt ein Unikum dar - und niemand weiß, ob es jemals Gültigkeit erlangt. Fachleute haben nachgerechnet, dass es mehrere Tausend neue Schreibweisen anordnet oder freistellt, weil die reparaturbedürftige neue Rechtschreibung nach immer neuen "Reformen der Reform" verlangt. Zum Teil wird bereits die klassische Rechtschreibung wieder hergestellt - aber eben nur halbherzig, was die Konfusion komplett macht. Für die größte Verwirrung sorgt der neue Duden selbst, weil er viele der aus den beigegebenen Regeln ablesbaren Änderungen selbst gar nicht umsetzt, als glaubten die Redakteure selbst nicht mehr an die Anordnungen der Zwischenstaatlichen Kommission. Diese wiederum, von den Kultusministern schon halb abgesetzt, soll im September durch einen neuen Rat für deutsche Rechtschreibung abgelöst werden, in dem auch ausgewiesene Kritiker der Reform Platz finden sollen. Erklärte Aufgabe dieses Gremiums soll es sein, die neue Rechtschreibung weiter zu korrigieren - ein Drama ohne absehbares Ende.

Die qualvolle Prozedur entkräftet ein Hauptargument gegen die von den großen Verlagen eingeleitete Rückkehr zur klassischen Orthographie: die Rückkehr sei "unbezahlbar". Zum "alten" Duden zurückzukehren kann nicht teurer sein, als ständig einen neuen zu drucken. Wenn die Neuauflage wenigstens diese Einsicht befördern sollte, käme ihr ein unschätzbares Verdienst zu.

DIE WELT / Forum, Artikel erschienen am Mi, 25. August 2004
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Ulrich Brosinsky



Registriert seit: 09.08.2004
Beiträge: 155
Wohnort: Weinstadt

Beitrag: Donnerstag, 26. Aug. 2004 12:04    Titel: Buch der Verwirrung Antworten mit Zitat

Das Buch der Verwirrung

Der neue Duden zwischen klassischer und neuer Rechtschreibung


von Dankwart Guratzsch

Frankfurt/Main - In manchen Buchhandlungen war er unter der Hand schon seit einigen Tagen zu bekommen. Heute wird er in Mannheim offiziell vorgestellt: der neue Duden. Selten in der Geschichte dieses Standardwerkes ist die Edition schon im Voraus so umstritten gewesen wie jetzt. Denn die Neuauflage macht die Verwirrung komplett. Obwohl das Nachschlagewerk in neuer Rechtschreibung erscheint, enthält es schon wieder ungezählte neue Schreibvarianten und verbindliche Neuschreibungen, mit denen die neue Rechtschreibung ein weiteres Mal verbessert werden soll.

Viele dieser Neuschreibungen erlauben die Rückkehr zu klassischen Schreibweisen, andere führen völlig neue Varianten ein. Und in dieser Form soll die neue Rechtschreibung im Sommer 2005 verbindlich werden. Schüler, die diese Reform der Reform dann nicht beherrschen, bekommen jedes falsch geschriebene Wort als Fehler angestrichen.

Schon im Frühjahr hatte der Erlanger Sprachwissenschaftler Theodor Ickler vorausgesagt, dass die neuerliche "Reform der Reform" etwa 3000 bisher nicht gestattete Schreibweisen betrifft. Die Zahl hatte Ickler aus einer Wörterliste für den Buchstaben "D" ermittelt, in der die geplanten Änderungen exemplarisch vorgeführt worden waren. Icklers Zählung hatten sowohl die Kultusminister als auch die Mitglieder der Mannheimer Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung heftig widersprochen und unterstrichen, es handle sich überwiegend nur um "Präzisierungen und Ergänzungen". Kein einziges Buch müsse neu gedruckt werden.

Nun liegt mit dem Duden bereits das erste neu gedruckte Buch vor und stößt die Beschwichtigungsversuche über den Haufen. Der Erlanger Wirtschaftswissenschaftler Christian Dörner hat den Neududen durchforstet und kommt zu der Einschätzung, dass noch "weit mehr als 3000 Schreibweisen neu zugelassen und verbindlich vorgeschrieben worden sind". In akribischer Untersuchung musste er feststellen, dass nicht einmal der Duden selbst die neuen Schreibweisen durchgängig anwendet, die in den beigegebenen Regeln dekretiert werden.

Da sich die mehreren Tausend neuen Schreibweisen bislang auf dieses eine Wörterbuch beschränken, wird es immer fraglicher, ob der Einführungstermin Sommer 2005 für die neue Neuschreibung gehalten werden kann. Es kommt hinzu, dass schon jetzt von weiteren Änderungen und Anpassungen die Rede ist, die ein Rat für deutsche Rechtschreibung vornehmen soll, den die Kultusminister im September berufen wollen.

Möglicherweise ist dies auch der Grund dafür, dass andere Wörterbuchverlage mit dem Druck von Neuauflagen zögern. Andererseits zeichnet sich als immer unausweichlicher ab, dass sämtliche Wörterbücher neu gedruckt werden müssen, weil die im Duden wiedergegebenen Regeländerungen dies erzwingen.

Inzwischen beginnt sich auch in Österreich und der Schweiz der Widerstand von unten gegen die Reform zu formieren. Als erste österreichische Zeitungen kehren das Massenblatt "Kronen Zeitung" und das Magazin "News" zur klassischen Rechtschreibung zurück. SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer sieht "keinen Sinn" in den neuen Schreibregeln und bemerkt amüsiert: " Wozu, bitte, brauchen wir etwas, das niemand haben will und an das sich niemand hält?"

In der Schweiz haben die renommierten Schweizer Monatshefte die Kehrtwende vollzogen, nach dem sie schon im November 2003 ein ganzes Themenheft dem "Fehlkonzept Rechtschreibreform" gewidmet hatten.

DIE WELT Rubrik: Politik/Deutschland, Artikel erschienen am Mi, 25. August 2004
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Ulrich Brosinsky



Registriert seit: 09.08.2004
Beiträge: 155
Wohnort: Weinstadt

Beitrag: Freitag, 27. Aug. 2004 21:33    Titel: Komplizierterer Duden Antworten mit Zitat

Ich nehme an, daß die Reformer ursprünglich die etwas komplizierte Unterscheidung von Adjektiv und Partizip umgehen wollten, indem sie deren Gleichbehandlung vollzogen (mit den bekannten Folgen).
Auch im Icklerschen Wörterbuch ist das entsprechende Kapitel ein grammatisches und müßte eigentlich ausgelagert werden. (Man könnte z.B. aus dem Wörterverzeichnis und dem orthographischen Regelwerk heraus auf ein gesondertes Kapitel "Orthographie und Grammatik" verweisen.) Es geht ja um grammatische, nicht um orthographische Zweifelsfälle.
Nun ist das komplizierte Thema wieder in die offiziellen Regeln durch die Hintertür der sogenannten "Präzisierungen" hineingeraten. Das Schlimme dabei ist: der Duden setzt es falsch um. Dadurch entsteht ein Zustand, der komplizierter ist als der bisherige. Ein Schüler, der von seinem Lehrer den Satz Er versuchte radfahrend den Hund wieder einzufangen nicht angekreidet bekommt, muß doch folgerichtig schließen, daß er radfahren grundsätzlich zusammenschreiben darf. Duden muß also schleunigst eine Neuauflage herausbringen.

Stephan Fleischhauer

Forumsbeitrag auf www.rechtschreibreform.com vom 27.08.2004 11:32  
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Manfred Riebe



Registriert seit: 23.10.2002
Beiträge: 2840
Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg

Beitrag: Samstag, 28. Aug. 2004 09:19    Titel: Das unmögliche Wörterbuch Antworten mit Zitat

„Ein Desaster für den Deutschunterricht
und für die Schulbuchverleger“

_________________________________________________________

Der neue Duden
Das unmögliche Wörterbuch

Von Theodor Ickler

<i>27. August 2004 Unmittelbar vor dem Ende der Rechtschreibreform einen neuen Duden herauszubringen ist zweifellos mutig. Der Bertelsmann-Verlag verzichtet vorläufig darauf, seine „Deutsche Rechtschreibung“ neu zu bearbeiten. Er reagiert damit auf den Beschluß der Kultusminister vom Juni dieses Jahres, erstmals die amtliche Neuregelung in wesentlichen Teilen zu verändern, und will in anderen Publikationen sogar zur bewährten Rechtschreibung zurückkehren.</i>

Der neue Duden muß längst in Arbeit gewesen sein, als bekannt wurde, daß die Änderungen sich nicht im Rahmen des vierten Berichtes der Rechtschreibkommission halten sollten. Dieser Bericht war nach breiten Protesten der Öffentlichkeit überraschenderweise nicht verabschiedet worden. Die Verfasser suchten daraufhin ihr Heil in einer überstürzten Rettungsaktion, die sich hauptsächlich als unendliche Vermehrung der Varianten auswirkt, in einigen Bereichen jedoch zu einer grundsätzlichen und folgenreichen Umkehr geführt hat.

I. Die neuen Regeln

Äußerlich scheint zunächst alles beim alten zu bleiben („Duden“. Die deutsche Rechtschreibung. 23., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Mannheim 2004. 1152 S., geb., 20,- [Euro]) . Dem Wörterverzeichnis sind in bewährter Weise die von der Dudenredaktion formulierten Richtlinien vorangestellt, diesmal als Kennziffern K 1 bis K 169 durchnumeriert. Die Zahl entspricht also beinahe den 171 orthographischen Richtlinien des alten Duden (die übrigen galten anderen Problemen); der Versuch, durch geänderte Numerierung eine Verminderung der Regeln vorzutäuschen, wird nicht noch einmal unternommen.

Am Ende des Bandes ist laut Ankündigung der „unveränderte und vollständige ,Teil I: Regeln‘ der amtlichen Neuregelung“ abgedruckt. Das entspricht aber nicht der Wahrheit. Man findet dort vielmehr gerade den in zentralen Bereichen stark veränderen Regeltext. Da die amtliche Neufassung der Regeln - falls die vor ihrer Auflösung stehende Kommission sie überhaupt schon fertiggestellt hat - noch nicht veröffentlicht ist, läßt sich nicht beurteilen, ob der Text, der übrigens in abweisend winziger Schrift gesetzt ist, den Absichten der Kultusminister entspricht. Das gilt auch für die vielen geänderten Wörterbucheinträge. In der Einleitung zum Gesamtwerk ist nur von „Präzisierungen und Ergänzungen“ die Rede, ganz im Sinne der kultusministeriellen Sprachregelung. In Wirklichkeit machen die Änderungen alle zwischen 1996 und 2004 veröffentlichten Wörterbücher wertlos.

II. Die neuen Stichwörter

Die Dudenredakteure dürften wissen, daß mit diesem Wörterbuch die letzte Runde der Rechtschreibreform eingeläutet ist. Sie spielen die orthographischen Probleme nach Möglichkeit herunter und werben statt dessen mit den obligaten „5000 neuen Wörtern“. Die hohe Zahl der „125 000 Stichwörter“ geht natürlich vor allem auf das Konto von orthographisch unergiebigen Zusammensetzungen. Im Duden-Universalwörterbuch, das nun wohl auch bald neu erscheint, haben über 5000 weibliche Personenbezeichnungen (Erbsenzählerin, Kolonnenspringerin, Schrotthändlerin) andere, wichtigere Wörter verdrängt. So weit geht der Rechtschreibduden noch nicht, doch findet man auch im vorliegenden Band entlegene Einträge wie Ziegelbrennerin, deren Schreibweise, wenn sie denn je in Frage stünde, sich von selbst ergibt.

III. Die Regelergänzungen

Auf das Vorwort folgt eine Liste der „wichtigsten Regelergänzungen“. Darin fehlt jedoch eine Änderung, die wahrscheinlich sogar die meisten redaktionellen Eingriffe verursacht hat: Die sogenannte Variantenführung ist aufgegeben, das heißt, alle Schreibweisen eines Wortes sind nun gleichberechtigt. Es war ja auch nicht einzusehen, warum Geographie gegenüber Geografie den Vorzug verdienen sollte, während es sich bei Pornografie und Pornographie gerade umgekehrt verhielt. Dafür sind nun die Neuschreibungen stets an erster Stelle angeführt, was gewiß den Eindruck erwecken soll, sie seien die moderneren und besseren. So steht Epoche machend vor dem erst jetzt wiederzugelassenen epochemachend. Bei blutreinigend und blutstillend ist allerdings ein Fehler unterlaufen: die herkömmliche Schreibung ist Hauptstichwort, und die Getrenntschreibung - in beiden Fällen objektiv fragwürdig - folgt als neue, rotgedruckte Variante.

IV. Getrennt- und Zusammenschreibung

Damit wenden wir uns der ersten wirklich auffallenden Änderung zu, der Getrennt- und Zusammenschreibung, die man zu Recht das Kuckucksei der Reform genannt hat. Paragraph 34, der die „trennbaren Verben“ behandelt, ist weitgehend neu gefaßt. Unter dem Eindruck der sprachwissenschaftlichen Kritik wird erstmals der Begriff des „Verbzusatzes“ eingeführt und das Kriterium der Betonung sowohl in die Regel als auch in die Erläuterungen aufgenommen. Die Liste der hundert Verbzusätze ist nicht nur um weitere Partikeln vermehrt, sondern außerdem geöffnet, so daß sie nunmehr mit einem ominösen „usw.“ schließt. Da es um obligatorische Zusammenschreibung geht, kann man nur richtig schreiben, wenn man weiß, auf welche Wörter sich diese Vorschrift erstreckt. Noch im Frühjahr 2004 hatten die Reformer gegenüber ihren Auftraggebern darauf bestanden, die Liste müsse geschlossen bleiben, um nicht der Beliebigkeit Tür und Tor zu öffnen. Die nachträgliche, hastig eingearbeitete Änderung verrät sich an linkischen Formulierungen. Auf überstürzten Abschluß der Arbeiten deutet auch ein redaktioneller Fehler bei § 47 hin, wo die Erläuterung einfach den Wortlaut des Paragraphen wiederholt. So „amtlich“, wie er sich gibt, kann der Text nicht sein.

Auf den Kopf gestellt wird ferner die Neuregelung von Zusammensetzungen mit einem Partizip gemäß § 36. Dieser umfangreiche Paragraph ist nun erst recht unverständlich, aber der Duden bringt das Entscheidende dankenswerterweise in die klarere Fassung der Richtlinie K 58: Während es bisher hieß, partizipiale Fügungen würden ebenso behandelt wie die zugrunde liegenden Verben, kann man sie nun auch wieder zusammenschreiben, und zwar nicht nur die steigerbaren, die unterderhand schon längst wiederhergestellt sind (aufsehenerregend), sondern auch die umfangreiche Restgruppe (blutsaugend). Nicht unbedingt vorhersehbar war, daß dies auch für Zusammensetzungen mit dem Partizip Perfekt gelten soll (verlorengegangen). Beides zusammen ergibt Hunderte von wiederhergestellten Wörtern (siehe Kasten).

Heil bringend, auch heilbringend

Es ist also - ungeachtet des vielen Rotdrucks - auf den ersten Blick alles wieder so wie vor der Reform, denn selbstverständlich schrieb man seit je, daß zum Beispiel die blutsaugenden Tiere frisches Blut saugend ihr Leben fristen. Allerdings waren die Bedingungen, unter denen getrennt beziehungsweise zusammengeschrieben wurde, früher klarer, denn jetzt wird zu Unrecht völlige Austauschbarkeit suggeriert. Einer der Gründe, warum die „Varianten“ keineswegs gleichwertig sind, wird vom Duden regelmäßig unterdrückt: bei prädikativem Gebrauch (. . . ist Epoche machend) wäre die Getrenntschreibung ungrammatisch. Dasselbe gilt für jene vielen Zusammensetzungen, die um der gesamthaften Steigerung willen wiedereingeführt sind: „Heil bringend, auch heilbringend“.

Unentbehrliche Wörter wie schwerbehindert sollten zuerst beseitigt, dann unter Hinweis auf ihre „Fachsprachlichkeit“ wiederhergestellt werden; nun genügt die Ableitung von K 58. Auch das Allerweltswort sogenannt gibt es wieder, die Auseinanderreißung ist nicht mehr verbindlich. Aber auch hier darf nicht wie früher zwischen sogenannten Reformen und von manchen Leuten nur so genannten unterschieden werden - ein eklatanter Verlust an Deutlichkeit. Für anspruchsvollere Autoren und Leser ist die nochmals neu geregelte Sprache so unbrauchbar wie die vor acht Jahren konstruierte.

In welches logische Dilemma die hastig geänderte Neuregelung führt, zeigt das folgende Beispiel: Verbindungen wie leichtverletzt waren 1996 gemäß § 36 zugunsten der Getrenntschreibung beseitigt worden. Nun werden sie wieder zugelassen, wenn das Partizip „adjektivisch gebraucht“ wird (was immer das heißen mag; eine Erklärung sucht man vergebens). Liegt als zweiter Bestandteil aber tatsächlich ein echtes Adjektiv vor, so ist nur Getrenntschreibung zulässig: leicht verdaulich, schwer löslich. Das ist an sich schon paradox; hinzu kommt aber noch, daß gerade das verbotene leichtverdaulich oft gesamthaft gesteigert wird (noch leichtverdaulicher) und damit seine adjektivische Qualität beweist.

V. Kennziffer 58

Trotz der ungeheuren Zahl wiederbelebter Wörter bleibt noch viel zu tun, denn die Revision ist bei weitem nicht konsequent durchgeführt. K 58 erweist sich als schwarzes Loch, in dem zahllose Schreibverbote auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Es gibt keinen Grund, großgeschrieben (in jeder Bedeutung) auszusparen, nachdem fettgedruckt, großgedruckt und das Kleingedruckte bereits wiederhergestellt sind. Zum eisernen Bestand der Reform gehört die Vorschrift, Zusammensetzungen mit Wörtern auf -einander und -wärts nicht mehr zuzulassen; und diese Regel wird ausdrücklich beibehalten, in der Anwendung aber von K 58 überspielt: aufeinanderfolgend, übereinanderliegend, auswärtsgerichtet, aufwärtsfahrend und viele andere sind wieder da. Das ist für jeden Kenner der Reform eine der größten Überraschungen.

Um so weniger ist einzusehen, warum dieselbe systematische Ausnahme nicht auch für die besonders willkürliche Bestimmung gelten soll, keine Zusammensetzungen mit Adjektiven auf -ig, -lich und -isch zu bilden: fertiggestellt etwa. Eine weitere Ausnahme von der Ausnahme ergibt sich bei Verbindungen der Positionsverben mit bleiben und lassen: sitzengeblieben, stehengelassen und so weiter sind nicht angeführt, obwohl sie gemäß K 58 korrekt sind.

VI. Paragraph 34

Die Folgen für die Schule liegen auf der Hand: Deutschlehrer, die im Wörterverzeichnis nach fertiggestellt, saubergehalten oder sitzengeblieben suchen, finden zwar nichts, aber sie werden sich hüten, solche Schreibweisen als falsch anzustreichen, denn für einen intelligenten Schüler oder dessen rechtskundige Eltern sind sie aus K 58 ableitbar. All dies mag in der nächsten Auflage nachgeholt werden, und erst dann ist der Zustand, wie er vor der Reform zur allgemeinen Zufriedenheit herrschte, vollständig wiederhergestellt. A propos: wiederherstellen darf laut neuester Dudeneinsicht nur zusammen-, wiederherrichten dagegen nur getrennt geschrieben werden, und bei wiederaufbereiten ist beides möglich. Es gibt Dutzende von unvorhersehbaren Entscheidungen dieser Art allein bei wieder-, wohl- und hoch-.

In Fällen wie offengesagt wird Zusammenschreibung sogar entgegen dem bisher Üblichen neu eingeführt. Menschenverachtend wird ausdrücklich wieder zugelassen, das auf einem grammatischen Irrtum beruhende Menschen verachtend aber immer noch nicht aufgegeben. Hier besteht weiterer Änderungsbedarf. An mehreren Stellen wird ausdrücklich das bisher verpönte Bedeutungskriterium wieder eingeführt. Vollgefressen darf man zusammenschreiben, wenn es „dickleibig“ bedeutet, sonst nicht.

Damit haben die Reformer ihren allerdings recht seltsamen Grundsatz aufgegeben, die Schreibweise „nicht mit semantischen Informationen belasten“ zu wollen - als ob es beim Sprechen und Schreiben um etwas anderes ginge als Bedeutungsvermittlung. Wer hätte übrigens gedacht, daß schmerzstillend anders geschrieben wird als blutstillend, nämlich nur zusammen? Dieselbe Unterscheidung findet man bei kostendeckend gegenüber Kosten senkend, kräftezehrend und Kräfte raubend. Vielleicht hat die Redaktion keine Zeit mehr gehabt, diese Unstimmigkeiten auszuräumen - in einem Leitwörterbuch der deutschen Orthographie stiften sie Verwirrung.

Abschließend kann man zu diesem Bereich sagen: Durch die Neufassung von § 34 werden Hunderte von „richtigen“ Getrenntschreibungen falsch, durch den neuen Paragraphen 36 werden ebensoviele „falsche“ Zusammenschreibungen wieder richtig. Die Folgen sind dieselben, ein Desaster für den Deutschunterricht und, nebenbei bemerkt, auch für die Schulbuchverleger, die immer noch verblendet genug sind, die Revision für harmloser zu halten als die entschlossene Rückkehr zur bewährten Rechtschreibung, wie sie im ganzen zwanzigsten Jahrhundert üblich war und immer noch allgemein bekannt ist.

VII. Groß- und Kleinschreibung

Ein weiterer Stein des Anstoßes war die reformierte Groß- und Kleinschreibung. Im Deutschen werden feste Begriffe in zunehmendem Maße groß geschrieben, weit über das laut Duden zulässige Maß hinaus: Erste Hilfe, Schneller Brüter usw. Dieser modernen Entwicklung stemmte sich die Reform entgegen, indem sie generelle Kleinschreibung verordnete: erste Hilfe, schwarzes Brett, hohes Haus. Sogar die reformwilligen Nachrichtenagenturen verweigerten hier die Gefolgschaft.

Die Reformer wollen nun für den Gebrauch „in manchen Fachsprachen“ die abgeschaffte Großschreibung fester Begriffe wieder zulassen. Bereits in der Einleitung wird darauf hingewiesen, daß zum Beispiel der Goldene Schnitt wieder erlaubt sei. Schlägt man jedoch im Wörterverzeichnis nach, so scheint die Botschaft dort noch nicht angekommen zu sein, denn es wird, gerade unter Hinweis auf den fachsprachlichen Gebrauch („Math.“) ausschließlich Kleinschreibung erlaubt. Dasselbe gilt für das gelbe/Gelbe Trikot, die aktuelle/Aktuelle Stunde, die erste/Erste Hilfe, der letzte/Letzte Wille, die neuen/Neuen Medien und viele Ausdrücke, die nicht schon im Duden-Regelwerk angeführt sind. Die Umarbeitung des Wörterbuchs wurde hier anscheinend vorzeitig abgebrochen.

Übrigens ist der Begriff der Fachlichkeit so weit gefaßt, daß eigentlich alles darunterfällt. Eine besonders knapp geratene Anfrage mag kleine Anfrage, ein mißfarbener Star grauer Star genannt werden, aber darum geht es hier natürlich nicht; die fraglichen Ausdrücke sind per se fachsprachlich und daher groß zu schreiben. Der systematische Unterschied zwischen Erster Hilfe und irgendeiner besonders früh geleisteten ersten Hilfe läßt sich mit der Reformschreibung weiterhin nicht zum Ausdruck bringen.

Mit der bereits seit Jahren angekündigten Ausweitung der Großschreibung (bei Weitem, von Neuem, das Meiste) wirft die nochmals reformierte Reform die Sprachentwicklung bis tief ins neunzehnte Jahrhundert zurück. Die Neuregelung wirkt nach wie vor willkürlich und überflüssig (zu Nutze, zu Schulden kommen lassen, andererseits zurate, vonseiten und so weiter); teilweise bleibt sie grammatisch falsch (Pleite gehen, Recht haben, Leid tun). Die Revision wurde nicht als Gelegenheit genutzt, wenigstens die gröbsten Irrtümer zu beseitigen. Mit der Frage, aufgrund welches Paragraphen jenseits von gut und böse neuerdings klein geschrieben werden muß, könnte man eine gesellige Runde einen ganzen Abend lang beschäftigen.

VIII. Die Silbentrennung

Die Silbentrennung hat sich infolge der Reform vom wahrhaft marginalen Bereich zum Hauptstreitobjekt entwickelt. Die Konkurrenten auf dem Wörterbuchmarkt wetteiferten jahrelang darin, wer die meisten neuen Trennstellen verzeichnet: a-brupt, as-tigmatisch, Fide-ikommiss, Hämog-lobin, Pog-rom. Nach dem Sinn der Silbentrennung wurde gar nicht mehr gefragt. Auf diesem Weg in die Barbarei geht der neue Duden weiter als je zuvor.

Es ist schon früh gezeigt worden, daß die scheinbare Vereinfachung in Wirklichkeit zu neuen Problemen führt. Wer Tonsil-lektomie, Hyste-rektomie, Mas-tektomie; A-narchie, Hie-rarchie, Oli-garchie; Res-pekt, Epis-kop und so weiter trennt, wie es der Duden vorsieht, gibt sich erstens als Stümper zu erkennen und läßt sich zweitens die Einsicht in den wahren Aufbau der Fremdwörter entgehen. Auf lange Sicht wäre es ökonomischer, sich die Bestandteile -ektomie, -archie, -spekt, -skop und so weiter anzueignen, um sie in entsprechenden Wortreihen wiederzuerkennen und anzuwenden. Mit Lektomie, Rektomie, Tektomie, Narchie und Rarchie kann man nichts anfangen. Indem das Wörterbuch solchen Unsinn gleichberechtigt neben die morphologisch korrekten Trennungen stellt, tut es dem ratsuchenden Benutzer keinen Gefallen, sondern verweigert ihm die Auskunft, um derentwillen er überhaupt nachschlägt.

IX. Etymogeleien

Die Dudenredaktion hat jedoch weiterhin nicht den Mut, den Absurditäten der Neuregelung entgegenzutreten. An den „Etymogeleien“, die ausschließlich auf das Konto des Reformers Gerhard Augst gehen, wird nichts geändert. Wer künftig sprachrichtig einbleuen, schneuzen oder Zierat schreibt, macht einen „Fehler“. Man muß schreiben mit behänden Schritten, mag es noch so widersinnig sein. Die Dreibuchstabenregel wird durch empfohlene Bindestriche ihrer Lächerlichkeit überführt: Eisschnell-Läufer usw. Die deutschtümelnde Zusammenschreibung englischer Fremdwörter bringt so unerfreuliche Gebilde hervor wie Slidingtackling, Suddendeath. Eigennamen werden von der Reform nicht angetastet, daher bleibt die Litfaßsäule unverändert.

Manche Kultusminister werden wohl erst durch den vorliegenden Band erkennen, worauf sie sich eingelassen haben. Es ist zu hoffen, daß die Sprachgemeinschaft, die aus sicherem Instinkt das ganze Reformprojekt stets abgelehnt hat, sich nicht mehr ernsthaft mit den jüngsten Einfällen einer Kommission beschäftigen muß, deren Inkompetenz der neue Duden so überdeutlich bloßlegt.

_________________________________________________________________

Wiederhergestellte Wörter

Vieles von dem, was in der letzten Auflage des Duden noch als falsch galt, ist jetzt wieder erlaubt. Allein im Bereich der Zusammenschreibung sind zahlreiche bewährte Schreibweisen wiederhergestellt:

achtunggebietend, alleinerziehend,

alleinseligmachend, allgemeinbildend, aufsehenerregend, datenverarbeitend, doppeltwirkend, eisenverarbeitend,

erfolgversprechend, feuerspeiend, fleischfressend, getrenntlebend,

gleichlautend, handeltreibend, hilfesuchend, nichtssagend, treusorgend, vielversprechend, zähfließend; bekanntgeworden, braungebrannt, breitgefächert, feingemahlen, festgefügt, heißbegehrt, neubearbeitet, quergestreift, selbstgedreht, übelberaten, zartbesaitet und so weiter.
_________________________________________________________________

<i>Der Autor lehrt Sprachwissenschaft an der Universität Erlangen.</i>

Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 200 vom 28. August 2004, S. 33

www.faz.net/s/Rub1DA1FB848C1E44858CB87A0FE6AD1B68/Doc~
E08C774F72CDF4EFF831EFD77820C5183~ATpl~Ecommon~Scontent.html
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden E-Mail senden Webseite dieses Benutzers besuchen
Manfred Riebe



Registriert seit: 23.10.2002
Beiträge: 2840
Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg

Beitrag: Sonntag, 12. Sep. 2004 21:43    Titel: Schlag nach im Jubiläumsduden Antworten mit Zitat

Schlag nach im Jubiläumsduden
Amtlicher Mummenschanz


Eines muß man dem neuesten Duden lassen: Er registriert nicht nur den „schnelllebigen“ Modewortschatz der deutschen Sprache. Wer nachschlägt, findet nach wie vor „Schildbürgerstreich“ und „Köpenickiade“, wobei die kurzen Bedeutungsangaben jedoch nicht den Kern der Sache treffen. Letzteres bezeichnet mehr als einen „tollen Streich“, nämlich die Amtsanmaßung in einer obrigkeitshörigen Untertanengesellschaft, und bei „Spießbürgerstreich“ sollte „Akt bornierten Banausentums“ stehen - mit „Spießern“ hat das wenig zu tun. Das ist nicht nur von wortgeschichtlichem Interesse. Beide Bezeichnungen bieten sich an, um das Wesen der urdeutschen Rechtschreibreform auf den Punkt zu bringen. Welche aber ist die angemessenere? Ein Aspekt fehlt freilich in beiden: die ideologische Verbohrtheit, die hier am Werke ist. Ein Gedanke scheint noch niemandem gekommen zu sein. Wie wäre es, wenn die Reformer oder vielleicht nur Gerhard Augst als ihr Mastermind weiter nichts vorhatten, als die demokratische Zuverlässigkeit und die individuelle Charakterfestigkeit der Deutschen zu testen? In den letzten Wochen hat sich die ARD nach Kräften mit ihren manipulierten Fernsehdiskussionen bemüht, den amtlichen Mummenschanz noch einmal in dreister Neuauflage unter die Bürger dieser Republik zu bringen. Nein, das alles ist nicht das Werk von Schildbürgern, die perfide Hintergrundregie verrät ein durchtriebenes Konzept. Eher verhalten sich einige Mitläufer so, wie man es selbst Schildbürgern nicht zutrauen sollte. Eine Köpenickiade will zu Schilda so recht nicht passen, so etwas gibt es nur bei uns. Ein ganz besonderer Schildbürgerstreich ist jedoch die 23. Auflage des Rechtschreibduden - ein teures Wörterbuch der Schul- und Behördenorthographie, das bewußt Dreiviertel der Deutschschreibenden als Benutzer und folglich auch als Käufer ausschließt. Aber selbst die Schreiber unter der Knute der staatlichen Regelungsgewalt werden wenig Lust verspüren, nach diesem merkwürdigen Ratgeber zu greifen. Wo die Beliebigkeit zum Grundprinzip der Normierung erhoben wird, verliert die Rechtschreibung nun wirklich ihren Schrecken. Nach der historischen Köpenickiade hat Majestät im Berliner Stadtschloß herzhaft gelacht. Das wird - demokratisch verallgemeinert - hoffentlich auch das Ende des gegenwärtigen „tollen Streichs“ sein.

12.9.2004 Jan z Lasu
www.rechtschreibreform.com/Perlen/KraftBank/KraftBank.pl?SunSep1220:31:30CEST2004
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden E-Mail senden Webseite dieses Benutzers besuchen
Manfred Riebe



Registriert seit: 23.10.2002
Beiträge: 2840
Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg

Beitrag: Dienstag, 14. Sep. 2004 09:06    Titel: Der neue Duden (2004) Langfassung Antworten mit Zitat

Der neue Duden (2004) - Anfang
Das unmögliche Wörterbuch


(Eine gekürzte Fassung erschien in der FAZ vom 28.8.04)

Duden: Die deutsche Rechtschreibung. 23., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Mannheim u. a. 2004. 1152 S., geb., 20,00 Euro.

Unmittelbar vor dem Ende der Rechtschreibreform einen neuen Duden herauszubringen ist zweifellos mutig. Der Bertelsmann-Verlag verzichtet vorläufig darauf, seine „Deutsche Rechtschreibung“ neu zu bearbeiten. Er reagiert damit auf den Beschluß der Kultusminister vom Juni dieses Jahres, erstmals die amtliche Neuregelung in zentralen Bereichen zu verändern, und will in anderen Publikationen sogar zur bewährten Rechtschreibung zurückkehren. Der neue Duden muß längst in Arbeit gewesen sein, als bekannt wurde, daß die Änderungen sich nicht im Rahmen des vierten Berichtes der Rechtschreibkommission halten sollten. Dieser Bericht war nach breiten Protesten der Öffentlichkeit überraschenderweise nicht verabschiedet worden. Die Verfasser suchten daraufhin ihr Heil in einer überstürzten Rettungsaktion, die sich hauptsächlich als unendliche Vermehrung der Varianten auswirkt, in einigen Bereichen jedoch zu einer grundsätzlichen und folgenreichen Umkehr führt.

Äußerlich scheint zunächst alles beim alten zu bleiben. Dem Wörterverzeichnis sind in bewährter Weise die von der Dudenredaktion formulierten Richtlinien vorangestellt und wie in der vorigen Auflage als Kennziffern K 1 bis K 169 durchnumeriert. Die Zahl entspricht also ziemlich genau den 171 orthographischen Richtlinien des alten Duden (die übrigen galten anderen Problemen); der Versuch, durch geänderte Numerierung eine Verminderung der Regeln vorzutäuschen, wird nicht noch einmal unternommen.

Am Ende des Bandes ist laut Ankündigung der „unveränderte und vollständige 'Teil I: Regeln' der amtlichen Neuregelung“ abgedruckt. Das entspricht aber nicht der Wahrheit. Man findet dort vielmehr gerade den in zentralen Bereichen stark veränderten Regeltext. Da die amtliche Neufassung der Regeln – falls die vor ihrer Auflösung stehende Kommission sie überhaupt fertiggestellt hat – noch nicht veröffentlicht ist, läßt sich nicht beurteilen, ob der Text, der übrigens wiederum in abweisend winziger Schrift gesetzt ist, den Absichten der Kultusminister entspricht. Das gilt auch für die vielen geänderten Wörterbucheinträge. In der Einleitung zum Gesamtwerk ist nur von „Präzisierungen und Ergänzungen“ die Rede, ganz im Sinne der kultusministeriellen Sprachregelung. In Wirklichkeit machen die Änderungen alle zwischen 1996 und 2004 veröffentlichten Wörterbücher wertlos.

Die Dudenredakteure dürften wissen, daß mit diesem Wörterbuch die letzte Runde der Rechtschreibreform eingeläutet ist. Sie spielen die orthographischen Probleme nach Möglichkeit herunter und werben statt dessen mit den obligaten „5.000 neuen Wörtern“. Die hohe Zahl der „125.000 Stichwörter“ geht natürlich vor allem auf das Konto von orthographisch unergiebigen Zusammensetzungen. Einiges stammt aus dem unerschöpflichen Fundus des Vulgären: fremdficken, die Verarsche. Hinzu kommen die Stammformen starker Verben (glitt, ritt), die erstmals als eigene Einträge geführt sind. Im Duden-Universalwörterbuch, das nun wohl auch bald neu erscheint, haben über 5.000 weibliche Personenbezeichnungen (Erbsenzählerin, Kolonnenspringerin, Schrotthändlerin) andere, wichtigere Wörter verdrängt. So weit geht der Rechtschreibduden noch nicht, doch findet man auch im vorliegenden Band entlegene Einträge wie Ziegelbrennerin, Voltairianierin oder mechanisch hinzugefügte weibliche Personenbezeichnungen wie Globalisierungsgegnerin, Globetrotterin und Glockengießerin. Politisch korrekt (und neu) ist außerdem der Hinweis, daß man Schokokuss sagen soll und nicht N...kuss; auch unter Mohrenkopf und dem selten verwendeten Mohrenwäsche steht „oft als diskriminierend empfunden“ – ein Zusatz, der wohl kaum auf tatsächlicher Beobachtung beruht. Berliner und Frankfurter darf man weiterhin ungerügt essen. Wie in früheren Ausgaben straft der Duden die Nazigrößen Hitler, Goebbels und Göring (alle orthographisch relevant) sowie SA und SS durch Nichterwähnung, während Lenin, Stalin, Honecker und der SSD der DDR eingetragen sind – eine wenig souveräne Art der Vergangenheitsbewältigung.

Auf das Vorwort folgt eine Liste der „wichtigsten Regelergänzungen“. Darin fehlt jedoch eine Änderung, die wahrscheinlich sogar die meisten redaktionellen Eingriffe verursacht hat: Die sogenannte Variantenführung ist aufgegeben, das heißt, alle Schreibweisen eines Wortes sind nun gleichberechtigt. Es war ja auch nicht einzusehen, warum Geographie gegenüber Geografie den Vorzug verdienen sollte, während es sich bei Pornografie und Pornographie gerade umgekehrt verhielt. Dafür sind nun die Neuschreibungen stets an erster Stelle angeführt, was gewiß den Eindruck erwecken soll, sie seien die moderneren und besseren. So steht Epoche machend vor dem erst jetzt wiederzugelassenen epochemachend. Bei blutbildend, blutreinigend, blutsaugend, blutstillend, Chansonnier, Ordonnanz, weitgehend sowie halbblind und ähnlichen Zusammensetzungen ist allerdings die herkömmliche Schreibung Hauptstichwort, und die Getrenntschreibung folgt als neue, rotgedruckte Variante.

Damit wenden wir uns der ersten wirklich auffallenden Änderung zu, der Getrennt- und Zusammenschreibung, die man zu Recht das Kuckucksei der Reform genannt hat. Paragraph 34, der die „trennbaren Verben“ behandelt, ist weitgehend neu gefaßt. Unter dem Eindruck der sprachwissenschaftlichen Kritik wird erstmals der Begriff des „Verbzusatzes“ eingeführt und das Kriterium der Betonung sowohl in die Regel als auch in die Erläuterungen aufgenommen. Die Reformer hatten sich bisher dagegen gewehrt, daß die Betonung als „ein der gesprochenen Sprache entnommenes Kriterium auf die geschriebene Sprache angewendet werden soll“ (so der Reformer Burkhard Schaeder).

Die Liste der hundert Verbzusätze ist nicht nur um weitere Partikeln vermehrt (dahinter, darauf/drauf, darauflos/drauflos, darin/drin, darüber/drüber, darum/drum, darunter/drunter, davor, draus, hinter, hinterdrein, nebenher, vornüber), sondern außerdem geöffnet, so daß sie nunmehr mit einem ominösen „usw.“ schließt. Da es um obligatorische Zusammenschreibung geht, kann man nur richtig schreiben, wenn man weiß, auf welche Wörter sich diese Vorschrift erstreckt. Noch im Frühjahr 2004 hatten die Reformer gegenüber ihren Auftraggebern darauf bestanden, die Liste müsse geschlossen bleiben, um nicht der Beliebigkeit Tür und Tor zu öffnen. Die nachträgliche, hastig eingearbeitete Änderung verrät sich noch an der linkischen Formulierung: „Zusammensetzungen aus Partikel + Verb mit den folgenden ersten Bestandteilen, zum Beispiel ...“

Die hinzugefügten Verbzusätze werden im Wörterverzeichnis ganz unterschiedlich behandelt. Der Informationskasten zu darauf ist falsch, da er immer noch die inzwischen aufgehobene Unterscheidung der vollen und der synkopierten Form (drauf) enthält und außerdem die Ausnahmeregel K 58 auf einen Fall von Getrenntschreibung anwendet, den es aufgrund der Revision nicht mehr gibt. Der Kasten zu darin/drin enthält ebenfalls noch die unkorrigierte Reformregel. hinterdrein laufen soll auch getrennt geschrieben werden können (Rotdruck), obwohl dies durch die Aufnahme in § 34 gerade unterbunden wird. darauflos fehlt als Eintrag gänzlich und ist unter drauflos falsch dargestellt. Zu draus und drum scheint der Duden kein einziges Beispielwort gefunden zu haben, bei hinter gibt es weiterhin nur ein paar seltene Dialektwörter (hinteressen).

Auf den Kopf gestellt wird ferner die Neuregelung von Zusammensetzungen mit einem Partizip gemäß § 36. Dieser umfangreiche Paragraph ist nun erst recht unverständlich, aber der Duden bringt das Entscheidende dankenswerterweise in die klarere – und klar widersprüchliche – Fassung der Richtlinie K 58: „Partizipien richten sich nach den zugrunde liegenden Verbindungen mit Verben. Hier ist jedoch neben der Getrenntschreibung auch die Zusammenschreibung zulässig (§ 36 (39 U: E1, E2).“ Also richten sich die Partizipien gerade nicht nach den zugrundeliegenden Verben! Man kann sie nun wieder zusammenschreiben, und zwar nicht nur die steigerbaren, die unterderhand schon längst wiederhergestellt sind (aufsehenerregend), sondern auch die umfangreiche Restgruppe (blutsaugend, eisenverarbeitend, fleischfressend). Nicht unbedingt vorhersehbar war, daß dies auch für Zusammensetzungen mit dem Partizip Perfekt als Zweitglied gelten soll (verlorengegangen – hier kommt noch ein Verstoß gegen § 36 E3 (4) [Partizip als Erstglied] hinzu). Beides zusammen ergibt Hunderte von wiederhergestellten Wörtern. Es folgt eine Liste der zusammengesetzten Partizipien, die durch die Reform von 1996 aus den deutschen Wortschatz getilgt, im Duden 2004 aber ausdrücklich wiederhergestellt sind:

abscheuerregend, achtunggebietend, ackerbautreibend, alleinerziehend, alleinseligmachend, alleinstehend, allgemeinbildend, andersdenkend, anderslautend, aneinandergrenzend, arbeitsuchend, aufeinanderfolgend, aufsehenerregend, aufsichtführend, aufwärtsfahrend, auseinanderfallend, außenliegend, beieinanderstehend, beifallheischend, bekanntwerdend, besorgniserregend, besserverdienend, bezugnehmend, blasenziehend, blutbildend, (blutreinigend), blutsaugend, (blutstillend), buchführend, buntschillernd, darauffolgend, datenverarbeitend, diensthabend, dienstleistend, diensttuend, doppeltwirkend, ehrfurchtgebietend, eierlegend, eisenschaffend, eisenverarbeitend, ekelerregend, enganliegend, entsetzenerregend, epochemachend, erdölexportierend, erdölfördernd, erfolgversprechend, erholungsuchend, (ernstzunehmend), fernliegend, festkochend, feuerspeiend, fischverarbeitend, fleischfressend, flottgehend, freilaufend, freilebend, freistehend, frohgelaunt, fruchtbringend, fruchttragend, funkensprühend, furchteinflößend, furchterregend, gefahrbringend, gegeneinanderstehend, getrenntlebend, (gewinnbringend), gleichbleibend, gleichdenkend, gleichlautend, glückbringend, glückverheißend, (grauenerregend), gutaussehend, gutsitzend, gutverdienend, haftenbleibend, händchenhaltend, handeltreibend, heilbringend, hellleuchtend, helllodernd, hierhergehörend, hilfesuchend, hintereinanderlaufend, hitzeabweisend, hochwachsend, holzverarbeitend, immerwährend, ineinanderfließend, insektenfressend, kaltlächelnd, klardenkend, knappsitzend, kohleführend, kostensenkend, kostensparend, kräfteraubend, kräftesparend, kraftraubend, kraftsparend, krebserregend, kreditsuchend, kriegführend, laubtragend, lebendgebärend, lebenspendend, lebenzerstörend, lederverarbeitend, leerstehend, leidtragend, linksstehend, maßhaltend, menschenverachtend, metallverarbeitend, mitleiderregend, naheliegend, nahestehend, nebeneinandersitzend, nichtsahnend, nichtssagend, notleidend, obenstehend, papierverarbeitend, parallellaufend, platzsparend, profitbringend, ratsuchend, raumsparend, rechtsstehend, respekteinflößend, rotglühend, schattenspendend, schaudererregend, scheelblickend, schlechtgehend, schleimabsondernd, schräglaufend, schreckenerregend, schwerwiegend, schwindelerregend, segenbringend, segenspendend, sicherwirkend, sinnstiftend, sporenbildend, sporentragend, sporttreibend, staatenbildend, staunenerregend, stressauslösend, stromführend, stromsparend, tiefgehend, tiefgreifend, tiefschürfend, tiefstehend, treusorgend, übelriechend, übelwollend, übereinanderliegend, unheilbringend, unheilkündend, unheilverkündend, untenliegend, untenstehend, untereinanderstehend, verderbenbringend, vertrauenerweckend, vielsagend, vielversprechend, vorwärtsweisend, wachestehend, walfangtreibend, wasserabstoßend, wasserabweisend, weißglühend, weitblickend, weiterbestehen, weitgehend, weitgreifend, weitreichend, weittragend, wichtigtuend, wildlebend, wildwachsend, wohlklingend, wohllautend, wohlmeinend, wohlriechend, wohlschmeckend, wohltönend, zähfließend, zeitsparend, zufriedenstellend, zugrundeliegend

andersgeartet, (andersgesinnt), außengelegen, auswärtsgerichtet, bekanntgeworden, bessergestellt, blankpoliert, blaugestreift, blaugefärbt, blaugefleckt, blindgeboren, blondgelockt, braungebrannt, breitgefächert, buntgefiedert, buntgemischt, dichtbehaart, dichtbevölkert, dichtgedrängt, dünnbesiedelt, dünnbevölkert, einwärtsgebogen, einwärtsgedreht, engbedruckt, engbefreundet, engumgrenzt, ernstgemeint, feingeädert, feingemahlen, feingeschnitten, feingeschwungen, feingesponnen, feingestreift, feinvermahlen, festgefügt, festgeschnürt, festangestellt, festbesoldet, festumrissen, festverwurzelt, fettgedruckt, fleischgeworden, frischgebacken, frühverstorben, frühvollendet, gargekocht, genaugenommen, geradegewachsen, gerngesehen, glattgehobelt, (gleichbeschaffen, gleichgeartet), gleichgestimmt, graugestreift, graumeliert, grellbeleuchtet, grobgemahlen, grobgestrickt, großangelegt, großgemustert, großgewachsen, großkariert, gutbezahlt, gutgebaut, (gutgelaunt), gutgemeint, gutgeordnet, gutgepflegt, (gutgesinnt), gutsituiert, gutunterrichtet, halbverhungert, hartgebrannt, hartgefroren, hartgekocht, heißbegehrt, heißersehnt, heißgelaufen, heißumkämpft, heißumstritten, hochangesehen, hochbegabt, hochbesteuert, hochbezahlt, hochdosiert, hochdotiert, hochentwickelt, hochgebildet, hochgeehrt, hochgelehrt, hochgelobt, hochgespannt, hochgesteckt, hochgestellt, hochgewachsen, hochindustrialisiert, hochkompliziert, hochmotiviert, hochqualifiziert, hochspezialisiert, hochtechnisiert, höhergestellt, ineinandergesteckt, kleingedruckt, kleingemustert, kleingewachsen, kleinkariert, knappgehalten, kurzgebraten, kurzentschlossen, kurzgefasst, kurzgeschnitten, langgehegt, langgestreckt, langgezogen, längsgestreift, leichtbehindert, leichtbeschwingt, leichtbewaffnet, leichtgeschürzt, leichtverletzt, leichtverwundet, liebgeworden, (nahverwandt), nassgeschwitzt, neubearbeitet, neueröffnet, neugeschaffen, (niedriggesinnt), obenerwähnt, obengenannt, obenzitiert, parallelgeschaltet, privatversichert, quergestreift, reichgeschmückt, reichverziert, rotgestreift, rotgeklinkert, rotgestreift, rotgeweint, rückwärtsgewandt, schiefgewickelt, (schlechtgelaunt), schwachbegabt, schwachbetont, schwachbevölkert, schwachbewegt, schwarzgerändert, schwarzgestreift, schwerbeladen, schwerbewaffnet, schwerverletzt, schwerverwundet, selbsternannt, selbstgebacken, selbstgebraut, selbstgedreht, selbstgemacht, selbstgenutzt, selbstgeschneidert, selbstgeschrieben, selbstgestrickt, selbstverdient, sogenannt, spätvollendet, strenggenommen, tiefbewegt, tiefempfunden, tiefergelegt, tieferschüttert, tiefgefühlt, tiefverschneit, totgeboren, treuergeben, treugesinnt, übelberaten, übelgelaunt, übelgesinnt, untenerwähnt, untengenannt, verlorengeglaubt, vielbefahren, vielbeschäftigt, vielbeschworen, vielbesprochen, vieldiskutiert, vielerörtert, vielgefragt, vielgekauft, vielgelesen, vielgepriesen, vielgeschmäht, vielgereist, vielumworben, vielzitiert, vollbeladen, vollbesetzt, vollentwickelt, vollgepfropft, weichgekocht, weißgekleidet, weitgereist, weitverbreitet, weitverzweigt, wohlausgewogen, wohlbedacht, wohlbehütet, wohlberaten, wohldosiert, wohldurchdacht, wohlerhalten, wohlerwogen, wohlerzogen, wohlgeformt, wohlgelitten, wohlgenährt, wohlgeordnet, wohlgeraten, (wohlgesinnt), wohlproportioniert, wohlsituiert, wohlüberlegt, wohlversorgt, wohlverwahrt, wohlvorbereitet, zartbesaitet

Nicht ausdrücklich erwähnt, aber nach derselben Regel ableitbar ist eine unbegrenzte Zahl weiterer Zusammensetzungen wie: abwärtsgegangen (auch mit anderen Verben, ebenso mit aufwärts usw.), leergelaufen, lebendgeboren, bekanntgegeben/-gemacht/-geworden, anheimgefallen, daheimgeblieben, fallengelassen, sitzengelassen, gefangengehalten, kahlgefressen, kennengelernt, lahmgelegt, rechtsgerichtet, saubergehalten, scharfblickend, schiefgegangen, vielgeliebt, vollgetankt, warmgehalten, zivildienstleistend, zufriedengestellt ...

Es ist also – ungeachtet des vielen Rotdrucks – auf den ersten Blick alles wieder so wie vor der Reform, denn selbstverständlich schrieb man seit je, daß zum Beispiel die blutsaugenden Tiere frisches Blut saugend ihr Leben fristen. Allerdings waren die Bedingungen, unter denen getrennt bzw. zusammengeschrieben wurde, früher klarer, denn jetzt wird zu Unrecht völlige Austauschbarkeit suggeriert. Einer der Gründe, warum die „Varianten“ keineswegs gleichwertig sind, wird regelmäßig unterdrückt: bei prädikativem Gebrauch (... ist Epoche machend) wäre die Getrenntschreibung ungrammatisch. Dasselbe gilt für jene vielen Zusammensetzungen, die um der gesamthaften Steigerung willen wiedereingeführt sind: „Heil bringend, auch heilbringend“. Zwar wird angeführt, daß zu schreiben sei: göttliches Heil bringend, aber eine noch heilbringendere Botschaft. Wiederum fehlt der Hinweis, daß ... ist Heil bringend falsch wäre. Vor der Reform war all dies vollkommen klar und stand so auch in der Dudengrammatik (6. Aufl., S. 190 u. 193; ähnlich in der Bertelsmanngrammatik) sowie in der großen Grammatik des Instituts für deutsche Sprache (vgl. S. 2208 über die Unmöglichkeit prädikativer Verwendung von Part I, außer wenn es „volladjektivisch“ ist).

Unentbehrliche Wörter wie schwerbehindert sollten zuerst beseitigt, dann unter Hinweis auf ihre „Fachsprachlichkeit“ wiederhergestellt werden; nun genügt die Ableitung von K 58. Auch das Allerweltswort sogenannt gibt es wieder, die Auseinanderreißung ist nicht mehr verbindlich. Aber auch hier darf nicht wie früher zwischen sogenannten Reformen und von manchen Leuten nur so genannten unterschieden werden – ein eklatanter Verlust an Deutlichkeit. Für anspruchsvollere Autoren und Leser ist die nochmals neu geregelte Sprache so unbrauchbar wie die vor acht Jahren konstruierte.

In welches logische Dilemma die hastig geänderte Neuregelung führt, zeigt das folgende Beispiel: Verbindungen wie leichtverletzt waren 1996 gemäß § 36 zugunsten der Getrenntschreibung beseitigt worden. Nun werden sie wiederzugelassen, wenn das Partizip „adjektivisch gebraucht“ wird (was immer das heißen mag; eine Erklärung sucht man vergebens). Liegt als zweiter Bestandteil aber tatsächlich ein echtes Adjektiv vor, so ist nur Getrenntschreibung zulässig: leicht verdaulich, schwer löslich. Das ist an sich schon paradox; hinzu kommt aber noch, daß gerade das verbotene leichtverdaulich oft gesamthaft gesteigert wird (noch leichtverdaulicher) und damit als Zusammensetzung seine adjektivische Qualität beweist. Mit dem „adjektivischen Gebrauch“ kann nicht der attributive gemeint sein, sonst wären Einträge wie der folgende unverständlich: „da bist du aber schief gewickelt, auch schiefgewickelt“. Hier liegt zweifellos ein unbewältigtes Problem der überstürzten Revision verborgen, das seine toxische Wirkung auf den gesamten Wortschatz erst noch entfalten dürfte.

Die ungeheure Vermehrung der Varianten geht hauptsächlich darauf zurück, daß die Reformer keine einzige neue Schreibweise zurücknehmen. Damit wollen sie vor allem den Kultusministern die beruhigende Behauptung ermöglichen, keine richtige Schreibweise werde durch die Revision falsch. Wie wir gesehen haben, trifft das nicht zu; außerdem werden falsche Schreibweisen nunmehr richtig, was für den korrigierenden Lehrer dieselbe Folge hat. Im übrigen ist aber die große Zahl von Varianten, die nicht einmal einer Beobachtung des Sprachwandels, sondern reiner Verlegenheit entstammen, von vornherein fragwürdig. Der führende Reformer Dieter Nerius schrieb schon 1980: „Eine Änderung der Orthographie, die, von einer Übergangszeit abgesehen, darauf gerichtet sein sollte, in der Rechtschreibung große Bereiche der Variabilität zu etablieren, [dürfte] wenig erfolgversprechend sein.“ (Nerius/Scharnhorst, Hg.: Theoretische Probleme der deutschen Orthographie. Berlin 1980, S. 50)

Trotz der ungeheuren Zahl wiederbelebter Wörter bleibt noch viel zu tun, denn die Revision ist bei weitem nicht konsequent durchgeführt. K 58 erweist sich als schwarzes Loch, in dem zahllose Reformvorschriften auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Es gibt keinen Grund, großgeschrieben (in jeder Bedeutung) auszusparen, nachdem fettgedruckt, großgedruckt und das Kleingedruckte bereits wiederhergestellt sind. Die Kästen zu groß und klein, die übrigens aus unerfindlichen Gründen verschieden aufgebaut sind, geben keinen endgültigen Aufschluß. Zum eisernen Bestand der Reform gehört die Vorschrift, Zusammensetzungen mit Wörtern auf -einander und -wärts nicht mehr zuzulassen; und diese Regel wird ausdrücklich beibehalten. Zugleich überspielt aber K 58 sogar dies: aufeinanderfolgend, übereinanderliegend, auswärtsgerichtet, aufwärtsfahrend und viele andere sind wieder da. Deshalb ist nicht einzusehen, warum dieselbe systematische Ausnahme nicht auch für die besonders willkürliche Bestimmung gelten soll, keine Zusammensetzungen mit Adjektiven auf -ig, -lich und -isch zu bilden. Aus der Zwischenstaatlichen Kommission verlautet unterdessen, daß dies in der Tat so beabsichtigt sei: übriggeblieben, fertiggestellt usw. müßten ebenfalls im Sinne der neuen Regel wiederhergestellt werden. Diesen Weg könnte auch das bereits wiederaufgenommene alleinseligmachend weisen, ganz abgesehen von jenem richtiggehend, das als erratischer Eintrag im amtlichen Wörterverzeichnis von Anfang an eine nicht näher begründete Ausnahme darstellte. Eine weitere Ausnahme von der Ausnahme ergibt sich bei Verbindungen der Positionsverben mit bleiben und lassen: sitzengeblieben, stehengelassen usw. sind nicht angeführt, obwohl sie gemäß K 58 korrekt sind.

Die Folgen für die Schule kann man sich leicht denken: Deutschlehrer, die im Wörterverzeichnis nach fertiggestellt, saubergehalten oder sitzengeblieben suchen, finden zwar nichts, aber sie werden sich hüten, solche Schreibweisen als falsch anzustreichen, denn für einen intelligenten Schüler oder dessen rechtskundige Eltern sind sie aus K 58 ableitbar. All dies mag in der alsbald fälligen nächsten Auflage nachgeholt werden, und erst dann ist der Zustand, wie er vor der Reform zur allgemeinen Zufriedenheit der Lesenden und Schreibenden herrschte, vollständig wiederhergestellt. A propos: wiederherstellen darf laut neuester Dudeneinsicht nur zusammen-, wiederherrichten dagegen nur getrennt geschrieben werden, und bei wiederaufbereiten ist beides möglich. Es gibt Dutzende von unvorhersehbaren Entscheidungen dieser Art allein bei wieder-, wohl- und hoch-. Hinzu kommen völlig unrealistische Betonungsangaben, zum Beispiel Anfangsakzent bei zusammengeschriebenem wiederaufbereiten (was außerdem der Darstellung als bloßer orthographischer Variante widerspräche, wenn es zuträfe).

In Fällen wie offengesagt wird Zusammenschreibung sogar entgegen dem bisher Üblichen neu eingeführt. menschenverachtend wird ausdrücklich wiederzugelassen, das auf einem grammatischen Irrtum beruhende Menschen verachtend aber immer noch nicht aufgegeben. Hier besteht weiterer Änderungsbedarf. vollgefressen darf man zusammenschreiben, wenn es „dickleibig“ bedeutet, sonst nicht. Damit haben die Reformer ihren allerdings recht seltsamen Grundsatz aufgegeben, die Schreibweise „vom Transport semantischer Informationen entlasten“ zu wollen (Reformvorlage 1992, S. 147) – als ob es beim Sprechen und Schreiben um etwas anderes ginge als Bedeutungsvermittlung. Wer hätte übrigens gedacht, daß schmerzstillend anders geschrieben wird als blutstillend, nämlich nur zusammen? Dieselbe Unterscheidung findet man bei kostendeckend gegenüber Kosten senkend, kräftezehrend und Kräfte raubend. Vielleicht hat die Redaktion keine Zeit mehr gehabt, diese Unstimmigkeiten auszuräumen – in einem Leitwörterbuch der deutschen Orthographie wirken sie recht störend.

Abschließend kann man zu diesem Bereich sagen: Durch die Neufassung von § 34 werden Hunderte von „richtigen“ Getrenntschreibungen falsch, durch den neuen Paragraphen 36 werden ebensoviele „falsche“ Zusammenschreibungen wieder richtig. Die Folgen sind dieselben, ein Desaster für den Deutschunterricht und, nebenbei bemerkt, auch für die Schulbuchverleger, die immer noch verblendet genug sind, die Revision für harmloser zu halten als die entschlossene Umkehr. So wird – um nur ein Beispiel zu nennen – in dem bekannten Sprachbuch „Verstehen und Gestalten“ (Bd. 7, 1997, S. 222) erwartet, daß die Schüler hochbegabt und vielversprechend getrennt schreiben. Das ist nun auch offiziell überholt und muß geändert werden.

Beim Bindestrichgebrauch sah die Neuregelung eine überflüssige Generalisierung vor, indem sie den Bindestrich auch für Zusammensetzungen mit arabischen Ziffern verpflichtend machte: 8-jährig, die 8-Jährige. Die jetzt eingeführte Schreibweise 8-fach, das 8-Fache widerspricht allerdings der reformierten Grundregel, daß nur Zusammensetzungen, nicht aber Ableitungen mit Bindestrich geschrieben werden (§ 40f.). Es gibt ja gar kein „Faches“. Ein Grund für diese neue Ausnahme ist nicht erkennbar. Im Wörterverzeichnis des neuen Duden ist sie zwar bei achtfach eingetragen, nicht aber unter ...fach und ...fache. Ein weiterer Widerspruch der Neuregelung bleibt erhalten: Auch Bindestrichkomposita sind Komposita (siehe die Vorbemerkungen zum Kapitel C); daher entsprechen die weiterhin zulässigen Schreibweisen wie römisch-katholisch nicht dem generellen Verbot von Zusammensetzungen mit Adjektiven auf -ig, -lich und -isch.

Ein weiterer Stein des Anstoßes war die reformierte Groß- und Kleinschreibung. Im Deutschen werden feste Begriffe in zunehmendem Maße groß geschrieben, weit über das laut Duden zulässige Maß hinaus: Erste Hilfe, Schneller Brüter usw. Dieser modernen Entwicklung stemmte sich die Reform entgegen, indem sie generelle Kleinschreibung verordnete: erste Hilfe, schwarzes Brett, hohes Haus. Sogar die reformfreundlichen Nachrichtenagenturen verweigerten hier die Gefolgschaft. Die Reformer wollen nun für den Gebrauch „in manchen Fachsprachen“ die abgeschaffte Großschreibung fester Begriffe wieder zulassen. Bereits in der Einleitung wird darauf hingewiesen, daß zum Beispiel der Goldene Schnitt wieder erlaubt sei. Schlägt man jedoch im Wörterverzeichnis nach, so scheint die Botschaft dort noch nicht angekommen zu sein, denn es wird, gerade unter Hinweis auf den fachsprachlichen Gebrauch („Math.“) ausschließlich Kleinschreibung erlaubt. Dasselbe gilt für das gelbe/Gelbe Trikot, die aktuelle/Aktuelle Stunde, die erste/Erste Hilfe, der letzte/Letzte Wille, die neuen/Neuen Medien und viele Ausdrücke, die nicht schon im Duden-Regelwerk angeführt sind. Die Umarbeitung des Wörterbuchs wurde hier anscheinend vorzeitig abgebrochen. Übrigens ist der Begriff der Fachlichkeit so weit gefaßt, daß eigentlich alles darunterfällt. Das hatte der Reformer Gerhard Augst schon in der Märkischen Allgemeinen Zeitung vom 2.5.2002 zu erkennen gegeben, wo er auch die Wiederherstellung der Ersten Hilfe ankündigte. Eine besonders knapp geratene Anfrage mag kleine Anfrage, ein mißfarbener Star grauer Star genannt werden, aber darum geht es hier natürlich nicht; die fraglichen Ausdrücke sind per se fachsprachlich und daher groß zu schreiben. Einerseits soll die Neuregelung nicht für Fachsprachen gelten, denen damit jeder Grund genommen wird, gegen den Eingriff zu protestieren, andererseits sind doppeltkohlensauer, Gelbe Rübe oder Klitzingeffekt genuine Fachausdrücke, und dennoch wird ihre Schreibweise durch rotgedruckte Einträge neu geregelt. Auch heiligsprechen könnte unter dem Fachsprachenvorbehalt über das ohnehin wankend gewordene Verbot von Zusammenschreibungen mit Adjektiven auf -ig hinweg gerettet werden. Daß die Fliegenden Fische neuerdings groß geschrieben werden sollen, wird ausdrücklich mit dem Hinweis auf das Fachgebiet der Zoologie begründet. Der systematische Unterschied zwischen Erster Hilfe und irgendeiner besonders früh geleisteten ersten Hilfe läßt sich aber mit der Reformschreibung weiterhin nicht zum Ausdruck bringen. Auch regeltechnisch ist die Formulierung mißlungen: „Im nicht fachsprachlichen Zusammenhang ist die Kleinschreibung der Adjektive in solchen Wortgruppen der Normalfall.“ – Das ist, abgesehen von der seltsamen Formulierung, als Anweisung unbrauchbar und als statistische Beschreibung des Üblichen offensichtlich falsch.

Mit der bereits seit Jahren angekündigten Ausweitung der Großschreibung (bei Weitem, von Neuem, das Meiste) wirft die Reform die Sprachentwicklung tief ins 19. Jahrhundert zurück. Das Antiquierte dieser Regelung wird an Beispielen wie Er sah vom Einen zum Anderen (im Kasten zu ein) unmittelbar deutlich. Die Neuregelung wirkt nach wie vor willkürlich und überflüssig (zu Nutze, zu Schulden kommen lassen, andererseits zurate, vonseiten usw.); teilweise bleibt sie grammatisch falsch (Pleite gehen, Recht haben, Leid tun). Die Revision wurde nicht als Gelegenheit genutzt, wenigstens die gröbsten Irrtümer zu beseitigen. Der alte Fehler der Reformer, die Adjektive feind, freund als Substantive zu verkennen, ist nicht korrigiert; es heißt immer noch jdm. Feind/Todfeind sein. Mit der Frage, aufgrund welches Paragraphen jenseits von gut und böse neuerdings klein geschrieben werden muß, könnte man eine gesellige Runde einen ganzen Abend lang beschäftigen.


(Fortsetzung folgt)
__________________
Th. Ickler
07.09.2004 05.14 Theodor Ickler
Forum > Rechtschreibforum > DUDEN 2004
www.rechtschreibreform.de/php/einzelner_Datensatz.php?BeitragNr=25878

Der neue Duden (2004) - Fortsetzung

(Fortsetzung)

Wie andere Aufbereitungen der Reform arbeitet der Duden im Bereich der Groß- und Kleinschreibung mit dem Begriff der „Paarformeln zur Bezeichnung von Personen“ (K 72) und bezieht sich auf § 57 (1) des amtlichen Textes. Dort kommt dieser Begriff jedoch gar nicht vor. Vielleicht hat er in früheren Diskussionen eine Rolle gespielt, und die Reformer haben vergessen, ihn in das Regelwerk aufzunehmen. Der österreichische Reformer Richard Schrodt (Mitglied der Zwischenstaatlichen Kommission) behauptet in exegetischen Schriften, „universalgrammatisch“ stünden nach Präpositionen nur Nomina. Demnach wäre schon von hier nach dort abweichend und nur von Hier nach Dort zuzulassen. Wenn diese Auffassung, mit der auch der Schweizer Reformer Peter Gallmann sympathisiert, sich durchsetzt, wird es nicht bei den jetzt verfügten Änderungen bleiben. Über die Beseitigung weiterer „Ausnahmen“ wird, wie man hört, bereits nachgedacht, so daß in Kürze wohl auch mit unter Anderem, vor Allem usw. zu rechnen ist. Da alle Mitglieder der Reformkommission die Kleinschreibung als ihr Hauptziel ansehen, muß die exzessive Großschreibung als Versuch angesehen werden, einen völlig unhaltbaren Zustand herbeizuführen, der die Kleinschreibung als einzigen Ausweg erscheinen läßt.

Der neue Duden arbeitet die unerhörte Schwierigkeit der reformierten Kommasetzung nicht hinreichend deutlich heraus. So muß jetzt in Es ist nötig aufzustehen ein Komma gesetzt werden, in Es ist Zeit aufzustehen hingegen nicht. Indem die Redaktion die Leser mit solchen Subtilitäten verschont, fördert sie das falsche Bild von der „vereinfachten“ Zeichensetzung.

Die Silbentrennung hat sich infolge der Reform vom wahrhaft marginalen Bereich zum zentralen Problem entwickelt. Die Konkurrenten auf dem Wörterbuchmarkt wetteiferten jahrelang darin, wer die meisten Trennstellen gemäß den neuen Regeln verzeichnet: a-brupt, as-tigmatisch, Fide-ikommiss, Hämog-lobin, Pog-rom. Nach dem Sinn der Silbentrennung wurde gar nicht mehr gefragt. Auf diesem Weg in die Barbarei geht der neue Duden weiter als je zuvor. (Hämog-lobin ist allerdings wieder beseitigt, nachdem der Reformer und Bertelsmannautor Klaus Heller es 1996 als Trumpfkarte gegen den konkurrierenden Duden aus der Tasche gezogen hatte.) Man könnte von einer systematischen Verdummung sprechen: A-nurie, Ap-lanat, Apop-tose, Apos-t-roph (aber nur: apo-plektisch, apo-tropäisch, apo-kryph), au cont-raire, Herost-rat, Kont-rition, Le-gas-thenie, Metas-tase, Me-töke, Monoph-thong, Parap-luie, Pseu-depigrafen ...

Das Paradoxe der neuen Silbentrennung besteht in der Annahme, daß jemand Fremd- und Fachwörter zwar gebrauchen, aber zugleich nicht wissen soll, wie sie aufgebaut sind: Me-tempsychose, A-bort, Prog-nose, A-norexia nervosa. Dennoch ist nicht einmal die mechanische Abtrennung des letzten von mehreren Konsonantenbuchstaben konsequent durchgeführt: Att-rappe, Att-ribut sind weiterhin nicht erlaubt, obwohl ihre Zusammensetzung nicht leichter zu durchschauen ist als viele andere (Ap-proach – nur so zulässig). Den haarsträubenden Trennungen Kon-s-k-ription, De-s-k-ription steht Pro-s-kription gegenüber.

Es ist schon früh gezeigt worden, daß die scheinbare Vereinfachung in Wirklichkeit zu neuen Problemen führt. Wer Tonsil-lektomie, Hyste-rektomie, Mas-tektomie; A-narchie, Hie-rarchie, Oli-garchie; Res-pekt, Epis-kop usw. trennt, wie es der Duden vorsieht, gibt sich erstens als Stümper zu erkennen und läßt sich zweitens die Einsicht in den wahren Aufbau der Fremdwörter entgehen. Auf lange Sicht wäre es ökonomischer, sich die Bestandteile -ektomie, -archie, -spekt, -skop usw. anzueignen, um sie in entsprechenden Wortreihen wiederzuerkennen und anzuwenden. Mit Lektomie, Rektomie, Tektomie, Narchie und Rarchie kann man nichts anfangen. Indem das Wörterbuch solchen Unsinn gleichberechtigt neben die morphologisch korrekten Trennungen stellt, tut es dem ratsuchenden Benutzer keinen Gefallen, sondern verweigert ihm die Auskunft, um derentwillen er überhaupt nachschlägt. Das gilt auch für die Erstglieder in Lehnwortbildungen. hyper- und hypo- sind erklärt, ana- und pro- nicht. pros- fehlt ganz, es gibt auch keine entsprechenden Wortbildungen außer der künstlich verdunkelten Prosodie (mit der Trennung Pro-sodie!), also auch nicht die Proskynese.

Die neue Abtrennbarkeit einzelner Vokalbuchstaben ist weitestgehend berücksichtigt: Bilderbuche-he, Gottesa-cker, Buche-cker usw. Das amtliche Regelwerk empfiehlt zwar, irreführende Trennungen zu vermeiden, und gibt Beispiele wie Altbauer-haltung, Sprecher-ziehung, Seeu-fer an. K 168 interpretiert diese Empfehlung (die aber keinen Regelstatus hat): „Trennungen, die den Leseablauf stören oder den Wortsinn entstellen, sollte man vermeiden. Sie sind jedoch nicht falsch.“ Dazu werden u. a. die bekannten, einigermaßen harmlosen Spargel-der angeführt. Aber die Abtrennung einzelner Buchstaben stört den Leseablauf immer, und genau dies war der Grund, warum man bisher davon Abstand genommen hatte. Was soll es da noch heißen, sie sei „nicht falsch“? Eine merkwürdige Auffassung vom Rechtschreiben und von der Sanktionierung durch orthographische Regelwerke. – Unbegreifliche Trennungen wie o-stinato irritierten schon in der vorigen Auflage und haben sich noch vermehrt.
Die Trennungen Kore-akrieg, Bi-omüll, Ge-odreieck, The-okrat usw. sind immer noch nicht korrigiert. Da einzelne Vokale zwar am Anfang (o-der), aber nicht am Ende eines Wortes (Kore-a) abgetrennt werden, setzt die Redaktion mit solchen Trennungen voraus, daß die betreffenden Wörter nicht einmal als Zusammensetzungen erkannt werden – eine absurde Annahme. Allerdings gilt in Zusammensetzungen nicht, daß die Abtrennung von Endbuchstaben keinen Platz einspare und daher „nicht sinnvoll“ sei. Das wird nirgendwo diskutiert und ist im Regelwerk nicht berücksichtigt.
Für die Inkonsequenzen bei der Silbentrennung seien noch einige wenige Beispiele angeführt. Es kann jetzt getrennt werden A-nämie, A-neurysma, a-nonym, A-nurie usw., aber weiterhin nur An-algesie, An-alphabet. In entgegengesetzter Richtung ist An-omie verhunzt. Bei Ext-rawunsch ist eine neue Trennstelle vorgesehen, bei Extrazimmer nicht. Das allgemein bekannte und im Deutschen produktive Fremdsuffix ex- wird mutwillig zerrissen: e-xulzerieren, E-xuvie, E-xarch; nur bei Ex-artikulation gibt es eine Ausnahme. Ext-ruder ist in der anderen Richtung verunklart. En-anthem ist sprachrichtig getrennt, E-xanthem nicht. Vier Trennstellen statt einer einzigen hat jetzt E-x-e-d-ra. Welchem „Wenigschreiber“ soll das nützen? Der Laie, dem die Reform entgegenkommen will, benutzt solche Wörter nicht, und der Fachmann würde sich blamieren, wenn er sie so mißhandelte. Übrigens macht das in Flattersatz gedruckte Wörterbuch niemals Gebrauch von der Abtrennbarkeit einzelner Anfangsbuchstaben und zeigt damit indirekt, was die Redaktion davon hält.

Dudenchef Matthias Wermke schrieb kürzlich, die Reform nütze „denjenigen, die sich mit ihren
Bewerbungsschreiben nicht blamieren wollen“ (Südwestpresse vom 14.08.2004). Deshalb sollen Trennungen wie A-bitur, A-blativ, A-bort usw. „zulässig“ sein. Wer zum Vorstellungsgespräch in Freizeitkleidung erscheint, tut ebenfalls nichts Verbotenes, wird sich aber, wenn er dann nicht eingestellt wird, kaum darauf berufen können. Auch wenn es amtlich „erlaubt“ ist, seine Unwissenheit zur Schau zu stellen, wird man sich damit blamieren.

Neu sind einige Kästen, die dem weniger kundigen Benutzer beim falschen Nachschlagen zu Hilfe kommen. Doch gerade hier kann die Ausführung nicht befriedigen. Wer zum Beispiel das Wort Ekstase an der richtigen Stelle sucht, bekommt auch die sinnlose Trennung Eks-tase geboten; wer aber irrigerweise unter Ex- sucht, ist nicht besser dran: Hier belehrt ihn ein Kasten: „Das aus dem Griechischen stammende Wort wird mit Eks- und nicht mit Ex- geschrieben, obwohl es den gleichen Anlaut hat wie Export oder extra.“ So kann der Benutzer niemals erfahren, wie das Wort wirklich aufgebaut ist.

Die Redaktion hat weiterhin nicht den Mut, den Absurditäten der Neuregelung entgegenzutreten. An den „Etymogeleien“, die ausschließlich auf das Konto des Reformers Gerhard Augst gehen, wird nichts geändert. Wer künftig sprachrichtig einbleuen, schneuzen, oder Zierat schreibt, macht einen „Fehler“. Man muß schreiben ... Füße, die behände sind, Schaden zu tun ... (Lutherbibel, Spr 6,18 laut http://www.bibelserver.de) usw., mag es noch so widersinnig sein. Wie die Rechtschreibkommission selbst hält die Dudenredaktion selbständig und selbstständig für orthographische Varianten (Duden benutzt nur die letztere, Bertelsmann inzwischen wieder ausschließlich die ältere erste). In Wirklichkeit handelt es sich um verschiedene Wortbildungen, die mit Rechtschreibung nichts zu tun haben. Die Dreibuchstabenregel wird weiterhin durch empfohlene Bindestriche ihrer Lächerlichkeit überführt: Eisschnell-Läufer usw. Unter fetttriefend wird auf K 70 verwiesen, es ist aber nicht einzusehen, worin der Bezug besteht. Besser wäre K 25, wo das Beispiel ausdrücklich angeführt ist. Aufgrund der neuen Dreibuchstabenregel ergeben sich ungleich häufiger als bisher solche Zusammenballungen von drei gleichen Buchstaben, obwohl nur einer gesprochen wird. Bei Adjektiven ergibt sich eine weitere Schwierigkeit, die von der Rechtschreibkommission seit Jahren erörtert, aber nicht gelöst worden ist: die Frage nämlich, ob bei Entzerrung durch den Bindestrich Großschreibung des substantivischen Erstgliedes eintritt: Genuss-süchtig, Fett-triefend. Nach dem vorliegenden Duden ist das tatsächlich der Fall, und deshalb kommen die Reformer (wie schon im ersten Bericht) zu der seltsamen Ausnahmebestimmung, daß der Bindestrich bei Adjektiven und Partizipien als Zweitglied „zwar zulässig, aber nicht empfehlenswert“ sei. Der tiefste Grund der neueren Diskussion liegt darin, daß im amtlichen Regelwerk unter § 45 (4) ist nach wie vor kein Adjektiv als Beispiel angegeben ist.

Die deutschtümelnde Zusammenschreibung englischer Fremdwörter bringt so unerfreuliche Gebilde hervor wie Slidingtackling, Suddendeath. Eigennamen werden von der Reform nicht angetastet, daher bleibt die Litfaßsäule unverändert. Die Eindeutschung Kolofonium (nach der griechischen Stadt Kolophon) geht auf die irrige Meinung zurück, das Wort gehöre in die Reihe Fonem, fonetisch (so die Neuschreibung); beim ebenfalls griechischen Edaphon wiederum ist keine Veränderung vorgesehen. Neben der neuen Zusammenschreibung nochmal hält der Duden weiterhin auch die bisher übliche Getrenntschreibung für zulässig; das widerspricht jedoch der ausdrücklichen Vorschrift in § 54 (4). Es scheint sich aber weniger um einen Fehler der Dudenredaktion als um eine weiterhin bestehende Unschlüssigkeit der Reformkommission zu handeln. Der Fachsprachenvorbehalt rehabilitiert zwar manche Großschreibung, greift aber anscheinend nicht beim sportsprachlichen linksaußen, rechtsaußen: hier darf nur getrennt geschrieben werden.

Wer den neuen Duden kaufen will, sollte wissen, was er bekommt und was ihm vorenthalten wird. In der vorigen Auflage waren die bisher üblichen Schreibweisen meistens noch enthalten; zahllose Male hieß es „alte Schreibung“ oder „alte Trennung“. Die Neubearbeitung hat fast alle Hinweise dieser Art getilgt, und die (immer noch gültigen!) „alten“ Schreibweisen sind nicht mehr rekonstruierbar, z. B. Handvoll, Mundvoll, Aide-mémoire. Man erfährt, daß nun zwischen Factoryoutlet und Factory-Outlet gewählt werden kann, aber nicht mehr, daß die bisherige Schreibweise Factory-outlet war. Irishcoffee steht vor dem ebenfalls neuen Irish Coffee, das bisher übliche Irish coffee ist nicht mehr zugelassen, aber auch nicht mehr auffindbar. (Wie der Verlag mitteilt, ist die nichtreformierte Dudenausgabe von 1991 bei Direktbestellung immer noch lieferbar; es könnte sich lohnen.)

Gelegentlich wird die Aussprache falsch angegeben (Chinese mit stimmlosem s). Im übrigen begnügt man sich, wie in den Benutzungshinweisen dargelegt, mit recht niedrigem Standard: Shakespeare mit langem e, Fastfood mit t am Ende usw. Man kann sich demnach denken, wie etwa Grand Old Lady transkribiert ist: [gr?nt o:lt le:di]. Bemerkenswerterweise waren im letzten nichtreformierten Duden wenigstens die stimmhaften Auslaute noch wiedergegeben. Die Redaktion rechnet offenbar mit schwindenden Englischkenntnissen der deutschen Bevölkerung, während sie in Wirklichkeit immer besser werden. Auch dies paßt zum barbarischen Vorgehen bei Silbentrennung und Volksetymologie, das die Bildungsbemühungen der Schule vorsätzlich unterläuft.

Nicht alle Neuerungen sind durch Rotdruck gekennzeichnet. So sind zum Beispiel der Fliegergruß Glückab! und der Bergmannsgruß Glückauf! nun zusammenzuschreiben, während sie in der vorigen Auflage wie im alten Duden noch getrennt geschrieben waren. Dagegen bleibt Glück zu! getrennt. Welche höhere Einsicht zu solchen Änderungen geführt haben mag, ist nicht nachzuvollziehen. Die eingedeutschten Schreibweisen Gräkum und Tschardasch sollen laut amtlichem Wörterverzeichnis nicht mehr zulässig sein, nur noch Graecum und Csárdás oder das neueingeführte Csardas. Der Duden folgert eigenmächtig, daß dies auch für die Bezeichnung des ungarischen Pferdehirten gelten soll: Tschikosch war in der vorigen Auflage immerhin neben Csikós und dem hinzuerfundenen, daher rotgedruckten Csikos noch zulässig, jetzt ist es nur noch „alte Schreibung“. Was das Graecum betrifft, so fehlt jeder Hinweis darauf, daß die latinisierende Schreibweise nun die einzig zulässige sein soll. Solche Versäumnisse tragen dazu bei, das volle Ausmaß der reformbedingten Schreibänderungen zu verschleiern.

Die Kultusminister werden wohl erst durch den vorliegenden Band erkennen, worauf sie sich eingelassen haben. Es ist zu hoffen, daß die Sprachgemeinschaft, die aus sicherem Instinkt das ganze Reformprojekt stets abgelehnt hat, nicht mehr mit den jüngsten Einfällen einer Kommission belästigt wird, deren Inkompetenz das vorliegende Werk so überdeutlich bloßlegt.
__________________
Th. Ickler

07.09.2004 05.16 Theodor Ickler
Forum > Rechtschreibforum > DUDEN 2004
www.rechtschreibreform.de/php/einzelner_Datensatz.php?BeitragNr=25879
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden E-Mail senden Webseite dieses Benutzers besuchen
Manfred Riebe



Registriert seit: 23.10.2002
Beiträge: 2840
Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg

Beitrag: Dienstag, 14. Sep. 2004 14:45    Titel: Duden stürmt die Buchcharts Antworten mit Zitat

Duden stürmt die Buchcharts / Das Standardwerk der deutschen Sprache ist das meistverkaufte Sachbuch

Mannheim (ots) - Zwei Wochen nach dem Erscheinen stürmt der Titel „Duden - Die deutsche Rechtschreibung“ in dieser Woche auf Platz 1 der Media Control Sachbuchcharts und ist damit das meistverkaufte Sachbuch der vergangenen Woche. Erstmals wird die 23. Auflage des Rechtschreibdudens am kommenden Donnerstag (16. 9.) in der vom Stern veröffentlichten Hitparade auf Platz 1 auftauchen. In der offiziellen Schweizer Hitparade belegt die aktuelle Dudenausgabe bereits seit dem 8. 9. den ersten Platz.

Verlagssprecher Klaus Holoch freut sich über den Traumstart des Standardwerks und ist überzeugt, dass der Titel noch lange unter den Top 10 sein wird. Insgesamt war der Dudenklassiker mit seinen Vorgängerauflagen über 400 Wochen in den Media-Control-Charts
platziert.
Yahoo! Nachrichten vom 14.9.2004 ots
__________________________________

Pressemitteilung

Es handelt sich hier um eine als Nachricht getarnte Hausmitteilung des Duden-Verlags, für deren Verbreitung er die dpa bezahlt. Das ist heutzutage eine ganz übliche Form der PR-Arbeit; man erkennt diesen Meldungstyp am Kürzel „ots“ (= „Originaltext-Service“).

14.9.2004 J. M.
www.rechtschreibreform.com/Perlen/KraftBank/KraftBank.pl?TueSep1409:52:53CEST2004
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden E-Mail senden Webseite dieses Benutzers besuchen
Manfred Riebe



Registriert seit: 23.10.2002
Beiträge: 2840
Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg

Beitrag: Dienstag, 14. Sep. 2004 14:50    Titel: Da kann etwas nicht stimmen Antworten mit Zitat

Da kann etwas nicht stimmen

Die Focus-Sachbuch-Bestsellerliste wird ebenfalls von Media Control ermittelt. Hier befindet sich der Duden nicht unter den ersten 20, ebensowenig beim Spiegel, Gong und bei all-around-new-books. Bei buch.de findet man ihn nicht unter den ersten 10, auch nicht bei Buchmarkt Österreich und buchjournal.online. Bei libri steht er auf Platz 5, beim Börsenblatt auf Platz 8.

14.09.2004 Gabriele Ahrens
www.rechtschreibreform.com/Perlen/KraftBank/KraftBank.pl?TueSep1410:50:53CEST2004
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden E-Mail senden Webseite dieses Benutzers besuchen
Manfred Riebe



Registriert seit: 23.10.2002
Beiträge: 2840
Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg

Beitrag: Mittwoch, 24. Nov. 2004 09:38    Titel: Das Duden-Monstrum Antworten mit Zitat

Das Duden-Monstrum

Gemäß dem Parkinsonschen Gesetz - www.vrs-ev.de/forum/viewtopic.php?p=1737#1737 - wurde auf Grund der Rechtschreibreform mit ihren vielen Variantenschreibungen, komplizierten Regeln und somit zusätzlichen Erklärungsbedarf aus einem handlichen Duden,

20. Auflage, 1991, 832 Seiten, 773 g, ein Duden-Monstrum:
21. Auflage, 1996, 910 Seiten, 807 g,
22. Auflage, 2000, 1.152 Seiten, 1.106 g,
23. Auflage, 2004, 1.152 Seiten, 1.124 g.

Bei der Seitenzahl ergibt sich eine Zunahme um 38,5 Prozent. Doch diese ist nicht so aussagekräftig, weil man beim Format und der Einteilung tricksen kann. Daher ist das Gewicht ein zuverlässigeres Vergleichsmerkmal. Da beträgt die Zunahme: 1124 - 773 = 351 g = 45,4 Prozent!
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden E-Mail senden Webseite dieses Benutzers besuchen
Beiträge vom vorherigen Thema anzeigen:   
Neuen Beitrag schreiben   Auf Beitrag antworten    VRS Foren-Übersicht -> Wörterbücher Alle Zeiten sind GMT + 1 Stunde
Seite 1 von 1

 
Gehe zu:  







Powered by phpBB © 2001, 2002 phpBB Group