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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Samstag, 30. Okt. 2004 21:02 Titel: DRUCK+PAPIER |
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Ein kleiner Hoffnungsschimmer:
Der „Sprachwart“ von Druck + Papier beginnt, über die Rechtschreibreform zu informieren
SPRACHWART
Grießbrei, Reisbrei usw.
Wie die Schreibpraxis in der Schweiz zeigt, geht es auch ganz ohne ß! Die Neuregler der deutschen Rechtschreibung haben dagegen das seltsame Zeichen, das nach wie vor trotz aller Bemühungen gar nicht als Großbuchstabe existiert, in bestimmten Fällen beibehalten. Sie werteten ß sogar zu einem Buchstaben auf; bisher stand es als Ligatur nur anstelle von ss, um ein Silben- oder Wortende zu verdeutlichen. Das verhinderte Schreibungen wie bisschen, Missstand, Flussschifffahrt, Nussschale, genusssüchtig.
Nunmehr muss sich ß mit ss die Aufgabe teilen, die Länge oder Kürze eines vorhergehenden Vokals zu bezeichnen, was Änderungen mit sich bringt wie bei: hassen - Hass, küssen - küsste - Kuss, Wasser - wässerig - wässrig (alte Regelung: Haß, küßte, Kuß, wäßrig). Das soll die gleiche Schreibweise der Wortstämme sichern. Allerdings wird sie dort zurückgenommen, wo sie schon vorhanden war, so dass jetzt z. B. zu schreiben ist: schießen - schoss, beißen - Biss, schließen - Schloss, (statt schoß, Biß, Schloß). Die Neuregelung entschuldigt das lapidar: „In
manchen Wortstämmen wechselt bei Flexion und in Ableitungen die Länge und Kürze des Vokals von (s); entsprechend wechselt die Schreibung ß mit ss.“
Was gilt grundsätzlich für den Gebrauch von ß? Im Paragrafen 25 heißt es: „Für das scharfe (stimmlose) (s) nach langem Vokal oder Diphtong schreibt man ß, wenn im Wortstamm kein weiterer Konsonant folgt.“ Die Praxis ist jedoch zwiespältig. Es bleibt u. a. bei Grießbrei, Strauß, Fleiß. Demgegenüber stehen nach wie vor – bei klanggleichem S-Laut - Reisbrei, Eisbein, Preis, preiswert, weissagen, Maus.
Dietrich Lade
In: Druck+Papier, Zeitung der IG Medien, Nr. 6-7, Juni/Juli 2001, S. 10
http://www.igmedien.de/fg/druck/
Zuletzt bearbeitet von Manfred Riebe am Samstag, 02. Jul. 2005 08:40, insgesamt 1mal bearbeitet |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Samstag, 30. Okt. 2004 21:08 Titel: Buchdrucker wie 1901 übergangen |
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Buchdrucker wie 1901 übergangen
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Schreibreform: Wird die Mogelpackung wieder aufgeschnürt?
Die neuen Regelungen werden in der breiten Öffentlichkeit nicht akzeptiert – Die zwischenstaatliche Rechtschreibkommission soll nun schon im Jahre 2002 statt 2005 Änderungsvorschläge machen - Eigentliches Ziel ohnehin verfehlt
Die unendliche Geschichte Rechtschreibreform nimmt kein Ende, und das Jahrhundertwerk wird immer mehr zum Flick- und Stückwerk. Sogar Kultusministerinnen haben inzwischen die Meinung geäußert, man könne nicht ganze Schülergenerationen mit unklaren und in der Öffentlichkeit nicht akzeptierten Schreibregeln aus der Schule entlassen. Die zwischenstaatliche Rechtschreibkommission soll nun schon in diesem Jahr eine Bilanz der Reform vorlegen und im Jahr 2002 (vorgesehen war erst 2005) Änderungsvorschläge machen. Sie muss sich dabei vom Verband deutschen Schriftsteller, vom PEN-Klub und von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung beraten lassen.
Das Wort der Druckindustrie scheint allerdings - erneut - nicht gefragt zu sein. Dabei hat sie doch reichhaltige Erfahrungen gesammelt und müsste eigentlich in starkem Maße an vernünftigen, praktikablen und lesefreundlichen Sprachnormen interessiert sein. Allerdings dürfen sich die in der Druckindustrie Verantwortlichen nicht darüber wundern, dass sie nicht gefragt werden, haben sie doch mit der vielfältigen Abschaffung oder Ausdünnung der Korrektorate und Überlassung der Verantwortung für die Rechtschreibung in den Druckerzeugnissen an Agenturen, Autoren und Auftraggeber massiv an Kompetenz eingebüßt.
Die Macher und Befürworter der Reform loben sich immer wieder dafür, dass sie den Schreibenden mehr Freiheiten eingeräumt haben. Dadurch sei die Fehlerzahl in den Diktaten gesunken. Für die Druckindustrie sind die alten und die neu hinzugekommenen Kann-Vorschriften jedoch ein Problem, weil Grauzonen es erschweren, Einheitlichkeit in einem Text und in der Gesamtheit der Texte herzustellen.
Das stellte sich schon nach dem Erscheinen der Regelbücher heraus, die auf der Grundlage der Beschlüsse der Orthographischen Konferenz vom Juni 1901 verfasst worden waren. Die Vertreter der Buchdruckervereine Deutschlands, Österreichs und der Schweiz stellten bei ihrer Jahrestagung 1902 einstimmig fest, dass die neue Rechtschreibung für die Buchdrucker große Schwierigkeiten schaffe, indem sie in zahllosen Fällen zwei Schreibungen als gleichberechtigt zur Verfügung stelle. Man wollte jedoch - im Gegensatz zu heute - nicht, dass jeder Verlag, jede Druckerei eine eigene Regelung schaffe, nachdem sich die damalige Reform - wie heute - an den Bedürfnissen eines wichtigen Industriezweiges vorbeigemogelt hatte.
Konrad Duden wurde beauftragt, zusätzlich ein Wörterbuch ohne Doppelschreibungen zu verfassen. Es erschien 1903 im Bibliographischen Institut Leipzig und erhielt den Titel „Rechtschreibung der Buchdruckereien deutscher Sprache“, kurz Buchdruckerduden genannt. 1907 kam die zweite Auflage heraus; sie konnte 1915 mit dem „Orthographischen Wörterbuch“, dem eigentlichen Duden, verschmolzen werden, und zwar unter maßgeblicher Mitwirkung Otto Reineckes, des Oberkorrektors der Reichsdruckerei. Die Mehrheit der Schreibungen war nämlich inzwischen allgemein vereinheitlicht.
Übrigens ist auf dem Titelblatt des vereinten Dudens Folgendes vermerkt: „Mit Unterstützung des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, des Deutschen Buchdruckervereins, des Reichsverbandes Österreichischer Buchdruckereibesitzer, des Schweizerischen Buchdruckervereins sowie der deutschen und österreichischen Korrektorenvereine.“
Zurück zu heute und zu einem Gebiet, das den Schreibenden scheinbar große Erleichterungen gebracht hat. In bestimmten Fällen braucht ein Komma nur dann gesetzt zu werden, wenn es aus Gründen der Deutlichkeit und Verständlichkeit erforderlich ist. Das jedoch sind zwei sehr dehnbare Begriffe. Streit ist programmiert; es kann zu einem Hinundherkorrigieren kommen mit entsprechender Zeitverzögerung und unerfreulichen Kosten. Je mehr auf unmissverständliche Festlegungen bei der Rechtschreibung und Zeichensetzung verzichtet wird, desto schwieriger gestaltet sich die Arbeit der Setzer, Mediengestalter, Korrektoren, Lektoren und Redakteure.
Es war der Wunsch der Reformer, dass die neuen Schreibweisen, die für Schulen und Behörden verbindlich sind, auch „Vorbildcharakter für alle anderen Bereiche“ haben. „Das gilt speziell für Druckereien, Verlage und Redaktionen“, so Dr. Klaus Heller, einer der Väter der Reform, im „Sprachreport“, herausgegeben vom Institut für deutsche Sprache, Extraausgabe Januar 1996. An einem Vorbild wäre den genannten Institutionen schon gelegen, aber nicht an einem Zerrbild. Es sei nur erwähnt, dass die Getrenntschreibung zum Normalfall erklärt worden ist, ohne Rücksicht auf Wortbedeutung und -betonung. Dadurch werden uns Fügungen zugemutet wie: nahe stehende Verwandte (wieviel Meter entfernt?), ein Land wieder vereinigen (aber: Wiedervereinigung), ein frisch gebackener Abiturient (bei wieviel Grad Ofenhitze?).
Eine Expertin auf dem Gebiet, die Berliner Sprachwissenschaftlerin Dr. Renate Baudusch, hat rechtzeitig ihre Bedenken geäußert: „Sicher sieht es auf den ersten Blick bestechend aus, mit der einfachen Regel „Immer getrennt!' alle Probleme vom Tisch zu wischen; aber wirkliche Vereinfachung erreicht man nur im Einklang mit den der Sprache innewohnenden Gesetzmäßigkeiten und in Übereinstimmung mit der sprachlichen Entwicklung - und diese führt erwiesenermaßen zu vermehrter Zusammenschreibung.“
Ihr eigentliches Ziel hat die Rechtschreibreform ja ohnehin verfehlt. Es ist schon ganz in Vergessenheit geraten, dass der Begriff seit Jahrzehnten immer mit der Forderung nach Kleinschreibung verbunden war. Die Vorschläge des Internationalen Arbeitskreises für Orthographie, die der Reform zugrunde liegen (erschienen als 220seitige Broschüre 1992), enthielten ein entsprechendes Votum: „Der Arbeitskreis hat sich nach sorgfältigem Abwägen des Pro und Contra einstimmig für die Substantivkleinschreibung ausgesprochen und empfiehlt nachdrücklich ihre Einführung. (...) Heute besteht seit 1901 die erste reale Chance, die Regelung (der Groß- und Kleinschreibung) angemessen zu gestalten. Diese Chance sollte im Interesse der deutschen Sprachgemeinschaft genutzt werden.“ Wahrscheinlich war dabei auch an das Beispiel Dänemark gedacht worden, das 1957 als vorletztes Land die Großschreibung abgeschafft hatte.
Die Kultusminister entschieden sich jedoch von vornherein gegen die Kleinschreibung. Das verhinderte eine Diskussion, und es ist etwas beschlossen worden, womit in der Öffentlichkeit zunächst kaum jemand gerechnet hatte: eine vermehrte Großschreibung. Jeder Schreibende am Computer bekommt das nun unmittelbar zu spüren, weil er jetzt öfter als früher die Umschalttaste zu drücken hat.
Bei der Reform handelt es sich auch aus einem anderen Grunde um eine Mogelpackung. Seit dem Beschluss werben die Verfechter mit der seinerzeit von der Deutschen Presse-Agentur (dpa) verbreiteten Behauptung, die neuen Rechtschreibregeln wären schon deshalb einfacher, weil ihre Zahl nahezu halbiert worden sei. Das Paragrafenwerk umfasse statt früherer 212 Regeln nur 112. Doch die erste Zahl bezieht sich auf Richtlinien des alten Dudens und die zweite auf die Paragrafen der Reform. Es werden also Äpfel mit Birnen verglichen. Die Paragrafen sind stark untergliedert, und vieles wurde auf diese Weise zusammengefasst. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei einem Vergleich der Richtlinien des alten und des neuen Dudens. Der Nummerierungstrick ist allerdings nicht so einfach zu durchschauen.
Wie soll es jetzt weitergehen? Bleibt das Beispiel der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, die am 1. August 2000 zu den alten Regeln zurückgekehrt ist, umstritten? Der Internationale Arbeitskreis für Orthographie war 1992 selbstkritisch genug zu schreiben, seine Vorlage für die Reform beanspruche nicht, „den einzigen Weg aufgezeigt zu haben, der zu einer systematisierten und vereinfachten Rechtschreibung führt. Denn man kann viele der rechtschreiblichen Sachverhalte auch anders beschreiben und darstellen und natürlich auch andere Änderungen vorsehen.“ Das scheint nun wohl nötig zu sein.
Dietrich Lade
Druck+Papier Jahrgang 139, Nr. 6-7 Juni/Juli 2001, S. 1 und 7
www.igmedien.de/fg/druck/
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Anmerkungen:
Der Buchdrucker-Duden von 1903 - www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?t=623
In diesem VRS-Link wurde „viewtopic“ durch „themaschau“ ersetzt, damit er wieder funktioniert.
Anmerkungen:
Den Worten sollten Taten folgen
Ich gratuliere zu dem großartigen Artikel von Dietrich Lade: Schreibreform: Wird die Mogelpackung wieder aufgeschnürt? In: Druck + Papier Nr. 6-7, Juni/Juli 2001. Es handelt sich um einen gut recherchierten Beitrag. Den Worten sollten aber auch die nötigen Taten folgen. Gerade Druck + Papier sollte nicht nur jammern, sondern sich der FAZ anschließen und zur bewährten Rechtschreibung zurückkehren. Vgl. die Netzseite mit den reformfreien Zeitungen und Zeitschriften: www.gutes-deutsch.de
Immerhin wurde auch der „Verband deutscher Schriftsteller in der IG Medien“ in den Beirat eingeladen. Wie soll ich daher den Satz verstehen: „Das Wort der Druckindustrie scheint allerdings - erneut - nicht gefragt zu sein“? Wer ist denn der Vertreter des „Verbandes deutscher Schriftsteller in der IG Medien“ im Beirat für deutsche Rechtschreibung?
Ein Fehler ist aber doch enthalten: Die deutsche Akademie für Sprache und Dichtung gehört nicht zum Beirat für deutsche Rechtschreibung, der die Rechtschreibkommission beraten soll. Auch der VRS, der noch in Mannheim und Karlsruhe angehört wurde, wurde vom Beirat ausgeschlossen. Auf den Ausschluß der Akademie und des VRS sind die Rechtschreibreformer stolz.
Zuletzt bearbeitet von Manfred Riebe am Freitag, 01. Jul. 2005 21:16, insgesamt 3mal bearbeitet |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Samstag, 30. Okt. 2004 21:10 Titel: Gespaltene Gesellschaft |
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<< Gespaltene Gesellschaft >>
»Duden mit Dosenpfand«, so titelte eine Zeitung über den neuen Duden, der seit Ende August auf Käufer wartet. Dosenpfand gehört nämlich zu den 5.000 Wörtern, die erstmalig aufgenommen worden sind. Den Duden – stellvertretend für die Rechtschreibreform – mit dem Dosenpfand in Verbindung zu bringen, das entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie. Natürlich wäre auch an die – inzwischen zurückgenommenen – Rabattregelungen der Deutschen Bahn zu denken oder an die Lkw-Maut oder an Hartz IV.
von Dietrich Lade
Die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung, so der offizielle Name, steht nicht nur in der Kritik, weil „Reform“ inzwischen negativ besetzt ist. Sie wird schlechtgemacht, weil sie schlecht gemacht ist. Dieser Satz zeigt es schon: Die Reform erlaubt es nicht mehr, ein solches Wortspiel zu bilden. Unter dem Stichwort „schlecht“ verweist „Die neue deutsche Rechtschreibung“ von Bertelsmann (es soll hier nicht nur um den Duden gehen) auf § 34 E3 (3), wonach man die Verbindung aus Adjektiv und Verb/Partizip getrennt schreibt, wenn das Adjektiv in dieser Verbindung steigerbar oder durch sehr erweiterbar ist. Schlechtmachen ist nicht mehr vorgesehen. Dieses Wortspiel sei ein abwegiges Beispiel? Hier ein Originalsatz aus einer Pressemeldung: „Die Sozialdemokraten haben ... alles, was Leistung, Erziehung und Wertorientierung anging, schlecht gemacht.“ Haben sie eine verfehlte Politik gemacht oder etwas verunglimpft?
Das Diktat der Kultusminister
Rechtschreibliche Richtlinien als Paragrafen zu bezeichnen, das allein ist schon provozierend. Konnte bei der Reform nicht wenigstens ein Psychologe beratend mitwirken, wenn schon praxiserfahrene Korrektoren und Lektoren ausgeschlossen geblieben sind? Nein, klug oder gar einfühlsam sind die Macher, die Auftraggeber und die Ausführenden leider nicht vorgegangen. So haben die Kultusminister die 1992 vom Internationalen Arbeitskreis für Orthografie vorgeschlagene Kleinschreibung der Substantive von vornherein ohne triftigen Grund abgelehnt und somit eine Diskussion erst gar nicht zugelassen.
Dänemark hat die Kleinschreibung Mitte des vorigen Jahrhunderts offenkundig so überzeugend eingeführt, dass bis heute nichts von einer Ablehnung oder gar Rücknahme zu hören ist. Deutsche Reformer haben stattdessen Forderungen erfüllt, die gar keiner gestellt hatte: Verwandlung von Gemse in Gämse, aufwendig in aufwändig, Kleinschreibung der Anredepronomen du, ihr, Hervorhebung belangloser, floskelhafter Nichtsubstantive durch Großschreibung wie bei im Übrigen, im Voraus usw.
Seit Anfang an wird behauptet, die Zahl der Regeln sei halbiert worden (gerade erst wieder vom Chefredakteur des „stern“), obwohl dies nachgewiesenermaßen eine Milchmädchenrechnung ist. Nur eine von vielen Unrichtigkeiten, mit denen Sympathie verspielt wurde und wird. Von Ignoranz zeugt ebenso, wenn die Zwischenstaatliche Kommission in ihrem Bericht vom November 2003 beteuert, die Kritik am Regelwerk sei „auf wenige Einzelpunkte beschränkt“. Und weiter: „Die grundlegenden Verbesserungen im Vergleich zur alten Regelung werden allgemein anerkannt.“ Umfrageergebnisse mit anhaltend schlechten Ergebnissen bleiben unbeachtet (Allensbach: 13 Prozent eindeutig dafür, 49 Prozent dagegen, 38 Prozent unentschlossen). Unerwähnt auch der Volksentscheid in Schleswig-Holstein 1998, bei dem 56,4 Prozent dagegen votierten.
Reformierte Reform
Bei der Vorstellung der aktualisierten Duden-Auflage, der 23., verlangte Redaktionsleiter Dr. Matthias Wermke laut dpa: Schluss mit dem Gelehrtenstreit! Der führe an den Anwendern vorbei. Wer die breite Front der Reformkritiker auf eine solche herabsetzende Formel reduziert, muss sich über Aufregung und Unverständnis nicht wundern. Wenig hilfreich sind auch die Schönredereien, mit denen die reformierte Reform kaschiert wird. Der Duden verwendet in seinem Vorwort die Begriffe „Modifizierung“ und „Regelergänzungen“.
Die erwähnte Kommission hatte „in manchen Fällen Präzisierungen“ vorgeschlagen. Dr. Wermke sprach davon, künftig „behutsam an denjenigen Stellen nachzujustieren, für die es als wichtig und notwendig erkannt wird“. Warum dann aber heute schon wieder ein neuer Duden, ein Jahr vor dem Jubiläum (125 Jahre Duden) und vor dem Datum, zu dem die Reform erst verbindlich werden soll?
Die bisherigen Korrekturen sind - soweit es sich überschauen lässt - eine Rückkehr zu den alten Schreibweisen. Jede neue Variante ist eine alte Bekannte, hat ein Spaßvogel gereimt. In einer Hinsicht stimmt das allerdings ganz und gar nicht. Früher stand im Duden - und so war auch der althergebrachte Sprachgebrauch - groß schreiben (d.h. mit großem Anfangsbuchstaben schreiben, getrennt betont) und großschreiben (bei übertragener Bedeutung, vorn betont). Die beiden Schreibweisen gibt es zwar auch im neuen Duden, jetzt jedoch in umgekehrter Bedeutung: ein Wort großgeschrieben (mit großem Anfangsbuchstaben) - Teamarbeit wird bei uns ganz groß geschrieben (ugs. für wichtig genommen).
Auf diese Weise werden neben der Sinnverdrehung zugleich Mündlichkeit und Schriftlichkeit in einen Gegensatz gebracht. Die Phonetik gehört somit auch zu den Leidtragenden der Reform, weil der herkömmliche Akzent missachtet wird und das zu anderer Betonung verleitet. Die Neuregelung von 1996 sei nicht sehr viel mehr als eine bescheidene Fortführung der herkömmlichen Rechtschreibung, sagte Dr. Wermke kürzlich vor der Presse - eine so weit reichende (lies: weitreichende) Umkehr des Sprachgebrauchs als Fortentwicklung des Alten zu bezeichnen, das ist mehr als mutig.
Kontra Konrad Duden
Die Ankündigung großer Verlage, nach dem Vorbild der FAZ zu den früheren Regelungen zurückzukehren, wiegt schwer. Welche Interessen stehen hinter dieser Entscheidung? Sie ist gedeckt durch die ständigen Versicherungen der Reformer, die neuen Regelungen seien verbindlich nur für Schulen und Behörden. Alle anderen (vor allem Schriftsteller) könnten doch schreiben, wie sie wollen. Das hieße aber, die Situation völlig zu verkennen. Wo bliebe da das viel zitierte und durchaus richtige Pädagogenmotto, nach dem wir nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen?
Die Medienlandschaft, besonders der Buchmarkt, und damit die gesamte Gesellschaft werden auf rechtschreiblichem Gebiet gespalten. Dabei war doch Einheitlichkeit das erklärte Ziel Konrad Dudens. Sogar während der 40-jährigen Zweistaatlichkeit konnte ein Auseinanderdriften der Schreibweisen verhindert werden! Jetzt sollen wir eine Trennung zwischen Schule und Behörden einerseits und anderen Bereichen der Gesellschaft andererseits hinnehmen? Oder brauchen wir Einheitlichkeit vielleicht gar nicht? Eine treffliche Antwort gab schon vor 300 Jahren der englische Philosoph John Locke: „Nun ist aber die Sprache das große Band, das die Gesellschaft zusammenhält; ja, sie stellt auch den Weg dar, auf dem die Fortschritte der Erkenntnis von einem Menschen zum andern und von einer Generation zur andern überliefert werden.“ Das Allerschlimmste jedoch, was den Ungereimtheiten der Neuregelung zu verdanken ist: Die Flut der Varianten (daher der Ausdruck Beliebigkeitsschreibung) hat nicht nur Unsicherheit verursacht, sondern zu einer bisher nicht gekannten Laxheit im Umgang mit Sprachnormen geführt. Ob es Schreibungen wie Strasse sind oder die kaum noch gesetzten Durchkoppelungsbindestriche bei Zusammensetzungen mit Personennamen oder fehlende Kommas vor Nebensätzen - die Dämme scheinen gebrochen zu sein. Ein jährlicher öffentlicher Rechtschreibwettstreit unter der Schirmherrschaft einer Akademie wie in Frankreich - in Deutschland schon vorher, aber jetzt erst recht undenkbar.
Tückischer Variantenreichtum
Was tun, nachdem sich haufenweise Fragen stellen, die es ohne die Reform gar nicht gäbe? Anfang August hat die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung mit Sitz in Darmstadt ihren Kompromissvorschlag von 2003 erneut in die Diskussion gebracht.
Danach sei die Ersetzung des ß nach kurzem Vokal durch ss hinnehmbar. Rückgängig müssten Neuregelungen gemacht werden, die gegen die Sprachstruktur verstoßen, die Ausdrucksvielfalt des Deutschen beschädigen und zu falschen Schreibweisen verleiten oder sogar Wörter beseitigen. Allerdings neigen die Vorschläge im Wörterverzeichnis dazu, noch mehr Schreibungen ins Ermessen des Einzelnen zu stellen. Gerade das aber widerspricht den Erfordernissen der Praxis, besonders in der Medienwirtschaft, wo es auf Festlegungen ankommt.
Die mit der Reform befassten Sprachwissenschaftler müssten wenigstens mal einen halben Tag als Korrektor oder Lektor arbeiten. Beim Auslegen der Paragrafen und Einzelregeln stünden den Reformexperten schnell die Haare zu Berge. Wie im Einzelfall entscheiden, wenn die auswuchernde Variantenregelung beides zulässt? Nein, der bisher beschrittene Weg, strittige Fragen durch Freigabe von Schreibweisen und Abschaffung von Regeln bei der Zeichensetzung lösen zu wollen, verringert vielleicht die Fehlerzahl in Schuldiktaten, ist aber praxisuntauglich und wird aus dem Dilemma, in das die Rechtschreibreform geraten ist, auch nicht hinausführen.
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Zitat im Text:
>> Nun ist aber die Sprache das große Band, das die Gesellschaft zusammenhält; ja, sie stellt auch den Weg dar, auf dem die Fortschritte der Erkenntnis von einem Menschen zum andern und von einer Generation zur andern überliefert werden. John Locke, englischer Philosoph (1632 – 1704) <<
Bildtext: Die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung wird zu Recht schlechtgemacht, weil sie schlecht gemacht ist.
DRUCK+PAPIER Nr. 5, September 2004, S. 1 und 3
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Herausgeber: Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft, Bundesvorstand/ Fachbereich Medien, Kunst und Industrie, Frank Bsirske und Frank Werneke.
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Redaktion
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DRUCK+PAPIER - die ver.di-Branchenzeitung - erscheint für die Mitglieder der Fachgruppen Druckindustrie, Papierverarbeitung und Verlage sechsmal im Jahr als Beilage zur ver.di-Mitgliederzeitung PUBLIK.
Redaktion: Henrik Müller (verantwortlich), Paula-Thiede-Ufer 10, 10179 Berlin, Telefon: 030.6956-1076, Telefax: 030.6956-3012, drupa@verdi.de.
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Samstag, 30. Okt. 2004 21:38 Titel: Rechtschreibdiskussion geht weiter |
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Rechtschreibdiskussion in DRUCK+PAPIER geht weiter
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In dieser Printausgabe
… geht die Diskussion über die richtige Rechtschreibung weiter: mit einem ausführlichen Leserbrief des engagierten Korrektors Klaus Kolbe (Seite 5), der darauf hinweist, dass die Einheitlichkeit der Rechtschreibung immer oberstes Gebot der Jünger Gutenbergs gewesen sei. In der Tat: Viele Jahrzehnte - bis 1969 - gab es für den ehrbaren Berufsstand der Korrektoren sogar eine ambitionierte Fachzeitschrift der damaligen Industriegewerkschaft Druck und Papier: „Der Sprachwart - Monatsblätter für Sprache und Rechtschreibung“ hieß sie. „Sprachwart“ nennen wir - als Reminiszenz an diese Tradition - noch immer die Kolumne auf Seite 7 der heutigen ver.di-Branchenzeitung DRUCK+PAPIER. Die Sprachglossen stammen seit vielen Jahren von Dietrich Lade. Seit Beginn dieses Jahres steuert Thomas Klefisch kunstvolle Illustrationen bei. Lade, Klefisch, DRUCK+PAPIER, das Grafikbüro „werkzwei“ und der ver.di-Fachbereich Medien, Kunst und Industrie machen aus den Texten und Illustrationen des Jahrgangs 2004 jetzt ein kleines, exklusives Büchlein zum Jahreswechsel. Wer ein Exemplar geschenkt haben möchte, der schicke eine Postkarte an: Redaktion DRUCK+PAPIER, c/o ver.di-Bundesvorstand, Stichwort „Sprachwart“, Paula-Thiede-Ufer 10, 10179 Berlin, oder eine eMail an drupa@verdi.de (Lieferadresse nicht vergessen!). Wenn sich mehr Kolleginnen und Kollegen melden, als Exemplare vorhanden sind, entscheidet das Los.
Henrik Müller
DRUCK + PAPIER Nr. 6, Dezember 2004, S. 1
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Manfred Riebe
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: Samstag, 22. Jan. 2005 16:33 Titel: Die Einheitlichkeit der Rechtschreibung |
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Die Einheitlichkeit der Rechtschreibung
war immer oberstes Gebot der Jünger Gutenbergs
Betr.: »Gespaltene Gesellschaft«, DRUCK+PAPIER 5/2004, Titelseite
Endlich, so scheint es, ist DRUCK+PAPIER »aufgewacht«. Viel zu lange schon haben viel zu viele darüber hinweggesehen oder nicht wahrhaben wollen, was tatsächlich mit der vorzeitigen und damit rechtswidrigen Einführung der so genannten Rechtschreibreform, nämlich teilweise schon Ende 1996, ausgebrochen ist: eine Beliebigkeitsschreibung, wie sie Konrad Duden vorgefunden hat, bevor er an einer Vereinheitlichung für alle deutschen Länder arbeitete. Ehe ich weiter darauf eingehe, möchte ich zwei Zitate vorwegschicken:
• »Eine Änderung geltender Konventionen und Normen über den Schüler zu erreichen, ist zwar verlockend und wäre, wenn es gelänge, auch am erfolgversprechendsten, aber sie setzt an am schwächsten Glied in der Kette.«
Das ist ein Zitat des Chef-Reformers Gerhard Augst aus dem Jahre 1982. Jahre später hatte er keine Skrupel mehr, genau dieses in die Tat umzusetzen.
• Am 26. März 1998 sagte der stellvertretende Vorsitzende der Kultusministerkonferenz (KMK) in einer Rede im Deutschen Bundestag: »Nicht um die Neuregelung der Rechtschreibung geht es in Wahrheit. Es geht um die Frage, ob diese Gesellschaft veränderungsfähig und veränderungswillig ist. Wenn es schon bei einem Reförmchen wie diesem zu solchen Reaktionen kommt, was soll dann erst geschehen, wenn es wirklich ernst wird mit Veränderungen in Deutschland?«
Das spricht für sich, denke ich!
Über Jahrzehnte hinweg hat sich ein kleiner Kreis von Reformern mit nichts anderem beschäftigt als mit dem Versuch einer Reform der Rechtschreibung. Nachdem es ihnen dann endlich gelang, sich dafür von den zuständigen Kultusministern einen Auftrag zu »holen«, mußten sie bald feststellen, daß sie ihre ursprünglichen Ziele, nämlich die Substantivkleinschreibung, die Dehnungslautverdoppelung aufzuheben und die Fremdworteindeutschung, nicht durchsetzen konnten. So verlegten sie sich auf die Wiedereinführung der Heyseschen s-Schreibung, die vermehrte Getrenntschreibung und die vermehrte Großschreibung. Alles Relikte aus Zeiten, die hundert und noch weit mehr Jahre zurückliegen. Und so etwas wird uns als Reform verkauft - kaum zu fassen. Neben den handwerklichen Fehlern stehen dann grammatisch falsche Schreibungen wie Leid tun (jetzt auch wieder leidtun, nicht aber richtig: leid tun!). Das Regelwerk ist auch nicht, wie immer behauptet, geringer geworden, sondern umfangreicher. Die Ausnahmen von den Ausnahmen haben ein Ausmaß erreicht, von dem das »alte« Regelwerk nur träumen kann. Ist es Zustimmung zur neuen Rechtschreibung, wie uns die KMK, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und der in meinen Augen dazu nicht legitimierte Bundeselternrat wider besseres Wissen immer wieder gebetsmühlenartig weismachen wollen, wenn letztlich nur ca. 15 Prozent des »Schreibvolks« sich dazu bekennen (letzte Allensbach-Umfrage).
Nicht ca. 50 Prozent weniger Fehler machen die Schüler jetzt, wie 1997 in meinem Beisein der damalige KMK-Vorsitzende Wernstedt der Öffentlichkeit in der Fernsehsendung »Hallo, Niedersachsen« vorgegaukelt hat, nein, die Schüler machen eher mehr Fehler als vordem - siehe Studien des Prof. Marx, Uni Leipzig. Es werden noch mehr werden, wenn von August nächsten Jahres an die »Altschreibungen«, die bislang noch ohne Bewertung bleiben, als Fehler gewertet werden müssen. Nach Mengenlehre und Ganzwortmethode ist dies ein weiterer Versuchsballon, der gescheitert ist -auszubaden haben es wieder einmal die Schulkinder, denen ja anscheinend vieles zugemutet werden darf.
DRUCK+PAPIER sollte jetzt soviel Zivilcourage aufbringen, eine einmal getroffene Entscheidung, die sich im nachhinein als falsch erwiesen hat, zurückzunehmen, und zur bewährten Rechtschreibung zurückkehren, und zwar umgehend! Das ist meine Forderung als gelernter Setzer und Korrektor an »meine« DRUCK+PAPIER. Die Einheitlichkeit der Rechtschreibung war immer oberstes Gebot der Jünger Gutenbergs - aus wohlbekannten (nicht: wohl bekannten) Gründen. Nicht umsonst gab es Anfang des letzten Jahrhunderts den Buchdrucker-Duden.
Klaus Kolbe, 31553 Sachsenhagen
DRUCK + PAPIER Nr. 6, Dezember 2004, S. 5 - Leserbriefe
www.verdi-drupa.de/
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Der Buchdrucker-Duden von 1903 - www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?t=623 |
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