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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Samstag, 28. Feb. 2004 12:29 Titel: Sprachnachrichten (VDS) |
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<b>Sprachnachrichten (VDS)
Redaktion: „Wir verwenden die traditionelle Rechtschreibung.“
Warum wird in der Vereinszeitschrift die „alte“ Rechtschreibung benutzt?
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Rechtschreibreformen sind ein Gewinn für die deutsche Sprache</b>
Eine der größten Schwierigkeiten beim Erlernen der englischen Sprache ist die korrekte Rechtschreibung. Im Gegensatz zum Deutschen besteht nur ein loser Zusammenhang zwischen Aussprache und Schreibweise.
Warum ist das so? Die englische Rechtschreibung ist heute im wesentlichen dieselbe wie im Mittelalter. Die Sprache und insbesondere die Aussprache haben sich im Laufe der Jahrhunderte geändert, die Rechtschreibung jedoch nicht.
Daß dies im Deutschen anders ist, verdanken wir Konrad Duden, dessen Verdienste für die deutsche Sprache kaum genug gepriesen werden können. Seine Maxime bei der Systematisierung und Vereinheitlichung der deutschen Rechtschreibung war ein möglichst eindeutiger Zusammenhang zwischen Rechtschreibung und Aussprache gemäß klarer Regeln. Sein Motiv war dabei nicht nur seine Liebe zur deutschen Sprache, er hatte auch ein soziales Anliegen: Auch der weniger gebildete Deutsche sollte in der Lage sein, korrektes Deutsch zu schreiben, indem er einfach die Wörter schrieb, wie er sie hörte.
Die deutsche Sprache entwickelte sich jedoch weiter, was eine kontinuierliche Anpassung der Rechtschreibung notwendig machte. Dies leistete auch die Rechtschreibreform von 1998, die z. B. die Schreibung von „ss“ bzw. „ß“ systematisierte. Mir ist es daher unverständlich, warum Sie in der Vereinszeitschrift weiterhin die „alte“ Rechtschreibung benutzen. Daß es in Deutschland Rechtschreibreformen überhaupt gab, ist jedenfalls zweifellos ein großer Gewinn für die deutsche Sprache. Ohne die Rechtschreibreformen 1872/1901/1998 befänden wir uns noch in der Kleinstaaterei und wie die Engländer und Amerikaner im sprachlichen Mittelalter!
Dr. Peter Menke, Erlangen
Sprachnachrichten, Verein Deutsche Sprache (VDS/VWDS), Nr. 3, Oktober 2003, S. 18, Briefe an die Redaktion
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Herausgeber:
Verein Deutsche Sprache e. V.
Postfach 10 41 28, 44041 Dortmund
Tel. (0231) 79 48-520, Fax (0231) 79 48-521
http://www.vds-ev.de, info@vds-ev.de
Redaktionsleitung:
Heiner Schäferhoff (V.i.S.d.P.)
Stellvertretung: Renate Hanke
Redaktion: Erika Braunshausen, Maria Fabian, Renate Hanke
Gerd Schrammen
Jugendredaktion: Anne-Sophie Fischer, Martin Reulecke
Lektorat: H. Dieter Burkert
Heiner Schäferhoff, Allee 18, 59439 Holzwickede
Heiner.Schaeferhoff@t-online.de
Auflage: 20.000
<b>Wir verwenden die traditionelle Rechtschreibung.</b> |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Samstag, 23. Okt. 2004 11:15 Titel: VDS: „Streithähne verwechseln Sprache und Rechtschreibung“ |
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VDS: „Streithähne verwechseln Sprache und Rechtschreibung“
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RECHTSCHREIBREFORM
Zurück zu den Akten?
Die Rechtschreibreform war das Thema dieses Sommer(loch)s. Nachdem das Magazin Spiegel und alle Blätter des Springer-Verlags (u.a. Bild und Welt) der Frankfurter Allgemeinen Zeitung folgten und bekannt gaben(!), daß sie wieder auf die alte Rechtsch[r]eibung umstellen, ging das Theater los. Das führte soweit, daß Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff jüngst ankündigte, aus der Kultusministerkonferenz auszusteigen. Er fühlte sich gekränkt, weil diese - im Unterschied zu ihm - die Rechtschreibreform nicht wieder rückgängig machen möchte.
Die Streithähne verwechseln dabei Sprache und Rechtschreibung. So diskutieren sie eifrig am wirklichen Thema vorbei: der Verwahrlosung der Sprache. Mehr dazu auf den Seiten 4 und 5.
Fotos: Wörterbücher, Hängekartei
Sprachnachrichten Nr. 24, Oktober 2004, S. 1
Verein deutsche Sprache e.V. (VDS)
www.vds-ev.de
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Anmerkung:
Erstmals wird das Thema „Rechtschreibreform“, das bisher vom VDS für tabu erklärt und ausgeklammert wurde, in den VDS-Sprachnachrichten behandelt und sogar auf der Titelseite angekündigt. Das wirkliche Thema sei aber nicht das „Theater“ um die Rechtschreibreform, sondern die Verwahrlosung der Sprache.
Dr. Max Behland, Hamburg, gebührt das Verdienst, das Tabu-Thema „Rechtschreibreform“ erstmals in den VDS-Sprachnachrichten behandelt zu haben. Auf die Rechtschreibreformer und VDS-Mitglieder Gerhard Augst und Hermann Zabel wird nun keine Rücksicht mehr genommen. |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Samstag, 23. Okt. 2004 13:07 Titel: Orto-Gra-Vieh für felllose Papppferde |
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RECHTSCHREIBUNG
Orto-Gra-Vieh für felllose Papppferde
Im Streit um Känguruh und Thunfisch macht sich eine ehemalige Kulturnation lächerlich.
Von Max Behland
Der VDS hat sich bei seiner Gründung mit Bedacht „Verein deutsche Sprache“ genannt - und nicht etwa Verein deutsche Rechtschreibung. Die neu angeheizte Debatte um „Känguru“ und „Quäntchen“ sollte uns daher nicht vordringlich beschäftigen. Wir beobachten aber aus der Distanz die Schlammschlacht der streitenden Gruppierungen, die sich immer weiter in Rage reden und mit dem verbalen Dreschflegel aufeinander losgehen. Wenn sich die Experten (wer sich diesen Ehrentitel zulegt oder anhängen läßt, ist schon ein wenig verdächtig) schließlich gegenseitig als Dilettanten entlarven, freut uns das doch ein bißchen. Machen sie damit doch ihrem Namen alle Ehre, denn ihrer sprachlichen Herkunft nach sind sie diejenigen, die andere erfreuen („delectare“).
Die mangelnde Sachkenntnis der eifernden Streithähne zeigt sich auch darin, daß sie unentwegt Sprache und Rechtschreibung miteinander verwechseln. Sie reden und schreiben über den Niedergang der Sprache (der zwar auch zu beklagen ist, aber auf ganz anderen Feldern), obwohl es nur um Orthographie geht. Beides ist keineswegs dasselbe. Ob Frank Schirrmacher von der FAZ, der ruhiger gewordene Marcel Reich-Ranicki, der nobelgepriesene Günter Grass oder seine minder illustren schreibenden Kollegen - alle lamentieren sie über die Gefährdung der Sprache, an der sich durch die Rechtschreibung; ob nun alt oder neu, wirklich nichts ändert. Da wird die Substanz mit der Form vermengt. Orthographie setzt zwar Sprache voraus, verändert sie aber nicht.
Wie wenig Sprache und Rechtschreibung miteinander zu haben, zeigt ein schlichtes Gedankenspiel: Würde man von heute auf morgen in unserem Alphabet und damit im vielgepriesenen Duden 15 lateinische Zeichen durch kyrillische oder griechische ersetzen, hätte das absolut keine Auswirkung auf die Sprache und das gesprochene Wort. Ob „daß“ oder „dass“ - der Sprache ist das einerlei, und sie interessiert sich auch nicht dafür, mit wie vielen F die deutsche Schiffahrt mit ihrer Schifffracht unterwegs ist.
Die Gemeine Schmeißfliege landet im Duden
1995 war an der Rechtschreibreform schon etwa ein Jahrzehnt lang „gearbeitet“ worden; sie lag beschlußreif vor, und der neue Duden war schon gedruckt, als plötzlich wieder Streit aufkam: Ein deutsches Nachrichtenmagazin, das inzwischen auch wieder zur alten Rechtschreibung zurückkehren will, hatte gemeldet, künftig müsse sich der „Heilige Vater“ mit einem kleinen „h“ begnügen, während die „Gemeine Schmeißfliege“ Anspruch auf einen großen Anfangsbuchstaben habe. Das brachte den frommen Bayern Zehetmeyer [Hans Zehetmair, MR] so in Wallung, daß er seine Kultusministerkollegen zum Aufstand antrieb. Die Reform mußte um ein Jahr verschoben werden, bis die Reformatoren dem römischen Pontifex zur standesgemäßen Majuskel verholfen hatten. Allein dieses Beispiel zeigt, auf welch professioneller Basis das große Reformwerk zustande kam: Der neue Duden mußte damals wieder eingestampft und in geänderter Fassung neu gedruckt werden. Seit jener Zeit ist der würdige Langenscheidt, der seinem Unternehmen kurz zuvor den Dudenverlag einverleibt hatte, merklich gealtert und ergraut.
Willkür waltete bei den Veränderungen, die niemand braucht, die nichts verständlicher machen, aber mit pseudogelehrten Argumenten ins neue Wortverzeichnis gestampft wurden: „Stängel“ statt „Stengel“ beispielsweise - aus der Herkunft des Wortes kaum glaubhaft abzuleiten und auch nichts erleichternd, denn wer denkt beim Gänseblümchen-Stengel schon an „Stange“? Hemmungslosigkeit siegt auch wieder bei „aufwändig“, das man aus dem „Aufwand“ rechtfertigt, aber die „Aufwendungen“, zu denen es gehört, bleiben beim altbewährten „e“.
Mit Tintenmännchen-Mentalität überreguliert
Einerseits soll die Herkunft, aber auch die nur scheinbare Verwandtschaft von Wörtern als Argument für die willkürlichen Veränderungen herhalten, andererseits haben die Reformatoren offenbar nur sehr nebelhafte Vorstellungen von etymologischen Zusammenhängen. Und so werden mutmaßliche Wortwurzeln bemüht, die heute keiner mehr kennt oder braucht. Damit wenden (warum nicht „wänden“?) sich die Reformatoren „aufwändig“ zur Wand, gegen die sie die Rechtschreibung fahren - und zwar „behände“. Und dabei haben sie ganz übersehen, was man noch alles ändern könnte, wenn man noch ältere etymologische Wurzeln ausgrübe: Dann dürfte zum Beispiel der Engel Anspruch auf eine Verwandlung zum „Ängel“ erheben, weil ja das lateinische Wort „angelus“ dahintersteht. Aber an den Engeln wird nicht gerupft - wahrscheinlich weil sie unter dem besonderen Schutz des inzwischen orthographisch aufgewerteten Heiligen Vaters stehen. Wohl aus ähnlichen Gründen dürfen wir auch bei der Schreibung „Vater“ bleiben, anstatt zum ursprünglichen „Fater“ zu wechseln, sollen uns aber an den absurden „Frefel“ statt „Frevel“ gewöhnen, der offenbar das Leitmotiv der Reform ist.
Ärgerlich an der sogenannten Reform ist vor allem, daß mit Tintenmännchen-Mentalität überreguliert wird, wo es zuvor keine Probleme gab. Der Zick-Zack-Kurs bei der Groß- und der Getrenntschreibung beweist, wie es um den Sachverstand der Reformatoren bestellt ist. Denn vieles, was „einfacher und eindeutiger“ werden sollte, wird keineswegs klarer, sondern nur anders; dafür gab und gibt es aber keinen Bedarf. Jahrzehntelang galt in der Rechtschreibung die Grundregel „im Zweifelsfall klein“; jetzt werden plötzlich die kümmerlichsten Pronomina und Adjektive grundlos zu Substantiven ernannt.
Besonders die neue - inzwischen teilweise zurückgenommene - Getrenntschreibung scheint ein Intelligenzproblem ihrer Schöpfer zu offenbaren. Wenn wir in zwei Autos „zusammen fahren“ (beispielsweise in die Dolomiten), ist das wohl etwas anderes, als wenn die; Unfallbeteiligten auf der Kreuzung „zusammenfahren“ oder ein Leser zusammenfährt, wenn er eines Neuschreibtextes ansichtig wird. Die Kritiker der Reformvorschläge liefern serienweise Beispiele für sinnentstellende Formen, ohne daß sich indessen den Kommissionsmitgliedern der selbst angerichtete Un-Sinn erschließt.
Ein Beispiel für zweckfreie Regelungen ist die Bestimmung, nach der ein Adjektiv oder Adverb zwar zusammengeschrieben werden soll, wenn es sich um ein Nominalkompositum handelt: „personalintensiv“, aber zu trennen ist, sobald ein Verb ins Spiel kommt: „Zeit sparend“. Eine wunderbare Regel, an der sich alle orientieren können, denen der Unterschied zwischen Verben und Adjektiven vertraut ist: Wahrscheinlich sind sie aber eine verschwindende Minderheit der heutigen Schulabgänger und erreichen in der erwachsenen Gesamtbevölkerung nicht einmal fünf Prozent. Wo bleibt da die verheißene Vereinfachung?
Willkür statt Anpassung
Die Rechtschreibung hat sich über längere Zeiträume entwickelt und schrittweise angepaßt. Es hatte beispielsweise wenig Sinn, sich jahrzehntelang an „That und thun“ zu klammern anstatt „Taten zu tun“. Die sogenannte Reform hat aber versucht, Fortentwicklungen auch dort festzuschreiben, wo es sie gar nicht gibt. Die einzelnen Vorschläge, die jetzt in verbindliche Vorschriften übergehen sollen, bleiben deshalb konfus und laienhaft. Rechtschreibregeln lassen sich dem Volk nicht wie Umsatzsteuerdurchführungsverordnungen mit staatlicher Gewalt aufzwingen, aber sie könnten der „natürlichen“ Entwicklung folgen.
Wer „Frisör“ statt „Friseur“ schreibt - ein Wort, das in Frankreich nicht einmal verstanden wird - erregt zwar den Unwillen von Klaus Harpprecht, nimmt aber eine Veränderung auf, die sich über Jahrzehnte verbreitet und die der Duden schließlich aufgenommen hat: Ähnliches gilt für Photographie, die schmerzlos zur Fotografie wurde. Vielleicht gibt es sogar irgendwann einmal den Übergang von der Physik zur „Fisik“ - aber eben jetzt noch nicht, und es wäre dumm, wenn jemand auf die Idee käme, plötzlich auch dies noch staatlich zu verordnen. Denn dem Rechtschreibempfinden, so verkümmert es bei manchem sein mag, entspricht diese Version (noch) nicht, die zum Beispiel in skandinavischen und italienischen Wörterbüchern (warum nicht „italiänischen“ wie bei Goethe? Gehört das nicht zu Italia?) schon selbstverständlich ist: fisica, filosofia, farmacia.
Wenn die Rechtschreibung generell und konsequent verändert wird, muß das zu mehr Klarheit und Einfachheit führen - das bedeutet: Neue Schreibweisen müssen eindeutig und unmißverständlich sein. Genau das Gegenteil ist bei vielen der verordneten Neuerungen der Fall. Die traditionelle, bis 1997 allein gültige Rechtschreibung mag gelegentlich kompliziert gewesen sein. Aber sie war unmißverständlich. Über jedes einzelne Kapitel der mutmaßlichen Reform gibt es endlose Streitereien, teils mit Esprit geführt, meist aber mit albernen und leicht widerlegbaren Argumenten. Dabei wehren sich die Reformatoren, die offenbar aus reiner Willkür bewährte Schreibweisen durch andere ersetzen wollen, gegen jede berechtigte Kritik. Sie versuchen, ihre Gegner als verknöchert-hirnige Orthographie-Greise lächerlich zu machen, die sich an die alten Regeln nur aus ihrer eigenen Unfähigkeit und Unwilligkeit klammerten, etwas Neues zu lernen oder anzuwenden: Die Schwierigkeiten beim Erlernen der geänderten Regeln haben aber nach Aussage von Lehrern eher die Schüler, auch wenn einige Zweckoptimisten öffentlich das Gegenteil behaupten. Wenn die Orthographie angepaßt werden soll, müssen sich Fachleute damit befassen und nicht regelungswütige Wichtigtuer. Der Vorwurf, hier seien Dilettanten am Werk gewesen, wird immer öfter erhoben; er löst große Empörung aus, scheint aber berechtigt zu sein.
Was ist denn ein langer Vokal?
In einem Interview in der „Tageszeitung“ behauptete kürzlich Klaus Heller, Geschäftsführer der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung, allen Ernstes: „Der Neuregelungsvorschlag ist auf wissenschaftlicher Basis erarbeitet worden...“ Davon kann nun wirklich nicht die Rede sein. Zwar hat die Kommission ein paar erwägenswerte Vorschläge gemacht, zugleich aber sind offenbar nicht ganz etymologiefeste Laien manchen gewachsenen, vernünftigen und begründbaren Schreibungen mit grober Gewalt zu Leibe gerückt und haben ebenso groben Unfug angerichtet.
Beispiel: Die vorgeschlagenen ß-ss-Regeln besagen, das früher übliche „ß“ solle nach kurzem Vokal in „ss“ aufgelöst werden. Einen plausiblen Grund dafür gibt es nicht, aber nehmen wir es mal so hin. Allerdings scheint keiner der angeblichen Experten eine Ahnung davon zu haben, was ein langer Vokal ist und was ein kurzer. Offenbar hat sich auch keiner von ihnen Gedanken darüber gemacht, ob die Schreibenden selbst - also gut 140 Millionen Menschen - klare Vorstellungen von langen und kurzen Vokalen haben. Denn das sogenannte Hochdeutsch wird im ober- und im niederdeutschen Raum deutlich anders ausgesprochen. Da hilft auch nicht die regulierte Bühnen-Aussprache nach Siebs - den kennt fast niemand. Wer will sich- da ein Urteil über richtig und falsch anmaßen?
Im Süden hört sich „anfangen“ (kurz) eher wie „ahnfangen“ (lang) an. Andererseits haben „Glas, Gras, Gas“ einen langen Vokal; aber fast die Hälfte der Deutschen, vorwiegend im Norden, kürzt ihn ebenso radikal wie falsch zu „Glass, Grass, Gass“. Regeln müssen verständlich sein. Wenn die Mehrheit der Deutschsprechenden nicht eindeutig zwischen kurzen und langen Vokalen unterscheiden kann, dürfen ihnen diese auch nicht als Kriterium für die Schreib- weise angeboten werden.
Bei der ß-ss-Schreibung löst sich das Problem seit einigen Jahren schon selb(st)ständig: Schüler, die ja angeblich sehr gut mit den neuen Regeln zurechtkommen, und auch fast alle Zeitungen scheinen inzwischen nach dem Motto zu verfahren: Wir schreiben grundsätzlich immer „dass“ und niemals „das“, sofern ein Komma davor steht – ohne Prüfung der Wortart, die wir auch gar nicht mehr kennen (wollen): Ein schönes Beispiel findet sich in der Ausgabe 23 der Sprachnachrichten. Da schreibt ein Schülerzeitungs-Redakteur über „anglizismenverseuchtes Deutsch, dass (!) uns sprachlos macht“. Recht hat er.
„Schusssichere Betttücher und „felllose Papppferde“
Rechtschreibung entwickelt sich weiter - ähnlich wie die Sprache, der sie dient. Sie darf also angepaßt werden, wo es sinnvoll ist oder das Verständnis erleichtert wird. Das ist auch in den vergangenen hundert Jahren immer wieder geschehen.
Manche Änderung wäre sinnvoll und fällig Wie die Wes-pe könnte auch die Wes-te silbengerecht getrennt werden, zumal sich die Begründung für das bisher gültige Trennungsverbot „Trenne nie s-t, denn es tut ihm weh“ als eine nicht länger haltbare Lüge erwiesen hat. Die Regel zur Dreifachkonsonanz bedarf einer plausiblen Neufassung. entweder immer drei oder immer zwei Konsonanten - unabhängig davon, ob noch ein vierter folgt. Wir sollten aber überlegen, ob es tatsächlich einen dringenden Bedarf für „schusssichere Betttücher“ und „felllose Papppferde“ gibt.
Manche Ungereimtheiten bei der traditionellen Groß- und Kleinschreibung müssen beseitigt werden. Die Vorschläge zur Getrennt- und zur Großschreibung sind unausgereift, schwer vermittelbar und im Ergebnis fragwürdig, weil oft irreführend. Zwar ist auch die alte Zeichensetzung überarbeitungsbedürftig. Aber die neuen Regeln müssen die Eindeutigkeit garantieren. Die derzeit vorgeschlagenen Veränderungen können zu zweideutigen Ergebnissen führen.
Wenn es Änderungen in Rechtschreibung geben soll, müssen sie notwendig und vor allem wohlüberlegt sein. Dafür wäre in den zwei Jahrzehnten, die sich die Reparatur-Kommissare gegönnt haben, reichlich Zeit gewesen. Das Ergebnis ist aber leider nur ein Machwerk, das immer wieder nachgebessert und in Teilen zurückgenommen werden muß - als sei es eines der vielen politischen Reformwerke. Aber für die Rechtschreibung hat die Politik kein Mandat; sie sollte deshalb auch nicht die Vorschläge der Kommission für verbindlich erklären. Sie sind weder notwendig noch notwändig.
Foto einer Schultafel mit Schwamm, Text:
Schwamm darüber! Inzwischen kehren zahlreiche Medien zur alten Rechtschreibung zurück. In den Schulen ist das Dilemma besonders groß – die Schüler sind verunsichert, die Lehrer wissen nicht, was sie ihnen an die Tafel schreiben sollen.
Sprachnachrichten Nr. 24, Oktober 2004, S. 4 f.
Verein deutsche Sprache e.V. (VDS) - www.vds-ev.de
http://vds-ev.de/verein/sprachnachrichten/sn2004-03.pdf
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Anmerkungen:
Dr. phil. Max Behland ist Germanist und war als langjähriger Chefredakteur der Dresdner Bank für deren interne und externe Kommunikation und Publikationen zuständig.
Zusammenfassung der Kernaussagen Behlands:
Die „Reformatoren“ hätten die Rechtschreibung gegen die Wand gefahren. Sie hätten „überreguliert“, wo es zuvor keine Probleme gab. Der Neuregelungsvorschlag sei nicht auf wissenschaftlicher Basis erarbeitet worden. Der Rechtschreibreform fehle eine ausreichende professionelle Basis, da es an Sachverstand mangele: „Willkür waltete bei den Veränderungen, die niemand braucht.“ „Wenn die Orthographie angepaßt werden soll, müssen sich Fachleute damit befassen und nicht regelungswütige Wichtigtuer. Der Vorwurf, hier seien Dilettanten am Werk gewesen, wird immer öfter erhoben; er [...] scheint aber berechtigt zu sein.“
„Das Ergebnis ist [...] ein Machwerk, das immer wieder nachgebessert und in Teilen zurückgenommen werden muß [...] für die Rechtschreibung hat die Politik kein Mandat; sie sollte deshalb auch nicht die Vorschläge der Kommission für verbindlich erklären. Sie sind weder notwendig noch notwändig.“
Einige Richtigstellungen:
Die Einleitung enthält eine Distanzierung vom Kampf gegen die Rechtschreibreform und eine Abqualifizierung der Reformkritiker:
„Wir beobachten aber aus der Distanz die Schlammschlacht der streitenden Gruppierungen, die sich immer weiter in Rage reden und mit dem verbalen Dreschflegel aufeinander losgehen. Wenn sich die Experten (wer sich diesen Ehrentitel zulegt oder anhängen läßt, ist schon ein wenig verdächtig) schließlich gegenseitig als Dilettanten entlarven, freut uns das doch ein bißchen. [...] Die mangelnde Sachkenntnis der eifernden Streithähne zeigt sich auch darin, daß sie unentwegt Sprache und Rechtschreibung miteinander verwechseln. Sie reden und schreiben über den Niedergang der Sprache [...] obwohl es nur um Orthographie geht. [...] alle lamentieren sie über die Gefährdung der Sprache, an der sich durch die Rechtschreibung; ob nun alt oder neu, wirklich nichts ändert.“
„Aus der Distanz“ sieht man nicht so genau. Nicht die Reformkritiker benützten „verbale Dreschflegel“, sondern die Reformer und die Kultusbürokratie. Behland bemerkt daher auch richtig, daß die „Reformatoren“ versuchen, „ihre Gegner als verknöchert-hirnige Orthographie-Greise lächerlich zu machen, die sich an die alten Regeln nur aus ihrer eigenen Unfähigkeit und Unwilligkeit klammerten, etwas Neues zu lernen oder anzuwenden.“ Hinzu kommen die Desinformationen in der umgestellten und daher häufig parteiischen Presse.
Der ehemalige Rechtschreibreformer Horst Haider Munske wendet sich dagegen, daß man die Orthographie als „Kleid“ der Sprache bezeichne und schreibt sehr schön von der „Haut der Sprache“ (Munske: Lob der Rechtschreibung. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 231 vom 4. Oktober 2004, S. 8).
Behland schreibt von „endlose Streitereien, teils mit Esprit geführt, meist aber mit albernen und leicht widerlegbaren Argumenten.“ Aber auch Behland macht Fehler, u.a. bei der Auswahl eines Beispiels für die Getrenntschreibung: „Wenn wir in zwei Autos „zusammen fahren“ (beispielsweise in die Dolomiten), ist das wohl etwas anderes, als wenn die; Unfallbeteiligten auf der Kreuzung „zusammenfahren“ oder ein Leser zusammenfährt, wenn er eines Neuschreibtextes ansichtig wird.“ Aber gerade hier kann man den Reformern nichts vorwerfen. Sie machen laut Duden 2000 den gleichen Unterschied.
Falsch: „Der VDS hat sich bei seiner Gründung mit Bedacht „Verein deutsche Sprache“ genannt - und nicht etwa Verein deutsche Rechtschreibung.“
Richtig ist dagegen: Der VDS nannte sich bei seiner Gründung Verein zur Wahrung der deutschen Sprache (VWDS). Siehe auch:
- Verein Deutsche Sprache (VDS) - www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?t=301
- Sprachnachrichten (VDS) - www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?t=293
- „Was bedeuten 'Wahrung' und 'Förderung' der Sprache und der Sprachkultur?“ –
www.tu-berlin.de/fb1/AGiW/Cricetus/SOzuC1/SOVsRSR/ArchivSO/MRiebe1.htm
Falsch: „Das brachte den frommen Bayern Zehetmeyer so in Wallung, daß er seine Kultusministerkollegen zum Aufstand antrieb.“
Richtig ist dagegen: Es handelt sich um Hans Zehetmair - www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?t=170 -. Es wäre schön, wenn Zehetmair die Kultusminister zum Aufstand angetrieben hätte.
Falsch: „Die einzelnen Vorschläge, die jetzt in verbindliche Vorschriften übergehen sollen, [...] verordneten Neuerungen [...] Die traditionelle, bis 1997 allein gültige Rechtschreibung“.
Richtig ist dagegen: Die neue Rechtschreibung wurde im Herbst 1996 vorfristig in den Schulen eingeführt, dann am 1. August 1998 in den Behörden und am 1. August 1999 freiwillig in großen Teilen der Presse. Es gibt aber keine allgemein „verbindlichen Vorschriften“, d.h. es gibt kein Rechtschreibgesetz und keine Verordnung, siehe: www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?t=252 -.
Laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juli 1998 - www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?t=171 - gilt daher außerhalb der Schulen auch nach dem 31. Juli 2005 weiterhin die traditionelle Orthographie. Infolgedessen besteht die Spaltung der Orthographie fort, wenn die Rechtschreibreform nicht zurückgenommen wird.
Siehe auch: Max Behland: Auf der Achse des Blöden: »Blow up – calm down«. Ein Text, der mit Anglizismen aufgeblasen ist, hat denselben Effekt wie ein gutes Gespräch aneinander vorbei. In: Sprachnachrichten Nr. 3, September 2002, S. 5
www.vds-ev.de/verein/sprachnachrichten/sn2002-03.pdf
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Anmerkung:
In den VRS-Links wurde „viewtopic“ durch „themaschau“ ersetzt, damit sie wieder funktionieren.
Zuletzt bearbeitet von Manfred Riebe am Freitag, 02. Dez. 2005 19:27, insgesamt 4mal bearbeitet |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Samstag, 23. Okt. 2004 15:03 Titel: 24 Thesen zur Sprachpolitik |
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24 Thesen zur Sprachpolitik
Von Johannes Heinrichs
These 18. Als drittes Beispiel für eine spezifisch kulturpolitische Aufgabe sei die Lach- und Weinnummer Rechtschreibreform genannt: Es fehlen unserer Demokratie einfach die spezifisch kulturstaatlich-demokratischen Institutionen, sprich ein Kulturparlament, das eine bundesweite kulturpolitische Diskussion ohne Vermischung mit anderem Parteienhader transparent zusammenführen könnte.
Sprachnachrichten Nr. 24, Oktober 2004, S. 7
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Anmerkungen:
Professor Johannes Heinrichs lehrt bis vor kurzem Sozialökologie an der Humboldt- Universität zu Berlin. www.johannesheinrichs.de
Es sieht so aus, als ob die Rückkehr des Springer-Verlages zumindest ansatzweise eine Neubesinnung im VDS über dessen Tabu-Thema „Rechtschreibreform“ bewirken könnte. |
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