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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Mittwoch, 06. Okt. 2004 22:05 Titel: Faschismus pur |
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Faschismus pur
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Die Reform reformieren
Leserbrief zu: Im Vollrausch (FR Feuilleton vom 11. September)
Desorientierung
Seit bald zehn Jahren liegen die Argumente gegen die Rechtschreibreform auf dem Tisch und konnten nicht widerlegt werden; Professor Schneider aber hat geschlafen und kein einziges dieser Argumente mitbekommen und meint darum, es gebe sie nicht. Er hätte ja mal in die Schriften Theodor Icklers gucken können oder in mein Buch „Der Rechtschreib-Schwindel“. Dann wüsste er zum Beispiel, dass es den Reformern nicht um Vereinheitlichung ging, sondern um eine Umkrempelung, und er wüsste auch, was dabei herausgekommen ist: allgemeine Desorientierung. Jeder aufgeweckte Gymnasiast begreift, dass die Sprache selbst und nicht nur ihre Schreibung tangiert ist, wenn der beträchtliche Bedeutungsunterschied zwischen „wohl bekannt“ und „wohl bekannt“ nicht mehr graphisch markiert werden kann. Ein Germanistikprofessor muss das offenbar nicht begriffen haben. Der Satz aber „Die Regelung der schriftlichen Kommunikation gehört absolut in die Regelungskompetenz des Staates“ ist Faschismus pur. Sogar „über das feine Synapsenschaltwerk“ in unseren Köpfen dürfen laut Schneider die Kommunikationsreglementierer hinweggehen, und statt zu protestieren, hätten die Betroffenen „klein beizugeben“. Ein so plumpes Plädoyer für untertanenselige Staatsidolatrie ausgerechnet in der Frankfurter Rundschau lesen zu müssen, tut einem alten Linken schon weh.
Hans Krieger, München
Frankfurter Rundschau vom 18. September 2004
http://makeashorterlink.com/?N67023D59
Zuletzt bearbeitet von Manfred Riebe am Mittwoch, 06. Okt. 2004 22:20, insgesamt 1mal bearbeitet |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Mittwoch, 06. Okt. 2004 22:12 Titel: Zur Rechtschreibreform des Dritten Reiches |
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Zur Rechtschreibreform des Dritten Reiches
Wie der Gesetzgeber im Dritten Reich den Volksgenossen das Schreiben erleichterte: „Mit behutsamer Hand hat der Gesetzgeber eine kleine Reform der Rechtschreibung durchgeführt.“
„Damals wie heute versucht der Staat, die Schreibweise des gesamten Volkes mit obrigkeitlichen Mitteln und mit Hilfe der Schule zu verändern.“ (Theodor Ickler)
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Die einzige wirkliche Rechtschreibreform in Deutschland
Zu dem Artikel IM DICKICHT DER SPRACHE von Hermann Unterstöger in der SZ vom 13. Mai und den Leserbriefen NAHELIEGENDEN VERGLEICH ALS ANGRIFF MISSVERSTANDEN in der SZ vom 29. Mai
Als Verfahrensbeteiligter [als Vertreter des Vereins für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege (VRS) – www.vrs-ev.de - und der Initiative „Wir Lehrer gegen die Rechtschreibreform“ - www.raytec.de/rechtschreibreform/ -, MR] hatte ich eigentlich nicht die Absicht, mich vor dem 14. Juli, dem Tag der Urteilsverkündung, zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht über die Rechtschreibreform zu äußern. Nun scheint aber insbesondere über die Rustsche Reform von 1944 eine derartige Unkenntnis zu herrschen, daß die KMK-Vorsitzende auf deren bloße Erwähnung durch den Präsidenten der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung [www.deutscheakademie.de - Professor Christian Meier, MR] mit (wahrscheinlich gespielter) Empörung reagieren und damit bei wenig informierten Journalisten [Ickler meint Hermann Unterstöger, MR] einen gewissen Eindruck erzielen konnte.
Nun denn: Die Rustsche Reform ist nicht nur – wie Wolfgang Kopke in seiner vielbeachteten Dissertation gezeigt hat [Kopke, Wolfgang: Rechtschreibreform und Verfassungsrecht. Schulrechtliche, persönlichkeitsrechtliche und kulturverfassungsrechtliche Aspekte einer Reform der deutschen Orthographie. Tübingen: Mohr, 1995, MR] – aus juristischer Sicht bedeutsam, sondern auch wegen ihres Inhalts. Ein kurzer Aufsatz, der Anfang 1944 in vielen Zeitungen erschien, faßt das Wesentliche zusammen und ist auch heute noch lesenwert:
„Mit behutsamer Hand hat der Gesetzgeber eine kleine Reform der Rechtschreibung durchgeführt. Er ist bei der Einführung neuer Schreibweisen dem Sprachgebrauch nachgegangen, der sich ganz unabhängig von der gesetzlichen Regelung bereits herausgebildet hat. (...)
Im praktischen Leben haben sich schon längst die Schreibungen Fotograf, Telefon, Frisör, Keks (für Cakes), Schal durchgesetzt. Diese neuen Schreibungen waren auch schon halbamtlich anerkannt. Das neue Regelbuch dehnt nunmehr die eingedeutschte Schreibweise auf alle Fremdwörter aus [Germanisierung, MR] und ordnet folgerichtig an, daß die Buchstaben ph und th in Fremdwörtern durch f und t ersetzt werden und daß auch das h nach r wegfällt. Da der Gesetzgeber die allmähliche Anpassung an die neue Schreibung ermöglichen will, fügt er dieser Bestimmung hinzu, daß der bisherige Schreibgebrauch mit ph, th und rh weiter zulässig ist (...) Es kann also nunmehr geschrieben werden: Filosof, Fosfor, Difterie, Sfäre, Sinfonie, Strofe, Rabarber, rytmisch, Teater, Tese, teoretisch.
Das neue Regelbuch (...) bringt eine erfreuliche Klärung in die Schreibung einiger Redewendungen: Ich fahre Rad, ich fahre Schlitten, ich schreibe Maschine. Bisher schrieb man: Ich fahre rad, aber: Ich fahre Schlitten. In diesen Fällen wird die einheitliche Großschreibung angeordnet. Es wird darüber hinaus empfohlen, die Grundform auseinanderzuschreiben, also: Rad fahren, Schlitten fahren usw.
Die Frage der allgemeinen Groß- und Kleinschreibung ist in dieser kleinen Reform noch nicht geregelt worden, sie bleibt für Lehrer und Schüler noch das Schulkreuz. Wir müssen weiterhin in der Schreibung unterscheiden: Er ist schuld, es ist seine Schuld; mir ist angst, ich habe Angst. Der Gesetzgeber lockert aber die Bestimmungen auf. Da sich diese Unterschiede nur schwer in Regeln fassen lassen, sollen die Abweichungen von der richtigen Schreibung nicht als Rechtschreibfehler gelten. Die Schüler werden diese Großzügigkeit des Gesetzgebers dankbar begrüßen. (...)
Auch für das Silbentrennen bringt das Regelbuch eine Erleichterung. Die Silbentrennung erfolgt grundsätzlich nach Sprechsilben. Von Mitlautverbindungen kommt nur der letzte Mitlaut zur nächsten Silbe. Darum teilen wir nunmehr ab: wa-rum, da-rüber, aber auch Fens-ter, Rüs-tung, Karp-fen. Die Lautverbindung st wird also getrennt! (...)
Neu ist die Regel, daß in Satzverbindungen vor ‚und’ oder ‚oder’ kein Beistrich mehr gesetzt wird. Wir schreiben von nun an ohne Beistrich: Mein Bruder sucht Pilze und ich pflücke Heidelbeeren. Ich verbringe meinen Urlaub an der Ostsee oder ich fahre mit dem Rad durch Ostpreußen.
Die Übereinstimmung mit der heute geplanten Neuregelung ist in der Tat verblüffend. Auch Eindeutschungen wie Rabarber, rytmisch, Strofe stehen ja ausdrücklich im Regelbuch von 1995 und wurden erst nach Minister Zehetmairs Intervention gestrichen.
Man kann nicht genug betonen, daß die Rustsche Reform keineswegs spezifisch nationalsozialistisch ist. Sie liegt vielmehr ganz auf der Linie der meisten Reformbewegungen seit über 200 Jahren. Dem Zeitgeist (und gewissen Vorgaben in Hitlers „Mein Kampf“) entspricht allenfalls der unbedingte Vorrang, der dem gesprochenen Wort vor dem geschriebenen eingeräumt wird: „Das gesprochene Wort ist der Ausgangspunkt für alle Spracherziehung.“
Bemerkenswert ist aber gewiß das übereinstimmende Propagandavokabular: Seit 1994, als die „gemäßigte Kleinschreibung“ aufgegeben werden mußte, wird die heutige Reform als „behutsam“ und als „kleine Reform der Vernunft“ angepriesen. Fast genauso – und zwar aus denselben Gründen – drückte sich schon der Verfasser unseres Aufsatzes aus. Auch die Schutzbehauptung, man gehe nur dem ohnehin feststellbaren Sprachwandel nach, ist gleichgeblieben und war damals sogar weniger unzutreffend als heute. In gewissem Sinne ist die Reform von 1944 „liberaler“ als die heutige, weil sie weniger verbietet und mehr Varianten zuläßt. Gerade diese Variantenfülle wurde übrigens schon damals scharf kritisiert, u.a. im Schweizer Sprachspiegel.
Genauer zu erforschen bleibt noch die personelle Kontinuität. Die Sprachwissenschaftler, die für den Reicherziehungsminister gearbeitet hatten, waren nach dem Krieg auch die ersten, die einen Neuansatz versuchten und damit die Grundlinien der heutigen Rechtschreibreform vorzeichneten.
Fazit: Die Rustsche Reform war bis heute die einzige wirkliche Rechtschreibreform in Deutschland, und wenn sie nicht durch die bekannten historischen Ereignisse in den Orkus gefahren wäre, hätte sie die heutigen Reformpläne überflüssig gemacht. Damals wie heute versucht der Staat, die Schreibweise des gesamten Volkes mit obrigkeitlichen Mitteln und mit Hilfe der Schule zu verändern; Richtung und Tiefe des Einschnitts waren nahezu identisch. Es kann nicht verboten sein, diese interessanten Tatsachen in Erinnerung zu rufen.
Prof. Dr. Theodor Ickler, Spardorf
Süddeutsche Zeitung Nr. 129 vom 8. Juni 1998, S. 9
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Anmerkungen:
Ickler schreibt: „Ein kurzer Aufsatz, der Anfang 1944 in vielen Zeitungen erschien, faßt das Wesentliche zusammen und ist auch heute noch lesenswert“, und er zitiert daraus. Gemeint ist ein Aufsatz, der zum Beispiel in der „Dortmunder NS-Zeitung“ vom 28.6.1944 erschien. Ickler dankt H. Bodensieck, Universität Dortmund, für diesen Hinweis. Vgl. Theodor Ickler: Die Rechtschreibreform von 1944 (Anhang 13). In: Die Rechtschreibreform – Propaganda und Wirklichkeit, Fußnote 64. www.rechtschreibreform.com/Seiten2/Wissenschaft/969IcklerPropaganda/29A13.html
Theodor Ickler meint zwar: „Man kann nicht genug betonen, daß die Rustsche Reform keineswegs spezifisch nationalsozialistisch ist.“ Aber Birken-Bertsch / Markner weisen nach, daß dies dennoch so ist und daß obendrein eine sachliche und personelle Kontinuität zwischen der Reform von 1944 und der von 1996 vorhanden ist:
Birken-Bertsch, Hanno und Markner, Reinhard: Schrift und Rede, Rechtlautung und Rechtschreibung. Traditionslinien der Rechtschreibreform (1944/1996). In: Neue Rundschau, Berlin: S. Fischer Verlag GmbH, Heft 4, 2000, S. 112-124
Birken-Bertsch, Hanno und Markner, Reinhard: Rechtschreibreform und Nationalsozialismus. Ein Kapitel aus der politischen Geschichte der deutschen Sprache. Göttingen: Wallstein-Verlag, 2000.
Birken-Bertsch/Markner zitieren auf S. 96 ff. als Quelle für ihre Beispiele der NS-Rechtschreibreform:
[Karl Reumuth]: Fosfor, Kautsch, Plato, Ragu, Tese, Träner. Neue Regelung für die Rechtschreibung. In: Hannoverscher Kurier vom 27.6.1944
http://markner.free.fr/rrns.htm
http://markner.free.fr/rrrez.htm
http://forschungsgruppe.free.fr/sprachfuehrer.htm
Beispiele aus der NS-Rechtschreibreform aus einem Artikel in der „Dortmunder NS-Zeitung“ vom 28.06.1944 zitiert auch Harry Zingel: Geht die Schlechtschreibreform auf ein Nazi-Projekt zurück? 2003. In: www.bwl-bote.de/20030509.htm
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Ickler: „Damals wie heute versucht der Staat, die Schreibweise des gesamten Volkes mit obrigkeitlichen Mitteln und mit Hilfe der Schule zu verändern.“
Hier setzte der Verdrängungsmechanismus der Reformer, Kultusminister und Journalisten ein. Dabei wäre es notwendig, daß die wenigen Journalisten, die den investigativen Journalismus praktizieren, auch einmal die ehemaligen Reformer Munske und Eisenberg, die einzigen wirklichen Sprachwissenschaftler in der Rechtschreibkommission, die 1997/98 unter Protest aus der Rechtschreibkommission ausschieden, als Insider über die Rolle der DDR-Reformer in der Rechtschreibkommissions-Mafia befragten. Hier könnte aufgezeigt werden, wie die NS-Reformer Arm in Arm mit den 68ern der GEW und den DDR-Reformern (daher „Honeckers späte Rache“) mit totalitären Methoden der Räteherrschaft (ZK der SED, KMK, Kommission, Beirat und nun „Rat für deutsche Rechtschreibung“) an den Parlamenten vorbei ihre Zerstörung der Schriftsprache durchsetzten. So unterläuft man verfassungswidrig die im Grundgesetz verankerte Gewaltenteilung.
Etliche Journalisten tragen eine linke ideologische Brille oder wollen es nicht wahrhaben, daß unter dem Alt68er GEW-Mäntelchen auch noch andere Altlasten verborgen sind und bis heute mitwirken. Man denke nur an den DDR-Geschäftsführer der Rechtschreibkommission Dr. Klaus Heller, der die Öffentlichkeit laufend belügt, ohne daß ihm ein Journalist endlich einmal das Handwerk legt. Oder man denke an den Rostocker Reformer und DDR-Betonkopf Professor Dieter Nerius, der kürzlich in Bayern 2 seine alten Märchen erzählen durfte, ohne daß man ihm Professor Munske oder Professor Ickler (beide Uni Erlangen) entgegensetzte und hinzuschaltete, die seine Märchen leicht entlarvt hätten.
Hoffentlich wachen jetzt endlich die vielen Schläfer unter den deutschen Journalisten auf. Hannemann, geh du voran .... Der Springer-Konzern ist endlich aufgewacht. Aber in der Süddeutschen Zeitung will man einen Teil des DDR-Erbes Honeckers bewahren, das zugleich NS-Erbe ist.
Was die Süddeutsche hier von Anfang an praktizierte, ist eine Enteignung des Rechtschreibvolkes (die Leser wurden nicht gefragt) und die Praktizierung einer privaten Hausorthographie. Ich schrieb schon am 9. August, „daß es sich vorerst wohl nur um eine Absichtserklärung handelt; denn sechster Gesellschafter beim Süddeutschen Verlag ist mit 18,75 % die Südwestdeutsche Medien-Holding, Stuttgart. Zur Südwestdeutschen Medien-Holding gehören über verschiedene Beteiligungskonstruktionen u.a. die „Stuttgarter Zeitung“, „Stuttgarter Nachrichten“, „Südwest Presse“, „Rheinpfalz“, „Märkische Oderzeitung“. Das könnte die Gesellschafterin sein, die Sonderwünsche hat. Womöglich will man die ss-Schreibung beibehalten.“
Es gibt noch allerhand Informations- und Aufklärungsbedarf in München und Stuttgart.
Vgl. im SZ-Rechtschreib-Forum unter ManfredRiebe auch
- Zur Rücknahme der Rechtschreibreform (Hauptstrang)
- Zum 40-Prozent-weniger-Fehler-Märchen
- Zur ss-Regelung, dem Silikonbusen der Rechtschreibreform
Mit freundlichen Grüßen
Manfred Riebe, OStR i.R., Vorstandsmitglied des VRS
Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege e.V.
- Initiative gegen die Rechtschreibreform -
Max-Reger-Str. 99
D-90571 Schwaig bei Nürnberg
www.vrs-ev.de/vorstand.php#riebe
Die Wahrheit in ihrem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf! |
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Manfred Riebe
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: Mittwoch, 06. Okt. 2004 22:14 Titel: Professor Christian Meier und die Rustsche Reform |
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Professor Christian Meier und die Rustsche Reform
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Die einzige wirkliche Rechtschreibreform in Deutschland
Zu dem Artikel IM DICKICHT DER SPRACHE von Hermann Unterstöger in der SZ vom 13. Mai und den Leserbriefen NAHELIEGENDEN VERGLEICH ALS ANGRIFF MISSVERSTANDEN in der SZ vom 29. Mai
Nachdem zu Hermann Unterstögers Bericht über meine Aussage vor dem Bundesverfassungsgericht nun auch in Leserbriefen spekuliert wird, möchte ich richtigstellen:
Daß die Reform des Reichsministers Rust von 1944 bis zur jetzt diskutierten – unabhängig von allen Einzelheiten – der einzige tiefere Eingriff von Staatswegen in die deutsche Rechtschreibung gewesen ist, ist eine Tatsache. Und mehr als das habe ich dazu nicht festgestellt.
Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten für den Staat: Er kann, was Usus ist, beobachten, ordnen (also etwa die darin enthaltenen Regeln formulieren, bei schwankendem Gebrauch Festlegungen treffen), einzelnes auch zurechtrücken. Wie es sich ja auch heute empfehlen kann, einmal eine Reihe unnötiger Spitzfindigkeiten auszukämmen. Da hätte der Staat eine subsidiäre Funktion. Die Alternative wäre, daß er mit Absicht in den Schreibgebrauch ändernd eingreift, indem er dekretiert, was dem Usus oder den in ihm angelegten Veränderungstendenzen nicht entspricht oder gar im Widerspruch dazu steht.
Jenes ist sinnvoll und gelegentlich notwendig. Darauf hat man sich im alten Preußen, aber natürlich auch im alten Bayern beschränkt. Wo man, eigenartigerweise in Hannover, Mitte des 19. Jahrhunderts darüber hinausging, hat man es bald wieder rückgängig gemacht. Anders nur 1944 und jetzt. Indem man das feststellt, rückt man die heutigen Kultusminister nicht in die Nähe des damaligen. Ich war sehr überrascht, als Frau Brunn sich davon getroffen zeigte. Und es stimmt natürlich, daß die jetzige „Reform“ öffentlich zur Diskussion gestellt worden ist, was damals nicht der Fall war.
Die Frage ist erstens, ob der Staat zu tieferen Eingriffen in die Schreibung das Recht hat, was ich bestreite. Zweitens, ob das jetzige Verfahren bei aller Öffentlichkeit wirklich in einer sachangemessenen Weise „demokratisch“ war. Kann „das Volk“ in einer Sache, die so sehr seine eigene – und die jedes einzelnen – ist, wirklich von Fachverbänden vertreten werden? Die Minister selbst scheinen Zweifel zu haben, sonst würden sie doch wohl nicht nachträglich einen Beirat mit Schriftstellern, Journalisten und anderen einsetzen wollen. Vor allem zeigen öffentliche Erklärungen, vom Bundespräsidenten abwärts, Hunderttausende von Unterschriften bei Volksbegehren und eindeutige Mehrheiten bei allen Umfragen, wie es um die sogenannte Akzeptanz der Reform bestellt ist.
Es müßte, was immer vom Wert demoskopischer Befunde in einer repräsentativen Demokratie zu halten ist, doch in einem solchen Fall, der erst sekundär und – wie ich überzeugt bin – unberechtigterweise zu einem Politikum gemacht wird, durchschlagen. Was immer man in einer Demokratie auch gegen die Mehrheit des Volkes beschließen kann, ein tieferer Eingriff in die Rechtschreibung gehört nicht dazu. Schon deswegen nicht, damit die Einheit der Rechtschreibung nicht beeinträchtigt wird.
Ein preußischer Kultusminister hat angesichts der öffentlichen Reaktion 1876 seine Reformpläne aufgegeben. Wollen die heutigen ihm in Sachen Demokratie wirklich das Feld überlassen?
Christian Meier, Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Darmstadt
Süddeutsche Zeitung Nr. 129 vom 8. Juni 1998, S. 9
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Anmerkungen:
Christian Meier stellt fest, daß es bei seinem Vergleich darum ging, klarzumachen, daß man in einer Demokratie nicht mit diktatorischen Mitteln - wie bei der Rechtschreibreform des Dritten Reiches - die Schriftsprache gegen den Willen des Volkes durch eine Kommission von „Sesselfurzern“ (Hans Magnus Enzensberger) verändern darf. Auch und vor allem das steckt in der Frage der „Süddeutschen Zeitung“: „Sollen wir schreiben wie die Nationalsozialisten?“
Der Satz Christian Meiers: „Und es stimmt natürlich, daß die jetzige „Reform“ öffentlich zur Diskussion gestellt worden ist“, stimmt nicht; denn die Öffentlichkeit erfuhr von dem Inhalt der Reform erst seit der Veröffentlichung der Wörterbücher im Juli/August 1996, als das Kind schon in den Brunnen gefallen war. Damals führten die Kultusminister die Reform zwei Jahre vor dem 1. August 1998 überfallartig ein und höhnten: „Nun ist es zu spät!“ Die Rechtschreibreform und die Art ihrer undemokratischen Einführung ist ein Staatsverbrechen.
Am 26. März 1998 erging der Beschluß des Deutschen Bundestags: „Die Sprache gehört dem Volk!“ Darin wurde den Kultusministern nahegelegt, den genannten „Beirat mit Schriftstellern, Journalisten und anderen“ zu bilden.
Der Beirat wurde aber von den Kultusministern mit ihren Lobbyisten besetzt, - www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?t=159 -, ein Rat von „Sesselfurzern“ und Abnickern, der nichts getan hat, wie das PEN-Zentrum feststellte - www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?t=354 -.
Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung und der VRS, die als einzige Reformgegner vom Bundesverfassungsgericht angehört wurden, wurden trotz Reklamation nicht beteiligt.
Mit dieser Räteherrschaft nach DDR-Muster (ZK der SED, KMK, Rechtschreibkommission, Beirat, Rat für deutsche Rechtschreibung) muß Schluß gemacht werden. Die KMK war und ist nicht befugt, Rechtschreibkommissionen oder –räte zu bilden und über deren Besetzung zu entscheiden. Dadurch entstehen ohne öffentliches Ausschreibungsverfahren infolge von Vetternwirtschaft und Ämterpatronage nur Flaschenzüge, bei denen eine Flasche die andere nach sich zieht, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für sonst arbeitslose nichtqualifizierte Personen mit dem richtigen Parteibuch.
Der Reformzug begann erst zu rollen, nachdem das reformbetreibende staatlich finanzierte Institut für deutsche Sprache (IDS), Mannheim, nach der Wiedervereinigung Anfang 1992 als Arbeitbeschaffungsmaßnahme 21 Mitarbeiter der Forschungsgruppe Orthographie der Akademie der Wissenschaften der DDR in Berlin einstellte. Leiter dieser Forschungsgruppe Orthographie war der Reformer Professor Dieter Nerius, Universität Rostock, der kürzlich in Bayern 2 seine Märchen verkünden durfte. Seinen Mitarbeiter aus der DDR-Forschungsgruppe Orthographie, Dr. Klaus Heller, machte man zum Geschäftsführer der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung und damit den Bock zu Gärtner. Dennoch darf Heller auch im Bayerischen Fernsehen seine Märchen auf Steuerzahlerkosten verbreiten.
Nach Meinung herausragender Politiker, wie z.B. Bundeskanzler a.D. Helmut Schmidt, gehört die KMK aufgelöst. Wenn man schon von einer Verschlankung des Staates spricht, dann könnte man hier beginnen, Personalkosten einzusparen. Wozu haben wir eine Kulturhoheit der Länder?
„Es ist nie zu spät, Natur-, Kultur- und Sprachzerstörung, Entdemokratisierung, Korruption und Steuerverschwendung zu stoppen!“ (VRS)
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Anmerkung:
In den VRS-Links wurde „viewtopic“ durch „themaschau“ ersetzt, damit sie wieder funktionieren.
Zuletzt bearbeitet von Manfred Riebe am Mittwoch, 27. Jul. 2005 20:11, insgesamt 1mal bearbeitet |
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Manfred Riebe
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: Montag, 18. Okt. 2004 20:41 Titel: Schreibdiktat des Dritten Reiches |
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Schreibdiktat des Dritten Reiches wieder auf der Tagesordnung
„Deutsch“: „dem Volke gehörig“
Zur Wiederherstellung des Sprachfriedens
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Dem Volk aufs Maul
Von DANKWART GURATZSCH
Wenn die in der Öffentlichkeit kursierenden Aussagen des Bundesverfassungsgerichtes zur Rechtschreibreform richtig wiedergegeben sind, dann droht der deutschen Sprachgemeinschaft ein richterlich sanktionierter Bruch mit 1000 Jahren Kulturgeschichte. Dann nämlich wird erstmals dem Staat in Deutschland förmlich bescheinigt, daß er das Recht hat, Sprachregelungen zu verordnen, Buchstaben, Wörter, Begriffe, ja ganze Redewendungen aus dem Sprachschatz zu tilgen oder neu einzuführen - mit anderen Worten also „amtlich“ festzusetzen, welches Deutsch „zulässig“ und welches „unkorrekt“ ist.
Ehe der Richterspruch am kommenden Dienstag offiziell verkündet und begründet wird, ist es von Nutzen, sich zu vergegenwärtigen, was damit aufgegeben wird. In Deutschland gibt es keine Académie française. Niemand durfte „von oben“ in die Sprache hineinregieren. Das deutsche Rechtschreibwörterbuch, der Duden, regelte nur, was üblich - also eingewurzelter, verbreiteter Schreibgebrauch - war. Anhand von Tausenden Belegen versuchten die Duden-Redakteure, die Entwicklung der Schriftsprache möglichst penibel nachzuzeichnen. Wurde eine neue Schreibweise „üblich“, notierten sie das vorsichtig mit dem Hinweis „neuerdings auch ...“ Der Sprachgemeinschaft blieb es freigestellt, die Entwicklung mitzuvollziehen oder zu verwerfen.
Das Freiheitsrecht auf die eigene Sprache ist in der Kulturgeschichte der deutschen Stämme tief verankert. Sprache war für das Volk, das Jahrhunderte hindurch politisch geteilt war, schon in ältesten Zeiten ein Inbegriff von Heimat. Und es ist bezeichnend, daß die großen Sprachgestalter dieser Nation das zu respektieren wußten. So wie Martin Luther, der Schöpfer der deutschen Hochsprache, sich hütete, den Deutschen eine Regierungssprache zu verordnen, so übte sich auch Konrad Duden, der Begründer der deutschen Einheitsschreibung, in der Kunst, dem Volk aufs Maul, sprich: auf den Federhalter zu schauen. Nur weil die Hochsprache und die Einheitsorthographie letztlich aus dem Volk kamen, haben sie sich durchgesetzt.
Mit dem Privileg des Volkes, seine Sprache selbst zu formen, wußten sich deutsche Obrigkeiten seit altersher nicht anzufreunden. An den Höfen Karls des Großen und seiner Nachfolger wurde über Jahrhunderte das Latein als Amtssprache kultiviert. Als diese Übereinkunft zerbrach, parlierten deutsche Amtswalter - Friedrich der Große eingeschlossen - mit Fleiß „weltläufig“ französisch. Heute erleben wir, daß offizielle Repräsentanten der größten Sprachgemeinschaft Europas das Idiom ihrer Väter schon innerhalb der Landesgrenzen wie ein lästiges Korsett abstreifen, wenn sie auf fremdsprachliche Partner treffen. Deutsch als Sprache des Volkes wird von diesen Volksvertretern als primitives Handwerkszeug verachtet, das zu den höheren Tischsitten nicht taugt.
Es ist akkurat diese Einstellung, von der das sonderbare Konstrukt zeugt, das sich mit dem Namen „Rechtschreibreform“ schmückt. Mit Reformen verbindet man gemeinhin den Fortschritt zu Höherem, zu einem Entwicklungsschritt. Die kleine Gruppe von Wissenschaftlern, die - isoliert von ihrer gesamten Fachzunft - eine neue deutsche Schriftsprache einführen will, bezweckt genau das Gegenteil: Simplifizierung. Die Abschaffung Hunderter und Tausender feiner Unterscheidungen im Schriftgebrauch ist keine Panne der Reform, sondern ihr Ziel. Daß sich 16 deutsche Länderregierungen mit dieser Absicht identifizieren, darf niemanden, der sich der speziellen Sprachkultur des Deutschen bewußt ist, verwundern. Da sie keine Kultur der Obrigkeit ist, ist die Obrigkeit auch außerstande, sie zu wahren.
Nicht einmal das Prädikat der Neuheit verbindet sich mit den „Essentials“ dieser Reform. Ihr Kernstück, die Abschaffung des „ß“ nach kurzem Vokal, ist eine „Erfindung“ des Schulmannes Johann Christian August Heyse aus dem Jahre 1825. Drei Jahre zuvor hatte sich der Stubengelehrte noch eingestanden, daß die Ersetzung dieses Buchstabens durch „ss“ „dem herrschenden Sprachgebrauch“ widerspricht. Aber die deutsche Sprachgemeinschaft tat ihm bis heute nicht den Gefallen, seine ss-Regel zu übernehmen und Wortmonster wie „Nachlasseröffnung“, „Schlosserkundung“ oder „Messergebnis“ zu übernehmen. Das bleibt der deutschen Kultusbürokratie von 1998 vorbehalten, die diesen alten Hut eines spätromantischen Sprachfexes mit Milliardenaufwand gegen den auch heute noch unvermindert „herrschenden Sprachgebrauch“ durchsetzen will.
Schlimmer noch: Die überwiegende Zahl „neuer“ Regeln ist nahezu wörtlich aus einem Elaborat übernommen, mit dem schon einmal eine deutsche Obrigkeit das Sprachvolk gegen Sprachgebrauch und Sitte disziplinieren wollte: dem „Erlaß“ des nationalsozialistisches Reichsministers Rust von 1944. Nur das Kriegsende hat verhindert, daß er in Kraft trat. Jetzt kommt das Schreibdiktat durch die Hintertür wieder auf die Tagesordnung. Und weil laut Meinungsumfragen 75 Prozent der Deutschen dagegen sind, werden obrigkeitsstaatliche Mittel bemüht, um seine Anwendung zu erzwingen.
„Deutsch“ heißt dem Wortsinne nach: „dem Volke gehörig“. Dabei wird es allen staatlichen Usurpationsversuchen zum Trotz auch im Bereich der Rechtschreibung bleiben. Die Wiederherstellung des Sprachfriedens wird nur gelingen, wenn die politischen Amtswalter eigenmächtigen Regelungsgelüsten entsagen und zur behutsamen Sprachpflege des großen Moderators Konrad Duden zurückkehren. Bis zum Volksentscheid in Schleswig-Holstein ist nur noch wenig Zeit, dieses mit Anstand und Würde zu tun.
DIE WELT Nr. 157 vom 9. Juli 1998, S. 4
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Anmerkung:
Zur Erinnerung: Professor Christian Meier hatte vor dem Bundesverfassungsgericht an die Rustsche Reform von 1944 erinnert. Siehe oben die Leserbriefe in der Süddeutschen Zeitung. |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Samstag, 23. Okt. 2004 08:39 Titel: Wissenschaft ohne staatliche Diktate |
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Wissenschaft ohne staatliche Diktate
Gleichgeschaltete Wissenschaften gab es schon einmal
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Gerade ss statt ß macht wissenschaftliche Texte so schlecht lesbar. Haben Sie schon einmal von den Sachsen der Botanik gehört? Den Spros-Sachsen? Ach nein, es sind ja die „Sprossachsen“, also die Sproßachsen.
Solcherlei Dinge sind es, die mich davon abhalten, Bücher zu kaufen.
Daß wissenschaftliche Texte den Schein wahren wollen, gerade das disqualifiziert sie doch: Wissenschaft sollte neutral sein und sich nicht staatlichen Diktaten unterwerfen.
Daß es aber vermehrt naturwissenschaftliche Bücher sind, die in den neuesten Auflagen meistens auch nicht nur das Doppel-S zeigen, stimmt einen nachdenklich.
Naturwissenschaft im Sinne des Diktats - hatten wir das nicht schon einmal?
David
DavidWeiers@web.de
22.10.2004 18:37 Rechtschreibforum > Verbindlichkeit der Anwendung der RSR
www.rechtschreibreform.de/php/einzelner_Datensatz.php?BeitragNr=27053 |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Dienstag, 26. Okt. 2004 14:56 Titel: Peinliche Vorläufer |
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Peinliche Vorläufer
»Rechtschreibreform und Nationalsozialismus«: Parallelen bei der Durchsetzung der neuen Orthographie
Theodor Ickler
»Während es inzwischen für private Unternehmen zum guten Ton gehört, sich mit ihrer Geschichte im Nationalsozialismus auseinanderzusetzen, haben die Kultusminister und ihre Kommission sich von dieser Aufgabe frei gesehen.« So die Verfasser des vorliegenden Buches, das eine Lücke schließen will. Es war schon manchem aufgefallen, daß unsere heutigen Rechtschreibreformer zwar gern auf die Geschichte der Rechtschreibung zurückgreifen, um zu beweisen, daß der Staat schon immer regelnd in die Schriftsprache eingegriffen habe, daß sie dabei aber um das Dritte Reich einen auffälligen Bogen machen. Man hätte meinen können, in jenen zwölf Jahren sei orthographisch gar nichts geschehen. In Wirklichkeit war es die große Zeit der Rechtschreibreformer, und nie war ein Reformentwurf so nahe an der Verwirklichung wie der des Reichserziehungsministers Bernhard Rust. Eine Million neue Rechtschreibbücher war bereits gedruckt, als ein »Führerbefehl« das Unternehmen stoppte.
Was damals in mehreren Anläufen ausgearbeitet wurde, gleicht weitestgehend den Vorlagen der heutigen Reformer. Das ist aber nicht verwunderlich, denn der Vorrat an Ideen ist auf diesem Gebiet sehr begrenzt. Fast immer kommen solche Entwürfe aus der pädagogischen Ecke, folglich wollen sie das Schreiben erleichtern. Das geht nur durch Annäherung der Schrift an die gesprochene Sprache.
Als die Deutschen sich anschickten, die Welt zu erobern, glaubten manche, diese langgehegten Reformideen mit imperialistischen Argumenten neu begründen und zum Erfolg führen zu können: »Deutsch als Weltsprache«. Andere verwiesen auf den Vorrang des gesprochenen Wortes, insbesondere der Führerrede. Eine am Gesprochenen orientierte Schreibweise muß logischerweise auch auf Vereinheitlichung der Aussprache hinwirken. So gelangen Birken-Bertsch und Markner zu einer Dreiheit von Begriffen, in denen sich das nationalsozialistische Projekt einer Rechtschreibreform zusammenfassen läßt: »Vorrang der gesprochenen Sprache, phonetisches Prinzip und Normierung der Aussprache«. Die Verfasser sehen in der Bevorzugung des Gesprochenen und der entsprechenden Abwertung der Schriftlichkeit durchaus einen nationalsozialistischen Zug. Sie nehmen die Argumente der Reformer, die sie durch Zitate belegen können, ziemlich ernst.
Vielleicht zu ernst, denn ohne den Nazi-Kontext hätte der Rustsche Reformentwurf auch nicht anders ausfallen können. In den siebziger Jahren wollte die emanzipatorische Pädagogik Unterschichtkinder an die höhere Bildung heranführen, und nebenbei wollte man durch Veränderung der Schrift die Veränderbarkeit der kapitalistischen Gesellschaft beweisen. Das ist ebenso gleichgültig, am Ende kommt doch immer eine stärker lautbezogene Schreibweise heraus. Wenn also die beiden Autoren schreiben: »Die Absicht, den Primat des gesprochenen Wortes in der Rechtschreibung zur Geltung zu bringen, ist in den Reformprogrammen allgegenwärtig« – so haben sie einfach den gemeinsamen Nenner aller Reformprogramme dingfest gemacht.
Insofern brauchen sich die heutigen Reformer der inhaltlichen Übereinstimmung mit den Orthographen des Dritten Reiches nicht zu schämen. Es ist bestenfalls menschlich verständlich, daß sich von Leo Weisgerber bis Hermann Zabel eine »Schweigespirale« um den eigentlichen Präzedenzfall gelegt hat. Doch ist gerade dadurch der Eindruck entstanden, es gebe hier etwas zu verbergen. Übrigens hätte die Rustsche Reform nicht zu solchen grammatischen Fehlern geführt wie die heutige, denn weder die absurden neuen Getrennt- und Großschreibungen noch die »Etymogeleien« von heute hätten damals eine Chance gehabt. Man hatte einfach die besseren Fachleute.
Brisanter sind die Parallelen und Kontinuitäten bei den Methoden der Durchsetzung. Das Volk muß zu seinem Glück gezwungen werden, soviel war schon damals klar. Daraus folgen drei Grundsätze, die den Reformern des Dritten Reichs ebenso geläufig waren wie unseren heutigen Reformern. Erstens: Der Staat muß es machen; denn ohne Machtmittel geht es nicht. Zweitens: Man darf die Gesellschaft nicht zu früh mit der Ankündigung einer Rechtschreibreform beunruhigen, sondern muß sie vor vollendete Tatsachen stellen. Drittens: Man muß es über die Schule versuchen. Rust benutzte seine Zuständigkeit für die Schulen dazu, die Reform, die schließlich das gesamte Volk betreffen sollte, auf den Weg zu bringen.
Genau so verfuhren die heutigen Reformer. Weit zurück lagen die Zeiten, als der liberale Abgeordnete Stephani 1880 im Reichstag gesagt hatte: »Die Schule soll den Schülern das, was in den gebildeten Kreisen des Volkes zur festen Gewohnheit in Bezug auf Rechtschreibung geworden ist, als Regel beibringen; nicht aber soll die Schule selbst vorangehen, indem die Schulen das Volk zwingen wollen, eine neue Gewohnheit der Rechtschreibung anzunehmen.« Dagegen erklärt die heutige Rechtschreibkommission: »Die Schule macht den Vorreiter.« (Pressekonferenz am 12. 9. 1997) Und der Grünen-Abgeordnete Volker Beck sagte im Bundestag: »Die Amtssprache muß der Schulsprache folgen.« Das Bundesinnenministerium, wohl die eigentliche treibende Kraft hinter der Reform, machte sich diesen Standpunkt zu eigen. Nachrichtenagenturen und Zeitungen glaubten dann, die Schüler mit ihrer Sonderschreibung nicht allein lassen zu dürfen. Außerdem ist bekannt, daß Bertelsmann die Reform wünscht. Auf diese Weise kann man hundert Millionen Menschen nötigen, eine Pseudoreform hinzunehmen, die sie in ihrer überwältigenden Mehrheit nicht wollen. Ein »Führerbefehl«, der das Ganze stoppen könnte, ist nicht in Sicht, denn wir leben in einer Demokratie.
Der Wert der vorliegenden Studie liegt nicht nur darin, daß sie eine historische Lücke schließt. Sie läßt auch wie unter einem Vergrößerungsglas den Plan einer solchen Überwältigung besser erkennen, als es uns im gegenwärtigen Wirrwarr der Kompetenzen und Einflußnahmen möglich wäre. Nicht weil die Rechtschreibreform inhaltlich der Rustschen Reform ähnelt, sondern weil der Vergleich die totalitäre Struktur des absurden Vorgangs verdeutlicht, ist das spannend geschriebene, sorgfältig recherchierte Buch so lesenswert.
Rhein-Neckar-Zeitung vom 25. November 2000 |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Freitag, 05. Nov. 2004 11:47 Titel: Geheimes sprachpolitisches Amt |
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Geplantes Geheimes sprachpolitisches Amt
zur Zersetzung des sprachlichen Selbstbewußtseins
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In der Einleitung von „Zur Geschichte der Rechtschreibung“ schreibt Professor Gerd Simon:
[...]
Die Debatte, die der ersten Rechtschreibreform von 1901 bzw. 1903 vorausging, wurde bereits von drei sich heftig bekämpfenden Richtungen geführt:
1. den Fonetikern
2. den Kommissionsmitgliedern
3. den Traditionalisten
[...]
An den Argumenten, die die 3 Positionen hervorbrachten, hat sich seit 1900 bis heute kaum etwas verändert. Alle drei Positionen waren durch das 3. Reich belastet:
1. Der Fonetiker Kerkhoff z.B. erläuterte seine vereinfachte Rechtschreibung an einem von ihm selbst gedichteten Text „Hitlersang“ (s. das Faksimile auf der nächsten Seite)
2. Das Kommissionsmitglied Steche beteiligte sich im Auftrag Rosenbergs an Gleichschaltungsversuchen „bürgerlicher“ Verbände.
3. Der Traditionalist Schmidt-Rohr war Leiter der >Sprachsoziologischen Abteilung< des >Ahnenerbes< der SS, in der er ein >Geheimes sprachpolitisches Amt< vorbereitete, das so etwas wie die Zersetzung des sprachlichen Selbstbewußtseins z.B. der Polen verfolgen sollte. Schmidt-Rohr muss man allerdings zugestehen, dass er die diskutablen Argumente, die für diese Position hervorgebracht wurden, zugespitzt und in die überzeugendste Form gebracht hat, die je artikuliert wurde. Seine Ausführungen überragen vor allem die der Schriftsteller – auch die keineswegs sehr originellen von Thomas Mann und Günther Grass – und ihrer Organisationen, nicht zuletzt der Darmstädter >Akademie für Sprache und Dichtung<.
[...]
Es ist also nichts als billige Demagogie, wenn Hanno Birken-Bertsch und Reinhard Markner, die Position der Kommissionsmitglieder (die der Fonetiker wird nicht von der der Kommissionsmitglieder gesondert berücksichtigt) in den Geruch des Nationalsozialismus bringen. Im Gegenteil, die von ihnen vertretene Nationalistische Position, hat eine eher noch stärker belastete Vergangenheit. Mehr noch: Ich habe Markner seinerzeit Schmidt-Rohrs Rechtschreib-Kapitel aus seiner nicht veröffentlichten Habilitationsschrift zugänglich gemacht. Sein einziger Kommentar: „Das ist doch ein Arschloch!“
In einem kürzlich im >Spiegel< erschienenen Artikel lässt sich Markner feiern als Entdecker des Zusammenhangs zwischen der Rechtschreibreform und dem Nationalsozialismus. Die Texte, auf denen das basiert, waren allerdings vorher längst bekannt. Wenn im >Spiegel< überdies „entlarvende“ Zitate von Schmidt-Rohr so präsentiert werden, als stammen sie von jemandem, der die Position der Kommissionsmitglieder vertritt, dann grenzt das an gewollte Fälschung. Denn Schmidt-Rohr vertritt eindeutig die Position von Markner. Und wenn diese Manipulation auf Markner selbst zurückgeht, dann hat er jeden Anspruch verspielt, als Wissenschaftler zu gelten. Seine schon im Titel des Buches („Rechtschreibreform und Nationalsozialismus“) vertretene Hauptthese, dass die Position seiner Gegner in der heutigen Rechschreibkommission schon im 3. Reich vertreten wurde, erweist sich also als Bumerang, der ihn selbst trifft.
[...]
Zur Geschichte der Rechtschreibung: Einleitung von
Gerd Simon: Eine Mischung aus Marginalismus und Chaos-Angst
Was den radikalen Rechtschreibvereinfachern, den Rechtschreibkommissionen und ihren Kritikern seit Dudens Zeiten gemeinsam ist. Plädoyer für eine vierte Position.
http://homepages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/Marginalismus_und_Chaosangst.pdf
Georg Schmidt-Rohr: Die Aufgaben der Volksführung gegenüber der Volkssprache. Denkschrift 1.7.43, BA (BDC) PA. Schmidt-Rohr
http://homepages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/schmidt-rohr2.pdf
Sieh auch: Texte in Arbeit - http://homepages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/vorarbeiten.htm
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Anmerkungen:
Man sieht an dieser einseitigen Kritik, wie ideologiebehaftet das Thema ist.
Es scheint, daß Gerd Simon sich sein Urteil zu einfach macht, indem er die Fakten ausklammert, die auf eine personelle und sachliche Kontinuität hinweisen. Wer nach einem Haar in der Suppe sucht, wird eines finden und seine Betrachtung isoliert auf dieses richten, ohne das Ganze zu berücksichtigen, wie zum Beispiel die totalitäre Durchsetzung beider Reformen. Was heißt „billige Demagogie“? Wo werden welche Kommissionsmitglieder „in den Geruch des Nationalsozialismus“ gebracht? Wer dies behauptet, müßte zumindest nachvollziehbar Textstellen zitieren, auf die er sein Urteil gründet. |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Mittwoch, 15. Dez. 2004 17:32 Titel: Dr. Joseph Goebbels: „das Tollste und Ungebildetste“ |
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Dr. Joseph Goebbels: „das Tollste und Ungebildetste“
Anmerkungen zum Buch: „Rechtschreibreform und Nationalsozialismus“
Der Berliner Hochschularbeitskreis „Kulturelle Selbstbestimmung“ hatte während des Berliner Volksbegehrens gegen die Rechtschreibreform für seine Pressekonferenz am 30. Juni 1999 von mir u.a. auch einen Aufsatz über die Rechtschreibreform des Dritten Reiches erbeten. Ich erarbeitete diesen mit Quellenabgaben:
- Manfred Riebe: „Anmerkungen zur Rechtschreibreform Hitlers, dem Versuch der sprachlichen Gleichschaltung des Großdeutschen Reiches“ -
Mein Aufsatz wurde in der Pressemappe des Berliner Hochschularbeitskreises „Kulturelle Selbstbestimmung“ verteilt. Ich schrieb damals u.a.: „Warum wehrte sich die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Anke Brunn, vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) dagegen, daß Professor Christian Meier, der Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Darmstadt, die heutige Rechtschreibreform mit der des Dritten Reiches verglich? Offenbar scheint der sachlich naheliegende Vergleich mit der Rechtschreibreform des Dritten Reiches immer noch tabu zu sein. [...] Die Rechtschreibreform und ihre zwangsweise Durchsetzung sind ein ursprünglich braunes Kuckucksei. Wie gezeigt, hatte Kultusminister Hans Zehetmair schon im September 1995 versucht, diesen ‘Braunen Peter’ durch Beseitigung germanisierender Schreibweisen zu ‘entnazifizieren’. Das ist ihm nur zum Teil gelungen. Es ist ein Treppenwitz der Weltgeschichte, daß ausgerechnet die Kultusminister aus der deutschen Geschichte nichts gelernt haben.“
Doch die Presse schwieg zunächst betroffen. „Ab Montag beherbergt erstmals Wien die germanistische Weltmacht. Diese weiß um ihre braunen Leichen im Keller und will gerade darum ihre heutige politische Verantwortung öffentlich zur Schau stellen.“ Vgl. Hans Haider: Weiter lesen, forschen, streiten: Germanisten-Weltkongreß ab Montag in Wien. In: Die Presse, Wien, 06.09.2000. Die Medien haben bisher nichts über die in Wien angeblich zur Schau gestellten braunen Leichen im Keller geschrieben. ... Gab es keine „Leichen im Keller“?
Immerhin berichtete eine unabhängige historische Kommission über die NS-Vergangenheit des Bertelsmann-Konzerns: Bertelsmann war - noch vor dem NS-Verlag EHER - der größte Produzent für nazitaugliche Unterhaltungs- und Kriegsliteratur und Propaganda. Wie die FAZ anmerkte, war Bertelsmann „Hitlers bester Lieferant“. Laut FAZ sind die Ergebnisse der Kommission „ein Desaster für die bisherige Selbstdarstellung des Konzerns. Die Schließung von Verlag und Druckerei durch die Reichsschrifttumskammer 1944 erfolgte nicht - wie von Bertelsmann bisher behauptet - wegen oppositioneller Haltung zur NSDAP, sondern unter anderem wegen unrechtmäßig erworbenen Papiers und stand im Zusammenhang mit der totalen Kriegsmobilmachung.
Durch meinen Artikel vom 30. Juni 1999 angeregt, forschten Reinhard Markner und Hanno Birken-Bertsch u.a. auch in Archiven in zeitgeschichtlichen Quellen. Ihre Untersuchung erschien bereits im Oktober 2000:
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Hanno Birken-Bertsch, Reinhard Markner: Rechtschreibreform und Nationalsozialismus. Ein Kapitel aus der politischen Geschichte der deutschen Sprache. Göttingen: Wallstein-Verlag, 2000
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Im Oktober 2000 erschienen sofort vier Rezensionen von prominenten Journalisten über diese Forschungsarbeit, was auf die Brisanz des Themas hinweist:
- Kurt Reumann: Die Vergangenheit von „kuss“ und „keiser“. Die heimliche Rechtschreibreform der Völkischen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 02.10.2000, S. 9, und von
- Hans Krieger: „Klar, schlicht und stark“ - Sollen wir schreiben wie die Nationalsozialisten? Das verdrängte Vorbild der Rechtschreibreform. Süddeutsche Zeitung vom 02.10.2000 Feuilleton - www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?p=794#794
- Dankwart Guratzsch: Die Kleinschreibung spart 35 000 Tonnen Blei. Die Rechtschreibreform wurzelt nicht in der NS-Zeit. Aber ihre Ziele wollte schon der Reichsminister für Volksbildung realisieren. In: DIE WELT vom 04.10.2000.
- Heimo Schwilk: Rechtschreibung nach Nazi-Vorbild? In: WELT am SONNTAG vom 08.10.2000, S. 38
Guratzsch behauptet im Gegensatz zu Krieger: „Dennoch lässt sich diese Reform natürlich nicht als ‘Nazi-Projekt’ denunzieren.“ Seine einzige Begründung ist, daß Professor Theodor Ickler nichts spezifisch Nationalsozialistisches daran erkannt habe. Doch auf die Eindeutschung von Wörtern und auf die Art der Einführung geht Guratzsch nicht ein. Zu kurz kommt bei ihm auch der Aspekt, daß die heutige Reform zum Teil auch ein DDR-Produkt ist und damit ein totalitäres Erzeugnis. Die genannten Komponenten sind typisch nationalsozialistisch und totalitär. Trotzdem wurden die Gegner der Rechtschreibreform in bestimmten Organen als „rechtsradikal“ denunziert. Doch nun müssen sich die Rechtschreibreformbefürworter die Frage gefallen lassen, ob sie sich zum späten Vollstrecker des NS-Willens machen lassen wollen.
Am 1. Juli 1944 notierte Joseph Goebbels: „Rust hat durch eine seiner Dienststellen ein Heft über moderne deutsche Rechtschreibung herausgegeben. Dieses Heft stellt so ungefähr das Tollste und Ungebildetste dar, was wir uns seit vielen Jahren geleistet haben. Ich werde mit diesem Heft noch einmal den Führer befassen müssen.“ Daraufhin unterzeichnete Hitler am 24. Juli 1944 eine entsprechende Verordnung und stoppte die Rechtschreibreform. (Vgl. Götz Aly: Wenn das der Führer wüsste. In: Berliner Zeitung vom 7.10.2000).
„Das Tollste und Ungebildetste [..], was wir uns seit vielen Jahren geleistet haben“, soll nun nach dem Willen der „Reformer“, Kultusminister und ihrer Verlags-Lobby Wirklichkeit werden. Die Reformer und die Kultusminister haben die braune Vergangenheit der Rechtschreibreform verdrängt und nirgends erwähnt. Lediglich der bayerische Kultusminister Hans Zehetmair hatte – wie erwähnt - im September 1995 die Reform mit einem Hinweis auf germanisierte Schreibweisen („Apoteke“, „Asfalt“) gestoppt. Daraufhin mußte der bereits gedruckte Reform-Duden eingestampft werden.
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Anmerkung:
In den VRS-Links wurde „viewtopic“ durch „themaschau“ ersetzt, damit sie wieder funktionieren.
Zuletzt bearbeitet von Manfred Riebe am Mittwoch, 27. Jul. 2005 20:13, insgesamt 1mal bearbeitet |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Donnerstag, 16. Dez. 2004 21:54 Titel: Anmerkungen zur Rechtschreibreform Hitlers |
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Anmerkungen zur Rechtschreibreform Hitlers, dem Versuch der sprachlichen Gleichschaltung des Großdeutschen Reiches
von Manfred Riebe
Warum wehrte sich die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Anke Brunn, vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) dagegen, daß Professor Christian Meier, der Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Darmstadt, die heutige Rechtschreibreform mit der des Dritten Reiches verglich? (1) Offenbar scheint der sachlich naheliegende Vergleich mit der Rechtschreibreform des Dritten Reiches immer noch tabu zu sein. Doch ist es an der Zeit, die ideologischen nationalsozialistischen und sozialistischen Quellen und totalitären Wurzeln der heutigen Rechtschreibreform aufzudecken. Damit sich die Geschichte nicht wiederholt, ist es notwendig, über die Themen „NS-Sprachpolitik“, „Rasse und Sprache“, „Verbot der deutschen Schrift“, „Gleichschaltung der deutschen Rechtschreibung“ und „Germanisierung der Schreibweise von Fremdwörtern“ aufzuklären und über die Verstrickung mancher Sprachwissenschaftler in Hitlers Rassen- und Lebensraum-Ideologie und Planung des Deutschen als einer Herrschaftssprache zu informieren.
Die Gleichschaltung der Sprache und des Denkens im Dritten Reich hatte bereits 1933 mit der Bücherverbrennung begonnen und wurde 1941 im Großdeutschen Reich mit Hitlers Verbot der deutschen Schrift (Fraktur, Sütterlin) fortgesetzt, die Hitler irrtümlich für „Schwabacher Judenlettern“ hielt Die geäußerte Ansicht, es gebe keine „verifizierbare schriftliche Anweisung“ (2) trifft nicht zu. Denn der Streit um Fraktur und Antiqua wurde durch einen Führer-Erlaß beendet. (3)
Die sprachliche Gleichschaltung setzte sich mit der Rechtschreibreform des Großdeutschen Reiches aus dem Jahre 1944 fort. Sie bedeutete schon damals einen Sprachimperialismus und damit ein weltweites Riesengeschäft, weil nicht nur die von Hitler besetzten Gebiete betroffen waren, sondern auch alle Staaten der Erde, in denen man Deutsch lernte. - Im Vergleich der damaligen mit den heutigen Verlautbarungen ist es bezeichnend, wenn Wolfgang Horn, ehemaliger Leiter der Referatsgruppe Terminologie und Lexikographie im Bundessprachenamt des Bundesverteidigungsministeriums, wiederum auf „die außerordentlich wichtige, die internationale Bedeutung der Rechtschreibreform für den gesamten deutschen Sprachraum“ hinweist. Dieses sei ein „Ausdruck wirtschaftlicher Vernunft“. Horn, der gewohnt war, im Rahmen der NATO zu denken, erläuterte dieses: In kleinen Absatzmärkten wie in den skandinavischen Staaten mit ähnlichen, aber unterschiedlichen Sprachen seien die Bücher sehr teuer. Aber bei einer internationalen Vereinheitlichung der deutschen Sprache entstünde ein Riesenabsatzmarkt, so daß die Stückkosten sinken und die Verlage noch größere Gewinne machen.(4) - Das Kriegsende setzte damals den imperialen Plänen ein Ende und - zumindest vorläufig - auch der nationalsozialistischen Rechtschreibreform. Zwar blieb nach der Umstellung auf Normalschrift im Jahre 1941 das „Eszett“ als einziger Buchstabe der deutschen Schrift noch erhalten, doch wurde die differenzierende Schreibweise des Buchstabens „s“ nach der Beseitigung des Lang-“s“ erheblich eingeschränkt. Die damals hervorgerufenen und seither verbliebenen Probleme wurden durch die heutige Rechtschreibreform nicht beseitigt, sondern eher noch vergrößert. So ist die neue ß/ss-Regelung untauglich, weil sie falsch begründet und obendrein noch zu einem Ansteigen orthographischer Fehler führt.
Merkwürdigerweise erwähnt das Bundesverfassungsgericht die sprachliche Gleichschaltung des Großdeutschen Reiches nur am Rande in vier Sätzen. Es behauptet: „Dieses Regelwerk setzte sich jedoch in der Folgezeit nicht durch.“ (5) Diese Behauptung ist nicht richtig, denn die deutschen Kultusminister und das BVerfG haben nunmehr für Deutschland, Österreich, die Schweiz und deutschsprachige Minderheiten das vollendet, was Hitler für das Großdeutsche Reich begonnen hatte. Warum? Professor Theodor Ickler (Erlangen) stellte fest, daß die Rechtschreibreform des Dritten Reiches den ursprünglichen Entwürfen der heutigen Rechtschreibreform verblüffend ähnlich ist. Ickler stellte Übereinstimmungen in der Zusammen- und Getrenntschreibung, der Groß- und Kleinschreibung, Silbentrennung, Kommasetzung und Eindeutschung von Fremdwörtern fest. Wörtlich: „Die Übereinstimmung mit der heute geplanten Neuregelung ist in der Tat verblüffend Auch Eindeutschungen wie Rabarber, rytmisch, Strofe stehen ja ausdrücklich im Regelbuch von 1995 und wurden erst nach Minister Zehetmairs Intervention gestrichen. - Die personelle Kontinuität bleibt noch genauer zu erforschen. Fest steht, daß die Sprachwissenschaftler, die für den Reichserziehungsminister Rust gearbeitet haben, nach dem Kriege auch die ersten waren, die einen Neuansatz versuchten und damit die Grundlinien der heutigen Rechtschreibreform vorzeichneten.“ (6)
Die ursprünglichen Entwürfe der heutigen Reform erinnern tatsächlich durch peinliche Eindeutschungen von Fremdwörtern an die Deutschtümelei während des Dritten Reiches. Mit ähnlicher Tendenz kommen volksetymologische Schreibweisen hinzu, z.B. Gräuel statt Greuel, schnäuzen statt schneuzen. Solche volksetymologischen Schreibungen und eine unsinnige Germanisierung von Fremdwörtern sind im Zeitalter der europäischen Einigung völlig unpassend. Auch das Mitglied der ersten Rechtschreibkommission, der ehemalige Leiter der Duden-Redaktion, Professor Günter Drosdowski, kritisierte, daß die Eindeutschungen der allgemeinen Entwicklung der Sprache und des Lebens zuwiderliefen. (7)
Aber ausgerechnet Hitler machte den Eindeutschungsbemühungen und der Fremdwortjagd des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins mit einem Erlaß vom 19. November 1940 und der weiteren Arbeit des Vereins ein Ende: „Der Führer wünscht nicht derartige gewaltsame Eindeutschungen.“ Die Sprache des Dritten Reiches war auf Fremdwörter als Euphemismen (= mildernde, beschönigende bzw. verhüllende Umschreibungen für anstößige oder unangenehme Wörter) und Einpeitschmittel angewiesen. (8)
Zwei SPIEGEL-Redakteure, Werner Harrenberg und Joachim Mohr, erwarben sich dadurch Verdienste, daß sie dem bayerischen Kultusminister Hans Zehetmair während eines Interviews im September 1995 eine Liste unerträglicher Schreibungen diktierten, (9) deren Streichung Zehetmair dann mit Erfolg forderte, weil sie „unästhetisch“ seien, z.B. Apoteke, Asfalt, Astma, Atlet, Bibliotek, Fede, Frefel, Karrosse, Katastrofe, Ortografie, e, Packet, Restorant, Reuma, Rytmus, Strofe, Teke, Triumpf, Tron, Zigarrette. (10) Aber geblieben sind uns trotzdem (zum Teil als Nebenformen) u. a. folgende „Dummitäten“ (Ickler): Aftershavelotion, aufrauen, belämmert, Gämse, Jogurt, Ketschup, Nessessär, Newage, Portmonnee, schnäuzen, Spagetti, Stängel, Standingovations, Tollpatsch, usw.
Diese Rechtschreibreform wurde von interessierten Kreisen in der DDR (11) aus der Mottenkiste des Dritten Reiches geholt. Die Rechtschreibreform und ihre zwangsweise Durchsetzung sind demzufolge ein ursprünglich braunes Kuckucksei. Wie gezeigt, hatte Kultusminister Hans Zehetmair schon im September 1995 versucht, diesen ,Braunen Peter“ durch Beseitigung germanisierender Schreibweisen zu „entnazifizieren“. Das ist ihm nur zum Teil gelungen. Es ist ein Treppenwitz der Weltgeschichte, daß ausgerechnet die Kultusminister aus der deutschen Geschichte nichts gelernt haben.
___________________________________
1) Meier, Christian: Die einzige wirkliche Rechtschreibreform in Deutschland. In: Süddeutsche Zeitung vom 08.06.98, S. 9
2) Olt, Reinhard: Buchstäblich wie bei den Nazis. Als Hitler Fraktur redete, hatte die lateinische Schrift gewonnen. In: FAZ vom 21.10.98, S. 42, Rezension der Dissertation von Hartmann, Silvia: „Fraktur oder Antiqua“. Der Schriftstreit von 1881 bis 1941. Theorie und Vermittlung der Sprache, Band 28. Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main 1998, 438 S.
3) Bormann, Martin: Rundschreiben vom 3. Januar 1941:
„Zu allgemeiner Beachtung teile ich im Auftrag des Führers mit: Die sogenannte gotische Schrift als eine deutsche Schrift anzusehen oder zu bezeichnen ist falsch. In Wirklichkeit besteht die sogenannte gotische Schrift aus Schwabacher Judenlettern. [...]
Am heutigen Tage hat der Führer in einer Besprechung mit Herrn Reichsleiter Amann und Herrn Buchdruckereibesitzer Adolf Müller entschieden, dass die Antiqua-Schrift künftig als Normal-Schrift zu bezeichnen sei. Nach und nach sollen sämtliche Druckerzeugnisse auf diese Normal-Schrift umgestellt werden. Sobald dies schulbuchmässig möglich ist, wird in den Dorfschulen und Volksschulen nur mehr die Normal-Schrift gelehrt werden.
Die Verwendung der Schwabacher Judenlettern durch Behörden wird künftig unterbleiben; [...]
Im Auftrage des Führers wird Herr Reichsleiter Amann zunächst jene Zeitungen und Zeitschriften, die bereits eine Auslandsverbreitung haben, oder deren Auslandsverbreitung erwünscht ist, auf Normal-Schrift umstellen.“
Im Original abgedruckt in: Heeger, Heinrich: Das Verbot der deutschen Schrift durch Adolf Hitler im Lichte einer schriftgeschichtlichen Betrachtung. In: Die deutsche Schrift, Heft 55, Sonderheft, Winter 1977, S. 10 f.
4) Horn, Wolfgang: Den lautstarken Protestierern liegen die Sprachargumente fern. Leserbrief in: FAZ vom 15.05.97, S. 11, sowie telefonische Auskunft
5) Bundesverfassungsgericht: Urteil vom 14. Juli 1998, Az.: 1 BvR 1640197, S. 5 f. - Wiedergabe auf der Internet-Seite: www.rechtschreibvolk.de.
6) Ickler, Theodor: Die einzige wirkliche Rechtschreibreform in Deutschland. In: Süddeutsche Zeitung vom 08.06.98, S. 9. Vgl. auch:
Kopke, Wolfgang: Rechtschreibreform und Verfassungsrecht, Tübingen 1995, S. 35 f.;
Ickler, Theodor: Amtssprache Deutsch. Von den Folgen der Rechtschreibreform für Recht und Gesetz. In: Bayerische Staatszeitung vom 24.04.98, S.12;
Ickler, Theodor: Die Reform hält auch den Einwänden ihrer Urheber stand. In: FAZ vom 24.07.98, S. 38;
Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (Hrsg.): Regeln für die deutsche Rechtschreibung und Wörterverzeichnis. Berlin: Deutscher Schulbuchverlag 1944;
Trausel, Wenzel: Wörterbuch für Rechtschreiben und Rechtlauten der Reichssprache mit der Zusammenfassung der wichtigsten Regeln zur neuen Rechtschreibung, Reichenberg: Roland-Verlag 1944
7) SPIEGEL vom 08.07.96; Zabel, Hermann: Keine Wüteriche am Werk, 1996, S. 136 ff
8) Hanns Grössel: Das ungeliebte Deutsch (Rezension des Buches von Jürgen Schiewe: Die Macht der Sprache. Eine Geschichte der Sprachkritik von der Antike bis zur Gegenwart, München 1998), In: SZ Literatur-Beilage, 09.12.98, S. V2/1
9) DER SPIEGEL Nr. 37 vom 11.09.1995, S. 226 - 229; Zabel, Hermann: Keine Wüteriche am Werk, 1996, S.189
10) Zabel, Hermann: Keine Wüteriche am Werk, 1996, S. 341 f.
11) Professor Gert Mattenklott, Literaturwissenschaftler, Dekan an der Freien Universität Berlin, legte in einem Artikel „Honeckers ewig währende Rache“ im Tagesspiegel vom 01. 12.1995 dar, daß die Reform auch eine DDR-Erbschaft ist.
Nachträgliche Anmerkungen:
Dieser Aufsatz wurde erarbeitet während des Berliner Volksbegehrens gegen die Rechtschreibreform für die Pressekonferenz des Berliner Hochschularbeitskreises „Kulturelle Selbstbestimmung“ vom 30. Juni 1999.
Den Gedanken einer deutschen Einheitsschreibung findet man auch im Vorwort des DUDEN von 1941 - www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?p=3001#3001 -.
Anmerkung II:
In den VRS-Links wurde „viewtopic“ durch „themaschau“ ersetzt, damit sie wieder funktionieren.
Zuletzt bearbeitet von Manfred Riebe am Mittwoch, 27. Jul. 2005 20:15, insgesamt 3mal bearbeitet |
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Günter Schmickler
Registriert seit: 11.05.2003 Beiträge: 310 Wohnort: 53842 Troisdorf
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: Freitag, 17. Dez. 2004 21:15 Titel: Re: Anmerkungen zur Rechtschreibreform Hitlers |
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Manfred Riebe schrieb:
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Die Gleichschaltung der Sprache und des Denkens im Dritten Reich hatte bereits 1933 mit der Bücherverbrennung begonnen und wurde 1941 im Großdeutschen Reich mit Hitlers Verbot der deutschen Schrift (Fraktur, Sütterlin) fortgesetzt, die Hitler irrtümlich für „Schwabacher Judenlettern“ hielt Die geäußerte Ansicht, es gebe keine „verifizierbare schriftliche Anweisung“ (2) trifft nicht zu. Denn der Streit um Fraktur und Antiqua wurde durch einen Führer-Erlaß beendet. (3
3) Bormann, Martin: Rundschreiben vom 3. Januar 1941:
„Zu allgemeiner Beachtung teile ich im Auftrag des Führers mit: Die sogenannte gotische Schrift als eine deutsche Schrift anzusehen oder zu bezeichnen ist falsch. In Wirklichkeit besteht die sogenannte gotische Schrift aus Schwabacher Judenlettern. [...]
Am heutigen Tage hat der Führer in einer Besprechung mit Herrn Reichsleiter Amann und Herrn Buchdruckereibesitzer Adolf Müller entschieden, dass die Antiqua-Schrift künftig als Normal-Schrift zu bezeichnen sei. Nach und nach sollen sämtliche Druckerzeugnisse auf diese Normal-Schrift umgestellt werden. Sobald dies schulbuchmässig möglich ist, wird in den Dorfschulen und Volksschulen nur mehr die Normal-Schrift gelehrt werden.
Die Verwendung der Schwabacher Judenlettern durch Behörden wird künftig unterbleiben; [...]
Im Auftrage des Führers wird Herr Reichsleiter Amann zunächst jene Zeitungen und Zeitschriften, die bereits eine Auslandsverbreitung haben, oder deren Auslandsverbreitung erwünscht ist, auf Normal-Schrift umstellen.“
Im Original abgedruckt in: Heeger, Heinrich: Das Verbot der deutschen Schrift durch Adolf Hitler im Lichte einer schriftgeschichtlichen Betrachtung. In: Die deutsche Schrift, Heft 55, Sonderheft, Winter 1977, S. 10 f. [.......]
Anmerkungen:
Es wird immer wieder behauptet, die deutschen Schriften (Sütterlin und Fraktur) seien im Kriegsjahr 1941 von den Nazis verboten worden. Ich habe in meinem Beitrag „Wurden Fraktur und Sütterlin verboten?“ (s. Staat und Sprache, 1. Juni 2004) ausführlich dargelegt, daß von einem „Verbot“ im Wortsinne keine Rede sein kann.
Unbestreitbar sind u. a. folgende Tatsachen:
Selbst im Jahre 1944 erschienen noch Schulbücher in Fraktur, z. B. „Griechische Wortkunde“ von Schiering und Krüger, Deutscher Schulbuchverlag Berlin, genehmigt durch Erlaß des Reichserziehungsministers vom 3. Mai 1944.
Die „Hamburger Zeitung“ meldete in einer Sonderausgabe am 1. Mai 1945 den „Heldentod“ des Führers in Fraktur!
Weitere Belege für den Fortbestand von Fraktur und Sütterlin über das Jahr 1941 hinaus gibt es zuhauf.
Nun ließe sich über den semantischen Gehalt des Wortes „Verbot“ trefflich diskutieren. Liegt ein „Verbot“ nur dann vor, wenn ein bestimmtes Tun auf Geheiß der Obrigkeit von einem bestimmten Zeitpunkt an nicht mehr erlaubt und mit Strafe bedroht ist? Oder kann man es schon als „Verbot“ betrachten, wenn ein Diktator ein bestimmtes Tun – wie den Gebrauch der bislang als „deutsch“ geltenden Schriften – für unerwünscht erklärt und stufenweise mit mehr oder weniger Nachdruck zu beenden trachtet?
Diese Frage wäre müßig, sozusagen „rein akademischer Natur“, wenn die Behauptung, Hitler hätte die gedruckte Fraktur- und die geschriebene Sütterlinschrift im Jahre 1941 rundweg verboten, nicht zu einer falschen Kausalitätszuweisung verführen würde. Fest steht nämlich, daß zu Ende des 2. Weltkrieges die Sütterlinschrift noch in weiten Kreisen der Bevölkerung in Gebrauch war. Die Printmedien waren, wie die vorgenannten Beispiele zeigen, nur teilweise auf die lateinische Druckschrift umgestellt. Es wäre bei dieser Sachlage ein leichtes gewesen, den Führererlaß von 1941, wie andere Gesetze und Verordnungen der Nazis, nach Kriegsende zu annullieren. Daß dies nicht geschah, lag zum einen im Interesse der Alliierten: Die Kontrolle und die Zensur der Printmedien waren naturgemäß leichter durchzuführen, wenn sie in der international gebräuchlichen lateinischen Schrift erschienen. Zu einem ausdrücklichen Verbot der deutschen Schrift kam es erstmalig am 2. August 1945: Zu diesem Zeitpunkt untersagte die sowjetische Militärkommandantur in Berlin die Verwendung von „Sütterlin“ im Postverkehr.
Die eigentliche Ursache für die zunehmende Verdrängung der deutschen Schriften in der Nachkriegszeit liegt aber zweifellos darin, daß sowohl die politischen Entscheidungsträger als auch ein Großteil der Bevölkerung sie als unzweckmäßig und überflüssig betrachteten. Ich kann mich noch deutlich daran erinnern, welche Meinung in den 50er Jahren unsere – keineswegs der Nazi-Ideologie zugetanen – Lehrer über Fraktur und Sütterlin äußerten: Nutzloser Schnickschnack, allenfalls noch als Zierschrift zu gebrauchen.
Kurzum: Wenn die bis in die Kriegs- und Nachkriegszeit noch dominierenden „deutschen“ Schriften heutzutage so gut wie keine Rolle mehr spielen, so ist dies nur vordergründig in dem „Führererlaß“ von 1941 begründet. Die wahre Ursache liegt darin, daß Politik und Gesellschaft nach dem Ende der Nazidiktatur den kulturellen Wert der Fraktur- und der Sütterlinschrift verkannten.
Günter Schmickler |
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Manfred Riebe
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: Sonntag, 19. Dez. 2004 12:19 Titel: Erlaß des Reichserziehungsministeriums |
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Erlaß des Reichserziehungsministeriums
Ob Hitlers Verbot der deutschen Schrift nur innerparteilichen und inneramtlichen Charakter hatte, soll dahingestellt bleiben. Jedenfalls wurde Hitlers Verbot der deutschen Schrift offiziell wirksam im Erlaß des Reichserziehungsministeriums vom 1. September 1941:
„Die vorliegende Ausgabe [des DUDEN, MR] in Normalschrift verdankt ihr Entstehen dem Erlaß des Reichserziehungsministeriums vom 1. September 1941, der an Stelle der „deutschen Schrift“ die „deutsche Normalschrift“ eingeführt hat.“ www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?p=3001#3001
- „Hitlers Entscheidung ein Akt einer Kulturrevolution.“ Die Deutsche Schrift - Aufstieg und Niedergang - www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?p=3006#3006
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Anmerkung:
In den VRS-Links wurde „viewtopic“ durch „themaschau“ ersetzt, damit sie wieder funktionieren.
Zuletzt bearbeitet von Manfred Riebe am Mittwoch, 27. Jul. 2005 20:16, insgesamt 1mal bearbeitet |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Sonntag, 30. Jan. 2005 15:49 Titel: „Was ist ein Rust?“ |
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„Was ist ein Rust?“
Dr. Dietze, Chef des Propagandastabes, in einem geheimen Schreiben an den Herrn Minister [für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels, MR] v. 4.7.44:
„Unter der Überschrift ‚der Filosof und das Plato‘ und ähnlichem veröffentlichen viele Zeitungen in der vergangenen Woche Artikel zu den neuen im Auftrage des Reichserziehungsministeriums bearbeiteten 96 Seiten starken ‚Regeln für die deutsche Rechtschreibung und Wörterverzeichnis‘, die den Schulkindern in den kommenden Wochen in die Hand gegeben werden sollen. Schon diese Artikel hätten in der Bevölkerung, vor allen Dingen bei der Intelligenz, Verwunderung und starkes Befremden hervorgerufen. Es werde geäussert: ‚Hat das Reichserziehungsministerium im fünften Kriegsjahr keine anderen Sorgen? Es sollte sich lieber eine schnelle Lösung des Schulbuchproblems angelegen sein lassen.‘ Auch die Eindeutschung und Vereinfachung von Fremdwörtern vollzieht sich, wie jede sprachliche Entwicklung, nach einem organischen Gesetz. Man brauchte sie weder zu forcieren noch zu erleichtern. Die neuen Regeln greifen einer Entwicklung um Jahrzehnte voraus. Dieses Verfahren lasse jedes Verständnis für das Werden und Wesen einer Sprache vermissen. Von wem hat der Reichserziehungsminister sich dabei bloß beraten lassen? Bei dieser Gelegenheit seien auch witzige Äusserungen über den Reichserziehungsminister geäussert worden. Frage: ‚Was ist ein Rust?‘ - Antwort: ‚Ein Rust ist die Zeitspanne zwischen dem Erlaß einer Verordnung und ihrer Wiederzurücknahme.‘ Ein Witz, der zweifellos auch auf das Regelbuch für die deutsche Rechtschreibung gemünzt sei (Münster).“
Ruta, Gabriele; Ahrens, Carsten (Hrsg.): Der nackte Kaiser. Zur „Rechtschreibreform“ sagte oder schrieb ..., 300 Zitate, St. Goar: Leibniz Verlag, 1998, S. 11
http://rechtschreibreform.com/Seiten2/Zitate/131Zitate.html
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Anmerkungen:
Ein Beispiel für den Artikel, den viele Zeitungen veröffentlichten, ist:
[Karl Reumuth]: Fosfor, Kautsch, Plato, Ragu, Tese, Träner. Neue Regelung für die Rechtschreibung. In: Hannoverscher Kurier vom 27.6.1944. (Birken-Bertsch, Hanno und Markner, Reinhard: Rechtschreibreform und Nationalsozialismus. Göttingen: Wallstein-Verlag, 2000, S. 96 ff.)
Den Artikel zitierte bereits zuvor Theodor Ickler in vollem Wortlaut in: Die Rechtschreibreform – Propaganda und Wirklichkeit. Anhang 13: Die Rechtschreibreform von 1944 -
www.rechtschreibreform.com/Seiten2/Wissenschaft/969IcklerPropaganda/29A13.html
und dann in Ickler, Theodor: REGELUNGSGEWALT. Hintergründe der Rechtschreibreform. St. Goar: Leibniz Verlag, 2001, S. 87 ff.
Bei den „Regeln für die deutsche Rechtschreibung und Wörterverzeichnis“ handelt es sich um die Rechtschreibreform des Dritten Reiches:
Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (Hrsg.): Regeln für die deutsche Rechtschreibung und Wörterverzeichnis. Berlin: Deutscher Schulbuchverlag 1944. Vgl.
- „Zur Rechtschreibreform des Dritten Reiches“ - www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?p=2296#2296
- Anmerkungen zur Rechtschreibreform Hitlers, dem Versuch der sprachlichen Gleichschaltung des Großdeutschen Reiches - www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?p=2986#2986
Schon am 1. Juli 1944 notierte Joseph Goebbels: „Rust hat durch eine seiner Dienststellen ein Heft über moderne deutsche Rechtschreibung herausgegeben. Dieses Heft stellt so ungefähr das Tollste und Ungebildetste dar, was wir uns seit vielen Jahren geleistet haben. Ich werde mit diesem Heft noch einmal den Führer befassen müssen.“ (Vgl. Götz Aly: Wenn das der Führer wüsste. In: Berliner Zeitung vom 7.10.2000). Daraufhin unterzeichnete Hitler am 24. Juli 1944 einen entsprechenden Führerbefehl und stoppte die Rechtschreibreform. (Birken-Bertsch, Hanno und Markner, Reinhard: Rechtschreibreform und Nationalsozialismus. Göttingen: Wallstein-Verlag, 2000, S. 107)
- Dr. Dietze, Chef des Propagandastabes. Gemeint ist wohl Hans-Helmut Dietze, einer der NS-Juristen im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda - www.topographie.de/wilhelmstr/wh8_9/wh89.htm - unter Joseph Goebbels (1897-1945) - www.dhm.de/lemo/html/biografien/GoebbelsJoseph/index.html -www.shoa.de/p_joseph_goebbels.html -.
Das oberste Ziel dieses Ministeriums war die totale Gleichschaltung des deutschen Volkes durch gezielte Massenbeeinflussung. Presse, Rundfunk und Film wurden „personell gesäubert“. Jüdische, sozialdemokratische und kommunistische Mitarbeiter sowie alle, die nichts ins Konzept der Nationalsozialisten paßten, fielen dieser „Säuberung“ zum Opfer.
- Bernhard Rust, Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung
Der Lehrer Bernhard Rust (geb. 30.9.1883 in Hannover) war SA-Obergruppenführer, 1925-40 NSDAP-Gauleiter von Hannover (Nord) bzw. Südhannover-Braunschweig, Mitglied des Reichstages 1930-1945, preußischer Kultusminister 1933-34, Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung 1934-45. Am Tag der völligen Kapitulation der Wehrmacht beging er am 8. Mai 1945 in Berne bei Brake/Unterweser Selbstmord.
An der Schreibweise fällt auf: geäussert (2x), Äusserungen, aber: bloß, Erlaß
Anmerkung II:
In den VRS-Links wurde „viewtopic“ durch „themaschau“ ersetzt, damit sie wieder funktionieren.
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Günter Schmickler
Registriert seit: 11.05.2003 Beiträge: 310 Wohnort: 53842 Troisdorf
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: Sonntag, 30. Jan. 2005 22:30 Titel: Re: „Was ist ein Rust?“ |
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Manfred Riebe hat folgendes geschrieben: | „Was ist ein Rust?“
Dr. Dietze, Chef des Propagandastabes, in einem geheimen Schreiben an den Herrn Minister [für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels, MR] v. 4.7.44:
„Unter der Überschrift ‚der Filosof und das Plato‘ und ähnlichem veröffentlichen viele Zeitungen in der vergangenen Woche Artikel zu den neuen im Auftrage des Reichserziehungsministeriums bearbeiteten 96 Seiten starken ‚Regeln für die deutsche Rechtschreibung und Wörterverzeichnis‘, die den Schulkindern in den kommenden Wochen in die Hand gegeben werden sollen. Schon diese Artikel hätten in der Bevölkerung, vor allen Dingen bei der Intelligenz, Verwunderung und starkes Befremden hervorgerufen. Es werde geäussert: ‚Hat das Reichserziehungsministerium im fünften Kriegsjahr keine anderen Sorgen? Es sollte sich lieber eine schnelle Lösung des Schulbuchproblems angelegen sein lassen.‘ Auch die Eindeutschung und Vereinfachung von Fremdwörtern vollzieht sich, wie jede sprachliche Entwicklung, nach einem organischen Gesetz. Man brauchte sie weder zu forcieren noch zu erleichtern. Die neuen Regeln greifen einer Entwicklung um Jahrzehnte voraus. Dieses Verfahren lasse jedes Verständnis für das Werden und Wesen einer Sprache vermissen. Von wem hat der Reichserziehungsminister sich dabei bloß beraten lassen? Bei dieser Gelegenheit seien auch witzige Äusserungen über den Reichserziehungsminister geäussert worden. Frage: ‚Was ist ein Rust?‘ - Antwort: ‚Ein Rust ist die Zeitspanne zwischen dem Erlaß einer Verordnung und ihrer Wiederzurücknahme.‘ Ein Witz, der zweifellos auch auf das Regelbuch für die deutsche Rechtschreibung gemünzt sei (Münster).“
Ruta, Gabriele; Ahrens, Carsten (Hrsg.): Der nackte Kaiser. Zur „Rechtschreibreform“ sagte oder schrieb ..., 300 Zitate, St. Goar: Leibniz Verlag, 1998, S. 11
http://rechtschreibreform.com/Seiten2/Zitate/131Zitate.html
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Anmerkungen:
Ein Beispiel für den Artikel, den viele Zeitungen veröffentlichten, ist:
[Karl Reumuth]: Fosfor, Kautsch, Plato, Ragu, Tese, Träner. Neue Regelung für die Rechtschreibung. In: Hannoverscher Kurier vom 27.6.1944. (Birken-Bertsch, Hanno und Markner, Reinhard: Rechtschreibreform und Nationalsozialismus. Göttingen: Wallstein-Verlag, 2000, S. 96 ff.)
Den Artikel zitierte bereits Theodor Ickler in: Die Rechtschreibreform – Propaganda und Wirklichkeit. Anhang 13: Die Rechtschreibreform von 1944 -
www.rechtschreibreform.com/Seiten2/Wissenschaft/969IcklerPropaganda/29A13.html
und dann in Ickler, Theodor: REGELUNGSGEWALT. Hintergründe der Rechtschreibreform. St. Goar: Leibniz Verlag, 2001, S. 87 ff.
Bei den „Regeln für die deutsche Rechtschreibung und Wörterverzeichnis“ handelt es sich um die Rechtschreibreform des Dritten Reiches:
Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (Hrsg.): Regeln für die deutsche Rechtschreibung und Wörterverzeichnis. Berlin: Deutscher Schulbuchverlag 1944. Vgl.
- „Zur Rechtschreibreform des Dritten Reiches“ - www.vrs-ev.de/forum/viewtopic.php?p=2296#2296
- Anmerkungen zur Rechtschreibreform Hitlers, dem Versuch der sprachlichen Gleichschaltung des Großdeutschen Reiches - www.vrs-ev.de/forum/viewtopic.php?p=2986#2986
Schon am 1. Juli 1944 notierte Joseph Goebbels: „Rust hat durch eine seiner Dienststellen ein Heft über moderne deutsche Rechtschreibung herausgegeben. Dieses Heft stellt so ungefähr das Tollste und Ungebildetste dar, was wir uns seit vielen Jahren geleistet haben. Ich werde mit diesem Heft noch einmal den Führer befassen müssen.“ (Vgl. Götz Aly: Wenn das der Führer wüsste. In: Berliner Zeitung vom 7.10.2000). Daraufhin unterzeichnete Hitler am 24. Juli 1944 einen entsprechenden Führerbefehl und stoppte die Rechtschreibreform. (Birken-Bertsch, Hanno und Markner, Reinhard: Rechtschreibreform und Nationalsozialismus. Göttingen: Wallstein-Verlag, 2000, S. 107)
- Dr. Dietze, Chef des Propagandastabes. Gemeint ist wohl Hans-Helmut Dietze, einer der NS-Juristen im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda - www.topographie.de/wilhelmstr/wh8_9/wh89.htm - unter Joseph Goebbels (1897-1945) - www.dhm.de/lemo/html/biografien/GoebbelsJoseph/index.html -www.shoa.de/p_joseph_goebbels.html -.
Das oberste Ziel dieses Ministeriums war die totale Gleichschaltung des deutschen Volkes durch gezielte Massenbeeinflussung. Presse, Rundfunk und Film wurden „personell gesäubert“. Jüdische, sozialdemokratische und kommunistische Mitarbeiter sowie alle, die nichts ins Konzept der Nationalsozialisten paßten, fielen dieser „Säuberung“ zum Opfer.
- Bernhard Rust, Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung
Der Lehrer Bernhard Rust (geb. 30.9.1883 in Hannover) war SA-Obergruppenführer, 1925-40 NSDAP-Gauleiter von Hannover (Nord) bzw. Südhannover-Braunschweig, Mitglied des Reichstages 1930-1945, preußischer Kultusminister 1933-34, Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung 1934-45. Am Tag der völligen Kapitulation der Wehrmacht beging er am 8. Mai 1945 in Berne bei Brake/Unterweser Selbstmord.
An der Schreibweise fällt auf: geäussert (2x), Äusserungen, aber: bloß, Erlaß |
In der Diskussion über die Frage, ob Fraktur und Sütterlin von den Nazis verboten worden seien, wurde immer wieder auf den Erlaß des Reichserziehungsministers vom 1. September 1941 hingewiesen. Von einem Verbot ist aber in diesem Erlaß ebensowenig die Rede wie in dem vorhergehenden Schriftbefehl Hitlers oder in den Goebbelsschen Weisungen an die Presse. Vielmehr wurde der Verbotsbegriff auch in den Erlaß Rusts lediglich „hineininterpretiert“ – eine mehr als fragwürdige Methode der Beweisführung.
Nun werden hier Einzelheiten zur Person Bernhard Rusts veröffentlicht, die deutlich machen, daß der Reichserziehungsminister selbst bei den Nationalsozialisten eine
äußerst umstrittene Persönlichkeit war. Auch im „Biographischen Lexikon zum Dritten Reich“, herausgegeben von Hermann Weiß, erschienen 1998 im Verlag S. Fischer, finden sich unter dem Stichwort „Rust, Bernhard“ interessante Details und „Enthüllungen“: Rust war durch einen im 1. Weltkrieg erlittenen Kopfschuß und durch Alkoholprobleme behindert und deshalb als Minister eigentlich ungeeignet. Er hatte jedoch Hitler zu dessen Geburtstag 1933 einen neuen Schultyp, die „Nationalpolitische Erziehungsanstalt“ übergeben. Die Wirkung von Rusts Schulinitiative auf Hitler war so groß, daß R. außer Goebbels der einzige Gauleiter war, der zum Reichsminister ernannt wurde. Gleichwohl wurde Rust in der Folgezeit eine schwache Amtsführung nachgesagt, die es innerparteilichen Rivalen wie Goebbels, Rosenberg und Ley ermöglichten, ihm seine Zuständigkeiten teilweise zu entreißen.
Auch das Mißlingen der unter seiner Führung ausgearbeiteten Rechtschreibreform, die in dem Biographischen Lexikon allerdings nicht erwähnt wird, muß für Rust eine herbe Niederlage gewesen sein. Anderseits darf er nicht unterschätzt werden. Obwohl man sich gelegentlich sogar über ihn lustig machte, war er mitnichten ein einflußloser „Trottel“, der heute nicht mehr wußte, was er gestern befohlen, verfügt oder verboten hatte. So ist es beim besten Willen nicht nachzuvollziehen, daß er im Jahre 1941 einen Erlaß zur künftigen Schulschrift herausgegeben hätte, der als Verbot der bislang gebräuchlichen Schrift gemeint war, um dieses „Verbot“ in der Folgezeit selbst zu mißachten. Eine solche Vorstellung ist m. E. so absurd, als hätte Julius Streicher nach Erlaß der Nürnberger Rassegesetze eine Jüdin geheiratet. Die Nazis erließen grundsätzlich keine Verbote, um sie selber in aller Öffentlichkeit mit Füßen zu treten. Deshalb ist es auch schwer vorstellbar, daß Presse- und Buchverlage sich jahrelang unbehelligt über ein „Verbot“ der deutschen Schriften hätten hinwegsetzen können.
Das starre Festhalten an der „Verbotsthese“ führt letztendlich zu schwerwiegenden Fehleinschätzungen, die gelegentlich vielleicht sogar gewollt sind. Wem kann daran gelegen sein, die Ansicht zu verbreiten, die Kulturpolitik der Nachkriegszeit sei am fast vollständigen Verschwinden der deutschen Schriften nicht beteiligt, da diese bereits 1941 von den Nazis „abgeräumt“ worden seien? Oder, das andere Extrem, die „Verbote“ bestünden auch nach 1945 über alle Zeitläufte hinweg fort und würden noch heute von den Kultusministern und der Presse befolgt?
Irgendwann wird sich hoffentlich herumgesprochen haben, daß die Schrifterlasse der Nazis keine „Verbote“ waren, sondern eine nach der Zukunft ausgerichtete Zielvorgabe, die bei Kriegsende noch weit von ihrer Verwirklichung entfernt war. Die Umstellung von Druckerzeugnissen aller Art auf „Normalschrift“ zwischen 1945 und etwa 1960 beruhte auf Entscheidungen, die aus pragmatischen Erwägungen getroffen wurden und mit Hitler, Bormann und Rust überhaupt nichts mehr zu tun hatten. |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Montag, 31. Jan. 2005 00:48 Titel: Theodor Ickler: Hitler verbot die Fraktur |
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Theodor Ickler: Hitler verbot die Fraktur
Martin Bormann: „Zu allgemeiner Beachtung teile ich im Auftrage des Führers mit:
[...] Nach und nach sollen sämtliche Druckerzeugnisse auf diese Normal-Schrift umgestellt werden. Sobald dies schulbuchmässig möglich ist, wird in den Dorfschulen und Volksschulen nur mehr die Normal-Schrift gelehrt werden.
Die Verwendung der Schwabacher Judenlettern durch Behörden wird künftig unterbleiben; Ernennungsurkunden für Beamte, Strassenschilder u. dergl. werden künftig nur mehr in Normal-Schrift gefertigt werden.
Im Auftrage des Führers wird Herr Reichsleiter Amann zunächst jene Zeitungen und Zeitschriften, die bereits eine Auslandsverbreitung haben, oder deren Auslandsverbreitung erwünscht ist, auf Normal-Schrift umstellen.“ - www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?p=816#816
Hitler befahl, daß „nach und nach“ auf Normal-Schrift umgestellt werde. Theodor Ickler schreibt dazu: „Sonderbar ist, daß sogar der Reformer Nerius, damals noch SED-Parteigenosse, das Dritte Reich nicht gern beim Namen nennt. Statt klipp und klar zu sagen, daß Hitler die Fraktur verbot, umschreibt er folgendermaßen: „Noch bis zum Anfang der vierziger Jahre unseres Jahrhunderts war die Fraktur die dominierende Schriftart.“ (Nerius 1989, S. 218).” [1] (Ickler, Theodor: REGELUNGSGEWALT. Hintergründe der Rechtschreibreform. St. Goar: Leibniz Verlag, 2001, S. 90)
[1] Nerius, Dieter und Kollektiv: Deutsche Orthographie. 2. Aufl., Berlin, 1989
Natürlich vermied Bormann das häßliche Wort „Verbot”, aber de facto war es eines. Birken-Bertsch/Markner schreiben in ihrem Kapitel „Schriftreform statt Schreibreform“ von „Hitlers Schriftbefehl“ (Birken-Bertsch, Hanno und Markner, Reinhard: Rechtschreibreform und Nationalsozialismus. Göttingen: Wallstein-Verlag, 2000, S. 38). In der Diktatur des Dritten Reiches genügte oft ein Führerbefehl. Das Führer- und Gefolgschaftssystem („Führer, befiehl ...“) bewirkte, daß Hitler sehr bald weitgehend auf Gesetze und Rechtsverordnungen verzichtete. Es gab genügend willige Vollstrecker. Deshalb war die Fraktur ab 1941/42 nicht mehr die dominierende Schriftart. Hitler hatte die Weichen gestellt. Heute wird die Fraktur kaum noch verwendet. Wie ein ultimativer Führerbefehl wirkt, zeigt der vom 24. August 1944, mit dem Hitler „die Zurückstellung der gesamten Rechtschreibungsarbeiten“ anordnete (Birken-Bertsch, Hanno und Markner, Reinhard: Rechtschreibreform und Nationalsozialismus, S. 107). Hitler befahl die Einstellung bis Kriegsende, und das wirkte als Verbot, die Rechtschreibreform fortzuführen.
Es bringt nichts, über mögliche ideologische Beweggründe damals und heute zu spekulieren. Wissenschaftler stützen sich auf Fakten. Diese lassen erahnen, daß es sich bei der Verdrängung der Fraktur um ein multikausales Geschehen handelt, bei dem auch materielle Erwägungen eine Rolle spielten. Daß nach 1945 die Besatzungsmächte als Lizenzgeber das Frakturverbot aufrechterhielten, steht objektiv fest. Sehr wahrscheinlich spielte nach 1949 aber auch die Notlage eine Rolle. Eine zweite Schriftart war zu jener Zeit ein Luxus, den man sich damals nicht leisten konnte. Die Deutschen hatten nach den Vertreibungen, den Kriegszerstörungen und den Demontagen existentielle Sorgen. Erst 1951 wurde der 1941 aufgelöste „Bund für deutsche Schrift“ wiedergegründet - www.bfds.de -.
„Es ist nie zu spät, Natur-, Kultur- und Sprachzerstörung, Entdemokratisierung, Korruption und Steuerverschwendung zu stoppen!“ (VRS)
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Anmerkung:
In den VRS-Links wurde „viewtopic“ durch „themaschau“ ersetzt, damit sie wieder funktionieren.
Zuletzt bearbeitet von Manfred Riebe am Mittwoch, 27. Jul. 2005 20:20, insgesamt 1mal bearbeitet |
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Manfred Riebe
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: Freitag, 11. Feb. 2005 21:35 Titel: „ein menschenverachtendes Massenexperiment“ |
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„Ein menschenverachtendes Massenexperiment“
Zusammenhang zwischen „Rechtschreibreform und Nationalsozialismus“
Die 2. Auflage des Bandes 3.1, Soziolinguistik, der Handbücher zur Sprach- und Literaturwissenschaft ist gerade erschienen - mit einem Beitrag „Orthografie“ des inzwischen unzeremoniös entlassenen Chefreformers Gerhard Augst. Herr Ickler berichtet darüber auf einer befreundeten Webseite. Hier findet sich noch einmal der Vorwurf, mit dem Herr Augst jahrelang die Kritik an seiner Rechtschreibreform zu diskreditieren versuchte:
So wurden die jüngsten Reformbemühungen im deutschsprachigen Raum in Anspielung auf die medizinischen Versuche im Dritten Reich als „menschenverachtendes Massenexperiment“ bezeichnet.
Öffentlich erhob Herr Augst diesen Vorwurf zum erstenmal am 2. 6. 1997 vor dem Rechtsausschuß des Deutschen Bundestags. Damals sagte er:
Wenn allerdings mein Kollege Ickler mir brieflich schreibt, daß es sich bei der Neuregelung - ich zitiere - um „ein menschenverachtendes Massenexperiment“ handelt, dann ist die Grenze des Tragbaren überschritten, denn er stellt damit eine Parallele her zwischen der Rechtschreibreform und den dunkelsten Stunden der deutschen Geschichte.
Im Spätherbst 2001 kam Herr Augst in der Entwurfsfassung des 3. Berichts der Zwischenstaatlichen Kommission noch einmal auf Herrn Icklers Ausdruck „menschenverachtendes Massenexperiment“ zurück, allerdings ohne die Behauptung, die Rechtschreibreform werde mit der NS-Zeit verknüpft. In der schließlich veröffentlichen Fassung fehlt dieser Passus, doch weiterhin heißt es da:
Auffällig ist, dass manche Reformgegner, auch wenn ihr Beruf die Wissenschaft ist, äußerst emotional und teilweise im höchsten Maße verunglimpfend arbeiten. Besonders sticht hier eine Veröffentlichung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung hervor, in der schon im Titel ein Zusammenhang zwischen „Rechtschreibreform und Nationalsozialismus“ behauptet wird. [...]
Th. Ickler, der als einer der schärfsten Kritiker der Neuregelung in der Öffentlichkeit bekannt geworden ist, hat in der Zwischenzeit ein eigenes Wörterbuch publiziert, das weder die Regeln der alten DUDEN-Rechtschreibung noch die Neuregelung befolgt. Im völligen Widerspruch zu seiner heftigen Kritik an vielen neuen Getrenntschreibungen (z. B. des Typs sitzen bleiben in allen Bedeutungen) lässt er diese in seinem Wörterbuch nun selbst als fakultative Varianten zu. Auch Wissenschaftler und Rezensenten außerhalb der Kommission sehen darin einen eklatanten Glaubwürdigkeitsverlust Icklers als Kritiker der Neuregelung.
Herr Augst hat wohl nie verwunden, daß er am 8. 4. 1997 auf Drängen des damaligen KMK-Präsidenten Wernstedt Herrn Ickler zur Mitarbeit in der Zwischenstaatlichen Kommission einladen mußte und sich verständlicherweise einen Korb holte. Es ist kaum zu erwarten, daß die Öffentlichkeit ihn noch einmal in den Medien erleben wird.
Helmut Jochems am 17.01.2005 um 19:22 Uhr
www.fds-sprachforschung.de/index.php?show=news&id=179 |
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