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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Dienstag, 20. Apr. 2004 16:59 Titel: Die Académie française |
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Die Académie française
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Wenn Unsterbliche ratlos werden
Frankreichs Ex-Präsident Valéry Giscard d'Estaing bemüht sich um die Aufnahme in die Académie française
von Jörg von Uthmann
Das hat es in der 370-jährigen Geschichte der Académie française noch nicht gegeben - ein leibhaftiges französisches Staatsoberhaupt unter den „Unsterblichen“. Charles de Gaulle hatte, als ihm eine Kandidatur nahe gelegt wurde, majestätisch abgewinkt: „Frankreich tritt nicht in die Akademie ein.“ Anders Napoleon III. Mit Hilfe seines Erziehungsministers Duruy verfasste er eine Caesar-Biografie und ließ nachfragen, ob seine Kandidatur willkommen sei. Als er die Antwort bekam, eine Wahl komme nicht in Frage, doch werde man den Kaiser, wenn er dies wünsche, selbstverständlich aufnehmen, verzichtete er. Valéry Giscard d'Estaing ist der erste - ehemalige - französische Staatschef, der sich aktiv um einen Sitz bemüht. Als ihn einige ihm Wohlgesonnene Académiciens auf den frei gewordenen <i>fauteuil</i> des senegalesischen Dichter-Präsidenten Léopold Sédar Senghor hinwiesen, ließ er sich nicht lange bitten. Nur die üblichen Hausbesuche bei den Mitgliedern der erlauchten Runde bat er ihm zu ersparen. Statt dessen präsentierte er sich dem Plenum, das jeden Donnerstag unter der berühmten Kuppel gegenüber dem Louvre tagt.
Politiker unter der <i>coupole</i> sind an sich nichts Ungewöhnliches. Nur eine Minderheit, höchstens die Hälfte der 40 Unsterblichen sind Dichter. Die anderen sind Diplomaten, Militärs, Wissenschaftler, Bischöfe oder eben Politiker. Voraussetzung ist in jedem Fall, dass der Kandidat das geistige Rüstzeug mitbringt, um an der hohen Aufgabe mitzuwirken, die „französische Sprache rein zu halten, sie in ihren Ausdrucksformen festzulegen, ihre Schwierigkeiten zu klären und ihre Wesenszüge zu bewahren“. Der Fall des Staatspräsidenten liegt insofern anders, als er der Schutzherr der Akademie ist, der die Wahl neuer Mitglieder zu bestätigen hat. Zwar sind so gut wie alle der während Giscards Septennat (1974-81) gewählten Académiciens inzwischen gestorben. Doch wittern Leute, die das Gras wachsen hören, hinter dem überraschenden Rollentausch einen Interessenkonflikt, wenn nicht eine subtile Form der Erpressung.
Zu diesen Leuten gehört Maurice Druon, der „ständige Sekretär“ der Akademie. Druon, erfolgreicher Produzent von historischen Romanen aus der Zeit des Ancien Régime, ist ein Freund des offenen Wortes, der dankbar jede Gelegenheit ergreift, einen Streit vom Zaun zu brechen. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands prophezeite er, die wieder erstarkten Teutonen würden Frankreich spätestens in zehn Jahren mit Krieg überziehen. Als der sozialistische Ministerpräsident Jospin anordnete, die weiblichen Mitglieder seines Kabinetts seien hinfort „Madame la Ministre“ anzureden (statt „Madame le Ministre“), quittierte der Sprachhüter die Neuerung mit einem wortreichen, von den Medien entzückt aufgenommenen Wutausbruch. Angesichts dieser Präzedenzfälle hielt sich das Erstaunen der Öffentlichkeit über Druons Tirade gegen den neuen Kandidaten in Grenzen. Giscard sei zwar ein brillanter Redner, räumte er ein, doch das Niveau seiner literarischen Leistungen lasse erheblich zu wünschen übrig. So habe er es in seinen Lebenserinnerungen nicht unter seiner Würde erachtet, die Leser darüber zu unterrichten, dass ihn der Anblick weiblicher Ministerschenkel bei Kabinettssitzungen nicht beunruhigt habe. Noch schlimmer sei, dass er sich nicht geniere, der anglophonen Auslandspresse auf Englisch Rede und Antwort zu stehen.
Den Siegeszug des Englischen aufzuhalten und die französische Sprache von Anglizismen freizuhalten ist in der Tat eine der vornehmsten Aufgaben der Akademie. Kardinal Richelieu, ihr Gründer, übertrug ihr das Monopol, darüber zu entscheiden, was gutes Französisch ist und was nicht. Sie kommt dieser Aufgabe durch die berühmten Dictionnaires nach, dessen erste Ausgabe 1694 erschien. Aber da die Herren - die erste Frau, Marguerite Yourcenar, wurde erst 1980 aufgenommen - sehr bedächtig arbeiten, sind die Fremdkörper, wenn sich die Ärzte an die Operation machen, meist schon tief in den Leib der Sprache eingedrungen. Die letzte (achte) Ausgabe des Dictionnaire stammt von 1935. Von der neunten Ausgabe liegt bisher erst die Hälfte vor: Der erste Band (A-Enzyme) erschien 1992, der zweite (Éoc*ne-Mappemonde) 2000. Dieser letzte Band enthält 11 500 Wörter, darunter 4000 neue. Einige der von der Akademie geschaffenen Neuwörter - wie <i>baladeur</i> für <i>walkman</i> oder <i>logicie</i>l für <i>software</i> - haben sich in der Alltagssprache durchgesetzt. Aber wenn sie sich bis zum Buchstaben S vorgearbeitet hat, wird es vermutlich zu spät sein, um die Manager noch davon abzubringen, sich <i>stressé</i> zu fühlen, die Mäzene, Ausstellungen zu <i>sponsoriser</i>, und die <i>skins</i>, weißes Pulver zu <i>sniffer</i>. In der Frage der Rechtschreibreform hat sich die Akademie im Gegensatz zu den deutschen Kultusministern vorsichtig zurückgehalten. Eine der dramatischsten Änderungen ist die Möglichkeit, <i>céleri</i> (Sellerie) künftig auch <i>c*leri</i> schreiben zu dürfen.
Die Franzosen verfolgen das Wirken der Akademie, soweit sie es überhaupt zur Kenntnis nehmen, mit freundlichem Spott. Aber wenn ein neues Mitglied aufgenommen wird und die Unsterblichen mit grünem Frack, Zweispitz und Degen unter der Kuppel zusammentreten, lässt man sich das pittoreske Schauspiel nicht entgehen. Giscards Schicksal wird sich am 11. Dezember entscheiden. Da die Wahl geheim ist, sind Voraussagen riskant. Selbst große Geister wie Balzac, Baudelaire, Verlaine, Zola wurden zurückgewiesen, Zola sogar 24 Mal. Doch spricht einiges dafür, dass sich der gewiefte Taktiker Giscard vergewisserte, dass ihm keine Blamage droht.
DIE WELT vom 10. Dezember 2003 |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Mittwoch, 13. Okt. 2004 21:23 Titel: „Die Unsterblichen“ wachen über die Orthographie |
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In Frankreich wachen „Die Unsterblichen“ über die Orthographie
Orbital hat folgendes geschrieben: Ich kenne kein anderes Land, in dem solch unsinnige Kommissionen dem Volk vorschreiben wollen, wie es denn jetzt zu schreiben hat oder nicht.
In Frankreich wachen „Die Unsterblichen“ über Orthografie
Paris (dpa, 09.08.2004) - Frankreichs Schüler stöhnen über die Schwierigkeiten französischer Rechtschreibung, und die Sieger von Wettbewerben um fehlerfreie Diktate werden im Fernsehen gefeiert. Doch eine durchgreifende Vereinfachung ist im Land Molières kein Thema. Stattdessen wird seit Jahrhunderten die Schriftsprache behutsam dem Wandel der Zeit angepasst. Über stimmlose Wortendungen und rätselhafte Verbformen wacht unangefochten die «Académie Française», 1635 gegründet. Jüngstes Thema war die Einführung des weiblichen Titels «Madame la ministre», mit dem eine männliche Dominanz beendet wurde. Die Mitglieder der Académie, auch «Die Unsterblichen» genannt, entscheiden darüber, ob Akzente auf Großbuchstaben oder ob Bindestriche zwischen die Ziffern hoher Zahlen gehören.
Die befürchtete «reelle Bedrohung» des Französischen durch die englische Sprache hat in den vergangenen Jahrzehnten die Akademiker stark beschäftigt. Aus «e-mail» wurde «courriel» oder «courrier électronique». Und beim Tennis hat sich statt «tie-break» das «jeux décisif» durchgesetzt. Neueinführungen werden im Amtsblatt veröffentlicht: So wurde am 31. Mai 1996 ganz offiziell aus dem amerikanischen Begriff CD-ROM (Compact Disk Read Only Memory) das französische «Cédérom», mit verbindlicher Schreibweise und Aussprache. Maß aller Dinge ist das Wörterbuch der Académie, von dem seit 1694 bislang 8 Ausgaben erschienen sind. Die «Unsterblichen» sind bienenfleißig: Die Ausgabe von 1935 hat mit 35 000 Wörtern doppelt so viele Einträge wie die Erstausgabe. Noch recht hilflos steht die Académie allerdings vor dem Phänomen stark verkürzter Formulierungen, wie sie sich Jugendliche als SMS-Nachrichten über Handys zuschicken.
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Schlage man mich lieber, aber lasse man mich lachen. (Molière)
Die Journalistin „Prosa“, Berlin: 09.08.04, 15:40
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