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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Dienstag, 17. Feb. 2004 12:04 Titel: Rechtsprofessoren fordern Rücknahme der Schreibreform |
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<b>P r e s s e i n f o r m a t i o n
Rechtswissenschaftler fällen vernichtendes Urteil über Rechtschreibreformprojekt
Über 50 Professoren verlangen sofortige Rückkehr zur traditionellen Rechtschreibung</b>
In einem eindringlichen Appell an den Deutschen Bundestag, die deutschen Landtage, den Nationalrat der Republik Österreich und den Nationalrat der Schweizerischen Eidgenossenschaft fordern über 50 renommierte Rechtsprofessoren, in der Mehrzahl Zivil- und Staatsrechtslehrer, die sofortige Beendigung des Projekts „Rechtschreibreform“.
In ihrer Petition heben die Unterzeichner hervor, daß die mit der sog. Wiener Absichtserklärung vom 1.7.1996 beschlossene Rechtschreibreform schwerwiegende Mängel aufweise, die das Ergebnis einseitiger, verkürzter oder falscher Betrachtungen der deutschen Sprache sowie unausgewogener Formelkompromisse der verantwortlichen Kommissionsmitglieder seien. Die überaus große Zahl offensichtlicher Mißgriffe machten das Reformwerk schlichtweg unbrauchbar. Die jüngst vorgeschlagenen Änderungen entzögen sich einem rationalen Zugriff und vergrößerten das bereits angerichtete Chaos.
Die Professoren weisen darauf hin, daß die erheblichen Defizite der Reform in der öffentlichen Diskussion umfassend belegt seien. „Die gravierenden Mängel zerstören die Einheitlichkeit der deutschen Schriftsprache, beeinträchtigen deren Aussagekraft und Ausdrucksvielfalt und gefährden damit die Stellung des Deutschen im Ausland.“ Die Unterzeichner der Petition stellen ferner fest, daß die neuen Regeln vom überwiegenden Teil der Sprachgemeinschaft nicht akzeptiert würden. Sie bemängeln die Fehlerhäufigkeit in den öffentlichen Publikationsorganen und die Existenz unterschiedlichster Schreibweisen. Das gilt nicht nur für die im Handel erhältlichen Lexika, sondern auch für die sog. Hausorthographien von Verlagen und Firmen.
Nach Überzeugung der Rechtswissenschaftler ist eine Rückkehr zur bewährten traditionellen Rechtschreibung ohne weiteres möglich, auch an den Schulen. Sie wissen sich in ihrer Verantwortung für die deutsche Sprache und Rechtschreibung in Übereinstimmung mit den deutschsprachigen und ausländischen Schriftstellern, den deutschen Akademien der Wissenschaften und der Schönen Künste sowie mit den Sprach- und Literaturwissenschaftlern an in- und ausländischen Universitäten.
Die Professoren betonen ausdrücklich, daß die für weite Teile der Sprachgemeinschaft überraschende Einführung und Umsetzung der Rechtschreibreform bei vielen Betroffenen den Eindruck der demokratisch nicht legitimierten Bevormundung durch die Exekutive hervorgerufen habe. Das Bundesverfassungsgericht habe zwar im Hinblick darauf, daß das neue Regelwerk grundsätzlich keine rechtlichen Wirkungen entfalte, einen Verstoß gegen das Demokratieprinzip nicht angenommen; dies ändere politisch aber nichts an dem Umstand, daß die Aktivitäten der Kultusverwaltungen dem Vertrauen in die demokratisch legitimierte Staatsgewalt erheblichen Schaden zugefügt hätten.
Die Rechtswissenschaftler fordern die sofortige Kündigung der Wiener Absichtserklärung, die Aufhebung der zur Umsetzung der Erklärung erlassenen Regelungen sowie die Ablösung der mit der Reform befaßten Kommissionen.
Zuletzt bearbeitet von Manfred Riebe am Freitag, 10. Sep. 2004 23:34, insgesamt 3mal bearbeitet |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Dienstag, 17. Feb. 2004 13:00 Titel: Die Petition mit der Unterschriftenliste |
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<b>Die Petition mit der Unterschriftenliste
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Rechtswissenschaftler für die bewährte Rechtschreibung
Im Februar 2004
Petition zur Beendigung des Rechtschreibreformprojekts</b>
Anrede,
nach Jahren der Erprobung der in der Gemeinsamen Absichtserklärung zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung - Wiener Absichtserklärung - vom 1. Juli 1996 in Aussicht genommenen Rechtschreibreform zeigt sich in aller Deutlichkeit, daß das Vorhaben schwerwiegende Mängel aufweist. Diese werden freilich bei einer nur oberflächlichen Befassung mit dem Reformwerk und bei der Lektüre einfacher Texte nicht in ihrer ganzen Tragweite wahrgenommen. Manch einer, der inzwischen meint, sich auf das neue Regelwerk einstellen zu müssen, schenkt denn auch den Beteuerungen der Mitglieder der Rechtschreibkommission Glauben, die reformierte Rechtschreibung komme mit nur 112 Regeln aus, die insgesamt in sich schlüssig und leicht erlernbar seien.
Eine gründliche Auseinandersetzung mit der Neuschreibung zeigt jedoch, daß diese Beteuerungen alles andere als zutreffend sind. Der Mainzer Sprachwissenschaftler Werner H. Veith hat nämlich nachgewiesen, daß das neue Regelwerk neben seinen Hauptregeln 1106 Anwendungsbestimmungen in Form von Unterregeln, Spezifikationen, Kannbestimmungen, Bedingungen, Listen und Verweisen umfaßt. Um das Reformwerk „korrekt“ anzuwenden, müßte man diese auswendig lernen. Schon deshalb befürchten wir, die Unterzeichner dieser Petition, daß selbst nach Jahren der Erprobung niemand das neue Regelwerk beherrscht.
Im übrigen erschließt sich das Ausmaß an Unprofessionalität, mit dem das Reformwerk angegangen wurde, erst bei eingehenderem Studium der einzelnen Regeln und Anwendungsbestimmungen. Darauf mag es bei einfach gelagerten Texten nicht immer ankommen; die genaue Kenntnis ist aber bei komplizierteren Inhalten, etwa in Wissenschaft und Dichtung, unabdingbar. Die dann in Erscheinung tretenden gravierenden Mängel der Neuschreibung sind das Ergebnis einseitiger, verkürzter oder schlicht falscher Betrachtungen der deutschen Sprache – von
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Grammatik, Semantik und Phonetik – sowie unausgewogener Formelkompromisse der verantwortlichen Kommissionsmitglieder. Die überaus große Zahl der Mißgriffe macht das Reformwerk für komplexe Texte geradezu unbrauchbar. Die Rechtschreibung muß sich aber für sämtliche Textarten eignen. Schon dieser Umstand disqualifiziert das Reformwerk.
Da die geänderte Rechtschreibung in ihrer Gesamtheit willkürlichen, der Sprache nicht gerecht werdenden Strukturen folgt, führt auch jede Reform der Reform zu keinem vernünftigen Ergebnis. Dies gilt erst recht für die jüngst von der Rechtschreibkommission vorgeschlagenen Änderungen, die sich einem rationalen Zugriff entziehen und das bereits angerichtete Chaos nur vergrößern. Deshalb halten wir es für unerläßlich, daß sich der Deutsche Bundestag, die deutschen Landtage, der Nationalrat der Republik Österreich sowie der Nationalrat der Schweizerischen Eidgenossenschaft mit diesem auf Verwaltungsebene beschlossenen Reformvorhaben befassen und seine Beendigung beschließen. Zu diesem Zweck bitten wir Sie, die nachfolgende Petition an die für die Entscheidung zuständigen Gremien weiterzuleiten. Die Petition hat folgende Ziele:
1. die Gemeinsame Absichtserklärung zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung - Wiener Absichtserklärung - vom 1. Juli 1996 mit sofortiger Wirkung zu kündigen;
2. sämtliche zur Umsetzung der Wiener Absichtserklärung erlassenen Regelungen umgehend aufzuheben. Dabei ist den Schulen eine angemessene Übergangsfrist einzuräumen;
3. darauf hinzuwirken, daß die mit der Rechtschreibreform befaßten Kommissionen
von ihren Aufgaben zur Beobachtung und Fortentwicklung der Reform entbunden
werden.
G r ü n d e :
Nachfolgend weisen wir auf einzelne Hauptmängel der reformierten Rechtschreibung hin und geben dafür einige wenige Beispiele an, die oft für eine Vielzahl anderer Ungereimtheiten, Systembrüche oder Unrichtigkeiten stehen. Danach machen wir auf einzelne Gesichtspunkte aufmerksam, auf Grund derer die umgehende Beendigung der Erprobung der neuen Rechtschreibung nicht nur möglich ist, sondern auch den einzig sinnvollen Weg darstellt.
I. Defizite der Rechtschreibreform
Die erheblichen Defizite der Rechtschreibreform sind inzwischen in der öffentlichen Diskussion hinlänglich belegt:
• Durch frei erfundene Regeln, die der deutschen Sprache nicht gerecht werden, vor allem zur Getrennt- und Zusammenschreibung, wird ein beträchtlicher Teil des bestehenden Wortschatzes eliminiert.
Beispiele nicht mehr existierender Wörter:
alleinstehend, allgemeinbildend, aufwärtsgehen, auseinandersetzen, bekanntmachen, bewußtmachen, dahinterkommen, fallenlassen, fertigbringen, fertigstellen; hängenbleiben, Handvoll, kennenlernen, laufen-
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lassen, naheliegend, nahestehend, nebeneinandersitzen, nichtssagend, offenbleiben, richtigstellen, schiefgehen, schwerfallen, sitzenbleiben, sogenannt, stehenlassen.
• Die reformierte Groß- und Kleinschreibung ist in sich inkonsequent und widersprüchlich.
Beispiele:
Der letzte Wille (auch im Sinn der letztwilligen Verfügung), aber: das Letzte Gericht; Pleite gehen, aber: pleite sein; recht machen, aber: Recht bekommen.
• Die neue Rechtschreibung verstößt gegen grundlegende Regeln der Grammatik und Semantik. Sie verlangt damit falsche Schreibweisen.
Beispiele:
Es tut mir sehr Leid; er hat Recht; es tut Not; im Übrigen; des Öfteren; des Weiteren; heute Morgen; gestern Abend.
• Die reformierte Rechtschreibung mißachtet die Phonetik. Neue Schreibweisen verstoßen gegen die natürliche Betonung und suggerieren eine falsche Aussprache.
Beispiele:
mithilfe, gesprochen aber: mit Hilfe; zurzeit, gesprochen aber: zur Zeit.
• Das Reformwerk erschwert u.a. durch eigenwillige Regeln der Silbentrennung die Lesbarkeit von Texten.
Beispiele:
Tee-nager, Seee-lefant, Obst-ruktion, Etatü-berschreitung, I-mage, vol-lenden, beo-bachten, vere-helichen, Preise-lastizität, Pressea-gentur, alla-bendlich, durcha-ckern, Hause-cke.
• Die neuen Kommaregeln erschweren das Erfassen selbst kürzerer Satzpassagen. Die für das Deutsche typischen komplexen Satzgefüge werden oft undurchschaubar.
Beispiele:
Er ging gestern von allen wütend beschimpft zur Polizei.
Er schwört vor dem Gerichtshof die volle Wahrheit gesagt zu haben.
• Bei zusammengesetzten Wörtern werden die Binnengrenzen durch die Neuschreibung verdunkelt. Die Wortfuge ist nur schwer zu erkennen.
Beispiele:
Flussschifffahrt, Prozessserie, Nachlasssache, Verschlusssache, Schlosserkundung, Schlammmassen, Messergebnis, Missstimmung.
• Willkürlich abgeänderte, pseudoetymologisch abgeleitete und damit der ursprünglichen Bedeutung nicht mehr entsprechende Schreibweisen führen zur Verunsicherung und Verwirrung von Schreiber und Leser. In manchen Fällen lassen sich verschiedene Bedeutungen gar nicht mehr voneinander unterscheiden.
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Beispiele:
schnäuzen wegen Schnauze; verbläuen wegen blau; Gämse wegen Gams, aber Eltern trotz alt; Tollpatsch wegen toll; belämmert wegen Lamm; gräulich wegen Grauen (ebenso wie gräulich von grau); Rauheit wegen rau, aber Rohheit und Jähheit, dann jedoch: Hoheit.
• Bei zusammengesetzten Partizipien bietet die reformierte Rechtschreibung eine totale Regellosigkeit.
Beispiele:
Not leidend (Bevölkerung), aber: notleidend (Kredit); Heil bringend und heilbringend, aber nur: Unheil bringend; Musik liebend und musikliebend, aber nur: tierliebend; Kosten sparend und kostensparend, aber nur: kostendeckend.
• Sachlich nicht begründete Schreibvarianten erzwingen ein häufiges Nachschlagen in den (voneinander abweichenden und sich ständig verändernden) Wörterbüchern.
Beispiele:
Alptraum und Albtraum
Spaghetti und Spagetti
hoch begabt und hochbegabt (gleiche Bedeutung)
hochgesteckt (Haar) und hoch gesteckt (Ziel)
hochkonzentriert (Schüler) und hoch konzentriert (Säure)
hochgestellt (Zahl) und hoch gestellt (Persönlichkeit)
selbständig und selbstständig
imstande sein und im Stande sein
hierzulande und hier zu Lande
aufwendig und aufwändig
infrage stellen und in Frage stellen
wohl erzogen und wohlerzogen (gleiche Bedeutung)
Eine Kuriosität: das In-Kraft-Treten, aber: die Inkraftsetzung
• Das neue Regelwerk ist wegen seiner unklaren Abfassung, seiner unterschiedlichen Auslegungsmöglichkeiten und seiner immanenten Widersprüche wesentlich schwerer zu erlernen und zu lehren als die traditionelle Rechtschreibung.
• Selbst die vielgepriesene neue ss-Schreibung hat nachweislich zu einer deutlich erhöhten Fehleranfälligkeit geführt.
Beispiele für häufig gemachte Fehler:
Strasse (statt Straße), Busse (statt Buße), Grüsse (statt Grüße), Schliessfach (statt Schließfach), ausserdem (statt außerdem); er weiss (statt er weiß); sie heisst (statt sie heißt).
• Die Neuregelung hat auch negative Auswirkungen auf das Erlernen wichtiger Fremdsprachen, insbesondere des Englischen und Französischen.
Beispiele:
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Orthografie (auch Orthographie) englisch: orthography
französisch: orthographe
essenziell (auch essentiell) englisch: essential
französisch: essentiel, le
Potenzial (auch Potential) englisch: potential
französisch: potentiel
Katarr (auch Katarrh) englisch: catarrh
französisch: catarrhe
Panter (auch Panther) englisch: panther
französisch: panth*re
Fassette (auch Facette) englisch: facet
französisch: facette
Kommunikee (auch: Kommuniqué) englisch: communiqué
französisch: communiqué
• Aufgrund der Ungereimtheiten wird das neue Regelwerk praktisch von niemandem beherrscht. Nicht einmal amtlich verkündete Gesetzestexte sind fehlerfrei in neuer Rechtschreibung abgefaßt. Die Fehlerhäufigkeit in den öffentlichen Publikationsorganen hat erheblich zugenommen. Überhaupt existieren die unterschiedlichsten Schreibweisen. Dies gilt nicht nur für die im Handel erhältlichen Lexika, die ihrerseits von Auflage zu Auflage wesentlich voneinander abweichen, sondern auch für die Hausorthographien von Zeitungs-, Zeitschriften- und Buchverlagen sowie von Firmen.
• Die gravierenden Mängel der sog. Rechtschreibreform zerstören die Einheitlichkeit der deutschen Schriftsprache, beeinträchtigen deren Aussagekraft und Ausdrucksvielfalt und gefährden damit in hohem Maße die Stellung des Deutschen im Ausland.
II. Mögliche Rückkehr zur bewährten Rechtschreibung
Die Rückkehr zur bewährten Rechtschreibung ist nicht nur möglich, sondern die allein sinnvolle Alternative zu den mit dem neuen Regelwerk verbundenen Problemen. Dies ergibt sich bereits aus folgenden Überlegungen:
• Die Rechtschreibreform ist lediglich ein Modellversuch, der nach seinem eigenen Selbstverständnis als Formelkompromiß der Überprüfung und Erprobung bedarf und daher im Fall der Nichtbewährung auch wieder aufgegeben werden kann.
• Die neuen Regeln werden vom überwiegenden Teil der Sprachgemeinschaft nicht akzeptiert und angewandt. Vielmehr wird weiterhin in bewährter Rechtschreibung geschrieben.
• Die tradierte Rechtschreibung wird praktisch von der gesamten Sprachgemeinschaft beherrscht, selbst von jenen Personengruppen, die sich inzwischen unter dem Zwang der Verhältnisse darum bemühen, das neue Regelwerk anzuwenden. Bei einer Umstellung wird einfach wieder das Rechtschreibprogramm geändert.
• Soweit die Neuregelung an den Schulen gelehrt wird, ist eine Rückkehr zur bewährten Rechtschreibung ebenfalls ohne wirkliche Probleme möglich, weil in den ersten vier Schuljahren nur sehr wenige Wörter (bis maximal vierzig) vom neuen Regelwerk betroffen sind. Schüler höherer Jahrgänge verwenden ohnehin noch häufig die bewährte Rechtschreibung.
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Die im Unterricht behandelten literarischen Werke sind nahezu ausnahmslos in traditioneller Rechtschreibung gehalten. Anfangsschwierigkeiten lassen sich durch angemessene Übergangsfristen bereinigen. Ein Chaos ist dabei ausgeschlossen. Damit entfällt das Hauptargument für die Fortsetzung des Reformprojekts.
• Eine sprachwissenschaftlich ohnehin zum Scheitern verurteilte Reform der Reform würde von allen Beteiligten ein erneutes Umlernen und eine Umstellung sämtlicher Druckwerke erfordern. Sie ist schon deshalb nicht praktikabel. Überdies ist nach den bisherigen Erfahrungen mit der Rechtschreibreform nicht damit zu rechnen, daß ein schrittweiser Rückbau der Reform geeignet wäre, eine allgemein akzeptierte Rechtschreibung durchzusetzen.
• Eventuell bestehender Reformbedarf läßt sich nachvollziehbar lediglich auf der Grundlage der tradierten Rechtschreibung als dem der reformierten Schreibweise deutlich überlegenen Regelwerk ermitteln und auf der Grundlage der faktischen Handhabung durch die Sprachgemeinschaft umsetzen. Einer Bevormundung durch eingesetzte Kommissionen bedarf es dazu nicht.
III. Entscheidung durch die Parlamente
Die Entscheidung über die Rückkehr zur tradierten Rechtschreibung treffen sinnvollerweise die zuständigen Parlamente, da die Exekutive wegen ihrer Vorbefassung mit dem Reformwerk dazu nicht mehr geeignet erscheint.
Hinzu kommt, daß die für weite Teile der Sprachgemeinschaft überraschende Einführung des Reformwerks bei vielen Betroffenen den Eindruck der demokratisch nicht legitimierten Bevormundung durch die Exekutive hervorgerufen hat. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat zwar im Hinblick darauf, daß das neue Regelwerk grundsätzlich keine rechtlichen Wirkungen entfaltet, einen Verstoß gegen das Demokratieprinzip nicht angenommen. Dies ändert politisch aber nichts an dem Umstand, daß die Aktivitäten der Kultusverwaltungen dem Vertrauen in die demokratisch legitimierte Staatsgewalt erheblichen Schaden zugefügt haben.
Aus Verantwortung für die deutsche Rechtschreibung, die deutsche Sprache und deren Bedeutung im internationalen Bereich fordern wir daher in Übereinstimmung mit den deutschen und ausländischen Schriftstellern, den deutschen Akademien der Wissenschaften und der Schönen Künste sowie den Sprach- und Literaturwissenschaftlern an in- und ausländischen Universitäten eindringlich, umgehend wie beantragt zu entscheiden.
Professor Dr. Heinz-Dieter Assmann
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Professor Dr. Christian Berger
Universität Leipzig
Professor Dr. Dieter Blumenwitz
Julius-Maximilians-Universität Würzburg
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Professor Dr. Winfried Brohm
Universität Konstanz
Professor Dr. Christian Calliess, M.A.E.S., LL.M. Eur
Georg-August-Universität Göttingen
Professor Dr. Dr. h.c. mult. Claus-Wilhelm Canaris
Ludwig-Maximilians-Universität München
Professor Dr. Wolfgang Däubler
Universität Bremen
Professor Dr. Steffen Detterbeck
Philipps-Universität Marburg/Lahn
Professor Dr. Ulrich Eisenhardt
Fernuniversität Hagen
Professor Dr. Hans Forkel
Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Professor Dr. Gilbert Gornig
Philipps-Universität Marburg/Lahn
Professor Dr. Georgios Gounalakis
Philipps-Universität Marburg/Lahn
Professor Dr. Reto Hilty
Max-Planck-Institut für ausl. u. intern.
Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht München
Universität Zürich
Professor Dr. Martin Ibler
Universität Konstanz
Professor Dr. Dr. h.c. Othmar Jauernig
Universität Heidelberg
Professor Dr. Abbo Junker
Georg-Albrechts-Universität Göttingen
Professor Dr. Dr. h.c. Gerhard Kegel
Universität zu Köln
Professor Dr. Bernd-Rüdiger Kern
Universität Leipzig
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Professorin Dr. Eva-Maria Kieninger
Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Professor Dr. Winfried Kluth
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Professor Dr. Rolf Knütel
Rheinische Friedrich-Wilhelm-Universität Bonn
Professor Dr. Helmuth Köhler
Ludwig-Maximilians-Universität München
Professor Dr. Stephan Korioth
Ludwig-Maximilians-Universität München
Professor Dr. Jan Kropholler
Max-Planck-Institut
Universität Hamburg
Professor Dr. Kurt Kuchinke
Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Professor Dr. Stefan Lorenz
Ludwig-Maximilians-Universität München
Professor Dr. Heinz-Peter Mansel
Universität zu Köln
Professor Dr. Hartmut Maurer
Universität Konstanz
Professor Dr. Stefan Muckel
Universität zu Köln
Professor Dr. Joachim Münch
Georg-Albrechts-Universität Göttingen
Professor Dr. Dr. h.c.Thomas Oppermann
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Professor Dr. Eckhard Pache
Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Professor Dr. Manfred Rehbinder
Universität Zürich
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Professor Dr. Oliver Remien
Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Professor Dr. Dr. h.c. mult. Claus Roxin
Ludwig-Maximilians-Universität München
Professor Dr. Bernd Rüthers
Universität Konstanz
Professor Dr. Matthias Ruffert
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Professor Dr. Hans Schlosser
Universität Augsburg
Professor Dr. Reiner Schmidt
Universität Augsburg
Professor Dr. Helge Sodan
Freie Universität Berlin
Professorin Dr. Astrid Stadler
Universität Konstanz
Professor Dr. Olaf Sosnitza
Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Professor Dr. Gerald Spindler
Georg-Albrechts-Universität Göttingen
Professor Dr. Dres. h.c. Klaus Stern
Universität zu Köln
Professor Dr. Rolf Stürner
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Professor Dr. Arndt Teichmann
Universität Mainz
Professor Dr. Andreas Voßkuhle
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg/Brsg.
Professor Dr. Heinrich de Wall
Universität Erlangen-Nürnberg
Rechtsanwalt Dr. Johannes Wasmuth
Lektoratsleiter in München
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Professor Dr. Herbert Wiedemann
Universität zu Köln
Professor Dr. Dietmar Willoweit
Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Professor Dr. Manfred Wolf
Johann-Wolfgang-Goethe Universität Frankfurt/Main
Professor Dr. Thomas Würtenberger
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg/Brsg.
Professor Dr. Jan Ziekow
Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Sonntag, 23. Mai. 2004 17:31 Titel: Widerstandsnester |
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Widerstandsnester
Anscheinend geht der Protest der 50 Rechtswissenschaftler von der Universität Zürich aus (Prof. Manfred Rehbinder), also der früheren Wirkungsstätte der Schweizer Reformer Gallmann und Sitta. Das wäre interessant, denn auch in Deutschland gibt es nirgendwo stärkere Reformkritik als in Siegen, wo Augst und Schaeder zu Hause sind. Zufall?
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Theodor Ickler
15.02.2004 13.20
Forum > Rechtschreibforum >Morgenröte
www.rechtschreibreform.de/php/einzelner_Datensatz.php?BeitragNr=21453 |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Mittwoch, 26. Mai. 2004 08:08 Titel: Parlamente sollen Kultusverwaltungen kontrollieren |
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Parlamente sollen Kultusverwaltungen kontrollieren
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Petition für Auflösung der Rechtschreib-Kommission
oll. Frankfurt, 25. Mai. Die Auflösung der Zwischenstaatlichen Kommission für die deutsche Rechtschreibung haben mehr als fünfzig renommierte Rechtswissenschaftler gefordert. Mindestens sieben der zwölf Kommissionsmitglieder seien privat für einflußreiche Wörterbuchverlage tätig, bemängeln die Juristen, die im Februar eine Petition an den deutschen Bundestag, die Landtage sowie die Nationalräte in Österreich und in der Schweiz gerichtet hatten. Sie fordern die Parlamente jetzt auf, von ihrem Kontrollrecht gegenüber den Kultusverwaltungen Gebrauch zu machen. Denn die vom Bundesverfassungsgericht eingeforderte allgemeine Akzeptanz der Reform habe sich bisher nicht eingestellt und sei auch nicht mehr zu erwarten. „Die von der Kultusverwaltung behauptete problemlose Einführung der Rechtschreibreform an den Schulen … ist unzutreffend und eine Irreführung der Parlamente“, heißt es in der Erklärung. Fast alle namhaften deutschsprachigen und ausländischen Schriftsteller, mehrere deutsche Akademien der Wissenschaften und Künste sowie die Goethe-Institute und das deutsche PEN-Zentrum hätten sich gegen die Reform ausgesprochen. Nun sei es dringend geboten, das gesamte Regelwerk zurückzunehmen, zumal sich nach hinreichender Beobachtung gravierende Mängel erwiesen hätten.
[Heike Schmoll]
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25. Mai 2004
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Fünfzig Rechtswissenschaftler haben verlangt, die Zwischenstaatliche Kommission für die deutsche Rechtschreibung aufzulösen und die Reform zurückzunehmen. Mindestens sieben der zwölf Kommissionsmitglieder seien privat für einflußreiche Wörterbuchverlage tätig, bemängeln die Juristen, die im Februar eine Petition an den Deutschen Bundestag, die Landtage sowie die Nationalräte in Österreich und in der Schweiz gerichtet hatten. Sie fordern die Parlamente jetzt auf, von ihrem Kontrollrecht gegenüber den Kultusverwaltungen Gebrauch zu machen. Die vom Bundesverfassungsgericht eingeforderte allgemeine Akzeptanz der Reform habe sich bisher nicht eingestellt. Schriftsteller, mehrere Akademien der Wissenschaften und Künste, die Goethe-Institute und das deutsche PEN-Zentrum hätten sich gegen die Reform ausgesprochen. (oll.)
[= Heike Schmoll]
Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 121 vom 26. Mai 2004, S. 4
Zuletzt bearbeitet von Manfred Riebe am Dienstag, 01. Jun. 2004 20:15, insgesamt 1mal bearbeitet |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Dienstag, 01. Jun. 2004 16:46 Titel: Brief an Kultusministerin Schavan |
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Brief an Kultusministerin Schavan
Rechtswissenschaftler fordern Rücknahme der Reform
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Dr. Johannes Wasmuth .................................................. München, den 28. Mai 2004
Rechtsanwalt
Kobellstr. 11
80336 München
Tel./Fax: (089) 725 02 02
Frau
Dr. Annette Schavan, MdL
Ministerin für Kultus, Jugend und Sport
- persönlich -
Schloßplatz 4
70173 S t u t t g a r t ........................................ E i l t !
Rechtschreibreformprojekt
hier: Sitzung der KMK am 3./4. Juni 2004
Sehr geehrte Frau Dr. Schavan,
zur Vorbereitung der Sitzung der KMK am 3./4. Juni 2004 übermittle ich Ihnen eine Stellungnahme von mehr als 50 Rechtslehrern an Universitäten in Deutschland, Österreich und der Schweiz, die sich in einem Petitionsverfahren kritisch mit dem Rechtschreibreformprojekt befaßt. Insbesondere wird, unterstützt durch ein Gutachten eines bedeutenden Sprachwissenschaftlers, der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung ein hohes Maß an Unprofessionalität attestiert. Darüber hinaus werden konkrete wirtschaftliche Eigeninteressen zahlreicher Kommissions- und Beiratsmitglieder herausgestellt. Die Rechtswissenschaftler haben sämtliche zuständigen Parlamente aufgefordert, Kommission und Beirat wegen dieser gravierenden Defizite aufzulösen und das Rechtschreibreformprojekt umgehend rückgängig zu machen. Nur dadurch werde weiterer Schaden für die deutsche Sprache verhindert.
Da Sie als Mitglied der KMK am 3./4. Juni 2004 über das Rechtschreibreformprojekt befinden werden, möchte ich Ihnen die Stellungnahme mit der dringenden Bitte zur Kenntnis geben, sich für die Umsetzung des Anliegens der Professoren der Rechtswissenschaft zu verwenden. Der ehemalige bayerische Staatsminister für Unterricht und Kultus Hans Zehetmair, der seinerzeit maßgeblich für die Einführung des Reformprojekts eingetreten war, hat bereits ausdrücklich erklärt: „.... aus heutiger Sicht und noch deutlicherer Kenntnis der deutschen Wesensart würde ich die Sache heute ganz zum Scheitern bringen. Wir hätten die Rechtschreibreform nicht machen sollen. Ich sage: Politik Hände weg von einer Rechtschreibreform!“
Nicht nur die Professoren des Rechts, sondern die deutsche Sprachgemeinschaft werden die Beschlüsse der KMK mit größter Sorgfalt verfolgen und das Verantwortungsbewußtsein aller zuständigen Kultusminister nachhaltig daran messen, ob die Entscheidungen eine klare Abkehr von der bislang praktizierten, nicht gerechtfertigten Vertrauensseligkeit gegenüber der Reformkommission beinhalten.
Nach Jahren des Herumlavierens mit der inzwischen als eindeutig verfehlt erkannten Rechtschreibreform ist das Projekt im Interesse der Einheitlichkeit der deutschen Schriftsprache - deren Aussagekraft, Ausdrucksvielfalt und Stellung im Ausland - zu beenden.
Mit freundlichen Grüßen
(Rechtsanwalt)
_________________________________________________________
Anmerkung:
Dieses Anschreiben wurde in dieser Form an sämtliche Kultusminister der deutschen Länder versandt.
Zuletzt bearbeitet von Manfred Riebe am Dienstag, 01. Jun. 2004 17:07, insgesamt 1mal bearbeitet |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Dienstag, 01. Jun. 2004 16:50 Titel: Rechtswissenschaftler für die bewährte Rechtschreibung |
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Rechtswissenschaftler für die bewährte Rechtschreibung
Landtag
Mecklenburg-Vorpommern
- Petitionsausschuß -
Lennéstraße 1
19053 S c h w e r i n
Im Mai 2004
Rechtschreibreformprojekt
Pet.-Nr. 2004/00089 PETI1
Sehr geehrte Damen und Herren,
gegenüber der Stellungnahme der Kultusverwaltung des Landes Mecklenburg-Vorpommern zur Petition der Rechtswissenschaftler für die Beendigung des Rechtschreibreformprojekts, die mit Schreiben des Sekretariats des Petitionsausschusses vom 23. März 2004 übermittelt wurde, wird nach Abstimmung mit allen Petenten und weiteren Rechtswissenschaftlern, die sich der Petition nachträglich angeschlossen haben, folgendes zu bedenken gegeben:
Es ist zwar verständlich, daß die Kultusverwaltung, die das Rechtschreibreformprojekt ohne Notwendigkeit in Gang gesetzt hat und damit nach eigenen Angaben durch die Anschaffung geänderter Schul- und Lehrbücher und andere Umstellungskosten die Verschwendung beträchtlicher Steuergelder zu verantworten hat, nun bemüht ist, ihr Vorhaben gegenüber den Parlamenten als sinnvoll hinzustellen und zu rechtfertigen. Ihre Stellungnahme unterstreicht freilich nur erneut die Unprofessionalität, mit der bei Einführung und Durchsetzung des Rechtschreibreformprojekts vorgegangen worden ist und die deshalb eine Rückkehr zur bewährten Rechtschreibung auch im Schul- und Verwaltungsbereich unabdingbar macht. Weder die Ausführungen zur Maßgeblichkeit des Reformvorhabens noch die Angaben zur sprachwissenschaftlichen Qualität des neuen Regelwerks und der Rechtschreibkommission sowie zu den Konsequenzen, die mit einer ersatzlosen Aufhebung des verordneten Neuschriebs und der Entlassung der Kommissionsmitglieder verbunden sind, halten einer Überprüfung stand.
Nachdem das Handeln der deutschen Kultusminister nicht unmaßgeblich dafür verantwortlich ist, daß das bundesdeutsche Bildungsniveau unter den Durchschnitt der OECD-Staaten gesunken ist und daher dringend einer Kontrolle durch die Parlamente bedarf, ist ihr Einsatz für das Rechtschreibreformprojekt ein weiteres Feld, auf dem die Kultusverwaltung parlamentarisch zur Verantwortung zu ziehen ist.
I. Vorläufigkeit und weitgehende Unverbindlichkeit des Reformprojekts
1. Die Petition der Rechtswissenschaftler zielt darauf ab, die bisherigen Maßnahmen der Kultus- und der Innenverwaltung zur Einführung und Durchführung des Rechtschreibreformprojekts einer kritischen Kontrolle durch die zuständigen Parlamente zu unterziehen. Sie erstreckt sich dabei auf die Beteiligung der Verwaltung an der sog. Wiener Absichtserklärung vom 1.7.1996 und an der Einrichtung und Tätigkeit der Zwischenstaatlichen Kommission für die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung sowie auf die Verwaltungserlasse zu deren Umsetzung im Schul- und sonstigen Verwaltungsbereich.
Die Versuche der Kultusverwaltung, sich dieser Kontrolle durch Hinweise auf eine Verbindlichkeit der Wiener Absichtserklärung und auf die Zuständigkeit der Zwischenstaatlichen Kommission zu entziehen, stehen einer parlamentarischen Kontrolle nicht entgegen. Die Petenten sind angesichts der erheblichen Defizite des Rechtschreibreformprojekts und der damit verbundenen Fehlleistungen der Kultusverwaltung auch nicht gewillt, die Abgeordneten aus ihrer politischen Verantwortung zu entlassen, die Kultusverwaltung in einem für die Entwicklung der deutschen Sprache maßgeblichen Bereich zu korrigieren.
2. Die Wiener Absichtserklärung ist lediglich von Vertretern der Kultus- und - partiell - der Innenverwaltungen unterzeichnet worden. Sie stellt keinen völkerrechtlichen Vertrag dar. Die österreichische Kultusministerin hat dies seinerzeit ausdrücklich klargestellt. Soweit der Erklärung überhaupt eine gewisse Bindungswirkung zukommen sollte, ist diese allein tatsächlicher Natur. Die Dresdner Erklärung der Kultusministerkonferenz vom 25. Oktober 1996 operiert denn auch nur mit dem juristisch nicht greifbaren Begriff der „Wortbrüchigkeit“ gegenüber den internationalen Partnern, weil sich ihre lediglich im Faktischen liegende Wirkung im Sinne einer bloß politischen Absichtserklärung nicht ernsthaft bestreiten läßt. Gegenüber dem einzelnen Staatsbürger, selbst wenn er als Lehrer oder Schüler gegenüber der Kultusverwaltung in einem Sonderverhältnis steht, oder gegenüber den zuständigen Parlamenten kommt ihr nicht einmal eine faktische Wirkung zu. Sie ist ein juristisches Nullum und deshalb unter keinen Umständen geeignet, die notwendige parlamentarische Kontrolle der Kultus- und der Innenverwaltung zu beschränken.
Im übrigen sieht Art. III Abs. 2 der Wiener Absichtserklärung ausdrücklich Änderungen des Regelwerkes vor. Dazu soll die Kommission Vorschläge erarbeiten. Diese Vereinbarung umfaßt, was die Kultusverwaltung zu Unrecht in Abrede stellt, auch die Rücknahme des Regelwerkes. Davon ist jedenfalls auszugehen, wenn sich nach hinreichender Beobachtung der neuen Schreibregeln gravierende Mängel herausstellen, die es als nicht sinnvoll erscheinen lassen, weiter daran festzuhalten. Da die Rechtschreibreform nach der Beurteilung der Petenten äußerst mangelhaft ist, steht das Regelwerk selbst nach den Vereinbarungen in der Absichtserklärung vollständig zur Disposition.
3. Selbst die Urheber des Reformwerks gehen von der Vorläufigkeit des Neuschriebs aus. So legt etwa der Reformer Professor Dr. Dieter Nerius (Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 4/1997, S. 127) dar, es sei abzuwarten, „wieweit die Sprachteilnehmer auch außerhalb von Schule und Behörden die Neuregelung angenommen haben“, um dann fortzufahren: „Sollte dies nicht der Fall sein, muß man dann eine Neukodifizierung der Orthographie entweder auf der Basis der bisherigen Regelung oder auf einer Grundlage erwägen, die eine breitere Akzeptanz in der Sprachgemeinschaft findet.“ Ebenso macht der Reformer Dr. Klaus Heller (Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 4/1997, S. 124), Geschäftsführer der Zwischenstaatlichen Kommission, die Akzeptanz des Reformvorhabens allein davon abhängig, „ob die neuen Schreibungen von der Sprachgemeinschaft angenommen werden oder nicht.“ Mit dem Vierten Kommissionsbericht gehen die Kommissionsmitglieder ohnehin ganz selbstverständlich davon aus, daß der bislang verkündete Neuschrieb nicht endgültig ist und schlagen Änderungen vor, die sich erneut auf die Schreibung von rund 4000 Wörtern auswirken.
4. Wegen der Umsetzungsakte der Wiener Absichtserklärung hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 14. Juli 1998 ausdrücklich klargestellt, daß sich deren rechtliche Verbindlichkeit auf den Bereich der Schulen beschränkt. Und wörtlich: „Personen außerhalb dieses Bereichs sind rechtlich nicht gehalten, die neuen Rechtschreibregeln zu beachten und die reformierte Schreibung zu verwenden. Sie sind vielmehr frei, wie bisher zu schreiben. Auch durch die faktische Breitenwirkung, die die Reform voraussichtlich entfaltet, werden sie daran nicht gehindert.“ Wegen dieser rechtlichen Unverbindlichkeit hat das Gericht auch einen Grundrechtsverstoß der Beschwerdeführer verneint (BVerfG, NJW 1998, 2515, 2523).
Soweit das neue Regelwerk aufgrund entsprechender Erlasse allerdings im Schulbereich ab dem 1. August 2005 verbindlich werden soll, bestehen jedenfalls erhebliche rechtliche Bedenken, ob es uneingeschränkt Prüfungsentscheidungen zugrunde gelegt werden kann, weil es wegen seiner erheblichen grammatikalischen, semantischen und phonetischen Mängel einer richterlichen Kontrolle nicht standhalten dürfte. Im Rechtsstaat darf keinem Schüler eine Schreibweise als falsch angerechnet werden, die den Prinzipien der Grammatik, Semantik oder Phonetik entspricht, nur weil diese von einer fachlich nicht hinreichend qualifizierten Rechtschreibkommission mißachtet werden.
5. Selbst wenn es das Bundesverfassungsgericht verfassungsrechtlich nicht für erforderlich gehalten hat, Rechtschreibregeln im Schulbereich durch ein förmliches Gesetz zu erlassen, steht schließlich dennoch außer Frage, daß die Befassung mit solchen Regeln nicht allein der Kultusverwaltung vorbehalten ist, sondern auch von den zuständigen Parlamenten aufgegriffen werden kann. Dies gilt gleichermaßen für die nachträgliche Kontrolle von bereits durch die Verwaltung erlassenen Regelungen. Mit der Umsetzung der Anliegen der Petition greifen Landtag und Petitionsausschuß also nicht unzulässig in die Zuständigkeiten der Verwaltung ein, sondern machen lediglich von ihrem parlamentarischen Kontrollrecht gegenüber für die deutsche Sprachgemeinschaft besonders nachteiligen Entscheidungen der Kultusbehörde Gebrauch.
6. Mit der durch die Petition begehrten Korrektur entfallen sämtliche von der Kultusverwaltung bemühten rechtlichen Bindungen. Soweit allerdings durch eine isolierte Entscheidung in einem Land die Regelungen über den Neuschrieb in den übrigen Gebieten des deutschen Sprachraums unangetastet bleiben, sind die jeweiligen Parlamente aufgerufen, mit den übrigen zuständigen Parlamenten in Kontakt zu treten, um einen Konsens über die Beendigung des Rechtschreibreformprojekts herzustellen. Dieser technische Aufwand ist durch die bislang eingeleiteten Maßnahmen der Kultusverwaltung, insbesondere der rein informell handelnden Kultusministerkonferenz, angezeigt. Der Einrichtung der KMK darf es nicht erlaubt werden, sich dadurch einer wirksamen parlamentarischen Kontrolle zu entziehen, daß sie länderübergreifende Beschlüsse faßt.
II. Verweis auf die Zuständigkeit der Rechtschreibkommission und deren behauptete wissenschaftliche Qualifikation
1. Der Hinweis der Kultusverwaltung auf die Zuständigkeit der Rechtschreibreformkommission ist gleich aus mehreren Gründen unbehelflich. Selbst wenn sie trotz ihres verwaltungsrechtlich undefinierbaren Status überhaupt ein denkbarer Adressat von Petitionen sein sollte, trägt sie keine politische Verantwortung für die von ihr verursachten Fehlleistungen. Eine solche Verantwortung kommt allein den gewählten Volksvertretern zu, die mit der Petition in die Pflicht genommen werden.
2. Inhaltlich liefe die Anrufung der Kommission ohnehin ins Leere, weil diese aus mit einseitigen Interessen vorbelasteten Mitgliedern zusammengesetzt ist und schon aufgrund ihrer Vorbefassung mit dem Reformvorhaben nicht in der Lage sein dürfte, den von ihr angerichteten Schaden adäquat zu bereinigen. Daß es sich bei den Mitgliedern der heutigen Rechtschreibkommission und aller früheren Arbeitskreise nicht zwangsläufig um ausgewiesene Fachleute handelte und handelt, erschließt sich zudem jedem einigermaßen sprachbewußten Menschen, der sich auch nur kurzfristig mit deren „Produkt Rechtschreibreform“ auseinandersetzt.
Gegen die Wissenschaftlichkeit der Kommission spricht im übrigen deren eigenwillige und unkontrollierte Zusammensetzung. Ihr gehören lediglich Personen an, die nach ihrem ideologischen Vorverständnis von der Notwendigkeit einer Rechtschreibreform ausgehen. Wissenschaftler, die anderer Meinung waren, wurden nie als Mitglieder berufen oder unter fragwürdigen Umständen aus den entsprechenden Gremien herausgedrängt. Aufgrund der dort herrschenden Zustände verließen die wirklichen Experten Professor Dr. Horst Haider Munske und Professor Dr. Peter Eisenberg die jeweilige Kommission unter Protest. Bereits deshalb kann die Kommission nicht für sich in Anspruch nehmen, wissenschaftlich fundiert oder auch nur sachlich nachvollziehbar zu arbeiten.
In diesem Zusammenhang soll hier nur aus einem Schreiben von Professor Dr. Günther Drosdowski, dem langjährigen Leiter der Dudenredaktion, vom 10. November 1996 zitiert werden, in dem er über seine Erfahrungen mit dem sog. Internationalen Arbeitskreis berichtet. Dort heißt es wörtlich:
„In der Rechtschreibkommission und in den Arbeitsgruppen herrschten mafiaähnliche Zustände. Einige Reformer hatten von der Verschriftung der Sprache und der Funktion der Rechtschreibung für die Sprachgemeinschaft keine Ahnung, von der Grammatik, ohne die es bei Regelungen der Orthographie nun einmal nicht geht, sowieso nicht. Sie mißbrauchten die Reform schamlos, um sich Ansehen im Fach und in der Öffentlichkeit zu verschaffen, Eitelkeiten zu befriedigen und mit orthographischen Publikationen Geld zu verdienen. Selten habe ich erlebt, daß Menschen sich so ungeniert ausziehen und ihre fachlichen und charakterlichen Defizite zur Schau stellen. Es ist schon ein Trauerspiel, daß die Sprachgemeinschaft jetzt ausbaden muß, was sich Zabel, Schaeder, Heller und andere ausgedacht haben. Von dieser Kommission stehen uns ja sicherlich auch noch Burlesken ins Haus, ein Rüpelstück schon allein die Besetzung: Diejenigen, die ihre Spielwiese erhalten wollen, schließen diejenigen, die etwas von der Sache verstehen und Kritik üben, aus, und Kultusministerien drängen auf Quotenregelung!“
In einem weiteren Schreiben Drosdowskis an den Sprachwissenschaftler Professor Dr. Gustav Korlén (Universität Stockholm), nachzulesen in: LINGUA, Organ des schwedischen Neuphilologenverbandes, Heft 5/2003, heißt es u.a.:
„...(nie) habe ich jemals eine so miserable und ineffiziente Zusammenarbeit und solche Unerquicklichkeiten erlebt wie in der Kommission für Rechtschreibfragen des IdS (= Institut für deutsche Sprache). .... Mit derartigen, an die üblen Praktiken in der DDR erinnernden Machenschaften wurde also die mißratene Rechtschreibreform, weitgehend unter Ausschluß der Öffentlichkeit, schließlich durchgeboxt.“
Einen ausführlicheren, die Unprofessionalität offenlegenden Insiderbericht über das Zustandekommen der Rechtschreibreform hat lediglich Professor Dr. Horst Haider Munske vorgelegt. Er ist veröffentlicht in: Munske/Habermann (Hrsg.), Germanistische Linguistik in Erlangen - Eine Bilanz nach 50 Jahren, 2000, S. 129-139. Darauf muß hier verwiesen werden.
Nicht anders ist die Beurteilung der Rechtschreibkommission außerhalb der Kultusverwaltungen. So gab etwa Hans-Joachim Otto, kultur- und medienpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, am 28. Februar 2002 folgende Erklärung ab:
„Bürokraten und i d e o l o g i s i e r t e S p r a c h w i s s e n s c h a f t l e r haben sich .... gegen den ausdrücklichen Willen einer breiten Mehrheit innerhalb und außerhalb der Parlamente durchgesetzt.“
Beispielhaft für das Handeln der Kommission steht denn auch etwa die Mannheimer Anhörung vom 23. Januar 1998, die ein wissenschaftliches Desaster für die Reformbewegung darstellte und bei der die Öffentlichkeit ausgeschlossen war. Einige dennoch erschienene, besonders versierte kritische Journalisten – Dr. Kurt Reumann und Dr. Dankwart Guratzsch - wurden buchstäblich aus dem Saal geworfen, während für andere nichtgeladene, aber dem Reformvorhaben unkritisch gegenüberstehende Beobachter genügend Platz zur Verfügung stand.
Schließlich kann von einer wirtschaftlichen Unabhängigkeit der Zwischenstaatlichen Kommission keine Rede sein. Mindestens sieben Mitglieder der derzeitigen Kommission sind privat für die Wörterbuchverlage Duden, Bertelsmann oder für das Österreichische Wörterbuch tätig. Ihr Interesse an der Durchsetzung der Reform ist also ein ganz spezifisches.
Keinem Staatsbürger ist es demnach zuzumuten, als Ersatz für eine ordentliche parlamentarische Untersuchung an eine derart zusammengesetzte, unprofessionell arbeitende und durch nichts legitimierte Kommission verwiesen zu werden.
3. Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, daß der von den Kultusministern eingesetzte, ausschließlich aus deutschen Mitgliedern bestehende Beirat an der desolaten Situation der Kommission nichts ändert. Seine Zusammensetzung ist ebenfalls undurchsichtig und erkennbar von der Kommission selbst maßgeblich gesteuert. Kritiker der Rechtschreibreform sind offenbar nicht vertreten. Nur Vertreter des PEN-Zentrums haben sich gelegentlich negativ zur Reform geäußert.
Fast alle Mitglieder des Beirates haben ein konkretes wirtschaftliches Interesse an der Durchsetzung der Reform. Dies gilt etwa für die Vertreter des Bertelsmann-Lexikonverlages (Dr. Sabine Krome) oder der Wahrig-Wörterbuchredaktion (Dr. Renate Wahrig-Burfeind), aber auch für Dr. Reinhard Mayer, der offiziell die Lehrerorganisationen im DGB vertritt, aber daneben privat als Rechtschreibberater tätig ist. Auf seiner Homepage ist dazu u.a. folgendes nachzulesen:
„Biografisches: 1952 geboren. Grund- und Hauptschullehrer. Zweitstudium mit Promotion in Sprachwissenschaft bei dem ehemaligen Direktor des Instituts für deutsche Sprache in Mannheim, dem Sitz der Geschäftsstelle der zwischenstaatlichen Reformkommission. Tätigkeit als Trainer seit 1996. Neben den Kursen zur neuen Rechtschreibung berate ich beim Verfassen von Texten (Internet-Seiten, Produktbeschreibungen usw.) ....
Relevante Kontakte. Ich pflege Kontakte zum Germanistischen Seminar der Heidelberger Universität, zum Institut für deutsche Sprache, zu Wörterbuchredaktionen und stehe in Verbindung mit der Geschäftsstelle der Rechtschreibkommission in Mannheim.
Beirat der KMK. Bei der Kultusministerkonferenz wurde ein Beirat für die deutsche Rechtschreibung eingerichtet. Mit meiner Beitratsmitgliedschaft sind natürlich erstklassige informelle Kontakte verbunden. Sie können also versichert sein, einen Dozenten zu engagieren, der auf die Wünsche seiner Kunden eingeht und der sich selbst aus erster Hand informiert.“
Angesichts dieser Tätigkeitsbereiche wird sich Dr. Mayer schon fragen lassen müssen, ob er im Beirat tatsächlich allein die Interessen der Lehrerverbände im DGB oder nicht vielmehr seine eigenen wirtschaftlichen Belange im Auge hat.
4. Die Kommission und seit kurzem auch der Beirat haben bewiesen, daß sie lediglich für ein sprachwissenschaftlich unqualifiziertes Rechtschreibmodell stehen und durch ihre untransparenten, wissenschaftlich fragwürdigen Änderungsvorschläge auch in Zukunft weiteren „Reformbedarf“ schaffen und fortfahren, Verwirrung in der Sprachgemeinschaft zu stiften sowie damit unnötige Steuerausgaben zu verursachen.
Überhaupt ist es im Ansatz verfehlt, wenn die Kultusminister die Kommission beauftragen, ihr eigenes Werk zu begutachten, wie dies mit den einzelnen Kommissionsberichten geschieht. Sie kommen dabei geradezu denknotwendig zu außerordentlich positiven Bewertungen, die aber mit den tatsächlichen Umständen nur wenig zu tun haben.
Kommission und Beirat sind deswegen nicht nur unnötig, sondern für die Entwicklung der Sprachgemeinschaft sowie volkswirtschaftlich kontraproduktiv. Sie sind daher umgehend aufzulösen.
5. Der Umstand, daß sich die Kultusminister allein auf die Kommission stützen, verdeutlicht, daß sie selbst mit der von ihnen vorschnell umgesetzten Rechtschreibreform überfordert sind und daher der Korrektur durch die zuständigen Parlamente bedürfen.
III. Ausgebliebener Erfolg und fehlende Akzeptanz des Rechtschreibreformprojekts
Die Kultusverwaltung versucht in ihrer Stellungnahme, die Rechtschreibreform als Erfolg und als allgemein akzeptiert hinzustellen. Davon kann selbst nach Jahren seit ihrer Umsetzung keine Rede sein.
1. Seit Beginn der Reformdebatte haben die Bürger Deutschlands, Österreichs und der Schweiz in zahllosen Umfragen sowie im schleswig-holsteinischen Volksentscheid bis in die jüngste Vergangenheit hinein die Neuschreibung jeweils mit großen Mehrheiten abgelehnt.
2. Die von der Kultusverwaltung behauptete problemlose Einführung der Rechtschreib-reform an den Schulen und ihre Akzeptanz in der Lehrerschaft ist unzutreffend und eine Irreführung der Parlamente.
Objektive Untersuchungen sind dazu bislang nicht vorgenommen worden. Den positiven Äußerungen von Lehrern stehen mindestens ebensoviele negative anderer Lehrer gegenüber. Bei den positiven Äußerungen ist im übrigen zu beachten, daß weite Bereiche der neuen Orthographie auch von den Lehrern in aller Regel nicht beherrscht werden, weil das Reformwerk mit seinen Widersprüchen, Ausnahmeregelungen und „Unterausnahmeregelungen“ sowie grammatischen, phonetischen und semantischen Fehlern insgesamt weder lehr- noch erlernbar ist. Selbst an weiterführenden Schulen wird deshalb - wenn überhaupt - lediglich ein verschwindend geringer Teil umgesetzt. Bei dem an den Grundschulen vermittelten Wortschatz sind ohnehin nur einige marginale Vorgaben des neuen Regelwerks zu beachten.
Lehrer im deutschsprachigen Raum und ausländische Deutschlehrer sind seit Jahren stark verunsichert. Vieles von dem, was sie ihren Schülern 1996 als Neuschreibung vermittelt haben, war in den darauffolgenden Jahren durch versteckte Reformen der Reform bereits wieder falsch. Sie können nicht einmal auf zuverlässige Nachschlagewerke zurückgreifen, weil die von der Kultusministerkonferenz für den Unterricht zugelassenen Wörterbücher eine Vielzahl von Ungereimtheiten und Widersprüchen aufweisen.
Überhaupt läßt sich an Klausuren von Studenten, die in jüngster Zeit das Jurastudium aufgenommen haben, eine zunehmend verminderte Schreibkompetenz feststellen. Welche Vorteile die Neuschreibung für Schüler bringen soll, bleibt damit allein das Geheimnis der Kultusminister und der Kommission.
3. Die Kultusverwaltung verschweigt, daß sich wesentliche kulturell relevante Gruppen und Institutionen entschieden gegen das Rechtschreibreformwerk ausgesprochen haben. Dazu zählen fast alle renommierten deutschsprachigen und viele ausländische Schriftsteller, zahllose Sprach- und Literaturwissenschaftler an in- und ausländischen Universitäten (davon haben sich 567 allein an einem Aufruf im Mai 1998 beteiligt), die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung (seit April 1997) sowie 10 deutsche Akademien der Wissenschaften und Künste (seit November 1997). Im März 2004 forderte nun auch das Goethe-Institut, dem die frühere Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Frau Professor Dr. Jutta Limbach, vorsteht, eine grundlegende Reform der Reform. Mit Beschluß vom 15. Mai 2004 verlangt inzwischen ebenso das deutsche PEN-Zentrum die „Rücknahme der Rechtschreibreform.“ Außer acht läßt die Kultusverwaltung schließlich das eindeutige Votum des Deutschen Bundestags vom 26. März 1998: „Die Sprache gehört dem Volk“.
4. In der Stellungnahme der Kultusverwaltung bleibt auch unerwähnt, daß die Auswirkungen der Rechtschreibreform auf die Situation der deutschen Sprache im Ausland eindeutig negativ sind. Allein in den Ländern Westeuropas, etwa in Großbritannien, Frankreich, Spanien, Schweden und in den Niederlanden, hat die Rechtschreibreform eine regelrechte Massenflucht aus dem Deutschunterricht und -studium ausgelöst. Die für die deutsche Kultur zuständigen Minister scheinen sich mit diesen speziellen Reformfolgen überhaupt noch nicht befaßt zu haben.
5. Falsch stellt die Kultusverwaltung auch die Akzeptanz des Reformwerks in der Presse dar. Die bewährte Rechtschreibung wird keineswegs nur noch von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung verwendet. Vielmehr wird sie nach wie vor von ca. 300 weiteren Presseorganen gebraucht. Mehrere große Zeitungen, wie z.B. die Süddeutsche Zeitung, Die Zeit und die Neue Zürcher Zeitung, führen die Reform mit Hausorthographien ad absurdum. Zudem kehren Printmedien selbst in jüngster Zeit zur traditionellen Rechtschreibung zurück. Ein aktuelles Beispiel sind die Schweizer Monatshefte, eines der profiliertesten Kulturjournale der Schweiz, die diesen Schritt „mit den verheerenden Folgen der Reform in der Praxis“ begründen.
Soweit die Presse auf den Neuschrieb umgestellt hat, ist dies nicht aus Überzeugung von den „Vorzügen“ des neuen Regelwerks geschehen. Vielmehr ist dies vor allem auf die von der Deutschen Presse-Agentur (dpa) vorgenommene Umstellung zurückzuführen. Es ist hinlänglich bekannt, daß zahlreiche Verleger, Chefredakteure und Redakteure lieber heute als morgen wieder auf die bewährte Rechtschreibung zurückgreifen würden. Dies ist sogar offiziell dokumentiert. In der schriftlichen Stellungnahme des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger e.V. vom 8.4.1998 an das Bundesverfassungsgericht heißt es dazu wörtlich:
„Gleichwohl liegt uns daran zu betonen, daß den Zeitungsverlegern in ihrer Gesamtheit in keiner Weise an einer Umsetzung der Rechtschreibreform gelegen ist.“
Unabhängig davon führt die neue Rechtschreibung in der Presse - selbst nach Jahren der Umstellung - zu einer deutlichen Erhöhung der Fehlerzahl.
6. Entgegen dem Eindruck, den die Kultusverwaltung zu vermitteln sucht, erscheint die Mehrzahl von Büchern nach wie vor in tradierter Rechtschreibung. Überhaupt haben zahlreiche Schriftsteller eine Umstellung auf Neuschrieb ausdrücklich untersagt. Dazu sind sie gegenüber Verlagen aufgrund des ihnen zustehenden Urheberrechts auch ohne weiteres berechtigt (vgl. dazu nur: Wasmuth, Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht 2001, S. 858ff.).
Vor diesem Hintergrund ist es - selbst volkswirtschaftlich betrachtet - das kleinere Übel, umgehend zur herkömmlichen Orthographie zurückzukehren, als das Reformexperiment fortzuführen, weil dann in Zukunft eine weit geringere Anzahl von Druckwerken umgestellt werden müßte. Dabei ist nicht einmal berücksichtigt, daß ein weiteres Herumlaborieren von Kultusministern und Zwischenstaatlicher Kommission selbst die bisher in Neuschrieb verfaßten Werke häufig zur Makulatur werden läßt. Der auf die Schulbücher verengte Blick der Kultusverwaltung wird den gesamtwirtschaftlichen Folgen, die ein Festhalten an der Reform mit sich brächten, dagegen nicht gerecht.
IV. Sprachwissenschaftliche Defizite der Neuschreibung
Die in der ministeriellen Stellungnahme vorgetragenen Argumente zu den in der Petition angesprochenen sprachwissenschaftlichen Defiziten des Reformwerks sind aus gutem Grunde nur sehr bruchstückhaft, weil die bei weitem nicht vollständig aufgeführten Mängel der Neuschreibung ohnehin außer Frage stehen. Soweit die neue Orthographie von der Kultusverwaltung gerechtfertigt wird, ist unschwer erkennbar, daß damit lediglich Positionen der Rechtschreibkommission wiederholt werden, die in der sprachwissenschaftlichen Diskussion der vergangenen Jahre längst widerlegt und entkräftet worden sind.
Um der Vorhaltung zu begegnen, die Petition der Rechtswissenschaftler sei sprachwissenschaftlich nicht ausgewogen und verkenne das Reformwerk, haben die Unterzeichneten einen allgemein anerkannten Fachmann um eine Begutachtung ihrer Petition und der Replik durch die Kultusverwaltung gebeten. Das beiliegende Gutachten von Professor Dr. Theodor Ickler (Universität Erlangen-Nürnberg) wird zum Gegenstand der Petition gemacht. Daraus ergibt sich eindrucksvoll, daß die Ausführungen der Kultusverwaltung aus sprachwissenschaftlicher Sicht tatsächlich nicht haltbar sind.
Die auf die Ansätze der Rechtschreibreformkommission verengte Sicht der Kultusminister, die wiederholt Grundsätzen der Sprachwissenschaft zuwiderläuft, macht es unabdingbar, daß die Parlamente von ihrem Kontrollrecht gegenüber der Kultusverwaltung umgehend und effektiv Gebrauch machen und mit einer Rückkehr zur bewährten Rechtschreibung weiteren Schaden von der deutschen Sprachgemeinschaft abwenden sowie das Ansehen der deutschen Sprache im Ausland wiederherstellen.
Professor Dr. Heinz-Dieter Assmann
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Professor Dr. Christian Berger
Universität Leipzig
Professor Dr. Dieter Blumenwitz
Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Professor Dr. Winfried Brohm
Universität Konstanz
Professor Dr. Christian Calliess, M.A.E.S., LL.M. Eur
Georg-August-Universität Göttingen
Professor Dr. Dr. h.c. mult. Claus-Wilhelm Canaris
Ludwig-Maximilians-Universität München
Professor Dr. Wolfgang Däubler
Universität Bremen
Professor Dr. Steffen Detterbeck
Philipps-Universität Marburg/Lahn
Professor Dr. Ulrich Eisenhardt
Fernuniversität Hagen
Professor Dr. Hans Forkel
Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Professor Dr. Gilbert Gornig
Philipps-Universität Marburg/Lahn
Professor Dr. Dr. Christoph Grabenwarter
Universität Graz
Professor Dr. Georgios Gounalakis
Philipps-Universität Marburg/Lahn
Professor Dr. Reto Hilty
Max-Planck-Institut für ausl. u. intern.
Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht München
Universität Zürich
Professor Dr. Martin Ibler
Universität Konstanz
Professor Dr. Dr. h.c. Othmar Jauernig
Universität Heidelberg
Professor Dr. Abbo Junker
Georg-Albrechts-Universität Göttingen
Professor Dr. Dr. h.c. Gerhard Kegel
Universität zu Köln
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Universität Leipzig
Professorin Dr. Eva-Maria Kieninger
Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Professor Dr. Winfried Kluth
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Professor Dr. Rolf Knütel
Rheinische Friedrich-Wilhelm-Universität Bonn
Professor Dr. Helmuth Köhler
Ludwig-Maximilians-Universität München
Professor Dr. Stephan Korioth
Ludwig-Maximilians-Universität München
Professor Dr. Jan Kropholler
Max-Planck-Institut
Universität Hamburg
Professor Dr. Kurt Kuchinke
Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Professor Dr. Stefan Lorenz
Ludwig-Maximilians-Universität München
Professor Dr. Heinz-Peter Mansel
Universität zu Köln
Professor Dr. Hartmut Maurer
Universität Konstanz
Professor Dr. Stefan Muckel
Universität zu Köln
Professor Dr. Joachim Münch
Georg-Albrechts-Universität Göttingen
Professor Dr. Dres. h.c. Thomas Oppermann
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
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Universität Zürich
Professor Dr. Oliver Remien
Julius-Maximilians-Universität Würzburg
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Ludwig-Maximilians-Universität München
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Universität Konstanz
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Universität Augsburg
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Julius-Maximilians-Universität Würzburg
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Georg-Albrechts-Universität Göttingen
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Professor Dr. Rolf Stürner
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Professor Dr. Arndt Teichmann
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Albert-Ludwigs-Universität Freiburg/Brsg.
Professor Dr. Heinrich de Wall
Universität Erlangen-Nürnberg
Rechtsanwalt Dr. Johannes Wasmuth
Lektoratsleiter in München
Professor Dr. Herbert Wiedemann
Universität zu Köln
Professor Dr. Dietmar Willoweit
Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Professor Dr. Manfred Wolf
Johann-Wolfgang-Goethe Universität Frankfurt/Main
Professor Dr. Thomas Würtenberger
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg/Brsg.
Professor Dr. Jan Ziekow
Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer
Abschließend noch folgender Hinweis: Es wäre ein leichtes gewesen, die Zahl der Petenten beträchtlich zu erhöhen, da nach allen Erfahrungen davon auszugehen ist, daß die große Mehrzahl der Rechtslehrer an den Universitäten Deutschlands, Österreichs und der Schweiz die Rückkehr zur tradierten Rechtschreibung befürwortet.
____________________________________________
Anmerkung:
Es haben 55 Professoren und Lektoratsleiter Dr. jur. Johannes Wasmuth unterzeichnet.
Zuletzt bearbeitet von Manfred Riebe am Mittwoch, 02. Jun. 2004 08:55, insgesamt 1mal bearbeitet |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Dienstag, 01. Jun. 2004 20:58 Titel: Sprachwissenschaftliches Gutachten |
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Universität Erlangen-Nürnberg
Institut für Germanistik
Prof. Dr. Theodor Ickler
Bismarckstr.1
D-91054 Erlangen,
Tel. 09131/85-23938
E-Mail: theo.ickler@t-online.de
5. Mai 2004
Sprachwissenschaftliches Gutachten
zur „Petition zur Beendigung des Rechtschreibreformprojekts“ sowie zur Replik des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Mecklenburg-Vorpommern
Umfang der Neuregelung
Zugunsten der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung ist von der KMK und anderen interessierten Stellen behauptet worden, die Zahl der Regeln sei von 212 auf 112 vermindert worden, allein die der Kommaregeln von 52 (oder einer ähnlichen Zahl) auf 9. Diese Zahlen haben in der Öffentlichkeit Eindruck gemacht und werden oft zitiert. Sie sind falsch. Wie auch die Dudenredaktion (z. B. durch ihren Leiter Dr. Wermke am 12. 5. 1998 vor dem Bundesverfassungsgericht) klargestellt hat, gab es im Duden von 1991 zwar 212 numerierte Richtlinien, dies waren aber keine Regeln, sondern „Adressen“, unter denen man die eigentlichen Regeln finden konnte. Das ist bei der neuen Paragraphenzählung der Reformorthographie nicht anders. Die genaue Zahl der eigentlichen Regeln läßt sich nicht bestimmen. Für die Neuregelung ist Prof. Veith (Mainz) bei sorgfältiger Zählung auf weit über 1000 gekommen, was der Größenordnung nach richtig sein dürfte. Die angebliche „Reduzierung“ der Regeln ist am Beispiel der Groß- und Kleinschreibung nachgeprüft worden. Dabei ergab sich, daß die Zahl der wirklich identifizierbaren Regeln sich zwischen Duden und Neuregelung von 82 auf 96 erhöht hat (vgl. Theodor Ickler: „Regelungsgewalt“, 2. Aufl. St. Goar 2002, S. 53 ff.). Insgesamt umfaßt die Neuregelung (ohne Wörterverzeichnis) über 90 Seiten DIN-A4, und es gibt Paragraphen von nicht weniger als vier Seiten Umfang. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel dafür, wie man die Zahl der Paragraphen, nicht aber die Zahl der Regeln vermindert, ist § 96: „Man setzt den Apostroph in drei Gruppen von Fällen.“ – eine Regel ohne jeden Gehalt, der vielmehr erst in den Unterabschnitten geboten wird.
Hinzu kommt (aber das ist angesichts der grundsätzlichen Irreführung durch die geänderte Numerierung kaum noch relevant), daß von den 212 Richtlinien des Duden sich ein größerer Teil entweder gar nicht auf die Rechtschreibung bezog oder aus bloßen Zusammenfassungen bestand, so daß die Zahl der orthographiebezogenen Richtlinien nur 171 betrug. Interessanterweise versuchte die Dudenredaktion in der ersten umgestellten Ausgabe des Rechtschreibwörterbuchs den Eindruck zu erwecken, die Regeln seien tatsächlich reduziert worden. In einem internen Papier für die Mitarbeiter der Dudenredaktion heißt es dazu:
„Neuregelung: Das amtliche Regelwerk ist in 112 Hauptregeln gegliedert.
Umsetzung: Die Dudenrichtlinien werden auch künftig Hinweise enthalten, die über den rein orthographischen Bereich hinausgehen. Durch Neustrukturierung und vor allem durch Zusammenfassung einzelner Regeln und Regelbereiche wird die Zahl der Richtlinien von 212 auf 136 gesenkt.
Begründung: Die inhaltlich falsche, aber politisch wirksame Formel ,aus 212 mach 112‘ muß auch im Duden ihren angemessenen Ausdruck finden.“
Erst mit der zweiten Auflage im Jahre 2000 wird diese Täuschung aufgegeben; es sind nunmehr wieder 169 „Kennziffern“ verzeichnet.
Falsch ist auch die Behauptung, 52 Kommaregeln seien auf 9 reduziert worden. In Wirklichkeit haben die neuen Kommaregeln den gleichen Umfang wie die alten (rund 10 DIN-A4-Seiten), nur die Numerierung hat sich geändert.
Im Duden des Jahres 2000 verteilen sich auch die vermeintlichen „9 Kommaregeln“ auf nicht weniger als 32 Kennziffern. Die Reformerin Renate Baudusch kommt in ihrer didaktischen Aufbereitung der Zeichensetzung allein für diesen Bereich auf 227 Regeln (Renate Baudusch: Zeichensetzung klipp & klar. Gütersloh, München 2000), Dieter Berger gar auf 338.
Das Werk ist so unübersichtlich, daß sogar seine Urheber es kaum noch überschauen. So mußte Mitverfasser Klaus Heller erst darauf hingewiesen werden, daß nochmal laut § 55 nur noch zusammengeschrieben werden darf, und Mitverfasser Hermann Zabel behauptete in einem Leserbrief, die Trennung vol-lenden sei nicht vorgesehen; sie steht aber ausdrücklich im Regelwerk unter § 112.
Defizite
Die Neuregelung enthält in der Tat „frei erfundene Regeln, die der deutschen Sprache nicht gerecht werden“. Bekannte Beispiele sind das Verbot der Zusammensetzung mit Adjektiven, die zufällig auf -ig, -isch oder -lich enden (neu: grünlich blau, fertig stellen), oder mit -einander- (auseinander setzen), oder die Auseinanderreißung von sogenannt (neu: so genannt). Hierfür gibt es in Schreibgebrauch und Sprachentwicklung keinerlei Grund. Die Reformer haben wiederholt bekundet, ihre Neuregelung solle „der Tendenz der Sprachgemeinschaft zur Zusammenschreibung entgegenwirken“. Damit ist die Sprachwidrigkeit und Rückwärtsgewandtheit zum Programm erhoben.
Die Petenten haben noch nicht einmal die schlimmsten Inkonsistenzen der Neuregelung aufgegriffen. Drei Beispiele mögen genügen:
Das Wort weitgehend müßte laut § 36 nunmehr getrennt geschrieben werden, weil der erste Teil gesteigert werden kann: weiter gehend. Just dieser Komparativ steht jedoch in der geschlossenen Liste zusammenzuschreibender Zusätze unter § 34 (1), also: weitergehend. Zusammengenommen ergeben die beiden Regeln: weit wird getrennt geschrieben, weil es gesteigert werden kann; wird es jedoch gesteigert, tritt obligatorisch Zusammenschreibung ein!
Noch komplizierter verhält es sich mit richtiggehend. Dies müßte zusammengeschrieben werden, weil (in der üblichen Bedeutung) keine Steigerung des ersten Teils möglich ist. Dem steht aber die schon erwähnte neue Regel entgegen, wonach Adjektive auf -ig[i] überhaupt nicht zusammengeschrieben werden. Daraus folgt Getrenntschreibung: [i]richtig gehend. Nun bestimmt allerdings das amtliche Wörterverzeichnis, daß es zu dieser Regel eine einzige Ausnahme gibt, eben richtiggehend. (Bezieht es sich jedoch zum Beispiel auch eine korrekt gehende Uhr, so wird es getrennt geschrieben ...)
Bei den neu verordneten Getrennt- und Zusammenschreibungen adverbialer Ausdrücke läßt sich schlechterdings nicht vorhersagen, was nun richtig sein soll: zu Grunde, zu Gunsten, zugute, zulasten, zu Leide, zuliebe, zu Mute, zurate, zu Schulden, hier zu Lande, heutzutage usw. Es ist nicht einzusehen, warum unterderhand obligatorisch aufgelöst wird (unter der Hand), während vorderhand und kurzerhand unverändert bleiben. Diese willkürlichen Eingriffe hinterlassen den Eindruck, daß man jederzeit mit irgendwelchen Änderungen durch die Reform rechnen muß, aber nie sicher sein kann, welche es sein mögen und ob es überhaupt welche gibt.
Die Getrenntschreibung von kennen lernen war von den Reformern mit der Behauptung begründet worden, dieser Komplex sei strukturell nicht von tanzen lernen usw. verschieden. Das ist unhaltbar. Beispielsweise bedeutet schwimmen lernen 'lernen, wie man schwimmt', aber kennenlernen bedeutet nicht 'lernen, wie man kennt', sondern den Beginn des Kennens. Solche Unterschiede spiegeln sich intuitiv in der unterschiedlichen Schreibweise. Man kann darauf verzichten, aber ein Verlust ist es allemal, und „ohne Belang“ ist die Änderung ganz sicher nicht.
pleite gehen ist keineswegs von in die Pleite gehen abgeleitet (das es als Wendung nie gegeben hat); vielmehr handelt es sich um das Adjektiv pleite, und die Konstruktion ist genau die gleiche wie bei kaputt, verschütt, verloren, entzwei + gehen. Mit Substantiven kann gehen nicht verbunden werden. Dasselbe gilt für bankrott gehen (neu Bankrott gehen) . Bei Pleite machen ist die Großschreibung selbstverständlich richtig, da es sich um eine andere Konstruktion handelt.
Bei recht haben[i/] liegt nachweisbar eine Desubstantivierung vor, vgl. [i]wie recht du hast. Hier verbietet sich offenbar die Großschreibung.
Besonders kraß ist der Fall Leid tu. Bei leid handelt es sich um ein altes Adjektiv, das mundartlich noch attributiv und prädikativ, im Standarddeutschen nur noch adverbial verwendet wird; auch der Komparativ leider ist ja noch vertraut. Substantiv ist es auf keinen Fall. leid tun ist genau wie weh tun, gut tun, wohl tun usw. konstruiert (die Getrennt- und Zusammenschreibung ist hier zu vernachlässigen). Schreibweisen wie so Leid es mir tut usw. verbieten sich offensichtlich von selbst. Schon für Konrad Duden war der Fall klar:
„Bei Ausdrücken wie leid tun, not tun, weh tun, schuld sein, gram sein; mir ist angst, wol, wehe, not ist von selbst klar, daß das zum einfachen Verbum hinzugetretene Element nicht als Substantivum fungiert; (man erkennt) die nicht substantivische Natur jenes Zusatzes am besten durch Hinzufügung einer nähern Bestimmung. Man sagt er (...) hat ganz recht, hat vollständig unrecht u. dgl. Die Anwendung von Adverbien, nicht von Adjektiven, zeigt, daß man einen verbalen Ausdruck, nicht ein Verb mit einem substantivischen Objekt vor sich hat.“ (Die Zukunftsorthographie, Leipzig 1876, S. 70)
Ein Akt der Willkür ist es weiterhin, wenn im vierten Bericht vorgeschlagen wird, die Kleinschreibung wieder zuzulassen, aber nur in Verbindung mit Zusammenschreibung: leidtun. Warum bleibt allein die bisher übliche Schreibweise leid tun verboten und wird durch gleich zwei Schreibweisen ersetzt, von denen eine noch dazu grammatisch falsch ist?
Daß bei Schifffahrt ist Not etwas nicht stimmt, dürfte schon ein intelligenter Gymnasiast bemerken. Im Deutschen Wörterbuch (Grimm) könnte die Kommission nachlesen, wie es vor 500 Jahren zu einem Adjektiv not = 'nötig' gekommen ist. Im dritten Bericht war bereits erwogen worden, auch nottun zur Wahl zu stellen, aber: „Die frühere Schreibung not tun (getrennt und klein) sollte nicht wiederbelebt werden.“ Das ist dieselbe Willkür wie bei leidtun.
Die wiederbelebten, sogar obligatorischen Großschreibungen im Allgemeinen, des Öfteren usw. sind zwar grammatisch möglich, führen aber tief ins 19. Jahrhundert zurück. Damals haben die Orthographen diese allmählich aufgekommenen (auf der grundschultypischen Artikelprobe beruhenden) Großschreibungen als übertrieben gebrandmarkt und allmählich wieder zurückgedrängt. Im vierten Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission wird bereits erwogen, die altertümliche Großschreibung auch auf bei Weitem und vierzehn weitere artikellose adverbiale Wendungen auszudehnen. (Zur Frühgeschichte der Einführung und Wiederabschaffung dieser Übertreibungen vgl. Karin Rädle: Groß- und Kleinschreibung des Deutschen im 19. Jahrhundert. Heidelberg 2003.)
Zur Neuschreibung heute Abend: Wie die Reformer selbst vor Jahren gezeigt haben, kann an der syntaktischen Position nach der Datumsbezeichnung kein Substantiv stehen. Es ist dabei ohne Belang, für welche Wortart man sich entscheidet: im Zweifelsfall ist nach den Grundsätzen der Neuregelung ohnehin klein zu schreiben: heute abend. Um das Sprachrichtige zu verdrängen, mußten die Reformer auch hier das Falsche obligatorisch vorschreiben und sehen auch für die Revision nicht einmal eine Variante vor. Übrigens wäre analog Dienstag Abend zu erwarten, aber hier soll nur Zusammenschreibung zulässig sein: Dienstagabend – eine weitere Inkonsequenz.
Silbentrennung
Die neue Silbentrennung ist grundsätzlich bildungsfeindlich, da sie unnötigerweise bei unzähligen durchaus noch durchschaubaren Wörtern die morphologische Trennung durch eine bewußt ignorante silbische zu ersetzen erlaubt (hi-nauf, vol-lenden, Atmos-phäre). Gerade dadurch wird aber ein Zwei-Klassen-System geschaffen, wie es ja eigentlich verhindert werden sollte: der Gebildete trennt weiterhin Re-spekt und bedient sich der so getrennten Bestandteile re- und -spekt in vielen anderen Kombinationen. Wer es nicht besser weiß, stellt sich durch Trennungen wie Res-pekt bloß, und da dies den neuen Regeln und den Intentionen der Reformer vollkommen entspricht, hat auch der Lehrer kein Argument mehr in der Hand, um die Schüler davon abzubringen.
Die Einlassung des Ministeriums, „Teenager werde (bei korrekter Aussprache) nach Sprechsilben und nach Wortbestandteilen eindeutig Teen-ager getrennt“, ist falsch. Die Trennung nach Wortbestandteilen (morphologische Trennung) ist gerade nicht mehr verbindlich, und die korrekte Syllabierung des englischen Wortes ergibt Tee-nager, das daher so auch im neuen Duden steht. Die Abtrennbarkeit einzelner Buchstaben ist ebenso überflüssig, denn es gibt gar keinen „richtigen und sinnvollen Umgang“ mit einer solchen Regel, außer sie zu ignorieren. Ihre Anwendung ergibt ausnahmslos sinnstörende Bruchstücke vom Typ Seeu-fer, Bi-omüll, Sitze-cke, a-brupt usw. Genau dies war der Grund, weshalb sie bisher nicht vorgesehen war.
Kommaregeln
Gegen die neuen Kommaregeln ist das meiste schon von führenden Reformern selbst gesagt worden, nämlich von Peter Gallmann und Horst Sitta in ihrem „Handbuch Rechtschreiben“ (Zürich 1996). Die Autoren plädieren dafür, im wesentlichen die frühere Kommasetzung vor Infinitivgefügen beizubehalten. So halten es auch alle anspruchsvollen umgestellten Texte. Daß beim Fehlen eines solchen Kommas kein Fehler angerechnet werden soll, kann, wenn es denn aus pädagogischer Sicht wünschenwert sein sollte, durch Anweisung an die Lehrer erreicht werden. Die frühere Kommaregelung war vielleicht im Duden nicht optimal formuliert, aber in ihrem Gehalt ein wertvolles Instrument der stets sinnvollen Satzgestaltung. Auch stimmt die Wiedereinführung des „rhetorischen“ Kommas anstelle des „grammatischen“ ganz und gar nicht mit der sonstigen Verabsolutierung grammatischer Kriterien für die Wortschreibung zusammen.
Die beiden neuen, aber kaum beachteten [ibobligatorischen[/b] Kommas haben zu außerordentlich vielen Fehlern geführt: das Komma vor (auch nichterweitertem) Infinitiv nach hinweisendem es und das Komma als drittes Satzzeichen nach Anführungszeichen und Frage- bzw. Ausrufezeichen.
Drei gleiche Buchstaben
Daß drei gleiche Buchstaben schwerer lesbar sind, bedarf keines Beweises. Die bayerische Schulorthographie hatte schon vor über 100 Jahren stets zu zwei Buchstaben vereinfacht (also ohne die bekannte Ausnahme – Sauerstoffflasche – des alten Duden). Natürlich wußte man damals so gut wie heute, daß in Schiffahrt „eigentlich“ drei f stecken. Jacob Grimm rechnete die drei Buchstaben zur Bezeichnung eines einzigen Lautes zum „Pedantischen“ in der deutschen Sprache. Die „neue“ Regel ist rückschrittlich, aber insgesamt eine Marginalie. Ins Auge fallen ihre Wirkungen erst in Verbindung mit der Heyseschen s-Schreibung, wodurch sich Fälle wie Schlussstrich ungewöhnlich vermehrt haben.
[Volks-]Etymologie
Es handelt sich ausschließlich um ein Steckenpferd des Reformers Gerhard Augst. (Einige dieser sonderbaren Einfälle sollen erst nach den letzten Wiener Gesprächen, ohne Beratung und Billigung durch den Internationalen Arbeitskreis, in den Text eingefügt worden sein. Der Arbeitskreis trat bekanntlich nach 1994 nie mehr zusammen und hat auch auf das von Klaus Heller und Jürgen Scharnhorst erstellte Wörterverzeichnis keinen Einfluß mehr gehabt.)
Die neue Schreibweise – fast stets obligatorisch – hat großenteils keine Grundlage im Schreibbrauch. Außerdem ist sie widersprüchlich. Während bei schnäuzen, belämmert ein künstlicher Zusammenhang mit Schnauze, Lamm und bei behände ein zwar richtiger, aber historisch verschütteter Zusammenhang mit Hand hergestellt wird, soll bei rauh der etymologisch wohlbegründete Zusammenhang (vgl. Rauchwaren = Pelzwaren) unzulässig sein – zugunsten einer vagen Analogie zu blau, genau, übrigens lauter Wörter, die anders als rau, aber in Übereinstimmung mit anderen Vollwörtern eine Ober- bzw. Unterlänge besitzen. (Auf diese interessanten Zusammenhänge hat zuerst Friedrich Roemheld hingewiesen, dem wir Einsichten in das „Blickfang-h“ verdanken.) Das ist so willkürlich wie unnötig. Es ist leicht nachzuweisen, daß die Sprachgemeinschaft seit Jahrhunderten keinen Zusammenhang zwischen behende und Hand mehr herstellt (vgl. mit behenden Schritten usw.). Trotzdem soll diese Schreibung obligatorisch gelten. Von ähnlicher Willkür sind die übrigen Änderungen dieser Art. Es gibt Hunderte von Wörtern, die ebenfalls einer etymologischen und zwar durchaus korrekten Umlautschreibung unterworfen werden könnten, bei denen die Reform aber nichts dergleichen ändern will: Spengler (von Spange), kentern (von Kante), Heu (von hauen) usw. Geradezu unerträglich ist es, daß objektiv falsche Etymologisierungen wie Quäntchen, Zierrat, belämmert und einbläuen nun obligatorisch gelten und an Schüler vermittelt werden sollen
Zusatz zum Partizip
Aus dem vierten Bericht geht nicht klar hervor, wie weit die Korrekturen an dem völlig mißglückten Paragraphen 36 der amtlichen Regelung reichen sollen. Erfaßt und geändert werden auf jeden Fall Hunderte von neuen Schreibweisen (Energie sparend, Eisen verarbeitend [?], zufrieden stellend ... ). Die Wörterbücher haben unterderhand, aber nach Absprache mit der Zwischenstaatlichen Kommission, bereits blutsaugend und manches andere wiederhergestellt. Man braucht nur den Duden 2000 s. v. Blut (saugend usw.) mit der authentischen Regelauslegung durch Zabel (Widerworte 1997, S. 101) zu vergleichen, um das Ausmaß der stillschweigend voranschreitenden Auflösung der Neuregelung zu erkennen; vgl. die Listen in „Regelungsgewalt“, 2. Aufl. St. Goar 2002, S. 59ff. und S. 283f.
Wie brisant dieses Kapitel der Neuregelung ist, läßt sich an zahllosen Beispielen zeigen. Viel zitiert wird ein Satz von Erich Kästner, dem die erzwungene Getrenntschreibung den Garaus machen würde:
Die Wirtschafterin kämpfte in der Küche wie ein Löwe. Doch sie brachte die heißersehnten und heiß ersehnten Bratkartoffeln trotzdem nicht zustande.
Hier erzwingt die Neuregelung in beiden Fällen Getrenntschreibung, zerstört also die Pointe.
Zusammenfassende Bemerkungen
Die Rechtschreibreform kümmert sich um die Schreibweise entlegenster Wörter (Ständelwurz), beseitigt jedoch mit ihren dichten neuen Regeln nicht einmal die so oft beschworenen Fehlerquellen der Groß- und Kleinschreibung, der (grammatischen) Unterscheidung von das und daß/dass oder der notorisch schwierigen Einzelfälle brillant, verwandt usw. Erst nach und nach werden die Folgen einer konsequenten Anwendung erkennbar, zum Beispiel – um beim Anliegen der Juristen zu bleiben –, daß die rechtsprechende Gewalt jetzt zur Recht sprechenden wird, während die gesetzgebende unverändert bleibt. Von einer systematischen, sprachgerechten Bearbeitung des komplizierten Gegenstandes kann keine Rede sein.
Während die Einführung der „gemäßigten Kleinschreibung“, immer noch das eigentliche Hauptziel der Reformer, eine zwar unerwünschte, aber in sich stimmige Maßnahme gewesen wäre, ist mit der Neuregelung und den jüngsten Korrekturvorschlägen eine willkürliche und rückwärtsgewandte Ausweitung der Großschreibung verordnet worden, die zum Teil sogar gegen die Grammatik verstößt. Die wirklich beobachtbare Großschreibung von Nominationsstereotypen („festen Begriffen“) wird dagegen vernachlässigt. Ähnliches gilt für die Getrennt- und Zusammenschreibung. Beide Bereiche sind irreparabel mißlungen, weil sich die Urheber sowohl über die sprachgeschichtliche Entwicklung als auch – nach dem Scheitern früherer Reformpläne – über ihre eigenen Überzeugungen hinweggesetzt haben.
Bei Silbentrennung und Zeichensetzung sind angeblich im Interesse von Schreibanfängern und „Wenigschreibern“ neue Regeln eingeführt worden, die sich nicht ohne Verlust an Deutlichkeit und Lesbarkeit anwenden lassen.
(Eine umfangreiche Dokumentation der Folgeschäden sowie der nach dem vierten Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission entstandenen Lage findet man in Th. Ickler: „Rechtschreibreform in der Sackgasse – Neue Dokumente und Kommentare“. Leibniz Verlag St. Goar 2004.) |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Mittwoch, 16. Jun. 2004 17:00 Titel: Interview mit dem Initiator der Petition der Rechtsprofessor |
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Interview mit dem Initiator der Petition der Rechtsprofessoren
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„Erfunden, unklar, widersprüchlich“
50 Rechtsgelehrte fordern in einer Petition die Rücknahme der Rechtschreibreform
Foto:
Flussschiff
Flussschiffer
Flussschifffahrt
Flussschotter
Das Dreifach-S: Eine der merkwürdigen Reform-Neuerungen. Bild: dpa
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Die Opposition gegen die Rechtschreibreform wird fünf Jahre nach deren Einführung eher lauter statt leiser. „Rechtswissenschaftler für die bewährte Rechtschreibung“ ist der Titel einer Petition, die von 50 Jura-Professoren unterzeichnet wurde, und vom Deutschen Bundestag, den Landtagen, dem Nationalrat Österreichs und der Schweiz eine Rückkehr zur alten Rechtschreibung fordert. Initiator ist der Münchner Rechtsanwalt Johannes Wasmuth, Lektoratsbereichsleiter beim auf juristische Literatur spezialisierten Beck-Verlag.
<i>Herr Wasmuth, laut einer Allensbach-Umfrage ist die Ablehnung der Rechtschreibreform von 70 Prozent 1997 auf jetzt 49 Prozent gesunken. Signalisiert das Ergebnis Zustimmung oder einfach nur Resignation? </i>
Natürlich deutliche Resignation. Der wirklich aussagekräftige Teil der Umfrage weist aus, dass 13 Prozent der Deutschen für die Reform sind. Das ist gegenüber 1997 ein Anstieg von drei Prozent. Von breiter Zustimmung kann also gar keine Rede sein.
<i>Was motiviert Sie als Anwalt zusammen mit den Gelehrten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zur Forderung nach einem Stopp der Reform? </i>
Zunächst ist Sprache und ihre Verschriftung ein wesentliches Handwerkszeug für den Juristen. Der Neuschrieb wirkt sich zwar kaum bei einfachen Texten aus, greift aber elementar in den schriftlichen Ausdruck komplexer Sinnzusammenhänge und komplizierter Begriffe ein, die für juristische Texte typisch sind. Daneben vereinfacht die Reform nicht, sondern verkompliziert die Schrift mit über 1000 Anwendungsbestimmungen. Sie folgt frei erfundenen, unklar formulierten und teils widersprüchlichen Regeln. Sie verstößt gegen elementare Grundsätze der Grammatik, Semantik und Phonetik. Sie führt zur Beseitigung zahlreicher Begriffe und unterschiedlicher Sinngehalte, ist deutlich leseunfreundlich und bedient sich absurder Pseudo-Etymologien. Kurzum: Sie ist ein der tradierten Rechtschreibung klar unterlegenes Regelwerk.
<i>Haben sich mit der Reform einige wenige über den Willen der großen Mehrheit hinweggesetzt? </i>
Ja. In der Demokratie ist es ein Unding, dass Millionen Bürger gegen ihren bis heute mit deutlicher Mehrheit bekundeten Willen auf die eigenwilligen Vorstellungen einer undurchsichtig zusammengesetzten und offenbar auch eigenen wirtschaftlichen Interessen folgenden Rechtschreibkommission verpflichtet werden, in der eigentliche Kenner des Fachs kein Gehör gefunden haben. Es ist unverantwortlich, dass sich die Kultusminister nach Manier von Duodezfürsten einigen ideologisierten Reformern verschrieben haben, ohne den Schaden für die deutsche Sprachgemeinschaft und die wirtschaftlichen Folgen ihres Handelns ernsthaft zu bedenken.
<i>Der Stuttgarter Schulbuch-Verleger Michael Klett beklagt das „Chaos“ nach der Reform und fordert, Schulbücher künftig wieder nach alten Regeln zu drucken. Ist das realistisch? </i>
Michael Klett hat überzeugend dargelegt, dass eine Rückkehr zur alten Rechtschreibung auch für die Schulbuchverlage wirtschaftlich verkraftbar ist. Überhaupt ist die Rückkehr weniger aufwendig als die damalige Umstellung auf den Neuschrieb, wenn die Verlage auf alte Satzdaten zurückgreifen. Gesamtwirtschaftlich betrachtet sind die Schulbücher ohnehin nur eine geringe Größe. Sollte die Neuschreibung beibehalten werden, wäre die weitaus größte Zahl der lieferbaren Bücher umzustellen. Dieses unproduktive Unterfangen belastet die Volkswirtschaft in ganz anderen Dimensionen. Entsprechendes gilt etwa für Gesetzestexte, die weiterhin ganz überwiegend in tradierter Rechtschreibung gefasst sind.
<i>Die von morgen an in Mainz tagende Kultusminister-Konferenz (KMK) befasst sich mit dem Vierten Bericht der Zwischenstaatlichen Rechtschreib-Kommission. Die schlägt leichte Modifikationen unverständlicher neuer Regeln vor. Genügt Ihnen das? </i>
Es ist bereits im Ansatz verfehlt, wenn die KMK die Kommission beauftragt, ihr eigenes Werk zu begutachten. Diese kommt dabei denknotwendig zu außerordentlich positiven Bewertungen, die mit den tatsächlichen Umständen wenig zu tun haben. Auch der Vierte Bericht der Kommission stellt daher keine objektive Auseinandersetzung mit dem Produkt Rechtschreibreform dar, sondern betreibt nur Schönfärberei. Die vorgeschlagenen „Anpassungen“ beziehen sich auf rund 4000 Wörter, sind wiederum das Ergebnis von Formelkompromissen und machen die bislang erschienenen Wörterbücher erneut unbrauchbar. Tatsache ist: Der Neuschrieb ist wegen seiner mit der Sprache nicht vereinbaren Systematik insgesamt unbrauchbar. Und weil die KMK offenbar nicht in der Lage ist, ihre Fehlentscheidungen zu korrigieren, haben die Rechtswissenschaftler die zuständigen Parlamente aufgefordert, die Kultusverwaltung zur Verantwortung zu ziehen.
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DIE FRAGEN STELLTE
ALEXANDER MICHEL
SÜDKURIER vom 3. Juni 2004, S. 4 - NACHGEFRAGT
www.suedkurier.de/nachrichten/nachgefragt/4667,1024468.html
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Zum Thema:
Wasmuth, Johannes: Verbot der Werkänderung und Rechtschreibreform. In: Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht (ZUM) Nr. 11/2001, S. 858-865.
Siehe auch die Leserbriefe an den SÜDKURIER - www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?p=1219#1219
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Anmerkung:
In den VRS-Links wurde „viewtopic“ durch „themaschau“ ersetzt, damit sie wieder funktionieren.
Zuletzt bearbeitet von Manfred Riebe am Samstag, 30. Jul. 2005 11:01, insgesamt 2mal bearbeitet |
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Manfred Riebe
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: Mittwoch, 30. Jun. 2004 11:32 Titel: Appell eines Juristen an die Verantwortungsträger |
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Appell eines Juristen an die Verantwortungsträger
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Briefe an die Herausgeber
Falsches neues Deutsch
Die Rückkehr des Ordens Pour le mérite für Wissenschaft und Künste zur bewährten Rechtschreibung sollte auch für andere von Vorbild sein (F.A.Z.-Feuilleton vom 9. Juni) - [ www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?t=386 -]. Auch wenn die neue Schreibung – der Ausdruck Rechtschreibung ist insofern eigentlich schon terminologisch verfehlt – durch Beschlüsse sowie Erlasse den Schulen und weiten Teilen der Verwaltung oktroyiert wurde, bleibt es doch dem Privatmann unbenommen, sich weiterhin der alten Regeln zu bedienen.
Ebenso sollte sich aber auch kein Vorstand und kein Geschäftsführer der privaten Wirtschaft gehindert sehen, von seinem Weisungs- und Direktionsrecht Gebrauch zu machen, indem er in seinem Unternehmen die alte Orthographie für verbindlich erklärt. Man stelle sich nur den enorm positiven Effekt vor, wenn namhafte deutsche, österreichische und schweizerische Unternehmen derart voranschritten. Doch auch im Bereich des öffentlichen Rechts ist die alte Orthographie bei weitem noch nicht verloren. Zu denken wäre zum Beispiel an die als öffentlich-rechtliche Körperschaften verfaßten Kirchen: Wer sollte es diesen in ihrer Verwaltung autonomen Institutionen verwehren, wieder nach alten Regeln zu schreiben? Als Jurist möchte ich aber auch an die Richterschaft und die Kollegen der Wissenschaft appellieren: Wer könnte den durch richterliche Unabhängigkeit beziehungsweise Forschungsfreiheit grundgesetzlich bewehrten und weisungsungebundenen Schreibern abverlangen, ihre Urteile, Beschlüsse, Gutachten und so weiter in dem falschen Deutsch der neuen Regeln abzufassen?
Dies sollen nur Beispiele sein, das Fazit aber lautet, daß jeder prüfen sollte, wo er selber seinen Einfluß für die alte Rechtschreibung möglichst stark zur Geltung bringen kann, um deutliche Zeichen zu setzen, auf daß wir alle in der F.A.Z. bald viele kleine und große Meldungen über die Rückkehr zur alten Rechtschreibung lesen mögen.
Alexander Glomb, Köln
Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 148 vom 29. Juni 2004, S. 7
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Anmerkungen:
Die Ausdrücke „alte Regeln“, „alte Orthographie“ und „alte Rechtschreibung“ sind terminologisch verfehlt. Viele umgestellte Zeitungen suggerieren mit dieser Wortwahl eine Veraltung und desinformieren somit laufend die Bürger. Richtig ist dagegen, daß es sich um die herkömmliche oder traditionelle Orthographie handelt, die modern ist, über das Jahr 2005 hinaus gilt und von 90 Prozent der Bevölkerung verwendet wird. Veraltet ist dagegen die neue Beliebigkeitsschreibung, die ein Rückschritt ins 18./19. Jahrhundert ist. Vgl.
- Keine Allgemeinverbindlichkeit der Rechtschreibreform - www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?t=251
- Kein Rechtschreibgesetz - www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?t=252
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Anmerkung:
In den VRS-Links wurde „viewtopic“ durch „themaschau“ ersetzt, damit sie wieder funktionieren.
Zuletzt bearbeitet von Manfred Riebe am Samstag, 30. Jul. 2005 11:07, insgesamt 1mal bearbeitet |
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Manfred Riebe
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: Mittwoch, 30. Jun. 2004 18:33 Titel: Juristen laufen Sturm gegen neue Rechtschreibung |
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Juristen laufen Sturm gegen neue Rechtschreibung
von Joachim Peter und Dankwart Guratzsch
<b>Berlin</b> - Im Streit um die neue Rechtschreibung haben führende deutsche Rechtswissenschaftler die Rücknahme der Reform gefordert. Außerdem verlangen sie von den Ministerpräsidenten der Länder, die Kultusminister von der Verantwortung für die Rechtschreibung zu entbinden. Der Berliner Verfassungsrechtler Rupert Scholz plädiert überdies dafür, dass sich Bundesregierung und Bundestag mit der Sache befassen. „Bundesregierung und Bundestag müssen sich dieser Frage annehmen, weil sie die Zuständigkeit dafür haben“, sagte Scholz der WELT. Schließlich sei „Rechtschreibung Sprache und damit nationales Kulturgut und eben nicht nur ein Bereich landespolitischer Kulturhoheit oder schulischer Ausbildung“. Daraus erwachse für den Bund eine wesentliche Zuständigkeit. „Der Bund sollte sich nun mit der Ministerpräsidentenkonferenz auf ein Ende dieser gescheiterten Reformbemühungen verständigen“, sagte der Verfassungsrechtler.
Weitere 60 führende Rechtswissenschaftler wandten sich unterdessen in einem Schreiben an die Ministerpräsidenten und riefen diese dazu auf, von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch zu machen. Die von dem Münchner Rechtsanwalt Johannes Wasmuth koordinierte Initiative beruft sich auf eine Petition, die Juristen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz bereits im Februar 2004 an den Deutschen Bundestag, die deutschen Landtage sowie die Nationalräte Österreichs und der Schweiz gerichtet hatten. Darin war verlangt worden, „das Projekt Rechtschreibreform umgehend zu beenden“. Entsprechend fordern die Juristen jetzt die Ministerpräsidenten auf, „die Kultusverwaltungen anzuweisen, sämtliche Maßnahmen zur Umsetzung der Rechtschreibreform zurückzuziehen“. In dem Brief zitieren die Rechtsprofessoren den früheren bayerischen Kultusminister Hans Zehetmaier (CSU) mit den Worten: „Wir hätten die Rechtschreibreform nicht machen sollen. Aus heutiger Sicht und noch deutlicherer Kenntnis der deutschen Wesensart würde ich die Sache heute ganz zum Scheitern bringen.“
Die Kultusministerkonferenz (KMK) hatte vor wenigen Tagen angekündigt, trotz des Protests die neuen Schreibweisen ab August 2005 verbindlich zu machen. Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) erklärte derweil in der gestrigen Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Rechtschreibreform für „gescheitert“. Auch er insistierte, die Zuständigkeit der Kultusminister für die Rechtschreibung zu beenden und der Ministerpräsidentenkonferenz zu übertragen.
DIE WELT vom 30. Juni 2004 |
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Elke Philburn
Registriert seit: 03.12.2002 Beiträge: 246 Wohnort: Manchester UK
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: Dienstag, 14. Sep. 2004 15:09 Titel: |
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Ein lesenswerter Aufsatz:
<a href="http://forschungsgruppe.free.fr/quam.pdf">Prof. Dr. Erwin Quambusch: Amtssprache ist nicht das Deutsch der Rechtschreibreform</a>
(Zum Lesen brauchen Sie den 'Adobe Reader', den Sie ggf.<a href="http://www.adobe.de/products/acrobat/readstep2.html"> hier</a> herunterladen können. ) |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Dienstag, 14. Sep. 2004 23:17 Titel: ss-Schreibung als alternative Schreibmöglichkeit |
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Die neue ss-Schreibung als alternative Schreibmöglichkeit
„Eine starke, aber wenig klare Vermutung spricht dafür, daß die neue ss-Schreibung als alternative Schreibmöglichkeit zum Bestandteil der vorfindbaren Schriftsprache geworden ist. Die Vermutung liegt nahe, weil insoweit die neue Schreibung häufig und insbesondere von den meisten Zeitungen verwendet wird, aber auch, weil sie nicht im gleichen Maße abwegig erscheint wie andere Neuregelungen. Daß sie den Schülern größere Schwierigkeiten macht als die alte Schreibung, 31 wirft zwar die Frage nach der Zweckmäßigkeit auf, betrifft aber nicht die sprachliche Logik. Es erscheint deshalb vertretbar, die reformierte ss-Schreibung neben der im privaten Bereich und offensichtlich in der Schreibweise der Intellektuellen bevorzugten alten Schreibung als amtssprachenfähig anzuerkennen. Inwieweit darüber hinaus weitere Elemente einer neukonzipierten Schreibung akzeptabel sind, hat nach gegenwärtiger Rechtslage allein die Sprachgemeinschaft zu entscheiden.“
(Erwin Quambusch: Amtssprache ist nicht das Deutsch der Rechtschreibreform, Bielefeld, 2003, S. 22)
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31) Vgl. Illauer, in: Deutsch, a.a.O., S. 42
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Anmerkung:
Eine solche Mischung wäre eine Sprachspaltung und widerspräche somit dem pädagogischen Prinzip der Einheitlichkeit der Orthographie. |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Samstag, 09. Okt. 2004 10:19 Titel: Der Bund darf nicht länger schweigen |
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Der Bund darf nicht länger schweigen
Fremde Federn
Von Rupert Scholz
Die Rechtschreibreform ist gescheitert. Am grünen Tisch produziert oder diktiert, hat sie der Sprache buchstäblich Gewalt angetan und - folgerichtig - nicht die allseitige Akzeptanz gefunden, deren die Sprache als wichtigstes Mittel gesellschaftlicher Kommunikation bedarf. Und dies schon im sogenannten Erprobungsstadium. Deshalb bedarf es dringend der Revision, zumindest einer grundlegenden Reparatur. Aber wer sorgt dafür? Die Ministerpräsidenten der Länder sind gespalten, die eigentlich verantwortlichen Kultusminister zaudern oder suchen Zeit zu gewinnen, die Bundesregierung äußert sich zwiespältig oder gar nicht -- und für die Apologeten der Rechtschreibreform halten die inzwischen auf der Grundlage der neuen Rechtsprechung ausgebildeten Schulkinder als Ausrede für den begangenen Fehler her. Manche Verteidiger der Rechtschreibreform sprechen sogar davon, daß es doch „nur“ um die Orthographie, also nicht um die Sprache als Ganzes gehe. Dies ist grundfalsch. Denn die Rechtschreibung ist ein wesentlicher, ein grundlegender Teil jeder Sprache und Sprachkultur. Dies leugnet jetzt aber sogar der Vorsitzende der Zwischenstaatlichen Kommission für die Rechtschreibung, Blüml. Die Voraussage fällt nicht schwer, daß auch diese Kommission nichts anderes sein wird als ein Alibiunternehmen. Deshalb ist und bleibt die Politik gefordert.
Wenn man sich nicht rasch auf eine Rücknahme oder Reparatur der neuen Rechtschreibung einigt, dann droht ein Verfassungsproblem. In seiner Entscheidung vom 14. Juli 1998 hatte das Bundesverfassungsgericht die Rechtschreibreform allerdings - noch - nicht beanstandet. Damals ging es nur um die Frage, ob die schulische Umsetzung einer neuen Rechtschreibung der Gesetzesform bedarf. Dies hat das Bundesverfassungsgericht verneint. Aber es hat klare Maßstäbe für eine rechtmäßige Änderung der Rechtschreibung benannt. So hat das Bundesverfassungsgericht in aller Deutlichkeit festgestellt, daß „der Staat die Sprache nicht beliebig regeln kann“, daß „regulierende Eingriffe“ ihm, dem Staat, in der Regel oder grundsätzlich nur dann erlaubt sind, wenn es darum geht, „Vereinfachungen“ vorzunehmen oder „Widersprüche im Schreibusus und Zweifel an der richtigen Schreibung zu beseitigen“. Ebendiesen Maßstäben wird die Rechtschreibreform jedoch nicht gerecht. Sie verändert die Sprache, sie läßt diese sogar in ihrer bisherigen Mannigfaltigkeit verkümmern. Dies hat mit „Vereinfachung“ oder „Beseitigung von Widersprüchen oder Zweifeln“ nichts mehr zu tun. Dies ist vielmehr pure Willkür, geht an der Pflege gegebener Sprachkultur vorbei und ist damit - in den Worten des Bundesverfassungsgerichts - „beliebig“ und also verfassungswidrig. Deshalb fordert auch die Verfassung - und hier vor allem die Grundrechte von Schülern wie Eltern - die rasche Revision.
Zuständig hierfür sind zunächst die Länder: Sie sind für die schulische Ausbildung verantwortlich. Aber auch der Bund ist gefordert, stellt die Sprache doch als Grundelement nationaler Identität einen Grundtatbestand von gesamtstaatlicher Bedeutung dar. Einen verfahrensrechtlich tragfähigen Weg zur Lösung weist die Regelung des Artikels 91 b Grundgesetz, auf die auch das Bundesverfassungsgericht in seiner genannten Entscheidung hingewiesen hat.
Danach fällt der Komplex der „Bildungsplanung“, zu der naturgemäß die Pflege von Sprache und Rechtschreibung gehört, in die gemeinschaftliche Verantwortung von Bund und Ländern. Die Pflege der Rechtschreibung stellt sich also als Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern dar, weshalb die Bundesregierung nicht länger schweigen darf. Abgesehen davon, daß die Rechtschreibreform auch einen außenpolitischen Regelungsgegenstand im Verhältnis zu den anderen deutschsprachigen Ländern darstellt, muß die Bundesregierung sich ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung für das aufgetretene Problem besinnen. Bundesregierung und Länder sind deshalb aufgefordert, die Rechtschreibreform umgehend im Wege einer Vereinbarung gemäß Artikel 91 b Grundgesetz zurückzunehmen oder von Grund auf neu zu konzipieren. Zunächst sind jedoch die Länder selbst gefordert. Die Kultusminister stehen nicht nur vor einem sprachkulturellen Scherbenhaufen, sondern auch vor dem drohenden Verdikt eines evidenten Verfassungsverstoßes.
Der Verfasser lehrt Verfassungsrecht und war Bundesminister der Verteidigung.
Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 235 vom 8. Oktober 2004, S. 10 |
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Daniel Buncic
Registriert seit: 05.11.2004 Beiträge: 47
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: Freitag, 05. Nov. 2004 15:29 Titel: Die Petition wimmelt von Fehlern! |
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Im <a href="http://forum.tagesschau.de/showthread.php?postid=108870">Tagesschau-Forum</a> scheint niemand über meine Entgegnungen gegen die von den Juraprofessoren angeführten angeblichen Defizite der neuen Rechtschreibung diskutieren zu wollen. Vielleicht findet sich ja hier ein sachlicher Diskussionspartner?
Ich habe eine kleine Auswahl aus den kritisierten Beispielen getroffen (was aber nicht bedeutet, dass alle anderen Beispiele zu Recht kritisiert worden sind).
Zitat: | Beispiele nicht mehr existierender Wörter:
alleinstehend, allgemeinbildend, aufwärtsgehen, auseinandersetzen, bekanntmachen, bewußtmachen, dahinterkommen, fallenlassen, fertigbringen, fertigstellen; hängenbleiben, Handvoll, kennenlernen, laufenlassen, naheliegend, nahestehend, nebeneinandersitzen, nichtssagend, offenbleiben, richtigstellen, schiefgehen, schwerfallen, sitzenbleiben, sogenannt, stehenlassen. |
Zunächst: Wer sich einmal ein bisschen mit Sprache beschäftigt hat, weiß, wie schwer es ist, den Begriff Wort zu definieren und z.B. herauszufinden, wie viele Wörter ein Text hat. Wenn schwerfallen angeblich ein Wort ist, wie viele Wörter hat dann der Satz Es fällt mir schwer? Wie kommt es, dass ich fragen kann, Wie fällt es dir?, und die Antwort bekomme: Schwer? Hat mir da etwa jemand mit einem halben Wort geantwortet, damit es wieder auskommt, nachdem ich eine aus dreieinhalb Wörtern bestehende Frage gestellt habe? In diesen Sätzen würde doch wohl niemand schwer anders analysieren denn als Adverb (bzw. je nach Grammatikmodell als Adjektiv). Will jemand ernsthaft behaupten, schwer sei hier eine zufällig abgetrennte Vorsilbe, ein Präfix?
Das alles ist eine müßige Diskussion. Bei der Zusammen- und Getrenntschreibung geht es nicht darum, ob "Wörter existieren" oder nicht. Es geht darum, wie man bestimmte Ausdrücke, die zweifellos existieren, schreibt - mehr nicht.
In der Sprachwissenschaft wird das Wort Wort aufgrund dieser Problematik von seriösen Linguisten gemieden. Stattdessen spricht man von Lexemen, Lexikoneinträgen, phonetischen Wörtern (in der Wohnung wäre so ein phonetisches Wort) usw.
Die Zusammen- und Getrenntschreibung der alten Orthographie war mehr als uneinheitlich. Ich greife nur einige der Beispiele heraus, die in dem obigen Zitat genannt werden:
- Ich bin mir nicht sicher, ob die unterzeichnenden Juraprofessoren wissen, dass sie ihre Petition auch nach alter Rechtschreibung bekannt gemacht haben, hier wäre bekanntgemacht falsch, denn die Zusammenschreibung gilt nur für Gesetze (!).
- Es hieß zwar alleinstehend (aber nur in der Bedeutung 'nicht verheiratet sein'), jedoch auch in dieser Bedeutung nicht *alleinlebend, und bei getrenntlebend bzw. getrennt lebend hatte man die freie Wahl. (Ist das nicht angeblich schädlich, weil es die "Einheit der Rechtschreibung" zerstöre?)
- Es gab allgemeinbildende, aber keine *beruflichbildenden Schulen.
- Aufwärtsgehen schrieb man zusammen, wenn es im Sinne von 'besser werden' gemeint war (was aber nicht *besserwerden geschrieben werden durfte), aber in genau dieser Bedeutung hieß es nur auf und ab gehen.
- Man schrieb zwar sich bewußtmachen, aber nicht *sich bewußtwerden.
- Sobald schwerfallen spezifiziert wurde, musste man es auch früher schon getrennt schreiben: sehr schwer fallen, schwerer fallen und nicht *schwererfallen. Aber nicht, dass man glaubt, diese Inkonsequenz sei wenigstens in sich konsequent geregelt: Bei naheliegen schrieb man durchaus näherliegen.
- Dahinterkommen schrieb man natürlich nur zusammen, wenn 'verstehen' gemeint war, aber in genau dieser Bedeutung schrieb man darauf kommen dennoch getrennt.
- Man konnte zwar nebeneinandersitzen, dabei aber nicht *nebeneinanderarbeiten und auch auf dem Weg in die Pause nicht *nebeneinandergehen.
- Wer von der sogenannten Rechtschreibreform schreibt, bringt darin seine Distanzierung von diesem Begriff zum Ausdruck und will im Grunde sagen: die fälschlich so genannte Rechtschreibreform. Hier darf er so genannte aber nicht zusammenschreiben.
In all diesen nach alter Rechtschreibung so komplizierten Fällen hat man sich in der neuen Rechtschreibung einheitlich für Getrenntschreibung entschieden. Damit trägt man der in der deutschen Orthographie derzeit stark spürbaren analytischen Tendenz Rechnung. Traditionell zusammengeschriebene Ausdrücke werden heutzutage von den Sprachbenutzern in ihre Bestandteile zerlegt, was deren Lesbarkeit erhöht. Die berühmte Donaudampfschifffahrtskapitänsmütze würde man heute vielleicht lieber Donau-Dampfschifffahrts-Kapitänsmütze schreiben.
Damit schließt die deutsche Sprache, die bisher neben solchen Sprachen wie dem Walisischen oder einigen Eskimosprachen die längsten nicht durch Leerzeichen oder Bindestriche unterbrochenen Buchstabenketten aufwies, näher zu anderen Sprachen auf. Ins Englische übersetzte man nebeneinandersitzen immer schon mit (to) sit next to each other. Möchte jemand behaupten, im Englischen "existiere" kein "Wort" für nebeneinandersitzen, das man daher umständlich mit fünf Wörtern umschreiben müsse, ähnlich wie die berühmte Gemütlichkeit?
Die alten Lateiner schrieben anfangs noch ganz ohne Leerzeichen oder die Wörter abtrennende Punkte ("scriptio continua"). Sie lasen aber wohl auch noch laut Buchstabe für Buchstabe - und dementsprechend langsam. Erst die Einfügung von Leerzeichen machte leises und schnelleres Lesen durch Erfassung der Sprachstruktur mit einem Blick möglich. Dem immer effektiveren Leseprozess trägt die Vermehrung der Leerzeichen Rechnung.
Auf diese Tendenz zu mehr analytischen Schreibungen muss die Orthographie reagieren, sonst werden die geltenden, dem Sprachempfinden widersprechenden Regeln einfach nicht mehr beachtet. Wohin das schon geführt hat, kann man z.B. in Philipp Oelweins <a href="http://www.agopunktion.de/">"Agopunktion-Galerie"</a> bewundern. Eine einfacher zu verstehende Regelung der Zusammen- und Getrenntschreibung, bei der man nicht bei jedem einzelnen Ausdruck nachschlagen muss, ob die Dudenredaktion der Meinung ist, dass hier "ein neuer Begriff entsteht" (was immer sie damit meint), könnte in Verbindung mit der generellen Einführung des Bindestrichs zur Gliederung unübersichtlicher Zusammensetzungen vielleicht dazu führen, dass diese neuen Regeln mit der Zeit auch in der Bevölkerung wieder akzeptiert werden. Wer diese Akzeptanz konterkariert, führt damit indirekt zu mehr Falschschreibungen wie "Andreas Kirche" (offizielles Schild an der Andreaskirche in Brühl im Rheinland), denn die alten Regeln zur Zusammen- und Getrenntschreibung entsprechen längst nicht mehr dem allgemeinen Sprachempfinden.
Zitat: | Der letzte Wille (auch im Sinn der letztwilligen Verfügung), aber: das Letzte Gericht |
Die neue Regel ist sehr einfach: Man schreibt nur noch das groß, was Namensqualität hat.
Der letzte Wille hat zwar eine in gewissem Sinne übertragende Bedeutung, weil man auch nachher noch Wünsche äußert (aber nicht mehr, nachdem der letzte Wille verlesen worden ist!), aber ein Name ist das noch lange nicht.
Das Letzte Gericht hingegen ist quasi der Name für ein ganz bestimmtes Gericht (ähnlich wie der Oberste Gerichtshof), und zwar eins, bei dem GOtt der HErr der vorsitzende Richter ist.
Typisch für Namen ist, dass sie nur einen einzigen Referenten haben: Es gibt nicht mehrere "Letzte Gerichte" und auch nicht mehrere "Oberste Gerichtshöfe" in einem Land, so wie es auch nicht mehrere "Deutsche Buchten" oder "Schwäbische Alben" gibt. Aber jeder Mensch kann seinen letzten Willen von einem Notar aufsetzen lassen, so dass heute Millionen von letzten Willen in den Aktenschränken lagern.
Die alte Regelung war kompliziert und in sich unschlüssig: Früher schrieb man zwar den Letzten Willen wegen seiner übertragenden Bedeutung groß, das letzte Stündlein aber klein, obwohl das sicher nicht 60 Minuten hat. Dem könnte man noch zig andere zweifelhafte Beispiele hinzufügen, z.B. die silberne Hochzeit, die weder silbern noch eine Hochzeit, sondern ein 25-jähriges Jubiläum ist, oder das goldene Tor, das weder golden noch ein Tor ist, sondern ein entscheidender Treffer. Solche Ausdrücke sind viel metaphorischer als letzter Wille, aber diese schrieb man auch nach alter Rechtschreibung klein.
Zitat: | Pleite gehen, aber: pleite sein; recht machen, aber: Recht bekommen |
Diese Fälle gehorchen der einfachen Regel: Substantive schreibt man groß, andere Wortarten klein. Im Übrigen gilt:
<blockquote>Der, die, das,
wer, wie, was,
wieso, weshalb, warum?
Wer nicht fragt, bleibt dumm!</blockquote>Also fragen wir, um klüger zu werden:
- Was gehe ich? - Ich gehe Pleite, ich gehe Konkurs. (Substantiv)
- Wie bin ich? - Ich bin pleite, insolvent, zahlungsunfähig. (Adjektiv)
- Wie mache ich das? - Ich mache das recht, richtig, gut. (Adverb)
- Was bekomme ich? - Ich bekomme Recht, ich bekomme mein Recht zugesprochen. (Substantiv)
Zitat: | Die reformierte Rechtschreibung mißachtet die Phonetik. Neue Schreibweisen verstoßen gegen die natürliche Betonung und suggerieren eine falsche Aussprache.
Beispiele:
mithilfe, gesprochen aber: mit Hilfe; zurzeit, gesprochen aber: zur Zeit. |
Die Autoren dieses Pamphlets wollen damit offenbar behaupten, dass Zusammensetzungen nur auf der ersten Silbe betont werden dürfen? Dann müssen wir aber schleunigst auch einige andere zusammengeschriebene Wörter abschaffen.
Beispiele:
- imstande, "gesprochen aber:" im Stande (das ist übrigens nach neuer Rechtschreibung korrekt!)
- zuwege, "gesprochen aber:" zu Wege (auch das dürfen Sie jetzt endlich schreiben!)
- sowie, "gesprochen aber:" so wie (nein, das bleibt falsch!)
Die Betonungsregeln des Deutschen sind viel komplizierter. Zwar gab es im Urgermanischen wohl eine Tendenz zum Initialakzent, aber im Deutschen gilt die Grundregel "Betonung auf der ersten Silbe" nur für einen Teil der Substantive.
Wer einen direkten Zusammenhang zwischen Betonung und Leerzeichen zu sehen glaubt, hat sich einfach nur an bestimmte orthographische Wortgrenzen gewöhnt. Man kann an der Betonung definitiv nicht erkennen, ob etwas "ein Wort" ist. Vergleichen Sie die Intonationskurve in folgenden Sätzen:
- Werden wir uns auseinander leben?
- Sollen wir jetzt auch den Panda pflegen?
Die Intonationskurve dieser Sätze ist absolut identisch. Daher erkennt man an der Betonung (leider) gar nichts. Die Betonung würde auch aus ein ander leben oder auchdenpandapflegen rechtfertigen.
Leerzeichen haben also keine "phonetische" Funktion. Ihre einzige Funktion kann es sein, die Struktur der geschriebenen Sprache zu verdeutlichen, und zwar völlig unabhängig von der gesprochenen Sprache, die weder über Leerzeichen noch über irgendeine Entsprechung zu diesen verfügt.
(Das Phänomen, dass Menschen glauben, etwas zu sprechen und zu hören, was in der Schrift vorhanden ist, ist in allen Sprachen bekannt. Wenn man Leute dazu bringt, das Wort Bahnhof auszusprechen, sprechen 95 Prozent [ba:no:f]. Wenn man diese Menschen dann fragt, ob sie in Bahnhof ein [h] gesprochen haben, sagen 95 Prozent: Natürlich!)
Zitat: | Das Reformwerk erschwert u. a. durch eigenwillige Regeln der Silbentrennung die Lesbarkeit von Texten.
Beispiele:
Tee-nager, Seee-lefant, Obst-ruktion, Etatü-berschreitung, I-mage, vol-lenden, beo-bachten, vere-helichen, Preise-lastizität, Pressea-gentur, alla-bendlich, durcha-ckern, Hause-cke. |
Auch nach alter Rechtschreibung konnte man Spargel-der, Urin-stinkt, beste-hende, bein-halten, Altbauer-haltung, Sprecher-ziehung usw. trennen. Es gab aber damals und gibt heute immer noch (in § 111 E2) die Regel, dass irreführende Trennungen zu vermeiden sind, also auch alle oben angeführten.
Zu Teenager ist zudem anzumerken, dass auch nach alter Rechtschreibung Tee-nie zu trennen war.
Bereits in der neunten Auflage des Dudens von 1915 (S. XVIII) gab es zur Silbentrennung in Fremdwörtern folgende Regel:
Zitat: | Für zusammengesetzte Fremdwörter gilt dieselbe Regel wie für solche deutsche Wörter. Man schreibt also z.B. Atmo-sphäre, Mikro-skop, Inter-esse. Erkennt man die Bestandteile von Fremdwörtern nicht, so richte man sich nach den Regeln unter 1a und b [man trenne also nach Sprechsilben - D.B.]. |
Spätere Duden-Auflagen haben dann den Sprachbenutzern vorgeschrieben, welche Wörter sie zu erkennen haben und welche nicht. Zum Beispiel hatte man bei Abitur gefälligst zu erkennen, dass es sich im Lateinischen aus ab- und ire zusammensetzt, und seine Latein-Bildung auch zum Ausdruck zu bringen, indem man in Ab-itur das Abi auseinanderreißt (Abi-tur war falsch!), aber bei Transit durfte man die Zusammensetzung aus trans- und ire nicht erkennen, sondern musste Tran-sit trennen (hier war Trans-it falsch!).
Die neue Rechtschreibung ermöglicht Latein- und Englischkennern weiterhin Trennungen wie Ab-itur und Teen-ager. Aber auch die Trennung nach Sprechsilben ist grundsätzlich möglich, und man offenbart dadurch nicht mehr automatisch seine "Unbildung". Dies ist also nicht nur eine Abschaffung von Inkonsequenzen, sondern auch im besten Sinne eine "Demokratisierung" der Rechtschreibung.
Zitat: | Die neuen Kommaregeln erschweren das Erfassen selbst kürzerer Satzpassagen. Die für das Deutsche typischen komplexen Satzgefüge werden oft undurchschaubar.
Beispiele:
Er ging gestern von allen wütend beschimpft zur Polizei.
Er schwört vor dem Gerichtshof die volle Wahrheit gesagt zu haben. |
Wen die 'fehlenden' Kommas im ersten Satz stören, der kann sie nach § 76 der neuen Amtlichen Regelung setzen.
Im zweiten Satz ist der Bezug von vor dem Gerichtshof nicht ganz eindeutig, daher ist ein Komma nach § 76 sehr dringend empfohlen.
Dieser Paragraph ist wie viele andere neue Regeln lediglich deshalb als Kann-Regel formuliert, weil die Aufmerksamkeit von Regeln, die versuchen zu definieren, was gut zu lesen sei und was nicht, auf den Leser gelenkt werden soll. Man soll sich nicht mehr fragen, ob ein Infinitiv erweitert ist oder nicht, oder ob einem und ein vollständiger oder ein unvollständiger Hauptsatz folgt, sondern ob das Resultat gut lesbar ist. Das ist doch sehr sinnvoll. Nach der neuen Rechtschreibung befasst man sich bei der Kommasetzung nicht mehr mit grammatischen Spitzfindigkeiten, sondern man stellt sich die Frage: Würde ein Komma hier eher helfen oder eher stören? Wer nach dieser Regel seine Kommas setzt, steht immer in Einklang mit den neuen Regeln.
Zitat: | Bei zusammengesetzten Wörtern werden die Binnengrenzen durch die Neuschreibung verdunkelt. Die Wortfuge ist nur schwer zu erkennen.
Beispiele:
Flussschifffahrt, Prozessserie, Nachlasssache, Verschlusssache, Schlosserkundung, Schlammmassen, Messergebnis, Missstimmung. |
Ganz im Gegenteil: Bei den Beispielen mit drei Konsonanten ist die Wortfuge heute sogar besser zu erkennen als vorher. Drei Buchstaben auf einem Haufen sind ein untrügliches Zeichen für eine Wortfuge und dabei so auffällig (fast wie eine Sperrung), dass man die Binnengrenze überhaupt nicht übersehen kann: Genau da ist sie. Immer. Zwischen dem zweiten und dem dritten der drei gleichen Buchstaben. Daher weiß ich bei Schlammmassen sofort, dass zwischen -mm und m- eine Wortfuge vorliegt. Das alte Schlammassen sieht an der entscheidenden Stelle (-amma-) genauso aus wie Schlammansammlung, wo die Wortfuge an anderer Stelle ist, ebenso Schiffahrt vs. Schiffart, wo Schifffahrt deutlicher ist, usw. Bei der Angabe "Stilleben" auf der Bildunterschrift in einem Museum haben Millionen von Menschen gerätselt, ob das ein stilles oder ein stilvolles Leben sei. Die neue Schreibung Stillleben hat die Zusammensetzung nicht "verdunkelt", sondern erhellt! Ähnliches gilt für Schößling, den viele fälschlich mit Schoß in Zusammenhang gebracht haben, was bei Schössling nicht mehr passieren kann.
Wer das Gefühl hat, Schlosserkundung könnte als Schlosser-Kundung (was ist eine Kundung?) gelesen werden, der setzt einfach einen Bindestrich: Schloss-Erkundung. Ich finde, das ist viel klarer und schneller zu erkennen als Schloßerkundung (oder gar nach alten Regeln richtig getrenntes Schloßer-kundung; wer den Bindestrich setzt, hindert damit übrigens gleichzeitig die automatische Silbentrennung von Textverarbeitungsprogrammen, diese irreführende Trennung vorzunehmen.)
Die Einfügung von Bindestrichen, um das Lesen zu erleichtern, war nach alter Rechtschreibung nicht ohne Weiteres möglich. Jetzt darf man so viele Bindestriche setzen, wie man für notwendig hält, um die Wortfuge deutlich zu machen, was abermals im Sinne einer analytischeren Schreibung ist.
Zitat: | Die Neuregelung hat auch negative Auswirkungen auf das Erlernen wichtiger Fremdsprachen, insbesondere des Englischen und Französischen.
Beispiele:
Orthografie (auch Orthographie) englisch: orthography französisch: orthographe
essenziell (auch essentiell) englisch: essential französisch: essentiel, le
Potenzial (auch Potential) englisch: potential französisch: potentiel
Katarr (auch Katarrh) englisch: catarrh französisch: catarrhe
Panter (auch Panther) englisch: panther französisch: panth*re
Fassette (auch Facette) englisch: facet französisch: facette
Kommunikee (auch: Kommuniqué) englisch: communiqué französisch: communiqué |
Was für ein lächerliches Argument: Können Sie sich einen Mexikaner vorstellen, der zum besseren Englischlernen gerne auch im Spanischen orthographía statt ortografía schreiben möchte? Oder einen Russen, der den 1917/18 abgeschafften Buchstaben "Fita" ("th", gesprochen [f]) wieder einführen möchte, um im Englischen nicht mehr den Fehler orphography zu machen?
Ist die deutsche Rechtschreibung etwa zum Englisch- und Französischlernen gedacht? Ist das Deutsche nur ein "Sprungbrett" in die wirklich "wichtigen" Fremdsprachen der Welt?
Wer das bejaht, muss auch Accent, Bureau, Camera, Carreau (für Karo), Cellforschung, Compagnie usw. schreiben. (In der 9. Duden-Auflage von 1915 sind Bureau und Kompagnie noch verzeichnet; warum hat gegen die Eindeutschung dieser Wörter niemand protestiert, weil das das Erlernen des Französischen erschwere?)
Auch diese engstirnige Beschränkung auf Englisch und Französisch als einzige "wichtige Fremdsprachen" kann doch wohl nicht ernst gemeint sein: Wenn schon, dann hätte man auch für Cheirourg statt Chirurg (wegen griechisch cheirourgos), cechisch (mit Häkchen auf dem c) statt tschechisch und Gränce statt Grenze (wegen slavisch granica) plädieren müssen. Zum Italienischlernen sind Potenzial und essenziell übrigens besser geeignet als die alten Schreibungen, allerdings wäre dazu Ortografie vorzuziehen; wer eine skandinavische Sprache lernen möchte, dem würde hingegen Ortografi helfen.
Zitat: | Musik liebend und musikliebend, aber nur: tierliebend |
Ein Musik liebender bzw. musikliebender Mensch ist ein Mensch, der Musik liebt. Aber ein tierliebender Mensch ist nicht einer, der Tier liebt, sondern Tiere. Hier kann man tier- also gar nicht als Substantiv missverstehen, da das einen Syntaxfehler ergeben würde, es ist also im Gegensatz zu Musik eindeutig der erste Teil eines zusammengesetzten Verbs.
Nach alter Rechtschreibung musste man zwar musikliebend schreiben und Musik liebend war falsch, aber umgekehrt musste man Klassik liebend schreiben und *klassikliebend war falsch. Dass wir das irgendwie trotzdem wissen, ist pure Gewohnheit und jahrelange Leseerfahrung. Aber wenn etwas inkonsequent ist, dann diese alte Regelung.
(Sind Sie übrigens auch für eine Zehntelsekunde über das ee in Leseerfahrung gestolpert? Dann schreiben Sie doch einfach Lese-Erfahrung, das ist nach neuer Rechtschreibung erlaubt!)
Man könnte so fortfahren und auf die gleiche Art für fast alle angeführten Beispiele belegen, dass diese den Verfassern der Petition einfach nur ungewohnt waren, diese sich aber keine Gedanken über die Gründe für die Änderungen gemacht und nicht gesehen haben, dass die alte Rechtschreibung gerade in den geänderten Bereichen sehr reformbedürftig war.
Vereinzelt hat die Kritik auch dazu geführt, dass tatsächliche Fehler gefunden wurden; so ist etwa die zu Recht kritisierte Regelung Leid tun bereits geändert worden.
Auf der anderen Seite könnte man massenweise unlogische Regelungen der alten Rechtschreibung anführen, die in der öffentlichen Diskussion derzeit praktisch keine Rolle spielen, die aber der Grund für die notwendige Reform waren. Da es an dieser Stelle um die Juristenpetition gehen soll und ich mich an dieses Thema halten möchte (aber nachdrücklich für die Eröffnung eines neuen Themas "Die Regelungen der alten Rechtschreibung" plädiere), nur zwei Beispiele.
Zum einen die Regeln der Schreibung von Zusammensetzungen:
- Stoßen bei der Zusammensetzung drei Konsonanten aufeinander, so streicht man einen davon, wenn auf diese Konsonanten ein Vokal folgt: Schiff + Fahrt = Schiffahrt, Ballett + Tänzer = Ballettänzer.
- Folgt auf diese Konsonanten aber ein weiterer Konsonant, so bleiben alle erhalten: Sauerstoff + Flasche = Sauerstoffflasche, Pappe + Plakat = Pappplakat.
- Ist der auf die Konsonanten folgende Konsonant ein h, so zählt dieses nicht mit und man wendet die Regeln 1 und 2 auf den auf dieses h folgenden Buchstaben an: Ballett + Theater = Ballettheater, Taburett + Thron = Taburettthron.
- Stoßen bei der Zusammensetzung drei Vokale aufeinander, so muss man einen Bindestrich setzen, wenn die Zusammensetzung ein Substantiv ist: See + Elefant = See-Elefant, See + Erfahrung = See-Erfahrung.
- Ist die Zusammensetzung kein Substantiv, so darf man keinen Bindestrich setzen, und alle Vokale bleiben erhalten: Schnee + erhellt = schneeerhellt, See + erfahren = seeerfahren.
- Stoßen bei der Zusammensetzung zwei h aufeinander, so fällt eins davon aus: roh + -heit = Roheit, rauh + -heit = Rauhheit.
- Bei der Silbentrennung tauchen ausgefallene Konsonanten wieder auf: Schiff-fahrt, Ballett-theater.
- Dies gilt nicht für das ausgefallene h: Ro-heit, Rau-heit.
- Stoßen bei der Zusammensetzung nur zwei Konsonanten aufeinander, wodurch diese Zusammensetzung aber mit einem Wort verwechselbar würde, bei dem ein Konsonant ausgefallen ist, so muss man bei dem Wort, bei dem nichts ausgefallen ist, einen Bindestrich setzen: beten + Tuch = Bet-Tuch wegen Bett + Tuch = Bettuch.
Die neue Rechtschreibung hat alle diese Regeln komplett gestrichen. Es gibt überhaupt keine Sonderregeln für Zusammensetzungen mehr. Es bleibt alles erhalten, und man darf jederzeit einen Bindestrich setzen, um die Struktur zu verdeutlichen.
Das zweite Beispiel ist keine komplizierte Regelung, sondern eine Reihe uneinheitlicher Einzelfallentscheidungen:
<blockquote>Testen Sie sich selbst: Bilden Sie zu den substantivierten Infinitiven das Kegelschieben, das Autofahren, das Radfahren und das Kopfstehen den Infinitiv, das Präsens und das Perfekt des entsprechenden Verbs.</blockquote>Das funktioniert in allen vier Fällen jeweils anders, Sie können keine Analogien zwischen dem einen und dem anderen Fall ziehen. Dies ist die Lösung:
- kegelschieben - ich schiebe Kegel - ich habe Kegel geschoben
- Auto fahren - ich fahre Auto - ich bin Auto gefahren
- radfahren - ich fahre Rad - ich bin radgefahren
- kopfstehen - ich stehe kopf - ich habe kopfgestanden
Solche Inkonsequenzen lassen sich nicht beheben, indem man nun für diesen einen Fall eine bessere Lösung sucht, denn das wäre ja dann wieder eine Einzelfallentscheidung. Um solche Schwierigkeiten zu vermeiden, musste eine einheitliche Neuregelung der Zusammen- und Getrenntschreibung und der Groß- und Kleinschreibung her. Dabei hat man sich dafür entschieden, in Grenzfällen eher getrennt und eher groß zu schreiben. Beides macht die Struktur eines geschriebenen Textes deutlicher, als wenn man sich für Zusammen- bzw. Kleinschreibng entschieden hätte.
Aus dieser allgemeinen Regel kann man auch die oben gestellte Aufgabe nach neuer Rechtschreibung problemlos lösen:
- Kegel schieben - ich schiebe Kegel - ich habe Kegel geschoben
- Auto fahren - ich fahre Auto - ich bin Auto gefahren
- Rad fahren - ich fahre Rad - ich bin Rad gefahren
- Kopf stehen - ich stehe Kopf - ich habe Kopf gestanden
Die Unterzeichner der Petition und alle, die sich dem Sinn nach hinter sie stellen, würde ich daher bitten, nicht einfach ungewohnte Schreibungen von vornherein zu verteufeln und den Untergang Deutsch- oder gar des ganzen Abendlandes zu befürchten, sondern sich zuerst zu informieren, welchen Grund diese Änderungen haben. Auf dieser Grundlage kann man dann hoffentlich viel unaufgeregter als bisher diskutieren, welche weiteren Modifikationen der Rechtschreibung sinnvoll wären. |
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Reiner Gehret
Registriert seit: 06.10.2004 Beiträge: 12 Wohnort: Hauptstadt
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: Freitag, 05. Nov. 2004 16:21 Titel: |
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Werter Daniel Buncic,
im ARD -Forum schrieben Sie
*... wie viel Juristen von Sprache und Kommunikation verstehen, kann man sich durch einen kurzen Blick in einen beliebigen Gesetzestext überzeugen*
Kann es sein, daß sie sehr viel besser rechtschreiben als nachdenken können?
Können Sie sich vorstellen, mit was sich Rechtsphilosophie u.a. auch befaßt?
Glauben Sie, daß Dummheit eine Voraussetzung ist, um ein Jurastudium erfolgreich - oder sogar mit Auszeichnung - abschließen zu können?
Ihre Jugend entschuldigt Sie; doch wundern Sie sich bitte nicht über ausbleibende Resonanz. Die meisten Leser ihrer Beiträge wundern sich zwar auch, aber anders...
Mit freundlichen Grüßen
Reiner Gehret |
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