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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Dienstag, 03. Aug. 2004 13:27 Titel: Legende von der permanenten Rechtschreibrevolution? |
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Legende von der permanenten Rechtschreibrevolution?
Die neue Rechtschreibung wird bis August 2005 erneut modifiziert - so sieht’s nach ersten Gesprächen der Kultusministerkonferenz aus. Die endgültige Abstimmung ist im März (siehe auch Archiv).
„Eine zweite Rechtschreibreform (und sei es eine schleichende) ist den Kinder- und Jugendbuchverlagen nicht zuzumuten“, klagt Beltz-Verleger Ulrich Störiko-Blume auf der Meinungsseite des Börsenblatts. Selbiges gelte für die Schulbuchverlage, die ebenfalls Bücher neu setzen müssten.
„Geradezu unseriös ist die immer wieder aufgewärmte Legende, dergemäß ‚die Verlage’ eine Art permanenter Rechtschreibrevolution befürworten, weil sie daran verdienten“, ärgert sich Störiko-Blume.
Börsenblatt, 12. Februar 2004
www.perlentaucher.de/buchmacher/2004-02-16.html
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Anmerkungen:
Diktaturen sind Einbahnstraßen. In Demokratien herrscht Gegenverkehr. (Alberto Moravia)
Der ehemalige PEN-Präsident Gert Heidenreich anläßlich der Verleihung des BÜRGER-OSCAR 1998 für Zivilcourage an Gisa Berger:
„Die Preisträgerin hat Kindern Vertrauen zur Sprache beigebracht, zur eigenen und zu den Sprachen unserer Nachbarn. Sie hat sich auf eine erstaunlich zähe und erfreulich unverzagte Weise gegen jene Kommission gewehrt, deren Mitglieder <b>mit dem großen Lauschangriff auf die Schreibgewohnheiten ihre eigenen Arbeitsplätze gesichert haben.“</b>
Heidenreich, Gert: Eine Rechtzeitige. Laudatio zur Verleihung des Bürger-Oscar 1998 für besondere Leistungen an Frau Gisa Berger. In: Passauer Neue Presse 14./15.02.98, S. 34
„Inzwischen haben sich auch Lehrer und Eltern zu Wort gemeldet, die eine Rücknahme der Reform oder eine Reform der Reform aus Kostengründen ablehnen. Sie argumentieren damit, dass dann wieder neue Schulbücher und Lernmaterialien angeschafft werden müssen. Aber vielleicht ist das genau der Punkt. Den deutschen Verlagen geht es gegenwärtig nicht so gut. Insbesondere der Duden-Verlag, dem die Kulturstaatsministerin auch gleich die Federführung für künftige Sprach- und Schreibänderungen zuschanzen möchte, würde sich über eine Rücknahme oder Änderung der Rechtschreibreform bestimmt freuen.“
vip: Brauchen wir eine Reform der Rechtschreibreform? In: Nürnberger Zeitung Nr. 176 vom 2. August 2004, S. 11 |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Dienstag, 10. Aug. 2004 21:15 Titel: Bildungshaus Schulbuchverlage, |
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Ulrike Jürgens, Leiterin Bildungshaus Schulbuchverlage, darunter Schöningh (Paderborn). Nach ihren Büchern lernen Kinder Schreiben.
Die neue Rechtschreibung hat den Test in der Praxis längst bestanden.
Seit 1996 werden 14 Millionen Kinder und Jugendliche nach den neuen Regelungen unterrichtet. Dabei müssen sie weniger Regeln und deutlich weniger Ausnahmen lernen als zuvor. Die Rechtschreibregeln sind durch die Reform übersichtlicher, logischer und vor allem einfacher für Lernende geworden. So kann mehr Unterrichtszeit auf die zentralen Aufgaben des Deutschunterrichts verwandt werden. Die PISA-Studie hat offen gelegt, dass viele Jugendliche nicht in der Lage sind, sinnerfassend zu lesen. Das ist nicht eine Frage der Rechtschreibung, in der ein Text geschrieben ist!
Schulbuchverlage arbeiten nach den Vorgaben der Kultusministerien. Sie haben mit hohem Aufwand die Umsetzung der Rechtschreibreform in den Schulen bezahlt. Ein Zurück zur alten Rechtschreibung würde weitere Verluste von etwa 250 Millionen Euro mit sich bringen, ohne dass diesen Kosten entsprechende Einnahmen gegenüber ständen.
Auch die Schulen wären finanziell betroffen. Hier lagern Schulbücher im Wert von schätzungsweise 1,4 Milliarden Euro, die durch eine „Reform“ der Reform ersetzt werden müssten: eine Mehrbelastung für Eltern und eine Verschwendung von öffentlichen Mitteln.
Deutschland gibt weniger als die meisten OECD-Staaten für Bildung aus. So sind die öffentlichen Ausgaben für Lernmittel im Zeitraum von 1990 bis 2003 von jährlich knapp 400 Millionen auf 250 Millionen Euro gesunken. Da sollte nicht zusätzlich Geld vernichtet werden durch das Zurück zu mehr und komplizierteren Rechtschreibregeln.
Stand vom 04.08.2004
www.wdr.de/themen/kultur/bildung_und_erziehung/rechtschreibung/zurueck_alte_rechtschreibung.jhtml?rubrikenstyle=kultur
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Anmerkung:
Hier sieht man deutlich, daß die Autorin allein durch die geschäftliche Brille sieht. Der Staat ist für sie ein guter Kunde, so daß eine gewisse Abhängigkeit von Staatsaufträgen vorhanden ist.
Damit bei der Einführung der neuen Rechtschreibung die Kosten für Verlage nicht zu hoch werden, wurde eine Übergangsfrist eingeräumt. Bei der Rückkehr zur bewährten Rechtschreibung werden diese Kosten auf einen einzigen Stichtag hochgerechnet.
Zuletzt bearbeitet von Manfred Riebe am Dienstag, 10. Aug. 2004 22:15, insgesamt 1mal bearbeitet |
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Ulrich Brosinsky
Registriert seit: 09.08.2004 Beiträge: 155 Wohnort: Weinstadt
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: Dienstag, 10. Aug. 2004 21:45 Titel: Unbezahlbar oder kostenneutral? |
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Unbezahlbar oder kostenneutral?
Warum Verlage nichts befürchten müssen
von Dankwart Guratzsch
Berlin - Der Schulbuch-Verlag Ernst Klett, Stuttgart, befürchtet einen "ökonomischen Riesenschaden", wenn die Rechtschreibreform zurückgenommen wird. "Allein die redaktionelle Überarbeitung der Bücher würde uns 25 bis 45 Millionen Euro kosten," gibt der Geschäftsführer der Schulbuchsparte des Verlages, Johannes Leßmann, an. Rund 3000 Titel müssten überarbeitet werden, 25 bis 30 Millionen Euro kämen noch hinzu, um den Lagerbestand auszumustern.
Solche und ähnliche Kostenschätzungen machen seit der Ankündigung der Verlage Axel Springer und "Spiegel", zur herkömmlichen Rechtschreibung zurückzukehren, in der Öffentlichkeit die Runde. Doch bei näherer Betrachtung zeigt sich sofort, wie fadenscheinig derartige Phantasiesummen sind. Wozu müssen Bücher eigentlich "redaktionell überarbeitet" werden, wenn es lediglich darum geht, das Rechtschreibprogramm auszutauschen? Das funktioniert auf einfachen Knopfdruck, und schon ist die neue Druckfassung fertig. Ebenso unglaubwürdig ist die Angabe, dass Lagerbestände "ausgemustert" werden müssten. In zahlreichen Verlagen sind sogar heute noch Lagerbestände in klassischer Rechtschreibung vorhanden. Sie könnten neu eingesetzt werden. Außerdem ist nie von einer Rückumstellung an einem Tag die Rede gewesen. Sehr viel wahrscheinlicher ist ein allmähliches "Herausschleichen" aus der neuen Rechtschreibung, was zugleich den Lehr- und Lerneffekt erhöhen und den überstürzten Neudruck von Schulbüchern unnötig machen würde.
Noch viel unglaubwürdiger ist es, wenn sich ausgerechnet deutsche Kultusminister nun plötzlich mit dem Kostenargument solidarisieren. Denn es war ja gerade die Kultusministerkonferenz gewesen, die bei der Einführung der neuen Rechtschreibung die Kostenfrage in ihrer Dresdner Erklärung vom 25.10.1996 für unerheblich erklärt hatte: "Falsch ist der Vorwurf," hieß es dort, "dass durch die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung Kosten in Milliardenhöhe entstehen werden. Falsch zunächst einmal deshalb, weil es nicht stimmt, dass literarische Bücher neu gedruckt werden müssen. Außerdem haben die Kultusminister bei ihrer Beschlussfassung im Dezember 1995 auch darauf geachtet, in dem Bereich, der tatsächlich betroffen ist, nämlich bei den Schulbüchern, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um Kosten zu sparen. Durch die neunjährige Übergangsfrist für die Neuregelung der Rechtschreibung können Schulbücher - mit Ausnahme derRechtschreiblernmittel - weitgehend im normalen Erneuerungsturnus ersetzt werden."
Warum soll dasselbe nicht bei der Rückkehr zur klassischen Rechtschreibung gelten?
Noch 1997 stellte der bayerische Kultusminister Hans Zehetmair, damals noch ein glühender Befürworter der Rechtschreibreform, öffentlich klar: "Es kommt zu einem Nebeneinander von Alt und Neu, wodurch jedoch alle Privatbürger wie Unternehmer, genügend Zeit für eine schrittweise und weitgehend kostenneutrale Umstellung haben." Mit Kostenargumenten wird sich das Festhalten an der neuen Rechtschreibung also auch heute kaum begründen lassen.
Der ARD-Vorsitzende Jobst Plog erklärte unterdessen, der Sender bleibe "bis auf weiteres bei den Regeln, die in den Schulen unterrichtet werden". Dies sei das Ergebnis einer Schaltkonferenz der ARD-Intendanten, die sich dabei vor allem "von der Verantwortung für die heranwachsende Generation leiten" ließen. Ausführlich will sich die ARD mit der Rechtschreibpraxis bei einer Intendanten-Konferenz Mitte September in Köln befassen.
DIE WELT Mittwoch, 11. August 2004 |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Donnerstag, 12. Aug. 2004 21:08 Titel: BuchMarkt zur Kostenfrage |
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BuchMarkt zur Kostenfrage
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BECKMANNS MEINUNG
Wenn das sz in Marketinghände fällt: Warum in Sachen Rechtschreibung auch Redakteuren von Springer-Zeitungen die Gäule durchgehen
Die Welt – eine Tageszeitung, die zum Medienkonzern Axel Springer gehört, welcher jetzt neben dem Magazin Der Spiegel zur alten Rechtschreibung zurückkehrt und diesen Schritt zur Sache einer nationalen Kampagne machen zu wollen scheint – spießt in ihrer gestrigen Ausgabe die massiven Einwände der Schulbuchverlage gegen eine radikale Aufgabe der jetzigen neuen Rechtschreibung auf.
„Der Schulbuchverlag Ernst Klett, Stuttgart“, so schreibt Die Welt, „befürchtet einen ‚ökonomischen Riesenschaden‘, wenn die Rechtschreibreform zurückgenommen wird. ‚Allein die redaktionelle Überarbeitung der Bücher würde uns 25 bis 45 Millionen Euro kosten’, gibt der Geschäftsführer der Schulbuchsparte des Verlages, Johannes Leßmann, an. Rund 3000 Titel müssten überarbeitet werden, 25 bis 30 weitere Millionen Euro kämen noch hinzu, um den Lagerbestand auszumustern.“
Als „fadenscheinig“ bezeichnet Die Welt solche Äußerungen und die von Klett genannten Zahlen als „Phantasiesummen“. Da ist erst mal festzuhalten: Bei Klett hat man, wie dort Hannelore Ohle-Schmidt versichert, die durch eine Rückumstellung anfallenden Kosten „durchgerechnet“. Nichts gegen Dankwart Guratzsch, der den Welt-Artikel verfasst hat – er ist ein achtbarer und schätzenswerter Welt-Feuilletonredakteur. Doch in diesem Fall dürfte er jedenfalls nichts durchgerechnet haben – wie sollte er dazu auch imstande gewesen sein?
„Fadenscheinig“ sind darum wohl eher seine Behauptungen als die Erklärungen aus dem Hause Klett, der übrigens nicht dafür bekannt ist, mit riskanten Zahlen an die Öffentlichkeit zu treten. Die Axel Springer AG dagegen könnte vielleicht ein Interesse haben, ihre Kampagne für die Rückkehr zur alten Rechtschreibung – die in etlichen Kreisen als verantwortungslos empfunden wird; der Literaturchef der Neuen Zürcher Zeitung, Roman Bucheli wagte rein ideelle Motive dort am vergangenen Montag vorsichtig in Zweifel zu ziehen – in einer Art Selbstrechtfertigung so darzustellen, als sei sie finanziell folgenlos: „Warum (Buch-) Verlage nichts befürchten müssen“, lautete denn auch der Untertitel besagten Artikels in Die Welt.
Doch schauen wir uns einmal die Argumente von Dankwart Guratzsch an.
„Wozu“, fragt er, „müssen Bücher eigentlich ‚redaktionell überarbeitet’ werden, wenn es lediglich darum geht, das Rechtschreibprogramm auszutauschen? Das funktioniert auf einfachen Knopfdruck, und schon ist die neue Druckfassung fertig.“
Holla. So einfach funktioniert das ja nicht einmal bei Zeitungen. Sollten beispielsweise die Nachrichtenagenturen, etwa dpa, mit Spiegel und Axel Springer gleichziehen, müssten Regional- und Lokalzeitungen, die bei der jetzigen neuen Rechtschreibung bleiben, wieder einen Haufen Korrektoren einstellen um ihren Lesern ein einheitlich orthographisches Bild zu bieten – was erhebliche Zusatzkosten verursachen würde, wie mir Chefredakteure bedeutet haben; und die meisten Regional- und Lokalzeitungen schwimmen auch nicht eben im Geld.
Im übrigen ist der Rechtschreib-Standard – also eine fehlerfreie korrekte Orthographie – bei Zeitungen nicht eben exemplarisch. Bei Schulbüchern aber muss er sehr hoch sein.
Außerdem hat Dankwart Guratsch vergessen, eine simple Tatsache zu berücksichtigen: Neue Rechtschreibprogramme werden so schnell gar nicht entwickelt und verfügbar sein. Selbst für die alte neue deutsche Rechtschreibung gibt es bis heute kein umfassendes elektronisches Programm, das den Ansprüchen von Zeitungs- und Zeitschriften genügen könnte. Was heißt...
Das zu diesem Punkt.
Wenden wir uns also der nächsten Welt – Behauptung zu: Als „ebenso unglaubwürdig“ bezeichnet Dankwart Guratzsch „die Angabe, dass Lagerbestände ‚ausgemustert’ werden müssten. In zahlreichen Verlagen sind heute sogar noch Lagerbestände in klassischer Rechtschreibung vorhanden. Sie könnten neu eingesetzt werden. Außerdem ist nie von einer Rückumstellung an einem Tag die Rede gewesen. Sehr viel wahrscheinlicher ist ein allmähliches ‚Herausschleichen’ aus der neuen Rechtschreibung. was... den überstürzten Neudruck von Schulbüchern unnötig machen würde.“
Aha. Wirklich? Aber nein. Erstens sind es nicht „zahlreiche Verlage“, in denen „noch Lagerbestände in klassischer Rechtschreibung vorhanden sind“. Das gilt nach meinen Recherchen nur für ein paar Verlage in Bayern, die bis vor kurzem noch 20 Jahre alte Schulbücher führten und absetzten; auch die werden zur Zeit ausgemustert. Und es stimmt zwar, dass die Schulbuchverlage nach Einführung der neuen Rechtschreibung für die offiziell lange Übergangsphase von neun Jahren eine Zeitlang eine beschränkte Anzahl Exemplare von Titeln am Lager hielten (und sie am Lager halten mussten): zu Zwecken der „Ausleihe“ – also des Austausches - im Fall von beschädigten Exemplaren bei Titeln, die in Schulen noch in Gebrauch waren. Auch das ist aber inzwischen passé. So sind auch in Stuttgart, wie Hannelore Ohle-Schmidt vom Klett Verlag sagt, vor kurzem sämtliche alten Lagerbestände “weggeworfen“ worden. Und selbst wenn dem nicht so wäre: Dass sie in Zukunft wieder, wie Dankwart Guratzsch behauptet, „neu eingesetzt werden könnten“, ist wahrlich eine mutige Behauptung. Denn seit die neue Rechtschreibung 1996 von den Kultusministern beschlossen und seit sie 1998 eingeführt wurde, hat sich - in den für Schulbüchern maßgeblichen - Bildungsprogrammen vieles verändert. Das alte Zeug ist inhaltlich weitgehend überholt und schlicht unbrauchbar.
Abgehakt.
Doch Die Welt führt ihre um Realitäten und Sachkenntnis unbekümmerte argumentative Engführung weiter fort:
„Noch viel unglaubwürdiger“, schreibt Dankwart Guratzsch, „ist es, wenn sich ausgerechnet deutsche Kultusminister nun plötzlich mit dem Kostenargument (der Verlage) solidarisieren. Denn es war gerade die Kultusministerkonferenz gewesen, die bei der Einführung der neuen Rechtschreibung die Kostenfrage in ihrer Dresdner Erklärung vom 25. 10. 1996 für unerheblich erklärt hatte: ‚Falsch ist der Vorwurf’, hieß es da, ‚dass durch die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung Kosten in Milliardenhöhe entstehen werden. Falsch zunächst einmal deshalb, weil es nicht stimmt, dass literarische Bücher neugedruckt werden müssen. Außerdem haben die Kultusminister bei ihrer Beschlussfassung im Dezember 1995 auch darauf geachtet, in dem Bereich, der tatsächlich betroffen ist, nämlich bei den Schulbüchern, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um Kosten zu sparen. Durch die neunjährige Übergangsfrist für die Neuregelung der Rechtschreibung können Schulbücher – mit Ausnahme der Rechtschreiblernmittel – weitgehend im normalen Erneuerungsprozess ersetzt werden.“
„Warum soll dasselbe nicht bei der Rückkehr zur klassischen Rechtschreibung gelten?“
Nun mal sachte. Der Reihe nach:
Erstens: Auch im literarischen Bereich mussten Bücher weithin neugedruckt werden , nämlich bei Kinder- und Jugendbüchern – weil viele Eltern es begreiflicherweise nicht hin nehmen wollten, dass hier eine von den Schulbüchern abweichende „alte“ Rechtschreibung gewahrt blieb. Eine Gesamtziffer der dadurch für die Kinder –und Jugendbuchverlage angefallenen Kosten ist mir nicht bekannt. Sie dürfte so unbeträchtlich nicht gewesen sein, wenn man deren jetzige starke Proteste gegen eine Umkehr in Erwägung zieht.
Zweitens: Die Kultusminister mögen ja am 25. Oktober 1996 erklärt haben, was sie wollten. Auch ihnen musste damals daran gelegen sein, die Folgekosten ihrer umstrittenen Politik für die Verlage generell und die Schulbuchverlage im besonderen herunter zu spielen. Im übrigen hatten sie von wirtschaftlichen Eigendynamiken so gut wie keine Ahnung.
Die Schulbücher sind, all ihren frommen Beteuerungen zum Trotz, dann eben nicht „weitgehend im normalen Erneuerungsturnus ersetzt“ worden. Einzelne, vor allem kleine Verlage (mit relativ geringen Titel- und Bestandszahlen) sind mit der neuen Rechtschreibung vorgeprescht, um sich Wettbewerbsvorteile gegenüber den Großen zu verschaffen. Das war ihr gutes Recht. Nur sahen die Großen sich dadurch gezwungen, schnell nachzuziehen. Zu einer für alle Schulbuchverlage verbindlichen Gleichzeitigkeit des Handelns hätte es, wie Michael Klett in der F.A.Z. kürzlich zu Recht bemerkte, einer kartellartigen Absprache aller Häuser bedurft – so etwas ist jedoch nun mal kartellrechtlich verboten. Und die von den Kultusministern 1996 in Abrede gestellten Kosten der neuen Rechtschreibung haben die Schulbuchverlage schließlich insgesamt mit 250 Millionen Euro belastet – auf die 1996 gültige deutsche Währung und Größenordnung umgerechnet: mit einer halben Milliarde Mark.
Die Schulbuchverlage haben es damals nicht an die große Glocke gehängt, weil sie mit den neuen Büchern schließlich auch eine Menge mehr Umsatz (und Gewinn) gemacht haben. Was übrigens auch die öffentliche Hand (die für Schule und Bildung zuständigen Bundesländer) – und damit die Steuerzahler – einen großen Batzen gekostet hat.
Die Kultusminister haben mittlerweile jedoch begriffen, was sie für ihre schöne Bescherung schlussendlich selber zu berappen hatten. Zudem sind die Zeiten andere geworden. Die Kassen der öffentlichen Hand sind leer. Von daher ist es, entgegen der Meinung von Dankwart Guratzch, absolut glaubwürdig, „wenn sich ausgerechnet deutsche Kultusminister nun plötzlich mit dem Kostenargument (der Verlage) solidarisieren“.
Die Kultusminister selber können sich nämlich die Kosten einer neuerlichen Rechtschreibumstellung einfach nicht leisten.
Betrachten wir, um es ganz deutlich zu machen, die ganze Chose aus ihrer Sicht noch mal in anderem Licht: Wenn die Kassen der Kultusministerien leer sind und sie wegen einer Rückkehr zur alten Rechtschreibung für die Schulen von neuem für die vielen neuen Bücher zu zahlen hätten, müssten sie notgedrungen bei den Schulen in anderen Bereichen, wo eigentlich längst nicht mehr gespart werden kann und darf, empfindliche Sparmaßnahmen ergreifen – ein öffentlicher Aufschrei wäre die Folge.
Dazu ein aufschlussreicher Nebenaspekt: Welche Kultusminister bzw. Ministerpräsidenten sprechen sich denn überhaupt klar für eine Rückkehr zur alten Rechtschreibung aus? Nur die von Niedersachsen und Saarland. Also ausgerechnet die Bundesländer, deren Kassen von solcher Reform der Reform nicht betroffen wären – weil es dort keine Lernmittelfreiheit gibt. Dort müssen für die Schulbücher ja die Eltern blechen...
Überlegungen zur Abschaffung der Lernmittelfreiheit gibt es auch anderswo wie zum Beispiel in Bayern. Aber würde das Problem damit etwa gelöst? Mag sein, für die öffentliche Hand; vielleicht. Es würde ja umgewälzt auf die Eltern, auf die nach einer Schätzung pro Schulkind neue Ausgaben von jährlich an die 250 Euro zukommen würden. Doch vielen Haushalten würde solch eine finanzielle Zusatzbelastung durchaus Schwierigkeiten machen.
Über eine mögliche, wenn nicht langfristig gar wahrscheinliche Konsequenz daraus für die Verlage scheint man in deren Chefetagen noch nicht im klaren. Da sollten sie doch nur mal einen Blick in die Vereinigten Staaten werfen, wo der Markt für College-Textbücher sich in den letzten Jahren drastisch gewandelt hat. Da läuft inzwischen – wie es in Deutschland Anfang der 1950er Jahre gang und gäbe war, ein privater Handel, mehr noch aber floriert inzwischen - vor allem über Internet – das Geschäft mit gebrauchten Schulbüchern; eine Art modernes Antiquariat. Inzwischen haben auch Amazon und Ebay in Deutschland gesehen, dass hier eine große Nachfrage besteht. Was durch so etwas an Umsatz- und Gewinneinbußen für Schulbuchverlage wie Buchhandlungen auch hier zu Lande entstehen könnte, sollte man sich in einer ruhigen Stunde mal versuchen auszumalen.
Eine persönliche Bemerkung zum Schluss: Ich habe die deutsche Rechtschreibreform von Anfang an für einen unverzeihlichen bürokratisch politischen Blödsinn gehalten. Sie jetzt ebenso order per mufti rundum wieder rückgängig zu machen, einfach so, empfände ich als ebenso schwachsinnig und verantwortungslos. Wir haben in Deutschland genügend wichtigere, drängendere Probleme, um hier, statt – wie etwa in der Schweiz – pragmatisch nach einer bestmöglichen Lösung dieses durchaus bestehenden (kleinen) Problems zu suchen - Fundamentalismus zu praktizieren. Und dabei sollte man sich auch von gewissen Zeitungen und Magazinen nicht beirren lassen, die – so könnte es einem jedenfalls vorkommen – auf dem Boulevard einen Macht- und Marketingkrieg um „die Lufthoheit über die Stammtische“ inszenieren.
Gerhard Beckmann sagt hier regelmäßig seine Meinung ... und freut sich über Antworten an GHA-Beckmann@t-online.de. Natürlich können Sie diese Kolumne auch im BuchMarkt-Forum diskutieren. Einfach oben auf der Seite [unter „Service“] den Button "Forum" anklicken, einloggen und los geht‘s. www.buchmarkt.de/forum/
BuchMarkt online vom 12. August 2004
www.buchmarkt.de/index.php?mod=subpage&page=13669 |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Donnerstag, 12. Aug. 2004 22:10 Titel: Der Griff nach dem Eszett |
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Der Griff nach dem Eszett
Wieder eine Rechnung ohne den Wirt
Gegen die undemokratische sozialistische Räteherrschaft
Die Überschrift „Wenn das sz in Marketinghände fällt“ ist verräterisch. Was stand da wohl ursprünglich in dem Aufsatz? Die neue ss-Regelung umfaßt 90 Prozent der Rechtschreibreform. Sie ist überflüssig wie ein Kropf, aber sie hilft den Verlagen und Medienkonzernen, Geschäfte zu machen. Die neue ss-Regelung diente lediglich als Füllmaterial, um überhaupt eine Reform nötig erscheinen zu lassen. Die ss-Regelung ist der Silikonbusen der Rechtschreibreform. Sie täuscht Qualität und Volumen vor, wo keines von beidem vorhanden ist.
Wenn das Eszett nun ganz wegfiele, dann wäre das eine weitere kostspielige Reform wieder über die Köpfe des Volkes und der Steuerzahler hinweg.
Was Gerhard Beckmann verschweigt: Die Rechtschreibprogramme enthalten alle die traditionelle Rechtschreibung und sind mit einem Mausklick umzustellen. Auch die Wörterbücher können weiterverwendet werden.
Daß neue Lehrpläne ohnehin einen Neudruck von Schulbüchern erfordern, müßte Herr Beckmann eigentlich wissen. In der Fernsehsendung „Was hält uns zusammen?“ in „Bayern alpha“ am 7. August um 22.30 Uhr ließ Annette Schavan die Lüge vom finanziellen Ruin der Schulbuchverlage durch die Rückkehr zur bewährten Orthographie unwidersprochen, obwohl sie doch für nächstes Schuljahr neue Lehrpläne in allen Schularten einführen läßt. Dafür müssen neue Lehr- und Lernmittel gedruckt werden unter dem üblichen Kostenaufwand. Das ist doch kein Ruin, sondern eine bleibende Einnahmequelle für die Verlage.
Außerdem ist die Lagerhaltung durch das Book-on-Demand-Verfahren heute ohnehin geringer als früher. Das Argument des Herausschleichens übergeht Beckmann geflissentlich. Das Herausschleichen ist auch deshalb so leicht möglich, weil die neue Rechtschreibung ohne die ss-Schreibung nur 0,5 Prozent des Wortschatzes umfaßt.
Siehe dazu auch oben: Warum der FAZ die Rückkehr zur traditionellen Orthographie leichtfiel - Über die kostengünstige Rücknahme der Rechtschreibreform – 28. Juli 2004.
Zu dem Artikel Beckmanns kann man kurz sagen: „Wes Brot ich eß, des Lied ich sing!“ Es handelt sich um einen Auftrag, einseitig für Stimmungsmache zu sorgen. Wer zahlt, schafft an.
Das Allerwichtigste wird von Beckmann übersehen, das die ganze Kostendiskussion überflüssig macht: Beim Beibehalten der Reform bliebe die Rechtschreibspaltung auch über den 1. August 2005 hinaus erhalten; denn es gibt kein Rechtschreibgesetz und damit keine Allgemeinverbindlichkeit. Damit aber bliebe das unerträgliche Durcheinander einer Beliebigkeitsschreibung erhalten. Das wäre auch dann der Fall, wenn man dem Kompromißvorschlag der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung einer nur teilweisen Rücknahme der Reform folgte. Denn die ss-Schreibung, die dann bleiben sollte, erstreckt sich auch nur auf die Schule, während der Großteil der Nation weiterhin das Eszett benützte. Des weiteren ist ja die ss-Schreibung fehlerträchtig und hat weitere Nachteile.
Beckmann macht die Rechnung wieder ohne die Leser, das Rechtschreibvolk und damit die Steuerzahler. Diese wollen nicht weiterhin als Melkkuh der Schulbuchverlage dienen. Es geht den Schulbuchverlagen nur um das Dauergeschäft durch permanente Rechtschreibreformen. Der von den Kultusministern ohne Befugnis geplante „Rat für deutsche Rechtschreibung“ würde solche permanenten Reformen durchführen. Deshalb muß diese unselige sozialistische Räteherrschaft abgeschafft werden. |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Donnerstag, 09. Sep. 2004 17:01 Titel: „nicht abzuschätzende Kosten“ |
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„nicht abzuschätzende Kosten“
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Mehrheit im Haushaltsausschuß gegen Rechtschreibreform
BONN, 14. Mai (AP). Im Haushaltsausschuß des Bundestages hat sich am Mittwoch eine Mehrheit dafür ausgesprochen, die umstrittene Rechtschreibreform zu stoppen. Die Abgeordneten unterstützten einen Antrag von CDU/CSU-, SPD- und FDP-Parlamentariern, der darauf zielt, der Kultusministerkonferenz die Kompetenz für die Reform der deutschen Schriftsprache abzusprechen
Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 111 vom 15. Mai 1997, S. 1
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Anmerkung:
Der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages wies die Rechtschreibreform wegen „nicht abzuschätzender Kosten“ mit 20 zu 9 Stimmen bei zwei Enthaltungen zurück.
Daraus ergibt sich, daß die Politiker ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben und somit gegen ihren Amtseid verstießen, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden.
Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege e.V. (VRS)
Aktion „Für die Einheit der Orthographie!“
Initiative gegen die Rechtschreibreform
Vereinskonto: HypoVereinsbank Nürnberg,
BLZ 760 200 70, Konto-Nr. 2370 166 016
Zuletzt bearbeitet von Manfred Riebe am Samstag, 11. Sep. 2004 22:53, insgesamt 3mal bearbeitet |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Donnerstag, 09. Sep. 2004 17:17 Titel: Warnung vor zu hohen Folgekosten |
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Rechnungshof: Schreibreform wird zu teuer
Warnung vor zu hohen Folgekosten
Die Kritik ist grundsätzlicher Art:
Die Exekutive darf die Rechtschreibreform nicht beschließen.
Von Rainer Rheude
Hannover/Hildesheim. Ungewöhnlich scharf hat der Landesrechnungshof in Hildesheim die geplante Rechtschreibreform und zugleich die Landesregierung kritisiert. In einer der NWZ exklusiv vorliegenden vertraulichen Stellungnahme wird eindringlich davor gewarnt, die Folgekosten der Reform zu unterschätzen.
Das Land könne die gleichzeitige Umstellung aller Lernmittel, von der Fibel bis zum
Physikbuch, zur Zeit nicht finanzieren und wolle dies offenbar auch nicht; würden die Schulbücher nach und nach umgestellt, dann würden Schüler möglicherweise während ihrer gesamten Schulzeit abwechselnd mit der neuen und der alten Rechtschreibung konfrontiert.
Auch haushaltsrechtlich hat der Landesrechungshof erhebliche Bedenken. Sowohl nach dem Haushaltsgrundsätzegesetz als auch nach der Niedersächsischen Verfassung sei die Exekutive überhaupt nicht befugt, Maßnahmen mit derart erheblichen Kostenfolgen, wie sie die Rechtschreibreform „unverkennbar“ mit sich bringe, zu beschließen und einzuleiten.
Siehe Seite 2, Kommentar
Nordwest-Zeitung vom 6. Juni 1997, S. 1
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Drei Begründungen gegen Rechtschreibreform
Der Landesrechnungshof hat sowohl ökonomische als auch pädagogische Vorbehalte
Von Rainer Rheude
Hannover/Hildesheim.
Die massiven Bedenken des Landesrechnungshofes in Hildesheim gegen die geplante Rechtschreibreform sind in drei Argumentationsstränge aufgeteilt. Zum einen kommt der Rechnungshof in seiner vertraulichen Stellungnahme zu dem Schluß, daß die Exekutive ohne haushaltsrechtliche Ermächtigung (durch den Landtag - Anm. der Red.) überhaupt nicht befugt sei, die Rechtschreibreform einzuleiten, „ohne sich über den damit verbundenen Aufwand und die sonstigen wirtschaftlichen Folgen auch nur ein Bild gemacht zu haben.“ Die Reform bringe unverkennbar erhebliche Kosten mit sich.
Zum zweiten läßt der Rechnungshof keinen Zweifel daran, daß sich das Land eine
gleichzeitige Umstellung aller Schulbücher auf die neue Rechtschreibung zur Zeit nicht leisten könne. Er fordert die Landesregierung deshalb auf, den finanziellen Aufwand und die volkswirtschaftlichen Folgekosten, die mit der Einführung der neuen Rechtschreibung für das Land verbunden sind, zu untersuchen.
In der dritten Argumentationsschiene mischen sich pädagogische und ökonomische Begründungen: Eine nur sukzessive Umstellung der Schulbücher auf die neue Rechtschreibung und die damit zwangsläufig verbundene Folge, daß die Schüler über lange Zeit sowohl mit den alten wie auch mit den neuen Regeln arbeiten müßten, „dürfte nach allen Erkenntnissen der pädagogischen Wissenschaften kaum zu verantworten sein.“ Welche volkswirtschaftlichen Auswirkungen es habe, „wenn eine ganze Schülergeneration mit zwei verschiedenen Schreibweisen verunsichert wird, bedarf näherer Untersuchung“.
Der Niedersächsische Rechnungshof ist der erste Rechnungshof in der Bundesrepublik, der sich zu den Kosten der Rechtschreibreform geäußert hat.
Nordwest-Zeitung vom 6. Juni 1997, S. 2
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Rechnungshof rügt Schreibreform
Schluß mit dem Unsinn!
Von Rainer Rheude
Das Argument, daß durch die Rechtschreibreform auch hohe Folgekosten entstehen, ist nicht neu. Die Reformgegner haben es von Anfang an ins Feld geführt. Nun können sie sich auf einen neuen Verbündeten berufen, dessen Autorität in Finanzdingen unbestritten sein dürfte: den Landesrechnungshof.
In einer in Diktion und Argumentation ungewöhnlichen Stellungnahme formuliert der Rechnungshof mehr als nur Vorbehalte gegen die Reform. Trotz der bemüht neutralen Formulierungen schimmert in fast jedem Satz die wahre Auffassung des Verfassers oder der Verfasserin durch: Laßt den Unsinn mit der Reform!
Seine [Ihre, MR] politische Brisanz bekommt die Stellungnahme aber vor allem durch die indirekte Aufforderung an die Politiker, sich um die Rechtschreibreform zu kümmern, weil die „Exekutive nicht befugt sein dürfte, ohne haushaltsrechtliche Ermächtigung Maßnahmen mit so erheblichen Kostenfolgen zu beschließen ...“ Diesen Wink mit dem Zaunpfahl kann wohl keiner mehr übersehen.
Nordwest-Zeitung vom 6. Juni 1997, S. 2
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Anmerkungen:
Daraus ergibt sich, daß die Politiker ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben und somit sowohl gegen das Haushaltsgrundsätzegesetz als auch gegen die Niedersächsische Verfassung verstießen und ihren Amtseid verletzten, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden.
Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege e.V. (VRS)
Aktion „Für die Einheit der Orthographie!“
Initiative gegen die Rechtschreibreform
Vereinskonto: HypoVereinsbank Nürnberg,
BLZ 760 200 70, Konto-Nr. 2370 166 016 |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Mittwoch, 15. Sep. 2004 07:33 Titel: Schulbuchverlage lügen |
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„Was die Schulbuchverlage behaupten, ist gelogen“
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Reglementierungen bremsen das Denken
Die Frage der Rechtschreibreform bewegt auch den Verleger KD Wolff
Von Jan Süselbeck
Nichts beschäftigt die Deutschen derzeit mehr als ihre Sprache. Die Frage der Rechtschreibreform bewegt die Gemüter anscheinend mehr als Hartz IV und der Sozialabbau. KD Wolff ist Verleger. 1970 gründete er den Verlag Roter Stern in Frankfurt am Main. Er verlegte die Werkausgabe Friedrich Hölderlins und Klaus Theweleits „Männerphantasien“. Seit dem Konkurs im Jahre 1993 und der Gründung der Stroemfeld-Fördergesellschaft erschien im Verlag u. a. die Faksimile-Edition von Franz Kafkas „Process“. Mit KD Wolff sprach Jan Süselbeck.
Süselbeck: Der Spiegel und der Springer-Konzern haben angekündigt, zur alten Rechtschreibung zurückzukehren. Schreibt demnächst jeder, wie er will?
KD Wolff: Die Frage ist doch, ob jemand, der schreibt, überhaupt weiß, was er will.
Süselbeck: Eins der Hauptargumente, die angeführt werden, um die Rechtschreibreform beizubehalten, ist der Hinweis auf die drohende Verwirrung der Schulkinder.
KD Wolff: Die Kinder und verwirrt, das ist ja lächerlich! Die sind immer noch die Vernünftigsten. Aber die Frage ist doch, wie Rechtschreibung überhaupt entsteht. Anscheinend kann sich in Deutschland überhaupt niemand mehr vorstellen, dass die Sprache nicht staatlich reglementiert werden muss. Die Funktion des Duden wird in der aktuellen Debatte glatt zurechtgelogen. Der Duden war ja gar kein staatliches Projekt, sondern schlug lediglich Regeln vor, die erst später staatlich sanktioniert wurden.
Süselbeck: Nach welchen Regeln schreiben Sie selbst?
KD Wolff: Ich selbst habe für mich das „ß“ abgeschafft. Das wollte ich schon immer. Wir sind ja auch ein Schweizer Verlag, und in der Schweiz wird bekanntlich schon seit 1900 kein „ß“ mehr geschrieben.
Süselbeck: Stört Sie überhaupt etwas an der neuen Rechtschreibung?
KD Wolff: Offensichtlich gibt es eine Art Privatetymologie der Ministerien. Es ist ja z. B. gar nicht ausgemacht, dass „gräulich“ tatsächlich von „Grauen“ hergeleitet ist. Da gibt es auch ganz andere etymologische Thesen. Das wird jetzt aber einfach unterstellt.
Mit willkürlichen Reglementierungen haben übrigens die sprachinteressierten deutschen Schriftsteller der letzten zweihundert Jahre schon immer zu kämpfen gehabt. Als Hölderlin angefangen hat, Sophokles zu übersetzen, haben sich die Klassiker in Weimar gekugelt vor Lachen. Johann Wolfgang Goethe und Friedrich Schiller reagierten mit Spottversen, weil Hölderlin versuchte, wörtlich aus dem Griechischen zu übersetzen, um die Logik dieser Sprache zu erfassen. Damals konnte sich niemand vorstellen, dass man so (z. B. „wütendrothe Wolken“) übersetzen darf. Aber wenn Sie heute die Hölderlin’sche Sophokles-Übersetzung lesen, dann stellen Sie fest, dass es die lebendigste Übertragung ist, die es im deutschsprachigen Bereich je gegeben hat. Hölderlins Bemühung führte dazu, dass das Deutsche etwas dazulernte.
Süselbeck: Reglementierungen behindern also die sprachliche Weiterentwicklung?
KD Wolff: Ja. Sie bremsen das Denken. Nehmen Sie nur das Lieblingsbeispiel der heutigen Reformbefürworter: Frankreich. Tatsächlich haben die Maßregelungen der Académie Française der französichen Sprache seit Louis XIV gar nicht gut getan. Das hat dann später dazu geführt, dass Leute wie Ferdinand Céline absolut außerhalb der französischen Kulturwelt standen.
Süselbeck: Sie freuen sich über das Durcheinander in der deutschen Rechtschreibung?
KD Wolff: Ja, und ich bin ganz sicher, dass es weder vor noch zurück gehen wird. Es entsteht eine neue Unsicherheit. Daraus kann eigentlich nur Gutes folgen.
Süselbeck: Der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer AG, Mathias Döpfner, sagte, die Zeitungen seines Konzerns gäben den Menschen nun wieder die Chance, die „Schreibweise zu lesen, in der fast neunzig Prozent der deutschsprachigen Literatur vorliegt“. Und was ist mit Martin Luther, Jacob Grimm ...
KD Wolff: ... und dem „Simplicissimus“? Die ganze deutschsprachige Dichtung bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ist doch sehr vielfältig. Von einheitlichen Regeln hatte bis dahin niemand auch nur geträumt. Und die erste Rechtschreibreform ab 1880 kam auch nur in Gang, weil das Deutsche Reich entstanden war und man plötzlich dachte: „Jetzt müssen wir mal die Sprache der deutschen Stämme vereinheitlichen.“
Süselbeck: Die ersten Regelungen zu einer verbindlichen deutschen Rechtschreibung waren die Folge eines nationalistischen Projekts?
KD Wolff: Absolut. Eben eine Folge der „kleindeutschen“ Lösung!
Süselbeck: Auffällig ist, dass die Kritik an der neuen Rechtschreibung größtenteils aus konservativen Kreisen kommt. Wieso wollen diese jetzt zurück zur alten Schreibweise?
KD Wolff: Es wundert mich ehrlich gesagt sehr, dass die Leute, die jetzt zur alten Rechtschreibung zurück wollen, dies meist kulturkonservativ begründen. Es gibt ja auch andere Wege der Reformkritik. Klaus Theweleit hat gleich zu Anfang der Umstellung gesagt, eine wirkliche Reform der deutschen Rechtschreibung müsse zu den Gebrüdern Grimm zurückkehren und die Kleinschreibung einführen. Alles andere sei Kokolores.
Süselbeck: Schulbuchverlage befürchten im Fall der offiziellen Rückkehr zur alten Rechtschreibung Einbußen in Höhe von 250 Millionen Euro. Welche Konsequenzen hat das derzeitige Durcheinander für Ihren Verlag?
KD Wolff: Für uns ist es interessant, weil den Leuten plötzlich auffällt, dass unsere historisch-kritischen Editionen die originalen Schreibweisen der Autoren wiedergeben. Dass Hölderlin „Hitze“ mit zwei „z“ schrieb, das drückt etwas aus. Die getreue Wiedergabe der historischen Texte tut dem Lesen gut und dient dem Denken.
Süselbeck: Würde die Rücknahme der Reform für Ihren Verlag keine finanziellen Einbußen bedeuten?
KD Wolff: Das, was die Schulbuchverlage da behaupten, ist ja glatt gelogen. Niemand glaubt im Ernst, dass jetzt neue Schulbücher nötig werden. Die jetzigen werden in fünf, sechs Jahren kaputtgehen, und dann werden sie weggeschmissen. Wenn dann wieder neue gedruckt werden müssen, werden die eben gemäß der Rechtschreibneuerungen produziert. Ob diese Neuerungen nun wirklich beschlossen werden, ist aber die Frage. Es braucht niemand zu befürchten, da würden jetzt irgendwelche Bücher eingestampft. Das könnte den Schulbuchverlagen so passen! Schließlich würden ihnen dann 250 Millionen Euro nachgeschmissen.
Süselbeck: Wie geht es denn nun weiter?
KD Wolff: Der Prozess der Egalisierung, den diese so genannte Reform betrieben hat, ist durch die kulturkonservativen Angriffe gestoppt worden. Sie wird nicht mehr stattfinden. Was ich wirklich schon sehr drollig finde, ist der Drive, mit dem die F.A.Z., Bild usw. das machen. Die tun ja fast so, als wollten sie zum Putsch aufrufen. Man hat das Gefühl, hier wird ein Ersatzmachtkampf geführt. Ganz so, wie die Bild-Zeitung versucht hat, zu bestimmen, dass „König Otto“ Nationaltrainer werden müsse.
Süselbeck: Man bekommt den Eindruck, die Medien schenken der Debatte um die Rechtschreibreform oftmals mehr Aufmerksamkeit als den Demonstrationen gegen die Sozialreform. Steckt dahinter ein Kalkül?
KD Wolff: Ja, und zwar gerade weil es die Verantwortlichen nichts kostet. Da kann man so tun, als ob man gegen die Macht opponiere, und es hat keinerlei Auswirkungen auf einen selbst. Man kann seine ideologische Sauce über die deutsche Geschichte kippen. Doch faktisch ändert sich im Lande gar nichts. So lenkt man von den gesellschaftlichen Problemen, die es sonst noch gibt, ab.
literaturkritik.de » Nr. 9, September 2004 » Debatte: Rechtschreibreform
www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=7379&ausgabe=200409
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www.literaturkritik.de/public/mails/leserbriefe.php
Anmerkungen:
Stroemfeld Verlag Buchversand GmbH
Verleger Karl Dietrich Wolff
Holzhausenstr.4
60322 Frankfurt
Tel. (069) 955226-0, Fax 955226-24
Kurt Reumann: Buch und Barrikade. Aus dem Organisator der Studentenrevolte KD Wolff ist ein Gralshüter des Dichterworts geworden. In: FAZ vom 29. Januar 2001, S. 8 |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Samstag, 02. Okt. 2004 20:41 Titel: Welchen Nutzen hat die Rechtschreibreform? |
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Welchen Nutzen hat die Rechtschreibreform?
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Man muß sich bei Änderungen immer fragen:
Ist es notwendig? Und warum?
Welchen Nutzen habe ich davon??
Spätestens nach Einführung und der ersten Testphase muß man den Mut haben einen Schwachsinn zu eliminieren, wenn man erkennen muß, daß alles "Kokolores" war und außer Spesen nichts gewesen ist.
Die Rechtschreibreform war weder notwendig, noch hat sie irgend einen Nutzen erbracht oder etwas erwirkt.
Für dieses verpulverte Geld hätte man besser die Goethe-Institute unterstützt und nicht wegen Geldmangel weiter abgebaut.
Die Goethe-Institute haben Deutschland politisch, wirtschaftlich, ethnisch etc. mehr gebracht als irgend ein sprachwissenschaftlicher Theorie-Germane.
Letztendlich war die Rechtschreibreform eine ABM für solche Individuen, die nichts erbringen und nur Kosten verursachen.
smokey joe
Mittwoch, 04. August 2004 - 20:48 Uhr
www5.augsburger-allgemeine.de/discus/messages/8/106.html?1074639546 |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Donnerstag, 07. Okt. 2004 23:22 Titel: Kosten von 50 Milliarden Euro |
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Kosten von 50 Milliarden Euro erscheinen nicht übertrieben
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Briefe an die Herausgeber
Desaster der KMK
Zum Artikel „Ohne Sekretariat“ von Heike Schmoll (F.A.Z. vom 5. Oktober): Die Reformer haben einseitig schreibschwache Schüler (und Lehrer) im Auge, sie übersehen unter anderem den juristischen Aufwand bei Rechtschreibvereinheitlichung: Bei unzähligen Rechtsvorschriften müßte geprüft werden, inwiefern die Neuschreibung zur Sinnveränderung führt. Zumeist müßte die Gesetzesmaschinerie in Bewegung gesetzt werden mit einer Riesenbelastung von Ministerien, Bundestag, Bundesrat (mit Länderparlamenten) und Bundespräsident, der das Plazet für die Gesetzesverkündung (Gesetzblattveröffentlichung) gibt. Schon der Bundespräsident bräuchte tausend Augen und Hände. Eine Kostenschätzung von 50 Milliarden Euro erscheint nicht übertrieben. Daß bestimmte Verlage einen Dukatenesel erhielten, steht auf einem anderen Blatt. Dagegen wäre der Schulbuchaufwand bei Reformrücknahme eine Winzigkeit. Das Desaster der KMK ist verbunden mit Schönfärberei, die einer alten parteiübergreifenden Sichtweise folgen, die nicht nur für die Rechtschreibreform bezeichnend ist. Zu erwähnen sind auch die KMK-Prognosen, die die statistische Realität trotz aller Kritik stets weit übersteigen: Sie gaben Material für kultusministerielle Argumente, die ebenso unglaubwürdig waren, wie dies heute bei der Rechtschreibreform der Fall ist.
Professor Dr. Wilhelm Strobel, Hamburg
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 235 vom 8. Oktober 2004, S. 9
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Anmerkungen:
Professor Dr. Wilhelm Strobel ist emeritierter Professor für Revisons- und Treuhandwesen der Universität Hamburg. Er war somit tätig im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften am Seminar für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und am Seminar für Wirtschaftsprüfung und Steuerwesen. Er begleitete das Gutachten von Prof. Dr. Lothar Streitferdt im Auftrag der Parteienfinanzierungskommission des Bundespräsidenten:
Vorschläge zur Rechnungslegung der Parteien und Prüfung ihrer Rechenschaftsberichte aus betriebwirtschaftlicher Sicht, Hamburg, Mai 2001
www.bundespraesident.de/Downloads/Gutachten_Streitferdt.pdf
- Strobel, Wilhelm: Alle Rechenschaftsberichte sind unstimmig. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22. März 2000, S. 6.
- Strobel, Wilhelm: Parteiübergreifend befolgte Verfälschungsrezepte. Auch bei der Rechenschaftspraxis der SPD gibt es Transparenzdefizite. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 152 vom 4. Juli 2000, S. 15. (mit Einblick in den SPD-Pressekonzern)
- Freidank, Carl-Christian (Hrsg.): Die deutsche Rechnungslegung und Wirtschaftsprüfung im Umbruch: Festschrift für Wilhelm Theodor Strobel zum 70. Geburtstag, München: Vahlen, 2001. ISBN 3 8006 2588 1 (Prof. Dr. Carl-Christian Freidank ist Inhaber des Lehrstuhls für Revisions- und Treuhandwesen der Universität Hamburg.)
Zuletzt bearbeitet von Manfred Riebe am Sonntag, 10. Okt. 2004 13:58, insgesamt 2mal bearbeitet |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Samstag, 09. Okt. 2004 14:07 Titel: HANDELSBLATT: Kosten der Rechtschreibreform |
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HANDELSBLATT: Kosten der Rechtschreibreform
Der folgende Aufsatz zweier Finanzwissenschaftler ist etwas Neues. Denn bisher haben sich weder Politiker noch Wissenschaftler um die Kosten der Rechtschreibreform gekümmert, nicht einmal die Politiker, die doch eigentlich haushaltsrechtlich dazu verpflichtet wären! Haushaltsausschüsse und Rechnungshöfe des Bundes und der Länder und auch der Bund der Steuerzahler haben sich bisher pflichtwidrig um die Aufgabe gedrückt, die Kosten der Reform als Planungsgrundlage zu ermitteln.
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Was die Rechtschreibreform kostet
Jede Sprachregelung ist eine Konvention - deshalb lässt sie sich nur schwer ändern
Es ist ökonomisch erklärbar, dass die meisten Deutschen die neuen Rechtschreibregeln ignorieren: Der Saldo aus Nutzen und Kosten einer Umstellung fällt in der Regel negativ aus. Paradoxerweise würde er erst dann positiv, wenn sich eine große Mehrheit schon umgestellt hätte.
Von Manfred Tietzel und Christian Müller
Auch Jahre nach ihrer Verabschiedung ist die Reform der deutschen Rechtschreibung immer noch in aller Munde. Zwar werden die neuen Regeln bereits seit 1998 in den Schulen gelehrt. Auf die Schreibungen anderer hat sich die Umstellung bislang aber kaum ausgewirkt. Nach einer repräsentativen Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach halten sich nur 13 % der Bevölkerung an die neuen Regeln; 64 % sehen keinen Grund, auf die neuen Schreibungen umzusteigen.
Was geht dieses Thema die Ökonomen an? Zur Beantwortung zweier Fragen können sie jedenfalls einiges - bisher nicht Gesagtes - beitragen. Erstens: Wovon hängt es ab, ob sich Regeln über die Gestalt, die Bedeutung und zulässigen Verknüpfungen sprachlicher Zeichen in einer Gesellschaft durchsetzen? Und zweitens: Worin bestehen die volkswirtschaftlichen Kosten einer solchen Schreibumstellung, und wem nützt die Rechtschreibreform?
Abgesehen von Ästhetik und Tradition unserer Sprache, könnte es uns gleichgültig sein, wie wir schreiben oder sprechen. Jede Sprache stellt eine Menge von Konventionen über die Gestalt und die Bedeutung (Semantik) von Schriftzeichen und ihre Verknüpfung (Grammatik) dar, und keines dieser Regelwerke ist von vornherein besser oder schlechter als ein anderes. Konventionen sind explizite Lösungen von Koordinationsproblemen, die uns vor die Wahl stellen, uns für eine aus einer Mehrzahl möglicher Lösungen zu entscheiden, von denen keine strikt vorzugswürdig erscheint. Vieles von dem, was uns auf den ersten Blick als drastischer Unterschied in den Kulturen verschiedener Völker erscheinen mag, stellt sich bei näherer Betrachtung lediglich als unterschiedliche Lösung von Koordinationsproblemen heraus. So ist es etwa abhängig von dem Land, in dem man sich aufhält, ob das geräuschvolle Einnehmen einer Mahlzeit als ungewöhnliche Frechheit oder als besondere Form der Höflichkeit gegenüber einem Gastgeber betrachtet wird.
Die Bindungswirkung vieler Regeln des sozialen Verhaltens oder der Etikette besteht darin, dass sie in ihrem jeweiligen Kulturkreis allseits als „Lösungen“ eines zu Grunde liegenden Koordinationsproblems anerkannt sind: Jeder erwartet, dass jeder andere sich daran hält. Mehrdeutigkeiten in Bezug auf das Verhalten der anderen und auf deren Erwartungen über unser Verhalten schaffen hingegen ein Koordinationsproblem. Nicht anders verhält es sich mit der Rechtschreibreform: Ob wir die neuen Regeln anwenden oder nicht, könnte uns - abgesehen von ästhetisch-kulturellen Aspekten - so gleichgültig sein wie die Frage, ob wir im Straßenverkehr rechts oder links fahren. Wichtig für ein gesellschaftlich wünschenswertes Koordinationsergebnis ist lediglich, dass wir alle in der gleichen Weise verfahren.
Eine Konvention befolgt man nicht deshalb, weil man sie für die beste mögliche Lösung eines Koordinationsproblems hält, sondern weil man erwartet, dass sie von allen anderen befolgt wird. In diesem Sinne ist eine Konvention „selbstdurchsetzend“: Ist sie erst einmal in Kraft, hat niemand einen Anreiz, von dieser Lösung abzuweichen. Es ist diese Erwartung einer lang anhaltenden Geltung der Konvention, die die Hitze der Argumentation zu erklären vermag, die auch die Auseinandersetzung um die Rechtschreibreform prägt.
Die neue Rechtschreibung wird sich nur dann zu einer Konvention verfestigen, wenn eine hinreichend große Zahl der Sprachanwender sich für sie entscheidet, also für die große Mehrheit der Schreibenden die individuellen Nutzen eines Umstiegs seine individuellen Kosten übersteigen. Als zentrale Nutzenkomponente führen die Reformer an, die Schreibreform mache die Rechtschreibung einfacher und konsistenter.
Freilich lehnen nach Umfragen drei Viertel der Deutschen die Rechtschreibreform ab. Das hat Gründe: Sie müssen wesentliche Teile ihres bisherigen Humankapitals abschreiben, neues Wissen ausbilden und hohe Kosten für die Umstellung von Büchern oder Computerprogrammen auf sich nehmen. Den geringen Nutzen aus der - überdies fraglichen Schreibvereinfachung stehen also hohe Kosten gegenüber.
Individuell muss der Saldo aus Nutzen und Kosten indes keineswegs negativ sein. Selbst dann nämlich, wenn ein einzelner Schreibender keinen Vereinfachungs- und Konsistenzvorteil in der Rechtschreibreform zu erkennen vermag, kann es für ihn rational sein, sich nach den neuen Schreibungen zu richten. Denn sein Nutzen einer Umstellung ist auch davon abhängig, wie viele andere Gesellschaftsmitglieder sich an die reformierten Regeln halten.
Wenn sich nur wenige andere Schreiber nach den neuen Regeln richten, so wird der Einzelne auch keinen Grund sehen, seine eigene Schreibung anzupassen. Je mehr andere Personen jedoch reformgemäß schreiben, desto größer ist auch der Anreiz, sich selbst in diesem Sinne zu verhalten. Es ist plausibel anzunehmen, dass es irgendeinen Schwellenwert gibt, ab dem eine Person die Anwendung der neuen Regeln selbst dann für nutzbringend hält, wenn sie die neuen Schreibungen im Vergleich mit der bisherigen Orthografie für minderwertig oder wenigstens nicht besser hält.
Wo aber liegt der Schwellenwert, oberhalb dessen die Rechtschreibreform sich zu einer selbstdurchsetzenden Konvention verfestigt? Unterstellt man, dass ein durchschnittlicher Deutscher keinen nennenswerten Vereinfachungsnutzen aus der Rechtschreibreform zieht, er aber aus einer Umstellung der eigenen Schreibung positiven (Brutto-) Nutzen ziehen würde, wenn mindestens die Hälfte aller Schreibenden die neuen Regeln beachtet, so wird der Nettonutzen einer Schreibumstellung - angesichts der damit verbundenen Umstiegskosten - für jeden Einzelnen erst dann positiv, wenn weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung reformgemäß schreibt. Je nach Höhe der im Einzelnen empfundenen Nutzen und Kosten der Schreibumstellung werden manche schon dann zu den neuen Schreibungen wechseln, wenn bereits 60 % der Bevölkerung umgestiegen sind, andere wohl erst, wenn 80 % oder noch mehr Mitbürger den neuen Schreibungen folgen.
Genau in dieser Kosten-Nutzen- Abwägung der Schreibenden liegt das Problem der Rechtschreibreformer. Soll die große Mehrheit der Bevölkerung zu den neuen Regeln bekehrt werden, so muss für jede einzelne Person aus dieser Mehrheit der Umstieg rational, der Saldo aus individuellen Umstellungsnutzen und -kosten also positiv sein. Dieser Saldo ist aber nur dann für jeden Einzelnen positiv, wenn die große Mehrheit der Bevölkerung bereits umgestiegen ist. Paradox formuliert muss die Rechtschreibreform, um selbstdurchsetzend zu werden, schon durchgesetzt worden sein.
Um neue Rechtschreibkonventionen zu begründen, müssten die Reformbefürworter daher dafür sorgen, dass sich der Anteil der Bevölkerung, der nach den neuen Regeln schreibt, innerhalb kürzester Zeit so stark erhöht, dass die Anwendung dieser Regeln für sehr viele Menschen individuell rational wird. Erst wenn dieser Schwellenwert überwunden ist, beginnt der Prozess der Regelverbreitung sich zu verselbstständigen und gegen das andere Extrem, die allgemeine Verwendung der reformgemäßen Schreibungen, zu konvergieren.
Dabei stoßen die Schreibreformer auf das zusätzliche Problem, dass die Anreize zu regelkonformem Verhalten bei einer Schriftkonvention ohnehin gering sind. Konventionsverletzungen auf der Straße können Leib und Leben kosten. Wer hingegen auch weiterhin nach den alten Regeln schreibt, gilt schlimmstenfalls als altmodisch oder konservativ. Auch deshalb ist eine vollständige Selbstdurchsetzung bei der Rechtschreibreform weit weniger zu erwarten als bei anderen Konventionen.
Aus eigener Kraft würden die Reformer ihr Ziel, den Anteil der reformgemäß Schreibenden an der Gesamtbevölkerung binnen kürzester Zeit über den konventionsbildenden kritischen Schwellenwert anzuheben, wohl nie erreichen. Selbst eine Aufnahme der neuen Schreibungen in die einschlägigen Wörterbücher hätte wohl nicht ausgereicht, um einen Anstoß in Richtung auf die von ihren Verfassern gewünschte Konvention zu geben. Auf diese Weise wäre es den heutigen Rechtschreibreformern kaum anders gegangen als dem Verfasser des „Verdeutschungs-Wörterbuchs“ von 1886, aus welchem sich nur zwei Vorschläge durchsetzten: Statt „Perron“ sagen wir heute „Bahnsteig“ und statt „Trottoir“ „Bürgersteig“, aber bei Rückenbeschwerden hilft uns nicht etwa ein „Knetheilkünstler“, sondern immer noch ein „Masseur“. Hier gilt wohl, was Johann Heinrich Voß schon 1794 formulierte: „Neue Wörter, deucht mich, müssen sich selbst wie alte Bekannte, die man nur lange nicht gesehen, einführen und durch ihre auffallende Geschicklichkeit und Anmuth das Herz gewinnen.“
Um ihr Ziel durchzusetzen, bedürfen die Reformer der Hilfe des Staates und des Einsatzes seines Zwangsinstrumentariums. Die Anwendung staatlichen Zwangs zur Setzung einer neuer Konvention ist in der Geschichte nicht ohne Beispiel. So setzten beispielsweise während der vergangenen Jahrzehnte viele Länder zwangsweise die Verwendung von Maßeinheiten des metrischen oder des Dezimalsystems durch.
Ein wahres Laboratorium für Versuche, neue Konventionen durch Staatseingriff zu begründen, war Frankreich zur Zeit der Revolution. Während des „revolutionären Terrors“ 1793 bis 1794 wurde auf Dekret der Zentralregierung das Französische zur landesweit allein verbindlichen Sprache erklärt. Mehrere große Sprachminoritäten waren hierdurch bedroht. Die Nationalversammlung verfügte, dass nur französischsprachige Anwärter zu Offizieren ernannt werden konnten und dass Französisch die alleinige Sprache in Rechtsdokumenten zu sein habe. Im Elsass und im katalanischsprachigen Roussillon wurden alle nicht-französischen Publikationen verboten, anderssprachiges Personal entlassen und Pläne für eine zwangsweise Umsiedlung der Bevölkerung geschmiedet. Als Begründung für diese Sprachpolitik führte man die zweite der drei großen Forderungen der Französischen Revolution, jene nach „Gleichheit“, an. Alle Bürger müssten gleichermaßen in der Lage sein, die Gesetze zu verstehen.
Einer der Protagonisten der Sprachreform, der Jakobiner Bertrand Bar*re, der ein Mitglied des Wohlfahrtsausschusses war, begründete diese Forderung 1794 auch mit der angeblich subversiven Wirkung fremder Sprachen: „Föderalismus und Aberglaube sprechen bretonisch, Auswanderung und Republikhass sprechen deutsch, die Konterrevolution spricht italienisch, und der Fanatismus spricht baskisch.“
Im Vergleich zu diesem historischen Beispiel sind die Zwangsmittel, die der deutsche Staat zur Einführung der Rechtschreibreform anwendet, deutlich moderater. Laut Anordnung der Kultusminister sind die zunächst noch zulässigen bisherigen Schreibungen während der „Übergangszeit“ in den Schulen als Fehler anzustreichen. Dieser Eingriff manipuliert die Anreize für Schüler so, dass der Nutzen eines jeden Schülers aus der Beachtung der Neuregelungen unabhängig vom Anteil der Gesamtbevölkerung, der diese Regelungen beachtet, positiv wird. Spezifische Umstellungskosten von den alten auf die neuen Regelungen fallen für Schüler ohnedies nicht an, da sie in der Schule entsprechendes Humankapital erst bilden müssen. Da sie die alten Schreibungen noch nicht beherrschen, mag es ihnen gleichgültig sein, ob sie ihre Ausbildungszeit in die Erlernung der alten oder der neuen Schreibungen investieren.
Doch nur für die Schule, nicht für das Leben lernen die Schüler die neue Orthografie, solange in allen außerschulischen Lebensbereichen weiterhin die alten Schreibungen vorherrschen. Es dürfte Jahrzehnte dauern, bis der Bevölkerungsanteil der nachwachsenden Schülergenerationen, die nach den neuen Regeln unterrichtet wurden, den Schwellenwert erreicht hat, ab dem die reformierten Schreibungen selbstdurchsetzend werden und auch jene auf die reformgemäßen Schreibungen umsteigen, welche die Schreibreform ablehnen Auch eine denkbare Zwangsverpflichtung aller Staatsbediensteten, in dienstlichen Angelegenheiten die neuen Schreibungen zu verwenden, würde diesen Prozess wohl kaum erheblich beschleunigen. Auf lange Sicht immerhin hätten die Schreibreformer den Kampf um die Orthografie gewonnen.
Staatlicher Zwang ist indes kein Erfolgsgarant für die Setzung einer neuen Konvention. Auf dem Höhepunkt der Französischen Revolution verordnete die Nationalversammlung nicht nur die Verwendung des metrischen Systems, sondern auch die Einführung eines auf dem Dezimalsystem beruhenden Kalenders und dezimaler Zeiteinheiten. Während sich metrische Einheiten als Maßgrößen in fast allen Teilen der Welt durchsetzten, scheiterte die Verbreitung dezimaler Zeitmessungen und Kalender auf der ganzen Linie.
Auch die neue deutsche Rechtschreibung ist noch lange nicht über den Berg. Je länger die Schule den Kindern nicht mehr so zu schreiben beibringt, wie sie es in ihrem Elternhaus, in Zeitungen und Werken der Literatur antreffen, wird der Druck auf die Reformer wachsen, ihre Reformanliegen zu legitimieren. Auch wird offenbar werden, dass es beim Festhalten an der Schreibreform eine einheitliche deutsche Rechtschreibung auf sehr lange
Sicht nicht mehr geben wird. Je beliebiger die Rechtschreibung, desto weniger wichtig wird sprachliche Exaktheit genommen werden.
Ein Zurück zur alten Schreibung, so argumentieren die Reformer immer wieder, dürfe es nicht geben, um die Schulen nicht ins Schreibchaos zu stürzen. Dass ausgerechnet die Reformbefürworter hier mit den Umstellungskosten einer Schreibreform argumentieren, ist nicht ohne Ironie.
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ESSAY KOMPAKT
Infolge der Rechtschreibreform müssen die Bundesbürger wesentliche Teile ihres Humankapitals abschreiben.
Die Anreize zu regelkonformen Verhalten sind bei einer Schriftkonvention gering. Wer diese nicht befolgt, gilt schlimmstenfalls als altmodisch.
Staatlicher Zwang ist kein Erfolgsgarant für die Setzung neuer Konventionen. Deshalb ist auch die Rechtschreibreform noch nicht über den Berg.
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Gekürzte Fassung eines Aufsatzes in „Perspektiven der Wirtschaftspolitik“, Heft 3/2001. Manfred Tietzel ist Professor für Finanzwissenschaft und Methodologie an der Universität Duisburg. Christian Müller arbeitet dort als wissenschaftlicher Assistent.
Handelsblatt Nr. 160 vom 21. August 2001, S. 6
www.Handelsblatt.com
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Anmerkungen:
Dieser Aufsatz war im Original in der herkömmlichen Rechtschreibung verfaßt. Das HANDELSBLATT fälschte den Text in den Neuschrieb um (vornehmlich die ss-Schreibung). Somit wurden die Grundrechte auf Menschenwürde, Freiheit der Person, die Freiheit der Kunst und Wissenschaft und das Urheberrecht verletzt. Diese Gleichschaltung der Rechtschreibung ist eine Bevormundung und Entmündigung. Was außerdem inhaltlich gekürzt wurde, wird man erst erkennen, wenn man den Originalaufsatz liest. |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Samstag, 09. Okt. 2004 14:15 Titel: Irreführende Überschrift, Thema verfehlt |
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Irreführende Überschrift, Thema verfehlt
Die Überschrift „Was die Rechtschreibreform kostet“ ist irreführend; denn nirgendwo werden Zahlen genannt. Das ist enttäuschend; denn infolge des Verstoßes der Politiker gegen haushaltsrechtliche Grundsätze liegt das Wissensdefizit gerade in dem Fehlen von Haushaltszahlen.
Die Kosten dieser überflüssigen, mangelhaften Reform verschlingen unzweckmäßig Steuergelder und Energien (durch Umstellungen, Umschulungen, berechtigten Widerstand) und werden durch permanente Rechtschreibreformen weiter ansteigen. Die Reform belastet daher weltweit die Staatshaushalte und damit die Steuerzahler unverhältnismäßig. Die Politiker versäumten es dennoch vorsätzlich oder grob fahrlässig, die sog. Rechtschreibreform an den Grundsätzen der Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit, Verhältnismäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu messen.
Der Artikel der beiden Finanzwissenschaftler ist auch aus einem anderen Grunde sehr spekulativ. Es werden nämlich nicht nur die Ästhetik, Tradition, Grammatik und Semantik und damit die Kultur der Sprache ausgeschlossen („Abgesehen von Ästhetik und Tradition“, „abgesehen von ästhetischen-kulturellen Aspekten“), sondern vor allen Dingen auch demokratische, pädagogische und haushaltsrechtliche, ja sogar daten- und informationstechnische Argumente (Schreibprogramme), die ja die Motive des Widerstandes gegen die Rechtschreibreform sind, wurden nicht berücksichtigt. Auch der anhaltende aktive und passive Widerstand fehlt in den Hypothesen der beiden Wissenschaftler. Das Motto des „Vereins für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege e.V.“ (VRS) beachtet hingegen die genannten Aspekte. Es lautet:
„Es ist nie zu spät, Natur-, Kultur- und Sprachzerstörung, Entdemokratisierung, Korruption und Steuerverschwendung zu stoppen!“ (VRS)
Die eingangs gestellten Fragen „Erstens: Wovon hängt es ab, ob sich Regeln über die Gestalt, die Bedeutung und zulässigen Verknüpfungen sprachlicher Zeichen in einer Gesellschaft durchsetzen? Und zweitens: Worin bestehen die volkswirtschaftlichen Kosten einer solchen Schreibumstellung, und wem nützt die Rechtschreibreform?“ wurden in diesem Artikel jedenfalls leider nicht beantwortet.
Man ist gespannt, ob in dem ausführlichen Aufsatz von Christian Müller und Manfred Tietzel: „Die Reform der deutschen Rechtschreibung: Eine ökonomische Analyse“. In: Perspektiven der Wirtschaftspolitik 2, Heft 3, 2001, S. 279-288, die Kosten in Form von Zahlen vorgestellt werden.
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Wie hoch sind die Kosten der Rechtschreibreform?
Durch die beiden Fragen „Erstens: Wovon hängt es ab, ob sich Regeln über die Gestalt, die Bedeutung und zulässigen Verknüpfungen sprachlicher Zeichen in einer Gesellschaft durchsetzen? Und zweitens: Worin bestehen die volkswirtschaftlichen Kosten einer solchen Schreibumstellung, und wem nützt die Rechtschreibreform?“ wurden wohl auch beim HANDELSBLATT falsche Erwartungen geweckt. Möglicherweise hat die Redaktion daher die sensationelle, aber irreführende Überschrift: „Was die Rechtschreibreform kostet“ gewählt. Ich habe auf Grund der Überschrift keineswegs erwartet, daß „für jedes einzelne Mitglied der deutschen Sprachgemeinschaft eine Kosten-Nutzen-Rechnung“ aufgemacht wird. Mir hätte es genügt, wenn wenigstens für die gesamte deutsche Sprachgemeinschaft eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufgestellt worden wäre.
Es ist jedoch nicht ausreichend, rein theoretisch über einige (und auch nur wenige) Kosten der Rechtschreibreform zu reden, ohne konkrete Zahlen zu nennen. Auch am Schluß heißt es rein theoretisch: „Dass ausgerechnet die Reformbefürworter hier (d.h. bei einer Rückkehr zur „alten“ Schreibung, M.R.) mit den Umstellungskosten einer Schreibreform argumentieren, ist nicht ohne Ironie.“
Da Kostenschätzungen der Verlage vorliegen und in einer Fernsehsendung sogar einzelne Kostenarten beziffert wurden, hätte man doch wenigstens diese zusammenstellen und beurteilen können, anstatt nur von „hohen Kosten für die Umstellung von Büchern und Computerprogrammen“ zu schreiben. Daß hohe Kosten entstehen, war schon immer bekannt. Nicht bekannt ist, daß die Reform der deutschen Rechtschreibung weltweit Kosten verursacht und wie hoch diese Kosten sind. Zur Beantwortung dieser Fragen könnten die Ökonomen „jedenfalls einiges – bisher nicht Gesagtes – beitragen“. Es ist unbefriedigend, nur Hypothesen mit sehr realitätsfernen Annahmen vorgesetzt zu bekommen, ohne einen Versuch, diese wenigstens ansatzweise empirisch zu verifizi
Zuletzt bearbeitet von Manfred Riebe am Samstag, 09. Okt. 2004 15:02, insgesamt 1mal bearbeitet |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Samstag, 09. Okt. 2004 14:31 Titel: Richtige Schlußfolgerung falscher Annahmen |
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Richtige Schlußfolgerung („Rechtschreibreform führt zu Abschreibung des Humankapitals“) trotz falscher Annahmen („Konventionen sind austauschbar“)
Nein. Tietzel und Müller machen sich die Sache zu einfach.
Tietzel und Müller führen aus: „Jede Sprache stellt eine Menge von Konventionen über die Gestalt und die Bedeutung (Semantik) von Schriftzeichen und ihre Verknüpfung (Grammatik) dar, und keines dieser Regelwerke ist von vornherein besser oder schlechter als ein anderes. Konventionen sind explizite Lösungen von Koordinationsproblemen, die uns vor die Wahl stellen, uns für eine aus einer Mehrzahl möglicher Lösungen zu entscheiden, von denen keine strikt vorzugswürdig erscheint.“
Dräger: Das ist schlicht und ergreifend vollkommen falsch. Wäre dieser Ansatz richtig, gäbe es überhaupt keine Kultur, kein Recht, bestenfalls das Faustrecht. Menschen zu verspeisen - pardon, daß ich Herrn Prof. Tietzel hier beim Wort nehme! - ist auch eine „Lösung“ des Koordinationsproblems, z. B. Nahrung zu beschaffen. Ist das eine „Lösung“, die „nicht von vornherein besser oder schlechter ist als eine andere Lösung“?
Zu Regelwerken:
Einmal angenommen, das „amtliche Regelwerk“ basierte auf einer Wörterliste, die von einem Computer per Zufallsgenerator erzeugt worden wäre (was den Vorschlägen der Rechtschreibkommission nahekommt, die Unsinnigkeit der Vorschläge aber quantitativ übertreffen dürfte). Ein solches Regelwerk enthielte dann z. B. nicht 105 Wörterlisten und 1.106 Anwendungsbestimmungen (wie das „amtliche Regelwerk“/lt. Prof. Veith, Mainz), sondern vielleicht 5.032 Wörterlisten, und hätte nicht den eineinhalbfachen Umfang („amtliches Regelwerk“), sondern den 10fache Umfang des bisherigen Regelwerkes. Wäre dies immer noch ein Regelwerk, das, so Tietzel, „von vornherein nicht besser oder schlechter ist als ein anderes“?
Warum wohl schreiben die beiden schweizerischen Reformer Gallmann und Sitta (in Stellungnahme zu den Unruhen bezüglich der Umsetzung der neuen Rechtschreibregeln in Deutschland, zitiert nach Ickler, Schildbürgerstreich, S. 21):
„Wir halten es für ein Unglück, dass nun in allen Rechtschreibwörterbüchern das amtliche Regelwerk abgedruckt wird. (...) Wir waren im Internationalen Arbeitskreis nie der Meinung, wir formulierten Regeln für den Alltagsschreiber. (...) Das Regelwerk ist weder für den Laienleser geschrieben noch für ihn lesbar.“
Warum wohl?
Zur Sprache:
Ein Herr Steinweg, seines Zeichens Chemiker, hielt mir noch am 20. 8. einen kleinen Vortrag über das Spracherkennungsvermögen bei Kleinkindern. Davon habe ich noch behalten: Im Kindesalter erfolgt die Spracherkennung noch nicht nach logischen (semantischen) Begriffen, Sprache wird vielmehr lange vor dem analytischem Verstehen in Lautsequenzen in bestimmten Bereichen im Gehirn abgelegt. Diese Bereiche im Gehirn werden (so Steinweg), im Alter von etwa 3 bis 4 Jahren abgeschlossen, sind später nicht mehr zugänglich.
Dieses lautmäßige Ablegen von Sprache hat, so St., zur Folge, daß bei Unterhaltungen mit Hintergrundgeräuschen, also in menschlicher Gesellschaft (sog. Cocktailparty-Effekt), Sinnzusammenhänge selbst dann noch gut verstanden werden, wenn nur Bruchteile von Wörtern das Gehör erreichen. Diesen Effekt soll es, so St., nur in der jeweiligen Muttersprache geben, nicht aber bei später gelernten Sprachen.
Die einschlägige Literatur hierzu ist mir nicht bekannt. Tatsache ist allerdings, daß sog. Wild- oder Wolfkinder, die in der freien Natur aufgegriffen wurden, zumindestens ab einem bestimmten Alter zur Ausbildung der Sprache - auch bei bester Anleitung - nicht mehr fähig
sind.
Jean Itard (1774-1838) schrieb in seinen Rapporten im Jahr 1806 und 1807 über Victor, das Wildkind von Aveyron, das etwa mit 11 Jahren aufgefunden wurde (zitiert nach der Ausgabe Rotapfel Verlag, Zürich 1965, S. 113 ff):
XXIX.- Von allen Phänomenen, die sich dem Beobachter in der ersten Entwicklung des Kindes zeigen, ist vielleicht das erstaunlichste die Leichtigkeit, mit der es sprechen lernt. Wenn man bedenkt, daß das Wort unstreitig das bewundernswerteste Ergebnis der Nachahmung und auch deren erstes Resultat ist, fühlt man eine doppelte Bewunderung der höchsten Intelligenz gegenüber, deren Meisterwerk der Mensch ist. Wer aus der Sprache die wichtigste Triebkraft der Erziehung machen wollte, durfte die Nachahmung der progressiven Entwicklung anderer Fähigkeiten nicht hintenanstellen, sondern sie von Anfang an ebenso aktiv wie fruchtbar machen. Aber diese Fähigkeit nachzuahmen, deren Einfluß sich auf das ganze Leben ausbreitet, variiert in ihrer Anwendung je nach dem Alter. Nur in der zartesten Kindheit wird sie zum Sprechenlernen verwendet. Später übernimmt sie die Leitung anderer Funktionen und vernachlässigt sozusagen das Sprechinstrument. Wenn z. B. ein kleines Kind, ja sogar ein Jugendlicher, das Geburtsland verlassen, verlieren sie zwar sehr rasch die Gewohnheiten, den Ton, die Sprache, niemals aber die Stimmbetonungen, die den Akzent ausmachen. Aus dieser physiologischen Wahrheit geht hervor, daß ich, indem ich die Nachahmungsfähigkeit dieses schon im Jünglingsalter stehenden Wilden weckte, in seinem Sprachorgan keine Voraussetzungen erwarten durfte, welche für die Entwicklung dieser Fähigkeiten nützlich gewesen wäre; selbst in der Annahme, daß ich in der hartnäckigen Dumpfheit des Gehörsinns keinem zweiten Hindernis begegnet wäre. Von diesem letzteren Gesichtspunkt aus gesehen, konnte Victor als Taubstummer betrachtet werden, obwohl er noch weit unterhalb dieser hauptsächlich beobachtenden und nachahmenden Menschenklasse stand.
XL.- Trotzdem wollte ich mich nicht bei diesen Schwierigkeiten aufhalten und auch nicht auf die Hoffnung, ihn zum Sprechen zu bringen und auf die Vorteile, die ich mir daraus versprach, verzichten, bevor ich nicht das letzte Mittel versucht hatte: ihn zum Gebrauch der Sprache nicht mehr vom Gehörsinn her zu führen, weil er dies verweigerte, sondern vom Gesichtssinn aus. Es handelte sich also bei diesem letzten Versuch darum, die Augen im Erfassen des Mechanismus der Artikulationstöne und die Stimme im Wiederholen zu üben, indem alle Kräfte der Nachahmung und der Aufmerksamkeit sich zu diesem glücklichen Zweck vereinigen sollten. Länger als ein Jahr hatten alle meine Arbeiten und alle unsere Übungen dieses Ziel. Ich befolge hier ebenfalls die Methode der unmerklichen Steigerung. Der Übung der sichtbaren Tonartikulation ging die etwas leichtere Nachahmung der Bewegung der Gesichtsmuskeln voraus, und zwar fingen wir bei den besonders gut sichtbaren an. So standen der Lehrer und der Schüler einander um die Wette grimassierend gegenüber, das heißt Augen-, Mund-, Stirne-, Kiefernmuskeln auf alle Arten bewegend; allmählich konzentrierten wir die Übungen auf die Lippenmuskeln und übten während längerer Zeit die Bewegungen dieses fleischigen Teils des Sprechorgans. Viel länger dauernde und viel abwechslungsreichere Übungen galten schließlich der Zunge.
XLI.- Es schien mir, daß das so vorbereitete Sprechorgan mühelos die Nachahmung artikulierter Laute leisten sollte, und ich betrachtete die Resultate als ebenso nahe wie unfehlbar. Mein Hoffnung wurde vollständig zerschlagen, und alles, was ich nach einer so langen Reihe von Bemühungen erhielt, beschränkte sich auf das Ausstoßen einiger formloser einsilbiger Worte, bald hoch, bald tief, noch viel undeutlicher artikuliert als diejenigen, die ich bei meinen ersten Versuchen erhalten hatte. Trotzdem hielt ich daran fest und kämpfte ich während langer Zeit gegen die Hartnäckigkeit dieses Organs. Endlich sah ich ein, daß sowohl die Fortsetzung meiner Bemühungen als auch die Zeit keinerlei Veränderungen bewirkten. Ich ergab mich in die Tatsache, meine letzten Versuche zugunsten der Sprache beendigen zu müssen, und überließ meinen Schüler einer unheilbaren Stummheit.“
Die „Konvention“, wie jede Mutter das macht, mit Kindern von der Geburt an zu sprechen, also noch bevor diese überhaupt selbst etwas sagen können, scheint also eine gewisse Berechtigung zu haben (und ist nicht austauschbar gegen eine x-beliebige andere „Konvention“).
Man ist berechtigt, die Frage zu stellen, ob es eine solche Art von früher Prägung nicht nur für die Sprache, sondern auch für die Verschriftung der Sprache, also eine Art „Schreibgefühl“ gibt. Das ist anzunehmen. Beim Versuch der schlagartigen Einführung Tausender künstlicher Schreibungen, die nicht aus der bisherigen Praxis abzuleiten sind, muß es dann aber zwangsläufig zu erheblichen Irritationen kommen. Ob die Rechtschreibreformer, die uns Vorschriften machen wollen, wie wir „amtlich“ oder „vorbildlich“ zu schreiben haben, oder die Volksvertreter im Norden, die uns sagen, wie wir eigentlich gefälligst hätten wählen sollen, an diese Dinge wohl je einen Gedanken „verschwendet“ haben?
23.8.2001 Matthias Dräger |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Samstag, 09. Okt. 2004 14:45 Titel: Sprache, Schreibung und Konvention |
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Sprache, Schreibung und Konvention
KOMMENTAR
Die Rechtschreibung ist nicht irgendeine „Übereinkunft“!
Es ist eine Binsenweisheit, daß man einen Gegenstand nur dann angemessen erforschen und beurteilen kann, wenn man die adäquaten, d.h. ihm eignenden Methoden verwendet.
So verdienstvoll es ist, auch unter dem Aspekt der Ökonomie den Nutzen der Rechtschreibreform zu betrachten, so gibt es doch gegen die methodische Vorgehensweise schwerwiegende Vorbehalte. Man sollte bei solch einer Analyse sinnvollerweise auf den Ergebnissen aufbauen, die aufgrund der sprachwissenschaftlichen Sicht der Reform gezeitigt worden sind und ggf. so argumentieren: Weil die Reform sachlich verfehlt ist, ist es unter dem Gesichtspunkt von Nutzen und Kosten ein Verlustgeschäft, auch noch Geld in diese Reform zu investieren.
In dem Aufsatz wird jedoch betont: „Abgesehen von Ästhetik und Tradition unserer Sprache, könnte es uns gleichgültig sein, wie wir schreiben oder sprechen. Jede Sprache stellt eine Menge von Konventionen über die Gestalt und Bedeutung (Semantik) von Schriftzeichen und ihre Verknüpfung (Grammatik) dar.“
Man kann aber bei der Sprache nicht von ihrer Tradition absehen, da jede Sprache einen eigenständigen Zugriff auf die Welt darstellt und dieser Zugriff sowohl in der gesprochenen Sprache als auch in der Schriftsprache zum Ausdruck kommt; d. h. die Schreibung ist nur dann sinnvoll und angemessen, wenn sie die in der gesprochenen Sprache enthaltenen Wortbedeutungen adäquat in der Schriftform „abbildet“. Mit anderen Worten: Die Schreibung ist keineswegs beliebig und Konvention, die man so oder so ändern könnte.
Alle Konventionen, wie das angeführte Beispiel vom Straßenverkehr, bei dem es heißt, daß es gleichgültig sei, ob man rechts oder links fahre, sind nicht mit der Rechtschreibung zu vergleichen; denn alle Konventionen dieser Art sind sekundär. Da Sprache jedoch ein integrierender Bestandteil des Menschen ist, jede Sprache sich die „Welt“ in spezifischer Weise anverwandelt und diese Anverwandlung sich in der Schreibung „spiegelt“, ist Sprache „vor“ jeder Konvention, wie sie im Artikel verstanden wird. „Der Mensch ist nur Mensch durch Sprache, um aber die Sprache zu erfinden, müßte er schon Mensch sein“ (Wilhelm v. Humboldt).
Die Auseinandersetzung um die Rechtschreibung dürfte keineswegs deshalb so hart sein, weil die Neuregelung gegen das Prinzip der Erwartungshaltung einer „lang anhaltenden Geltung der Konvention“ verstößt, sondern aus einem viel tieferen Grund: Der Mensch denkt, spricht, schreibt und handelt in Sprache, die Sprache ist seine geistige Lebenswelt, sie ist Träger von Kultur und Geschichtlichkeit - und die Schreibung ist ja nur eine andere Ausprägung als die gesprochene Sprache, nämlich die schriftliche. Darum wird die Reform abgelehnt! Darum ist die Neuregelung „noch lange nicht über den Berg“.
Gründe für die zähe Durchsetzung bei der Reform sind daher m. E. keineswegs die, daß es erforderlich ist, „neues Wissen auszubilden und hohe Kosten für die Umstellung von Büchern und Computerproprammen auf sich zu nehmen“. Wenn eine Sache gut ist - das weiß jeder aus eigener Erfahrung - dann zahlt er auch gern dafür. Es erscheint absolut nicht „plausibel anzunehmen, dass ... eine Person die Anwendung der neuen Regeln selbst dann für nutzbringend hält, wenn sie die neuen Schreibungen im Vergleich mit der bisherigen Orthografie für minderwertig ... hält“. Den Beweis dafür erbringen die über 70 Prozent der Bevölkerung (vgl. das Umfrageergebnis in den Medien vom Juli/ August 2000), die den überflüssigen, unsinnigen, chaotischen Neuschrieb ablehnen und die bewährte Schreibung pflegen.
Leider sind weitere Irrtümer unterlaufen. So wird behauptet, daß die Kultusminister angeordnet hätten, die bisherigen Schreibungen während der Übergangszeit „in der Schule als Fehler anzustreichen“. Die bewährten Schreibungen werden - das wissen die Schüler ganz genau - gerade nicht als Fehler angestrichen! Ein Irrtum ist es auch, daß die Zeitungen generell den Neuschrieb nicht verwenden würden. Leider hat sich dort inzwischen eine „Chaosschreibe“ breitgemacht, d.h. es gibt neben der zeitungsspezifischen Variantenschreibung zahlreiche Drittschreibungen, die weder nach der bewährten Rechtschreibung, noch nach der Neuregelung richtig sind.
Alle auf der irrigen Voraussetzung aufbauenden Schlüsse, daß die Rechtschreibung irgendeine beliebige Konvention sei, erscheinen daher ebenfalls als nicht haltbar. Es im Hinblick auf eine „Vereinfachung“ der Rechtschreibung als „näherliegend“ zu bezeichnen, „das Schreiben und Sprechen gleich ganz auf eine andere Sprache umzustellen, ... , die zugleich von einer viel größeren Sprachgemeinschaft geteilt würde“, ist völlig absurd. Sollte die deutsche Sprachgemeinschaft ihr kulturelles Erbe und damit sich selbst aufgeben?
Schon die an anderer Stelle hinreichend dargelegten Sachargumente gegen die Reform haben deren Unhaltbarkeit bewiesen. Es ist geradezu ein Kuriosum, daß man - trotz irriger Grundlagen und trotz Ausschaltung der Sprachargumente gegen die Reform - von seiten der Ökonomie ebenfalls zu dem Ergebnis kommt, daß die Reform untragbar sei, und zwar als zu teuer, da „der Saldo aus Nutzen und Kosten ... negativ ausfällt“. Es sei sicher auch von seiten der Reformer wünschenswert, daß durch die „Rückkehr zur bewährten Rechtschreibung“ eine „volkwirtschaftliche ‘Katastrophe’ verhindert“ werde.
23.8.2001
Maria Theresia Rolland
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Samstag, 09. Okt. 2004 14:54 Titel: Rechtschreibkonventionen |
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Rechtschreibkonventionen
KOMMENTAR
Eliten vs. Egalitarismus
Sprachwissenschaftliche Probleme gehören gewiß nicht zum Forschungsbereich der Finanzwissenschaft. Um so mehr Anerkennung verdient der Essay von Manfred Tietzel und Christian Müller, der als Anwendung volkswirtschaftlicher Erklärungsmodelle auf sprachliches Gruppenverhalten einige der mit der Rechtschreibreform verbundenen Fragen in einem neuen Licht erscheinen läßt. Daß solche für die allgemeine Öffentlichkeit bestimmte Untersuchungen eigentlich von Linguisten geschrieben werden sollten, steht auf einem anderen Blatt. Solange diese Gruppe aber aus welchen Gründen auch immer schweigt, muß man für Meinungsäußerungen wie die von Tietzel und Müller dankbar sein.
Natürlich könnte man einwenden, daß den Sprachkonventionen kompliziertere Bedingungsgefüge zugrunde liegen als etwa dem Konsumverhalten moderner Wohlstandsgesellschaften. An der Herausbildung sprachlicher Normen waren und sind vor allem die kulturellen Eliten als Vorbild und Leitinstanz beteiligt. Echte gesellschaftliche und kulturelle Umbrüche können sich so tatsächlich in einem abrupten Normenwandel ausdrücken. Immer aber läuft es darauf hinaus, daß nur das sich durchsetzt, was vom Konsens der wirklich sprachbewußten Schichten getragen wird.
Was heute bei uns in Bibliotheken aller Art als schriftlicher Niederschlag des 20. Jahrhunderts aufbewahrt wird, zeigt eine einheitliche Rechtschreibung. Unsere Nachbarvölker hatten diesen Zustand längst vor uns erreicht. Immer handelt es sich um Universalorthographien, die sich sowohl für höchste schriftstellerische Ansprüche wie für die schriftliche Alltagskommunikation eignen.
Die Rechtschreibreform stellt den Versuch dar, diese europäische Errungenschaft einem ideologisch begründeten Egalitarismus zu opfern, den es in einem Kulturvolk nicht geben kann und der sich auch in diesem Falle als Holzweg erweisen wird. Die Reformer Gerhard Augst und Burkhard Schaeder äußerten sich im Mai 1997 (Brief an den Präsidenten der KMK) folgendermaßen zu den Grundzügen einer staatlichen Rechtschreibregelung: Diese Festlegung muss u. E. so gestaltet sein, dass ein Schreiber nach dem Ende der allgemeinen Schulpflicht in der Lage ist, diese Norm befolgen zu können. Die Rechtschreib-Norm darf auf keinen Fall große Teile des Volkes von dem Gebrauch der richtigen Schreibung ausgrenzen, und dies erst recht nicht in einem demokratischen Gemeinwesen, wo jeder Bürger das grundgesetzlich verbriefte Recht hat, sich in Wort und Schrift frei zu äußern. [...] Bei dem ungeheuren gesellschaftlichen Stellenwert, den die Rechtschreibung hat, ist es auch nicht möglich, eine einfache Rechtschreibung für das einfache Volk und eine sophistizierte Rechtschreibung für die Gebildeten zuzulassen. Dieser Meinung war man offenbar auch in einigen deutschen Kultusministerien.
In Schule aktuell (Kiel) vom November 1996 wird der Kreis der Adressaten der Reform noch ausgeweitet: Zu denken ist aber auch an Erwachsene, die Alphabetisierungskurse belegen, und an Menschen aus den anderen europäischen und außereuropäischen Staaten. Inzwischen dürfte hierzulande niemand mehr glauben, die Rechtschreibreform brächte außer einigen teils mutwilligen, teils absurden Änderungen irgendeine Erleichterung für die Schreiber der deutschen Sprache.
Im Grunde fungiert die „neue Rechtschreibung“ heute nur noch als Test für die Charakterfestigkeit der Bürgerinnen und Bürger in den deutschsprachigen Staaten. Wenn die Kultusminister dieser Länder ein ausgereiftes Regelwerk präsentiert hätten, das wenigstens in sich plausibel wäre, würde sich vielleicht am Ende eine Mehrheit für die Änderungen finden. Die amtliche Rechtschreibung von 1996 ist jedoch zum Scheitern verurteilt, selbst wenn die Regierungen sie mit den äußersten Mitteln zu halten versuchten.
22.8.2001 Prof. Dr. Helmut Jochems
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