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Walter Lachenmann Gast
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: Samstag, 01. Nov. 2003 10:22 Titel: Sanktionierte Sprachschludrigkeiten |
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Liebe Elke, sehr geehrter Herr Reger,
»Sie ging nach oben, während er auf der Treppe stehen blieb.«: Er stand schon vorher.
»Sie ging nach oben, während er auf der Treppe stehenblieb.« Er hielt auf der Treppe an.
Herr Reger hat hier meiner Ansicht nach völlig recht, und der Wahrig-Eintrag differenziert genauso. In der Praxis wird diese Differenzierung sowohl beim Schreiben als auch beim Lesen sicherlich oft nicht so wahrgenommen. Ob das schlecht ist, sei dahingestellt.
»Stehenbleiben« ist also ein selbständiges Wort mit eigener Bedeutung, nämlich im Sinne von »anhalten«. Aber es ist auch ein Beweis dafür, wie ungenauer Umgang mit der Sprache zu logisch eigentlich »falschen« Begriffen führen kann, also wie sprachliche Schludrigkeit, oder Liberalität (falsch oder richtig verstanden) schließlich zur sprachlichen Regel werden kann. Herrn Reger, der die Vernachlässigung sprachlicher Differenzierungsmöglichkeiten zu Recht kritisiert, dürfte eigentlich mit dem Wort »stehenbleiben« für »anhalten« nicht einverstanden sein, denn wie kann ein Zug stehenbleiben, wenn er gar nicht steht? Das selbständige Wort ist sozusagen »falsch«, hat sich durch Gewohnheit an schludrige Ausdrucksweise als alternativer Ausdruck von »anhalten« aber als »richtig« eingebürgert. Dies bestätigt ja nur die These, daß sich selbst sprachliche Fehler durch allgemeinen Gebrauch durch die Sprachgemeinschaft, Mittelmaß oder nicht, den Status von Regeln gewinnen können.
Man kann die von Herrn Reger vertretene und von Wahrig bestätigte (und eigentlich auch nachvollziehbare) Regel aber nicht auf andere Wörter übertragen.
Liegenbleiben / liegen bleiben
Sitzenbleiben / sitzen bleiben
Stehenlassen / stehen lassen
Hängenbleiben / hängen bleiben
Hängenlassen / hängen lassen
Fahrenlassen / fahren lassen
Es scheint mir hier Fälle zu geben, wo eine unterlassene Differenzierung den Sinn der Aussage völlig entstellt (Man hat ihn hängenlassen, man hat ihn hängen lassen) und andere, wo so gut wie gar kein Bedeutungsunterschied vorhanden ist.
»Kennenlernen« ist auch so ein seltsames Wort. Es getrennt zu schreiben, schien mir zunächst völlig absurd, bis ich es in vielen, meist etwas älteren Texten so vorfand, was mir zuvor gar nicht aufgefallen war. Die Zusammenschreibung ist wohl einerseits reine Gewohnheitssache, andererseits sinnvoll, weil die Bedeutung »lernen« (man lernt ja nicht das Kennen) dabei in den Hintergrund tritt.
Solche Betrachtungen führen eben doch zur Erkenntnis, daß Sprache sich immer wieder völlig selbständig und auch gegen die geltenden Regeln oder die sprachliche Logik entwickelt, ohne daß dies als eine Beschädigung der Sprache empfunden würde. Solche »liberale« Entwicklungen können im Gegenteil sogar schließlich durch Wörterbucheinträge und Regeln sanktioniert werden. Wenn umgekehrt, wie es die Reform tut, unübliche Schreibweisen vorgeschrieben werden, empfindet man dies als Beschädigungen oft auch dort, wo es von der Logik her genau genommen gar keine sind.
Wie sagt schon Iwan der Schreckliche: Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage.
So ist es wohl.
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Elke Philburn
Registriert seit: 03.12.2002 Beiträge: 246 Wohnort: Manchester UK
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: Samstag, 01. Nov. 2003 13:04 Titel: |
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Es gibt sicher unzählige Kriterien, nach denen man ein Wort zusammen oder getrennt schreiben kann.
| Zitat: | »Sie ging nach oben, während er auf der Treppe stehen blieb.«: Er stand schon vorher.
»Sie ging nach oben, während er auf der Treppe stehenblieb.« Er hielt auf der Treppe an. |
Damit bringen wir ein weiteres Kriterium mit ein, nämlich das des zeitlichen Verlaufes.
Die Uhr ist stehengeblieben. -> Sie hat aufgehört zu ticken
Die Uhr ist stehen geblieben. -> Sie steht schon seit einiger Zeit.
Die Schwierigkeit ist, daß Uhren in aller Regel nicht nur stehenbleiben, sondern danach auch stehen bleiben .
Man könnte auch, wie der Wahrig (1980), die Unterscheidung danach vornehmen, ob es sich um die wortwörtliche oder die übertragene Bedeutung handelt:
Wo sind wir stehengeblieben?
Die Uhr ist stehengeblieben.
Aber:
Er ist während der Zeremonie stehen geblieben.
Doch schon bei
Das alte Gebäude ist stehengeblieben / stehen geblieben. (=wurde nicht abgerissen)
stellt sich die Frage aufs neue, ob es sich hier um eine wortwörtliche oder übertragene Bedeutung handelt.
Ich denke, Lexikographen tun gut daran, den Sprachnutzer nicht in ein Korsett von Regeln zu zwängen, sondern in solchen Zweifelsfällen Vorschläge zu machen und die Entscheidung letztlich dem Schreibenden zu überlassen. |
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Peter Reger Gast
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: Samstag, 01. Nov. 2003 23:03 Titel: Führen Sie Ihre Rechtschreibung in England ein! |
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Liebe Frau Philburn,
die Zusammen- und Getrenntschreibung war durch den Duden vorzüglich geregelt. Die feinen Unterscheidungen gab es eben deshalb, damit der Leser jederzeit aus der Schreibung den Sinn entnehmen konnte. Wir schreiben schließlich für den Leser. Die deutsche Rechtschreibung mußte weder durch diese unselige sogenannte Rechtschreibreform noch durch einen Professor, der unter Berufung auf häufige Rechtschreibfehler eine Schreib-doch-wie-du-willst-Orthographie einführen will, verbessert werden. An dieser Schreib-doch-wie-du-willst-Orthographie finde ich besonders ärgerlich, daß behauptet wird, es handle sich bei ihr um die alte, bewährte Rechtschreibung. Ich werde sie ebensowenig übernehmen wie die sogenannte neue Rechtschreibung! Daß Herr Lachenmann als Verleger die Icklersche Rechtschreibung ebenso wie ich als völlig unbrauchbar für den professionellen Gebrauch einstuft, sollte Ihnen doch zu denken geben.
Versuchen Sie doch mal, in England eine Rechtschreibung einzuführen, die den Prinzipien Icklers folgt. Es würde mich sehr interessieren, wie die Engländer auf einen derartigen Vorschlag reagieren. Die sind nämlich sehr traditionsbewußt. So hat sich die Schreibweise von „team“ seit mehr als eintausend Jahren nicht geändert. Sollten Sie nun behaupten, daß die englische Orthographie bereits diesen Prinzipien folgt, so bin ich auf Ihre Belege für diese Behauptung gespannt. Beziehen Sie sich dabei bitte nicht auf die Unterschiede zwischen der englischen und der amerikanischen Rechtschreibung.
Unserer gesamten Diskussion kann ich nur eines entnehmen: Unsere alte, bewährte Rechtschreibung ist für künftige Generationen so oder so verloren. Ich sehe daher auch keinen Grund, diese Diskussion fortzusetzen!
Mit freundlichen Grüßen |
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Walter Lachenmann
Registriert seit: 01.11.2003 Beiträge: 11 Wohnort: Waakirchen
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: Sonntag, 02. Nov. 2003 12:23 Titel: |
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Herrn Regers Verärgerung kann man gut verstehen, er hat im Großen und Ganzen völlig recht, nur wendet sich sein Zorn hier gegen die falsche Adresse. Natürlich hatten wir vor der Reform eine gut geregelte und funktionierende Rechtschreibung, die jetzt auf nicht absehbare Zeit zerstört worden ist. Ob die Duden-Vorschriften immer so vorzüglich gewesen sind, mag dahingestellt sein, es gab natürlich schon auch manches Widersprüchliche und nicht unbedingt Plausible. Aber das störte nicht. Wenn man nach Duden schrieb, machte man jedenfalls keine Fehler und war für jedermann verständlich.
Im Hinblick auf Ickler ist Herr Reger einfach im Irrtum, sonst wäre sein Urteil milder, vielleicht sogar zustimmend.
Ich halte nicht die »Icklersche Rechtschreibung für völlig unbrauchbar«, das habe ich auch nie geschrieben, ganz im Gegenteil. Und es handelt sich bei ihr auch keineswegs um eine »Schreib-doch-wie-du-willst«-Rechtschreibung, diesem Mißverständnis begegnet man allerdings immer wieder. Sein Ansatz ist es durchaus, die bewährte Rechtschreibung zu verzeichnen und für sie einzutreten. So finden sich in seinem Wörterbuch, anders als jetzt in den reformierten Wörterbüchern, keinerlei neu erfundenen Schreibungen oder Regeln. Groß- und Kleinschreibung etwa ist eindeutig geregelt, es gibt kein »morgen Abend« oder »es tut mir Leid«, dann derlei ist schlichtweg falsches Deutsch. Die von Herrn Reger kritisierte Problematik betrifft hauptsächlich die Varianten der Getrennt-/Zusammenschreibungen, die durch die berüchtigten Ickler-Bögen nicht eindeutig dargestellt sind. Die Bögchen heißen, daß beides möglich ist, was aber nicht heißen muß, daß beides richtig oder gut ist. Hier unterstellt Ickler, daß entweder beide Schreibweisen dasselbe bedeuten und nach Belieben gewählt werden können, oder er setzt voraus, daß der Schreiber von sich aus weiß, welche Schreibweise für das, was er ausdrücken will, die geeignetere ist. Dies kann natürlich nur für Leute gelten, die sehr viel schreiben und lesen und so rechtschreibsicher sind, daß sie in der Regel sowieso ohne Wörterbuch auskommen und diese Information gar nicht brauchen. Wörterbücher werden aber überwiegend dann konsultiert, wenn man unsicher ist, wie man sich am besten ausdrückt. Deswegen ist das Ickler-Wörterbuch in der jetzigen Form als Nachschlagewerk etwa für sprachlich unselbständige Schreibkräfte, die nach »alter« Rechtschreibung schreiben dürfen, nicht ausreichend. Es fehlen die von Elke Philburn genannten Empfehlungen, welche Schreibweise in welchen Fällen zu bevorzugen oder gar einzig richtig ist. Wenn ich mich nicht irre, ist eine zweite Auflage in Vorbereitung, bei der Professor Ickler an ihn herangetragene Kritiken berücksichtigt, dies betrifft vermutlich – und hoffentlich – auch diesen Punkt.
Sie können ruhig wieder hereinkommen, Herr Reger, Sie sind – auch wenn es am rechten Rande blitzt und donnert - auf freundschaftlichem Terrain. |
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Elke Philburn
Registriert seit: 03.12.2002 Beiträge: 246 Wohnort: Manchester UK
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: Sonntag, 02. Nov. 2003 12:29 Titel: |
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Sehr geehrter Herr Reger,
| Zitat: | | Versuchen Sie doch mal, in England eine Rechtschreibung einzuführen, die den Prinzipien Icklers folgt. Es würde mich sehr interessieren, wie die Engländer auf einen derartigen Vorschlag reagieren. Die sind nämlich sehr traditionsbewußt. |
Die Verschriftlichung der englischen Sprache kennt kein amtliches Regelwerk. Ich könnte mir aber vorstellen, daß ein Rechtschreibwörterbuch nach Icklerschem Muster für den Schulgebrauch ausgesprochen nützlich wäre, weil Herr Ickler nicht nur Sprachwissenschaftler, sondern als früherer Lehrer auch Padagoge ist. Er stellt die Rechtschreibung so dar, daß sie sich auch ohne besondere linguistische Kenntnisse leicht einprägt und vor allem mit dem deckt, was außerhalb der Schule als richtig angesehen wird. Was mehr könnte sich ein Schüler von einem Nachschlagewerk erhoffen? Der Duden ist in jeder Schule verfügbar, aber sein Regelteil ist so kompliziert, daß kaum ein Schüler jemals auf die Idee käme, sich zur Verbesserung seiner Rechtschreibkenntnisse damit zu befassen.
Es ist ein Jammer, daß die Regelung der deutschen Orthographie nicht in die Hände eines solch erfahrenen Pädagogen und Wissenschaftlers wie Ickler gelegt wurde. Sein Wörterbuch ist eine wunderbare Handreichung für jeden, der die herkömmliche Orthographie beibehalten will, ohne sich mit einem unnötigen Regelwirrwarr zu belasten.
Mit freundlichen Grüßen
Elke Philburn |
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