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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Freitag, 16. Jul. 2004 13:34 Titel: Der Kinderbuchverlag Beltz & Gelberg |
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Hans-Joachim Gelberg: Abrechnung mit der Rechtschreibreform
vor dem Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages
Die neue Rechtschreibung wurde schon früher von dem Kinderbuchverleger Hans-Joachim Gelberg öffentlich kritisiert. Gelberg, geb. 1930, Buchhändler, Fachlehrer, Verlagslektor, ist seit 1971 Verlagsleiter von Beltz & Gelberg, Weinheim. Er verlegte Weltautoren wie Janosch, Christine Nöstlinger, Peter Härtling, Rafik Schami und Leonie Ossowski. Er veröffentlichte seit 1971 u.a. die „Jahrbücher der Kinderliteratur“ und ist Herausgeber des Kindermagazins DER BUNTE HUND.
Die folgende Abrechnung mit der Rechtschreibreform und den Kultusministern trug Hans-Joachim Gelberg am 2. Juni 1997 im Rahmen der Anhörung zur Rechtschreibreform vor dem Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages vor:
Hans-Joachim Gelberg: Immer noch ist die Rechtschreibreform das Thema: Wie ein Fünfmonatskind. In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 51 vom 27. Juni 1997, S. 7 f.
Hans-Joachim Gelberg: Konsequenzen der Rechtschreibreform. In: Eroms, Hans-Werner; Munske, Horst Haider (Hrsg): Die Rechtschreibreform. Pro und Kontra, Berlin: Erich Schmidt Verlag, 1997, S. 57 f.
Gelberg ist Mitglied des P.E.N.-Zentrums, das kürzlich ebenfalls die Rücknahme der „Reform“ forderte: www.vrs-ev.de/forum/viewtopic.php?t=354 -. |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Freitag, 16. Jul. 2004 13:40 Titel: Beltz & Gelberg-Verlagsleiter Ulrich Störiko-Blume |
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Beltz & Gelberg-Verlagsleiter Ulrich Störiko-Blume
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RECHTSCHREIBREFORM
Offener Brief von Ulrich Störiko-Blume: Bitte andere Themen für das alljährliche Sommertheater!
Zur aktuellen Diskussion um die Rechtschreibreform meldet sich Ulrich Störiko-Blume zu Wort. Der Beltz & Gelberg-Verlagsleiter, der außerdem Vorstandsmitglied im Verlegerausschuss im Börsenverein des Deutschen Buchhandels und Vorstandsmitglied der avj (Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlegern) ist, äußert hier seine persönliche Meinung.
„Bitte andere Themen für das alljährliche Sommertheater - wider den Populismus im Umgang mit der Rechtschreibreform!
Liebe Politiker,
bitte fahren Sie endlich in die Ferien und beherzigen Sie Elke Heidenreichs Lektüreratschläge. Lesen Sie schon in der Morgenkühle ein gutes Buch, besser noch viele gute Bücher, ruhig auch mal ein schlechtes, und genießen Sie das, was nur beim Bücherlesen möglich ist: das Eintauchen in andere Gedanken, Menschen, Welten ohne jeglichen technischen Aufwand. Verfassen Sie bitte in der Mittagshitze im Liegestuhl keine Traktätchen zur Rechtschreibreform (z. B.: „Zulassung zu Elite-Unis nur nach Prüfung in alter Rechtschreibung!“), gehen Sie gelassen davon aus, dass Ihre Auslassungen im permanenten Wahlkampf weder in der bisherigen noch in der reformierten Rechtschreibung wirklich verständlich sind. Warum sollten Sie das auch sein? Zu wirklichen politischen Reformen sind Sie ja ohnehin nicht bereit, aber das sollte man in aller Deutlichkeit so deutlich nicht sagen. Und lassen Sie sich am Abend bei einem Glase Wein von Ihren Kindern oder Enkeln erklären, warum „daß“ jetzt völlig problemlos „dass“ geschrieben wird. Ich gehe jede Wette ein, dass Sie es bei einem guten oder einem guten schlechten Buch gar nicht merken, ob es in alter oder neuer Rechtschreibung verfasst ist.
Die neue Rechtschreibung werde bei der Bevölkerung nicht angenommen, heißt es. Oha, da werden wir aber hellhörig! Denkt irgend jemand ernsthaft darüber nach, die Steuern wieder zu senken, wenn eine Meinungsumfrage mangelnde Akzeptanz bei den Steuerzahlern feststellt? Aber die mangelnde Akzeptanz der Rechtschreibreform, die ist ein Politikum!
Daher möchte ich den 1. Preis für populistisches Getöne der FDP-Generalsekretärin Cornelia Pieper zusprechen: Sie fordert eine Volksabstimmung über die Rechtschreibreform. Wir unterstützen das sofort, wenn die FDP sich bereit erklärt, ihre übrigen politischen Vorschläge auch einem solchen Verfahren zu unterziehen.
Kein Privatmensch, auch kein Autor wird gezwungen, seinen Schriftverkehr umzustellen. Der Wandel wird sich ganz allmählich über die Schulen und die Medien vollziehen. Nach mehrjähriger Erfahrung mit der neuen Rechtschreibung zeigt die Praxis in den Schulen keinerlei gravierende Nachteile. Die letzte Rechtschreibreform vor hundert Jahren (eine heute gepriesene, damals allerdings durchaus auch angefeindete Tat der Vernunft) wurde bekanntlich in vordemokratischen Zeiten oktroyiert. Selbstverständlich wird in einer demokratischen Gesellschaft eine solche Reform öffentlich diskutiert– aber seit wann sind Volksabstimmungen, erst recht Mutmaßungen über die Befindlichkeit des Volkes, das Funktionsprinzip unseres Gemeinwesens?
Viele, die heute öffentlichkeitswirksam aufschreien, hören es ungern, wenn man sie daran erinnert, dass sie alle aufgerufen waren, sich an einer Reform zu beteiligen. Die Kultusministerkonferenz, die es bisher klugerweise verstanden hat, das Thema aus dem Parteiengezänk herauszuhalten, hat jetzt einen »Rat für deutsche Rechtschreibung« eingerichtet. Darin kann sachlich für eine Verbesserung der Reform gestritten, am Ende aber bitte gearbeitet werden.
Selbst unter den Befürwortern der Rechtschreibreform gibt es Kritik an manchen Regelungen, wenn auch in unterschiedlicher Schwere und Richtung. Polemische Zuspitzungen, Radikallösungen und Verweigerungshaltungen helfen jedoch nicht weiter. Alle Sachkundigen erkennen an, dass insbesondere die Schulbuch-, die Kinder-& Jugendbuch- und die Wörterbuchverlage ihre Publikationen seit 1996 der Rechtschreibreform anpassen mussten.
Deshalb geht der 2. Preis für populistisches Getöne gemeinsam an die Ministerpräsidenten Christian Wulff (Niedersachsen), der als erster entlarvt hat, dass die Rechtschreibreform „nur für Gerhard Schröder und Frau Bulmahn gemacht worden“ sei (FAZ vom 29. Juni 2004) und Dr. Edmund Stoiber (Bayern) für seinen bahnbrechenden Vorstoß, mit dem er die „Rechtschreibung auf die Tagesordnung“ setzt (die er mit der Titelseite der FAZ verwechselt). Wir vermissen nur eine Konsequenz: die sofortige Entlassung ihrer Kultusminister, da diese ja offenbar versagt haben und dennoch nicht von sich aus zurücktreten. Alte Rechtschreibung: ja – alte Ehrbegriffe: nein? Ist das die neue Moral unserer politischen Elite?
Ach, ich vergaß: Das Sommertheater hat ja begonnen! Vor den Osterferien steigen die Benzinpreise und am Beginn der Sommerferien äußern sich bekannte und weniger bekannte, kompetente und weniger kompetente Politiker zur Lage der Rechtschreibung in Deutschland bzw. im Bereich der deutschen Sprache. Mutig, fachkundig und in klarer Erkennis der Prioritäten schrecken Sie vor nichts zurück, um das schriftlich gefasste Wohl des deutschen Volkes zu mehren.
Der 3. Preis für populistisches Getöne geht an eine Person, deren Amt eigentlich über solchen Niederungen stehen sollte: an Bundestags-Vizepräsidentin Antje Vollmer, die sich der rebellischen Anfänge ihrer ergrauten grünen Partei erinnert und „Züge von Willkür“ in der Rechtschreibreform erkennt. Wie selig waren die Zeiten, als wir alle gemeinsam mit Konrad Duden die Rechtschreibregeln erdiskutierten!
Wir Verlage, die wir nicht erst seit 1996 Bücher für die junge Generation herstellen und verbreiten, danken devot für diese unerbetene öffentliche Unterstützung, die sich ja sonst eher im Kürzen von Bibliotheksetats äußert (denn nur wirkliche Knappheit an Büchern zeigt deren Wert). Nur wollen wir nicht alle vier Jahre wiedergewählt werden, sondern täglich. Unsere Bücher müssen sich jeden Tag in den Buchhandlungen zur Wahl stellen. Und dort kauft seit 1996 kein verantwortungsbewusster Erwachsener für seine Kinder noch Bücher in alter Rechtschreibung. Es ist so, als wollten sie den Tankstellen vorschreiben, ab sofort wieder nur noch bleihaltiges Benzin zu verkaufen. So möchten wir die geistigen Tankstellen, wie Altbundeskanzler Helmut Schmidt die Buchhandlungen einmal so schön genannt hat, nicht manipuliert sehen.
Tatsache ist: Die allermeisten Publikationen der Presse und der öffentlichen Hand erscheinen seit Jahren in neuer Rechtschreibung. Die Buchverlage haben die überwiegende Zahl ihrer Neuproduktionen umgestellt. Der Anteil der in alter Rechtschreibung erscheinenden Publikationen sinkt tendenziell immer weiter. Alle einschlägigen Werke (Schulbücher, Kinder- & Jugendbücher) sind mit hohen Kosten umgestellt worden sind. Die populistischen Politiker ignorieren die ernsthaften Hinweise aus den Schulbuch-und Jugendbuchverlagen, dass eine nochmalige Umstellung (die ja den eigentlichen Nutzen der Bücher in keiner Weise verändert) eine so sinnvolle Konjunkturmaßnahme wie das Aufgraben und Zuschütten von Löchern wäre.
Ich bin als Kinder- und Jugendbuchverleger nicht bereit hinzunehmen, wenn in einem sich aufschaukelnden Wechselspiel von Interessenlobbys Hauruck-Lösungen angestrebt oder verordnet werden, die außer einer weiteren Verunsicherung der jungen Generation nur eines sicher nach sich ziehen: ungeplante, unnötige Kosten erheblichen Ausmaßes, welche manche der bereits jetzt vom Rückgang der öffentlichen Gelder, von der Konsumkrise und von sinkenden Jahrgangsstärken getroffenen Verlage in existenzielle Bedrohung bringen würden.
Ich bitte diejenigen Politiker, Schriftsteller, Journalisten, Sprachwissenschaftler und andere Geisteswissenschaftler in diesem Lande, die – Jahre nach der Inkraftsetzung der neuen Rechtschreibregeln – den Eindruck erwecken, als könne man diese Reform jetzt doch noch abschaffen und zum Status quo ante zurückkehren, ihre Autorität nicht für einen rückwärtsgewandten Kampf einzusetzen, sondern ihre intellektuellen Energien dem gemeinsamen Bestreben um die Sicherung der Zukunft der Sprach- und Lesekultur im deutschen Sprachraum zu widmen.“
Ulrich Störiko-Blume
Buchmarkt online vom 16. Juli 2004 |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Freitag, 16. Jul. 2004 13:55 Titel: Ein Bertelsmann-Sprachrohr: Ulrich Störiko-Blume |
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Ein Bertelsmann-Sprachrohr: Ulrich Störiko-Blume
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Aus der Anhörung der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung am 23. Januar 1998 in Mannheim (Aufzeichnungen von Th. Ickler)
Bertelsmann ist mindestens vierfach vertreten: durch Varnhorn, Störiko-Blume, Menze (über AOL-Verlag) und Wahrig. (Nach anderen Zählungen sechsfach.)
8. Störiko-Blume (AVJ für Börsenverein): Lage der Jugendbuchverlage, Back-list. Heute andere Gefährdungen der deutschen Sprache. Varianten erleichtern das Lernen. Hat den Bericht nicht durcharbeiten können, Kippen der Reform wäre Katastrophe. Allerdings gebe es bereits wieder Hausorthographien der Verlage.
Vgl. Theodor Ickler: Anhörung durch die Zwischenstaatliche Rechtschreibkommission am 23.1.1998 in Mannheim, 28. Mai 2004 7:14 - www.vrs-ev.de/forum/viewtopic.php?t=155 |
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Peter Lüber
Registriert seit: 01.06.2004 Beiträge: 72
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: Samstag, 17. Jul. 2004 11:54 Titel: Re: Beltz & Gelberg-Verlagsleiter Ulrich Störiko-Blume |
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Anmerkungen zu Ulrich Störiko-Blumes Offenem Brief
Herr Störiko-Blume bezeichnet das Wirken der Rechtschreibreform-Gegner als „populistisches Getöne“; mit keinem Wort geht er auf deren Argumente ein. Dies nenne ich Populismus.
Herr Störiko-Blume sagt: „Unsere Bücher müssen sich jeden Tag in den Buchhandlungen zur Wahl stellen. Und dort kauft seit 1996 kein verantwortungsbewusster Erwachsener für seine Kinder noch Bücher in alter Rechtschreibung.“ Dies nenne ich Populismus.
Peter Lüber |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Samstag, 17. Jul. 2004 12:42 Titel: Abrechnung mit der Rechtschreibreform und den Kultusminister |
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Abrechnung mit der Rechtschreibreform und den Kultusministern
am 2. Juni 1997 vor dem Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages
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Hans-Joachim Gelberg
Konsequenzen der Rechtschreibreform
Als Verleger von Kinderbüchern (von Weltautoren wie Janosch, Christine Nöstlinger, Peter Härtling, Rafik Schami, Leonie Ossowski) wurde ich, wie alle meine Kollegen, „kalt“ erwischt. Was fünf Jahre dauern und sich in Ruhe entwickeln sollte, installierte sich überfallartig. Die viel zu rasche Einführung der neuen Rechtschreibung in den Schulen hat zur Folge, daß alle Kinderbuchverlage aus Konkurrenz- und Marktgründen gezwungen wurden (wider bessere Einsicht, muß man hinzufügen), ihr Buchprogramm sofort auf die neue Rechtschreibung umzustellen. Hier hat sich etwas verselbständigt, was wohl niemand vorher bedacht hat. Die sogenannte Backlist der Kinderbuchverlage ist im Gegensatz zu den meisten belletristischen Verlagen über Jahre hinweg wertbeständig - nun verliert sie viel zu rasch ihren Wert; jeder Neuauflage liegt kostspieliger Neusatz zugrunde. Zudem werden alle Neuerscheinungen bereits in der neuen Rechtschreibung vorgelegt. Die Zeit drängt. Alles in allem dürften die Kinderbuchverlage inzwischen etwa ein Drittel ihrer Titel auf die neue Rechtschreibung umgestellt haben. Im Beltz & Gelberg Verlag belaufen sich die Kosten der Umstellung allein in diesem Jahr auf zirka 500.000-600.000 DM. Bezogen auf alle Kinderbuchverlage muß man zusätzlich von Millionen-Kosten (ohne Einnahmen) ausgehen. Ein Kostenfaktor also, der sich gewinnmindernd auswirken wird, dies natürlich bis hin zu den steuerlichen Konsequenzen. Ich stelle fest, diese Reform ist keineswegs, wie immer behauptet wird, „kostenneutral“ zu haben.
Wie aber kann man nun weitere Kosten vermeiden? Was ist noch zumutbar? Über diesen eben skizzierten Aspekt hinaus spricht noch einiges mehr gegen diese Reform zur unrechten Zeit. Wohl gibt es einige Verbesserungen, Erleichterungen, doch letzten Endes ist dieses neue Regelwerk unsolide, weil es erhebliche Verwirrung stiftet. (Das merkt man nicht nur an den unterschiedlichen Interpretationen in den Wörterbüchern.) Jeder Verlag verschafft sich sozusagen eine hauseigene Rechtschreibung. Und die wenigen Vorteile (zum Beispiel die Silbentrennung) stehen in keinem Verhältnis zu Nachteilen, zum Beispiel durch die im Grunde erweiterte Großschreibung sowie bei Zusammen- beziehungsweise Getrenntschreibung (wenn hierbei Sinnunterscheidungen verlorengehen), beim unterschiedlichen Gebrauch von Doppel-s und scharfem ß und auch bei der Zeichensetzung, die monströse Sätze verursacht, deren Sinn nachträglich zu suchen ist.
Ich empfehle allen, die in dieser Sache mitreden, ein umfängliches Manuskript von 100, 200 Seiten von der alten in die neue Rechtschreibung zu "übersetzen". Erst dann wird klar, wie sehr die meisten Änderungen leider Sinn, Sprachgefühl und Stil-Ästhetik ungünstig beeinflussen. Hier wird nicht vereinfacht, sondern erschwert.
Meine Autoren sind eigentlich oder auch strikt gegen die Verwendung der neuen Regeln. Insofern befinde ich mich in einem Dilemma - geht es doch um Respekt vor den Sprach- und Stilvorstellungen der Autoren, die von sich aus keineswegs bereit sind, ihr Schreibverhalten zu ändern. Und letzten Endes hat man sie nicht einmal gefragt.
Ich kann mir im übrigen Texte großer Autoren in diesem "Reformgewand" nicht vorstellen. Die Autoren der Moderne, auch die Klassiker - hier finde ich keine Basis für Änderungen im Sinn der Reform. Bleibt also, wenn es denn so bleibt, eine sogenannte Schul-Literatur. Mich plagt vor allem der Gedanke, daß auf diese Weise wieder einmal die Autoren der Kinderliteratur abgekoppelt werden von der sogenannten "großen" Literatur, dies einzig und allein verursacht durch vorauseilenden Gehorsam im Schulbereich. Diese Reform ist aber existentieller Art; sie läßt sich nur dann überzeugend durchführen, wenn die wichtigsten Träger und Bewahrer der Sprache zustimmen - und das sind zweifellos die Autoren. Ihre Texte sind es, die die Lesebücher in den Schulen füllen.
(Diese Stellungnahme wurde am 2.6.1997 im Rahmen der Anhörung zur Rechtschreibreform vor dem Rechtsausschuß des Deutschen Bundestags vorgetragen. Abgedruckt als: Konsequenzen der Reform. In: <i>Börsenblatt</i> 51, 27. Juni 1997, S. 8.)
<i>Hans Joachim Gelberg,</i> geb. 1930 in Dortmund. Buchhändler, Fachlehrer, Verlagslektor, seit 1971 Verlagsleiter Beltz & Gelberg, Weinheim. Mitglied des P.E.N. Veröffentlichte (seit 1971) u. a. die "Jahrbücher der Kinderliteratur"; Herausgeber des Kindermagazins <i>DER BUNTE HUND.</i>
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Hans-Joachim Gelberg: Konsequenzen der Rechtschreibreform. In: Eroms, Hans-Werner; Munske, Horst Haider (Hrsg): Die Rechtschreibreform. Pro und Kontra, Berlin: Erich Schmidt Verlag, 1997, S. 57 f. |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Sonntag, 18. Jul. 2004 21:02 Titel: Offener Brief: Stolz-Schulbuchverlag an Beltz & Gelberg- |
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Offener Brief: Stolz-Schulbuchverlag an Beltz & Gelberg-Kinderbuchverlag
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Stolz Verlags GmbH
Karin Pfeiffer
Schneidhausener Weg 52, 52355 Düren
Tel. (92421) 5 79 79 Fax: (02421) 95 98 09) E-Mail: info@stolzverlag.de
Kein Sommertheater, eher ein „Vier-Jahreszeiten-Schauspiel“
Eine Antwort an Ulrich Störiko-Blume
<b>Man kann alle Leute einige Zeit zum Narren halten und einige Leute allezeit; aber alle Leute allezeit zum Narren halten kann man nicht.</b> (Abraham Lincoln)
Sehr geehrter Herr Störiko-Blume,
mit Ihrem Offenen Brief wenden Sie sich an die Politiker, denen Sie darin gehörig die Leviten lesen. Doch fühle auch ich mich angesprochen und möchte Ihnen daher – ebenfalls in einem Offenen Brief – antworten. Nach einer „poetischen“ Einleitung beginnt die Politikerschelte:
<i>„Zu wirklichen politischen Reformen sind Sie ja ohnehin nicht bereit, aber das sollte man in aller Deutlichkeit so deutlich nicht sagen.“</i>
Sie sagen es aber. Trotzdem ist es falsch. Haben wir denn nicht seit 1996 eine Reform? Oder ist die Rechtschreibreform, die „so genannte“, etwa keine Reform?
Sie schlagen den Politikern vor, sich „am Abend bei einem Glase Wein“ von Kindern oder Enkeln erklären zu lassen, „warum „daß“ jetzt völlig problemlos „dass“ geschrieben wird.“ Wer sich in der Grammatik auskennt, wird sicherlich dabei keine Probleme haben. Und er hat sie auch vor der Reform nicht gehabt. Doch scheint es ein Zeichen von Fortschrittlichkeit zu sein, sich als Erwachsener bei alkoholischen Getränken spät abends von Kindern und Enkeln über die Rechtschreibung aufklären zu lassen. Vielleicht darf der Nachwuchs auch am Glase nippen, oder er überzeugt uns davon, daß Wein und Bier „out“, Alco-Pops aber „in“ sind. Und wir beugen uns, denn wir wollen weder in der Rechtschreibung noch in den Konsumgewohnheiten als Ewiggestrige dastehen.
<i>„Kein Privatmensch, auch kein Autor wird gezwungen, seinen Schriftverkehr umzustellen.“ </i>
Das ist geschickt formuliert: Schriftverkehr. Nein, den Schriftverkehr muß niemand umstellen. Anders sieht es aus, wenn Autoren ihre Werke veröffentlichen möchten. Es beginnt „harmlos“ damit, daß selbst Leserbriefe gegen den ausdrücklichen Willen ihrer Verfasser von Zeitungsredakteuren eigenmächtig in die „neue“ Schreibung konvertiert werden. Es setzt sich fort, wenn ein Kinderbuchautor, der allein vom Schreiben lebt, sein Einkommen sichern möchte. Beim Verlag Beltz & Gelberg werden Weltautoren wie Janosch, Christine Nöstlinger oder Peter Härtling verlegt, um nur drei zu nennen. Sie sind gegen die Neuschreibung, weil ihre Werke verstümmelt werden, und sie haben in der Öffentlichkeit keinen Hehl daraus gemacht. Sind sie deshalb etwa nicht gezwungen, sich dem Diktat der Reform zu unterwerfen? Wie hätten sie sonst ihren Lebensunterhalt weiter bestreiten können, da sie vom Schreiben leben? Ich bitte doch sehr, den Boden der Tatsachen nicht zu verlassen!
<i>„Meine Autoren sind eigentlich oder auch strikt gegen die Verwendung der neuen Regeln. Insbesondere befinde ich mich in einem Dilemma – geht es doch um Respekt vor den Sprach- und Stilvorstellungen der Autoren, die von sich aus keineswegs bereit sind, ihr Schreibverhalten zu ändern. Und letzten Endes hat man sie nicht einmal gefragt.“ </i>
Nein, das haben nicht Sie gesagt, sehr geehrter Herr Störiko-Blume. Hans-Joachim Gelberg, damals Verlagsleiter bei Beltz & Gelberg äußerte dies 1997 im Rahmen der Anhörung zur Rechtschreibreform vor dem Rechtsausschuß des Deutschen Bundestags. „Wider bessere Einsicht“ hätten die Kinderbuchverlage „aus Konkurrenz- und Marktgründen“ die Buchprogramme auf die neue Schreibung umstellen müssen – wider bessere Einsicht, weil dieses neue Regelwerk unsolide sei und erhebliche Verwirrung stifte, so Herr Gelberg.
Als sein Nachfolger und Verlagsleiter beim Verlag Beltz & Gelberg schreiben Sie heute:
<i>„Nach mehrjähriger Erfahrung mit der neuen Rechtschreibung zeigt die Praxis in den Schulen keinerlei gravierende Nachteile.“ </i>
Wie kann das belegt werden? Sind Sie persönlich an einer Schule tätig gewesen? Haben Sie eine Untersuchung durchführen lassen, welche Ihre These untermauert? Wenden Sie selbst die Reformschreibung an? Verstehen und beherrschen Sie die Regeln? Oder lassen Sie Ihre Briefe im Vorzimmer auf Neuschreibung überprüfen? Lassen wir doch noch einmal Herrn Gelberg zu Wort kommen (und es ist schwer vorstellbar, daß er inzwischen seine Meinung geändert hat):
<i>„Ich empfehle allen, die in dieser Sache mitreden, ein umfängliches Manuskript von 100, 200 Seiten von der alten in die neue Rechtschreibung zu „übersetzen“. Erst dann wird klar, wie sehr die meisten Änderungen leider Sinn, Sprachgefühl und Stil-Ästhetik ungünstig beeinflussen. Hier wird nicht vereinfacht, sondern erschwert.“ </i>
Sie verteilen „Preise“ für „populistisches Getöne“, ganz so, als gehöre die ganze Angelegenheit auf den Jahrmarkt. Die Art und Weise, wie Sie, sehr geehrter Herr Störiko-Blume den sachlichen Kritikern der Reform begegnen, klingt nach persönlicher Abrechnung und trägt weder bei zur Lösung der inhaltlichen noch der wirtschaftlichen Problematik, die durch die Reform zweifellos entstanden ist. Wer die „Befindlichkeit des Volkes“ mit einer Handbewegung als unerheblich vom Tische wischt, sich zwischen den Zeilen darüber lustig macht, weckt allenfalls Zweifel an seiner demokratischen Gesinnung. Es ist ein Unterschied, ob der Staat Steuern erhebt – was ebenfalls unbeliebt ist, doch notwendig zur Erhaltung des Gemeinwesens – oder ob er sich in die intimsten und privatesten Dinge seiner Bürger einmischt. Dazu zählt die Sprache. Nebenbei sei angemerkt: Entgegen Ihrer Behauptung ist bislang noch kein „Rat für deutsche Rechtschreibung“ eingerichtet worden. Es besteht allenfalls die Absicht, eine solche zu begründen, wobei ich der Meinung bin, daß wir keine „Räte“ und auch keine „Fünfjahrespläne“ benötigen, um die Rechtschreibung in unserem Lande zu regeln.
Mit den Äußerungen in Ihrem Offenen Brief beleidigen und diskreditieren Sie jenen Personenkreis, den Sie für Ihre Eigeninteressen gewinnen möchten. Schließlich versteigen Sie sich sogar in folgender Aussage:
<i>„Unsere Bücher müssen sich jeden Tag in den Buchhandlungen zur Wahl stellen. Und dort kauft seit 1996 kein verantwortungsbewusster Erwachsener für seine Kinder noch Bücher in alter Rechtschreibung.“ </i>
Demnach besitzen allein die Anhänger der Reformschreibung Verantwortungsbewußtsein. Jene Personen aber, denen Sie gerade einige Abschnitte zuvor attestiert haben, daß sie die Freiheit besäßen, sich für die eine oder andere Rechtschreibung zu entscheiden, sind verantwortungslos, sofern sie Bücher in „alter Rechtschreibung“ kaufen! Das gilt auch für Eltern, die ihren Kindern Zugang zum häuslichen Bücherschrank gewähren, sofern dieser nicht gänzlich „entmistet“ sein sollte. Verantwortungslos? Das sind dann wohl auch die Kritiker der Reform, zu denen sich die besten unserer Autoren zählen. Autoren, die auch im Verlag Beltz & Gelberg ihre Bücher veröffentlicht haben (und eigentlich nach diesem eher peinlichen Offenen Brief Konsequenzen ziehen müßten ...).
Wenn nun die „Verantwortungslosigkeit“ der Bürger im Umgang mit der „alten“ Rechtschreibung nicht auf freiwilliger Basis beseitigt werden kann, müßte dann nicht der nächste politisch notwendige Schritt sein, Bücher mit „alter“ Rechtschreibung auf einen „Index“ zu setzen?
<i>„Ich gehe jede Wette ein, dass Sie es bei einem guten oder einem guten schlechten [?] Buch gar nicht merken, ob es in alter oder neuer Rechtschreibung verfasst ist.“ </i>
Mit Verlaub, nun geht mir jedes Verständnis für das „Getöne“ ab, mit dem Sie Ihr Schreiben auf die Politiker loslassen. Entweder die Änderungen durch die Reform sind gravierend und stören beim Lesen und Schreiben. Dann ist die Empörung, die immer größere Kreise der Bevölkerung erfaßt, verständlich und ernstzunehmen. Oder die Reform ist gar keine. Sie kann keine sein, wenn man nichts davon merkt. Worum aber geht es dann überhaupt?
Welche Absicht verfolgen Sie mit diesem Rundumschlag, der nicht nur die sich für eine Rücknahme der Reform aussprechenden Politiker beleidigt, sondern auch die Mehrzahl der deutschsprechenden Menschen in diesem Lande verletzt? Den Rat, den man vor einiger Zeit den Schriftstellern gegeben hat, sie mögen sich doch bitte nicht um so etwas Marginales wie die Rechtschreibreform kümmern, sondern lieber gute Texte schreiben, ist ebenso dümmlich wie es ein Appell an Michael Schumacher wäre, er möge doch bitte weiterhin spannende Rennen fahren und gewinnen, sich aber weder um den Zustand seines Rennwagens noch um die Beschaffenheit der Rennstrecke kümmern.
Die Politiker sind in Ihren Augen „populistisch“, weil sie die fortwährenden Proteste aus der Bevölkerung ernster nehmen als die wirtschaftlichen Nöte der Verlage. Natürlich ist die Lage ernst! Selbstverständlich machen wir uns Sorgen! Und doch: Ist das Dilemma nicht auch hausgemacht? Ich darf unseren Verlag hier mit einschließen, rede also nicht vom hohen Roß herab. Doch das Kulturgut Sprache ist mehr wert als kurzfristige Gewinn- oder Verlustrechnungen. Es wäre weitaus ehrlicher, seine Sorgen bezüglich der Sprache und der wirtschaftlichen Situation der Verlage auszudrücken, als mit starken Worten alles niederzuschreien, was auf Mißstände aufmerksam macht, die nun einmal da sind und sich durch Offene Briefe dieser Art nicht aus der Welt schaffen lassen. Sie seien als Kinder- und Jugendbuchverleger „nicht bereit hinzunehmen, wenn in einem sich aufschaukelnden Wechselspiel von Interessenlobbys Hauruck-Lösungen angestrebt oder verordnet werden“. Ich befürchte, daß weder Sie noch ich dazu gehört werden, ob das unsere Zustimmung findet oder nicht. Außerdem muß man sich fragen, was Sie unter „Interessenlobbys“ verstehen: Verdienen kann unter diesen Umständen wohl niemand mehr, wir sind alle Verlierer in einem Spiel, das überhastet begonnen wurde, ohne die Mitspieler entsprechend zu informieren und zu instruieren. Das zu Beginn von einigen Lobbyisten erhoffte große Geschäft mit der Rechtschreibreform ist ja nun offensichtlich ausgeblieben, an Briefen wie dem Ihren wird deutlich, wer sich zu den nun enttäuschten Verlierern zählt.
Zuletzt bin ich sicher, daß die Sprache selbst den Sieg davontragen wird. Die Zwangsreform – wie überhaupt jede Reform – kann jederzeit abgeschafft werden, denn sie ist Menschenwerk. Und Menschenwerk ist nun einmal, leider – oder Gott sei Dank, vergänglich.
<i>(Zitate von Hans-Joachim Gelberg aus: Konsequenzen der Reform; Börsenblatt Nr. 51, 27. Juli 1997, S. 8) </i>
Karin Pfeiffer-Stolz
Stolz Verlag
www.stolzverlag.de
17. Juli 2004 |
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Manfred Riebe
Registriert seit: 23.10.2002 Beiträge: 2840 Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg
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: Dienstag, 03. Aug. 2004 13:25 Titel: Legende von der permanenten Rechtschreibrevolution? |
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Legende von der permanenten Rechtschreibrevolution?
Die neue Rechtschreibung wird bis August 2005 erneut modifiziert - so sieht’s nach ersten Gesprächen der Kultusministerkonferenz aus. Die endgültige Abstimmung ist im März (siehe auch Archiv).
„Eine zweite Rechtschreibreform (und sei es eine schleichende) ist den Kinder- und Jugendbuchverlagen nicht zuzumuten“, klagt Beltz-Verleger Ulrich Störiko-Blume auf der Meinungsseite des Börsenblatts. Selbiges gelte für die Schulbuchverlage, die ebenfalls Bücher neu setzen müssten.
„Geradezu unseriös ist die immer wieder aufgewärmte Legende, dergemäß ‚die Verlage’ eine Art permanenter Rechtschreibrevolution befürworten, weil sie daran verdienten“, ärgert sich Störiko-Blume.
Börsenblatt, 12. Februar 2004
www.perlentaucher.de/buchmacher/2004-02-16.html |
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