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Rechtschreibreform und Nationalsozialismus
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Manfred Riebe



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Beitrag: Dienstag, 02. März. 2004 12:50    Titel: Rechtschreibreform und Nationalsozialismus Antworten mit Zitat

Rechtschreibreform und Nationalsozialismus

Birken-Bertsch, Hanno und Markner, Reinhard: Rechtschreibreform und Nationalsozialismus. Ein Kapitel aus der politischen Geschichte der deutschen Sprache. Hg. von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung zu Darmstadt, Göttingen: Wallstein-Verlag, 2000, 136 Seiten, ISBN 3-89244-450-1 - http://www.wallstein-verlag.de/9783892444503.html
____________________________________________

http://forschungsgruppe.free.fr/sprachfuehrer.htm
http://markner.free.fr/rrns.htm
http://markner.free.fr/rrrez.htm
____________________________________________

In den letzten Jahren haben sich viele bundesdeutsche Unternehmen kritisch mit ihrer eigenen Vergangenheit während des Nationalsozialismus auseinandergesetzt. Doch nach wie vor fehlt diese Aufarbeitung der NS-Zeit in vielen Zusammenhängen. So sind auch die Kultusminister und die von ihnen mit der Ausarbeitung der Rechtschreibreform beauftragten Wissenschaftler der Frage beharrlich ausgewichen, inwieweit ihr Projekt eine politische Geschichte hat.

Als der Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung [ www.deutscheakademie.de/ ], Christian Meier, 1998 bei einer Anhörung vor dem Bundesverfassungsgericht auf die Parallelen der aktuellen Rechtschreibreform zu entsprechenden Vorhaben der vierziger Jahre hinwies, wurde dies von seiten der Beklagten als unstatthaft zurückgewiesen. Die seinerzeitige Vorsitzende der Kultusministerkonferenz bezeichnete sich und ihre Kollegen als »demokratisch legitimiert«. Daß es einem demokratisch verfaßten Staat womöglich nicht zustehen könnte, auf dem Verordnungsweg Sprachregelungen zu erlassen, kam ihr nicht in den Sinn.

Es ist nur konsequent, daß die Zeit zwischen 1933 und 1945 von offizieller Seite ausgespart wurde, wenn es um die historischen Grundlagen der als »progressiv« und »modern« vermarkteten Rechtschreibung ging. Unsere Untersuchung schließt diese Lücke. Auf der Grundlage ausgiebiger Archiv- und Bibliotheksrecherchen zeichnen wir ein genaues Bild der nach 1933 intensiv geführten Auseinandersetzungen um die deutsche Rechtschreibung. Die Frage, in welcher Weise sie zu »vereinfachen« sei, beschäftigte in den Jahren des Nationalsozialismus – anders als vor 1933 und nach 1945 – höchste politische Kreise, zuletzt Hitler selbst. Die 1996 beschlossene Neuregelung der deutschen Orthographie steht in ebenso ungebrochener wie (bisher) unausgesprochener Kontinuität zu den Reformbemühungen des Reichserziehungsministers Rust.

http://markner.free.fr/rrns.htm
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Anmerkung:

»auf dem Verordnungsweg Sprachregelungen zu erlassen«, stimmt nicht. Für Rechtsverordnungen bräuchte man ein Rechtschreibgesetz als Grundlage. Es gibt aber kein Rechtschreibgesetz - www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?t=252 -.
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„Bahnbrechende Studie über Hintergrund der Rechtschreibreform,

Die beiden jungen Historiker sind Hinweisen nachgegangen, daß die so genannte Rechtschreibreform in sachlicher und personeller Kontinuität zur Schreibreform der Nationalsozialisten stehen könnte. Das ist in der Tat der Fall. Obwohl die Inhalte der Reform von 1944 kaum als spezifisch nationalsozialistisch gelten können - wenn man von der Überbetonung des Mündlichen im Sinne der Führerrede absieht -, verblüffen die Parallelen. Auch die Geheimhaltung, die Furcht der Mächtigen vor dem vorzeitigen Bekanntwerden des Reforminhalts, die Geiselnahme an den Schülern - all dies war damals schon ausgesprochen und geplant worden. Schließlich wurden nach dem Krieg die Reformideen auch von denselben Personen wiederaufgenommen, die schon unter dem Reichserziehungsminister Rust am Werke gewesen waren. Zu diesem Gesichtspunkt wird zweifellos noch mehr ans Licht kommen. Die Arbeit ist sehr sorgfältig aus den Quellen gearbeitet und wird daher mit Recht von einer so namhaften Instanz wie der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung herausgegeben. Ein Muß für alle an der Reform und an der Demokratie Interessierten.“

16. Oktober 2000
Rezensent: Theodor Ickler aus D-91080 Spardorf
www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3892444501/qid%3D1091957998/028-3460212-8824524
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Anmerkung:
In den VRS-Links wurde „viewtopic“ durch „themaschau“ ersetzt, damit sie wieder funktionieren.


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Manfred Riebe



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Beitrag: Dienstag, 02. März. 2004 12:59    Titel: Sollen wir schreiben wie die Nationalsozialisten? Antworten mit Zitat

Sollen wir schreiben wie die Nationalsozialisten?

In der Süddeutschen Zeitung erschien im Oktober 2000 eine Rezension von Hans Krieger, bis 1998 langjähriger Feuilletonchef der Bayerischen Staatszeitung, über das Buch „Rechtschreibreform und Nationalsozialismus“.
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„Klar, schlicht und stark“ – Sollen wir schreiben wie die Nationalsozialisten?
Das verdrängte Vorbild der Rechtschreibreform


Hans Krieger

Auch die Rechtschreibreform wird jetzt von ihrer NS-Vergangenheit eingeholt. Nahtlos knüpften die orthographischen Reformprojekte der Nachkriegszeit an die Gleichschaltung der Rechtschreibung an, mit der im Dritten Reich die deutsche Weltherrschaft sprachpolitisch abgesichert werden sollte. Nichts wesentlich Neues ist den Reformstrategen nach 1945 mehr eingefallen. So gut wie alle Einzelvorschriften der seither diskutierten und verworfenen Neuregelungspläne gehörten schon zum Reformprogramm der Nationalsozialisten - von der Kleinschreibung der Substantive bis zur Beseitigung der Dehnungszeichen, vom „Keiser im Bot“ bis zur absurden Einebnung des Unterschiedes von „das“ und „daß“, die bis Anfang der 90-er Jahre zentraler Bestandteil des Forderungskataloges war. Und noch der 1996 geglückte Versuch, nach dem Scheitern der Totalvereinfachung wenigstens eine Minimalreform durchzusetzen, hat in der Orthographiepolitik der Nazis sein klares historisches Vorbild.

Jahrzehntelang ist dieser geschichtliche Zusammenhang verleugnet worden - bewusst verschleiert zunächst und dann verdrängt. Die heutigen Reformbetreiber wissen wohl gar nicht, in welcher Tradition sie stehen. Verwundern kann die Kontinuität freilich nicht, denn federführend blieben auch nach Kriegsende zunächst weitgehend die selben Leute, die schon unter Hitler mit entschieden nationalsozialistischer Begründung auf eine radikale Vereinfachung der Rechtschreibung hingearbeitet hatten. Rückblickend wussten sie ihre Aktivitäten allerdings so darzustellen, als hätten sie ihr unpolitisches Engagement für den Sprachfortschritt in tapferer Opposition gegen eine reaktionäre Diktatur betrieben, an deren Uneinsichtigkeit sie schließlich gescheitert seien.

Licht in ein dunkles Kapitel der Sprachgeschichte, das in allen historischen Darstellungen der Rechtschreibproblematik geflissentlich ausgespart blieb, bringen jetzt zwei junge Wissenschaftler aus Jena und Halle. In ihrem Buch „Rechtschreibung und Nationalsozialismus“, das im Wallstein-Verlag in Göttingen am 10. Oktober erscheinen wird, weisen Hanno Birken-Bertsch und Reinhard Markner mit akribischen Recherchen nach, welche zentrale Bedeutung eine schlagkräftig modernisierte Rechtschreibung für das Denken und die Sprachpolitik der Nationalsozialisten hatte. Zusammen mit den Bemühungen um eine „arteigene Satzlehre“ gehörte sie zum „Aufbruch der Sprache“, die dem „völkischen Aufbruch“ zu folgen hatte. „Klar, schlicht und stark“ in der Schreibung - nur so konnte das Deutsche zur „Weltsprache“ werden und den unterworfenen Völkern aufgezwungen werden.

Schon 1933 wurde die Parole von der „Gleichschaltung“ der Rechtschreibung ausgegeben; später gab es sogar Berechnungen darüber, wie die Einsparungen an Unterrichtszeit und Materialkosten für Satz und Druck die Kriegswirtschaft entlasten könnten. Der Sprachbereinigungseifer gipfelte in dem Reformplan des Reichserziehungsministers Bernhard Rust von 1941, der nahezu identisch ist mit den berüchtigten „Stuttgarter Empfehlungen“ von 1954. Und noch 1944 wurde eine reduzierte Teilreform ausgearbeitet, die wiederum fatale Ähnlichkeit mit der umstrittenen Reformschreibung von 1996 hat.

Gewaltiger Aufbruch - zurück

Dass es nicht mehr zur Verwirklichung kam und die im Auftrag Rusts gedruckte Reformbroschüre nicht mehr ausgeliefert wurde, lag nicht an Meinungsdifferenzen in der NS-Führung, sondern an der veränderten Kriegslage. Angesichts zurückweichender deutscher Fronten war die anfangs unterstellte Kriegswichtigkeit einer Rechtschreibreform nicht mehr zu begründen. Hitler und Goebbels befahlen die Vertagung des Vorhabens auf die Zeit nach dem Krieg und untersagten aus Opportunitätsgründen jede weitere Debatte.

Bei ihrer Rekonstruktion der Reformaktivitäten in den Jahren der braunen Diktatur weisen die beiden Forscher nach, welchen zentralen Stellenwert die stromlinienförmig einfache Schreibung im Programm einer Bewegung besaß, die sich mit gewaltigem Zukunftspathos als „revolutionär“ verstand. Das vielleicht Erschreckendste jedoch ist der Nachweis der Studie, wie stark die Denkmuster von damals unerkannt bis in die Gegenwart fortwirken. Nicht nur in vielen Einzelheiten gleicht die Reform von 1996 der 1944 geplanten Teilreform (ss-Schreibung, forcierte Getrenntschreibung, Worttrennung nach Sprechsilben statt Sprachsilben). Dass die heutige Reform die Schreibung als pure Äußerlichkeit behandelt, die mit der Sprache selbst nichts zu tun habe, und mit dieser sprachwissenschaftlich naiven Begründung (auf die auch das Bundesverfassungsgericht hereinfiel) die Vernachlässigung der Lesekultur und den Verzicht auf semantische Differenzierungen im Schriftbild legitimiert, lässt sich zurückführen auf jene Sprachideologie der NS-Zeit, die davon ausging, dass nur in der gesprochenen Sprache die Volksseele unmittelbar zum Ausdruck komme und die Schriftkultur nachgeordnet und geringerwertig sei. Weggefallen ist davon heute nur das völkische Vokabular und das offene Bekenntnis zum Ressentiment gegen die „Intellektuellensprache“, das für den egalitären Massenkult der Nazis zum guten Ton gehörte.

Vor allem eins aber verbindet die Neuregelung von heute mit den Reformplänen von damals: die Anmaßung, die Sprachentwicklung staatsautoritär reglementieren und umlenken zu wollen. In dieser obrigkeitsstaatlichen Arroganz, die selbst im Kaiserreich undenkbar war, ist die Orthographiepolitik des Dritten Reiches der einzige historische Präzedenzfall für das Reformdiktat von 1996. Christian Meier, der Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, hat die Parallele zur Rechtschreibreform der Nationalsozialisten schon 1998 vor dem Bundesverfassungsgericht gezogen. Damals wusste man noch wenig; es gab einen Sturm der Entrüstung. Jetzt wissen wir es genauer: Christian Meier hatte Recht. Und keine Empörung kann von der Verpflichtung entbinden, Realität zur Kenntnis zu nehmen.

Keiner hat die Absicht, jetzt endlich wenigstens teilweise durchzusetzen, was das Dritte Reich vorhatte, aber nicht mehr realisieren konnte. Aber auch ohne Absicht sollte sich niemand zum späten Vollstrecker des NS- Willens machen lassen.

(Hanno Birken-Bertsch, Reinhard Markner: Rechtschreibreform und Nationalsozialismus. Ein Kapitel aus der politischen Geschichte der deutschen Sprache. Wallstein-Verlag, Göttingen 2000, 136 Seiten, ISBN:
3-89244-450-1, 29.00 DM - 212.00 öS - 28.10 sfr)

Süddeutsche Zeitung vom 2. Oktober 2000, Feuilleton
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ARD
forum.tagesschau.de > Inland > Bildungsmisere > Schreiben wie die Nazis es uns vorschreiben wollten!?
http://forum.tagesschau.de/showthread.php?t=42


Zuletzt bearbeitet von Manfred Riebe am Samstag, 23. Apr. 2005 23:48, insgesamt 4mal bearbeitet
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Manfred Riebe



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Beitrag: Freitag, 12. März. 2004 22:14    Titel: Vergleich mit der Rechtschreibreform des Dritten Reiches Antworten mit Zitat

<b>Vergleich mit der Rechtschreibreform des Dritten Reiches aus dem Jahre 1944

Naheliegenden Vergleich als persönlichen Angriff mißverstanden</b>

- Zu dem Artikel „Im Dickicht der Sprache“ von Hermann Unterstöger in der SZ vom 13. Mai 1998

Hermann Unterstöger schreibt über die Anhörung zur Rechtschreibreform vor dem Bundesverfassungsgericht, die Präsidentin der KMK, Anke Brunn, habe sich dagegen gewehrt, daß Professor Christian Meier sie in die Nähe des NS-Staates rücke, indem er die heutige Rechtschreibreform mit der des Dritten Reiches vergleiche. Unterstöger kritisierte, Meier sei dabei „nicht ganz Herr seines ansonsten gerühmten Feinsinns“ gewesen. Offenbar wird der sachlich naheliegende Vergleich mit der Rechtschreibreform des Dritten Reiches als persönlicher Angriff mißverstanden. Dabei liegt es durchaus im Bereich des Möglichen, daß interessierte Kreise die Rechtschreibreform des Dritten Reiches aus der Schublade holten, nachdem genügend Gras darüber gewachsen war.

Bereits 1941 verbot Hitler die deutsche Schrift, weil er sie fälschlicherweise für „Schwabacher Judenlettern“ hielt (s. Kopke: Rechtschreibreform und Verfassungsrecht 1995, S. 35 f.). Danach ließ er von seinem Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Bernhard Rust, eine Rechtschreibreform durchführen. Die Rechtschreibreform des Dritten Reiches aus dem Jahre 1944 ist den ursprünglichen Entwürfen der heutigen Reform verblüffend ähnlich (vgl. W. Trausel: Wörterbuch für Rechtschreiben und Rechtlauten der Reichssprache mit der Zusammenfassung der wichtigsten Regeln zur neuen Rechtschreibung, Reichenberg: Roland-Verlag 1944, und Theodor Ickler: Amtssprache Deutsch. In: Bayerische Staatszeitung 24.04.98). Man achte zum Beispiel auf die peinliche Eindeutschung von Fremdwörtern, die sowohl die NS-Rechtschreibreform als auch die aktuelle Reform prägt.

Karl-Heinz Requard, Reinsbüttel

Süddeutsche Zeitung Nr. 122 vom 29. Mai 1998, S. 10
____________________________________________

Anmerkungen:
Vgl. Der Rechtschreibwahrer 2000: Karl-Heinz Requard
http://www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?p=617#617

Die Anhörung zur Rechtschreibreform vor dem Bundesverfassungsgericht hatte am 12. Mai 1998 stattgefunden. Als einzige Reformkritiker waren die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung (DASD) - www.deutscheakademie.de - und der Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege (VRS) – www.vrs-ev.de - geladen. Alle anderen geladenen Organisationen waren die Wörterbuchverlage und deren Lobby.

Die DASD vertrat der Historiker Professor Christian Meier, den VRS der Sprachwissenschaftler Professor Theodor Ickler. Beide wurden später für ihre Verdienste um die deutsche Sprache und für den Kampf gegen die Rechtschreibreform mit Sprachpreisen geehrt, vgl. http://www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?t=240
_________________________________________

Anmerkung:
In den VRS-Links wurde „viewtopic“ durch „themaschau“ ersetzt, damit sie wieder funktionieren.


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Beitrag: Sonntag, 14. März. 2004 11:00    Titel: Hitlers Verbot der deutschen Schrift Antworten mit Zitat

Hitlers Verbot der deutschen Schrift
Zum „ss“ in Hitlers Schriftreform


Anhand einiger Beispiele soll auf die ss-Schreibweise der NS-Organisationen aufmerksam gemacht werden. Bisher hat meines Wissens noch niemand geklärt, welche Ursachen diese ss-Schreibweise der Nazis hatte.

Am 19.10.2000 beanstandete Professor Hans-Martin Gauger, Freiburg, in einem Leserbrief in der FAZ, daß niemand von der Abschaffung der Sütterlin-Schrift durch Hitler im Jahre 1941 rede. Die Unwissenheit ist tatsächlich groß; denn man hört immer wieder die unwahre Behauptung, die gotische Schrift (Fraktur, Sütterlin) sei eine Nazi-Schrift, obwohl sie schon zur Zeit Luthers verwendet wurde. Der folgende Text über jene „Schriftreform“ soll nicht nur über die ss-Schreibweise der NSDAP im Braunen Haus in München bzw. auf dem Obersalzberg, sondern auch über die antisemitischen Motive Hitlers aufklären.
____________________________________________________

Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei
Der Stellvertreter des Führers
Stabsleiter
München 33
Braunes Haus

z.Zt. Obersalzberg, den 3.1.41
(Eingangsstempel)
Reichs-Studentenführung
Eing. 9. JAN.41

R u n d s c h r e i b e n
(Nicht zur Veröffentlichung).

Zu allgemeiner Beachtung teile ich im Auftrage des Führers mit:
Die sogenannte gotische Schrift als eine deutsche Schrift anzusehen oder zu bezeichnen ist falsch. In Wirklichkeit besteht die sogenannte gotische Schrift aus Schwabacher Judenlettern. Genau wie sie sich später in den Besitz der Zeitungen setzten, setzten sich die in Deutschland ansässigen Juden bei Einführung des Buchdrucks in den Besitz der Buchdruckereien und dadurch kam es in Deutschland zu der starken Einführung der Schwabacher Judenlettern.

Am heutigen Tage hat der Führer in einer Besprechung mit Herrn Reichsleiter Amann und Herrn Buchdruckereibesitzer Adolf Müller entschieden, dass die Antiqua-Schrift künftig als Normal-Schrift zu bezeichnen sei. Nach und nach sollen sämtliche Druckerzeugnisse auf diese Normal-Schrift umgestellt werden. Sobald dies schulbuchmässig möglich ist, wird in den Dorfschulen und Volksschulen nur mehr die Normal-Schrift gelehrt werden.

Die Verwendung der Schwabacher Judenlettern durch Behörden wird künftig unterbleiben; Ernennungsurkunden für Beamte, Strassenschilder u. dergl. werden künftig nur mehr in Normal-Schrift gefertigt werden.

Im Auftrage des Führers wird Herr Reichsleiter Amann zunächst jene Zeitungen und Zeitschriften, die bereits eine Auslandsverbreitung haben, oder deren Auslandsverbreitung erwünscht ist, auf Normal-Schrift umstellen.

gez. M. Bormann.

F.d.R.:
(Unterschrift unleserlich, vermutlich: Witt)

Verteiler:
Reichsleiter,
Gauleiter,
Verbändeführer.

Siehe Faksimile: www.gazette.de/Archiv/Gazette-Mai2001/Schrift.html
________________________________________________________

Bormann, Martin: Rundschreiben vom 3. Januar 1941: Im Original abgedruckt in: Heeger, Heinrich: Das Verbot der deutschen Schrift durch Adolf Hitler im Lichte einer schriftgeschichtlichen Betrachtung. In: Die deutsche Schrift, Heft 55, Sonderheft, Winter 1977, S. 10 f.

Anmerkungen:
Der Text ist in Antiqua geschrieben. Der Briefkopf des Braunen Hauses ist dagegen in Fraktur, d.h. in der deutschen Schrift (!) gedruckt. Es fallen folgende ss-Schreibweisen ins Auge: dass, schulbuchmässig, Strassenschilder.

Martin Bormann war seinerzeit Stabsleiter beim „Stellvertreter des Führers“, Rudolf Hess; Max Amann war Reichsleiter für die Presse der NSDAP und Direktor des Zentralverlages der NSDAP; Adolf Müller druckte den Völkischen Beobachter, das Zentralorgan der NSDAP. Auch der Völkische Beobachter benutzte die Fraktur und zwar die Bernhard-Fraktur. Sicher war es kein Zufall, daß Adolf Müller bei der Besprechung dabei war. Es liegt nahe, zu vermuten, daß er herausgefunden hatte (oder Mitarbeiter ihn informiert hatten), daß der Entwerfer der Schrift, Lucian Bernhard (1883 Stuttgart - 1972 New York), Jude war. Jedenfalls durfte dieser für das Regime peinliche Tatbestand nicht öffentlich bekannt werden ... lieber stellte man die pauschale Behauptung auf, die gotische Schrift (Fraktur) bestehe aus „Judenlettern“.

Lutz Schweizer, Alling bei München, lutz.schweizer@arcor.de
http://home.arcor.de/lutz.schweizer/schrifterlass.html
__________________________________________________

Siehe auch:

in der Rubrik „Wörterbücher“ den Strang: DUDEN 1942 in „Normalschrift“ –
www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?t=662

in der Rubrik „Schule“ den Strang: Die „gotische“ oder deutsche Schrift (Sütterlin, Fraktur) - www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?t=381

in der Rubrik „Staat und Sprache“ die Stränge:
1. „Rechtschreibreform und Nationalsozialismus“ - www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?t=296 - und darin den Beitrag:

- „Hatte das „ss“ in der Antiqua keine politische Bedeutung?“ -
www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?p=839#839

2. „Wurden Fraktur und Sütterlin verboten?“ - www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?t=319
________________________________________________________

Anmerkung:
In den VRS-Links wurde „viewtopic“ durch „themaschau“ ersetzt, damit sie wieder funktionieren.


Zuletzt bearbeitet von Manfred Riebe am Mittwoch, 27. Jul. 2005 19:53, insgesamt 7mal bearbeitet
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Manfred Riebe



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Beitrag: Dienstag, 23. März. 2004 23:30    Titel: Malverbot mit der ss-Schreibung Antworten mit Zitat

Malverbot mit der ss-Schreibung
Zur Ausmerzung der Werke „entarteter Kunst“


Hier soll ein weiteres Schreiben in der ss-Schreibung des Dritten Reiches vorgestellt werden.
Ich zitiere aus einem Schreiben des Präsidenten der Reichskammer der bildenden Künste, Professor Adolf Ziegler, vom 23. August 1941 an Emil Nolde:

„Anlässlich (sic!) der mir s.Zt. vom Führer aufgetragenen Ausmerzung der Werke entarteter Kunst in den Museen mussten (sic!) von Ihnen allein 1052 Werke beschlagnahmt werden. [...] schliesse (sic!) ich Sie wegen mangelnder Zuverlässigkeit aus der Reichskammer der bildenden Künste aus und untersage Ihnen mit sofortiger Wirkung jede berufliche – auch nebenberufliche – Betätigung auf den Gebieten der bildenden Künste.“

Mit Doppel-s schrieb Ziegler auch „einschliesslich“ und „grossen“.

(In: Nolde – Ungemalte Bilder 1938-1945. Hrsg. v. der Stiftung Seebüll Ada u. Emil Nolde, Seebüll 1985, S. 11)

Der im nordschleswigschen Nolde geborene Künstler Emil Nolde (1867-1956), der zu den führenden Malern des Expressionismus zählt, hieß mit bürgerlichem Namen Emil Hansen. Seit 1904 signierte er mit „Emil Nolde“. Trotz Noldes Mitgliedschaft in der NSDAP wurden 1937 im Zuge der Beschlagnahmung der Werke „entarteter Kunst“ in deutschen Museen auch von Nolde insgesamt 1.052 Arbeiten eingezogen. 48 ausgewählte Werke Noldes wurden in der Ausstellung „Entartete Kunst“ 1937 in München gezeigt und verspottet. 1941 erhielt Nolde das oben auszugsweise zitierte Malverbot.

Das Leben Emil Noldes spiegelt sich in dem Roman „Die Deutschstunde“ von Siegfried Lenz in der Gestalt des Malers Max Ludwig Nansen. Viele Lebensdaten Noldes stimmen mit denen von Max Ludwig Nansen überein.

http://www.nolde-stiftung.de/deutsch.htm
http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/NoldeEmil/index.html
http://de.wikipedia.org/wiki/Emil_Nolde


Zuletzt bearbeitet von Manfred Riebe am Freitag, 10. Dez. 2004 18:05, insgesamt 1mal bearbeitet
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Beitrag: Freitag, 26. März. 2004 14:21    Titel: Zur „ss“-Schreibung im NS-Staat Antworten mit Zitat

Zur „ss“-Schreibung im NS-Staat

ADOLF ZIEGLER : Brief an Schmidt-Rottluff
_____________________________________________

Der Präsident der Reichskammer der bildenden Künste
Berlin W 35, den 3. April 1941
Blumeshof 4-6
Aktenzeichen: IIB / M 756/870

Herrn
Karl Friedrich Schmidt-Rottluff
Berlin W30
Bamberger Strasse (!) 19

Einschreiben!

Anlässlich (!) der mir seinerzeit vom Führer aufgetragenen Ausmerzung der Werke entarteter Kunst in den Museen mussten (!) von Ihnen allein 608 Werke beschlagnahmt werden. Eine Anzahl dieser Werke war auf den Ausstellungen „Entartete Kunst“ in München, Dortmund und Berlin ausgestellt.

Aus dieser Tatsache mussten (!) Sie ersehen, dass (!) Ihre Werke nicht der Förderung deutscher Kultur in Verantwortung gegenüber Volk und Reich entsprechen.

Obwohl Ihnen ausserdem (!) die richtungsweisenden Reden des Führers anlässlich (!) der Eröffnung der Grossen (!) Deutschen Kunstausstellungen in München bekannt sein mussten (!), geht aus Ihren nunmehr zur Einsichtnahme hergereichten Original-Werken der Letztzeit hervor, dass (!) Sie auch heute noch dem kulturellen Gedankengut des nationalsozialistischen Staates fernstehen.

Ich vermag Ihnen auf Grund dieser Tatsachen nicht die für die Mitgliedschaft bei meiner Kammer erforderliche Zuverlässigkeit zuzuerkennen. Auf Grund des § 10 der Ersten Durchführungsverordnung zum Reichskulturkammergesetz vom 1.11.33 (RGBl. I.S. 797) schliesse (!) ich Sie aus der Reichskammer der bildenden Künste aus und untersage Ihnen mit sofortiger Wirkung jede berufliche - und auch nebenberufliche - Betätigung auf den Gebieten der bildenden Künste.

Das auf Ihren Namen lautende Mitgliedsbuch M 756 meiner Kammer ist ungültig geworden; Sie wollen es umgehend an mich zurücksenden.

gez. Ziegler
Beglaubigt: Doemling
(Siegel: Reichskulturkammer
Reichskammer der bildenden Künste)

http://residence.aec.at/rax/KUN_POL/UND/DOCU/schmrot.html
__________________________________________________________

Anmerkungen:
Auch dieses Berufsverbot ist durchsetzt mit der ss-Schreibung.

Karl Schmidt-Rottluff (1884-1976) wurde als Karl Schmidt in Rottluff bei Chemnitz (Sachsen) geboren. Er war Maler, Graphiker, Bildhauer, Kunsthandwerker und Mitbegründer der »Brücke«. 1931 wird er Mitglied der Preußischen Akademie der Künste. Die Nationalsozialisten diffamieren 1933 seine Werke als „entartete Kunst“, und er wird aus der Akademie ausgeschlossen. 1936 erhält Schmidt-Rottluff ein Ausstellungsverbot. 1937 werden 608 seiner Werke aus deutschen Museen beschlagnahmt und 25 seiner Arbeiten in der Ausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt. 1941 erhält Schmidt-Rottluff Berufsverbot, und er wird aus der »Reichskammer der bildenden Künste« ausgeschlossen.
http://www.bautz.de/bbkl/s/s1/schmidt_rottluff.shtml
__________________________________________________________

Adolf Ziegler (1892-1959) wurde in Bremen geboren und studierte an den Kunstakademien in Weimar und München. Seit 1924/25 war er freischaffend tätig. Als Sachbearbeiter für Bildende Kunst in der Reichsleitung der NSDAP München lernte er 1925 Adolf Hitler kennen. Nach der Machtübernahme 1933 erhielt er einen Lehrauftrag als ordentlicher Professor für Maltechnik an der Münchner Akademie der Bildenden Künste (Kunst im dritten Reich 1/1937, Große Deutsche Kunstausstellung München 1937. Verlag: Thieme-Becker)

http://residence.aec.at/rax/KUN_POL/UND/BIOS/ziegler.html

Ziegler wurde am 1.12.1936 zum Präsidenten der „Reichskammer der Bildenden Künste“ ernannt. Im Jahr darauf erhielt er die Aufgabe, alle Kunstwerke, die nicht der nationalsozialistischen Kunstauffassung entsprachen, aus den Museen und Sammlungen zu entfernen. Mit diesen Werken wurde die von Ziegler geleitete Ausstellung „Entartete Kunst„ bestückt. Des Defaitismus bezichtigt, mußte Ziegler 1943 seine öffentlichen Ämter niederlegen.

http://www.dhm.de/lemo/html/nazi/kunst/ziegler/
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Günter Schmickler



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Beitrag: Freitag, 26. März. 2004 19:48    Titel: s-Laut-Schreibung im Dritten Reich Antworten mit Zitat

Ich besitze eine kleine Sammlung von historischen Urkunden aus der Zeit von 1918 – 1948 (Faksimiledrucke). Bezüglich der Handhabung der s-Laut-Schreibung in dieser Zeit sind die folgenden Beispiele, die ich herausgesucht habe, recht aufschlußreich. Bei der Auswahl habe ich nur Urkunden berücksichtigt, die in lateinischen Buchstaben geschrieben bzw. gedruckt sind.

Aus der Abdankungsurkunde Kaiser Wilhelms II vom 28. Nov. 1918:

Zugleich entbinde ich alle Beamten des Deutschen Reiches und Preussens sowie alle Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften der Marine, des Preussischen Heeres und der Truppen der Bundeskontingente des Treueides .....
Ich erwarte von ihnen, dass sie bis zur Neuordnung des Deutschen Reiches .....

Aus dem zwischen Deutschland, dem Vereinigten Königreich, Frankreich und Italien getroffenen Abkommen vom 29. September 1938 („Münchener Abkommen“):

..... die danach zu ergreifenden Massnahmen ...
....., dass die Räumung des Gebietes bis zum 10. Oktober vollzogen wird.
....., dass die Räumung ohne Beschädigung der bezeichneten Einrichtungen durchgeführt wird.

Aus der gemeinsamen Erklärung Hitlers und Chamberlains über die deutsch-englischen Beziehungen am 30. September 1938:

Wir haben eine weitere Besprechung gehabt und sind uns in der Erkenntnis einig, daß .....

In dem vom Reichspropagandaministerium herausgebrachten Plakat „Das geht alle Frauen an“ (März/April 1943):

„Die Herstellung friedensmäßiger Waren muß um der kriegswichtigeren Rüstung willen eingestellt werden.“

Ein Vergleich dieser Texte legt den Schluß nahe, daß die Verwendung von „ss“ statt „ß“ keine ideologische Bedeutung hatte, sondern sich rein zufällig aus dem jeweils verwendeten Schreib- bzw. Druckmaschinenfabrikat ergab. Offenkundig hatte ein Teil der Maschinen keine Type für das „ß“.
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Manfred Riebe



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Beitrag: Samstag, 27. März. 2004 13:42    Titel: Hatte das „ss“ in der Antiqua keine politische Bedeutung? Antworten mit Zitat

Hatte das „ss“ in der Antiqua keine politische Bedeutung?

Günter Schmickler schreibt in „s-Laut-Schreibung im Dritten Reich“: „Ein Vergleich dieser Texte legt den Schluß nahe, daß die Verwendung von „ss“ statt „ß“ keine ideologische Bedeutung hatte, sondern sich rein zufällig aus dem jeweils verwendeten Schreib- bzw. Druckmaschinenfabrikat ergab. Offenkundig hatte ein Teil der Maschinen keine Type für das „ß“.“

1. Die von mir zitierten Dokumente sind keine Druckerzeugnisse, sondern maschinenschriftliche Schriftstücke.

2. Dagegen handelt es sich bei den als Gegenbeweis zitierten Dokumenten anscheinend um drei gedruckte Texte aus der Zeit von 1938 bis 1943. Man kann anhand weniger und undifferenzierter Dokumente kaum stichhaltige Schlußfolgerungen ziehen. Im übrigen spielt im politischen Bereich der Zufall meist eine nur untergeordnete Rolle.

3. Von einer „ideologischen Bedeutung“ war bisher im Hinblick auf die ss-Schreibung nicht die Rede. Aber die Frage nach einer politischen ideologischen Motivation und einer ideologischen parteiinternen Auseinandersetzung kann man gerade bei Druckerzeugnissen stellen.

4. In Bezug auf Druckereien bzw. Druckerzeugnisse könnte die Vermutung einer technischen Ursache für die ss-Schreibung richtig sein. In der Antiqua-Druckschrift (also Bleilettern) gab es im 19. Jahrhundert in der Regel kein scharfes S. Mangels der Eszett-Bleilettern haben deshalb in Antiqua gesetzte Fachbücher aus dem 19. Jahrhundert häufig die ss-Schreibung. Jedoch wurde den Schriftgießereien für die Antiqua-Druckschriften seit 1903 die Mitlieferung der Eszett-Bleilettern vorgeschrieben. (Auskunft von Dr. Winfrid Glocker, Deutsches Museum, München, vom 28.05.2002)
Es ist bekannt, daß es in etlichen Druckereien noch lange nach 1900 in der Antiquaschrift an Eszett-Lettern mangelte, so daß das Eszett häufig durch ss ersetzt wurde. Aber ob es im Falle der drei zitierten Druckschriften keine Eszett-Lettern gab, ist nicht geklärt.

Anhand zweier Flohmarkt-Funde aus dem privatwirtschaftlichen Druckbereich prüfte ich, ob das Eszett oder das Doppel-s verwendet wurde:

5. Mit Hilfe eines vertraulichen Führer-Erlasses vom 3. Januar 1941 wurde die deutsche (gotische) Schrift verboten und an deren Stelle die Antiqua (lateinische Schrift) zur Normalschrift erklärt und deren alleinige Verwendung angeordnet. Hitlers Verbot der deutschen Schrift (Fraktur) bewirkte, daß die Bibliographisches Institut AG, Leipzig, den Duden 1942 auf die lateinische Schrift (Antiqua) umstellte, nun „deutsche Normalschrift“ genannt. Die 12. Auflage erschien zwar im Januar 1941 zunächst noch in Fraktur-Schrift. Daraufhin erschien dann aber am 1. September 1941 ein Erlaß des Reichserziehungsministers, der an Stelle der deutschen Schrift nun auch offiziell die Normalschrift einführte. Der Duden brachte dann schon im November 1942 die 12. Auflage noch einmal als ansonsten unveränderte „Normalschriftausgabe“ heraus. <B>Darin aber blieben trotz der Antiqua-Lettern alle Eszetts erhalten.</B>

6. Auch der „Völkische Beobachter“ stellte (spätestens im Oktober 1942) auf Antiqua-Lettern um. Der Völkische Beobachter erschien im Zentralverlag der NSDAP Frz. Eher Nachf. GmbH, einem privatwirtschaftlichen Verlag. <B>Auch im Völkischen Beobachter blieben alle Eszetts erhalten.</B> (Noller, Sonja / von Kotze, Hildegard Hrsg.: Facsimile Querschnitt durch den Völkischen Beobachter, München, Bern, Wien: Scherz Verlag, 1967)

Aber ich meine, daß man sich nicht auf eine kleine Zahl zufällig ausgewählter Dokumente verlassen kann. Erst anhand einer größeren Zahl gedruckter Dokumente der NS-Regierung und der NS-Gliederungen erhält man die nötige breitere empirische Grundlage, um mit Hilfe weiterer Hintergrundinformationen stichhaltige Schlußfolgerungen ziehen zu können. Man müßte folglich erst einmal weitere Druckerzeugnisse sammeln und analysieren.

Ich möchte mich jedoch weiterhin auf maschinenschriftliche Dokumente konzentrieren, weil mir diese aufschlußreicher als offizielle Verlautbarungen erscheinen.

Da es in der NSDAP und ihren Gliederungen trotz des Führer-Gefolgschaftsprinzips Rivalitäten und Machtkämpfe gab, vermute ich, daß man schließlich das Bild eines multikausalen Geschehens erhalten könnte, bei dem womöglich oft die linke Hand nicht genau wußte, was die rechte tat.
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Manfred Riebe



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Beitrag: Montag, 29. März. 2004 17:31    Titel: Das „ss“ in der Führerkanzlei Antworten mit Zitat

<b>Das „ss“ in der Führerkanzlei
„Geheim!“ - Dr. Kurt Schumacher im KZ Dachau</b>

____________________________________________________

Geheim!

Berlin W 9, den 19. August 1937.
Hermann [...] Str. 15

Kanzlei des Führers der N.S.D.A.P.
Parteipolitisches Amt


Geheim!

An das
Auswärtige Amt
Berlin W 8
Wilhelmstr. 74/76


Aktenzeichen II c

Betrifft: Dr. Kurt Schumacher, z.Zt. in Schutzhaft.

Fräulein Maria Fiechtl, Chicago/III., 4402 N. Ashland Ave., U.S.A., bittet in einem Gesuch vom 10. Mai 1937 an den Führer, ihren Verlobten aus dem Konzentrationslager Dachau zu entlassen.

Der frühere sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete, Reichsbannerführer und Redakteur der Schwäbischen Tagwacht, Dr. Schumacher, kann aus dem Lager nicht entlassen werden, da sein radikale marxistische Einstellung eine unmittelbare Gefahr der öffentlichen Sicherheit bedeutet. Bei seiner Freilassung muss (!) erwartet werden, dass (!) er sofort emigriert und im Ausland gegen Deutschland hetzt. Dieses ist umsomehr zu erwarten, da eine Anzahl seiner Gesinnungsfreunde, die auch in der Lage sind, ihn geldlich zu unterstützen, gegen Deutschland Propaganda treiben. Aus diesen Gründen kann seine Entlassung noch nicht erfolgen.

Ich bitte Sie, der Fiechtl in geeigneter Form, ohne Angabe der obengenannten Gründe, eröffnen zu lassen, dass (!) ihr Verlobter, Dr. Schumacher, noch nicht entlassen werden kann.

Heil Hitler!

Blankenburg

[Rundstempel:]
Kanzlei des Führers der N.S.D.A.P.
_____________________________

Die offiziellen Seiten der KZ-Gedenkstätte Dachau
http://www.kz-gedenkstaette-dachau.de/

Anmerkungen:

Heinrich Himmler wurde am 1. April 1933 zum Politischen Polizeikommandeur Bayerns ernannt. Er unterstellte das KZ Dachau sofort sich selbst in seiner Funktion als Chef der politischen Hilfspolizei, die sich aus Angehörigen der SA und der SS zusammensetzte. Damit begann in Dachau ein auf deutschem Boden bisher noch nie dagewesener Terror.
http://members.aol.com/zbdachau/history/ger1.htm

Der Briefkopf ist nicht in Fraktur gedruckt, sondern in einer Schrift, die mehr der Antiqua und der Fraktur nur teilweise ähnelt (z.B. Lang-s). Der Text ist in Maschinenschrift in Antiqua geschrieben. Der Straßenname ist unleserlich.

In diesem Brief wird schon im Jahre 1937 das Eszett durchgängig durch „ss“ ersetzt: zweimal „dass“, einmal „muss“. Es ergibt sich die Frage, ob es auf der verwendeten Schreibmaschine kein Eszett gab.
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Beitrag: Mittwoch, 16. Jun. 2004 09:16    Titel: In Briefen wurde „dass“ und „muss“ verwendet Antworten mit Zitat

In Briefen wurde „dass“ und „muss“ verwendet
_______________________________________________________________

Klaus Eicheler - So Jun 06, 2004 10:02 pm Titel: Historisches: Was mir auffällt

Ich bin gerade dabei, das Tagebuch und die Korrespondenz meines Großvaters in der Zeit von 1928 bis 1939 zu sichten und zu digitalisieren. Zum Thema Orthographie fällt mir dabei auf:

1. In den Briefen wurde überwiegend z. B. „dass“ und „muss“ verwendet. So neu kann die gegenwärtige „Reform“ also nicht sein, mir erscheint sie eher als Rückschritt. Daß mein Großvater entsprechend der KMK korrekt geschrieben haben soll, tröstet mich nicht.

2. Die Briefschreiber benutzen über die Zeit zunehmend „Heil Hitler“ als Gruß, obwohl das staatlicherseits sicher nicht (zumindest nicht für den privaten Gebrauch) vorgeschrieben war. Auch vom Inhalt der Briefe her schließe ich auf Motive, die eine Mischung aus Opportunismus, Angst, „Modernitätssucht“ und Gleichgültigkeit sind. Das hat für mich fatale Ähnlichkeit mit der Korrespondenz, die mich heute erreicht -- ein paar „ss“ hineingestreut, um reformwillig zu scheinen, um nicht (durch wen?) Nachteile zu erleiden, um modern zu wirken -- aber hauptsächlich, wie dann die übrige (rudimentäre) Orthographie zeigt, weil es den Schreibern wohl sowieso egal ist.
__________________________________________________________________

Anmerkung:

Damit hier nicht Dutzende von Strängen über das Thema „Rechtschreibreform und Nationalsozialismus“ oder „Die Rechtschreibreform des Dritten Reiches“ usw. entstehen, wurde dieser dazugehörige Beitrag in den Strang der „Rechtschreibreform und Nationalsozialismus“ verschoben. Andernfalls gäbe es ein Durcheinander, in dem man lange und oft vergeblich suchen würde.
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Beitrag: Freitag, 25. Jun. 2004 16:08    Titel: Erinnerung an die dreißiger Jahre Antworten mit Zitat

Erinnerung an die dreißiger Jahre
____________________________

Kultureller Exodus


Zu „Duldet keine Kompromisse“ (F.A.Z. vom 2. Juni):
Nachdem das Datum der offiziellen Einführung der Rechtschreibreform veröffentlicht ist, erweist sich dieser Schritt im nachhinein als Lehrstück für die Generation der sogenannten „68er“, die nun erkennen müssen, daß auch der härteste Widerstand gegen politische Entscheidungen an Grenzen stößt. Hat man doch unseren Eltern vorgeworfen, sie hätten in den dreißiger Jahren nicht genug Widerstand geleistet gegen das Aufkommen des Nationalsozialismus. Heute kommt der Widerstand von allen Seiten, der gesamten Fachwelt inklusive. Er ist in aller Munde, so daß die Verantwortlichen bis zuletzt in den Regeln für Getrenntschreibung herumstochern, um die Akzeptanz zu verbessern. Wenn es wahr werden sollte, daß man Verlegern, die an der alten Schreibung festhalten wollen, die Lizenz zur Veröffentlichung entzieht, dann hätten wir eine Situation, welche die Erinnerung (so man sie noch hat) an die dreißiger Jahre wachruft. Es wäre denkbar, daß nicht nur die Bücherschränke, soweit sie sich noch in manchen Wohnungen befinden, und die deutschen Bibliotheken im Ausland zu den Bewahrern unserer Schreibkultur würden - eine peinliche Parallele zum kulturellen Exodus der dreißiger Jahre. Natürlich kann man auch auf Wunder hoffen, da ja - wie es scheint - immer noch manches im Fluß ist. „Die Schüler schreiben es so gern“, hieß es immer wieder bei der Verteidigung der Neuerungen. Dabei denkt wohl niemand daran, daß Russen, Bulgaren, Griechen - von den arabischen und asiatischen Schriften ganz abgesehen - sich in unser Schriftbild erst einlesen müssen, was wir als selbstverständlich erwarten, Japaner und Chinesen haben bis zum Abitur und darüber hinaus damit zu tun, die jeweils zum Verständnis nötigen Schriftzeichen zu lernen. Wenn wir unsere Position in der Pisa-Studie wirklich verbessern wollen, gehört das fehlerfrei abgelesene gesprochene Wort dazu. Erst dann entdeckt man, wieviel Stolpersteine die Worttrennungen uns in den Weg legen.

Als Beethoven von seinem Kopisten auf einen Schreibfehler - den dieser meinte, entdeckt zu haben - aufmerksam gemacht wurde (dieser Ausbruch des Cholerikers ist verbürgt), fuhr der Meister ihn an: „Das ist ja, als wenn die Sau die Minerva lehren wollte!“

Professor Detlef Kraus, Hamburg

Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 144 vom 24. Juni 2004, S. 8
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Beitrag: Freitag, 25. Jun. 2004 16:17    Titel: Im Namen des Volkes gegen das Volk! Antworten mit Zitat

Im Namen des Volkes gegen das Volk!
„Das Parteienkartell lähmt die Republik“
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Demokratie neuer Prägung?
Zu „Kultureller Exodus“ - Ohnmacht des Volkes


Der Leserbrief von Herrn Professor Detlef Kraus hat mich tief beeindruckt.
Wenn er als Zeitzeuge Entwicklungen der dreißiger Jahre beschreibt und sie aus eigener Kenntnis mit Vorgängen in unserer heute gelebten Demokratie vergleichen kann, frage ich mich als nach dem Krieg Geborene, ob die Gründungsväter unserer Demokratie eine solche Entwicklung hätten gutheißen können, geschweige denn so gewollt hätten. Wer die Entwicklung in Sachen Rechtschreibreform verfolgt, findet ein Paradebeispiel, wie eine Minderheit regiert und etwas gegen den Willen der Mehrheit mit Macht durchdrückt.
Ich meine, wir sind schlichtweg mit zuviel „Politik-Personal“ ausgestattet, das sich Betätigungsfelder sucht und schafft, so auch u.a. die Rechtschreibreform. Welch eine Verschwendung an Arbeitskraft!
(In diesem Zusammenhang: Danke für den unter dieser Webseite gegebenen Hinweis zum Thesenpapier von Herrn Prof. von Arnim „Das Parteienkartell lähmt die Republik“; s.a. http://www.vvvd.de)

24.6.2004, Maria Glaser

www.rechtschreibreform.com/Perlen/KraftBank/KraftBank.pl?ThuJun2411:45:42CEST2004
_______________________________________________________________________

Siehe: Gedenktag: Volksentscheid in Schleswig-Holstein - Das Volk als Souverän und Untertan: Im Namen des Volkes gegen das Volk! - www.vrs-ev.de/pm270903.php
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Beitrag: Montag, 28. Jun. 2004 21:48    Titel: Verdrängung Antworten mit Zitat

Verdrängung

„Die Parallelen der Rechtschreibreform mit nationalsozialistischen Bestrebungen wurden zunächst verdrängt, später jedoch aufgedeckt.“

Wolfgang Näser: Wider die sprachliche Apartheid!
Materialien und Gedanken zur sog. Rechtschreib-Reform, 05/1999 ff.
www.staff.uni-marburg.de/~naeser/GFDS-REC.HTM
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Beitrag: Mittwoch, 11. Aug. 2004 23:39    Titel: Zur Rechtschreibreform des Dritten Reiches Antworten mit Zitat

Zur Rechtschreibreform des Dritten Reiches

Wie der Gesetzgeber im Dritten Reich den Volksgenossen das Schreiben erleichterte
„Mit behutsamer Hand hat der Gesetzgeber eine kleine Reform der Rechtschreibung durchgeführt.“ „Damals wie heute versucht der Staat, die Schreibweise des gesamten Volkes mit obrigkeitlichen Mitteln und mit Hilfe der Schule zu verändern.“
___________________________________________________________________________

Die einzige wirkliche Rechtschreibreform in Deutschland

Zu dem Artikel IM DICKICHT DER SPRACHE von Hermann Unterstöger in der SZ vom 13. Mai und den Leserbriefen NAHELIEGENDEN VERGLEICH ALS ANGRIFF MISSVERSTANDEN in der SZ vom 29. Mai

Als Verfahrensbeteiligter [als Vertreter des Vereins für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege (VRS) – www.vrs-ev.de - und der Initiative „Wir Lehrer gegen die Rechtschreibreform“ - www.raytec.de/rechtschreibreform/ -, MR] hatte ich eigentlich nicht die Absicht, mich vor dem 14. Juli, dem Tag der Urteilsverkündung, zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht über die Rechtschreibreform zu äußern. Nun scheint aber insbesondere über die Rustsche Reform von 1944 eine derartige Unkenntnis zu herrschen, daß die KMK-Vorsitzende auf deren bloße Erwähnung durch den Präsidenten der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung [www.deutscheakademie.de - Professor Christian Meier, MR] mit (wahrscheinlich gespielter) Empörung reagieren und damit bei wenig informierten Journalisten [Ickler meint Hermann Unterstöger, MR] einen gewissen Eindruck erzielen konnte.

Nun denn: Die Rustsche Reform ist nicht nur – wie Wolfgang Kopke in seiner vielbeachteten Dissertation gezeigt hat [Kopke, Wolfgang: Rechtschreibreform und Verfassungsrecht. Schulrechtliche, persönlichkeitsrechtliche und kulturverfassungsrechtliche Aspekte einer Reform der deutschen Orthographie. Tübingen: Mohr, 1995] – aus juristischer Sicht bedeutsam, sondern auch wegen ihres Inhalts. Ein kurzer Aufsatz, der Anfang 1944 in vielen Zeitungen erschien, faßt das Wesentliche zusammen und ist auch heute noch lesenwert:

„Mit behutsamer Hand hat der Gesetzgeber eine kleine Reform der Rechtschreibung durchgeführt. Er ist bei der Einführung neuer Schreibweisen dem Sprachgebrauch nachgegangen, der sich ganz unabhängig von der gesetzlichen Regelung bereits herausgebildet hat. (...)

Im praktischen Leben haben sich schon längst die Schreibungen Fotograf, Telefon, Frisör, Keks (für Cakes), Schal durchgesetzt. Diese neuen Schreibungen waren auch schon halbamtlich anerkannt. Das neue Regelbuch dehnt nunmehr die eingedeutschte Schreibweise auf alle Fremdwörter aus [Germanisierung, MR] und ordnet folgerichtig an, daß die Buchstaben ph und th in Fremdwörtern durch f und t ersetzt werden und daß auch das h nach r wegfällt. Da der Gesetzgeber die allmähliche Anpassung an die neue Schreibung ermöglichen will, fügt er dieser Bestimmung hinzu, daß der bisherige Schreibgebrauch mit ph, th und rh weiter zulässig ist (...) Es kann also nunmehr geschrieben werden: Filosof, Fosfor, Difterie, Sfäre, Sinfonie, Strofe, Rabarber, rytmisch, Teater, Tese, teoretisch.

Das neue Regelbuch (...) bringt eine erfreuliche Klärung in die Schreibung einiger Redewendungen: Ich fahre Rad, ich fahre Schlitten, ich schreibe Maschine. Bisher schrieb man: Ich fahre rad, aber: Ich fahre Schlitten. In diesen Fällen wird die einheitliche Großschreibung angeordnet. Es wird darüber hinaus empfohlen, die Grundform auseinanderzuschreiben, also: Rad fahren, Schlitten fahren usw.

Die Frage der allgemeinen Groß- und Kleinschreibung ist in dieser kleinen Reform noch nicht geregelt worden, sie bleibt für Lehrer und Schüler noch das Schulkreuz. Wir müssen weiterhin in der Schreibung unterscheiden: Er ist schuld, es ist seine Schuld; mir ist angst, ich habe Angst. Der Gesetzgeber lockert aber die Bestimmungen auf. Da sich diese Unterschiede nur schwer in Regeln fassen lassen, sollen die Abweichungen von der richtigen Schreibung nicht als Rechtschreibfehler gelten. Die Schüler werden diese Großzügigkeit des Gesetzgebers dankbar begrüßen. (...)

Auch für das Silbentrennen bringt das Regelbuch eine Erleichterung. Die Silbentrennung erfolgt grundsätzlich nach Sprechsilben. Von Mitlautverbindungen kommt nur der letzte Mitlaut zur nächsten Silbe. Darum teilen wir nunmehr ab: wa-rum, da-rüber, aber auch Fens-ter, Rüs-tung, Karp-fen. Die Lautverbindung st wird also getrennt! (...)

Neu ist die Regel, daß in Satzverbindungen vor ‚und’ oder ‚oder’ kein Beistrich mehr gesetzt wird. Wir schreiben von nun an ohne Beistrich: Mein Bruder sucht Pilze und ich pflücke Heidelbeeren. Ich verbringe meinen Urlaub an der Ostsee oder ich fahre mit dem Rad durch Ostpreußen.

Die Übereinstimmung mit der heute geplanten Neuregelung ist in der Tat verblüffend. Auch Eindeutschungen wie Rabarber, rytmisch, Strofe stehen ja ausdrücklich im Regelbuch von 1995 und wurden erst nach Minister Zehetmairs Intervention gestrichen.

Man kann nicht genug betonen, daß die Rustsche Reform keineswegs spezifisch nationalsozialistisch ist. Sie liegt vielmehr ganz auf der Linie der meisten Reformbewegungen seit über 200 Jahren. Dem Zeitgeist (und gewissen Vorgaben in Hitlers „Mein Kampf“) entspricht allenfalls der unbedingte Vorrang, der dem gesprochenen Wort vor dem geschriebenen eingeräumt wird: „Das gesprochene Wort ist der Ausgangspunkt für alle Spracherziehung.“

Bemerkenswert ist aber gewiß das übereinstimmende Propagandavokabular: Seit 1994, als die „gemäßigte Kleinschreibung“ aufgegeben werden mußte, wird die heutige Reform als „behutsam“ und als „kleine Reform der Vernunft“ angepriesen. Fast genauso – und zwar aus denselben Gründen – drückte sich schon der Verfasser unseres Aufsatzes aus. Auch die Schutzbehauptung, man gehe nur dem ohnehin feststellbaren Sprachwandel nach, ist gleichgeblieben und war damals sogar weniger unzutreffend als heute. In gewissem Sinne ist die Reform von 1944 „liberaler“ als die heutige, weil sie weniger verbietet und mehr Varianten zuläßt. Gerade diese Variantenfülle wurde übrigens schon damals scharf kritisiert, u.a. im Schweizer Sprachspiegel.

Genauer zu erforschen bleibt noch die personelle Kontinuität. Die Sprachwissenschaftler, die für den Reicherziehungsminister gearbeitet hatten, waren nach dem Krieg auch die ersten, die einen Neuansatz versuchten und damit die Grundlinien der heutigen Rechtschreibreform vorzeichneten.

Fazit: Die Rustsche Reform war bis heute die einzige wirkliche Rechtschreibreform in Deutschland, und wenn sie nicht durch die bekannten historischen Ereignisse in den Orkus gefahren wäre, hätte sie die heutigen Reformpläne überflüssig gemacht. Damals wie heute versucht der Staat, die Schreibweise des gesamten Volkes mit obrigkeitlichen Mitteln und mit Hilfe der Schule zu verändern; Richtung und Tiefe des Einschnitts waren nahezu identisch. Es kann nicht verboten sein, diese interessanten Tatsachen in Erinnerung zu rufen.

Prof. Dr. Theodor Ickler, Spardorf

Süddeutsche Zeitung Nr. 129 vom 8. Juni 1998, S. 9
__________________________________________

Anmerkungen:

Ickler schreibt: „Ein kurzer Aufsatz, der Anfang 1944 in vielen Zeitungen erschien, faßt das Wesentliche zusammen und ist auch heute noch lesenswert“, und er zitiert daraus. Gemeint ist ein Aufsatz, der zum Beispiel in der „Dortmunder NS-Zeitung“ vom 28.6.1944 erschien. Ickler dankt H. Bodensieck, Universität Dortmund, für diesen Hinweis. Vgl. Theodor Ickler: Die Rechtschreibreform von 1944 (Anhang 13). In: Die Rechtschreibreform – Propaganda und Wirklichkeit, Fußnote 64. www.rechtschreibreform.com/Seiten2/Wissenschaft/969IcklerPropaganda/29A13.html

Theodor Ickler meint zwar: „Man kann nicht genug betonen, daß die Rustsche Reform keineswegs spezifisch nationalsozialistisch ist.“ Aber Birken-Bertsch / Markner weisen nach, daß dies dennoch so ist und daß obendrein eine sachliche und personelle Kontinuität zwischen der Reform von 1944 und der von 1996 vorhanden ist:

Birken-Bertsch, Hanno und Markner, Reinhard: Schrift und Rede, Rechtlautung und Rechtschreibung. Traditionslinien der Rechtschreibreform (1944/1996). In: Neue Rundschau, Berlin: S. Fischer Verlag GmbH, Heft 4, 2000, S. 112-124

Birken-Bertsch, Hanno und Markner, Reinhard: Rechtschreibreform und Nationalsozialismus. Ein Kapitel aus der politischen Geschichte der deutschen Sprache. Göttingen: Wallstein-Verlag, 2000.

Birken-Bertsch/Markner zitieren auf S. 96 ff. als Quelle für ihre Beispiele der NS-Rechtschreibreform:
[Karl Reumuth]: Fosfor, Kautsch, Plato, Ragu, Tese, Träner. Neue Regelung für die Rechtschreibung. In: Hannoverscher Kurier vom 27.6.1944

http://markner.free.fr/rrns.htm
http://markner.free.fr/rrrez.htm
http://forschungsgruppe.free.fr/sprachfuehrer.htm

Beispiele aus der NS-Rechtschreibreform aus einem Artikel in der „Dortmunder NS-Zeitung“ vom 28.06.1944 zitiert auch Harry Zingel: Geht die Schlechtschreibreform auf ein Nazi-Projekt zurück? 2003. In: www.bwl-bote.de/20030509.htm
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Manfred Riebe



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Beitrag: Donnerstag, 12. Aug. 2004 12:42    Titel: Professor Christian Meier und die Rustsche Reform Antworten mit Zitat

Professor Christian Meier über die Rustsche Reform
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Die einzige wirkliche Rechtschreibreform in Deutschland


Zu dem Artikel IM DICKICHT DER SPRACHE von Hermann Unterstöger in der SZ vom 13. Mai und den Leserbriefen NAHELIEGENDEN VERGLEICH ALS ANGRIFF MISSVERSTANDEN in der SZ vom 29. Mai

Nachdem zu Hermann Unterstögers Bericht über meine Aussage vor dem Bundesverfassungsgericht nun auch in Leserbriefen spekuliert wird, möchte ich richtigstellen:

Daß die Reform des Reichsministers Rust von 1944 bis zur jetzt diskutierten – unabhängig von allen Einzelheiten – der einzige tiefere Eingriff von Staatswegen in die deutsche Rechtschreibung gewesen ist, ist eine Tatsache. Und mehr als das habe ich dazu nicht festgestellt.

Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten für den Staat: Er kann, was Usus ist, beobachten, ordnen (also etwa die darin enthaltenen Regeln formulieren, bei schwankendem Gebrauch Festlegungen treffen), einzelnes auch zurechtrücken. Wie es sich ja auch heute empfehlen kann, einmal eine Reihe unnötiger Spitzfindigkeiten auszukämmen. Da hätte der Staat eine subsidiäre Funktion. Die Alternative wäre, daß er mit Absicht in den Schreibgebrauch ändernd eingreift, indem er dekretiert, was dem Usus oder den in ihm angelegten Veränderungstendenzen nicht entspricht oder gar im Widerspruch dazu steht.

Jenes ist sinnvoll und gelegentlich notwendig. Darauf hat man sich im alten Preußen, aber natürlich auch im alten Bayern beschränkt. Wo man, eigenartigerweise in Hannover, Mitte des 19. Jahrhunderts darüber hinausging, hat man es bald wieder rückgängig gemacht. Anders nur 1944 und jetzt. Indem man das feststellt, rückt man die heutigen Kultusminister nicht in die Nähe des damaligen. Ich war sehr überrascht, als Frau Brunn sich davon getroffen zeigte. Und es stimmt natürlich, daß die jetzige „Reform“ öffentlich zur Diskussion gestellt worden ist, was damals nicht der Fall war.

Die Frage ist erstens, ob der Staat zu tieferen Eingriffen in die Schreibung das Recht hat, was ich bestreite. Zweitens, ob das jetzige Verfahren bei aller Öffentlichkeit wirklich in einer sachangemessenen Weise „demokratisch“ war. Kann „das Volk“ in einer Sache, die so sehr seine eigene – und die jedes einzelnen – ist, wirklich von Fachverbänden vertreten werden? Die Minister selbst scheinen Zweifel zu haben, sonst würden sie doch wohl nicht nachträglich einen Beirat mit Schriftstellern, Journalisten und anderen einsetzen wollen. Vor allem zeigen öffentliche Erklärungen, vom Bundespräsidenten abwärts, Hunderttausende von Unterschriften bei Volksbegehren und eindeutige Mehrheiten bei allen Umfragen, wie es um die sogenannte Akzeptanz der Reform bestellt ist.

Es müßte, was immer vom Wert demoskopischer Befunde in einer repräsentativen Demokratie zu halten ist, doch in einem solchen Fall, der erst sekundär und – wie ich überzeugt bin – unberechtigterweise zu einem Politikum gemacht wird, durchschlagen. Was immer man in einer Demokratie auch gegen die Mehrheit des Volkes beschließen kann, ein tieferer Eingriff in die Rechtschreibung gehört nicht dazu. Schon deswegen nicht, damit die Einheit der Rechtschreibung nicht beeinträchtigt wird.

Ein preußischer Kultusminister hat angesichts der öffentlichen Reaktion 1876 seine Reformpläne aufgegeben. Wollen die heutigen ihm in Sachen Demokratie wirklich das Feld überlassen?

Christian Meier, Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Darmstadt

Süddeutsche Zeitung Nr. 129 vom 8. Juni 1998, S. 9
__________________________________________

Anmerkungen:

Christian Meier stellt fest, daß es bei seinem Vergleich darum ging, klarzumachen, daß man in einer Demokratie nicht mit diktatorischen Mitteln - wie bei der Rechtschreibreform des Dritten Reiches - die Schriftsprache gegen den Willen des Volkes durch eine Kommission von „Sesselfurzern“ (Hans Magnus Enzensberger) verändern darf. Auch und vor allem das steckt in der Frage der „Süddeutschen Zeitung“: „Sollen wir schreiben wie die Nationalsozialisten?“

Der Satz Christian Meiers: „Und es stimmt natürlich, daß die jetzige „Reform“ öffentlich zur Diskussion gestellt worden ist“, stimmt nicht; denn die Öffentlichkeit erfuhr von dem Inhalt der Reform erst seit der Veröffentlichung der Wörterbücher im Juli/August 1996, als das Kind schon in den Brunnen gefallen war. Damals führten die Kultusminister die Reform zwei Jahre vor dem 1. August 1998 überfallartig ein und höhnten: „Nun ist es zu spät!“ Die Rechtschreibreform und die Art ihrer undemokratischen Einführung ist ein Staatsverbrechen.

Am 26. März 1998 erging der Beschluß des Deutschen Bundestags: „Die Sprache gehört dem Volk!“ Darin wurde den Kultusministern nahegelegt, den genannten „Beirat mit Schriftstellern, Journalisten und anderen“ zu bilden.

Der Beirat wurde aber von den Kultusministern mit ihren Lobbyisten besetzt, - www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?t=159 -, ein Rat von „Sesselfurzern“ und Abnickern, der nichts getan hat, wie das PEN-Zentrum feststellte - www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?t=354 -.

Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung und der VRS, die als einzige Reformgegner vom Bundesverfassungsgericht angehört wurden, wurden trotz Reklamation nicht beteiligt.

Mit dieser Räteherrschaft nach DDR-Muster (ZK der SED, KMK, Rechtschreibkommission, Beirat, Rat für deutsche Rechtschreibung) muß Schluß gemacht werden. Die KMK war und ist nicht befugt, Rechtschreibkommissionen oder –räte zu bilden und über deren Besetzung zu entscheiden. Dadurch entstehen ohne öffentliches Ausschreibungsverfahren infolge von Vetternwirtschaft und Ämterpatronage nur Flaschenzüge, bei denen eine Flasche die andere nach sich zieht, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für sonst arbeitslose nichtqualifizierte Personen mit dem richtigen Parteibuch.

Der Reformzug begann erst zu rollen, nachdem das reformbetreibende staatlich finanzierte Institut für deutsche Sprache (IDS), Mannheim, nach der Wiedervereinigung Anfang 1992 als Arbeitbeschaffungsmaßnahme 21 Mitarbeiter der Forschungsgruppe Orthographie der Akademie der Wissenschaften der DDR in Berlin einstellte. Leiter dieser Forschungsgruppe Orthographie war der Reformer Professor Dieter Nerius, Universität Rostock, der kürzlich in Bayern 2 seine Märchen verkünden durfte. Seinen Mitarbeiter aus der DDR-Forschungsgruppe Orthographie, Dr. Klaus Heller, machte man zum Geschäftsführer der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung und damit den Bock zu Gärtner. Dennoch darf Heller auch im Bayerischen Fernsehen seine Märchen auf Steuerzahlerkosten verbreiten.

Nach Meinung herausragender Politiker, wie z.B. Bundeskanzler a.D. Helmut Schmidt, gehört die KMK aufgelöst. Wenn man schon von einer Verschlankung des Staates spricht, dann könnte man hier beginnen, Personalkosten einzusparen. Wozu haben wir eine Kulturhoheit der Länder?

„Es ist nie zu spät, Natur-, Kultur- und Sprachzerstörung, Entdemokratisierung, Korruption und Steuerverschwendung zu stoppen!“ (VRS)
_______________________________________________

Anmerkung:
In den VRS-Links wurde „viewtopic“ durch „themaschau“ ersetzt, damit sie wieder funktionieren.


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