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Legasthenie und Rechtschreibung
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Manfred Riebe



Registriert seit: 23.10.2002
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Beitrag: Sonntag, 16. Mai. 2004 23:37    Titel: Legasthenie und Rechtschreibung Antworten mit Zitat

Kultusministerin Monika Hohlmeiers Einsatz für Legastheniker

„Mit den neuen Förderrichtlinien können wir Schülerinnen und Schüler mit Legasthenie bzw. Lese- und Rechtschreibschwäche (LRS) in ihrem schulischen Vorwärtskommen deutlich besser fördern, ihnen deprimierende Frustrationserlebnisse ersparen und verhindern, dass sich ihre Störung über das Fach Deutsch hinaus leistungsmindernd auch auf andere Fächer auswirkt“, betonte Kultusministerin Monika Hohlmeier am Donnerstag auf der Pressekonferenz anlässlich der Präsentation der neuen Förderrichtlinien. „Bayern ist dank dieser neuen Richtlinien federführend in der Förderung von Kindern mit Legasthenie“, so Ministerin Hohlmeier. Der Kern der neuen Bekanntmachung bestehe darin, dass Legasthenie und Lese- und Rechtschreibschwäche als eine Teilleistungsstörung anerkannt werden. Als wesentliche Konsequenz für die schulische Förderung ergebe sich daraus, dass schulische Probleme dieser Kinder nicht als Folgen mangelnden Fleißes oder minderer Begabung anzusehen seien.

Die schulischen Maßnahmen umfassen zwei Bereiche: Fördermaßnahmen und Nachteilsausgleich. [...]

Bei den Maßnahmen zum Nachteilsausgleich sei hinsichtlich der Ursachen der Störungen zu differenzieren. So müsse man unterscheiden zwischen Kindern, die an einer Legasthenie, also an einer Lese- und Rechtschreibstörung aufgrund erblicher oder geburtlicher Schädigung leiden (=3-5% aller Schüler), und Kindern, deren Lese- und Rechtschreibschwäche durch soziale oder emotionale Einwirkungen bedingt ist (10-15% aller Schüler). Letztere sei vorübergehend und damit durch gezielte Fördermaßnahmen behebbar oder wenigstens weitgehend abzumildern; Legasthenie bleibe hingegen lebenslang erhalten und könne nur marginal verbessert werden. Eine genaue Unterscheidung lasse sich nur durch eine ärztliche Untersuchung beim Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie treffen.

Bei anerkannten Legasthenikern gelten künftig die im Folgenden aufgeführten Hilfsmaßnahmen als verbindliche „Muss-Bestimmung“, bei vorliegender Lese- und Rechtschreibschwäche als „Kann-Bestimmung“.

Im Einzelnen ist vorgesehen:

Legastheniker müssen, lese- und rechtschreibschwache Schüler können von Leistungsfeststellungen befreit werden, die ausschließlich der Überprüfung der Rechtschreibsicherheit dienen, wie z.B. Diktat.

Im Fach Deutsch darf die Rechtschreibleistung nur im Teilbereich Rechtschreiben notenmäßig berücksichtigt werden, nicht dagegen bei Aufsätzen, Niederschriften oder sonstigen Textproduktionen, bei denen in der Hauptsache Sprachgewandtheit, Wortschatz, Kreativität und Ausdruck im Vordergrund stehen und bewertet werden sollen.

Durch geeignete Maßnahmen ist sicherzustellen, dass sich Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten leistungsmäßig nicht in anderen Fächern auswirken.
[...]
www.moosburg.org/schulen/rsm/beratung/legasten.htm - siehe auch:
www.bildungsoffensive-bayern.de/km/asps/presse/presse_old/dez99uk/dez273.html


Zuletzt bearbeitet von Manfred Riebe am Samstag, 31. Jul. 2004 22:05, insgesamt 2mal bearbeitet
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Manfred Riebe



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Beitrag: Sonntag, 16. Mai. 2004 23:53    Titel: Wie man den Rückschritt in Bayern als Fortschritt feiert. Antworten mit Zitat

Wie man den Rückschritt in Bayern als Fortschritt feiert.
Eine Anmerkung zum neuen LRS-Erlass in Bayern.


Am 16. November 1999 trat in Bayern ein neuer Erlass zur „Förderung von Schülern mit besonderen Schwierigkeiten beim Erlernen des Lesens und des Rechtschreibens“ in Kraft. Die Kultusministerin Monika Hohlmeier feierte ihn auf einer Pressekonferenz am 9. Dezember: „Mit den neuen Förderrichtlinien können wir Schülerinnen und Schüler mit Legasthenie bzw. Lese- und Rechtschreibschwäche in ihrem schulischen Vorwärtskommen deutlich besser fördern, ihnen deprimierende Frustrationserlebnisse ersparen und verhindern, dass sich ihre Störungen über das Fach Deutsch hinaus leistungsmindernd auch auf andere Fächer auswirkt. ... Bayern ist dank dieser neuen Richtlinien federführend in der Förderung von Kindern mit Legasthenie.“
Irrtum, Frau Ministerin, im Gegenteil: Die Umsetzung des Erlasses wird auf Dauer der Förderung von Kindern eher schaden. Ja, sie wird die Weiterentwicklung effektiver schulischer Förderungen geradezu verhindern. Doch um dies zu verstehen braucht man Sachverstand und Weitsicht.

9.1.2000, Norbert Sommer-Stumpenhorst, RSB.Warendorf@t-online.de

http://www.schulpsychologie.de/pinnwand/diskussionsforum/lrs_erlass_bayern.htm
http://www.schulpsychologie.de/downloads/wallberg/pinnwand_dokumente/bayrisch.pdf
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Manfred Riebe



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Beitrag: Montag, 17. Mai. 2004 00:28    Titel: Rechtschreibschwäche und Rechtschreibreform Antworten mit Zitat

Rechtschreibschwäche und Rechtschreibreform
Erleichtert die neue Rechtschreibung das Lernen?

________________________________________________________

Schulisches Leistungslernen und Rechtschreibreform

Unsere 15jährige Erfahrung mit rechtschreibschwachen Kindern hat gezeigt, dass die Schüler häufig darüber klagen, dass ihnen in den Klassenarbeiten die Zeit zum Nachdenken fehlt und sie die gleichen Aufgaben zu Hause besser lösen können als in der Schule. Auch nach der Reform wird sich an der Art des schulischen Lernens nichts ändern: Notensystem, Leistungsvergleich und Leistungsdruck bleiben bestehen. Gerade wenn im Unterricht alle Kinder - auch mit der Differenzierung im Unterricht - in der gleichen Zeit einen Lernstoff vermittelt bekommen, machen sich unterschiedliche individuelle Voraussetzungen als schnelles oder langsames Lernen geltend.

Auch die neue Rechtschreibung, die nach unserer ersten Durchsicht nur im Bereich der Groß-Klein-Schreibung eine systematische Vereinfachung erbringt, wird in den Schulen nun, nachdem sie beschlossen wurde, so vermittelt wie jeder andere Lehrstoff auch.

U. Findeisen, A. Hanke, G. Melenk: Rechtschreibschwäche und Rechtschreibreform
http://www.legasthenie-therapie.de/RS-Reform/body_rs-reform.html#K9
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Manfred Riebe



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Beitrag: Freitag, 11. Jun. 2004 18:47    Titel: Lernbehinderung „dyslexia“ Antworten mit Zitat

Lernbehinderung „dyslexia“
„die verunsicherungssituation durch die reform ist ein traum für mich. endlich bin ich umgeben von einer menge menschen, die der rechtschreibung nicht mehr mächtig sind.“
______________________________________________________________________________

AbbyCohen, Verfasst am: 07.06.04, 19:26 Titel: sie haben mir zu einem lachen verholfen, ...

...also ich ihr topic las

sehr geehrter herr riebe!
normalerweise bin ich in diesem forum nicht zu finden und ihr topic hat mich nun bewogen ein account freischaften zu lassen.
die debatte für und gegen die rechschreibreform kann ich eindeutig beantworten:
dafür!
ohne wenn und aber!

ob die reform sprachlich korrekt ist, oder sinnlos wie die alte, dass kann und will ich nicht beantworten, meine begründung kommt von einer völlig anderen seite.

ich gehöre wie viele andere zu den menschen die an dyslexia „leiden“. wörter, buchstaben, lesen, rechtschreibung alles ein graus. ich bin erwachesen, bin aber nicht in der lage einen fremden text vorzulesen. wenn sie mit den ursachen der „lernbehinderung“ vertraut sind, wissen sie, dass es weder ein sinnvolle möglichkeit gibt sie zu behandeln, noch kann man sie verhindern.
ich muss also irgendwie damit leben. das mein lesen holprig ist, dass ich sachen missverstehe, ja das ärgert mich und ich würde es gerne ändern.

aber das ich rechtschreibfehler mache: mir ist es egal! es beeinträchtigt mein leben nur noch marginal.

menschen die rechtschreibung derart wichtig nehmen, wie sie es anscheinend tun, haben mir immer erzählt, rechtsreibung wäre ein kulturgut und ich wäre verloren, würde ich es nicht lernen. meine schulzeit war nicht angenehm aber bis zum abi hat es gereicht, trotz düsterer prognosen ich war scheinbar blöd, denn „so ein paar regeln, kann man doch lernen“.

seit der rechtsschreibreform bin ich in einer einmaligen situation: meine umwelt kann es plötzlich auch nicht mehr. sie machen fehler. genauso wie ich es immer tue. :)dummerweise wollen diese „menschen“ nicht so blöd sein, wie sie es mir immer unterstellt haben. also wurde die rechtschreibreform für „unsinnig“ erklärt.
es wurden sprachwissenschaftler bezahlt, lexika durchforstet, die faz suchte jahrelang bis sie in irgendwelchen klassikern „sinnfehler“ durch die reform fand.

aber dazu kann ich nur eins sagen: ich schreibe grundsätzlich falsch, aber verstanden hat mich bis heute jeder. verwechseluingen gibt´s selten, und sie klären sich aus dem zusammenhang.

die verunsicherungssituation durch die reform ist ein traum für mich. endlich bin ich umgeben von einer menge menschen, die der rechtschreibung nicht mehr mächtig sind.

lassen sie sich eins gesagt sein: nehmen sie es nicht so wichtig, ob nun schiffahrt oder schiffahrt, die welt geht davon nicht unter und unsere kultur sicher auch nicht.
sein sie einfach toleranter. schreiben sie im nächsten jahr wie sie es für richtig halten, auch wenn es dann falsch ist. man kann damit leben
und lassen sie den anderen den frieden und lassen sie sie neu schreiben. sie werden es verstehen, es ist nur die neue deutsche rechtschreibung und keine andere Sprache.

die ganze diskussion hat einen vorteil, um so abstruser sie wird, um so eher merken die aufmerksamen, wie unwichtig rechtschreibregeln sind.

nehmen sie nicht alles so ernst, dann ist das leben leichter
abby

Der Tagesspiegel
meinberlin.de - Forum Foren-Übersicht -> Innenpolitik > Rechtschreibreform pro & contra
http://archiv.tagesspiegel.de/forum/viewtopic.php?t=338&postdays=0&postorder
=asc&start=15&sid=e586c21b9ce21eb8b15a4c01838ea5ad
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Manfred Riebe



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Beitrag: Freitag, 11. Jun. 2004 20:24    Titel: Einige berühmte Legastheniker Antworten mit Zitat

Einige berühmte Legastheniker
Das Talent, auf dem die Legasthenie beruht


Wenn Sie Ihren Text selber geschrieben haben, habe ich einige Zweifel, daß Sie extrem lernbehindert sind. Gemäß den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz“, hrsg. v. Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Bonn 1996, Ziffer 26.3. unterteilt man die Lese-Rechtschreib-Schwäche (Legasthenie) in leichte Formen ohne wesentliche Beeinträchtigung der Schulleistungen (GdB 0-10), in mittlere Formen, die kompensiert werden können (GdB 20-40), und in schwere Fälle (GdB 50), die aber selten sind.

Sie behaupten: „Menschen haben mir immer erzählt, Rechtschreibung wäre ein Kulturgut, und ich wäre verloren, würde ich es nicht lernen.“

Ich glaube nicht, daß irgendwelche „Menschen“ außerhalb Ihres Elternhauses, z.B. Lehrer, wenn sie Ihre Lernbehinderung kannten, behaupteten, Sie seien verloren, wenn Sie die Rechtschreibung nicht lernen würden. Welche Menschen waren es denn? Ihre Mutter?

Lehrer könnten allenfalls behaupten: Wenn Sie sich in der Berufswelt behaupten wollen, sollten Sie grundsätzlich gut Lesen und Schreiben lernen.

Die Rechtschreibdefizite werden aber nicht nur in der Schule festgestellt, sondern auch im Berufsleben. Während man jedoch in der Schule noch einigermaßen tolerant über einige Defizite hinwegsehen kann, wird im Beruf kaum Rücksicht genommen. Die Rechtschreibung spielt z.B. bei schriftlichen Bewerbungen und in Schreibberufen eine Rolle.

Vera F. Birkenbihl leitet das Institut für gehirngerechtes Arbeiten bei München. Sie schreibt:
„Neulich bekam ich den extrem wertvollen Tip einer Kundin, deren Sohn Legastheniker ist. Sie hatte das Buch „Stichwort Schule: Trotz Schule lernen?“ gelesen und mit den dort angeführten Tips schon erste Besserungen erreichen können, war aber dann auf das bahnbrechende Buch „Legasthenie als Talentsignal“ eines amerikanischen Betroffenen gestoßen, das dieses Problem in brillanter Weise darstellt und löst!!!!
Inzwischen habe ich dieses Buch ebenfalls gelesen und bin genauso begeistert! Wenn Sie also eine/n Legastheniker/in im Familien- oder Freundeskreis haben - hier ist die gute Nachricht: Legastheniker haben als Kleinkinder eine Technik erlernt, die es ihnen ermöglicht, wesentlich kreativer und ganzheitlicher zu denken als „normale“ Leute. Diese genialen Fähigkeiten „bezahlen“ sie jedoch mit „Problemen“ beim Lesen und Schreiben, solange der Unterricht im herkömmlichen Stil abgehalten wird. Wenn man hingegen einige einfache Übungen durchläuft, ist das Problem lösbar. Gleichzeitig können die Betroffenen ihre genialen Fähigkeiten begreifen und als Stärke „ausbauen“, statt das Gefühl zu haben, sie seien „Sonderschul-Material“ - eine Einstellung, die das normale Schulsystem leider oft vermittelt - viele Legastheniker „landen“ sogar in der Sonderschule, wo sie dann gar keine Chance mehr haben , zu begreifen, daß sie in vielem wesentlich begabter sind als normale Menschen!“

In www.dyslexia.de/ heißt es: „Legasthenie ist vollständig korrigierbar!“

Aus einer langen Liste berühmter Legastheniker entnehme ich die Namen Winston Churchill, Charles Darwin, Thomas A. Edison, Leonardo da Vinci, Hans Christian Andersen, Walt Disney, Whoopi Goldberg.
Quelle: „Dyslexia, the Gift - Legasthenie als Talentsignal: Lernchance durch kreatives Lesen“. Auszug aus der Internetseite von „Davis Dyslexia Association International“, www.dyslexia.com/german_excerpt.htm. Dort heißt es weiter:

Das Talent, auf dem die Legasthenie beruht

„Bevor ein Legastheniker die positive Seite seiner Veranlagung wirklich erfassen und schatzen kann, mus er sich mit der negativen Seite auseinandersetzen. Das soll nicht heisen, das die positive Seite erst auftritt, wenn man die negative in den Griff bekommen hat. Das Talent ist immer vorhanden, es wird nur oft nicht als solches erkannt. Viele erwachsene Legastheniker machen tatsachlich in ihrer Arbeit reichlich Gebrauch von der positiven Seite, ohne es zu wissen. Sie denken einfach nur, das sie ein Handchen fur etwas haben, und sind sich nicht bewust, das diese besondere Fertigkeit derselben geistigen Funktion entspringt, die sie daran hindert, muhelos zu lesen, zu schreiben oder zu rechnen.“
(Der Text wurde nicht verändert. Er wurde wohl mit einer amerikanischen Tastatur geschrieben, auf der es keine Umlaute und kein Eszett gibt.)

Das Internet ist voll von Netzseiten über Legasthenie und berühmte Legastheniker. Man muß in einer Suchmaschine wie www.google.de z.B. nur die Stichworte „Hans Christian Andersen, Legastheniker“ eingeben.

Es könnte durchaus sein, daß sich unter den Rechtschreibreformern oder Kultusminister(inne)n Legastheniker befinden. Vielleicht ist ja Ihr Name ein Pseudonym, hinter dem sich eine Kultusministerin verbirgt? Würden Sie als Kultusministerin das Schreib-Leistungsvermögen von Legasthenikern zum Maßstab für Schreibberufler oder allgemein für Nicht-Lernbehinderte erheben?
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Klaus Eicheler



Registriert seit: 06.06.2004
Beiträge: 18
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Beitrag: Sonntag, 13. Jun. 2004 00:09    Titel: Antworten mit Zitat

Kopie des Beitrags aus: Der Tagesspiegel, http://archiv.tagesspiegel.de/forum/viewtopic.php?p=2568#2568

AbbyCohen hat folgendes geschrieben:

... aber das ich rechtschreibfehler mache: mir ist es egal! es beeinträchtigt mein leben nur noch marginal.

Geschenkt.

AbbyCohen hat folgendes geschrieben:

[...] menschen die rechtschreibung derart wichtig nehmen, wie sie es anscheinend tun, haben mir immer erzählt, rechtsreibung wäre ein kulturgut und ich wäre verloren, würde ich es nicht lernen. [...]

Geschriebene Sprache ist ein Kulturgut. Aber nur dann, wenn die Bedeutung beim Leser so ankommt, wie der Schreiber es ausdrücken wollte. Diesem Ziel dient die Rechtschreibung.

Musik ist ein Kulturgut, aber nicht jeder muß singen können. Malerei ist ein Kulturgut, aber nicht jeder muß malen können. Korrekt geschriebenes Deutsch ist ein Kulturgut, aber nicht jeder muß die Rechtschreibung beherrschen.

Trotzdem kann ein Nicht-Sänger mit Freude Musik hören, ein Nicht-Maler von einem Bild begeistert sein oder jemand mit Legasthenie ein Buch lesen. Vor allem dann, wenn der Schreiber die Orthographie beachtet hat.

AbbyCohen hat folgendes geschrieben:
... die ganze diskussion hat einen vorteil, um so abstruser sie wird, um so eher merken die aufmerksamen, wie unwichtig rechtschreibregeln sind. [...]
abby

Dem kann ich nicht zustimmen, denn das bedeutete, daß der Schwächste den Maßstab setzt. Bach hätte dann nur Kakophonien schreiben und Rembrandt kritzeln dürfen. Oder alltäglicher: Verkehrsrowdytum als Richtschnur der Straßenverkehrsordnung.

Zitat:

Ihr werdet die Schwachen nicht stärken,
indem ihr die Starken schwächt.

Abraham Lincoln
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Manfred Riebe



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Beitrag: Sonntag, 13. Jun. 2004 20:50    Titel: Verheimlichung der Legasthenie und fehlende Rücksichtnahme i Antworten mit Zitat

Verheimlichung der Legasthenie und fehlende Rücksichtnahme im Beruf
________________________________________________________________________________

AbbyCohen - Verfasst am: 11.06.04, 23:04 Titel: Die Antwort

Abby Cohen ein versteckte Kultusministerin
Nein, da muss ich sie enttäuschen, die echte Abby Cohen hat sicher einen besser bezahlten und spannenderen Job und diejenige, die hinter dem Pseudonym steckt ist nur eine normale Studentin.

Ich sehe, sie haben ein wenig nach Legasthenie ?gegoogelt?. Traurig finde ich, dass sie auf die Seiten von Frau Vera F. Birkenbihl gestoßen sind, sie möchte an Legasthenie verdienen, ihr Urteil ?Legasthenie ist heilbar? ist mehr als verständlich. Sie ist meines Erachtens keine kompetente Ansprechpartnerin, fragen sie einen Arzneimittelhersteller, ob sein Medikament wirkt, werden sie ihm hoffentlich auch nicht blind vertrauen..
Ich möchte sie ermutigen ein wenig nach wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu suchen. Da werden sie dann feststellen, dass meine Behinderung zum großen Teil geerbt ist, organische Ursachen hat und nicht durch Therapien erfolgreich zu behandeln ist. Es gibt einige Fortschritte an der Universität Freiburg, allerdings nur an nicht-ausgewachsenen Kindern, für mich kommt dieses zu spät. Bei mir würde wahrscheinlich nur eine Gehirntransplantation helfen.
Berühmte Legastheniker kenne ich zu Genüge, die Listen im Internet sind allerdings sehr dürftig, denn aus welchen Gründen Leonardo da Vinci und Einstein dort eingestuft wurden, ist den meisten Legastheniker unverständlich. Besser, informativer und ausführlicher recherchiert ist die Titelgeschichte des Fortune Magazins, die mit dem Titel dyslexic CEO´s (auf Deutsch: legasthene Vorstandesvorsitzende) überschrieben war.

Was meine Prognosen über die Berufliche Zukunft angeht: Sie Reihen sich da in eine sehr lange Reihe ein, wenn sie mir Probleme im Berufsleben ankündigen. Erst sollte ich die Orientierungsstufe am Gymnasium nicht überstehen, dann wurde mein Ende in der Sprachen-lastigen Mittelstufe prophezeit. Die Oberstufe schaffte ich aber auch, und selbst ein deutsches Universitätsstudium geht mit großen Schritte seinem Ende entgegen. Wieso ich es geschafft habe? Nicht, weil es Förderungen in der Schule gab, Sonderregeln gab es in meinem Bundesland noch nicht; sondern einzig und alleine, weil ich im richtigen Elternhaus geboren wurde. Ich habe ein Mutter, die immer fördernd an meiner Seite stand. Deshalb stehen ich kurz vor einem Unidiplom und sitze nicht im Analphabetenkurs der VHS.

Der zweite Grund ist die Möglichkeit es zu verheimlichen. Ich habe noch heute Schwierigkeiten flüssig zu lesen, also nutze ich für den Großteil meiner Uni Literatur ein Vorleseprogramm, wenn die Fragestellungen in Klausuren zu lang sind, um sie zu lesen, dann rate ich auch manchmal, was ich denn gefragt werden könnte. Rechtschreibfehler fallen bei meiner Handschrift nicht auf, die ist eher schemenhaft. Schriftlich Arbeiten werden von meiner Familie korrigiert. Komme ich in die peinliche Situation Vorlesen zu müssen: Ich werde heiser, das Buch fällt mir runter, manchmal fallen auch meine Kontaktlinsen raus.
Sie sehen also: Man kann das ganze auch gut verbergen.

Des weitern schrieben sie von der Fehlenden Rücksichtnahme im Beruf: Genau das ist es doch was ich aus tiefstem Herzen beanstande. Ich kann es nicht, es ist ein Defizit, ja. Aber wie so schon schrieben, ich kann manche Sachen auch besser, dem bin ich mir bewusst. Nur leider sind sehr wenige Chefs der gleichen Meinung. Deshalb bin ich sehr oft gezwungen meine Behinderung zu verstecken. Bei meiner bisherigen Berufserfahrung habe ich es immer verschwiegen, und es ist nie aufgefallen. Die Bewerbungen sind das kleinere Problem, dabei kann man sich helfen lassen. Meinen ersten Arbeitsvertrag habe ich unterschrieben und meinem zukünftigen Chef habe ich meine Schwäche verschwiegen, wofür ich mich schäme, aber was sollte ich anders machen? Ich kann es eben nicht ändern, aber ich hoffe auch, eine ebenso gut Leistung wie ein nicht-Legastheniker liefern zu werden.

Meine Situation wird nur um so komplizierter, um so wichtiger die Orthographie genommen wird. Und die ganzen Diskussionen im Rahmen der Reform suggerieren doch eine Wichtigkeit der Orthographie, und das bestreite ich wehemend.

Das Sprache ein Kulturgut ist, wie Musik, oder Kunst, das wird niemand bestreiten, ich am wenigsten. Aber hat Bach irgendjemand vorschreiben wollen, was die ?Richtige Musik? ist, an die er sich zu halten hat, wurde Mozart dazu angehalten sich an Formale Regeln zu halten? Wurden sie danach bewertet, wie gut sie in der Lage waren sich an externe ?Musikregeln? zu halten? Es gibt ein Menge Musiker, die bedeutendes für die Musikgeschichte geleistet haben, aber nicht der korrekten Notation mächtig waren. Fallen die für Sie auch unter ?Ihr werdet die Schwachen nicht stärken, indem ihr die Starken schwächt.?
Ihre Fähigkeit zu komponieren hat nicht mit Notenlesen zu tun, sie sind nicht ?schwach?, weil sie es nicht können. Im Gegenteil, sie schwächen diese starken, wenn sie sie in ein Korsett von Noten zwingen, dass sie vielleicht nicht bewältigen können, weil sie es nicht verstehen.
Kunstgeschichte ist wirklich nicht meine Stärke, allerdings erinnere ich mich in der Tiefen meines Gehirns, dass viele Künstler in Schemen gepresst werden sollten, ihre Weiterentwicklung der Kunst wurde verspottet oder bezweifelt, nur das alte bekannte der Kunst war Kultur.
Genauso ist es mit Rechtschreibung und Sprache. Legastheniker könnten etwas zum Kulturgut Sprache beitragen, wenn man sie nicht entmutigen würde zu schreiben, nur weil sie die formalen Rechtschreibregeln beherrschen! Rechtschreibung entspricht nicht unserm Kulturgut sprache!

Wieso lässt mich nicht jeder so schreiben wie ich es möchte, wieso lässt man nicht die Rechtschreibung sich an die Weiterentwicklung der Menschen anpassen? Ich schrieb als Kind immer ?Nt?, für das liebe kleine Tier dass auf Teichen schwimmt und auch oft gegessen wird. Es ist kürzer, es ist genauso verständlich. Wieso geht unser Sprachkultur unter, wenn ich so schreibe? Sie tut es nicht, nur die Rechtschreibregeln!
[Falls sie es nicht verstanden haben Nt:=Ente]

Ich möchte einfach nur an die Toleranz appellieren: Lassen sie die Rechtschreibung ihre eigene Entwicklung machen, wenn die Bevölkerung anders schreibt als der Duden, eine Rechtschreibkommission, Kultusminister oder Lobbygruppen es möchten, sein es ihr doch bitte gestattet. Dafür braucht man nun wirklich keine Regeln!
Regeln sind dafür da, das Zusammenleben zu vereinfachen, Zeit und Kosten zu sparen. Tun die Rechtschreibregeln das? Überlegen sie mal, wie viel Zeit sie damit verbracht haben, ihr Texte auf Fehler zu korrigieren, Tippfehler zu suchen, im Duden nachzuschlagen, Duden zu kaufen. Sparend sind diese Regeln nicht, ich würde die Rechtschreibung eher als Überreguliert bezeichnen und würde mehr Wettbewerb fordern.

Einen schönen Abend wünscht Ihnen
Abby Cohen, aber nicht die aus New York

Ich weiß nicht ob er Veblen Ihnen ein Begriff ist. Er schrieb in seinem Klassiker ?Theorie der feinen Leute?:
Kenntnisse, von Erscheinungen und Vorfällen, die nicht unmittelbar zu
Förderung des Lebens Beitragen, wie [....] eine fehlerfreie Orthographie,
die Beherrschung von Grammatik und Versmaßen [...] sind als Beweise
unproduktiver Zeitvergeudung geeignet.


Der Tagesspiegel
meinberlin.de - Forum Foren-Übersicht -> Innenpolitik > Rechtschreibreform pro & contra
http://archiv.tagesspiegel.de/forum/viewtopic.php?t=338&postdays=0&postorder=asc&start=15&sid=
ea96296049705172ec967602033642c3
_________________________________________________________________________

Anmerkung:
Für den Fall, daß dieser lehrreiche Beitrag einer Legasthenikerin eines Tages vom Tagesspiegel-Moderator gelöscht werden sollte, stelle ich ihn hier herein, damit er erhalten bleibt.


Zuletzt bearbeitet von Manfred Riebe am Samstag, 31. Jul. 2004 22:03, insgesamt 1mal bearbeitet
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Beitrag: Montag, 14. Jun. 2004 09:18    Titel: Warum und wie kompensiert man Legasthenie? Antworten mit Zitat

Warum und wie kompensiert man Legasthenie?

Im Rahmen der Rechtschreibreform äußerte sich am 31. März 2002 der Kunstmaler Günther Rupp, Kunstmaler@gmx.de, www.geocities.com/akunstmaler/, über seine Probleme als Legastheniker.

Forum > Aufsätze > Kindheit 1933 bis 1945 Kriegserlebnise
www.rechtschreibreform.de/php/einzelner_Datensatz.php?BeitragNr=12396

Professor Theodor Ickler meinte allerdings, die „Legasthenie“ scheine hier als Maske: „Man vermißt die typischen Buchstabenvertauschungen und -auslassungen, findet stattdessen eine große Menge schwierigster Wörter in vollkommen korrekter Schreibweise.“
www.rechtschreibreform.de/php/einzelner_Datensatz.php?BeitragNr=12461

Günther Rupp erwiderte, schwierige Wörter ließen sich mit einem Computer kompensieren. Im übrigen sei seine Malerei seine Kompensation.

Schon zuvor hatte Hauptschullehrer Norbert Schäbler am 22. Oktober 2001 einen Strang eröffnet:
Forum > Dokumente > Legasthenie und LRS
www.rechtschreibreform.de/php/einzelner_Datensatz.php?BeitragNr=10275

Von 1989 bis 1997 leitete Schäbler Legasthenikerkurse mit fünf bis acht Schülern. Seine beiden Söhne waren als Legastheniker eingestuft. Der ältere war neun Jahre alt, als er ihn kennenlernte; der jüngere fünf. Der neunjährige Sohn verbesserte seine Leistungen im Fach Deutsch innerhalb eines halben Jahres von „mangelhaft“ auf „befriedigend“ und mußte den LRS-Kurs nicht mehr besuchen; der jüngere besuchte den LRS-Kurs ab der ersten Jahrgangsstufe, und Norbert Schäbler war sein Lehrer.
www.rechtschreibreform.de/php/einzelner_Datensatz.php?BeitragNr=12432

Am 21. November 2003 fragte Schäbler sich, ob er die Diskussion abgewürgt habe. „Bis zum Abwürgen des Leitfadens konnte fast der Eindruck entstehen, daß diejenigen, die der deutschen Sprache in Wort und Schrift mächtig sind, in großem Maße schuldig sind; daß jene aufgrund ihres Wissensvorsprungs andere piesacken und verunglimpfen und sie zu Menschen zweiter Klasse verdammen.“

www.rechtschreibreform.de/php/einzelner_Datensatz.php?BeitragNr=20132
_____________________________________________________________

Anmerkungen:

Warum kompensiert man Legasthenie?

Als langjähriger Vertrauensmann der Schwerbehinderten weiß ich, daß niemand gern behindert oder schwerbehindert sein möchte. Die Hemmschwelle, einen Schwerbehindertenausweis zu beantragen, ist sehr hoch. Lieber verzichtet man darauf und versucht, seine Behinderung zu verbergen.

Hinzu kommt, daß Schwerbehinderte, deren Behinderung äußerlich nicht erkennbar ist und von Ärzten falsch diagnostiziert wird, von Laien und Ärzten als Simulanten betrachtet und zum Psychiater geschickt werden. Das ist ein weiterer Grund, seine Behinderung zu verbergen.
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Beitrag: Montag, 30. Aug. 2004 19:17    Titel: Legasthenie als Maßstab für die Rechtschreibung Antworten mit Zitat

Legasthenie als Maßstab für die Rechtschreibung

glasreiniger: Testbogen mit der alten Rechtschreibung vernichtet #24651 - 20.08.2004 10:06

Eigentlich wollte ich ja nichts mehr in diesem Forum zum Besten geben. Aber die Leserbriefseite der SZ heute hat es in sich. Der Höhepunkt: Frau Dr. B. T. aus Ulm schreibt:

Inzwischen sind viele Rechtschreibtests auf die neue Rechtschreibung normiert worden und unterliegen wieder der Normalverteilung der Rechtschreibleistungen. Sie sind von uns allen gekauft worden; die Testbogen mit der alten Rechtschreibung sind vernichtet. Also auch aus diesem Grund bitte keinen Rückwärtsgang!

Süddeutsche Zeitung vom 20. August 2004
______________________________________

KeinGuru: Re: Testbogen mit der alten Rechtschreibung vernichtet #24788 - 21.08.2004 15:48

Die Dame Dr. B.T. (von der Schulpsychologischen Beratungsstelle Ulm, Spezialgebiet offenbar: Legasthenie) hat noch einen weiteren bemerkenswerten Beitrag geleistet:

„Je lautgetreuer eine Sprache ist (etwa Latein oder Italienisch), desto leichter ist es für den Schüler, desto weniger Legastheniker gibt es. Also sollte die Rechtschreibreform noch viel weiter gehen, um mehr lautgetreues Schreiben zu ermöglichen.“

Endlich hat es jemand auf den Punkt gebracht! Der normsetzende Maßstab für deutsche Rechtschreibung: Der Legastheniker.
_______________________________________

KeinGuru: Re: Testbogen mit der alten Rechtschreibung vernichtet #24811 - 21.08.2004 20:11

Nun, die Dame empfindet die Reform offenbar wirklich als Annäherung an lautgetreues Schreiben (also wohl tatsächlich „Stängel“ und „Gämse“, „aufwändig“, „Kuss“ und „Ruß“, etc.), und wünscht sich zum Wohle der Legastheniker noch mehr davon, als die Reform bisher schon geboten hat.

Was mich fasziniert, ist der dahinterstehende Gedankengang: Die Forderung, die Kriterien einer Rechtschreibreform an den Bedürfnissen einer kleinen (bedauernswerten, natürlich gezielt zu fördernden) Gruppe auszurichten, deren Schrifterwerbs-Fähigkeiten defizitär sind - das ist zwar sehr sozial, aber kann das wirklich der Maßstab für eine Reform der schriftlichen Kommunikation sein?

KeinGuru

Rechtschreib-Forum der Süddeutschen Zeitung
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Beitrag: Freitag, 03. Sep. 2004 22:13    Titel: Gutachten für die Kultusministerkonferenz Antworten mit Zitat

Schwierigkeiten beim Lesen, Schreiben und Rechtschreiben

Gutachten für die Kultusministerkonferenz


von Dipl.Päd. Ingrid M. Naegele, Institut für Lernförderung, Frankfurt/M.

Diese Stellungnahme orientiert sich am “Fragenkatalog LRS” der Arbeitsgruppe der KMK.

Die Fragen werden vor allem unter dem Gesichtspunkt der langjährigen praktischen Arbeit mit Kindern mit massiven Lernproblemen (LRS und Rechenschwierigkeiten) in Schule und Therapie beantwortet. In den neuesten Fassungen der beiden Bänden des Handbuchs “LRS – Legasthenie- in den Klassen 1-10” ( Naegele/Valtin (Hg.) 2001/2002) werden die einzelnen Aspekte ausführlich dargestellt.

Allgemeine Stellungnahme zur Erforschung der LRS:

In der schulischen und außerschulischen Arbeit zur Behebung von massiven Lernproblemen (LRS und Rechenstörungen) hat sich der kognitiv-entwicklungspsychologische Ansatz der Theorie der kognitiven Klarheit (Downing /Valtin 1984, Valtin 2001, Scheerer-Neumann 2001) sehr erfolgreich erwiesen. In acht Jahren eigener schulischer Förderarbeit ( Naegele u.a. 1981, 1983, 2001a, 2001c) konnten durch diesen Ansatz, dessen zentrales Anliegen der Einbezug individueller Stärken und Schwächen ist, alle Kinder zumindest ausreichende Rechtschreibleistungen in ihrer Klasse erzielen und ihre Lesefähigkeit verbessern, wenn das Förderangebot regelmäßig angenommen wurde. LehrerInnen, die regelmäßig an Fortbildung zu Grundlagen des Schriftspracherwerbs und seiner Hürden teilgenommen haben, berichten über ähnliche Erfolge.

1. Definition (Renate Valtin)

Es gibt bislang keine einheitliche Definition für Probleme beim Lesen- und Rechtschreibenlernen. Je nach wissenschaftlichem Standort und professionellem Interesse werden unterschiedliche Bezeichnungen gewählt.

Wer sich in Bezug auf die Ursachenerklärung stärker auf Defekte bzw. Eigenschaften des Kindes bezieht, wählt Bezeichnungen wie Lese-Rechtschreib-Schwäche oder Legasthenie, wer mehr die dynamische Wechselwirkung von personalen und Umweltbedingungen betont, spricht von Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten.


Ist eine begriffliche Unterscheidung möglich, sinnvoll oder gar notwendig?

Ich beziehe mich dabei auf die Unterscheidung von Legasthenie und Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten (LRS).

Das Konstrukt Legasthenie betrachtet Lese-Rechtschreib-Störungen als krankhafte Eigenschaft eines intelligenten Kindes, das eine Diskrepanz zwischen guter Intelligenz und schwachen Lese-Rechtschreibleistungen aufweist. Das Kind – so wird behauptet - habe irgendwelche Defekte (sei es genetisch oder dispositionell, z. B. Wahrnehmungsstörungen).


Die Kritik:

- Dieses Konstrukt ist theoretisch nicht sinnvoll, denn es beinhaltet die Annahme, die Intelligenz sei ein wesentlicher Faktor für den Erfolg im Lesen/Schreibenlernen und deshalb sei Legasthenie eine erwartungswidrige Störung.

Die Korrelationen zwischen IQ und Leistungen in Lese- und Rechtschreibtests liegen jedoch nur in mittlerer Höhe, d.h. Diskrepanzen zwischen dem IQ und den Leistungen im Lesen und Rechtschreiben sind also erwartungsgemäß und keinesfalls krankhaft.

- Dieses Konstrukt ist methodisch nicht sinnvoll, denn bei der Feststellung einer Diskrepanz zwischen IQ und Leistungen im Lese- und im Rechtschreibtest gehen die Messfehlerschwankungen ein und führen zu unzuverlässigen Resultaten. Je nach Verwendung unterschiedlicher Intelligenztests werden zudem unterschiedliche Kinder als Legastheniker diagnostiziert (Valtin 1981).

Dieses Konstrukt ist diagnostisch nicht sinnvoll, denn die so definierten Legastheniker unterscheiden sich weder in ihren Schwierigkeiten im Lesen und der Rechtschreibung (Klicpera/Gasteiger-Klicpera 1995), noch in anderen Funktionsbereichen (Valtin 1981, Marx/Weber/Schneider 2001) von anderen Kindern mit LRS, bei denen keine Diskrepanz mit der Intelligenz vorliegt. So sind zum Beispiel Reversionen nicht typisch.

· Das Konstrukt Legasthenie ist wissenschaftlich nicht haltbar, da alle damit verbundenen Annahmen (Linksfaktor, Raumlagelabilität, legastheniespezifische Fehler und visuelle Wahrnehmungsmängel) falsifiziert worden sind.

- Dieses Konstrukt ist therapeutisch nicht brauchbar, denn die so definierten Legastheniker brauchen keine anderen Therapiemaßnahmen als andere Kinder mit LRS. Der Therapie-Erfolg ist auch nicht von der Intelligenz der Kinder abhängig. (zuletzt Weber/Marx/Schneider 2001). Dieses Ergebnis spricht für die Empfehlungen der KMK, alle Kindern mit Lese-Rechtschreibschwierigkeiten unabhängig von ihrem Intelligenzniveau zu fördern.

- Dieses Konstrukt kann sogar therapeutisch schädlich sein, weil falsche Fördermaßnahmen ergriffen werden, denn es verhindert, dass Legastheniker Therapien erhalten, die gezielt am Versagen im Lesen und Schreiben ansetzen. Eine Auswertung anamnestischer Daten von Kindern, die im Institut für Lernförderung in Frankfurt vorgestellt wurden, zeigt, dass betroffene Kinder manchmal über Jahre hinweg eine Folge diverser Therapien (Ergotherapie, Augentraining, Funktionstrainings, NLP, Kinesiologie, sogar Psychoanalyse) hinter sich hatten - und dies ohne jeglichen Erfolg für ihre Lese- oder (Recht)-Schreibkompetenz, da nämlich die entscheidende Förderung im Bereich der Schriftsprache selbst unterblieb.

Auch der Förderunterricht in der Grundschule, der sich am klassischen Legastheniekonzept orientiert, zeigt wenig Effektivität. Klicpera und Gasteiger-Klicpera (1995) haben bei Wiener Legasthenikern, die ein bzw. zwei Jahre lang einen Legasthenikerförderkurs besuchten (eine Stunde pro Woche Unterricht außerhalb des Klassenverbandes), keinerlei Leistungszuwachs beobachten können. Gründe seien der erhebliche Anteil an Funktionsübungen; häufiges lautes Lesen, vor allem von einzelnen Wörtern, wobei das Textverständnis wenig berücksichtigt wird; in der Rechtschreibung Übungen zur Vermeidung von Reversionen, also von Fehlerschwerpunkten, die gar keine große Rolle spielen.

Welche Ursachenannahmen liegen der jeweiligen Definition zugrunde?

Dem Konstrukt Legasthenie liegt die Annahme zugrunde, das Kind könne aufgrund einer krankhaften Eigenschaft des Kindes nicht lesen und schreiben lernen. Vor allem Mediziner verweisen auf “Teilleistungsstörungen”. Die Annahme, dass Funktions- oder Teilleistungsschwächen wesentlich zur Legasthenie beitragen, ist jedoch empirisch widerlegt. Unter den Legasthenikern gibt es nur einen ganz geringen Prozentsatz von Kindern, die überhaupt derartige Defizite aufweisen (Valtin 1974, 1981; Klicpera/ Gasteiger-Klicpera 1995). Hingegen gibt es viele Kinder mit “Teilleistungsschwächen", die keinerlei Probleme beim Schriftspracherwerb haben (Schenk-Danziger 1991). Nicht überraschend sind deshalb die fehlende therapeutischen Erfolge von Programmen im visuellen oder visuomotorischen Bereich (Scheerer-Neumann 1979). Dies gilt auch für auditive Trainings mit Hilfe des Brainboy nach Warnke (Klicpera/ Gasteiger-Klicpera 1995).

Die Theorien der Teilleistungsstörungen beruhen auf dem Gedanken, das es beim Lesen- und Rechtschreibenlernen vor allem um Wahrnehmungsleistungen handele. Tatsächlich geht es beim Schriftspracherwerb um eine Denkentwicklung und den Erwerb von Einsichten in den Zusammenhang von gesprochener und geschriebener Sprache (s.u)

Das pädagogisch-psychologische Konzept von LRS:

Die Theorie der kognitiven Klarheit

Die Theorie der kognitiven Klarheit besagt: Beim Schriftspracherwerb müssen die Lernenden zu einer kognitiven Klarheit in Bezug auf Funktion und Aufbau der Schrift gelangen. Ferner brauchen sie metakognitives Wissen in Bezug auf geeignete Lern- und Übungsstrategien sowie effektive Arbeitstechniken.

Durch zahlreiche Studien wissen wir, wie komplex und schwierig die Voraussetzungen und Lernleistungen sind, die Kinder beim Erwerb des Lesens und Schreibens sich aneignen müssen, z. B. die Vergegenständlichung von Sprache, das Wortkonzept, die Phonemanalyse und Kenntnis der Phonem-Graphem-Zuordnungsregeln. Dabei handelt es sich um Einsichten und Kenntnisse, die von Kindern nicht schlagartig von heute auf morgen und auch nicht kontinuierlich erworben werden. Alle Kinder haben hier Schwierigkeiten und durchlaufen charakteristische Stufen.

Generell sind die Probleme der LRS-Kinder dadurch zu charakterisieren, dass sie sich länger auf den unteren Ebenen des Schriftsprachmodells mit den entsprechenden Fehlerschwerpunkten aufhalten, zum Beispiel bei der ”Schreibe, wie du sprichst”- Strategie.

SchülerInnen mit LRS ähneln mit ihren Leistungen im Lesen und (Recht-)schreiben Kindern auf unteren Ebenen der Schriftentwicklung. Offenbar benötigen sie längere Zeit als normal lernende Kinder, um die unteren Entwicklungsstufen zu verlassen. Dies kann unterschiedliche Gründe haben, wobei ein Wechselspiel zwischen individuellen, häuslichen und schulischen Faktoren zu berücksichtigen ist. Langsam lernende Kinder laufen Gefahr, im Unterricht hinterherzuhinken, weil sie aufgrund ihrer Lernvoraussetzungen das größere Wortschatzangebot und die immer schwieriger werdenden Wörter nicht mehr bewältigen können. Dadurch stellen sich beim Kind Misserfolgserlebnisse sowie Beeinträchtigungen des Selbstwertgefühls und der Gesamtpersön­lichkeit ein, was in schwerwiegenden Fällen zu dem bekannten Teufelskreis führt.

Definitionen in anderen Industrienationen

In den skandinavischen Staaten (z. B. Schweden) wird darauf verwiesen, dass es in allen Fähigkeitsbereichen Personen mit unterdurchschnittlichen und extrem schwachen Leistungen gibt. Leseversagen gilt insofern als “normales” Phänomen, nicht aber als Krankheit.

Auch die International Reading Association hält eine Differenzierung von “dyslexia” und anderen Arten von Problemen beim Lese-Rechtschreiblernen nicht für sinnvoll. Dennoch gibt es immer wieder einzelne Personen, die von sich reklamieren, sie hätten das “Spezifische” der Dyslexie entdeckt. Da es jedoch keinen Konsens über die Spezifitäten gibt, gibt es keine einheitliche Definition.

Empfehlung: Beibehaltung der beschreibenden Definition der KMK-Grundsätze und Einbezug des Schreibens, wie in der Hessischen Verordnung und Richtlinie vom 15.12.95 bereits vorgegeben: “Förderung von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten beim Lesen, Schreiben und Rechtschreiben”.


2. Diagnose

Neben den Eltern verfügen nur die unterrichtenden LehrerInnen über differenzierte Einsichten in die Lernprozesse eines Kindes und seine psychischen Reaktionen, wenn diese erwartungswidrig problematisch verlaufen. Statt mit normierten Tests sollten LehrerInnen die Arbeiten der Kinder regelmäßig förderdiagnostisch mit einem der vorliegenden Entwicklungsmodelle der schriftsprachlichen Entwicklung vergleichen (Valtin 2001, Scheerer-Neumann 2001), um daraus Hinweise für die Förderung zu gewinnen. Grundvoraussetzung für diese Arbeit ist jedoch eine intensive Qualifizierung der LehrerInnen, damit sie die Lese- und Schreibversuche der Kinder prozessbegleitend beobachten, interpretieren und durch differenzierte Angebote weiter entwickeln können. Dazu sind veränderte Rahmenbedingungen unerlässlich wie kleinere Anfangsklassen, stundenweise Doppelbesetzung im Unterricht, Einsatz didaktisch sinnvoller Materialien- ganz abgesehen von mehr Unterrichtszeit. Die LehrerInen müssten jedoch neben sprachwissenschaftlichen und didaktischen auch über psychologische Kenntnisse verfügen.

Empfehlung: Es wäre sinnvoll, wenn von der ersten Klasse an freies Schreiben verpflichtender Bestandteil des Deutschunterrichts wäre, da nur dies den wahre Stand des Kindes im Schreiberwerbsprozess zeigt, nicht aber die gängigen vorgeübten Diktate. Der Entwicklungsstand in der Leseentwicklung erfordert, dass LehrerInnen mehr Zeit für das einzelne Kind zur Verfügung steht (Doppelbesetzung, mehr Unterrichtszeit).


3. Aus-, Fort- und Weiterbildung

Lesen und Schreiben zu lehren sowie Kindern bei Schwierigkeiten zu helfen, setzt besondere Kompetenzen der unterrichtenden LehrerInnen voraus. Dieser wird derzeit nicht in ausreichendem Maße und verbindlich in der Lehrerausbildung vermittelt.

Vor allem die GrundschullehrerInnen müssten sich verpflichtend aus- und kontinuierlich weiterbilden in Fragen des Schriftspracherwerbs und seiner Komplexität. Der derzeitige Wissensstand der LehrerInnen ist in der Regel laienhaft. Der Verweis, dafür nicht ausgebildet zu sein, rechtfertigt nicht, Eltern und außerschulischen Instanzen die Verantwortung für das Lesen- und Schreibenlernen zu übertragen, gleichzeitig aber im Unterricht zu sanktionieren in Form von Ausgrenzung und Benotung.


4. Leistungsbewertungen

Besondere Bestimmungen bei der Leistungsbeurteilung und Leistungsfeststellung sollten den SchülerInnen mit einem gravierenden Rückstand in der schriftsprachlichen Entwicklung – bezogen auf die Klasse- helfen, dem Lesen und Schreiben nicht auszuweichen, sondern durch differenzierte Leistungsanforderungen zumindest ausreichende Ergebnisse zu erzielen.

Der Notenschutz, den die Hessische Verordnung für LRS- SchülerInnen für die Problembereiche Lese, Schreiben und / oder Rechtschreiben in Deutsch und ggf. in den Fremdsprachen vorsieht, hat sich als ein Teil dieser Maßnahmen in der Praxis sehr bewährt. Er ist jedoch nur sinnvoll, wenn gleichzeitig pädagogisch sinnvolle, die individuellen Stärken und Schwächen des Kindes berücksichtigende Hilfsangebote gemacht und durchgeführt werden. Ohne geeignete tägliche, kleine Übungen wird sich der Rückstand in der schriftsprachlichen Entwicklung nicht verringern lassen. Eine Kopplung an außerschulische Diagnose- oder Fördermaßnahmen sollte unzulässig sein, wird jedoch z.Bsp .in Frankfurt von mehreren Schulen praktiziert. Einige Lehrer machen die Anerkennung der LRS davon abhängig, ob ein Kind tägliche Zusatzleistungen erbringt (z.B. eine DIN-A 4 Seite abschreiben, was in vielen Fällen eine sinnlose Quälerei darstellt) (Naegele 2001d).

Empfehlung: Ein Notenschutz sollte gewährt werden, bis sich die Rechtschreibung ausreichend stabilisiert und das Kind die altersgemäße Lesefähigkeit erreicht hat. Je früher differenziert gefördert wird und der wahre Stand des Kindes nicht durch sinnlose auswendig gelernte Diktate verdeckt wird, um so rascher kann ein Kind eine normale Lese- und Schreibentwicklung erreichen. Ein Nachteilsausgleich kann auch durch differenzierte Fragestellungen und Arbeitsumfang oder Zeitzuschlag erreicht werden.


5. Fördermaßnahmen

Förderung muss vom ersten Schultag an Bestandteil der schulischen Arbeit sein. Es muss sicher gestellt sein, dass nur vorher gründlich aus- und weitergebildete LehrerInnen in Anfangsklassen unterrichten. Da die Prävention Vorrang vor späteren Therapien haben sollte, müssen die Klassengrößen in der Grundschule reduziert und stundenweise Doppelbesetzung etabliert werden. Nur so kann die LehrerIn die Entwicklung ihrer SchülerInnen beobachten und gezielt fördern. Jede Schule sollte mindestens eine kontinuierlich in Fragen der LRS oder RS weitergebildete Lehrkraft als KoordinatorIn haben.

Auch bei bestem Unterricht wird es einzelne SchülerInnen geben, deren komplexe Lern- und Verhaltensauffälligkeiten nicht mit schulischen Maßnahmen zu beheben sein werden. Kinder, die unter einem so gravierenden Rückstand in der schriftsprachlichen oder mathematischen Entwicklung ( bezogen auf die Klasse) leiden, dass sie in der Folge psychosomatische Verhaltensauffälligkeiten entwickeln, benötigen integrative psycho- und lerntherapeutische Einzelhilfe, die die Schule in der Regel nicht leisten kann. Mit Hilfe des FIT- Konzepts (Naegele 2001c) haben in den letzten 15 Jahren viele Kinder und Jugendliche ihre LRS und RS überwinden gelernt und erfolgreich den jeweils gewählten Schulweg weitergehen können bzw. diesen inzwischen beendet. Löffler/ Meyer-Scheepers (2001b) berichten über 400 Fälle erfolgreicher LRS-Therapien nach einem ähnlichen Therapiekonzept (Löffler/ Meyer-Schepers/Nijland 2001a). In vielen Fällen hat unser Beratungskonzept geholfen, dass für das Kind außerschulische Maßnahmen nicht notwendig werden.

Empfehlung: Schulische Fördermaßnahmen ( Binnendifferenzierung oder Förderkurse) müssen die individuellen Lernstrategien der Kinder ernstnehmen und ihre jeweiligen Stärken einbeziehen. Die psychischen Auswirkungen von Lernproblemen auf das Selbstwertgefühl des Kindes müssen berücksichtigt werden ( Rathenow/ Vöge 1982, Naegele 2001d).


6. Schule und Eltern

Die in den KMK-Grundsätzen sowie der Hessischen Verordnung und Richtlinie angegebenen Passagen zur Information und Zusammenarbeit mit Eltern haben sich als sinnvoll und richtig erwiesen . Was fehlt, ist die konkrete Umsetzung in der Schule, vor allem eine fachliche Beratung.

Aus langjähriger Erfahrung muss ich die Klagen von Eltern leider bestätigen, dass viele LehrerInnen offen die Auffassung vertreten, dass sie Deutsch zwar unterrichten, jedoch weder den kindlichen Schriftspracherwerb studiert noch sich darin weitergebildet haben, ganz zu schweigen von LRS. Viele LehrerInnen kennen weder die in ihrem Bundesland gültige Rechtslage, noch die zu Grunde liegenden theoretischen Annahmen. Sie verweisen Eltern daher an außerschulische Institutionen, in der Hoffnung, dass diese ihnen mit Hilfe von Tests die rechtlichen Grundlagen zur Anwendung der Verordnung geben- eine, wie ich meine, rechtswidrige Maßnahme. Gleichzeitig koppeln sie häufig die Entlastungen in der Notengebung an den Nachweis privat finanzierter außerschulischer Förderung, ohne jedoch in der Lage zu sein, deren Qualität zu überprüfen. Außerdem ist zu kritisieren, dass fehlende Kompetenz von DeutschlehrerInnen dazu führt, dass sie von Kindern mit LRS zusätzliche Leistungen fordern, die meist methodisch-didaktisch problematisch sind.

Auf Grund der exemplarisch beschriebenen schulischen Missstände ist es nicht verwunderlich, dass Eltern sich bei anderen Fachleuten Rat und Hilfe suchen, die ihnen eher den Eindruck von Kompetenz vermitteln, in der Regel jedoch keinerlei Ausbildung und Fachwissen über die schriftsprachlichen Grundlagen und deren Problematik besitzen. Ihr medizinisches Teilleistungsstörungs- oder Wahrnehmungs-Erklärungsmodell ist für Eltern – und Laienlehrer- in zweifacher Weise entlastend. Zum einem sind sie dann nicht am Entstehen des Lernproblems beteiligt oder somit verantwortlich. Zweitens können dann über die Krankenkassen oder das KJHG außerschulische Hilfsmaßnahmen beantragt und finanziert werden, obwohl Evaluationen der Teilleistungstherapieansätze bisher keine positiven Ergebnisse vorweisen können ( zuletzt Klicpera/Gasteiger-Klicpera 1995).

Empfehlung: Aufklärung der Eltern über die Komplexität der schriftsprachlichen Entwicklung, vor allem in den ersten Schuljahren und der “normalen” Schwierigkeiten dabei. Angebot sinnvoller, kurzer Förderangebote (Naegele 2001a).


7. Schule und Jugendhilfe

Die derzeit geforderte kinderpsychiatrische Anamnese als Voraussetzung für Maßnahmen des KJHGs bei LRS geht am Kern der kindlichen Lernschwierigkeiten vorbei, da sie von einer medizinischen, längst falsifizierten Annahme über das Vorhandensein einer Teilleistungsschwäche Legasthenie ausgeht (Valtin 1974). Das gleiche gilt für das darauf fußende Wahrnehmung- oder Funktionsstraining oder die medikamentöse Behandlung mit Psychopharmaka, um “gesunde” Reaktionen von überforderten Kindern zu unterdrücken. Die Kooperation zwischen Jugendamt und Schule ist im Prinzip richtig. Ein Berichts der Klassen-/Deutschlehrerin sollte differenziert Auskunft geben über die bisher erfolgten Maßnahmen und die Notwendigkeit außerschulischer Maßnahmen begründen. Es kommt jedoch vor, dass LehrerInnen auf Grund privater Theorien Kindern diese Unterstützung verweigern, weil sie das Kind für faul oder lernunwillig halten. In solchen Fällen sollten andere Fachgutachten von Beratungsstellen angefordert werden, die eine pädagogisch- psychologische Beurteilung des Kindes mit seinem individuellen Stand im Lernprozess vornehmen.

Generell gilt: Die Qualität außerschulischer Förderarbeit ist ebenso schwer zu sichern wie die des schulischen Unterrichts.

Empfehlung: Außerschulische integrative psycho- und lerntherapeutische Maßnahmen sind für Kinder mit massiven Lern- und Verhaltensauffälligkeiten dringend notwendig. Ihre Finanzierung muss über das KJHG geregelt sein, da nur wenige Eltern die Kosten für eine dann notwendige Einzeltherapie bezahlen können. Grundsätzlich sollten jedoch keine Maßnahmen zum Abbau von LRS finanziert werden, die nicht den Lerngegenstand Schriftsprache im Zentrum ihres Angebots haben. Das bedeutet, dass reine Wahrnehmungstrainings, kineseologische oder Ergotherapien, isolierte Psychotherapien oder medizinische Behandlungen im Zusammenhang mit LRS entfallen müssten. Außerdem sollte auf eine zeitliche Begrenzung geachtet werden, damit das Kind nicht therapieabhängig bleibt, sondern befähigt wird, selbstständig seinen Weg zu gehen. Sinnvoll erscheint die regelmäßige halbjährliche Überprüfung der außerschulischen Maßnahmen im Zusammenhang mit dem KJHG in Form von Hilfeplangesprächen mit allen Betroffenen.


8. Vorschulischer Bereich

Bekannt ist die große Streuung der für den Schriftspracherwerb notwendigen Voraussetzungen ( Rathenow/Vöge 1982, Löffler/Meyer-Schepers 2001b), vor allem im Bereich der phonologischen Bewusstheit.

Der Kindergarten muss wieder verstärkt alle Kinder in Spiel-, Gesprächs- und Bewegungssituationen fördern. Bei den meisten Kindern, die wegen LRS oder Rechenstörungen vorgestellt werden, fiel den Eltern ein Rückstand in der sprachlichen oder motorischen Entwicklung bereits im Kindergartenalter auf oder er wurde von den KinderärztInnen bei den Untersuchungen übersehen. Die Kinder konnten im Kindergarten einer Förderung in den Problembereichen sie wurde nicht angeboten. Erfolgreicher als isolierte Trainingsprogramme der phonologischen Bewusstheit (Schneider u.a.1999) haben sich freie Spiel-, Lied-, Reim- und Bewegungsangebote bewährt, wie sie z.B. im Modellversuch EULE für multinationale Anfangsklassen zur Verbesserung der kommunikativen Kompetenz entwickelt wurden (Naegele /Haarmann 1993).

Voraussetzung für einen erfolgreichen Schriftspracherwerb sind bessere schulische Rahmenbedingungen (mehr Unterrichtszeit, differenzierte Materialien und Unterrichtsformen, stundenweise Doppelbesetzung, gut fachwissenschaftlich- und didaktisch ausgebildete LehrerInnen). Ungeeignet ist eine Vorverlegung des Schuleintrittsalters, wenn nicht gleichzeitig damit eine Änderung der Unterrichtsinhalte einher geht.

Es liegen vielfältige Erkenntnisse vor, dass sich der Erstunterricht stärker an dem individuellen Entwicklungsstand des Kindes orientieren muss und nicht das Kind an die Vorstellung der Lehrperson (Hess. Rahmenplan für die Grundschule 1996).

Empfehlung: Verpflichtender Besuch aller Kinder in einer vorschulischen Einrichtung, Ausbau der kommunikativen und sozialen Kompetenzen aller Kinder, vor allem derjenigen aus Familien, in denen Deutsch nicht Muttersprache ist und Literalität keine Rolle spielt (OECD- PISA 2001).


9. Lehr- und Lernmittel

Die auf dem Markt befindlichen Lehr- und Arbeitsmittel sind voll an verwirrenden Übungsformen und falscher Didaktik (Naegele/ Valtin 1994, Hübner 2001).

Ein sachgerechter Kriterienkatalog für die Bewilligung von schulischen Lehr- und Lernmitteln erscheint dringend notwendig.

Besonders das sog. Fördermaterial verwirrt mehr als dass es Kinder mit LRS in ihren Erwerbsprozessen fördert. Hier gibt es einen dringenden Nachholbedarf. Neben einer differenzierten Leseförderung, die am Interesse des einzelnen Kindes ansetzt, erscheint das freie Schreiben, die Arbeit mit eigenen Karteien und Wortlisten am geeignetsten zur Schreibförderung.

Empfehlung: Schulischer Einsatz der Fördervorschläge in der vorliegenden methodisch- didaktisch sinnvollen Literatur ( z.B. Augst/Dehn 1998, Brügelmann/ Brinkmann 1998, Naegele/ Valtin 1994, 1997 /2001/ 2002, Valtin 2000)

* Ich danke Renate Valtin, Berlin für den Abschnitt “1.Definition” und Klaus R. Zimmermann für die kritische Durchsicht.


Literatur

Augst, G./Dehn, M.: Rechtschreibung und Rechtschreibunterricht. Können, Lehren, Lernen. Eine Einführung für Studierende und Lehrende aller Schulformen. Stuttgart, Düsseldorf, Leipzig (Klett) 1998

Augst, G./Faigl, P.: Mnemosyne. Untersuchungen zur Ontogenese der schriftsprachlichen Fähigkeiten von 13 bis 23 Jahren. Frankfurt/Bern/New York. 1986.

Brügelmann, H./ Brinkmann, E.: Die Schrift erfinden – Beobachtungshilfen und methodische Ideen für einen offenen Anfangsunterricht im Lesen und Schreiben. Lengwil 1998

Dehn, M. u.a.: Elementare Schriftkultur. Schwierige Lernentwicklung und Unterrichtskonzept. Weinheim 1996

Downing, J./ Valtin, R.: Language Awareness and learning to read. New York 1984

Hübner, L.: Kontraproduktive Übungen. In: Akademie für Lehrerfortbildung: Lese- Rechtschreibschwierigkeiten. Diagnose- Förderung- Materialien. Donauwörth 2001, 2. erweit. Auflage

Klicpera, C. /Gasteiger-Klicpera, B.: Psychologie er Lese- und Schreibschwierigkeiten – Entwicklung, Ursachen, Förderung. Weinheim 1995

Löffler, I./ Meyer-Schepers/ Nijland, E.: Das LautAnalytische RechtschreibSystem (LARS). In: Naegele/ Valtin LRS Band 2, 2001a

Löffler, I./ Meyer-Schepers: “Da wächst sich nichts aus!” - Eine statistische Erhebung bei Kindern mit Lese-/Rechtschreibstörungen. Manuskript eines Vortrags 2001 b

Marx, P. / Weber, J.M. / Schneider, W.: Legasthenie versus allgemeine Lese-Rechtschreibschwäche. In: Zeitschrift für Pädagogische Psychologie 15 (2), 2001, S. 85-98

Naegele/Haarmann/Rathenow/Warwel (Hg.): Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten. Orientierungen und Hilfen für die Arbeit mit Grundschülern. Weinheim 1981

Naegele/ Portmann (Hg.): Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten in der Sekundarstufe I.: Weinheim 1983

Naegele, I.M. / Haarmann, D. (Hg.): Darf ich mitspielen? Kinder verständigen sich in vielen Sprachen. Weinheim 1993, 4. Aufl.

Naegele, I.M.: Schulschwierigkeiten in Lesen, Rechtschreibung und Rechnen. Ein Elternhandbuch. Weinheim 2001a

Naegele, I.M.: Lese- Rechtschreibschwierigkeiten, LRS, Legasthenie... Was Lehrerinnen und Lehrer wissen sollten. In: Praxis Deutsch 166, 3/2001b

Naegele, I.M.: FIT – das Frankfurter Integrative Therapiemodell. In: Naegele/Valtin: LRS –Band 2, 2001c

Naegele, I.M./ R.Vohs: Konkrete Hilfe statt Kritik und unbrauchbare Ratschläge. In: Pädagogik. 1/2001d

Naegele, I.M./ Valtin,R. (Hg.): Rechtschreibunterricht in den Klassen 1-10. Frankfurt 1994, 3. Aufl.

Naegele, I.M./ Valtin, R.(Hg.): LRS- Legasthenie – in den Klassen 1-10. Band 1: Grundlagen und Grundsätze der Lese- Rechtschreib-Förderung. Weinheim 1997, ,6. neu bearb. Aufl. 2002 (im Text: LRS-Band 1)

Naegele, I.M./ Valtin, R.(Hg.): LRS- Legasthenie – in den Klassen 1-10. Band 2: Schulische Förderung und außerschulische Therapien. Weinheim 2001, 2. überarb. Auflage (im Text: LRS-Band 2)

OECD: PISA- Schülerleistungen im internationalen Vergleich. Berlin 2001

Rathenow, P. /Vöge, J.: Erkennen und Fördern von Schülern mit Lese-/ Rechtschreibschwierigkeiten. Braunschweig 1982

Scheerer- Neumann, G.: Intervention bei Lese-Rechtschreibschwäche. Bochum 1979

Scheerer- Neumann, G.: Förderdiagnostik beim Lesenlernen. In: Naegele/Valtin(Hg.): LRS – Band 2, 2001

Schenk-Danzinger, L.: Legasthenie. München 1991

Valtin, R.: Legasthenie – Theorien und Untersuchungen. Weinheim 1974

Valtin, R.: Von der klassischen Legasthenie zu LRS – notwendige Klarstellungen. In: Naegele/Valtin: LRS 2, 2001

Valtin, R. u.a.: Legasthenie in Wissenschaft und Unterricht. Darmstadt 1981

Valtin, R. (Hg.): Rechtschreiben lernen in den Klassen 1 – 6. Grundlagen und didaktische Hilfen. Grundschulverband Frankfurt 2000

Valtin, R.: Schwierigkeiten beim Schriftspracherwerb. Hinweise und Hilfen zur Förderdiagnostik. In: Naegele/Valtin: LRS 2, 2001

www.dgls.de/naegele02.htm
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Manfred Riebe



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Beitrag: Freitag, 03. Sep. 2004 22:39    Titel: Hat Augst eine Lese-Rechtschreibschwäche? Antworten mit Zitat

Hat Augst eine Lese-Rechtschreibschwäche?

An Sarah: Du schreibst: „Er ist mir zum sympathisch.“ Soll das heißen: „Er ist mir zu sympathisch.“ oder: „Er ist mir unsympathisch“? Ist ein Rechtschreibreformer gemeint?

Jemand schrieb: „Der Vorsitzende der Zwischenstaatlichen Rechtschreibkommission, Prof. Augst, Hochschullehrer an der Gesamthochschule Siegen, hatte sich laut eigener Aussage schon in jungen Jahren aufgrund einer gewissen Lese-Rechtschreibschwäche die Vereinfachung der Rechtschreibung vorgenommen.“

Auf meine Frage antwortete man mir, Augst habe dies in einer Fernsehsendung gesagt. Augst sei allein gewesen und habe vom Blatt abgelesen. Im Hintergrund habe man eine Bücherwand sehen können. Wann und in welchem Fernsehsender das war, konnte man mir nicht sagen.

Wer hat eine Fernsehsendung mit Augst allein aufgenommen? Falls Augst eine Lese-Rechtschreibschwäche hat, wäre dies ein außerordentlich bemerkenswertes Motiv dieses Antreibers der Rechtschreibreform.

Manfred Riebe
08.08.2001 18.00
Forum > Rechtschreibforum > Rechtschreibkommission
www.rechtschreibreform.de/php/einzelner_Datensatz.php?BeitragNr=9416
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Ins Schwarze getroffen

Sarah, Du hast ins Schwarze getroffen, weil Du schreibst: „Dieser Augst tut mir Leid! [Schrecklich Leid]"
Auch ich bin dieser Meinung, daß Gerhard Augst allen Kindern und Jugendlichen schreckliches Leid tut und nicht nur Schülern, sondern auch Lehrern und anderen Erwachsenen. Ich glaube nicht, daß die Reformer Kinder- und Jugendfreunde sind, wenn sie bei ihrem Rechtschreibmassenexperiment nur an legasthenische Kinder denken.

Die Behauptung, Gerhard Augst habe im Fernsehen gesagt, er habe eine Lese-Rechtschreib-Schwäche, ist aber bisher nur ein nicht bewiesenes Gerücht, von dem ich aber gern wüßte, ob es den Tatsachen entspricht. Deshalb habe ich die Frage gestellt, ob jemand jene beschriebene Fernsehsendung gesehen und aufgezeichnet hat. Warum?

Natürlich kann ein solchermaßen Behinderter nichts dafür, „dass er ein bisschen neben der Kappe ist...“, wie Du schreibst. Gemeint ist damit eine psychosoziale Persönlichkeitsentwicklung, die auch auf eine Kompensation der Rechtschreibschwäche ausgerichtet sein kann. Legasthenie, d.h. Lese-Rechtschreib-Schwäche, gibt es in leichter Form, ohne wesentliche Beeinträchtigung der Schulleistungen manchmal auch unter Lehrern. Es gibt auch mittelgradige, schwere und besonders schwere Ausprägungen dieser Behinderung, wie man den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit nach dem Schwerbehindertengesetz“ entnehmen kann. Obwohl mir Gerhard Augst auch „Leid tut“, könnte ich aber nicht zustimmen, daß man das Lese- und Schreibvermögen auch von nur leicht lese- und rechtschreibschwachen Menschen zum allgemeinen Lern- und Unterrichtsmaßstab macht. Dies schreibe ich als langjähriger Vertrauensmann der Schwerbehinderten, der auch Legastheniker unterrichtet hat. Ein sinnvoller Unterricht wäre nicht möglich, wenn wir das allgemeine Lern- und Unterrichtsniveau an den schwächsten Schülern ausrichten würden. Das schließt eine Rücksichtnahme auf Behinderte im Einzelfall natürlich nicht aus, sondern ein.

08.08.2001 21.14 Manfred Riebe
Forum > Rechtschreibforum > Rechtschreibkommission
www.rechtschreibreform.de/php/einzelner_Datensatz.php?BeitragNr=9428
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Manfred Riebe



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Beitrag: Montag, 11. Okt. 2004 15:40    Titel: Volk von Legasthenikern Antworten mit Zitat

Studie: Jeder zweite junge Deutsche kann nicht richtig schreiben
Volk von Legasthenikern

von Konrad Kranz

Das Vermögen der Deutschen, richtig zu schreiben, hat sich in den vergangenen Jahren stark verschlechtert. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Heidelberger Psychologinnen Claudia Zerahn-Hartung und Ute Pfüller, die jetzt vorgestellt worden ist. 1995 wurde untersucht, wie sich die Rechtschreibleistungen junger Deutscher verändert haben. Als Vergleich diente eine Untersuchung aus dem Jahr 1968: beide Tests beruhen auf dem Lückendiktat „Moselfahrt“. Das vor 30 Jahren entwickelte Diktat testet Groß- und Kleinschreibung („am Morgen“, „Dreißigjähriger Krieg“, „angst und bange“), Silbendehnung („schmählich“), Konsonantenverwechslung („unentgeltlich“), Getrenntschreibung („zum ersten Mal“), Endungen („eilends“), Superlative („bedeutendsten“) und Umlaute. Der Test enthält nur solche Wörter, deren Schreibweise eindeutig geklärt ist.

Das Ergebnis der neuen Untersuchung ist sehr schlecht: die durchschnittliche Fehlerzahl hat sich im Vergleich mit demselben Diktat 1968 verdoppelt. In jenem Jahr hatten nur fünf Prozent der untersuchten jungen Erwachsenen die Note „ungenügend“ bekommen. Bei gleichem Maßstab erhielten heute 39,1 Prozent der untersuchten Personen diese Zensur. Nimmt man die 9,1 Prozent mit „mangelhaft“ zu bewertenden Diktate hinzu, hätte jeder zweite Deutsche „nicht ausreichende“ Rechtschreibfähigkeiten. Insgesamt 7,8 Prozent der Probanden zeigten eine Rechtschreibleistung unter dem Durchschnitt der vierten Klasse.

Bei dem Diktat mit 65 in den Lückentext einzufügenden Wörtern hat sich die durchschnittliche Zahl der Fehler innerhalb einer Generation von zehn auf zwanzig erhöht. 1968 waren zehn Prozent der Untersuchten mit der Note „sehr gut“ beurteilt worden; 1995 haben bei gleichem Bewertungsmaßstab nur knapp zwei Prozent diese Note erreicht.

Die Studie von Zerahn-Hartung und Pfüller wurde in der „Arbeitsgruppe Legasthenie“ der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Heidelberger Universität angefertigt. Das Diktat schrieben 592 Personen deutscher Muttersprache im Alter zwischen sechzehn und dreißig Jahren. Alle Probanden hatten mindestens die Pflichtschulzeit von neun Jahren absolviert. Es nahmen Schüler aus acht Berufsschulen und zwei Gymnasien aus der Stadt und dem Landkreis Heidelberg sowie Studenten der Universität Heidelberg teil. Die Stichprobe war „nahezu repräsentativ“: Unter den Geprüften befanden sich Teilnehmer aller Bildungsniveaus und Berufssparten entsprechend der baden-württembergischen Landesstatistik.

Zerahn-Hartung und Pfüller stellten auch einen auffälligen Geschlechterunterschied fest: Die Diktate der Männer hatten im Durchschnitt fünf Fehler mehr auf als die der Frauen. Und mit dem Schulabschluß variierten auch die Fehlerzahlen. Versuchspersonen mit Hauptschulabschluß wiesen im Durchschnitt 28,7, Probanden mit mittlerer Reife 17,4 Fehler auf, Abiturienten machten 12,1 Fehler. Kein Proband konnte das Diktat fehlerlos schreiben.

Die Untersuchung belegt nun statistisch erstmals methodisch abgesichert, daß sich die Rechtschreibleistungen der Deutschen erheblich verschlechtert haben. Sie bestätigt Klagen von Ausbildungsbetrieben und Universitäten. Den Hauptgrund für die nachlassende Rechtschreibfertigkeit sehen die Autorinnen darin, daß die durchschnittliche Lesezeit stark zurückgegangen sei.

Interessant sind die Ergebnisse einer nebenherlaufenden Untersuchung, und zwar zur sprachfreien, „fluiden Intelligenz“. Die Heidelberger Forscherinnen prüften diese grundlegende geistige Leistungsfähigkeit bei 582 der 592 jungen Erwachsenen. Hier bot ein Test von 1977 die Vergleichsgrundlage. Gegenüber diesem standardisierten Test (CFT 20) boten die Probanden vor drei Jahren 110,8 Prozent der damaligen Leistungen. Eine eindeutige Erklärung gibt es für diese Steigerung nicht. Es könnte daran liegen, daß junge Menschen heute weitaus stärker optischen Reizen ausgesetzt seien, daß sie daher schneller und besser visuell-figurative Aufgaben lösten. Und Computerkenntnisse förderten den Umgang mit abstrakten Operationen. Ein Grund für die Steigerung abstrakter Intelligenz könnte aber auch in der besseren Ernährung liegen.

Die auseinanderdriftende Entwicklung immer schwächerer Rechtschreib- und größerer Intelligenztestleistung weise, so die Forscherinnen, auf die Tendenz zu einer „Gesellschaft von Legasthenikern“ hin. Legasthenie ist folgend definiert: eine durchschnittliche Intelligenz liegt vor, keine neurologische Krankheit, keine Störungen des Sehens oder Hörens sind festzustellen, aber die Rechtschreibleistungen sind extrem schlecht. Legt man Kriterien der Weltgesundheitsorganisation über Legasthenie (ICD 10) zugrunde, ist jeder vierte junge Deutsche ein Legastheniker – und „behandlungsbedürftig“.

JUNGE FREIHEIT Nr. 17/98 vom 17. April 1998, S. 5
www.jf-archiv.de/archiv98/178aa8.htm
www.jungefreiheit.de
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Ulrich Brosinsky



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Beitrag: Samstag, 19. Feb. 2005 04:18    Titel: Drei Legastheniker pro Klasse Antworten mit Zitat

Höllenqualen beim Lesen und Schreiben
Im Durchschnitt hat jeder Lehrer in seiner Klasse drei Legastheniker


von Angelika Albert

Tobias, 13 Jahre, ein begeisterter Schachspieler, schreibt bisher geübte Diktate fast immer fehlerfrei, und jetzt werden seine ungeübten Diktate nicht mehr benotet. Ein Satz wie "die forfart nich gwärt - die Vorfahrt nicht gewährt" - ist eine Herausforderung für ihn.

Jannik, zehn Jahre, hat große Schwierigkeiten beim Vorlesen. Er erkennt nicht, welche Buchstaben er als Laute zusammenziehen soll, weiß nicht, ob es "Gesicht oder Geschichte" heißt. Ständig nervt er seine Mitschüler, bis er einen Satz enträtselt hat.

Immer wieder hört man auch heute noch als Erklärung, warum ein Kind beim Schreiben- und Lesenlernen versagt, das folgende Urteil: Das Kind sei faul und dumm, es übe nicht genügend oder es habe einfach kein Interesse.

Wie viele Väter sitzen noch nach Feierabend mit ihrem Kind zusammen und üben Diktate für den nächsten Schultag. Und eine Vielzahl von Müttern verbringt ganze Nachmittage neben ihrem Kind am Schreibtisch, mit gutem Zureden, Belohnungen, vielleicht auch Strafen, Wörter zu schreiben, Diktate zu üben und Texte zu lesen.

Der Rat der Schule, die liebgemeinten Vorschläge der Eltern, üben, üben und nochmals üben, bringen in der Regel sehr wenig für diese Kinder.

Die Wörter werden nicht immer gleich falsch geschrieben, Buchstaben verwechselt, manchmal ausgelassen oder an die falsche Stelle gesetzt, Endungen nicht erkannt, ähnlich klingende Laute vertauscht, "d und t", "b und p", "g und k" oder "f und w" nicht auseinandergehalten.

Jannik beschreibt sein Problem beim Lesen folgendermaßen: "Wenn ich einen Text aus dem Lesebuch vorlesen sollte, sah ich nur noch einen "Buchstabensalat" im Buch vor mir." Tobias ist nach einem Jahr Therapie in der Lage, den Ausdruck "die Vorfahrt nicht gewährt" fehlerfrei zu schreiben.

"Die betroffenen Kinder sind normal bis überdurchschnittlich intelligent, zeigen in den anderen Schulfächern häufig keine Auffälligkeiten, haben aber große Probleme mit dem Lesen- und Schreibenlernen", weiß auch Dr. Helmut Wojtun, Diplom-Pädagoge und Leiter des Osnabrücker Zentrums für Legasthenie, aus seiner langjährigen Praxiserfahrung zu berichten. "Die Problematik zeigt sich in der Schule in der Regel erst zwischen der zweiten und vierten Klasse durch schlechte Noten in Deutsch, mangelnde Fertigkeiten im Lesen, in der Rechtschreibung und einer großen Fehlerzahl in den Diktaten, doch liegt diese Störung von Anfang an vor."

Die Gründe für eine Lese- und Rechtschreibschwäche sind bis heute nicht vollständig geklärt. Die Ursache liegt oft in der Problematik im Bereich der Informationsverarbeitung der Schriftsprache. Dies zeigt sich daran, daß diese Kinder große Schwierigkeiten haben, Worte in Laute zu untergliedern. Mit dem Fachausdruck wird das als "phonologische Bewußtheit" bezeichnet, die Sprachlaute im Wort richtig zu erkennen und den Buchstaben zuzuordnen. Das ist die Voraussetzung für den alphabetischen Zugang zur Sprache. Ist eine Therapie notwendig, dann sollte diese so früh wie möglich begonnen werden, wobei eine qualitative Fehleranalyse und eine Einzeltherapie Grundlage sein sollte, denn Verzögerungen verschlimmern oft die Probleme. Oftmals stellen die Eltern zuerst die psychischen Auffälligkeiten fest. Das Kind klagt häufig über Kopf- und Bauchschmerzen oder kaut an den Nägeln. Aber auch Wutausbrüche oder Lustlosigkeit, ohne eine erklärliche Ursache, womit auch Kinderärzte konfrontiert werden, können auftreten.

Auch Lehrer müssen lernen, eine Legasthenie so früh wie möglich zu erkennen. Vor über 20 Jahren haben die Sprachwissenschaftlerinnen Dr. Ilona Löffler und Dr. Ursula Meyer-Schepers in Bochum und Dortmund das Kinderzentrum für Entwicklungs- und Lerntherapie/Institut für Legasthenie und Schriftkompetenz gegründet. Hier werden jährlich 500 Mädchen und Jungen mit einer Lese- und Rechtschreibschwäche behandelt. Inzwischen haben über 10 000 Kinder, die das Zentrum von Löffler/Meyer-Schepers besuchten, ihre Schwäche überwunden. "Es ist wichtig, daß betroffene Kinder und Eltern erfahren, daß eine Lese-Rechtschreibschwäche kein Schicksal ist", sagt Ilona Löffler. "Gerade in den Anfangsklassen ist die Analyse der individuellen Fehlerquellen so wichtig. Und schon im Verlauf der ersten beiden Schuljahre ist erkennbar, ob die Fehler des Kindes noch altersgemäß sind oder schon Rückstände im Lernprozeß signalisieren." Statistisch müssen Lehrer davon ausgehen, in jeder Klasse drei Legastheniker vorzufinden.

Weitere Informationen auch im Internet unter www.legasthenie-nrw.de sowie www.legasthenie-os.de

www.wams.de/, Artikel erschienen am 19. Dezember 2004
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Manfred Riebe



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Beitrag: Montag, 05. Sep. 2005 13:50    Titel: Antworten mit Zitat

Legasthenie im weitesten Sinne

Wer die wissenschaftliche Wahrheit - und dazu gehört auch die historische Wahrheit - erforschen will, muß auch unbequeme Fragen stellen. Daß solche unangenehmen Fragen nicht gestellt, sondern verdrängt und tabuisiert wurden, haben wir an der Nichterwähnung der Rechtschreibreform des Dritten Reiches durch die Reformer und Kultusminister gesehen.

Warum wurde die sogenannte Rechtschreibreform geschaffen? Doch wegen der miserablen Rechtschreibleistungen. Das ist Legasthenie im weitesten Sinne, so wie sie auch Unternehmer und Journalisten verstehen. Daraus resultiert meine Frage: „War es richtig, die Legasthenie als Maßstab für die Rechtschreibreform zu nehmen?“ Ich hätte auch fragen können: „War es richtig, die Lese-Rechtschreib-Schwäche als Maßstab für die Rechtschreibreform zu nehmen?“

Ob es sich dabei um eine Lese-Rechtschreib-Schwäche in Form von Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen, fehlenden Übungen oder um Sehbehinderungen bzw. das Nichtaufsetzen einer Brille bei Kurzsichtigkeit oder Hörbehinderungen oder um eine leichte Legasthenie ohne wesentliche Beeinträchtigungen der Schulleistungen, eine mittlere Form oder die seltene schwere Form der Legasthenie handelt, das zu unterscheiden, dürfte wenigen Lehrern gelingen.

Man gebe in die Suchmaschine http://www.google.de die Stichwörter „Rechtschreibreform“ und „Legasthenie“ ein. Es erscheint u.a. ein Hinweis auf den von Lehrer Norbert Schäbler dankenswerterweise eröffneten Strang in http://www.rechtschreibreform.de/Forum > Dokumente „Legasthenie und LRS“. Darin schreibt Theodor Ickler: „Zu den märchenhaften Einlassungen der Reformer gehört die Geschichte von dem Kind, das bisher aus Angst vor Rechtschreibfehlern kein Tagebuch zu führen oder der Oma einen Brief zu schreiben wagte und durch die Reform von seiner Angst befreit wird. So hat es Lutz Götze des öfteren dargestellt. Das Ganze ist frei erfunden, konkrete Beispiele sind nicht überliefert. Aber solche Geschichten mußten herhalten, die Reform zu begründen, und niemand hat gelacht.“ (Theodor Ickler: Entlastung, 29.10.2001 05.10).

Warum hat niemand gelacht? Ich glaube nicht, daß es sich um ein Märchen handelt, sondern daß es einen realen Hintergrund gibt. Dafür sprechen die Legasthenie-Erlasse der Kultusminister. Wie soll man denn konkrete Beispiele oder Personen nennen, die nicht von öffentlichem Interesse sind, ohne den Datenschutz und das Persönlichkeitsrecht zu verletzen? Theodor Ickler: „Wenn die Zeitungen auf das Thema Rechtschreibung kommen, dann geschieht das (seit der Tabuisierung des Themas RSR) fast ausschließlich im Zusammenhang mit Lese-Rechtschreib-Schwäche. In manchen Klassen sollen 5 Kinder mit dieser Krankheit sitzen, und heute fragt eine Zeitung, ob das eine kollektive Schwäche unserer Kinder sei. Ich bin kein Fachmann für LRS, aber das Ganze scheint mir absurd.“ (Theodor Ickler: Legasthenie Rechtschreibforum http://www.rechtschreibreform.com/, 18.02.2002 09.22 Uhr).

Als Berufsschullehrer mit langjährigen Unterrichts- und Korrekturerfahrungen halte ich es nicht für absurd, daß in manchen Klassen 5 Kinder oder Jugendliche mit Legasthenie sitzen. Auf der Suche nach der Wahrheit, sollte man den Bereich „Legasthenie“ nicht dadurch aus der Diskussion verdrängen, daß man ihn für „absurd“ erklärt. Lehrer werden mit Legasthenie sicher sehr viel öfter konfrontiert als Professoren. Sie sind aber nicht dafür ausgebildet, diese Behinderung zu erkennen und richtig mit ihr umzugehen. Hier hat sich Günter Rupp öffentlich als Legastheniker vorgestellt und hat über dieses Thema geschrieben. Das ist selten.

Aus politischer Korrektheit wurden in Zeitungen Artikel und Leserbriefe gegen die Rechtschreibreform unterdrückt. Eine Löschaktion im Falle eines Legasthenikers läge auf der gleichen Linie der Verletzung der Meinungsfreiheit. Elke Philburn weist hin auf die Untersuchung von Findeisen, Uwe / Hanke, Andrea / Melenk, Gisela: Rechtschreibschwäche und neue Rechtschreibreform. Erleichtert die neue Rechtschreibung das Lernen?, in: Bundesverband Legasthenie e.V. (Hrsg.): LRS, Zeitschrift des Bundesverbands Legasthenie, Heft Nr. 1/1997, S. 9-28 ( http://legasthenie-therapie.de/html/body_rs-reform.html ), vgl. Elke Philburn: Legastheniker und die RSR. 26.01.2002 16.08. Die Autoren stellten fest, daß die neue Rechtschreibung nur im Bereich der Groß-Klein-Schreibung eine systematische Vereinfachung erbringt, daß aber zusätzliche Schwierigkeiten auftreten, wo die Reformschreibung Gesetzmäßigkeiten des alten Rechtschreibsystems aufgehoben hat. Vgl. auch den Aufsatz von Dr. Heinz Zangerle: Rechtschreibreform: Keine Erleichterung für Legastheniker. In: Austrian Legasthenie News, Dezember 1997 ( http://www.legasthenie.at/aln4/page10.html )

Legastheniker-Verbände fragen nach den Auswirkungen der Rechtschreibreform auf Legastheniker. Es ist daher nicht abwegig zu fragen: Haben einzelne Legastheniker und Legasthenie-Selbsthilfeverbände auf die Rechtschreibreformer Einfluß genommen, eine Rechtschreibreform zu schaffen, um die Lernsituation für Legastheniker zu erleichtern?

31.03.2002
Manfred Riebe

Kindheit 1933 bis 1945 Kriegserlebnise
www.rechtschreibreform.de/php/einzelner_Datensatz.php?BeitragNr=12408 Not Found
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Franz Josef Neffe



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Beitrag: Mittwoch, 09. Nov. 2005 10:27    Titel: "Legastheniker" (außer vielleicht Kultusministern) Antworten mit Zitat

Ist es nicht lustig: Da kommt eine Mutter, sichtlich aufgeregt, zum Herrn Lehrer um sich für ihr Kind einzusetzen. "Zu Hause kann er´s doch!", legt sie ihr Herz in die Waagschale und "Aber in der Schule kann er´s nicht!" wirft der Planstellenbesetzer und Behördenvertreter - am verlängerten Hebel - in die andere. Warum kann es der Schüler zu Hause und warum kann er´s in der Schule nicht? Die Reaktionen zeigen es: Die Mutter lebt mit ihrem Herzblut für das KÖNNEN und die Schule ist ein künstliches Konstrukt, das seine Notwendigkeit allein aus dem NICHTKÖNNEN des Schülers ableitet. Folglich entwickelt sich - entsprechend dem vorherrschenden GEIST - hier das eine und dort das andere.
Mein kleines Buch zum Thema heißt: >LegastheNIE< mit großem NIE am Schluss, Untertitel: >Kinder zu Legasthenikern machen, das zerstört die Persönlichkeit<.
Bewältigen kann der Mensch seine Lebensaufgaben so wie er als Persönlichkeit wächst. Ein Baby kann keine Zentnersäcke schleppen, auch wenn es noch soviele Förderstunden dafür bekommt und dabei vierfarbige Folien benutzt werden. Wenn es aber stark und gut genug gewachsen ist, kann es nicht nur schwere Lasten tragen sondern es bewältigt alle Lebensaufgaben dieser Größenordnung leicht, wenn es nur ggf. einen Menschen gibt, der in der Lage ist, ihm klar und deutlich einmal vorzumachen, wie es geht.
Es gibt nicht nur für Lesen und Rechtschreiben in unseren Schulen kein gelebtes Vorbild von Niveau. Der Lehrer stellt sich hin und vollzieht den Deutschlehrplan, aber welcher Mensch hält es schon aus, etwas an sich vollziehen zu lassen? Was würden Sie sagen, wenn Ihre Frau aus meinem >Partnerseminar< zu Ihnen nach Hause kommt und strahlt: "Jetzt weiß ich endlich, was ich auf Dich anwenden muß, damit Du glücklich wirst!"? Das wäre doch mehr als unausstehlich, oder? Genauso mehr als unausstehlich ist Unterricht; wir merken es nur nicht, weil wir bei der Reflexion nie an uns denken sondern dafür lieber auf noch mehr "unerklärliche" Defekte und Krankheiten und Schwächen im Kind spekulieren.
"Ja, aber man hat doch im Gehirn gemessen, ......", werden Sie jetzt sagen. "... und interpretiert es sich, wie man es braucht", bemerke ich. Was meinen Sie, wieviele Fehlleistungen und Störungen und sonst noch was unser Gehirn kompensiert, ja, sogar überkompensieren kann, von denen wir noch gar nichts gemerkt haben? Ich erinnere an ein deutliches Beispiel: Wilma Rudolph. Sie ist viele Kinderjahre mit einer Gehschiene herumgehumpelt und es war nicht klar, ob sie überhaupt wieder würde laufen können. 1960 hat sie bei den Olympischen Spielen in Rom 3 Goldmedaillen im Laufen gewonnen, die "gazella nera". Wie war das möglich? Nun, die MUTTER hat sich nicht von den Diagnosen und Prognosen der Fachleute beeindrucken lassen; sie lebte 100% der Idee: "Mein Kind wird einmal wieder laufen können." Wilma Rudolph hatte EINEN Menschen, der ihr vorlebte, wie es geht. Sie ist übrigens später Lehrerin geworden. Nach unserer üblichen päd. Sichtweise hätte sie sich sagen müssen: "Ich kann halt nicht laufen, dafür werd ich mal eine gute Lehrerin; ich bin eben einseitig begabt, da kann man nichts machen." NEIN, das ist nicht die Realität des Lebens. Das Leben möchte immer das, was am schwersten geht, am meisten, und es findet Mittel und Wege, wenn wir es nicht durch unsere kleinkarierten Manipulationen daran hindern.
Wenn jemand von 100 Wörtern 80 falsch schreibt, gilt er als hoffnungsloser Fall. Man orakelt ihm, er werde nie im Leben richtig schreiben können. Angeblich um ihm dauernde Frustrationen zu ersparen, nimmt man ihm die originalen Schreibaufgaben weg und gibt ihm "leichtere" dafür und, wo immer er noch etwas original schreibt, wird es nicht bewertet. Diese konstruierte Künstlichkeit lehrt man ihn auch noch als echte Lösung zu betrachten; d.h. man verschleiert ihm den Unterschied zwischen Schein und Sein. Nun wissen wir, dass der Körper nicht genutzte Muskeln abbaut, wenn man das Bein eingipst, und mit den neuronalen Mustern bzw. den geistigen Fähigkeiten ist es genauso: Was nicht genutzt wird, wird abgebaut. LegastheNIE-Förderung ist also DEgenerationsförderung. Das Kind mit (Rechtschreib-)Problemen braucht keine künstlich konstruierte Scheinwelt, die es außerhalb dieser "Schule" nie und nirgends mehr vorfindet, es braucht ein Vorbild für Problem-Lösung: einen Lehrer, der weiß wie es geht und es vorleben kann.
Unsere Lernzielvollstreckungsbeamte sind keine Lehrer mehr. Ein Lehrer ist - der Wortbedeutung nach - jemand, der interessante >Fährten< im Leben gefunden hat und diese verfolgt. Wenn ihn die Sache selber begeistert, wird man darauf aufmerksam und es zieht einen hin und man möchte ihm auf diesen >Fährten< folgen; das wäre - original - ErZIEHung. Doch Lehrer bringen heute alles bei und verhindern dadurch, daß die Kinder die >Fährten des Lebens< begehen und kennenlernen. Sie bringen die Kinder durch diese verkorkste Pädagogik unter ihr morbides Lebens-Niveau.
Sie bekämpfen die FEHLER statt aus ihnen abzulesen, was fehlt, und den Ausgleich zu suchen. So werden die Menschen in unseren Schulen immer unausgeglichener und die Situationen drohen immer mehr zu eskalieren.
Man verbeißt sich in die SCHWÄCHEN und tut alles für sie. Ergebnis: die Schwächen wachsen wie verrückt und werden zum dominanten Lebensstil. Die Schwächen, die Fehler, das ist - genau beobachtet - die Vergangenheit, die der Mensch von sich abgesondert hat. Unsere lebensblinde Pädagogik tut aber so, als ob das der einzig wichtige Körperteil sei, und so wird der ganze Dreck über die ganze Schulzeit mitgeschleppt.
Dabei übersehen wir, was hinter den Schwächen steckt und worauf es ankommt: Hinter den Schwächen stecken - als echter, substantieller Teil des Menschen - die STÄRKEN; ich spreche von "Babystärken". Die beachten wir gar nicht und lassen sie buchstäblich verhungern, die Stärken für Rechtschreiben, Persönlichkeitsentfaltung, Freude am Leben, Gestaltungsdrang usw. usw. usw. Ja, wenn ich behaupte, ein "Legastheniker" könne gut und richtig schreiben, ich habe es oft erlebt und könne es beweisen, dann attackieren mich manche heftig: "Du kannst doch nicht ...!" Wie schon erwähnt: Manche Pädagogen sind - ohne dass ihnen das bewußt wäre - infolge ihrer Ausbildung und Einstellung oft extrem auf NICHTKÖNNEN fixiert.
Nun frage ich Sie: "Wenn jemand von 100 Wörtern 80 falsch schreibt, dann tun ihm die 80 Fehler doch weh! Ist Wehtun ein Zeichen für Dummheit oder eins für Feinfühligkeit?" und weiter: "Wenn es ein Zeichen für Feinfühligkeit ist, warum behandeln wir die betroffenen Kinder dann als dumme und bilden Sie als >Legastheniker< aus und nicht als die sensiblen Genies, die sie sind? Wer kann denn einmal einen gefühlvollen Roman schreiben: jemand der bei 100 Wörtern 80mal etwas spürt oder jemand der kein einziges Mal etwas fühlt?" Interessanterweise können "amtlich diagnostizierte Legastheniker" schon in den ca. 2 Stunden, die ich für die Klärung ihrer Lebenssituation und das Probieren eines konstruktiven Umgangs damit brauche, bedeutend besser schreiben als ihnen "diagnostiziert" ist. Dabei habe ich regelmäßig den Eindruck, daß die "Diagnostiker" noch nicht einmal wissen, daß "Diagnose" auf Deutsch "Durchblick" heißt.
Ich persönlich bin begeistert vom Lesen-und-Schreiben-KÖNNEN der sog. Legastheniker. Ich kann ihnen vormachen, wie es geht, und zwar so, daß sie begeistert sind und wachsen. Ich habe keinerlei Respekt vor der Kunstkrankheit die wir zum Kaschieren einer impotenten Didaktik konstruiert haben, da bleibt mir genug Respekt für den Menschen und seine Talente, deren Wachstum ich mit frohem Interesse entgegensehe. Das alles ist nichts weiter als das persönliche Ergebnis meiner Arbeit; jeder kann es natürlich vollkommen anders sehen.
Ich grüße herzlich.
Franz Josef Neffe
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