Hilfe Zurück zur Hauptseite
Hilfe Beiträge der letzten 14 Tage zeigen
Hilfe Hilfe
Suchen Suchen
Benutzerliste Benutzerliste
Benutzergruppen Benutzergruppen
Profil Profil
Einloggen Einloggen
Registrieren Registrieren

Märkische Allgemeine Zeitung

 
Neuen Beitrag schreiben   Auf Beitrag antworten    VRS Foren-Übersicht -> Aktionen
Vorheriges Thema anzeigen :: Nächstes Thema anzeigen  
Autor Nachricht
Manfred Riebe



Registriert seit: 23.10.2002
Beiträge: 2840
Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg

Beitrag: Sonntag, 16. Nov. 2003 11:10    Titel: Märkische Allgemeine Zeitung Antworten mit Zitat

Märkische Allgemeine Zeitung:
Theodor Ickler contra Gerhard Augst
__________________________________

DISKUTIEREN SIE MIT!
Buchstabenkrieg: Fortsetzung oder Rückbau der Rechtschreibreform?


Orthografie bleibt ein Reizthema. So hat auch der dritte Bericht der für die neue Rechtschreibung verantwortlichen Kommission für neuen Wirbel gesorgt. Zu Unrecht, betont Reformer-Chef Professor Gerhard Augst, der an der Universität Siegen lehrt. Der Rapport bedeute keine Rücknahme der Änderungen von 1996. Anders sieht das sein prominentester Widerpart, Professor Theodor Ickler von der Universität Erlangen. Er hält die Neuregelung für „tot“ und fordert, sie zu stoppen. Mit den Experten sprach MAZ-Journalist Benno Schirrmeister.

Pro Rechtschreibreform: Gerhard Augst

MAZ: Die Rechtschreibreform steht erneut in der Kritik ...

Augst: Sie ist wieder in die Kritik geraten, weil Einige den dritten Bericht der Kommission in einem Sinne gelesen haben, in dem man ihn wirklich nicht lesen kann. Behauptet wird, wir würden die Reform der Reform empfehlen. Das steht mit keinem Wort in dem Bericht.

MAZ: Es gab aber Änderungen?

Augst: Nur 1996 durch die Einführung der neuen Rechtschreibung. Seither gibt es nur Auslegungen. Auch im Bericht haben wir nur Probleme diskutiert, die immer wieder genannt werden. Wir haben gefragt, was spricht für unsere Lösung, was für die alte, und was für die Vorschläge der Kritiker.

MAZ: Um was handelt es sich dabei?

Augst: Dazu gehören Fälle wie das „schwarze Brett“. Da haben die Nachrichtenagenturen gesagt, so etwas wollen wir groß schreiben. Also haben sie eine Liste mit 40 Ausdrücken vorgelegt, die groß zu schreiben wären.

MAZ: Also wie früher?

Augst: Zwar steht im alten Duden, man schreibe derartiges groß. Aber im Wörterteil werden 60 Prozent dieser Fälle klein geschrieben. Da war also schon etwas nicht in Ordnung. Damals wurden dann die schwarzen Koffer populär und die Agenturen haben wieder bei uns angefragt. Na, haben wir gesagt, nun seh’n Sie, wie schwer das zu entscheiden ist.

MAZ: Wie haben Sie entschieden?

Augst: Im Sinne einer einfachen Handhabung - Kleinschreibung bleibt die Norm. Wenn du aber etwas um es hervorzuheben groß schreiben willst, dann tu’s.

MAZ: Es gibt aber auch rechtliche Begriffe, bei denen Großschreibung sinnvoll ist. Beispiel: die „Erste Hilfe.“

Augst: Dabei handelt es sich um Fachsprache. Die liegt außerhalb der amtlichen Norm.

MAZ: Das Gesetz, eine Fachsprache?

Augst: Ja, Termini des Gesetzes sind Rechts-Sprache. Darin liegt ja deren „Gemeinheit“: Man meint den Sinn zu verstehen, aber das Wort bedeutet etwas anderes - denken Sie nur an den Unterschied von „Besitz“ und „Eigentum“.

MAZ: Die Grenze zwischen Fach- und Umgangssprache ist aber schwer auszumachen...

Augst: Sie ist fließend. Die Fachsprache greift auf die Allgemeinsprache zurück und neue Fachbegriffe wachsen in den Sprachgebrauch hinein.

MAZ: Bei diesen Fällen schimmert noch das alte Ziel durch, die Kleinschreibung einzuführen. Im Ganzen haben wir aber mehr Großschreibung. Wieso?

Augst: Der Internationale Arbeitskreis hatte den deutschsprachigen Staaten empfohlen, die gemäßigte Kleinschreibung einzuführen. Das wurde jedoch abgelehnt. Um schwierige Randphänomene abschaffen zu können, musste man also eine neue Lösung finden.

MAZ: Warum fiel die so gegensätzlich zum ersten Plan aus?

Augst: Schon vor der Reform haben viele - nicht etwa nur Kinder und Halbalphabeten - Begriffe wie „im Voraus“ groß geschrieben, weil sie den Ausdruck als Substantiv verstanden haben. „Im“ gilt als Zusammenschluss von „in“ und „dem“. Da haben wir gesagt, okay, soll man’s doch einfach groß schreiben.

MAZ: Und sich damit von der Grammatik entfernen?

Augst: In dem Fall ist das eindeutig so, anderswo weniger: Ich habe Linguisten erlebt, die sich stritten, ob bei „heute Abend“ ein Adverb oder ein Substantiv vorliegt. Wenn die sich schon nicht einigen, kann man das doch auch dem Normalschreiber nicht zumuten.

MAZ: Die Reform sollte das Schreiben vereinfachen. Warum hält sich der gegenteilige Eindruck?

Augst: Das Alte, wenn’s auch schwierig war, wird für besser gehalten, als das Neue. Aber viele haben sich schon an die neue Schreibung gewöhnt. Auch, weil die Zeitungen umgestellt haben.

MAZ: Gerade bei denen belegen Untersuchungen aber höhere Fehlerquoten...

Augst: Das ist doch klar: Aus der Sicherheit gestoßen, beginnt man zu überlegen. So, wie der Tausendfüßler, der nachdenkt, wie er das 556. Bein bewegt. Am Ende kann er dann gar nicht mehr laufen. Außerdem kommt es darauf an, wer die Studien erstellt und ob er alle Fehler zählt, oder nur die von der Neuschreibung verursachten. Unser Bericht enthält eine Untersuchung von 18 Tageszeitungen...

MAZ: Wie fiel die aus?

Augst: Wir haben festgestellt, dass die neue Orthografie zu 94 Prozent richtig angewendet wird. Fehler treten gerade bei Wörtern auf, die im Kopf gespeichert sind - etwa „muß“ mit „ß“.

MAZ: Warum aber müssen wir auch nur diese vorübergehende Verwirrung hinnehmen?

Augst: Eine Rechtschreibreform macht man nicht für drei, vier Jahre. Die letzte, von 1901, trat 1902 in Kraft. Da gab es übrigens dieselben Phänomene, die Sie beklagen.

MAZ: Erklärt das schon die harsche Kritik? Hat die Kommission keine Fehler gemacht?

Augst: Möglich, dass wir die Öffentlichkeit mehr auf die neuen Regeln hätten hinweisen müssen. Und ein Versäumnis war, das Regelwerk nicht vor Inkrafttreten mit den Wörterbuchredaktionen durchzuarbeiten: Die Nachschlagewerke erschienen 1996 wegen des Marktvorteils ja mitunter schon vor dem Erlass.

MAZ: Wird Rechtschreibung durch den Streit nicht überbewertet? Wozu überhaupt Orthografie?

Augst: Aus der Erfindung des Buchdrucks, mit der sich auch das Lektüretempo verzehnfacht hat, ergibt sich das Bedürfnis, eine Schreibung stets in der gleichen Form geboten zu bekommen...

MAZ: Trotzdem lässt Ihre Reform so viele Varianten zu?

Augst: Sie können versuchen, eine Rechtschreibung einzubetonieren. Aber es wird nie gelingen: Orthografie unterliegt dem historischen Wandel. Es ist möglich, den ein bisschen zu bremsen. Mehr aber nicht. Den Willen der Schreiber können weder die beste Reform noch diktatorische Maßnahmen je unterdrücken.
______________

Contra Rechtschreibreform: Theodor Ickler

MAZ: Wozu noch immer über die Rechtschreibreform streiten?

Ickler: Weil der Anschein der friedlichen Gewöhnung an sie trügt. Ihre Ausbreitung beruht auf Zwang.

MAZ: Eine Rücknahme aufgrund der Kritik gilt aber als unwahrscheinlich...

Ickler: Die Kultusminister jedenfalls werden nicht nachgeben. Der aussichtsreichste Weg wäre, wenn noch eine der großen Zeitungen zurückkehren würde, wie die F.A.Z.

MAZ: Und ein allmählicher Rückbau?

Ickler: Das fände ich feige. Außerdem wäre das ein endloses Rumlaborieren. Nein, das beste wäre, sie zu stoppen und in einer Übergangszeit von zehn Jahren die Neuschreibungen nicht als fehlerhaft zu werten.

MAZ: Wäre denn eine Schreibreform ohne Zwang besser und möglich gewesen?

Ickler: Ich glaube, eine Rechtschreibreform war gar nicht nötig. Zumindest müßte eine Vorfrage eingeschaltet werden...

MAZ: Welche?

Ickler: Wie die Rechtschreibung bisher aussieht. Die Reformer haben die Duden-Norm für bare Münze genommen. Ich habe dagegen die Schreibweise, wie sie bisher war, erfaßt und in einem Wörterbuch dargestellt. Danach verliert man den Drang, sie zu reformieren.

MAZ: Das hieße, auch der Duden wäre von übel, weil er die Norm gesetzt hat?

Ickler: Richtig, allerdings wollte Konrad Duden das nicht. Auch er vertrat ja den beschreibenden Ansatz. Doch dann wurde seine Wörterbuch-Redaktion zur Anlaufstelle für unzählige Anfragen. Die Antworten bilden die Basis für zehntausende Einzelfestlegungen. Die ließen die Rechtschreibung zum „unlernbaren Pensum“ anschwellen.

MAZ: Eine Reform wäre also geboten?

Ickler: Das ist ein Trugschluß, denn nur die Beschreibung war unübersichtlich, nicht die Schreibweise. Laut Duden durfte beispielsweise „ernst nehmen“ nur getrennt geschrieben werden und „ernstzunehmende“ bloß zusammen. Fliegenbeinzählerei, die sich kein Mensch merken kann. In Wirklichkeit, das hält mein Wörterbuch fest, ist es daher teils so, teils so gehandhabt worden.

MAZ: Dann müßten Sie die Vereinfachungen ja begrüßen...

Ickler: Leider nein. Denn da fehlt wieder der erste Schritt, die Bestandsaufnahme. Die Neuregelung schreitet genauso fort, wie der Duden: Man legt beispielsweise fest, daß alle Wörter, die auf „-ig“, „-isch“ oder „-lich“ enden, wie „heilig gesprochen“, getrennt geschrieben werden.

MAZ: Nur wegen der Endung?

Ickler: Ja - nach dem Prinzip, besser irgendeine Regel, als keine - damit Sicherheit herrscht.

MAZ: Aber die hat sich nicht eingestellt.

Ickler: Weil man beständig das Regelwerk im Kopf haben müßte. Das ist aber nur mit ungeheurem Lernaufwand erreichbar. Oder mit Zwang. Ich habe mich ja früh in die Diskussion eingeschaltet, obwohl ich nie so engagiert war für Rechtschreibung...

MAZ: Gerade Sie - kein passionierter Orthograph?

Ickler: Nein, überhaupt nicht.

MAZ: Woher dann Ihre Rolle in dieser Debatte?

Ickler: Ich bin nach den „Wiener Abschlußgesprächen“ wachgeworden. Ende ‚94 sickerten von dort die ersten Nachrichten durch...

MAZ: Welcher Art waren die?

Ickler: Das war nur sehr wenig - erst ein dreiviertel Jahr später erschien das Regelwerk. Seither kommentiere ich die Reformvorschläge. Das hat mir in der „Welt“ den Titel eines „Rechtschreibpapstes“ eingetragen. Aber das bin ich nicht. Ich bin kein Papst. Ich bin ja gerade nicht dogmatisch.

MAZ: Immerhin veröffentlichen Sie honorarfrei zum Thema...

Ickler: Ehrensache. Mich hatte einfach dieser dreiste Versuch geärgert, etwas unters Volk zu bringen, was objektiv eine Verschlechterung ist.

MAZ: Aber, aber - die Kommission war doch auch mit Experten besetzt...

Ickler: Nun, es waren die Vorkämpfer der gemäßigten Kleinschreibung. Die mußten ihr Hauptziel aufgeben und auf die Schnelle etwas ganz anderes machen, als geplant: Wir haben jetzt mehr Großschreibung als zuvor.

MAZ: Und wie kam das?

Ickler: Als die Politiker Anfang der 90er Jahre die Hauptpunkte der Reformer zurückgewiesen hatten – die Gruppe bestand damals ja schon seit 20 Jahren – hätten die mit leeren Händen dagestanden. Darum haben sie Hals über Kopf diese komische Neuregelung vorgelegt.

MAZ: Eine Reform nur, um die Kommission zu legitimieren?

Ickler: So ist es. Nach jahrzehntelangem Treffen mußte einfach Schluß gemacht werden.

MAZ: Jetzt sind Änderungen im Gespräch...

Ickler: Auch das hat eine Vorgeschichte: 1997 hatte die Kommission im ersten Bericht, unter dem Eindruck der Kritik, eine Fülle von Korrekturen vorgeschlagen. Die waren durchaus in meinem Sinne...

MAZ: ...wurden aber nicht aufgenommen?

Ickler: Die Kultusminister und das Innenministerium haben sie zurückgewiesen. Ein halbes Jahr vor Inkrafttreten der Reform hieß es: Keine voreiligen Änderungen. Das hat die Kommission selbst maßlos geärgert, wie ihrem zweiten Bericht vom Frühjahr 2000 zu entnehmen ist.

MAZ: Und im dritten Bericht?

Ickler: Dort hat die Kommission nur vorgestellt, was man korrigieren könnte. Offiziell sollen die Vorschläge erst 2003 gemacht und 2005 verordnet werden. Allerdings, das ist die Rückseite der Geschichte, hat seit 1998 eine heimliche Änderung stattgefunden.

MAZ: Wie das?

Ickler: Die Reformer haben den Wörterbuch-Redaktionen die verbotenen Korrekturen nahegelegt, und die haben sie umgesetzt. Was zur Folge hat, daß die Reform von 1996 praktisch überholt ist – sie ist tot.

Gerhard Augst / Theodor Ickler: Buchstabenkrieg: Fortsetzung oder Rückbau der Rechtschreibreform? Pro und Contra Rechtschreibreform - Interviews von Benno Schirrmeister. In: Märkische Allgemeine Zeitung, MAZ-spezial, Themenbeilage der Märkischen Allgemeinen, Donnerstag, 5. Mai 2002

http://www.maerkischeallgemeine.de/?loc_id=674


Zuletzt bearbeitet von Manfred Riebe am Donnerstag, 03. Jun. 2004 23:46, insgesamt 4mal bearbeitet
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden E-Mail senden Webseite dieses Benutzers besuchen
Manfred Riebe



Registriert seit: 23.10.2002
Beiträge: 2840
Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg

Beitrag: Sonntag, 16. Nov. 2003 11:17    Titel: Leserbrief zum Interview mit Gerhard Augst Antworten mit Zitat

Die Reformer haben die Eindeutigkeit der Orthographie zerstört
Der Aufwand der Rechtschreibreform steht in keinem Verhältnis zu ihrem Nutzen
/ Eine Replik auf ein MAZ-Interview

MANFRED RIEBE

Meine Vorbemerkung: Die "Märkische Allgemeine Zeitung" (MAZ) in Potsdam ist eine Schwesterzeitung der FAZ. Mein Leserbrief an die MAZ zum Interview mit Gerhard Augst erschien in der MAZ-Spezial, Themenbeilage der MAZ, Donnerstag, 16. Mai 2002, S. V 2, als Artikel mit der Überschrift: <I>„Die Reformer haben die Eindeutigkeit der Orthographie zerstört“</I>. Die Textstellen, die die MAZ nicht abdruckte, setze ich in eckige Klammern. Es ist interessant zu beobachten, welche Informationen den betroffenen MAZ-Lesern vorenthalten wurden. Die Überschrift und die Zwischenüberschriften stammen von der MAZ und zeigen, was der MAZ wichtig erschien.
_______________________________________

Manfred Riebe, OStR i.R. ........................... Schwaig bei Nürnberg, den 12.05.2002
Max-Reger-Str. 99
90571 Schwaig bei Nürnberg
Tel.: (0911) 50 08 25, Fax: 506 74 23


Fax: (0331) 28 40 310

Märkische Allgemeine Zeitung
Leserbrief-Redaktion
Friedrich-Engels-Str. 24

14473 Potsdam


Leserbrief zum Interview von Benno Schirrmeister mit Gerhard Augst und Theodor Ickler: „DISKUTIEREN SIE MIT! Buchstabenkrieg: Fortsetzung oder Rückbau der Rechtschreibreform?“ In: Märkische Allgemeine Zeitung vom 02.05.2002 – <I>Authentischer Abdruck erbeten!</I>

[<B>Weltweite wirtschaftliche Schäden durch Zerstörung der Eindeutigkeit und Einheitlichkeit der Orthographie Konrad Dudens</B> (Die Böcke zu Gärtnern gemacht)

Die Überschrift <I>„Fortsetzung oder Rückbau der Rechtschreibreform?“</I> ist längst überholt. Die Alternative müßte lauten: <I>„Rückbau oder Rücknahme der Rechtschreibreform?“</I> Denn der Rückbau der Reform durch die Reformer – und damit die Reform der Reform - findet bereits statt. Professor Theodor Ickler fordert eine Rücknahme der Reform. Ickler: <I>„Der aussichtsreichste Weg wäre, wenn noch eine der großen Zeitungen zurückkehren würde, wie die F.A.Z.“</I> Das könnte doch z.B. die Märkische Allgemeine Zeitung tun, besonders als <I>„freie Stimme Brandenburgs“</I> und frühere <I> „Meckerstimme“</I>, aber auch als Schwesterzeitung der FAZ.]

Benno Schirrmeister hat im MAZ-Spezial vom 2. Mai den Vorsitzenden der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung, Professor Gerhard Augst, interviewt und in Widersprüche zwischen Reden und Tun verwickelt. Im folgenden gehe ich auf die Widersprüche Gerhard Augsts ein.

Augst: <I>„Außerdem kommt es darauf an, wer die Studien erstellt (...) und ob er alle Fehler zählt, oder nur die von der Neuschreibung verursachten.“</I> Augst hat recht. Es war ein Schildbürgerstreich der Kultusministerkonferenz, die gleichen Professoren in die Zwischenstaatliche Kommission für deutsche Rechtschreibung zu berufen, die die sogenannte Rechtschreibreform geschaffen hatten. Man hat damit den Bock zum Gärtner gemacht. Weil die Kommissionsmitglieder zugleich die Reformer sind und sich somit in einer Interessenkollision befinden, sind sie befangen und können sich nicht selber kontrollieren.
[Deshalb sucht Augst nach Ausreden und verwickelt sich dabei in aufschlußreiche Widersprüche. Außerdem sind die Reformer als Autoren von Büchern über die Rechtschreibreform Geschäftspartner der einschlägigen Verlage, die die Reform vermarkten und sich mit Nachbesserungen neue Aufträge verschaffen. Augst: <I>„Die Nachschlagewerke erschienen 1996 wegen des Marktvorteils ja mitunter schon vor dem Erlass.“</I> Das Bertelsmann-Wörterbuch erschien bereits am 2. Juli 1996, einen Tag nach der Unterzeichnung der Wiener Absichtserklärung! Eine ähnliche Interessenkonfliktsituation hatte die Kultusministerkonferenz schon früher bei der Einführung der Mengenlehre und der Ganzwortmethode geschaffen. Viele Interessierte schlugen Profit daraus, bis die Mengenlehre und die Ganzwortmethode wegen ihrer Mängel zurückgenommen werden mußten. Auch jene unausgegorenen Massenexperimente hatten sehr viel Steuergelder gekostet.]

<B>Die neue Beliebigkeit</B>

Augst: <I>„Wir haben festgestellt, dass die neue Orthografie zu 94 Prozent richtig angewendet wird.“</I> Demnach entstehen durch die neue Orthographie sechs Prozent Fehler. Die Kultusminister waren noch mit dem 50-Prozent-weniger-Fehler-Märchen hausieren gegangen. Auch sechs Prozent Fehler sind zu viel bei einer Rechtschreibreform, die alles einfacher machen sollte. [Nach der Untersuchung der Süddeutschen Zeitung durch Wolfgang Wrase in www.rechtschreibreform.com ist aber auch die Fehlerquote von 6 Prozent geschönt.] Die den Journalisten aufgezwungene Reform hat sogar zu einer Beliebigkeitsschreibung geführt: mal traditionell, mal neu, mal individuell ganz anders.

Augst: <I>„Eine Rechtschreibreform macht man nicht für drei, vier Jahre.“</I> Gerade das ist aber geschehen; denn Bertelsmann änderte sein Wörterbuch laufend und der Duden bereits im Jahr 2000. Die nächste geänderte Duden-Auflage ist für 2002 angekündigt. Außerdem entstanden wegen der Reformmängel abweichende Hausorthographien der Nachrichtenagenturen und Zeitungen.

Augst: <I>„Aber viele haben sich schon an die neue Schreibung gewöhnt. Auch, weil die Zeitungen umgestellt haben.“</I> Augst verdrängt dabei jedoch die neueste Umfrage des Allensbacher Instituts, wonach nur 10 Prozent der Bevölkerung für die Reform sind, so daß die von den Gerichten angenommene Akzeptanz nicht vorhanden ist.

Auf die Frage nach den eingeführten Varianten antwortet Augst ausweichend: <I>„Orthografie unterliegt dem historischen Wandel.“</I> Die Reformer haben aber entgegen dem natürlichen Sprachwandel Varianten geschaffen, die es bisher im Sprachgebrauch nicht gab. Dadurch werden Lehrer, Schüler, Journalisten und Druckberufler <I>„aus der Sicherheit gestoßen“</I> (Augst), und die Rechtschreibung wird ihnen erschwert.
[Augst: <I>„Aus der Erfindung des Buchdrucks (...) ergibt sich das Bedürfnis, eine Schreibung stets in der gleichen Form geboten zu bekommen ...“</I>. Das ist eine richtige Erkenntnis, die aber von den Reformern nicht beachtet wurde. Daher gab die Duden-Redaktion im Herbst 1998 einen Praxis-Duden heraus, um die Variantenvielfalt zu reduzieren. Außerdem hätte Augst hier das pädagogische Prinzip der Eindeutigkeit nennen müssen.]

<B>Weltweite wirtschaftliche Schäden</B>

Jedenfalls haben die Reformer auch durch die willkürliche Schaffung von Varianten, Beliebigkeitsklauseln und grammatisch falschen oder semantisch irreführenden Schreibungen die Eindeutigkeit und Einheitlichkeit der Orthographie Konrad Dudens zerstört. Wenn kein eindeutiger Rechtschreibmaßstab mehr da ist, hat dies fatale Folgen für die Unterrichts-, Schreib-, Korrektur- und Benotungspraxis. Es ist daher ganz offensichtlich, daß Aufwand und Kosten der sogenannten Rechtschreibreform in keinem angemessenen Verhältnis zum Nutzen stehen, sondern daß im Gegenteil sogar erhebliche sprachliche und darüber hinaus demokratische, pädagogische und obendrein riesige weltweite wirtschaftliche Schäden entstehen, die nach Schätzungen allein in Deutschland viele Milliarden Euro betragen.

[Augst: <I>„Den Willen der Schreiber können weder die beste Reform noch diktatorische Maßnahmen je unterdrücken.“</I> Die Reformer haben aber ihre Rechtschreibregeln künstlich entgegen dem Sprachgebrauch des Volkes und damit undemokratisch geschaffen. Auch die Erlasse der Kultus- und Innenminister sind diktatorisch. Die Bürger des Landes Schleswig-Holstein kippten sogar die Rechtschreibreform per Volksabstimmung. Da das aber gar nicht im Sinne der Herrschenden war, wurde die Rechtschreibreform durch das Kieler Parlament dennoch durchgesetzt. <B>Wer, bitte schön, wird künftig in Schleswig-Holstein zur Volksabstimmung gehen?</B> Halten die Reformer und Kultusminister es für demokratisch vorbildlich, sich über den Willen des Souveräns hinwegzusetzen?

Journalisten haben sich bisher nicht ausreichend um Interviews mit den Reformern bemüht, auch nicht um Interviews mit den aus der Kommission unter Protest ausgeschiedenen Reformern Horst Haider Munske, Erlangen, und Peter Eisenberg, Potsdam. Jedenfalls haben Gerhard Augst und die anderen 11 Reformer Journalisten, die sich in der Materie gut auskennen, wie z.B. Kurt Reumann von der FAZ oder Dankwart Guratzsch von der WELT oder Hans Krieger von der Bayerischen Staatszeitung, bisher kein Interview gegeben.

Noch besser wäre es aber, wenn Professor Ickler oder Professor Helmut Jochems, Siegen, und die aus der Kommission unter Protest ausgeschiedenen Reformer Horst Haider Munske, Erlangen, und Peter Eisenberg, Potsdam, die Fragen auch an andere Reformer formulieren würden. Diese Fragen dürften sich aber nicht wie bisher einseitig auf sprachliche Aspekte beschränken, sondern müßten auch demokratische, wirtschaftliche und pädagogische Fragen einbeziehen.

Mit freundlichen Grüßen

Manfred Riebe, OStR i.R.
Vorstandsmitglied des VRS
Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege e.V.
90571 Schwaig bei Nürnberg
www.vrs-ev.de

<I>„Es ist nie zu spät, Natur-, Kultur- und Sprachzerstörung, Entdemokratisierung, Korruption und Steuerverschwendung zu stoppen!“(VRS)</I>]

> <I>Der Autor ist Vorstandsmitglied des Vereins für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege. Auf seinen Wunsch wurde im Text die alte Rechtschreibung beibehalten.</I>
_______________________________________

Erläuterungen:

Ich hatte nach dem Betreff geschrieben: <I>„Authentischer Abdruck erbeten!“</I> Bemerkenswert ist, daß der zuständige Redakteur bei mir anrief und so fair war, meinem Wunsch zu entsprechen und den Brief in der traditionellen Orthographie abzudrucken. Das ist eine Ermunterung für andere Leserbriefschreiber, diesen Wunsch ebenfalls zu äußern.
Allerdings schreiben die Redakteure meist wahrheitswidrig „alte Rechtschreibung“, obwohl es keine „alte“ Rechtschreibung gibt; denn die traditionelle Orthographie gilt gemäß dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juli 1998 weiterhin auch über das Jahr 2005 hinaus für alle Bürger.

Neuerdings schreibe ich im Betreff:
<B><I>- Authentischer Abdruck gemäß Urheberrecht erbeten! -</I></B>

Außerdem setzte die Online-Redaktion der MAZ meinen Leserbrief als Antwort auf das Augst-Interview in das Diskussionsforum der MAZ:
http://www.maerkischeallgemeine.de/?loc=7_2
Dort entwickelte sich besonders über das Augst-Interview eine lebhafte Diskussion.
Darin war u.a. auch Professor Theodor Ickler, Erlangen, mit seiner Kritik an der Rechtschreibreform seit 12. Mai immer wieder vertreten, nachdem die MAZ Pro- und Kontra-Interviews mit Professor Gerhard Augst und Professor Theodor Ickler brachte: http://www.vrs-ev.de/forum/viewtopic.php?t=130
Auch Professor Peter Eisenberg, Potsdam, steht mit einem Beitrag drin. Dies ist ein Indiz für die Aktualität des Themas. Angeblich infolge einer technischen Panne wurden dort plötzlich eine ganze Reihe interessanter Beiträge vom 26.06. bis 03.07.2002 gelöscht.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden E-Mail senden Webseite dieses Benutzers besuchen
Manfred Riebe



Registriert seit: 23.10.2002
Beiträge: 2840
Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg

Beitrag: Donnerstag, 03. Jun. 2004 23:48    Titel: MINISTER REICHE ZUR RECHTSCHREIBREFORM Antworten mit Zitat

Die Sprache ist klarer geworden
MINISTER REICHE ZUR RECHTSCHREIBREFORM


Als Mitglied der Kultusministerkonferenz wird Brandenburgs Bildungsminister Steffen Reiche (43) in der kommenden Woche über den 4. Bericht zur Rechtschreibreform abstimmen. Mit ihm sprach Ralf Schuler

Herr Reiche, wissen Sie, wie man „leid tun“ schreibt?

Reiche: (lange Pause) Nach der Rechtsreibreform schreibt man es groß. Ich persönlich bin immer noch wie viele andere dazu verleitet, es von Fall zu Fall anders zu schreiben: Jemandem ein Leid tun oder jemandem leid tun.

Theoretisch dürfte man es aber nur getrennt und groß schreiben. Also auch, wenn mir jemand leid tut, tut er mir Leid (an). Das ist doch der Unsinn der Rechtschreibreform.

Reiche: Deshalb wollte die Akademie für Sprache und Dichtung ja gerade verschiedene Schreibweisen zulassen, während die Zwischenstaatliche Kommission im Sinne einer besseren Unterrichtbarkeit auf eindeutigen Regeln wie bei der von Ihnen angesprochenen konsequenten Substantivierung bestand.

Es gibt aber keinen Grund, sich dann ausgerechnet auf eine falsche Variante festzulegen...

Reiche: Um solche Streitfälle auszuräumen, wollten wir in der Kultusministerkonferenz, dass sich Akademie und Kommission zusammensetzen.

Das ist gescheitert. Man konnte sich nicht einigen.

Reiche: Das ist nicht gescheitert. Es hat geholfen, einander besser zu verstehen. Es wird wohl ab Herbst einen neu zusammengesetzten „Rat für deutsche Rechtschreibung“ geben. Dieser Rat soll dann auch die Akademie für Sprache und Dichtung stärker einbeziehen.

Welche Kompetenzen wird der Rat haben?

Reiche: Die Kultusministerkonferenz wird weiter das letzte Wort haben. Der Rat kann nicht allein entscheiden.

Ein Schulbuch-Verlag ist bereits ausgestiegen, und einer der größten auf diesem Gebiet, der Klett-Verlag, hält die Reform für „unnötig und unsinnig“, bleibt aber dabei, weil er um die Zulassung fürchtet... Ist die Sprachverwirrung heute nicht größer denn je?

Reiche: Nein, ganz bestimmt nicht. Wir Älteren werden wohl von der alten Rechtschreibung nicht mehr loskommen. Die heutigen Sc hüler lernen die neue Rechtschreibung. Da wird es keine Probleme geben.

Verleger Michael Klett berichtet von einem „orthographischen Chaos“ und davon, dass Lehrer wie Schüler es häufig aufgegeben haben, die richtige Schreibweise herauszufinden.

Reiche: Die Begleituntersuchungen kommen zu einem anderen Ergebnis als die subjektive Wahrnehmung des voreingenommenen Herrn Klett. Sie zeigen, dass die Schüler, die mit der neuen, in weiten Teilen wesentlich vereinfachten Rechtschreibung besser zurecht kommen.

Bis heute hat es mindestens drei Nachbesserungen der Reform gegeben, bei denen der schlimmste Unsinn wieder ausgewetzt wurde.

Reiche: Da gab es aber auch einige „Nachbesserungen“, die gar nicht in der Reform standen: Filosofie stand nie zur Debatte. Das haben sich böswillige Interpreten ausgedacht.

Warum können die Kultusminister nicht einfach eingestehen, dass diese Reform unsinnig und überflüssig war?

Reiche: Weil es nicht so ist. Das Prinzip der Neuregelung, die korrekte Schreibung möglichst von einer Regel ableiten zu können, ist eine wesentliche Vereinfachung im Erlernen der Schriftsprache. Dagegen war die alte ‚Regelung‘ ein Tummelplatz von Ausnahmeregelungen - die Ausnahme war die Regel. Schulen und Lehrer verlangten nach einer besseren Unterrichtbarkeit der deutschen Sprache. Das ist jetzt besser, stringenter und klarer geworden.

Märkische Allgemeine Zeitung vom 29. Mai 2004
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden E-Mail senden Webseite dieses Benutzers besuchen
Manfred Riebe



Registriert seit: 23.10.2002
Beiträge: 2840
Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg

Beitrag: Donnerstag, 03. Jun. 2004 23:59    Titel: Reiches Versprechungen vom leichteren Lernen Antworten mit Zitat

Reiches Versprechungen vom leichteren Lernen
__________________________________________

Nichtsnutzige Reform

Wer nicht hören will, muß fühlen


Wenn Bildungsminister Reiche Versprechungen vom leichteren Lernen mit der sogenannten Reformschreibung macht, so fallen heute noch genug Leute darauf herein. Das ist kein Wunder, da sich kaum ein „Normalnutzer“ mit den Reformregeln intensiv beschäftigt hat. Obwohl bei Lehrern inzwischen der Leidensdruck zunimmt, gibt es unter ihnen noch etliche einige Reformhörige. Sonst käme es nicht zu solchen Aussagen:

Wir zitieren aus der Tageszeitung „Die Presse“, Wien (1. Juni 2004):
„Die Schüler, die umstellen mussten, haben große Schwierigkeiten“, berichtet Elfi Wotke, Lehrerin am Oberstufenrealgymnasium in der Wiener Hegelgasse. Bei ihrer 14-jährigen Tochter kann sie hingegen beobachten, dass sich jene Schüler leichter tun, die von Anfang an die neuen Schreibungen gelernt haben. Probleme ortet Wotke aber bei Regeln, die sprachwissenschaftlich sicher einwandfrei, aber dennoch kaum lehr- und lernbar seien - etwa bei der Getrenntschreibung, die bei „weiterbilden“ nicht, bei „weiter bestehen“ aber sehr wohl möglich ist (auch hier sieht die Reform der Reform eine Klarstellung vor). Selbst sie als Lehrerin müsse viel im Wörterbuch nachsehen.“

So ist das also. Das neue Auto fährt nicht. Aber technisch ist es ausgereift. Und deshalb kaufen wir es. Diejenigen, die mit „stehenden“ Autos aufwachsen, haben damit keine Probleme. Also können wir nichts gegen diesen „Fortschritt“ haben.

Es wird zwar dauern, aber die Zeit bringt es ans Licht. Und dann könnte ein großes Jammern beginnen unter jenen, die den Anschluß an die Bildung ganz verpaßt haben. Wer nicht hören will, muß fühlen.

Karin Pfeiffer-Stolz
info@stolzverlag.de

Stolz Verlag
Schneidhausener Weg 52
52355 Düren
Tel. (02421) 5 79 79
info@stolzverlag.de
www.stolzverlag.de

www.maerkischeallgemeine.de/?loc=7_4
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden E-Mail senden Webseite dieses Benutzers besuchen
Beiträge vom vorherigen Thema anzeigen:   
Neuen Beitrag schreiben   Auf Beitrag antworten    VRS Foren-Übersicht -> Aktionen Alle Zeiten sind GMT + 1 Stunde
Seite 1 von 1

 
Gehe zu:  







Powered by phpBB © 2001, 2002 phpBB Group