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Zwischenstaatliche Kommission für deutsche Rechtschreibung

 
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Manfred Riebe



Registriert seit: 23.10.2002
Beiträge: 2840
Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg

Beitrag: Dienstag, 25. Nov. 2003 19:03    Titel: Zwischenstaatliche Kommission für deutsche Rechtschreibung Antworten mit Zitat

Die Zwischenstaatliche Kommission für deutsche Rechtschreibung

Zusammensetzung

Deutschland
Prof. Dr. Gerhard Augst
Prof. Dr. Mechthild Dehn
Dr. Klaus Heller
Prof. Dr. Dieter Herberg
Prof. Dr. Rudolf Hoberg
Prof. Dr. Dieter Nerius

Österreich
Dr. Karl Blüml
Prof. Dr. Richard Schrodt
Mag. Ulrike Steiner

Schweiz
Prof. Dr. Peter Gallmann
Dr. h.c. Werner Hauck
Prof. Dr. Horst Sitta

http://www.rechtschreibkommission.de/
http://rechtschreibung.ids-mannheim.de/kommission_mitglieder.html
http://www.ids-mannheim.de/gra/rechtschreibung.html

Man sollte sich einmal vor Augen führen, daß die kleine Schweiz mit nur etwa 7 Millionen Einwohnern und Österreich mit etwa 15 Millionen Einwohnern in der 12köpfigen Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung beim Institut für deutsche Sprache (IDS), Mannheim, je 3 Mitglieder stellen gegenüber Deutschland mit nur 6 Mitgliedern bei 80 Millionen Einwohnern.


Zuletzt bearbeitet von Manfred Riebe am Montag, 16. Aug. 2004 08:16, insgesamt 4mal bearbeitet
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Peter Schwenzer



Registriert seit: 01.09.2003
Beiträge: 56
Wohnort: Madrid

Beitrag: Donnerstag, 27. Nov. 2003 01:28    Titel: Antworten mit Zitat

Warum hat eigentlich das Fürstentum Liechtenstein keinen Vertreter entsandt? Und was ist mit Ländern, in denen anerkannte deutschsprachige Minderheiten leben?
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Reinhard Markner



Registriert seit: 14.10.2002
Beiträge: 33
Wohnort: Berlin

Beitrag: Donnerstag, 27. Nov. 2003 17:19    Titel: Liechtenstein Antworten mit Zitat

Ein Vertreter des Fürstentums nimmt an den Sitzungen der schweizerischen Erziehungsdirektorenkonferenz teil. Insofern vertreten die Schweizer immer auch die Liechtensteiner, so wie die Südtiroler indirekt durch die Österreicher repräsentiert werden. Belgien und Luxemburg sehen nur zu.
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Manfred Riebe



Registriert seit: 23.10.2002
Beiträge: 2840
Wohnort: 90571 Schwaig bei Nürnberg

Beitrag: Freitag, 28. Mai. 2004 19:14    Titel: Anhörung durch die Zwischenstaatliche Rechtschreibkommission Antworten mit Zitat

Anhörung durch die Zwischenstaatliche Kommission für deutsche Rechtschreibung am 23. Januar 1998
_____________________________________________________________________

Mannheimer Anhörung, 5. Jahrestag


Vielleicht interessieren jemanden meine Aufzeichnungen von der Mannheimer Anhörung. Sie sind sehr knapp, aber aus dem Augenblick heraus formuliert und daher irgendwie authentisch.

Die Mannheimer Anhörung ist den Reformern offensichtlich so peinlich, daß sie weder auf der "Zeittafel" der Rechtschreibkommission erwähnt ist noch in anderen offiziösen Chronologien der Reform.

Einen ausführlichen Bericht sowie einen gründlichen Kommentar der damals diskutierten Vorlage ("Erster Bericht") enthalten meine Bücher "Kritischer Kommentar" [zweite Auflage] und "Regelungsgewalt".
--

Anhörung der Rechtschreibkommission, Mannheim 23.1.1998 (Aufzeichnungen von Th. Ickler)

Vor Beginn sind TV-Teams zu Kameraschwenks und Interviews im Saal.
Die Kommissionsmitglieder sind bis auf Gallmann und Spechtler versammelt: Augst, Heller, Hoberg, Eisenberg, Nerius, Blüml, Schrodt, Hauck, Sitta.
Der Vorsitzende Augst begrüßt die Versammlung und schließt die Presse aus. Krieger und Ickler protestieren erfolglos; Dr. Reumann (F.A.Z.), Dr. Guratzsch (Die Welt) u.a. verlassen den Raum. Eine Tagesordnung liegt nicht vor, auch keine Teilnehmerliste, nur eine veraltete Liste der Eingeladenen. (Deshalb sind im folgenden manche Namen nur nach Gehör und daher u. U. falsch geschrieben.) Bei Aufruf erweist sich, daß viele nicht erschienen sind.
Bertelsmann ist mindestens vierfach vertreten: durch Varnhorn, Störiko-Blume, Menze (über AOL-Verlag) und Wahrig. (Nach anderen Zählungen sechsfach.)
Im Saal befinden sich außer den Eingeladenen noch sechs oder sieben Personen, die nicht vorgestellt werden. Darunter Dr. Tobias Funk von der KMK, eine Dame, die später als Dr. Palmen-Schrübbers vom BMI identifiziert werden konnte, sowie Frohmut Menze (AOL-Verlag), der neben seiner als GEW-Vertreterin erschienenen Frau sitzt. (Das Ehepaar Menze scheint dem Kommissionsvorsitzenden gut bekannt zu sein und überhaupt beim IDS ein- und auszugehen. Zwei weitere Männer fallen dadurch auf, daß sie jede reformkritische Äußerung mit übertriebenem pantomimischem Spiel kommentieren und bei Hans Kriegers Vortrag demonstrativ den Saal verlassen. Einer von ihnen konnte später als Ministerialrat Stillemunkes identifiziert werden.)
Ein Tonbandprotokoll soll irgendwann einmal verschriftet werden. Ickler bittet um beschleunigtes Verfahren, weil das Protokoll der Wiener Abschlußverhandlungen von 1994 heute noch nicht vorliege.
Augst: Der Protest gegen die Rechtschreibreform habe bei der Frankfurter Buchmesse 1996 begonnen. Durch die Reform sei aber ein vielfältiges "Handeln" angestoßen worden, dessen Folgen (wirtschaftlich usw.) zur Kenntnis zu nehmen seien.

Die Eingeladenen werden aufgefordert, ihre Statements vorzutragen.

Österreich:
1. Grubich (Did. Arbeitsgruppe): Alle Grundschulen in Österreich praktizieren bereits Neuregelung. Warnt vor Übertreibung bei Betonungskriterium.

2. Ruiss (IG Autoren): Welche Kompetenz hat die Kommission? Warum liegt kein neues Wörterverzeichnis vor?
Blüml: Wörterverzeichnis zu überarbeiten wäre eine "immense Arbeit".
Eisenberg: Kommission soll Sprache beobachten, aber nicht verändern.

3. Fussy (ÖWB): Sieht Reform kritisch, fügt sich aber "demokratischen Regeln". Die Änderungen verschlimmern nur. Im Wörterbuch seien nun schon die Neuregelungen umgesetzt, und man könne mit ihnen leben. Bis 2005 warten, dann nach einem Praxisvorlauf Änderungen erwägen.
Hoberg: Die Kommission ist nicht dieselbe wie 1994.
Augst: Acht Mitglieder seien identisch mit dem Internationalen Arbeitskreis.

4. Veritas Verlag begrüßt Vereinfachungen.

Schweiz:
5. Tobler (WDS und SBVV - Schweiz): war nie begeistert, will Kleinschreibung etc. Die Schulbuchverleger der Schweiz bringen seit 1995 alle neuen Bücher in Neuschreibung. Ist gegen Änderungen jetzt.

6. Dubé (oder so ähnlich) (PBS): Unverständlich, warum so viel Diskussion, die Sache sei gelaufen. Begrüßt die Varianten. Allerdings jetzt viel Unsicherheit und bereits Hausorthographien.

Deutschland:
7. Varnhorn (Bertelsmann): Begrüßt grundsätzlich die Neuregelung und den Bericht, Kritik sollte einbezogen werden, das sei auch weitgehend geschehen. Mehr Varianten sind gut. 500 bis 1000 neue Varianten, 0,5 Prozent des Bertelsmann-Wortschatzes, das sei zu verkraften, aber ein Wörterverzeichnis sei schnell erforderlich.
Sitta begrüßt, daß Bertelsmann die Varianten begrüßt.

8. Störiko-Blume (AVJ für Börsenverein): Lage der Jugendbuchverlage, Back-list. Heute andere Gefährdungen der deutschen Sprache. Varianten erleichtern das Lernen. Hat den Bericht nicht durcharbeiten können, Kippen der Reform wäre Katastrophe. Allerdings gebe es bereits wieder Hausorthographien der Verlage.
Nerius lobt die Sensibilisierung der Menschen für Sprache durch die ganze Rechtschreibdiskussion.
Ickler hebt große Zahl von wieder zugelassenen Zusammenschreibungen hervor.
Mentrup: Varianten setzen kreative Kräfte frei, Reflexion über Sprache.

9. Müller (Deutsche Akademie f. Sprache und Dichtung, Pressereferentin) verliest Statement von Präsident Meier. Auf Nachfrage: Das Statement ist auch von der Rechtschreibkommission der Akademie gebilligt.
Augst: "Sie haben sich hier als Pressereferentin der Akademie für Sprache und Dichtung ausgegeben."
Eisenberg: Das Statement enthält sämtliche Mißverständisse über die Rechtschreibreform.
(Einige Kommissionsmitglieder fallen über die wehrlose Referentin her und besinnen sich nur mit Mühe darauf, daß es nicht möglich ist, die junge Dame für die Stellungnahme der Akademie zur Verantwortung zu ziehen. Peinliche Szene.)

10: Suchsland (Dt. Ges. f. Sprachwissenschaft): Bekräftigt Stellungnahme vom Sommer 1997. Die DGfS ist für eine Reform, aber nicht für diese und auch nicht für die Kommission in dieser Zusammensetzung. Trägt viel linguistische Detailkritik vor. (Wundert sich noch mehrmals über die linguistische Ignoranz der meisten Teilnehmer.)

11: Kugler (Dt. Germanistenverband): Österreich und Schweiz behandeln die Reform als Tatsache, nur die Deutschen tun so, als sei alles noch in der Diskussion. Die Fachverlage halten sich sehr zurück; auf die Dauer keine zwei Rechtschreibungen nebeneinander. Nach Kuglers Ansicht erhöht der Bericht von 1998 die Akzeptanz der Reform. Wie ist der Zeitplan?
Augst: Die Arbeit der Kommission ist auf Dauer gestellt. Als nächstes Thema ist die Zeichensetzung dran.
(Weitere Aussagen Kuglers werden in der Presse als Zustimmung des Germanistenverbands zur Reform wiedergegeben. Kugler dementiert am 27.1. in den Nürnberger Nachrichten, S. 4: keine Zustimmung, sondern gespaltene Meinungen innerhalb des Verbands.)

12: Köstlin verliest Stellungnahme des Deutschen Lehrerverbandes (Josef Kraus): Aus Termingründen keine Befragung der Mitgliederverbände möglich gewesen. Kritisiert Einladungspolitik der Kommission.
(Kraus erklärt am Tag darauf vor der Presse, daß er die Reform ablehne. Fordert Auflösung der Kommission.)

13. Meidinger (Deutscher Philologenverband): Es gibt keine Differenzen zwischen Führung und Basis im Philologenverband. In Bayern befürworten 80 % der Delegierten die Neuregelung. Meidinger gibt zu, daß er die neuen Vorschläge noch nicht genau studieren konnte, findet sie aber gut. Die neuen Varianten laufen nur auf eine Verlängerung der Übergangsfrist hinaus. Alles prima.

14. Baxman-Krafft (DIN): Gegen Variantenvermehrung.

15: Wermke (Duden): Duden hat Neuregelung begleitet, die Vorlage von 1996 ist eine tragfähige Basis. Die Varianten werden jetzt erheblich vermehrt. Bei Fremdwörtern nach § 55(3) und 37 ergeben sich jetzt bis zu 5 Schreibungen (Hot Dog, Chewing Gum usw.); vermißt klare Hinweise auf Variantenführung. Hausorthographien werden unvermeidlich, existieren teilweise auch schon wieder. Gegen volle Umsetzung der §§ 34, 36, 37 und 55(3).
Blüml: Die GZS ist nicht endgültig zu regeln.
Sitta verteidigt Fülle der Trennmöglichkeiten. Man könnte aber auch wie in der Schweiz Schülerwörterbücher ganz ohne Trennungen herausbringen.
Mentrup erklärt Unterschied zu 19. Jahrhundert: Heute steht über den Hausorthographien die amtliche Regelung, damals nicht.

16. Pflug (GfdS): GfdS begrüßt die Variantenfülle, gerade weil es keine Übergangslösung ist, sondern dauerhaft mehr Freiheit läßt. Warum staatliche Orthographie? Grammatik und Phonetik seien ja auch nicht staatlich geregelt. Dauerhafte Varianten führen zu wünschenswerter Abwertung der Orthographie.

17. Frau Beuschel-Menze (GEW) findet Neuregelung sowie Bericht sehr gut. (Sie wird von einer nichteingeladenen Schulleiterin namens Bausch aus der zweiten Reihe heftig unterstützt; Ickler protestiert gegen Zulassung dieser Meldung und weist auf Verbindung von Frau Menze zum AOL-Verlag ihres Mannes hin, der die Reform flächendeckend in die deutschen Schulen bringt.)

18. Vogt (Goethe-Institut) (Jurist): Variantenreichtum problematisch. Verringerung von 212 auf 112 Regeln zu begrüßen (usw. - ahnungslos).

19. Stickel (IDS): Unter IDS-Mitarbeitern Dissens bei GZS. Warnt vor weiteren Eingriffen, eher Überprüfung an großen Wortlisten. Gegen noch mehr Varianten. Haupt- und Nebenvarianten deutlicher unterscheiden.

20. Glück (Studiengruppe Geschriebene Sprache): Verweist auf Erklärung vom Sommer 1997, wo auf Unzulänglichkeiten hingewiesen wird. Zu wenig Forschung betrieben. Um den Schaden gering zu halten, begrüßt die Gruppe den Versuch einer Weiterentwicklung und Kommentierung und wendet sich gegen die Forderung auf Abbruch der Reform. Ein Leitwörterbuch von 70 000 Einträgen sei erforderlich. Andere Besetzung der Kommission erforderlich. Gegen Moratorium, eher Varianten beobachten. (Identisch mit Eisenbergs Strategie.)

21: v. Bernuth (Verband der Schulbuchverlage): Zum Inhalt nichts beizutragen. Der Änderungsaufwand durch Einarbeitung der Varianten sei unvermeidlich. Man solle lieber gegen Aufhebung der Preisbindung protestieren als gegen Reform.

22: Bittner (VS in IG Medien): Tadelt Ausschluß der Medien und der Bürgerinitiativen vom Verfahren. Man sollte sich mehr Zeit nehmen, um auf einzelne Punkte einzugehen. Der VS hat sich im Juni 1997 kritisch zur Reform geäußert. Freiheiten sind gut, ob "aufs neue" oder "aufs Neue", ist egal. Aber gegen drei gleiche Buchstaben, gegen Häufung von Satzzeichen, gegen vorauseilende Einführung von Varianten. Reform weitgehend überflüssig, allenfalls eine radikale Vereinfachung (Kleinschreibung) wird von vielen gewünscht.

23: Krieger (Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege): Völlige Ablehnung des ganzen Reformunternehmens.
Eisenberg stimmt vielem zu, nimmt Kommission in Schutz: Sie kann nicht viel anders. Es sei schon Wesentliches erreicht, Hunderte von Wörtern wieder eingeführt. Malt Katastrophenszenario, falls Reform scheitert.
Ickler verweist auf Niedersachsen. Auch sei die neue monumentale Grammatik des IDS soeben in der gültigen Rechtschreibung erschienen und nicht in der geplanten, weil offenbar das IDS selbst nicht an die Reform glaube.
Ruiss wehrt sich gegen überfallartige Revisionen der Reform.

24: Wahrig-Burfeind: findet größere Freiheit durch Varianten gut.
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Bei der abendlichen Pressekonferenz macht die Kommission einen derangierten Eindruck. Heller sucht hilflos nach Unterstützung, weil er auf Fragen keine Antwort weiß. Mehrere Mitglieder schieben alles auf die Politiker, halten nun Aufschub und Veto für möglich. Konfusion überall.
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Nachbemerkung: Zwei Wochen später beschließen die Amtschefs der Kultusministerien und des Bundesinnenministeriums sowie entsprechender Stellen Österreichs und der Schweiz, die Reform in der unkorrigierten Fassung von 1996 durchzuführen. Kommissionsmitglied Eisenberg spricht daraufhin von Rücktritt (Focus 8/1998) und tritt im März wirklich aus der Kommission aus, Kommissionsmitglied Blüml fühlt sich "verheizt" (Interview im Wiener "Standard").
– geändert durch Theodor Ickler am 22.01.2003, 16.48 –

Theodor Ickler

20.01.2003 20:13 Forum > Dokumente > Mannheimer Anhörung
www.rechtschreibreform.de/php/einzelner_Datensatz.php?BeitragNr=16134
_____________________________________________________________

Anmerkungen:

Theodor Ickler in seinem Buch „Regelungsgewalt“:

„Obwohl durch die Einladungspolitik der Kommission eine überwältigende Mehrheit zugunsten der Reformpläne sichergestellt war, kann weder die Anhörung selbst noch ihre Echo in den Medien als Erfolg der Reformer verbucht werden. Dafür war zunächst schon der Ausschluß der Öffentlichkeit verantwortlich. (Die dennoch erschienenen Journalisten wurden aus dem Saal gewiesen.)

Von den wenigen Reformkritikern, die – zum Teil erst nach umständlichen eigenen Bemühungen und wenige Tage vor der Veranstaltung – zugelassen worden waren, lehnten der<b> „Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege“ (vertreten durch Hans Krieger) sowie die Initiative „Wir Lehrer gegen die Rechtschreibreform“ (die ich vertrat)</b> die Korrekturvorschläge ab; die „Studiengruppe geschriebene Sprache“ (Helmut Glück) begrüßte sie als Schritt in die richtige Richtung, erneuerte aber ihre Kritik an der Reform und an der Zusammensetzung der Kommission.“
(Ickler, Theodor: REGELUNGSGEWALT. Hintergründe der Rechtschreibreform. St. Goar: Leibniz Verlag, 2001, S. 136 f.)
______________________________

Wahrig-Redaktionsbüro
Dr. Renate Wahrig-Burfeind
Grüner Weg 6
64521 Groß-Gerau
Telefon: 06152/83872
Fax: 06152/719427
Wahrig-Burfeind@t-online.de
www.wahrig-burfeind.de.vu/
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Manfred Riebe



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Beitrag: Sonntag, 22. Aug. 2004 23:29    Titel: Geheimsache Deutsch Antworten mit Zitat

Geheimsache Deutsch
Von Hannes Hintermeier

22. August 2004 - Er sei jetzt ein Jahr in Österreich gewesen und habe dort gelernt, was ein „scharfes s“ sei - nämlich das fälschlicherweise so bezeichnete Pendant des gemeinhin als „sz“ bekannten Buchstaben ß. Dies erklärte Dieter Nerius unlängst im Bayerischen Rundfunk.

Nerius war von 1975 bis 2001 Professor für germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Rostock, leitete von 1974 an die Forschungsgruppe Orthographie der Akademie der Wissenschaften zu Berlin und der Universität Rostock; er war von 1980 bis 1986 Mitglied des Internationalen Arbeitskreises für Orthographie, von 1993 bis 1997 zuerst Mitglied, später stellvertretender Vorsitzender der Kommission für Rechtschreibfragen des Instituts für Deutsche Sprache, Mannheim. Und er ist, man ahnt es, seit jenem Schicksalsjahr 1997 Mitglied der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung, mithin einer der Väter der Reform.

Nerius glaubt fest an seine Berufung

Zeitlebens hat der knapp Siebzigjährige sich mit Fragen der Orthographie und Lexikologie beschäftigt, schon in seinen frühesten Publikationen unternahm er „Untersuchungen zur Herausbildung einer nationalen Norm der deutschen Literatursprache“ (1967); acht Jahre später legte er weitere „Untersuchungen zu einer Reform der deutschen Orthographie“ vor.

Dieter Nerius ist ein glühender Anhänger der Reform, ja ihr theoretischer Kopf: der Typ des Wissenschaftlers, der sein ganzes Berufsleben mit einem Thema zubringt. Der zu DDR-Zeiten dem Reisekader angehörende Orthographiefachmann ist fest davon überzeugt, daß nur der Staat die Kompetenz hat, die Sprache zu reformieren. Nerius glaubt fest an seine Berufung - auch wenn er in sieben Jahren Kommissionsarbeit vom „scharfen s“ noch nie etwas gehört hat.

Aufenthalt im akademischen Milieu

Die Kommissionsmitglieder verkörpern ein Spezialistentum, das sich als ungewöhnlich beratungsresistent erwiesen hat. Je stärker der Einspruch gegen die Details der Reform wurde, als desto unversöhnlicher, weil im Besitz der Reformhoheit, erwies sich das Gremium. Am Ende wollte es gar die totale Kontrolle (F.A.Z. vom 30. Januar) und nur noch alle fünf Jahre berichten.

Nun sind es germanistische Sprachwissenschaftler gewohnt, sich hinter den Reihen ihrer bibliographischen Befestigungsanlagen zu verschanzen. Öffentlichkeit meiden sie eher; sie bevorzugen den Aufenthalt im akademischen Milieu, wo sie Netzwerke und Zitierkartelle bilden. Dort, in den Schattenfugen germanistischer Zeitschriften, probten sie die Reform, lange bevor sie Wirklichkeit wurde.

Wer ist wer?

Wer Aufklärung im Internet sucht, wird auch auf der Homepage der Kommission kein vollständiges Bild erhalten. Ein Gruppenfoto zeigt die symbolträchtigen zwölf bei einer Art Klassentreffen, ohne Nachweis von Datum, Ort und Fotografen. Dem Vernehmen nach ist das Bild mehrere Jahre alt. Auf einer Treppe stehen, freundlich lächelnd, die Erfinder der neuen Rechtschreibung, 1986 eingesetzt von den Kultusministern der deutschsprachigen Länder. Wer ist wer?

Die Homepage bleibt die Aufklärung schuldig, offeriert aber kurze Lebensläufe, die immer erst dann einsetzen, wenn die jeweilige Biographie schon mitten in der Germanistik angelangt war. Zehn Männer und zwei Frauen, der Großteil, soweit auf der unvollständigen Homepage zu ermitteln, zwischen 1935 und 1948 geboren. Ein gut Teil davon Jahrgängen zurechenbar, die man als Achtundsechziger kennt, ein gut Teil heute in Amt und Würden ergraut. Sieben Deutsche aus Ost und West, drei Österreicher, zwei Schweizer.

Gerhard Augst und Karl Blüml

Gerhard Augst ist seit 1973 Professor für Germanistische Linguistik an der Universität-Gesamthochschule Siegen; sein Steckenpferd sind synchrone Etymologien beziehungsweise Volksetymologien; die Wissenschaft wollte seinen Herleitungen nicht folgen, weswegen sein „Wortfamilienwörterbuch der deutschen Gegenwartssprache“ (1998) umstritten ist. Augst hat viel publiziert, rangiert aber nach Einschätzung von Fachkollegen im Mittelfeld. Er ist Mitarbeiter der Duden-Grammatik und einer der engagiertesten Vertreter der Reform. Schöpfungen wie „verbläuen“ oder „Zierrat“ gehen auf sein Konto.

Hofrat Karl Blüml ist ein Wiener Ministerialbeamter, der als derzeitiger Vorsitzender der Kommission die Klaviatur in Bürokratien zu spielen weiß. Fachlich weniger involviert, hat er sich in einem Zeitungsinterview auch schon mal aus dem Fenster gehängt und als Ziel der Reform die Entmachtung des Duden-Monopols genannt.

Dehn, Gallmann, Hauck und das ostdeutsche Dreiergespann

Über die Kompetenz in Rechtschreibfragen ist bei Mechthild Dehn wenig bekannt, da sie andere Felder beackert: Sie ist seit 1987 Professorin für Erziehungswissenschaft unter besonderer Berücksichtigung der Didaktik der deutschen Sprache und Literatur an der Universität Hamburg; in die Kommission rückte sie spät nach, sie gilt als Unterstützerin der Linie von Gerhard Augst.

Peter Gallmann war Korrektor der „Neuen Zürcher Zeitung“ und hat als Schüler von Horst Sitta schon an Sitzungen der Kommission teilgenommen, als er noch kein Mitglied war. Kollegen beschreiben ihn als dogmatisch und halsstarrig, aber auch als kreativ und wissenschaftlich potent: Der Duden-Autor ist für die größtmögliche Vermehrung der Großschreibung, „im Übrigen“ und „des Öfteren“ sind Neuerungen, für die Gallmann kämpft. Seit 2002 hat er einen Lehrstuhl für germanistische Sprachwissenschaft in Jena.

Werner Hauck leitet seit 1974 die Sektion Deutsch der Zentralen Sprachdienste der schweizerischen Bundeskanzlei, kommt also aus der Verwaltung und ist als Wissenschaftler nicht ausgewiesen. Klaus Heller bildet zusammen mit Dieter Nerius (dessen Mitarbeiter er war) und Dieter Herberg das ostdeutsche Dreiergespann. Seit seiner Dissertation beschäftigt er sich mit Fremdwortschreibung, zu DDR-Zeiten an der Ostberliner Akademie, später wurde er, wie viele andere auch, vom Institut für Deutsche Sprache in Mannheim (IDS) übernommen.

Experte in Fragen der Getrennt- und Zusammenschreibung

Der Sekretär der Kommission ist Autor des Hauses Bertelsmann. Dem Vernehmen nach fiel er weniger durch wissenschaftliche Brillanz als dadurch auf, daß er der freien Wirtschaft Seminare anbot, die Firmen auf die neue Rechtschreibung vorbereiten sollten. Auch Dieter Herberg kommt aus dem Stall von Nerius, auch er wirkt heute am IDS. Der hochspezialisierte DDR-Wissenschaftler gilt als ordentlich, aber unauffällig. Er ist Experte in Fragen der Getrennt- und Zusammenschreibung, deren neue Regelung besonders großen Unmut hervorruft.

Rudolf Hoberg lehrt seit 1974 in Mannheim germanistische Sprachwissenschaft, bekannter wurde er jedoch als Vorsitzender der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) in Wiesbaden, welche er gegen interne Widerstände auf eine Pro-Reform-Linie getrimmt hat; auch er ist Duden-Autor. Der Österreicher Richard Schrodt ist außerordentlicher Professor am Germanistischen Institut der Universität Wien, man hat ihn der Kommission empfohlen, weil er als glühender Reformverehrer galt; er ist nicht spezialisiert auf Fragen der Orthographie und zeigt in seinen Publikationen ein breiteres, auch historisch ausgerichtetes Themenspektrum.

Gegenspieler von Nerius

Der gebürtige Böhme Horst Sitta ist emeritierter Professor für Deutsche Sprache der Universität Zürich. Als Germanist ist er anerkannt, zu Fragen der Rechtschreibreform hat er nur wenig publiziert; er ist in der Kommission der Gegenspieler von Nerius, verfolgt aber im wirklichen Leben für den Duden-Verlag eine erfolgreiche Strategie der Besitzstandswahrung in der Schweiz.

Zusammen mit Peter Gallmann hat er mehrere Bücher zur neuen Schreibweise herausgebracht. Ulrike Steiner ist Redakteurin des Österreichischen Wörterbuchs, an dem auch Karl Blüml mitarbeitet. Dieses Wörterbuch zielt auf eine größere Abgrenzung des Österreichischen vom Hochdeutschen, in dem es Austriazismen kanonisiert. Frau Steiner ist das jüngste und am wenigsten beschriebene Blatt im Zwölferrat.

Zweckbündnis aufrechterhalten

Der langjährige Leiter der Duden-Redaktion Günther Drosdowski hat die Zustände in der deutschen Rechtschreibkommission in einem Brief an den Germanisten Theodor Ickler bereits im November 1996 festgehalten. Die Reformer, schreibt Drosdowski, „mißbrauchten die Reform schamlos, um sich Ansehen im Fach und in der Öffentlichkeit zu verschaffen, Eitelkeiten zu befriedigen und mit orthographischen Publikationen Geld zu verdienen. Selten habe ich erlebt, daß Menschen sich so ungeniert ausziehen und ihre fachlichen und charakterlichen Defizite zur Schau stellen.“

Die Kultusbürokratie, die diese Kommission einsetzte, sieht aus naheliegenden Gründen nicht ein, daß man einem Fluidum wie Sprache nicht mit dem germanistischen Schraubenschlüssel allein beikommt. Dazu hätte es feinerer Instrumente bedurft, als sie Politik und generative Grammatik zur Verfügung stellen. Aber beide schützten einander über die Jahre und hielten ihr Zweckbündnis noch aufrecht, als sich längst abzeichnete, daß der Auftrag „Vereinheitlichung und Vereinfachung“ gescheitert war.

„Einige wenige Personen“

Im Chor der Politikerstimmen, der sich seit kurzem erhebt, waren vereinzelt auch Kommissionsmitglieder zu vernehmen. Im „Tagesspiegel“ etwa brachte Gerhard Augst gleich schwere Geschütze in Stellung: Er glaube nicht, daß die Rechtschreibung das eigentliche Thema sei, man wolle „vielmehr den ganzen Unwillen gegen die anstehenden Sozialreformen auf der Rechtschreibung symbolisch abladen“.

Und Klaus Heller sattelte in der „taz“ noch drauf: Nur „einige wenige Personen“ versuchten aufgrund ihrer publizistischen Macht, „einen demokratischen Prozeß auszuhebeln, der über Jahrzehnte in vielen Ländern durch viele wissenschaftliche, politische und andere gesellschaftliche Gremien gestaltet worden ist“.

Es war nicht gut, daß die Kommission so lange die Deckung gesucht hat, aber es wird nun immer deutlicher, daß sie dies mit guten Gründen tat. Nun, auf dem Scherbenhaufen und kurz bevor im Herbst ein Rat für die deutsche Rechtschreibung die Aufräumarbeiten übernehmen soll, zeigt sich vollends, auf welch fragwürdigen Prämissen sie ihr Regelwerk gründete.

Bislang war stets zu hören, daß der künftige Rat für Rechtschreibung im Kern aus den Mitgliedern ebenjener Kommission bestehen soll, die er ablöst, weil ihr Scheitern sogar von den energischsten Verteidigern nicht länger abgestritten werden kann. Unglaublich? Ja, aber nicht unglaublicher als die Vorgeschichte der Kommission.

Heute trifft sich in Wien die Zwischenstaatliche Kommission für die deutsche Rechtschreibung zur Krisensitzung. Obwohl das Gremium die Verantwortung für das Scheitern der Reform trägt, ist es seinen Mitgliedern bisher gelungen, fast vollständig im Hintergrund zu bleiben. Kaum jemand kennt die Namen der Experten, die das mißlungene Regelwerk ausgeheckt haben. Auch in Wien wird wieder hinter verschlossenen Türen getagt. Wir haben sie einen Spalt geöffnet.

Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 195 vom 23. August 2004, S. 33
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Manfred Riebe



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Beitrag: Mittwoch, 24. Nov. 2004 16:06    Titel: Hans Krieger über die Mannheimer Anhörung Antworten mit Zitat

Hans Krieger über die Mannheimer Anhörung

Der Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege (VRS) hatte Hans Krieger zur Anhörung der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung am 23. Januar 1998 in Mannheim entsandt. Zur Kurzbiographie Kriegers: www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?p=2849#2849
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Die Reformruine wankt
Rechtschreibkommission: Neuverhandlung wird unumgänglich

Nun ist auch dem Präsidenten des Deutschen Lehrerverbandes der Geduldsfaden gerissen. Nach dem halben Rückzug der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung, die in etlichen hundert Fällen die alte Schreibweise als Variante neben der Neuschreibung wieder zulassen will, forderte Josef Kraus eine Verschiebung des Inkrafttretens der Rechtschreibreform und die Entlassung der Kommission. Im Saarländischen Rundfunk verwahrte sich der Vorsitzende der mitgliederstarken Lehrerorganisation gegen eine weitere Erschwerung der Arbeit der Schulen. Längst breite im Schulalltag eine „fatalistische Haltung“ sich aus; Lehrer scheuten sich zunehmend, Rechtschreibung überhaupt noch zu bewerten, und die Schüler nähmen die Regeln nicht mehr ernst.

Erstmals hat sich damit das Unbehagen der Lehrerschaft auf der Ebene der Verbandsspitzen artikuliert. Genau vor dieser Entwicklung zur resignierten Gleichgültigkeit hatten Kritiker der Reform seit eineinhalb Jahren gewarnt; in ungetrübtem Unisono aber hatten die Vorstände der Lehrerverbände ohne Rückkoppelung mit ihrer murrenden Basis die Sachwalter des Neuschriebs ihrer Nibelungentreue versichert und artig die Erfolgsmeldungen produziert, daß man in den Schulklassen die segensreiche Erleichterung des Schreibenlernens dankbar genieße. Noch bei dem Hearing im Mannheimer Institut für deutsche Sprache am vergangenen Freitag [Hervorhebung, MR], von dem sich die Zwischenstaatliche Kommission eine Akklamationsbasis für ihr nachträglich enthärtetes Reformprogramm erhoffte, gaben Philologenverband und GEW nur Friede, Freude, Eierkuchen zu Protokoll (die GEW-Delegierte Hertha Beuschel-Menze müßte sich freilich fragen lassen, ob sie die Lehrergewerkschaft oder, als Autorin und Verlegerin von Rechtschreibbüchern, eigene geschäftliche Interessen vertreten hat). Mit dieser Fabrikation von Trugbildern hat Josef Kraus nun aufgeräumt.

Nicht nur darum aber wurde das Hearing für die Reformer zum Waterloo. Und auch nicht nur darum, weil die Kommission dann doch nicht umhingekonnt hatte, im Chor der Jubelperser auch ein paar kritische Stimmen zu tolerieren. Bei der anschließenden Pressekonferenz mußte Kommissionspräsident Gerhard Augst einräumen, daß mit den Nachbesserungen an der Reform die zwischenstaatliche „Absichtserklärung“ vom Juli 1996 gekippt worden ist. Was bisher stets geleugnet wurde, ist damit aktenkundig: die revidierte Reform bedarf neuer Verhandlungen und neuer Beschlüsse. Ob neue Verhandlungen allerdings noch einmal zu einem reformfreundlichen Konsens führen können, ist mehr als fraglich. Denn inzwischen wissen die meisten Politiker, welcher Murks sich unter dem wohlklingenden Etikett „Reform“ verborgen hat, und auch die Öffentlichkeit ist wachsamer geworden. Die Reform aber ohne die Nachkorrekturen wie ursprünglich vorgesehen am 1. August 1998 in Kraft zu setzen, ist nun nicht mehr möglich. Denn klipp und klar hat die Kommission erklärt: „Die Auswertung aller eingegangenen kritischen Hinweise und die Analyse des Wörterbuchvergleichs und anderer Korpora machen die Notwendigkeit eines Eingriffs in den Regeltext ... unumgänglich.“ Dahinter kann niemand mehr zurück.

Die solchermaßen als „unumgänglich“ ausgewiesenen Nachbesserungsvorschläge der Kommission sind das späte Eingeständnis, daß die Reformer sich gehörig verrannt hatten, vor allem mit ihren Willkürparagraphen zur Getrennt- oder Zusammenschreibung, mit denen sie ganze Hundertschaften von zusammengesetzten Wörtern aus dem geschriebenen Wortschatz verbannt hatten. Ein Teil dieses Kulturverlustes ist nun wenigstens auf dem Kommissionspapier wieder ungeschehen gemacht, was vor allem der Beharrlichkeit des Potsdamer Linguisten Peter Eisenberg zu danken ist. Aber eben nur ein Teil und nur auf dem Kommissionspapier, denn in den neuerschienenen Wörterbüchern wird man die mutwillig eliminierten Wörter weiterhin nicht finden, und die Notwendigkeit, die Wörterbücher als lückenhaft und darum unbrauchbar zu makulieren und durch korrekter informierende zu ersetzen, hat die Kommission ausdrücklich verneint - entweder wider besseres Wissen oder weil sie vom Anspruch der Sprachgemeinschaft auf verläßliche Handbücher eine etwas frivole Auffassung hat. Den in diesem Zusammenhang erhobenen Vorwurf der „Unredlichkeit“ hat die Kommission beim Hearing unwidersprochen auf sich sitzen lassen; als der Delegierte des Vereins für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege [Hervorhebung, MR] ihn expressis verbis erhob, war kein entrüsteter, nicht einmal ein milder Protest zu hören - ein bemerkenswerter Anfall von Mannesmut.

Zu den Wörtern, die nun „wieder da“ sind (Eisenberg), gehören „kennenlernen“ und „heiligsprechen“, nicht aber „spazierengehen“ und „auseinandersetzen“; das Schicksal vieler anderer bleibt ungewiß, weil die Wörterliste fehlt und bis 1. August 1998 auf keinen Fall wird vorgelegt werden können. Kein Mensch aber vermag zu begründen, warum im einen Fall die Wiederzulassung genehmigt wurde und im anderen nicht. Denn man hielt sich nicht einmal an die simple Faustregel, daß Wortverbindungen vom gleichen Typus auch gleich zu behandeln seien, sondern behalf sich weitgehend mit Von-Fall-zu-Fall-Entscheidungen; das Regelwerk wurde nicht systematischer gefaßt, sondern nachgeflickt und aufgeweicht und damit noch verwirrender gemacht, als es zuvor schon war. „Wenn ein Maßanzug schon beim Zuschneiden verpfuscht und überdies mangelhaft verarbeitet ist, dann hilft es nichts, nachträglich neue Knöpfe aufzunähen“, heißt es in der Stellungnahme des Vereins für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege Hervorhebung, MRb], die beim Hearing verlesen wurde.

Auf das Fazit dieser Stellungnahme, die Kommission habe sich ihrer Aufgabe nicht gewachsen gezeigt und müsse von ihrem Auftrag entbunden werden, erwiderte das Kommissionsmitglied Peter Eisenberg, man müsse doch gerechtigkeitshalber bedenken, daß die Kommission ihrer Aufgabe gar nicht habe gewachsen sein können. Unwidersprochen blieb dann die Entgegnung des Vereinsvertreters, dies sei angesichts der weitgehenden personellen Identität der Kommission mit den Urhebern des „Reform“-Machwerks zweifellos richtig, erschwere aber den Vorwurf des Versagens, weil es sich somit nicht um ein zufälliges und temporäres Versagen, sondern um ein notwendiges und grundsätzliches handle; die Forderung nach Abberufung der Kommission werde damit vollends unabweisbar. Die Kommission und ihr Vorsitzender bewiesen erneut den nun schon nicht mehr ungewohnten Mannesmut; niemand mochte sich aufraffen, die geleistete Arbeit zu verteidigen.

Die Rechtschreibreform, ohnehin ein totgeborenes Kind, hat inzwischen schon so oft den Todesstoß empfangen, daß man die Zählebigkeit, mit der sie als bloßes Gespenst weiterhin durch die Schreibwelt irrlichtert, zu den paranormalen Phänomenen rechnen muß, die einer rationalen Erklärung nicht zugänglich sind. Selten hat jemand eine blamable Selbstdemontage so effektvoll und zugleich so wirkungsarm über einen so langen Zeitraum hingezogen wie die Erfinder der neuen Schreibregeln. Daß sie sich allein schon damit zum Gespött machen, daß sie 20 Seiten ihrer Nachbesserungsvorschläge dafür aufwenden, absurde Worttrennungsregeln noch absurder zu machen, scheint ihr dickes Fell nicht zu jucken. Vermutlich juckt es sie auch nicht, daß der Weilheimer Widerstandsstratege Friedrich Denk jetzt gefordert hat, das „Unfallauto“ endlich zu „verschrotten“. Die Zwischenstaatliche Kommission aber sitzt auf einem Scherbenhaufen, den sie teils dilettantisch verwaltet, teils selbst verschuldet hat. Wie lange noch soll sie in dieser unbehaglichen Position am Pranger sitzen? Hans Krieger

BAYERISCHE STAATSZEITUNG NR. 5 vom 30. Januar 1998, S. 19, KULTUR
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Anmerkung:
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